Bundesgerichtshof Urteil, 23. Sept. 2015 - 2 StR 434/14

ECLI:ECLI:DE:BGH:2015:230915U2STR434.14.0
23.09.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 434/14
vom
23. September 2015
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Betrugs
ECLI:DE:BGH:2015:230915U2STR434.14.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. September 2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Krehl, Dr. Eschelbach, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Ott, Richter am Bundesgerichtshof Zeng,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger für die Angeklagte G. , Rechtsanwalt als Verteidiger für den Angeklagten S. ,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 4. April 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das vorgenannte Urteil wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten dieses Rechtsmittels und die den Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagte G. wegen Betrugs in 17 Fällen unter Einbeziehung von zwei Einzelstrafen aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und erbrachte Bewährungsauflagen angerechnet. Den Angeklagten S. hat die Strafkammer wegen Betrugs in sechs Fällen unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, die in der Vorverurteilung ausgesprochene Sperre für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis aufrechterhalten und erbrachte Bewährungsauflagen angerechnet.
2
Die Angeklagte G. beanstandet mit ihrer Revision das Verfahren und erhebt die Sachrüge, während der Angeklagte S. mit seiner Revision nur die Verletzung materiellen Rechts rügt. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer zu Ungunsten der beiden Angeklagten auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision, dass das Landgericht die Angeklagten nicht auch - jeweils tateinheitlich - wegen (gewerbsmäßiger) Urkundenfälschung und damit nicht zu höheren Einzel- und Gesamtstrafen verurteilt hat. Die Revisionen der Angeklagten führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat hingegen keinen Erfolg.

I.


3
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
1. Die Angeklagte G. war als Bankberaterin bei einer Bank unter anderem damit betraut, Kunden über Privatkreditverträge zu beraten und entsprechende Kreditabschlüsse vorzubereiten. Um die finanziellen Verhältnisse der potentiellen Kreditnehmer prüfen zu können, mussten die Kunden - neben einem gültigen Ausweis und gegebenenfalls einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis - nach den internen Bankvorgaben unter anderem aktuelle Gehaltsbescheinigungen und gegebenenfalls Kontoauszüge eines Girokontos vorlegen. Die Angeklagte hatte diese Unterlagen zu prüfen, Kopien der Originale zu fertigen und zu bestätigen, dass die Kopien mit den jeweiligen Originalen übereinstimmten. Anhand bankinterner Kriterien bestimmte sie sodann den Kreditrahmen , bereitete den Kreditvertrag vor und legte diesen zur weiteren Unterschrift einem ihrer unmittelbaren Vorgesetzten oder einer zeichnungsberechtigten Kollegin vor. Neben ihrer eigenen Unterschrift war eine zweite Unterschrift einer zeichnungsberechtigten Person jedenfalls dann erforderlich, wenn - wie in den vorliegenden Fällen - der Kreditbetrag mehr als 20.000 € betrug.
5
Im Zeitraum vom 12. November 2007 bis zum 7. Mai 2008 kamen auf diese Weise „mindestens“ 17 Privatkredite zustande, davon in sechs Fällen auf entsprechende Vermittlung und Empfehlung des Angeklagten S. . Die - teilweise gutgläubigen - Kunden bzw. angeblichen Kreditnehmer waren überwiegend ausländischer Herkunft, zum Teil stammten sie aus dem Familienbzw. Bekanntenkreis des Angeklagten S. .
6
Der Angeklagten G. wurden u.a. Kopien oder Originale gefälschter Gehaltsbescheinigungen, zum Teil auch fingierte Meldebescheinigungen oder Mietzahlungsquittungen vorgelegt. Von diesen fertigte sie Kopien und vermerk- te darauf „Original lag vor“, um die Mitarbeiter der Bank, die die zweite Unter- schrift unter dem Kreditvertrag zu leisten hatten, über die Voraussetzungen der Kreditgewährung zu täuschen.
7
Den Angeklagten war bekannt, dass die vorgelegten Unterlagen gefälscht und die bankinternen Kriterien für eine Kreditvergabe ohne weitere Sicherheiten nicht erfüllt waren. Die zeichnungsberechtigten Vorgesetzten bzw. Kollegen nahmen in Unkenntnis der Fälschungen irrig an, dass wahrheitsgemäße Angaben gemacht worden und die Voraussetzungen für einen Ver- tragsschluss erfüllt seien; sie „genehmigten“ die Vertragsabschlüsse und unterschrieben für die Bank die Vertragsdokumente. „In keinem Fall hätte die Bank in Kenntnis des wahren Sachverhaltes die Kreditverträge abgeschlossen.“
8
Dem Angeklagten S. , der ebenfalls wusste, dass die Gehaltsabrechnungen gefälscht waren und eine Kreditwürdigkeit der einzelnen Kunden nicht gegeben war, oblag es, „Personen, dieals Kreditnehmer in Erscheinung treten konnten, zu beschaffen und diese an die Angeklagte G. zu verweisen bzw. sie dorthin zu bringen“. Nachdem die Angeklagte G. das Geschäfts- modell ab März/April 2008 in der Weise modifizierte, dass sie mit Hilfe gefälschter Unterlagen den Anschein erweckte, als existierten Kreditnehmer, verzichtete sie auf die Mitwirkung des Angeklagten S. .
9
In den sechs Fällen, in denen beide Angeklagte beteiligt waren, erhielten „beide Teile der Kreditsumme“; im Übrigen erhielt die Angeklagte G. zum Teil oder vollständig die Kreditsumme. Angesichts der fehlenden oder - vereinzelt - erheblich eingeschränkten finanziellen Leistungsfähigkeit der Kreditnehmer und dem Fehlen jeglicher Sicherheiten hat die Strafkammer jeweils die Höhe der ausgezahlten Nettokreditbeträge als Vermögensschaden zugrunde gelegt.
10
2. Das Landgericht hat die Taten jeweils als (gewerbsmäßigen) Betrug gemäß § 263 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB gewertet. Die Angeklagten hätten die Taten arbeitsteilig begangen (§ 25 Abs. 1, Var. 1., Abs. 2 StGB); insbesondere hätte der Angeklagte S. (zunächst) eine wichtige Stellung inne- gehabt, da er die „angeblichen Kreditnehmer beigebracht“ habe.
11
Von einer jeweils tateinheitlich begangenen Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB (hinsichtlich der Angeklagten G. ) bzw. von einer hierzu geleisteten Beihilfe (hinsichtlich des Angeklagten S. ) sei nicht auszugehen , weil es sich u.a. bei den von der Angeklagten G. vorgelegten - als solche erkennbaren - Kopien der gefälschten Gehaltsnachweise und Mietzahlungsquittungen um keine Urkunden im Sinne von § 267 Abs. 1 StGB gehandelt habe; überdies könnten ausdrücklich keine Feststellungen dahin getroffen werden , ob überhaupt jemals eine (echte oder verfälschte) Urkunde vorgelegen habe. Bei dem von der Angeklagten G. jeweils angebrachten Vermerk „Ori- ginal lag vor“ handele es sich lediglich um eine straflose schriftliche Lüge.

II.


12
Revisionen der Angeklagten
13
1. Die Revision der Angeklagten G. hat mit der Verfahrensrüge Erfolg, bei dem Urteil habe ein Richter mitgewirkt, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden und das Ablehnungsgesuch zu Unrecht verworfen worden sei (§ 24 Abs. 1 und 2, § 338 Nr. 3 StPO).
14
a) Der Rüge liegt das folgende Prozessgeschehen zugrunde:
15
Die Angeklagte hatte den Vorsitzenden Richter zu Beginn der (zweiten) Hauptverhandlung wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, da dieser ihren als Pflichtverteidiger beigeordneten Verteidiger mit Verfügung vom 16. September 2013, am ersten Tag der (ersten) Hauptverhandlung, wegen mangelnder Zuverlässigkeit entbunden und ihm die durch die gleichzeitig verfügte Aussetzung der (ersten) Hauptverhandlung entstandenen Kosten auferlegt habe. Dem lag zugrunde, dass der Verteidiger am 10. September 2013, wenige Tage vor Beginn der (ersten) Hauptverhandlung (16. September 2013), einen Antrag auf ergänzende Akteneinsicht gestellt und, nachdem ihm die Akten in der Folgezeit nicht zugesandt worden waren, die Aussetzung des Verfahrens beantragt hatte. Die mangelnde Zuverlässigkeit begründete der Vorsitzende in seiner Verfügung vom 16. September 2013 damit, dass der Verteidiger schuldhaft „nicht zeitig nach Anklageerhebung … sondern erst wenige Tage vor dem Ter- min“ sein ergänzendes Akteneinsichtsgesuch gestellt habe.
16
Auf die Beschwerde des Verteidigers hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 28. Oktober 2013 die angefochtene Kostenentscheidung und die Verfügung des Vorsitzenden vom 16. September 2013 aufgehoben.
17
In der dienstlichen Erklärung zum Ablehnungsantrag hat der Vorsitzende Richter ausgeführt, „an den Entscheidungen mitgewirkt bzw. die Entscheidung getroffen“ zu haben und sich im Übrigen „nicht für befangen“ zu halten.
18
Mit Beschluss vom 25. März 2014 hat das Landgericht den Befangenheitsantrag - ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters - als unbegründet zurückgewiesen. Es sei nicht ersichtlich, dass die Entbindungs- oder die Kostenentscheidung des Vorsitzenden willkürlich oder von sachfremden Erwägungen beeinflusst gewesen seien.
19
b) Das Ablehnungsgesuch gegenüber dem Vorsitzenden Richter ist zu Unrecht zurückgewiesen worden. Durch die Erwägung, auf welche er den Widerruf der Pflichtverteidigerbestellung stützte, gab er der Angeklagten berechtigten Grund zu der Annahme mangelnder Unvoreingenommenheit.
20
Das Vorliegen eines Ablehnungsgrundes im Sinne von § 24 Abs. 2 StPO ist grundsätzlich vom Standpunkt der Angeklagten zu beurteilen (BGH, Beschluss vom 27. April 1972 - 4 StR 149/72, BGHSt 24, 336, 338). Misstrauen im Hinblick auf die Unparteilichkeit eines Richters ist dann gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine Haltung ein, die dessen Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann (vgl. BGH, Urteil vom 2. März 2004 - 1 StR 574/03, BGHR StPO § 24 Abs. 2 Befangenheit 14; BGH, Beschluss vom 8. Mai 2014 - 1 StR 726/13, NJW 2014, 2372, 2373; Senat, Urteil vom 17. Juni 2015 - 2 StR 228/14, NJW 2015, 2986, jeweils mwN).
21
Zwar lässt sich diese Besorgnis grundsätzlich nicht schon allein mit einer fehlerhaften Sachbehandlung begründen. Verfahrensverstöße, die auf einem Irrtum oder auf einer unrichtigen Rechtsansicht beruhen, stellen grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund dar (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 20. Juni 2007 - 2 StR 84/07, BGHR StPO § 24 Abs. 2 Befangenheit 19 mwN), sondern nur dann, wenn die Entscheidungen unvertretbar sind oder den Anschein der Willkür erwecken. So liegt der Fall hier.
22
Die Verfügung des Vorsitzenden Richters vom 16. September 2013, mit der der Pflichtverteidiger der Beschwerdeführerin entpflichtet worden ist, und der Beschluss, dem Verteidiger die durch die Aussetzung der (ersten) Hauptverhandlung entstandenen Kosten aufzuerlegen, sind, wie auch der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 11. Dezember 2014 und das Oberlandesgericht Frankfurt am Main - ohne Bindungswirkung für den Senat - im Rahmen des Beschwerdeverfahrens für diesen Sachverhalt mit Beschluss vom 28. Oktober 2013 ausgeführt haben, rechtsfehlerhaft.
23
Der Widerruf der Bestellung eines Pflichtverteidigers, der das Vertrauen der Angeklagten besitzt, berührt die Verteidigungsbelange auf das stärkste. Er setzt daher einen wichtigen Grund voraus. Es müssen Umstände vorliegen, die den Zweck der Pflichtverteidigung ernsthaft gefährden. Dieser besteht darin, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und einen geordneten Verfahrensablauf zu gewährleisten (BVerfGE 39, 238, 245; vgl. auch Senat, Urteil vom 31. Januar 1990 - 2 StR 449/89, BGHR StPO § 24 Abs. 2 Vorsitzender

3).


24
Die - angeblich - verspätete Stellung eines ergänzenden Akteneinsichtsgesuchs durch den Verteidiger der Angeklagten, rechtfertigte es hier nicht, einen geordneten Verfahrensablauf für gefährdet zu halten. Vielmehr konnte diese Begründung den Eindruck erwecken, es handele sich um einen nur vorgeschobenen Grund, mit dem das Ziel verfolgt wurde, einen missliebigen, weil unbequemen Verteidiger aus dem Verfahren zu entfernen.
25
Eine solche bloße Demonstration von Macht richtete sich dann aber nicht nur gegen den Verteidiger, der es - wie auch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main im Beschluss vom 28. Oktober 2013 ausgeführt hat - lediglich versehentlich , keineswegs grob pflichtwidrig unterlassen hatte, zeitnah ein ergänzendes Akteneinsichtsgesuch zu stellen. Er traf vielmehr unmittelbar auch die Verteidigungsbereitschaft der Angeklagten. Diese konnte zu Recht befürchten, der Vorsitzende werde ihre Interessen auch sonst nicht ausreichend berücksichtigen und geneigt sein, auf nicht genehmes Verhalten ihrer selbst oder ihres Verteidigers in einer für sie nachteiligen Weise sachfremd zu reagieren (vgl. BGH, Urteil vom 9. März 1988 - 3 StR 567/87, BGHR StPO § 24 Abs. 2 Vorsitzender 1; Beschluss vom 9. August 1988 - 4 StR 222/88, BGHR StPO § 24 Abs. 2 Vorsitzender 2).
26
c) Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO führt dazu, dass das angefochtene Urteil - soweit es die Angeklagte G. betrifft - mit den Feststellungen aufzuheben ist.
27
2. Die Verurteilung des Angeklagten S. wegen (mittäterschaftlichen ) Betrugs in sechs Fällen hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand. Der Annahme von Mittäterschaft bei den Betrugstaten stünde zwar nicht entgegen, dass der Angeklagte S. keine eigenen Täuschungshandlungen vorgenommen , sondern jeweils (lediglich) Kreditnehmer beschafft und diese an die Angeklagte G. verwiesen bzw. sie dorthin gebracht hat; auch die Beteiligung an Vorbereitungshandlungen kann Mittäterschaft begründen (vgl. nur BGH, Urteile vom 25. Oktober 1994 - 4 StR 173/94, BGHSt 40, 299, 301; vom 7. Mai 1996 - 1 StR 168/96, BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 26).
28
Eine Verurteilung wegen mittäterschaftlich begangenen Betrugs ist jedoch nach den von der Rechtsprechung zur Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe aufgestellten Maßstäben (vgl. Senat, Beschluss vom 4. Dezember 2012 - 2 StR 395/12, BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 36, jeweils mwN) nicht ausreichend belegt. Ob ein Beteiligter eine Tat als Täter oder Gehilfe begeht, ist in wertender Betrachtung nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, zu beurteilen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 15. Januar 1991 - 5 StR 492/90, BGHSt 37, 289, 291; Senat, Beschluss vom 4. Dezember 2012 - 2 StR 395/12, BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 36). Wesentliche Anhaltspunkte können der Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung, die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zu ihr sein. Eine solche wertende Gesamtbetrachtung ist vom Tatrichter in einer vom Revisionsgericht nachprüfbaren Weise vorzunehmen. Daran fehlt es hier.
29
Der „des Lesens und Schreibens nur sehr eingeschränkt mächtige“ An- geklagte S. spielte bei den Betrugstaten nur eine untergeordnete Rolle, nämlich beim Vorbereitungsakt der „Beschaffung“ von - aus seinem Verwandten - und Bekanntenkreis stammenden - Kreditnehmern, während sich das weitere Geschehen ersichtlich seinem Einfluss entzog. Tatherrschaft hatte er nicht, denn die Durchführung und der Erfolg der Taten hingen maßgeblich vom Willen der Mitangeklagten G. ab, was sich - wie das Landgericht selbst hervorhebt - auch darin zeigt, dass die Angeklagte G. das Geschäftsmodell ab März/April 2008 modifizierte und eine Mitwirkung des Angeklagten S. dann nicht mehr erforderlich war. Schon angesichts dessen versteht sich die Annahme seiner Mittäterschaft nicht von selbst. Zwar begründet die - freilich nicht für alle Taten einheitliche - Beteiligung am Gewinn ein eigenes Tatinteresse des Angeklagten ; inwieweit dieses und weitere möglicherweise noch feststellbare gegenläufige Anhaltspunkte das gegen die Annahme von Mittäterschaft sprechende Gewicht der genannten Indizien aufzuwiegen vermögen, wird der neue Tatrichter zu entscheiden haben.
30
Der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter wird sich auch eingehend damit zu befassen haben, inwieweit der Angeklagte S. insbesondere in den Fällen II. 1. und II. 2. der Urteilsgründe, in denen die Kreditnehmer die Kredite eine Zeit lang ordnungsgemäß bedienten, zum jeweiligen Tatzeitpunkt mit Schädigungsvorsatz gehandelt hat.
31
Zudem lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen, wann das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main - Außenstelle Höchst - vom 3. Februar 2012 - 904 Ds - 241 Js 42288/11, mit dem die (aufrecht erhaltene) isolierte Sperrfrist angeordnet worden ist, rechtskräftig wurde. Möglicherweise wäre die Fahrerlaubnissperre bereits zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung gegenstands- los im Sinne des § 55 Abs. 2 Satz 1 StGB gewesen (vgl. Senat, Beschluss vom 29. Juli 2009 - 2 StR 264/09; Athing in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 69a Rn. 35 mwN).

III.


32
Revision der Staatsanwaltschaft
33
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.
34
1. Die Aufklärungsrüge ist aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 16. Dezember 2014 unzulässig.
35
2. Die auf die Sachrüge vorzunehmende Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zugunsten der Angeklagten ergeben.
36
Das Landgericht hat zutreffend ausgeführt, dass einer bloßen Fotokopie, die nach außen als Reproduktion erscheint, mangels Beweiseignung kein Urkundencharakter beizumessen ist (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 9. März 2011 - 2 StR 428/10, NStZ-RR 2011, 213, 214 mwN). Daran ändert auch der darauf angebrachte handschriftliche Vermerk durch die Angeklagte G. nichts (vgl. BGH, Beschluss vom 23. März 2010 - 5 StR 7/10, BGHR StGB § 267 Abs. 1 Urkunde, unechte 3).
37
Anders als die Beschwerdeführerin meint, hat die Strafkammer zudem erkennbar bedacht, dass der Tatbestand der Urkundenfälschung auch in der Variante des Gebrauchmachens gemäß § 267 Abs. 1, Var. 3 StGB verwirklicht werden kann, sofern die Kopie einer unechten oder verfälschten Urkunde zur Täuschung über beweiserhebliche Umstände im Rechtsverkehr verwendet, mithin von der Urschrift Gebrauch gemacht wird (vgl. BGH, Urteile vom 30. November 1953 - 1 StR 318/53, BGHSt 5, 291, 292; vom 12. Januar 1965 - 1 StR 480/64, NJW 1965, 642, 643; vom 9. Mai 1978 - 1 StR 104/78, NJW 1978, 2042, 2043; vgl. auch Senat, Beschluss vom 2. Mai 2001 - 2 StR 149/01, BGHR StGB § 267 Abs. 1 Gebrauchmachen 4, jeweils mwN). Die Strafkammer hat indes ausdrücklich keine Feststellungen dahin treffen können, ob überhaupt jemals eine (echte oder verfälschte) Urkunde vorgelegen hat (UA S. 77 f.; vgl. auch BGH, Beschluss vom 23. März 2010 - 5 StR 7/10, BGHR StGB § 267 Abs. 1 Urkunde, unechte 3; Senat, Beschluss vom 9. März 2011 - 2 StR 428/10, NStZ-RR 2011, 213, 214).
38
Da auch im Übrigen die Feststellungen und Erwägungen der Strafkammer keine Rechtsfehler zugunsten der Angeklagten erkennen lassen, bleibt die zuungunsten der Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft ohne Erfolg.
39
3. Einer (etwaigen) Aufhebung des Urteils auf die Revision der Staatsanwaltschaft zu Gunsten der Angeklagten (§ 301 StPO) bedarf es nicht, da das Urteil insoweit bereits auf die Revisionen der Angeklagten aufzuheben war (vgl. auch BGH, Urteil vom 11. März 2003 - 1 StR 507/02, NStZ-RR 2003, 186, 189 mwN).
Fischer RiBGH Prof. Dr. Krehl ist wegen Eschelbach Urlaubs an der Unterschriftsleistung gehindert. Fischer
Ott Zeng

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(1) Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde herstellt, eine echte Urkunde verfälscht oder eine unechte oder verfälschte Urkunde gebraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch i

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 434/14 vom 8. Februar 2017 in der Strafsache gegen wegen Betrugs hier: Antrag auf Pauschvergütung ECLI:DE:BGH:2017:080217B2STR434.14.0 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Verteidigers un

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(1) Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung von Urkundenfälschung oder Betrug verbunden hat,
2.
einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeiführt oder in der Absicht handelt, durch die fortgesetzte Begehung von Betrug eine große Zahl von Menschen in die Gefahr des Verlustes von Vermögenswerten zu bringen,
3.
eine andere Person in wirtschaftliche Not bringt,
4.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger mißbraucht oder
5.
einen Versicherungsfall vortäuscht, nachdem er oder ein anderer zu diesem Zweck eine Sache von bedeutendem Wert in Brand gesetzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört oder ein Schiff zum Sinken oder Stranden gebracht hat.

(4) § 243 Abs. 2 sowie die §§ 247 und 248a gelten entsprechend.

(5) Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer den Betrug als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Straftaten nach den §§ 263 bis 264 oder 267 bis 269 verbunden hat, gewerbsmäßig begeht.

(6) Das Gericht kann Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

(7) (weggefallen)

(1) Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde herstellt, eine echte Urkunde verfälscht oder eine unechte oder verfälschte Urkunde gebraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung von Betrug oder Urkundenfälschung verbunden hat,
2.
einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeiführt,
3.
durch eine große Zahl von unechten oder verfälschten Urkunden die Sicherheit des Rechtsverkehrs erheblich gefährdet oder
4.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger mißbraucht.

(4) Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer die Urkundenfälschung als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Straftaten nach den §§ 263 bis 264 oder 267 bis 269 verbunden hat, gewerbsmäßig begeht.

(1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.

(2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.

(3) Das Ablehnungsrecht steht der Staatsanwaltschaft, dem Privatkläger und dem Beschuldigten zu. Den zur Ablehnung Berechtigten sind auf Verlangen die zur Mitwirkung bei der Entscheidung berufenen Gerichtspersonen namhaft zu machen.

Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, wenn
a)
das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit nach § 222b Absatz 2 Satz 2 oder Absatz 3 Satz 4 festgestellt worden ist, oder
b)
das Rechtsmittelgericht nicht nach § 222b Absatz 3 entschieden hat und
aa)
die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind,
bb)
der rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist oder
cc)
die Besetzung nach § 222b Absatz 1 Satz 1 nicht mindestens eine Woche geprüft werden konnte, obwohl ein Antrag nach § 222a Absatz 2 gestellt wurde;
2.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war;
3.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch entweder für begründet erklärt war oder mit Unrecht verworfen worden ist;
4.
wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat;
5.
wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat;
6.
wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
7.
wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind;
8.
wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.

(1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.

(2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.

(3) Das Ablehnungsrecht steht der Staatsanwaltschaft, dem Privatkläger und dem Beschuldigten zu. Den zur Ablehnung Berechtigten sind auf Verlangen die zur Mitwirkung bei der Entscheidung berufenen Gerichtspersonen namhaft zu machen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 S t R 7 2 6 / 1 3
vom
8. Mai 2014
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Untreue
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Mai 2014 beschlossen:
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 8. April 2013 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Untreue jeweils zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ihre dagegen gerichteten , mit Verfahrensbeanstandungen und mit der Sachrüge begründeten Revisionen haben mit jeweils auf Verletzung von § 24 Abs. 1 und 2, § 338 Nr. 3 StPO gestützten Verfahrensrügen Erfolg. Auf die geltend gemachten sachlichrechtlichen Beanstandungen kommt es daher nicht an.
2
1. Den Rügen liegt jeweils folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
3
Am 14. Dezember 2012, dem elften von insgesamt 24 Hauptverhandlungstagen , verkündete der Vorsitzende von den Berufsrichtern der Strafkammer beschlossene, jeweils auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützte Haftbefehle gegen die Angeklagten. Für den Angeklagten S. sah das Landgericht diesen Haftgrund u.a. in der zu erwartenden langjährigen Freiheitsstrafe sowie „dringende(n) Anhaltspunkte(n) für weitere, gravierende Straftaten“, bzgl. derer ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren aber noch nicht eingeleitet war, begründet. Weiterhin wird in dem Haftbefehl ausgeführt, der Angeklagte S. erkenne nunmehr, dass eine langjährige Vollzugsstrafe näher rücke.
Vor diesem Hintergrund sei auch „sein bisheriges, auf Konfrontation angelegtes Prozessverhalten zu würdigen“. Dieses lege nahe, dass der Angeklagte alles unternehmen werde, um eine Verurteilung zu vermeiden.
4
In Bezug auf den Angeklagten Dr. I. stützte das Landgericht die Fluchtgefahr u.a. auf die hohe Straferwartung und - wie bei dem Angeklagten S. - auf den dringenden Verdacht weiterer gewichtiger Straftaten. Vor allem führte es in dem Haftbefehl aus, der Angeklagte sei zwar zu allen bisher zehn Hauptverhandlungsterminen erschienen. Der Umstand jedoch, dass er nunmehr einen Verteidigerwechsel herbeigeführt habe, lasse zusammen mit dem bisherigen Verlauf der Beweisaufnahme „ernsthaft befürchten“, der Angeklagte wolle dem Verfahren „bis zu seinem Abschluss nicht freiwillig beiwohnen“.
5
Hinsichtlich beider Angeklagter bezogen sich die Haftbefehle nicht lediglich auf einen dringenden Tatverdacht bzgl. der später zum Schuldspruch führenden Untreue, sondern erfassten auf der Grundlage der zum Hauptverfahren zugelassenen Anklage weitere Tatvorwürfe, u.a. verschiedene Betrugstaten, Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt sowie Insolvenzdelikte.
6
Mit Anträgen ihrer Verteidiger lehnten beide Angeklagte im Anschluss an die Verkündung der Haftbefehle die berufsrichterlichen Mitglieder der Strafkammer wegen der Besorgnis der Befangenheit, vor allem im Hinblick auf die jeweiligen Begründungen für den Haftgrund der Fluchtgefahr, ab. Der Verteidiger des Angeklagten S. machte geltend, die Ausführungen der Strafkammer zum Haftgrund der Fluchtgefahr seien floskelhaft und willkürlich. Ausführungen zu den konkreten Ergebnissen der bisherigen Beweisaufnahme fehlten. Für den Angeklagten Dr. I. führte sein neuer Verteidiger, Rechtsanwalt R. aus, es fehle in dem „aus heiterem Himmel“ erlassenen Haftbefehl an Angaben darüber, aufgrund welcher konkreten Ergebnisse der bisherigen Beweisaufnahme sich die Anklagevorwürfe erhärtet hätten. Soweit die Strafkam- mer die Fluchtgefahr auf den „plötzlichen Verteidigerwechsel“ stütze, habe Rechtsanwalt R. dem Vorsitzenden telefonisch bereits am 12. Dezember 2012 mitgeteilt, dass er (Rechtsanwalt R. ) in die Sache ausreichend eingearbeitet sei und keinen Aussetzungsantrag stellen werde. Dies bestätigte er schriftlich in einem per Telefax übersandten Schriftsatz.
7
Die berufsrichterlichen Mitglieder des erkennenden Gerichts gaben auf die Anträge hin dienstliche Erklärungen ab. Der Vorsitzende führte unter näherer Darlegung aus, in den Befangenheitsanträgen würden die bisherigen Beweisergebnisse selektiv und einseitig wiedergegeben. Im Übrigen hätten die Haftbefehle nichts mit einer Abstrafung der Angeklagten für prozessual zulässiges Verhalten zu tun. Es zeichne sich aber immer deutlicher ab, dass die Angeklagten mit langjährigen Freiheitsstrafen zu rechnen hätten und neben den verfahrensgegenständlichen Vorwürfen gravierende neue Tatsachen auftauchten , die das Verhalten der Angeklagten in einem negativeren Licht erscheinen ließen. Die beisitzende Richterin stellte in ihrer den Angeklagten Dr. I. betreffenden Stellungnahme ebenfalls eine Abstrafung für den vorgenommenen Verteidigerwechsel in Abrede. Dieser Wechsel am elften Verhandlungstag nach Durchführung einer umfassenden Beweisaufnahme lasse aber in der Zu- sammenschau mit deren bisherigen Ergebnissen darauf schließen, „daß die Wahl eines neuen Verteidigers nicht der Wahrung seiner Verfahrensrechte, sondern dazu dient, das Verfahren - etwa durch Aussetzungsanträge - ‚platzen‘ zu lassen.“ Die dienstliche Stellungnahme des weiteren Beisitzers erschöpfte sich in einer Bezugnahme auf die Begründung der Haftbefehle, die er mittrage.
8
Mit Beschluss vom 17. Dezember 2012 wies die Strafkammer, ohne die Mitwirkung der abgelehnten Richter, die Befangenheitsanträge der Angeklagten als unbegründet zurück. Zwischenentscheidungen im laufenden Verfahren begründeten die Befangenheit der beteiligten Richter erst dann, wenn die darin geäußerte Rechtsansicht völlig unhaltbar sei oder den Anschein von Willkür erwecke. Dies sei vorliegend auch für den Haftgrund der Fluchtgefahr nicht der Fall. Bezüglich beider Angeklagter ergebe sich aus den Haftbefehlen nicht, dass das Bestehen von Fluchtgefahr aus der Wahrnehmung prozessualer Rechte durch die Angeklagten hergeleitet werde. Insoweit handele es sich jeweils lediglich um eines von mehreren für die Beurteilung der Fluchtgefahr herangezogenen Kriterien.
9
Auf die Beschwerden der Angeklagten hin hob das Oberlandesgericht München die Haftbefehle wegen Fehlens eines Haftgrundes auf. Fluchtgefahr bestehe nicht. Der Wechsel seines Pflichtverteidigers durch den Angeklagten Dr. I. sei ein prozessual zulässiges Verhalten, durch das im Übrigen auch keinerlei Verzögerung des Verfahrens eingetreten sei. Das Verteidigungsverhalten des Angeklagten S. , selbst wenn es als Konfliktverteidigung bezeichnet werden könne, sei ebenfalls prozessual zulässig. Zudem hätten sich die beiden Angeklagten in Kenntnis der gegen sie erhobenen Vorwürfe und des durch die Staatsanwaltschaft bereits vor Beginn der Hauptverhandlung angebrachten Haftbefehlsantrags dem Verfahren stets gestellt. Der Ausgang des erst am 17. Dezember 2012 und damit nach Erlass des Haftbefehls eingeleiteten weiteren Ermittlungsverfahrens gegen die Angeklagten sei noch völlig ungewiss.

10
2. Die Verfahrensrügen greifen durch. Die drei berufsrichterlichen Mitglieder der Strafkammer haben an dem angefochtenen Urteil mitgewirkt, obwohl sie wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden waren und die Ablehnungsgesuche jeweils zu Unrecht abgelehnt worden sind. Aus Sicht beider Angeklagter lag bei objektiver Beurteilung ein Grund vor, der geeignet war, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der abgelehnten Richter zu rechtfertigen (§ 24 Abs. 2 StPO).
11
a) Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters ist bei dem Ablehnenden gegeben, wenn er bei einer verständigen Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die die gebotene Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann (st. Rspr.; BGH, Urteile vom 10. November 1967 - 4 StR 512/66, BGHSt 21, 334, 341; vom 9. Juli 2009 - 5 StR 263/08 [insoweit in BGHSt 54, 39 ff. nicht abgedruckt]). Maßstab für die Beurteilung dieser Voraussetzungen ist ein vernünftiger (BGH, aaO, BGHSt 21, 334, 341; BGH, Urteil vom 13. März 1997 - 1 StR 793/96, BGHSt 43, 16, 18 mwN) bzw. verständiger Angeklagter (BGH, Beschluss vom 8. März 1995 - 5 StR 434/94, BGHSt 41, 69, 71; siehe auch BGH, Beschluss vom 18. November 2008 - 1 StR 541/08, NStZ-RR 2009, 85 f.).
12
Knüpft die Besorgnis der Befangenheit an eine den Verfahrensgegenstand betreffende Vorbefassung der abgelehnten Richter - wie hier die Mitwirkung an den Haftbefehlen gegen die Angeklagten - an, ist jenseits gesetzlicher Ausschließungsgründe (vgl. etwa § 22 Nr. 4 und 5; § 23 StPO) dieser Umstand als solcher regelmäßig nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen , wenn und soweit nicht besondere Umstände hinzutreten (st. Rspr.; siehe nur BGH, Urteil vom 30. Juni 2010 - 2 StR 455/09, NStZ 2011, 44, 46 Rn. 23 mwN). Rechtsfehler in Entscheidungen bei Vorbefassung mit dem Verfahrensgegenstand können für sich genommen eine Ablehnung der mitwirkenden Richter grundsätzlich nicht begründen (BGH, Urteil vom 12. November 2009 - 4 StR 275/09, NStZ 2010, 342 f.; Cirener in BeckOK-StPO, Ed. 18, § 24 Rn. 15 mwN); etwas Anderes gilt jedoch, wenn die von den abgelehnten Richtern getroffene Entscheidung bzw. die darin zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung sich als rechtlich völlig abwegig erweist oder gar als willkürlich erscheint (BGH, Beschluss vom 10. September 2002 - 1 StR 169/02, BGHSt 48, 4, 8; Urteil vom 12. November 2009 - 4 StR 275/09, NStZ 2010, 342 f.; Scheuten in KK-StPO, 7. Aufl., § 24 Rn. 8). Besondere Umstände können aber auch dann gegeben sein, wenn sich aus der Art und Weise der Begründung von Zwischenentscheidungen die Besorgnis der Befangenheit ergibt (vgl. Cirener in BeckOK-StPO, aaO, § 24 Rn. 15).
13
b) Nach diesen Maßstäben, die im rechtlichen Ausgangspunkt auch das Landgericht bei seiner Entscheidung über die Befangenheitsanträge zugrunde gelegt hat, konnten die Angeklagten bei verständiger Würdigung davon ausgehen , dass ihnen die abgelehnten Richter nicht (mehr) unvoreingenommen und unparteilich gegenüberstanden, nachdem sie am elften Verhandlungstag Haftbefehle mit den unter 1. dargestellten Inhalten gegen die Angeklagten erließen und an diesen auch im Rahmen des Beschwerdeverfahrens festhielten.
14
Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich bereits der Erlass der Haftbefehle während der laufenden Hauptverhandlung als solcher unter den konkreten Umständen als unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt begründbar und damit als zumindest objektiv willkürlich erweist. Denn jedenfalls die für das Vorliegen des Haftgrundes der Fluchtgefahr angeführten Erwägungen sind hin- sichtlich beider Angeklagter rechtlich in keiner Weise tragfähig und begründen deshalb die Besorgnis der Befangenheit.
15
„Fluchtgefahr“ im Sinne von § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO besteht dann, wenn die Würdigung der konkreten Umstände des Falls es wahrscheinlicher macht, dass der Angeklagte sich dem Verfahren entzieht, als dass er sich zur Durchführung des Verfahrens zur Verfügung hält (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 112 Rn. 17 mwN). Das Sich-Entziehen durch den Angeklagten knüpft an Verhaltensweisen an, die bewirken, dass der Fortgang des Strafverfahrens dauerhaft oder zumindest vorübergehend durch Aufhebung der Bereitschaft des Angeklagten verhindert wird, sich für Ladungen oder Vollstreckungsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen (Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 112 Rn. 18).
16
Die in den Haftbefehlen gegen die Angeklagten angeführten Begründungen enthalten keine Gesichtspunkte, die die vorgenannten Voraussetzungen der Fluchtgefahr stützen könnten, nachdem sich beide Angeklagten an den ersten zehn Verhandlungstagen dem Verfahren gestellt und den Ladungen Folge geleistet hatten.
17
aa) In dem Haftbefehl gegen den Angeklagten Dr. I. stellen die abgelehnten Richter für die nunmehr bestehende Fluchtgefahr ausdrücklich auf den Umstand ab, dass er einen Verteidigerwechsel herbeigeführt habe. Aus welchen Gründen das prozessual zulässige Verhalten der Wahl eines neuen Verteidigers einen Schluss auf die Bereitschaft des Angeklagten gestatten soll, sich wie bisher dem Verfahren zu stellen, lässt sich dem Haftbefehl nicht entnehmen und ist auch außerhalb dessen nicht ersichtlich. Das gilt erst recht vor dem Hintergrund der von dem neuen Wahlverteidiger gegenüber dem Vorsitzenden mündlich und schriftlich vor dem Erlass des Haftbefehls abgegebenen (retrospektiv eingehaltenen) Zusicherung, in die Sache eingearbeitet zu sein und keine Aussetzungsanträge zu stellen. Zwar wird in der Begründung des Haftbefehls auch ausgeführt, das Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme lasse „ernsthaft befürchten, dass der Angeklagte dem Verfahren bis zu seinem Abschluss nicht freiwillig beiwohnen will“. Diese Bewertung stützen die abgelehnten Richter aber wiederum lediglich darauf, die bisherige Beweisaufnahme habe „die Anklagevorwürfe in vielen Bereichen erhärtet“. Die Ergebnisse der Beweisaufnahme werden jedoch nicht näher ausgeführt, so dass bereits nicht ersichtlich ist, inwieweit sich für die Beurteilung der Fluchtgefahr relevante Änderungen der Umstände für die Angeklagten ergeben haben sollen. Vor allem aber verknüpfen die drei abgelehnten Richter in dem Haftbefehl die Ergebnisse der „bisherigen Beweisaufnahme“ und die Erkenntnis des Angeklagten, eine langjährige Freiheitsstrafe rücke näher, in einer nicht erläuterten und in der Sa- che nicht nachvollziehbaren Weise mit dem „plötzlichen Verteidigerwechsel“. Warum der zulässige Wechsel zu einem in die Sache bereits eingearbeiteten neuen Verteidiger ein auf den angeblichen Willen des Angeklagten Dr. I. , sich dem Verfahren zukünftig nicht mehr zu stellen, hindeutender Umstand sein soll, ist nicht erklärlich und wird seitens der abgelehnten Richter weder in der Haftbefehlsentscheidung noch in ihren dienstlichen Erklärungen erklärt.
18
Die Art und Weise der Begründung des gegen den Angeklagten Dr. I. ergangenen Haftbefehls begründet damit die Besorgnis der Befangenheit der an diesem beteiligten Richter. Gemessen am Maßstab des verständigen Angeklagten konnte der Angeklagte Dr. I. den Eindruck haben, die abgelehnten Richter würden ihm nicht mehr unvoreingenommen gegenüberstehen , nachdem sie zulässiges prozessuales Verhalten als wesentlichen Gesichtspunkt herangezogen haben, um den Haftgrund der Fluchtgefahr zu begründen. Ein vernünftiger Angeklagter konnte angesichts der gegebenen Begründung zu dem Eindruck gelangen, die abgelehnten Richter hätten die Haftentscheidung getroffen, um damit auf ein ihnen missliebiges, aber prozessual zulässiges Verhalten in Gestalt des Verteidigerwechsels zu reagieren. Eine solche Reaktion der Richter wäre aber mit der gebotenen inneren Haltung der Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit nicht zu vereinbaren.
19
Da die Art und Weise der Begründung der Haftentscheidung die Besorgnis der Befangenheit herbeiführt (vgl. Cirener in BeckOK-StPO, aaO, § 24 Rn. 15), bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob Rechtsfehler in Zwischenentscheidungen die Befangenheit der beteiligten Richter lediglich bei völliger Abwegigkeit oder dem Anschein von Willkür begründen oder ob dieser Maßstab lediglich dafür Bedeutung hat, ob das Ergehen der Zwischenentscheidung als solches - unabhängig von der dafür angeführten Begründung - willkürlich bzw. abwegig ist.
20
bb) Die für das Vorliegen von Fluchtgefahr bei dem AngeklagtenS. in dem gegen ihn ergangenen Haftbefehl angeführten Gründe lösen - wiederum von dem Standpunkt eines verständigen Angeklagten aus beurteilt - ebenfalls die Besorgnis der Befangenheit aus. Die abgelehnten Richter haben in einer der Begründung der Fluchtgefahr bei dem Angeklagten Dr. I. entsprechenden Weise darauf abgestellt, die bisherige Beweisaufnahme habe die Anklagevorwürfe in vielen Bereichen erhärtet. Zudem wird ebenfalls auf dringende Anhaltspunkte für weitere gravierende Straftaten, bezüglich derer aber zum Zeitpunkt des Ergehens des Haftbefehls ein Ermittlungsverfahren noch nicht einmal eingeleitet war, hingewiesen. Entscheidend stellt die Begründung darauf ab, der Angeklagte erkenne nunmehr, dass eine langjährige Freiheitsstrafe nä- her rücke. „Auch vor diesem Hintergrund ist sein bisheriges, auf Konfrontation angelegtes Prozessverhalten zu würdigen.“ Denn es lege nahe, dass der Ange- klagte alles unternehmen werde, um eine Verurteilung zu vermeiden. Zwischen dem nicht näher erläuterten, durch die abgelehnten Richter als konfrontativ bezeichneten Prozessverhalten des Angeklagten S. und den Voraussetzungen der Fluchtgefahr im Sinne von § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO besteht bei der gebotenen Gesamtwürdigung kein erkennbarer Zusammenhang, der eine Verknüpfung von konfrontativem Verhalten im Prozess und der Wahrscheinlichkeit des sich dem Prozess Entziehens tragen könnte. Der Angeklagte hatte sich von Anfang an dem Verfahren gestellt und war an allen bis dahin stattgefundenen Hauptverhandlungsterminen erschienen. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe hatten sich seit dem Beginn der Hauptverhandlung nicht verändert. Auch die in dem Haftbefehl weiter angeführten Erwägungen, der Angeklagte habe Privatinsolvenz angemeldet, lebe von seiner Ehefrau getrennt und habe keinen Wohnsitz im Inland mehr, bestanden bereits bei Beginn des Hauptverfahrens. Trotz dieser Umstände war der Angeklagte zu allen Hauptverhandlungsterminen anwesend. Angesichts dessen lässt die von den abgelehnten Richtern hergestellte Verknüpfung zwischen dem zulässigen Prozessverhalten des Angeklagten und der Begründung von Fluchtgefahr aus der verständigen Sicht des Angeklagten S. befürchten, die abgelehnten Richter missbilligten sein bisheriges Agieren im Strafverfahren und wollten diese Missbilligung durch die Anordnung von Untersuchungshaft zum Ausdruck bringen. Eine solche Art der Reaktion auf zulässiges Prozessverhalten ist vorliegend aber unter keinem denkbaren Gesichtspunkt tragfähig und ließ den Angeklagten besorgen, die Berufsrichter der Strafkammer stünden ihm nicht mehr unvoreingenommen und unparteilich gegenüber.
21
c) Das aufgrund der Begründung der beiden Haftbefehle berechtigte Misstrauen der Angeklagten gegen die Unbefangenheit der abgelehnten Richter ist auch nicht - was möglich wäre (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Dezember 2007 - 1 StR 301/07, NStZ 2008, 229; vom 22. September 2008 - 1 StR 323/08, NStZ 2009, 159, 160; BGH, Urteil vom 18. Oktober 2012 - 3 StR 208/12, wistra 2013, 155, 156 mwN) - durch die dienstlichen Erklärungen der abgelehnten Richter ausgeräumt worden.
22
Die dienstliche Stellungnahme des beisitzenden Richters erschöpft sich bzgl. beider Angeklagter in der Bezugnahme auf die Begründung der beiden Haftbefehle. Da gerade die für das Vorliegen von Fluchtgefahr angeführten Gründe die Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten Richters begründen, kann die auf diese Gründe ausdrücklich verweisende Stellungnahme das berechtigte Misstrauen in die Unvoreingenommenheit von vornherein nicht ausräumen.
23
Die beisitzende Richterin verhält sich in ihrer den Angeklagten S. betreffenden Stellungnahme zu der Verknüpfung zwischen dem im Haftbefehl als konfrontativ bezeichneten Prozessverhalten des Angeklagten und der Fluchtgefahr nicht. Dementsprechend bleibt für den Angeklagten der aus der Begründung des Haftbefehls resultierende Eindruck fehlender Unvoreingenommenheit bestehen. Mit der den Angeklagten Dr. I. betreffenden Stellungnahme verstärkt die beisitzende Richterin diesen Eindruck sogar noch (vgl. zu der Möglichkeit einer solchen Wirkung der dienstlichen Stellungnahme BGH, Urteil vom 18. Oktober 2012 - 3 StR 208/12, wistra 2013, 155, 156). Es wird erneut auf den erfolgten Verteidigerwechsel verwiesen und die Besorgnis geäußert , dieser Wechsel diene angesichts des umfangreichen Aktenmaterials nicht der Wahrung der Verteidigungsrechte des Angeklagten, sondern dazu, das Verfahren - etwa durch Aussetzungsanträge - „platzen“ zu lassen. Eine solche erneute Verknüpfung zwischen prozessual zulässigem Verhalten und der Begründung von Fluchtgefahr bestätigt und intensiviert den Eindruck, die abge- lehnte Richterin wolle ihre Missbilligung des Verhaltens des Angeklagten Dr. I. durch den Erlass des Haftbefehls zum Ausdruck bringen. Das gilt erst recht unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der neue Wahlverteidiger vor Ergehen des Haftbefehls und vor der dienstlichen Stellungnahme versichert hatte, in die Sache eingearbeitet zu sein und keine Aussetzungsanträge zu stellen.
24
Die auf beide Angeklagten bezogene dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden stellt zwar in Abrede, dass die Haftbefehle etwas mit einer „Abstrafung … für prozessual zulässiges Verhalten“ zu tun habe. Damit allein wird der durch die Begründung der Haftbefehle hervorgerufene Eindruck fehlender Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit aber nicht ausgeräumt. Der Vorsitzende verweist nämlich in der Stellungnahme auch darauf, die Tendenz der Angeklagten, „das Verfahren nicht zu einem Abschluss durch Urteilsspruch kommen zu lassen“, sei unverkennbar. Aus der Sicht verständiger Angeklagter kann diese „Tendenz“ wiederum nur aus ihrem Verhalten im Prozess abgeleitet werden. Ist dieses Verhalten aber prozessual zulässig, lässt sich nicht erkennen , wie daraus auf Fluchtgefahr geschlossen werden könne.
RiBGH Dr. Wahl ist im Urlaub und deshalb an der Unterschriftsleistung gehindert. Raum Raum Cirener Radtke Mosbacher

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 2 2 8 / 1 4
vom
17. Juni 2015
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. Juni 2015,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
Zeng,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Bartel,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger für den Angeklagten C. ,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin für den Angeklagten B. ,
Justizhauptsekretärin in der Verhandlung,
Justizangestellte bei der Verkündung
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 7. November 2013 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten C. wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen und wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten, den Angeklagten B. wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen, mit denen sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügen. Die Rechtsmittel haben mit der von beiden Angeklagten erhobenen Verfahrensrüge Erfolg, bei dem Urteil habe ein Richter mitgewirkt, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden war und das Ablehnungsgesuch zu Unrecht verworfen worden ist (§ 24 Abs. 1 und 2, § 338 Nr. 3 StPO).
2
1. Der Rüge liegt das folgende Prozessgeschehen zugrunde:
3
Die Angeklagten hatten u.a. eine beisitzende Richterin wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, da diese während der Vernehmung eines Zeugen am vierten Hauptverhandlungstag über einen Zeitraum von etwa zehn Minuten mehrfach ihr Mobiltelefon bedient habe. Aufgrund des mit der Bedienung des Mobiltelefons und dem Schreiben von Kurzmitteilungen einhergehenden Aufmerksamkeitsdefizits sei das Fragerecht bzw. die Fragemöglichkeit der abgelehnten Richterin eingeschränkt. Damit sei der Eindruck erweckt worden, die Richterin habe sich mangels uneingeschränkten Interesses an der Beweisaufnahme bereits zur Tat- und Schuldfrage der Angeklagten festgelegt.
4
In der dienstlichen Erklärung hat die beisitzende Richterin u.a. ausgeführt , ihr vor ihr liegendes stumm geschaltetes Mobiltelefon in der Hauptverhandlung als "Arbeitsmittel" zu nutzen. Die an diesem Tag erwartete Sitzungszeit sei bereits deutlich überschritten gewesen. Einen (stummen) Anruf von zu Hause habe sie mit einer vorgefertigten SMS des Inhalts "Bin in Sitzung" beantwortet ; eine weitere dringende SMS-Anfrage bezüglich der weiteren Betreuung der Kinder habe sie "binnen Sekunden" beantwortet. Auf Rüge der Verteidigung habe sie diesen Sachverhalt öffentlich gemacht und sich entschuldigt.
5
Mit Beschluss vom 15. April 2013 hat das Landgericht den Befangenheitsantrag - ohne Mitwirkung der abgelehnten Richterin - als unbegründet zurückgewiesen. Die Aufmerksamkeit der beisitzenden Richterin sei in keinem Fall so reduziert, "dass sie in ihrer Fähigkeit, die Beweisaufnahme in allen ihren wesentlichen Teilen zuverlässig aufzunehmen und richtig zu würdigen", eingeschränkt gewesen sei. Denn das Verfassen einer (vorgefertigten) Kurzmitteilung oder die kurzfristige Benutzung des Mobiltelefons zu dienstlichen Zwecken, erfordere keine besonderen Anforderungen an die Verstandestätigkeit und die Aufmerksamkeit eines Richters. Dieses habe die beisitzende Richterin zudem in ihrer dienstlichen Erklärung bestätigt. Außerdem habe sie sich in der Hauptverhandlung für ihr Verhalten entschuldigt.
6
2. Das Ablehnungsgesuch gegenüber der beisitzenden Richterin ist zu Unrecht zurückgewiesen worden.
7
Das Vorliegen eines Ablehnungsgrundes im Sinne von § 24 Abs. 2 StPO ist grundsätzlich vom Standpunkt des Angeklagten zu beurteilen. Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters ist dann gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine Haltung ein, die dessen Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann (vgl. BGH, Urteil vom 2. März 2004 - 1 StR 574/03, BGHR StPO § 24 Abs. 2 Befangenheit 14; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 24 Rn. 6 und 8 mwN).
8
So liegt der Fall hier. Auch aus der Sicht eines besonnenen Angeklagten gab die private Nutzung des Mobiltelefons durch die beisitzende Richterin während laufender Hauptverhandlung begründeten Anlass zu der Befürchtung, die Richterin habe sich mangels uneingeschränkten Interesses an der dem Kernbereich richterlicher Tätigkeit unterfallender (vgl. § 261 StPO) Beweisaufnahme auf ein bestimmtes Ergebnis festgelegt.
9
Angesichts der Tatsache, dass es die beisitzende Richterin wegen der erwarteten Überschreitung der Sitzungszeit mit vorgefertigter SMS offensichtlich von vornherein darauf angelegt hat, aktiv in der Hauptverhandlung in privaten Angelegenheiten nach außen zu kommunizieren, kommt es entgegen der Auffassung im ablehnenden Beschluss des Landgerichts auch nicht darauf an, ob deswegen die Aufmerksamkeit der Richterin erheblich reduziert gewesen sei. Denn die beisitzende Richterin hat sich während der Zeugenvernehmung durch eine mit der Sache nicht im Zusammenhang stehende private Tätigkeit nicht nur gezielt abgelenkt und dadurch ihre Fähigkeit beeinträchtigt, der Verhandlung in allen wesentlichen Teilen zuverlässig in sich aufzunehmen und zu würdigen; sie hat damit auch zu erkennen gegeben, dass sie bereit ist, in laufender Hauptverhandlung Telekommunikation im privaten Bereich zu betreiben und dieses über die ihr obliegenden dienstlichen Pflichten zu stellen. Von kurzfristigen Abgelenktheiten, wie sie während einer länger andauernden Hauptverhandlung auftreten können, unterscheidet sich dieser Fall dadurch, dass eine von vornherein über den Verhandlungszusammenhang hinausreichende externe Telekommunikation unternommen wird; eine solche ist mit einer hinreichenden Zuwendung und Aufmerksamkeit für den Verhandlungsinhalt unvereinbar.
10
Da es sich auch nicht um ein unbedachtes Verhalten der abgelehnten Richterin handelt, das durch Klarstellung und Entschuldigung beseitigt werden kann (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 3. März 1999 - 5 StR 566/98, BGHR StPO § 338 Nr. 3 Revisibilität 1), durfte das Ablehnungsgesuch nach alledem nicht zurückgewiesen werden.
11
3. Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO führt dazu, dass das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben ist. Fischer RiBGH Prof. Dr. Krehl Eschelbach ist an der Unterschrift gehindert. Fischer Zeng RinBGH Dr. Bartel ist wegen Urlaubs an der Unterschrift gehindert. Fischer

(1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.

(2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.

(3) Das Ablehnungsrecht steht der Staatsanwaltschaft, dem Privatkläger und dem Beschuldigten zu. Den zur Ablehnung Berechtigten sind auf Verlangen die zur Mitwirkung bei der Entscheidung berufenen Gerichtspersonen namhaft zu machen.

Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, wenn
a)
das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit nach § 222b Absatz 2 Satz 2 oder Absatz 3 Satz 4 festgestellt worden ist, oder
b)
das Rechtsmittelgericht nicht nach § 222b Absatz 3 entschieden hat und
aa)
die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind,
bb)
der rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist oder
cc)
die Besetzung nach § 222b Absatz 1 Satz 1 nicht mindestens eine Woche geprüft werden konnte, obwohl ein Antrag nach § 222a Absatz 2 gestellt wurde;
2.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war;
3.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch entweder für begründet erklärt war oder mit Unrecht verworfen worden ist;
4.
wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat;
5.
wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat;
6.
wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
7.
wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind;
8.
wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.

(1) Als Täter wird bestraft, wer die Straftat selbst oder durch einen anderen begeht.

(2) Begehen mehrere die Straftat gemeinschaftlich, so wird jeder als Täter bestraft (Mittäter).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 395/12
vom
4. Dezember 2012
in der Strafsache
gegen
wegen gewerbs- und bandenmäßiger Fälschung von Zahlungskarten mit
Garantiefunktion u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 4. Dezember 2012 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 13. Juni 2012 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbs- und bandenmäßiger Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion in Tateinheit mit gewerbs - und bandenmäßig begangenem Computerbetrug in drei Fällen und wegen Verabredung zur gewerbs- und bandenmäßigen Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Ferner hat es festgestellt, dass dem Verfall von Wertersatz in Höhe von 500 Euro Ansprüche Verletzter entgegenstehen. Schließlich hat es ausgesprochen, dass in Italien erlittene Auslieferungshaft im Verhältnis von eins zu eins angerechnet wird. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel ist begründet.
2
Nach den Feststellungen des Landgerichts lockte der gesondert verfolgte Marius C. den Angeklagten mit dem Versprechen der Arbeitsvermittlung nach Deutschland und quartierte ihn im April oder Mai 2010 in seinem Haus ein. Er setzte den Angeklagten dann zuerst zum Sammeln von Altmetall ein, ohne ihm Lohn zu gewähren. Der Angeklagte wollte deshalb nach Hause zurückkehren , hatte aber kein Geld und wurde vor diesem Hintergrund von C. dazu veranlasst, an der Ausspähung von Kundendaten an Bankautomaten mit manipulierten Kartenlesegeräten und Minikameras mitzuwirken. Außer dem Angeklagten und C. waren noch weitere Rumänen daran beteiligt. C. erklärte dem Angeklagten die Vorgehensweise, führte ihm bei einer von ihm selbst ausgeführten Tat die Technik vor, um dann dem Angeklagten sowie weiteren Personen den Einsatz vor Ort zu überlassen. C. besorgte die Geräte und bestimmte Zeit und Ort der Einsätze. Er führte die Vorderleute zu den Bankfilialen und überwachte deren Tatbegehung. Der Angeklagte war bei den abgeurteilten Taten jeweils vor Ort, er brachte in den meisten Fällen die Skimminggeräte an oder probierte mit seiner eigenen Bankkarte die Funktionsfähigkeit der Vorrichtungen zur Datenausspähung aus. Er wusste hingegen nicht konkret, was mit den ausgespähten Daten dann weiter geschehen sollte, insbesondere wer Kartendoubletten herstellen und durch wen, wann und wo damit betrügerische Handlungen vorgenommen werden sollten. Nur die Tatsache, dass dies mit Hilfe der ausgespähten Daten geschehen sollte, war ihm bekannt. Es kam in drei Fällen zur Ausspähung von Kartendaten von Bankkunden; in vier weiteren Fällen blieb der Versuch dazu ohne Erfolg. Der Angeklagte erhielt für seine Tatbeiträge von C. freie Kost und Unterkunft, ferner kleinere Geldbeträge von insgesamt 500 Euro.
3
Das Landgericht hat die Mittäterschaft des Angeklagten bei den vollendeten oder im Sinne von § 30 Abs. 2 StGB verabredeten Taten nach §§ 152b, 152a Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB sowie nach § 263a StGB angenommen, ohne die erforderliche Gesamtabwägung der wesentlichen Umstände des Falles zur Abgrenzung von Täterschaft und Beihilfe vorzunehmen. Dies ist rechtsfehlerhaft.
4
Ob ein Beteiligter eine Tat als Täter oder Gehilfe begeht, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in wertender Betrachtung nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, zu beurteilen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 15. Januar 1991 - 5 StR 492/90, BGHSt 37, 289, 291). Wesentliche Anhaltspunkte können der Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung, die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zu ihr sein. Eine darauf bezogene wertende Betrachtung ist vom Tatrichter in einer vom Revisionsgericht nachprüfbaren Weise vorzunehmen. Daran fehlt es hier.
5
Mittäterschaft liegt auch nicht derart auf der Hand, dass eine Erörterung der Abgrenzungsfrage hier als entbehrlich angesehen werden könnte. Soweit es um Computerbetrug mit Hilfe der gefälschten Zahlungskarten mit Garantiefunktion geht, ist die zur Täterschaft des Angeklagten erforderliche Vorsatzkonkretisierung auf bestimmte Taten nicht gegeben. Bezüglich der Herstellung von falschen Zahlungskarten mit Garantiefunktion ist zu berücksichtigen, dass das Ausspähen der fremden Kartendaten im Vorfeld des Nachmachens derartiger Zahlungskarten liegt (§ 152b Abs. 5 i.V.m. § 149 Abs. 1 StGB). Der Angeklagte hat auch nicht aus den einzelnen Taten selbst Gewinn erzielt, sondern er ist nur im Ganzen und zwar in geringem Umfang entlohnt worden. Unter diesen Umständen versteht sich die Annahme seiner Mittäterschaft zumindest nicht von selbst.
6
Der neue Tatrichter wird ferner die Frage der Bandenmäßigkeit (vgl. zur Bandenabrede Senat, Urteil vom 18. Oktober 2012 - 2 StR 529/11) und die Konkurrenzfrage in den Fällen B.2 und B.3 der Urteilsgründe unter Berücksichtigung der Ausführungen des Generalbundesanwalts neu zu prüfen haben. Die Feststellung nach § 111i StPO kann entsprechend den Darlegungen des Generalbundesanwalts entfallen.
Becker Schmitt Berger Krehl Eschelbach

(1) Als Täter wird bestraft, wer die Straftat selbst oder durch einen anderen begeht.

(2) Begehen mehrere die Straftat gemeinschaftlich, so wird jeder als Täter bestraft (Mittäter).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 395/12
vom
4. Dezember 2012
in der Strafsache
gegen
wegen gewerbs- und bandenmäßiger Fälschung von Zahlungskarten mit
Garantiefunktion u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 4. Dezember 2012 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 13. Juni 2012 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbs- und bandenmäßiger Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion in Tateinheit mit gewerbs - und bandenmäßig begangenem Computerbetrug in drei Fällen und wegen Verabredung zur gewerbs- und bandenmäßigen Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Ferner hat es festgestellt, dass dem Verfall von Wertersatz in Höhe von 500 Euro Ansprüche Verletzter entgegenstehen. Schließlich hat es ausgesprochen, dass in Italien erlittene Auslieferungshaft im Verhältnis von eins zu eins angerechnet wird. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel ist begründet.
2
Nach den Feststellungen des Landgerichts lockte der gesondert verfolgte Marius C. den Angeklagten mit dem Versprechen der Arbeitsvermittlung nach Deutschland und quartierte ihn im April oder Mai 2010 in seinem Haus ein. Er setzte den Angeklagten dann zuerst zum Sammeln von Altmetall ein, ohne ihm Lohn zu gewähren. Der Angeklagte wollte deshalb nach Hause zurückkehren , hatte aber kein Geld und wurde vor diesem Hintergrund von C. dazu veranlasst, an der Ausspähung von Kundendaten an Bankautomaten mit manipulierten Kartenlesegeräten und Minikameras mitzuwirken. Außer dem Angeklagten und C. waren noch weitere Rumänen daran beteiligt. C. erklärte dem Angeklagten die Vorgehensweise, führte ihm bei einer von ihm selbst ausgeführten Tat die Technik vor, um dann dem Angeklagten sowie weiteren Personen den Einsatz vor Ort zu überlassen. C. besorgte die Geräte und bestimmte Zeit und Ort der Einsätze. Er führte die Vorderleute zu den Bankfilialen und überwachte deren Tatbegehung. Der Angeklagte war bei den abgeurteilten Taten jeweils vor Ort, er brachte in den meisten Fällen die Skimminggeräte an oder probierte mit seiner eigenen Bankkarte die Funktionsfähigkeit der Vorrichtungen zur Datenausspähung aus. Er wusste hingegen nicht konkret, was mit den ausgespähten Daten dann weiter geschehen sollte, insbesondere wer Kartendoubletten herstellen und durch wen, wann und wo damit betrügerische Handlungen vorgenommen werden sollten. Nur die Tatsache, dass dies mit Hilfe der ausgespähten Daten geschehen sollte, war ihm bekannt. Es kam in drei Fällen zur Ausspähung von Kartendaten von Bankkunden; in vier weiteren Fällen blieb der Versuch dazu ohne Erfolg. Der Angeklagte erhielt für seine Tatbeiträge von C. freie Kost und Unterkunft, ferner kleinere Geldbeträge von insgesamt 500 Euro.
3
Das Landgericht hat die Mittäterschaft des Angeklagten bei den vollendeten oder im Sinne von § 30 Abs. 2 StGB verabredeten Taten nach §§ 152b, 152a Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB sowie nach § 263a StGB angenommen, ohne die erforderliche Gesamtabwägung der wesentlichen Umstände des Falles zur Abgrenzung von Täterschaft und Beihilfe vorzunehmen. Dies ist rechtsfehlerhaft.
4
Ob ein Beteiligter eine Tat als Täter oder Gehilfe begeht, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in wertender Betrachtung nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, zu beurteilen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 15. Januar 1991 - 5 StR 492/90, BGHSt 37, 289, 291). Wesentliche Anhaltspunkte können der Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung, die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zu ihr sein. Eine darauf bezogene wertende Betrachtung ist vom Tatrichter in einer vom Revisionsgericht nachprüfbaren Weise vorzunehmen. Daran fehlt es hier.
5
Mittäterschaft liegt auch nicht derart auf der Hand, dass eine Erörterung der Abgrenzungsfrage hier als entbehrlich angesehen werden könnte. Soweit es um Computerbetrug mit Hilfe der gefälschten Zahlungskarten mit Garantiefunktion geht, ist die zur Täterschaft des Angeklagten erforderliche Vorsatzkonkretisierung auf bestimmte Taten nicht gegeben. Bezüglich der Herstellung von falschen Zahlungskarten mit Garantiefunktion ist zu berücksichtigen, dass das Ausspähen der fremden Kartendaten im Vorfeld des Nachmachens derartiger Zahlungskarten liegt (§ 152b Abs. 5 i.V.m. § 149 Abs. 1 StGB). Der Angeklagte hat auch nicht aus den einzelnen Taten selbst Gewinn erzielt, sondern er ist nur im Ganzen und zwar in geringem Umfang entlohnt worden. Unter diesen Umständen versteht sich die Annahme seiner Mittäterschaft zumindest nicht von selbst.
6
Der neue Tatrichter wird ferner die Frage der Bandenmäßigkeit (vgl. zur Bandenabrede Senat, Urteil vom 18. Oktober 2012 - 2 StR 529/11) und die Konkurrenzfrage in den Fällen B.2 und B.3 der Urteilsgründe unter Berücksichtigung der Ausführungen des Generalbundesanwalts neu zu prüfen haben. Die Feststellung nach § 111i StPO kann entsprechend den Darlegungen des Generalbundesanwalts entfallen.
Becker Schmitt Berger Krehl Eschelbach

(1) Als Täter wird bestraft, wer die Straftat selbst oder durch einen anderen begeht.

(2) Begehen mehrere die Straftat gemeinschaftlich, so wird jeder als Täter bestraft (Mittäter).

(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(2) Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, sind aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 428/10
vom
9. März 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Betrugs u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 9. März 2011 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hanau vom 14. Juni 2010 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung in 26 Fällen unter Einbeziehung von Strafen aus einer früheren gesamtstrafenfähigen Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der allgemeinen Sachrüge Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte zur Tatzeit als Leiter der Filiale eines Handy-Ladens der S. GmbH mit dem Abschluss von Mobiltelefonieverträgen befasst. Üblicherweise kopierten bei Abschluss solcher Verträge die Mitarbeiter des HandyLadens das Legitimationspapier und die Bankkarte der Kunden und nahmen die Kopien zu dem jeweiligen Vertrag. Die Vertragsunterlagen wurden zum Mo- http://www.juris.de/jportal/portal/t/3452/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE308382005&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/3452/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=JURE090028049&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint - 3 - natsende an die Unternehmenszentrale geschickt und von dort an die Netzbetreiber weitergeleitet. Die Kunden erhielten pro SIM-Kartenvertrag ein oder mehrere Handys, die von dem Mobilfunk-Provider subventioniert waren. Spätestens Anfang Januar 2008 kam der Angeklagte mit einem Bekannten überein, mit "Kopien" gefälschter Personalausweise und Bankkarten im Namen fiktiver Personen Verträge abzuschließen, um an subventionierte Handys zu gelangen. Hierzu scannte der Bekannte des Angeklagten einen Originalpersonalausweis in einen Computer ein und stellte mittels eines Bearbeitungsprogramms "Kopien tatsächlich nicht existenter Personalausweise" unter Verwendung von Scheinpersonalien her, indem er die Seriennummern, die Personaldaten und die Lichtbilder veränderte. Ferner fertigte er Bankkarten-Kopien von Konten, die unter Scheinpersonalien eröffnet worden waren oder Kunden gehörten, welche in dem Handy-Laden zuvor unter Angabe ihrer Bankdaten Mobilfunkverträge abgeschlossen hatten. Unter Verwendung der gefälschten Dokumente schlossen der Angeklagte und sein Bekannter in der Folgezeit auf den Namen der jeweiligen fiktiven Personen einen oder mehrere "Verträge" ab. Der Angeklagte reichte diese "Scheinverträge" dann wie üblich über die Zentrale bei dem jeweiligen Provider ein. Für seinen Beitrag erhielt der Angeklagte jeweils eines der mit "Vertragsschluss" überlassenen neuen Handys.
3
2. Das angefochtene Urteil unterliegt insgesamt der Aufhebung, da es nicht den Mindestanforderungen genügt, die an die Urteilsgründe auch dann zu stellen sind, wenn die Entscheidung, wie hier, nach einer Verfahrensabsprache ergangen ist. Allein die Bereitschaft des Angeklagten, wegen eines bestimmten Sachverhalts eine Strafe hinzunehmen, die das gerichtlich zugesagte Höchstmaß nicht überschreitet, entbindet das Gericht nicht von der Pflicht zur Aufklärung und Darlegung des Sachverhalts, soweit dies für den Tatbestand der dem Angeklagten vorgeworfenen Gesetzesverletzung erforderlich ist (vgl. BGH, NStZ 2009, 467; NStZ-RR 2010, 54; Senat, NStZ-RR 2010, 336).
4
Zu den unerlässlichen Mindestvoraussetzungen des Urteils gehört, dass es eine geschlossene und für das Revisionsgericht nachvollziehbare Darstellung des verwirklichten strafbaren Verhaltens enthält. Eine solche geschlossene Darstellung des Sachverhalts, der das Tatgeschehen bildet, ist für die revisionsrechtliche Überprüfung des Urteils erforderlich. Sie muss erkennen lassen, welche Tatsachen der Richter als seine Feststellungen über die Tat seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde legt. Fehlt sie oder ist sie in wesentlichen Teilen unvollständig oder widersprüchlich, so ist dies ein Mangel des Urteils, der auf die Sachrüge zu dessen Aufhebung führt (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 3; BGH, NStZ 2008, 109). So verhält es sich hier.
5
a) Die Feststellungen der Strafkammer erschöpfen sich in einer knapp gehaltenen, teilweise aus dem Anklagesatz übernommenen Schilderung der Vorgehensweise des Angeklagten und seines Komplizen, an die sich eine Zusammenfassung der Einzeltaten in einer mehrspaltigen Tabelle anschließt. Dort wird in der Spalte "Tattag" das jeweilige Datum angegeben, unter dem die "Scheinverträge" geschrieben worden sind, und in der Spalte "Fiktive Person" wird der Name des vorgetäuschten Kunden aufgeführt. In zwei weiteren Spalten werden unter der Überschrift "Vertragspartner" die SIM-Kartennummern der jeweiligen Netzbetreiber und unter der Überschrift "Handys" die in den Einzelfällen erhaltenen Mobiltelefone mit Typenbezeichnung aufgelistet.
6
Zwar ist es dem Tatrichter grundsätzlich nicht verwehrt, bei einer Vielzahl von Straftaten, die den selben Tatbestand erfüllen, davon abzusehen, die konkreten Sachverhalte der Einzeltaten ausführlich mitzuteilen, und diese stattdessen in einer Liste zusammenzufassen, in der die jeweiligen Taten individualisiert werden. Dies gilt, wenn die Taten in allen wesentlichen tatsächlichen Umständen , die den Tatbestand erfüllen, gleich gelagert sind. Auch dann müssen die Urteilsgründe aber so abgefasst werden, dass sie erkennen lassen, welche der http://www.juris.de/jportal/portal/t/3hw5/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR001270871BJNE046003307&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 5 - festgestellten Tatsachen den einzelnen Tatbestandsmerkmalen zuzuordnen sind und sie ausfüllen können (vgl. für den Fall einer Vielzahl von gleichgelagerten Betrugstaten BGH, NJW 1992, 1709; NStZ 2008, 352; NStZ-RR 2010, 54).
7
b) Hier lässt sich der Sachverhaltsdarstellung der Strafkammer zur betrügerischen Vorgehensweise des Angeklagten jedoch schon nichts Näheres dazu entnehmen, wie es zu einem Abschluss der "Scheinverträge" gekommen sein soll und wer aus dem Adressatenkreis der Täuschung über die mit fiktiven Personaldaten ausgefüllten Kundenaufträge von dem Angeklagten zu welcher irrtumsbedingten Vermögensverfügung veranlasst worden ist. Ausführungen zu vertraglichen Regelungen zwischen dem die Handy-Läden betreibenden Unternehmen und den Mobilfunknetz-Providern fehlen vollständig. Dementsprechend bleibt unklar, wie der Angeklagte die Mobiltelefone und die SIM-Karten erlangt hat. Es lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen, aus welchem Vermögen die Mobiltelefone herrührten und welchen Wert diese hatten. Danach lässt sich auch nicht nachvollziehen, wer in den Einzelfällen in welcher Höhe geschädigt worden ist.
8
3. Hinzu kommt, dass die Feststellungen den Schuldspruch wegen tateinheitlich begangener Urkundenfälschungen nicht tragen.
9
a) Durch die Ausdrucke von Bilddateien eines Personalausweises unter manipulativer Änderung von Personaldaten und Lichtbild sind weder unechte oder verfälschte Urkunden hergestellt worden, noch hat der Angeklagte solche Urkunden gebraucht, indem er die Ausdrucke verwendete, um vorzutäuschen, dass von den fiktiven Kunden Personaldokumente vorgelegen hätten.
10
Urkunden im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB sind verkörperte Erklärungen, die ihrem gedanklichen Inhalt nach geeignet und bestimmt sind, für ein Rechtsverhältnis Beweis zu erbringen, und die ihren Aussteller erkennen lassen. Einer http://www.juris.de/jportal/portal/t/3hw5/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE029688051&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/3hw5/## - 6 - bloßen Fotokopie ist, sofern sie nach außen als Reproduktion erscheint, mangels Beweiseignung sowie Erkennbarkeit des Ausstellers demgegenüber kein Urkundencharakter beizumessen (st. Rspr., vgl. BGHSt 20, 17, 18 f.; 24, 140, 141 f. mwN; BGH wistra 1993, 225; 341; 2010, 226). Zwar kann im Wege computertechnischer Maßnahmen wie der Veränderung eingescannter Dokumente grundsätzlich eine (unechte) Urkunde hergestellt werden. Dafür muss die Reproduktion jedoch einer Originalurkunde so ähnlich sein, dass die Möglichkeit einer Verwechslung nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. mwN BGH, wistra 2010, 184, 185; Fischer, StGB 58. Aufl. § 267 Rn. 22). Daran fehlt es hier. Die Ausdrucke der Computerdatei des gescannten Personalausweises wiesen nicht die typischen Authentizitätsmerkmale auf, die einen Originalausweis prägen. Sie sollten nach ihrem Dokumentationszweck wie Kopien verwendet werden und spiegelten erkennbar lediglich ein Abbild eines Personalausweises wider.
11
Da der von den Ausdrucken der Computerdatei jeweils abgebildete Personalausweis tatsächlich nicht existierte und diesbezüglich somit zu keinem Zeitpunkt eine falsche Urkunde vorgelegen hat, erfüllt die Verwendung dieser Ausdrucke auch nicht den Tatbestand der Urkundenfälschung in Form des Gebrauchens einer unechten Urkunde (vgl. Fischer, aaO § 267 Rn. 37), wie es das Landgericht in seinen sich auf die Angabe des Endergebnisses beschränkenden Ausführungen zur rechtlichen Würdigung angenommen hat (UA S. 11).
12
b) Eine hier in Betracht zu ziehende Urkundenfälschung durch eine Anfertigung der mit fingierten Namen unterzeichneten "Scheinverträge" bzw. Kundenaufträge und deren Weiterleitung hat die Strafkammer demgegenüber nicht erwogen.

Fischer Appl Berger Eschelbach Ott
5 StR 7/10

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 23.März 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. März 2010

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 4. September 2009 gemäß § 349 Abs. 4 StPO
a) aufgehoben im Fall II.7 der Urteilsgründe; insoweit wird der Angeklagte auf Kosten der Staatskasse freigesprochen ; dieser werden die ihm hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen auferlegt;
b) im Übrigen dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte wegen Betruges in sechs Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung, zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt wird.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer trägt die weiteren Kosten des Rechtsmittels.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in sechs Fällen , davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung (Fälle II.1 bis II.6 der Urteilsgründe), sowie wegen Urkundenfälschung (Fall II.7 der Urteilsgründe ) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Seine weitergehende Revision ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2
1. Nach den Feststellungen lieh sich der vielfach einschlägig vorbestrafte , einkommens- und vermögenslose Angeklagte in den Fällen II.1 bis II.6 der Urteilsgründe von mehreren ihm bekannten Personen teilweise wiederholt erhebliche Geldbeträge, zu deren Rückzahlung er weder bereit noch fähig war. Er spiegelte den Geschädigten dabei vor, vermögend und nur derzeit nicht in der Lage zu sein, an Bargeld zu gelangen. In zwei Fällen legte er ihnen gefälschte Urkunden vor, um diese unwahre Behauptung zu belegen. Im Fall II.7 „unterschrieb der Angeklagte einen aus Kopien von verschiedenen echten Urkunden hergestellten“ (UA S. 11) vermeintlich notariell beurkundeten Grundstückskaufvertrag, der ihn selbst als Verkäufer, zwei Käufer und einen Kaufpreis von 1.580.000 € auswiesen. Dieser tatsächlich nicht geschlossene Vertrag sollte zur Täuschung möglicher Darlehensgeber über die angebliche Zahlungsfähigkeit des Angeklagten verwendet werden, wurde tatsächlich aber nicht benutzt.
3
2. Zu Unrecht hat das Landgericht auch im Fall II.7 den Tatbestand der Urkundenfälschung bejaht.
4
a) Der Angeklagte hat keine unechte Urkunde hergestellt. Urkunden im Sinne des Strafrechts sind verkörperte Erklärungen, die ihrem gedanklichen Inhalt nach geeignet und bestimmt sind, für ein Rechtsverhältnis Beweis zu erbringen, und die ihren Aussteller erkennen lassen (st. Rspr.; vgl. etwa BGHSt 4, 60, 61; 24, 140, 141; Fischer, StGB 57. Aufl. § 267 Rdn. 2 m.w.N.). Soweit der Angeklagte den vermeintlich zustande gekommenen Grundstückskaufvertrag lediglich mit dem eigenen Namenszug unterschrieben hat, liegt eine Täuschung über den Aussteller der Gedankenerklärung nicht vor. Insofern handelt es sich um eine schriftliche Lüge (vgl. Fischer aaO Rdn. 18a), weil aus dem so geschaffenen Schriftstück der Angeklagte als Aussteller zu ersehen ist und lediglich der (fotokopierte) Bezugstext falsch ist. Mitaussteller sind hier auch nicht etwa die anderen Vertragsbeteiligten; deren Namenszüge sind lediglich einkopiert, ihnen fehlt die Authenzität einer Originalunterschrift. Durch das Zufügen von Kopien der Unterschriften der angeblichen Vertragspartner erfüllt der „Grundstückskaufvertrag“ nicht die Merkmale einer Urkunde, da das Schriftstück insoweit nach außen als Reproduktion erscheint (Fischer aaO Rdn. 12b m.w.N.).
5
b) Der Angeklagte hat auch keine echte Urkunde verfälscht, da er für die Herstellung der Kopie des vermeintlichen Grundstückskaufvertrages lediglich Kopien von echten Urkunden verwendete.
6
c) Die vom Landgericht festgestellte Täuschungsabsicht legt es zwar nahe, dass der Angeklagte von der hergestellten Vorlage eine weitere Kopie zumindest fertigen wollte, um das Werk insgesamt als Kopie eines unterschriebenen Originals erscheinen zu lassen. Dies begründet indes auch keine Strafbarkeit wegen eines Versuchs des Gebrauchens einer gefälschten Urkunde (vgl. Fischer aaO), weil zu keinem Zeitpunkt eine (falsche) Urkunde vorgelegen hat.
7
2. Die Verurteilung wegen Urkundenfälschung im Fall II.7 der Urteilsgründe kann daher keinen Bestand haben. Dies bedingt den Wegfall der davon betroffenen Einzelstrafe von neun Monaten und eine Änderung der Gesamtstrafe.
8
Der Senat hat in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO zur Straffrage selbst entschieden. Eine Aufhebung und Zurückverweisung lediglich zur Festsetzung einer neuen Gesamtstrafe würde zu einer hier – die abgeurteilten Taten datieren aus den Jahren 2005 bis 2007 – unvertretbaren Verfahrensverzögerung führen.
9
Auf der Grundlage der rechtsfehlerfreien Strafzumessungserwägungen des Landgerichts schließt es der Senat aus, dass für die verbleibenden sechs Taten, eine geringere Gesamtfreiheitsstrafe als eine solche von vier Jahren hätte verhängt werden können.
Brause Raum Schaal
Schneider Bellay

(1) Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde herstellt, eine echte Urkunde verfälscht oder eine unechte oder verfälschte Urkunde gebraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung von Betrug oder Urkundenfälschung verbunden hat,
2.
einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeiführt,
3.
durch eine große Zahl von unechten oder verfälschten Urkunden die Sicherheit des Rechtsverkehrs erheblich gefährdet oder
4.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger mißbraucht.

(4) Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer die Urkundenfälschung als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Straftaten nach den §§ 263 bis 264 oder 267 bis 269 verbunden hat, gewerbsmäßig begeht.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 149/01
vom
2. Mai 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Betrugs u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 2. Mai 2001 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Marburg vom 19. Dezember 2000
a) aufgehoben, soweit der Angeklagte im Fall II, 8 verurteilt wurde; insoweit wird das Verfahren eingestellt; die Staatskasse hat die hierdurch entstandenen Kosten des Verfahrens und notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen;
b) im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte des Betrugs in 15 Fällen und des versuchten Betrugs in zwei Fällen, in allen Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung, schuldig ist;
c) im Strafausspruch mit den Feststellungen zu den Vorstrafen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Das weitergehende Rechtsmittel wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in 18 Fällen, wobei es in zwei Fällen beim Versuch blieb, in 16 Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung und in zwei Fällen in Tateinheit mit mittelbarer Falschbeurkundung zu der Gesamtfreiheitstrafe von vier Jahren verurteilt. Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im übrigen ist es offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). 1. Die Verurteilung wegen der Tat II, 8 ist aufzuheben und das Verfahren einzustellen, weil diese Tat verjährt ist. Bei einem Betrug der vorliegenden Art, der auf das Erlangen von laufenden Bafög-Leistungen gerichtet war, beginnt die Verjährung erst mit dem Erlangen des letzten Vermögensvorteils (BGHSt 27, 342 f.; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 78 a Rdn. 3 m.w.N.). Der Angeklagte erhielt in diesem Fall Leistungen bis zum September 1994. Die fünfjährige Verjährungsfrist (§§ 263, 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) endete daher spätestens mit dem 30. September 1999. Die Verfolgungsverjährung wurde jedoch erstmals durch die Durchsuchungsanordnung des Amtsgerichts Marburg vom 25. Oktober 1999 unterbrochen (§ 78 c Abs. 1 Nr. 4 StGB). 2. In den Fällen II, 15 und 16 hat sich der Angeklagte tateinheitlich zum Betrug nicht der mittelbaren Falschbeurkundung (§ 271 StGB), sondern der Urkundenfälschung (§ 267 StGB) schuldig gemacht. Der Angeklagte hat zum betrügerischen Erlangen eines Postgraduiertenstipendiums (Fall 15) und einer Anstellung als Wissenschaftlicher Mitarbei-
ter bei der Universität M. (Fall 16) Kopien eines gefälschten Zeugnisses über das Bestehen der Ersten juristischen Staatsprüfung vorgelegt. Er hatte bereits bei früherer Gelegenheit das Zeugnisformular auf dem Computer erstellt , das Formular mit der Schreibmaschine ausgefüllt, einen Dienstsiegelabdruck von einem anderen Zeugnis aufgebracht und die Unterschrift des Präsidenten des Justizprüfungsamts gefälscht. Von diesem Zeugnis hatte er Kopien gefertigt, die er von der Stadtverwaltung bzw. dem Ortsgericht in Ma. hat beglaubigen lassen. Hierdurch hat der Angeklagte weder eine falsche Beurkundung bewirkt, noch hat er sie gebraucht. Die Beglaubigung einer Kopie bestätigt nicht die inhaltliche Richtigkeit des Schriftstücks, dessen Kopie beglaubigt wird. Beglaubigt wird vielmehr lediglich, daß die Kopie mit dem bei der Beglaubigung vorgelegten Schriftstück übereinstimmt. Mittelbare Falschbeurkundung kommt in diesem Zusammenhang dann in Betracht, wenn der Täter bewirkt, daß eine Kopie oder Abschrift beglaubigt wird, die in Wirklichkeit nicht mit dem Original übereinstimmt, also inhaltlich falsch ist (vgl. hierzu Cramer in Schönke /Schröder, StGB 26. Aufl. § 267 Rdn. 40 a). Hiervon zu unterscheiden ist der vorliegende Sachverhalt, bei dem nicht der Beglaubigungsvermerk falsch war, sondern das Originalschriftstück gefälscht war, dessen Kopie beglaubigt wurde. Der Angeklagte hat jedoch das tatsächlich existierende gefälschte Examenszeugnis dadurch zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht, daß er die beglaubigte Kopie hiervon anstelle des gefälschten Originals bei seinen Stipendien- und Anstellungsbewerbungen zusammen mit den übrigen Bewerbungsunterlagen vorgelegt hat. Hierin liegt ein tatbestandsmäßiges Ge-
brauchmachen von dem gefälschten Examenszeugnis (vgl. Tröndle/Fischer a.a.O. § 267 Rdn. 24 m.w.N.). Der Schuldspruch ist daher dahin zu ändern, daß der Angeklagte auch in den Fällen II, 15 und 16 tateinheitlich zum Betrug eine Urkundenfälschung begangen hat. § 265 StPO steht der Ä nderung nicht entgegen, da sich der Angeklagte auch gegen diesen Vorwurf nicht erfolgreicher hätte verteidigen können. 3. Der Strafausspruch und die Feststellungen zu den Vorstrafen haben keinen Bestand.
a) Das Landgericht hat unter Verstoß gegen § 51 Abs. 1 BZRG die Vorverurteilungen des Angeklagten durch das Amtsgericht Marburg vom 7. November 1990 zu der Geldstrafe von 180 Tagessätzen und vom 21. Juni 1991 zu der Geldstrafe von 20 Tagessätzen bei der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten verwendet. Diese Verurteilungen waren jedoch zum Zeitpunkt der Aburteilung am 19. Dezember 2000 gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und Nr. 2 Buchst. a, § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. §§ 35, 36 BZRG tilgungsreif , weil die zehn- und fünfjährigen Tilgungsfristen bereits im November 2000 abgelaufen waren. Die Feststellungen zur Strafzumessung sind von dem Rechtsfehler jedoch nur insoweit berührt, als sie die beiden Vorstrafen des Angeklagten betreffen. Im übrigen können sie daher bestehen bleiben.
b) Das Landgericht hat ferner alle Betrugstaten als besonders schwere Fälle gemäß § 263 Abs. 3 Nr. 1 StGB in der ab 1. April 1998 geltenden Fassung des 6. Strafrechtsreformgesetzes gewertet und sie als gewerbsmäßig bezeichnet , obwohl die Taten II, 1-15 vor dem 1. April 1998 begangen wurden. Das Landgericht meint, die neue Gesetzesfassung sei für den Angeklagten
milder als das Tatzeitrecht (§ 2 Abs. 3 StGB), weil die Mindeststrafe für besonders schwere Fälle des Betrugs in der Neufassung des Gesetzes von einem Jahr auf sechs Monate Freiheitsstrafe herabgesetzt worden sei. Bei der Prüfung , ob das neue Recht milder ist als das Tatzeitrecht, hätte das Landgericht aber zunächst erörtern müssen, ob nach früherem Recht überhaupt - nicht benannte - besonders schwere Fälle im Sinne des § 263 Abs. 3 StGB aF vorliegen. Die Annahme besonders schwerer Fälle des Betrugs versteht sich trotz der nicht unerheblichen Schadensbeträge und der gewerbsmäßigen Tatbegehung nicht von selbst und hätte daher näher erörtert werden müssen. Dies ist jedoch nicht geschehen. Bode Otten Rothfuß Fischer Ri'inBGH Elf ist wegen Urlaubs verhindert , ihre Unterschrift beizufügen. Bode

(1) Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde herstellt, eine echte Urkunde verfälscht oder eine unechte oder verfälschte Urkunde gebraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung von Betrug oder Urkundenfälschung verbunden hat,
2.
einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeiführt,
3.
durch eine große Zahl von unechten oder verfälschten Urkunden die Sicherheit des Rechtsverkehrs erheblich gefährdet oder
4.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger mißbraucht.

(4) Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer die Urkundenfälschung als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Straftaten nach den §§ 263 bis 264 oder 267 bis 269 verbunden hat, gewerbsmäßig begeht.

5 StR 7/10

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 23.März 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. März 2010

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 4. September 2009 gemäß § 349 Abs. 4 StPO
a) aufgehoben im Fall II.7 der Urteilsgründe; insoweit wird der Angeklagte auf Kosten der Staatskasse freigesprochen ; dieser werden die ihm hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen auferlegt;
b) im Übrigen dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte wegen Betruges in sechs Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung, zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt wird.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer trägt die weiteren Kosten des Rechtsmittels.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in sechs Fällen , davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung (Fälle II.1 bis II.6 der Urteilsgründe), sowie wegen Urkundenfälschung (Fall II.7 der Urteilsgründe ) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Seine weitergehende Revision ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2
1. Nach den Feststellungen lieh sich der vielfach einschlägig vorbestrafte , einkommens- und vermögenslose Angeklagte in den Fällen II.1 bis II.6 der Urteilsgründe von mehreren ihm bekannten Personen teilweise wiederholt erhebliche Geldbeträge, zu deren Rückzahlung er weder bereit noch fähig war. Er spiegelte den Geschädigten dabei vor, vermögend und nur derzeit nicht in der Lage zu sein, an Bargeld zu gelangen. In zwei Fällen legte er ihnen gefälschte Urkunden vor, um diese unwahre Behauptung zu belegen. Im Fall II.7 „unterschrieb der Angeklagte einen aus Kopien von verschiedenen echten Urkunden hergestellten“ (UA S. 11) vermeintlich notariell beurkundeten Grundstückskaufvertrag, der ihn selbst als Verkäufer, zwei Käufer und einen Kaufpreis von 1.580.000 € auswiesen. Dieser tatsächlich nicht geschlossene Vertrag sollte zur Täuschung möglicher Darlehensgeber über die angebliche Zahlungsfähigkeit des Angeklagten verwendet werden, wurde tatsächlich aber nicht benutzt.
3
2. Zu Unrecht hat das Landgericht auch im Fall II.7 den Tatbestand der Urkundenfälschung bejaht.
4
a) Der Angeklagte hat keine unechte Urkunde hergestellt. Urkunden im Sinne des Strafrechts sind verkörperte Erklärungen, die ihrem gedanklichen Inhalt nach geeignet und bestimmt sind, für ein Rechtsverhältnis Beweis zu erbringen, und die ihren Aussteller erkennen lassen (st. Rspr.; vgl. etwa BGHSt 4, 60, 61; 24, 140, 141; Fischer, StGB 57. Aufl. § 267 Rdn. 2 m.w.N.). Soweit der Angeklagte den vermeintlich zustande gekommenen Grundstückskaufvertrag lediglich mit dem eigenen Namenszug unterschrieben hat, liegt eine Täuschung über den Aussteller der Gedankenerklärung nicht vor. Insofern handelt es sich um eine schriftliche Lüge (vgl. Fischer aaO Rdn. 18a), weil aus dem so geschaffenen Schriftstück der Angeklagte als Aussteller zu ersehen ist und lediglich der (fotokopierte) Bezugstext falsch ist. Mitaussteller sind hier auch nicht etwa die anderen Vertragsbeteiligten; deren Namenszüge sind lediglich einkopiert, ihnen fehlt die Authenzität einer Originalunterschrift. Durch das Zufügen von Kopien der Unterschriften der angeblichen Vertragspartner erfüllt der „Grundstückskaufvertrag“ nicht die Merkmale einer Urkunde, da das Schriftstück insoweit nach außen als Reproduktion erscheint (Fischer aaO Rdn. 12b m.w.N.).
5
b) Der Angeklagte hat auch keine echte Urkunde verfälscht, da er für die Herstellung der Kopie des vermeintlichen Grundstückskaufvertrages lediglich Kopien von echten Urkunden verwendete.
6
c) Die vom Landgericht festgestellte Täuschungsabsicht legt es zwar nahe, dass der Angeklagte von der hergestellten Vorlage eine weitere Kopie zumindest fertigen wollte, um das Werk insgesamt als Kopie eines unterschriebenen Originals erscheinen zu lassen. Dies begründet indes auch keine Strafbarkeit wegen eines Versuchs des Gebrauchens einer gefälschten Urkunde (vgl. Fischer aaO), weil zu keinem Zeitpunkt eine (falsche) Urkunde vorgelegen hat.
7
2. Die Verurteilung wegen Urkundenfälschung im Fall II.7 der Urteilsgründe kann daher keinen Bestand haben. Dies bedingt den Wegfall der davon betroffenen Einzelstrafe von neun Monaten und eine Änderung der Gesamtstrafe.
8
Der Senat hat in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO zur Straffrage selbst entschieden. Eine Aufhebung und Zurückverweisung lediglich zur Festsetzung einer neuen Gesamtstrafe würde zu einer hier – die abgeurteilten Taten datieren aus den Jahren 2005 bis 2007 – unvertretbaren Verfahrensverzögerung führen.
9
Auf der Grundlage der rechtsfehlerfreien Strafzumessungserwägungen des Landgerichts schließt es der Senat aus, dass für die verbleibenden sechs Taten, eine geringere Gesamtfreiheitsstrafe als eine solche von vier Jahren hätte verhängt werden können.
Brause Raum Schaal
Schneider Bellay

(1) Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde herstellt, eine echte Urkunde verfälscht oder eine unechte oder verfälschte Urkunde gebraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung von Betrug oder Urkundenfälschung verbunden hat,
2.
einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeiführt,
3.
durch eine große Zahl von unechten oder verfälschten Urkunden die Sicherheit des Rechtsverkehrs erheblich gefährdet oder
4.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger mißbraucht.

(4) Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer die Urkundenfälschung als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Straftaten nach den §§ 263 bis 264 oder 267 bis 269 verbunden hat, gewerbsmäßig begeht.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 428/10
vom
9. März 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Betrugs u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 9. März 2011 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hanau vom 14. Juni 2010 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung in 26 Fällen unter Einbeziehung von Strafen aus einer früheren gesamtstrafenfähigen Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der allgemeinen Sachrüge Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte zur Tatzeit als Leiter der Filiale eines Handy-Ladens der S. GmbH mit dem Abschluss von Mobiltelefonieverträgen befasst. Üblicherweise kopierten bei Abschluss solcher Verträge die Mitarbeiter des HandyLadens das Legitimationspapier und die Bankkarte der Kunden und nahmen die Kopien zu dem jeweiligen Vertrag. Die Vertragsunterlagen wurden zum Mo- http://www.juris.de/jportal/portal/t/3452/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE308382005&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/3452/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=JURE090028049&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint - 3 - natsende an die Unternehmenszentrale geschickt und von dort an die Netzbetreiber weitergeleitet. Die Kunden erhielten pro SIM-Kartenvertrag ein oder mehrere Handys, die von dem Mobilfunk-Provider subventioniert waren. Spätestens Anfang Januar 2008 kam der Angeklagte mit einem Bekannten überein, mit "Kopien" gefälschter Personalausweise und Bankkarten im Namen fiktiver Personen Verträge abzuschließen, um an subventionierte Handys zu gelangen. Hierzu scannte der Bekannte des Angeklagten einen Originalpersonalausweis in einen Computer ein und stellte mittels eines Bearbeitungsprogramms "Kopien tatsächlich nicht existenter Personalausweise" unter Verwendung von Scheinpersonalien her, indem er die Seriennummern, die Personaldaten und die Lichtbilder veränderte. Ferner fertigte er Bankkarten-Kopien von Konten, die unter Scheinpersonalien eröffnet worden waren oder Kunden gehörten, welche in dem Handy-Laden zuvor unter Angabe ihrer Bankdaten Mobilfunkverträge abgeschlossen hatten. Unter Verwendung der gefälschten Dokumente schlossen der Angeklagte und sein Bekannter in der Folgezeit auf den Namen der jeweiligen fiktiven Personen einen oder mehrere "Verträge" ab. Der Angeklagte reichte diese "Scheinverträge" dann wie üblich über die Zentrale bei dem jeweiligen Provider ein. Für seinen Beitrag erhielt der Angeklagte jeweils eines der mit "Vertragsschluss" überlassenen neuen Handys.
3
2. Das angefochtene Urteil unterliegt insgesamt der Aufhebung, da es nicht den Mindestanforderungen genügt, die an die Urteilsgründe auch dann zu stellen sind, wenn die Entscheidung, wie hier, nach einer Verfahrensabsprache ergangen ist. Allein die Bereitschaft des Angeklagten, wegen eines bestimmten Sachverhalts eine Strafe hinzunehmen, die das gerichtlich zugesagte Höchstmaß nicht überschreitet, entbindet das Gericht nicht von der Pflicht zur Aufklärung und Darlegung des Sachverhalts, soweit dies für den Tatbestand der dem Angeklagten vorgeworfenen Gesetzesverletzung erforderlich ist (vgl. BGH, NStZ 2009, 467; NStZ-RR 2010, 54; Senat, NStZ-RR 2010, 336).
4
Zu den unerlässlichen Mindestvoraussetzungen des Urteils gehört, dass es eine geschlossene und für das Revisionsgericht nachvollziehbare Darstellung des verwirklichten strafbaren Verhaltens enthält. Eine solche geschlossene Darstellung des Sachverhalts, der das Tatgeschehen bildet, ist für die revisionsrechtliche Überprüfung des Urteils erforderlich. Sie muss erkennen lassen, welche Tatsachen der Richter als seine Feststellungen über die Tat seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde legt. Fehlt sie oder ist sie in wesentlichen Teilen unvollständig oder widersprüchlich, so ist dies ein Mangel des Urteils, der auf die Sachrüge zu dessen Aufhebung führt (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 3; BGH, NStZ 2008, 109). So verhält es sich hier.
5
a) Die Feststellungen der Strafkammer erschöpfen sich in einer knapp gehaltenen, teilweise aus dem Anklagesatz übernommenen Schilderung der Vorgehensweise des Angeklagten und seines Komplizen, an die sich eine Zusammenfassung der Einzeltaten in einer mehrspaltigen Tabelle anschließt. Dort wird in der Spalte "Tattag" das jeweilige Datum angegeben, unter dem die "Scheinverträge" geschrieben worden sind, und in der Spalte "Fiktive Person" wird der Name des vorgetäuschten Kunden aufgeführt. In zwei weiteren Spalten werden unter der Überschrift "Vertragspartner" die SIM-Kartennummern der jeweiligen Netzbetreiber und unter der Überschrift "Handys" die in den Einzelfällen erhaltenen Mobiltelefone mit Typenbezeichnung aufgelistet.
6
Zwar ist es dem Tatrichter grundsätzlich nicht verwehrt, bei einer Vielzahl von Straftaten, die den selben Tatbestand erfüllen, davon abzusehen, die konkreten Sachverhalte der Einzeltaten ausführlich mitzuteilen, und diese stattdessen in einer Liste zusammenzufassen, in der die jeweiligen Taten individualisiert werden. Dies gilt, wenn die Taten in allen wesentlichen tatsächlichen Umständen , die den Tatbestand erfüllen, gleich gelagert sind. Auch dann müssen die Urteilsgründe aber so abgefasst werden, dass sie erkennen lassen, welche der http://www.juris.de/jportal/portal/t/3hw5/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR001270871BJNE046003307&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 5 - festgestellten Tatsachen den einzelnen Tatbestandsmerkmalen zuzuordnen sind und sie ausfüllen können (vgl. für den Fall einer Vielzahl von gleichgelagerten Betrugstaten BGH, NJW 1992, 1709; NStZ 2008, 352; NStZ-RR 2010, 54).
7
b) Hier lässt sich der Sachverhaltsdarstellung der Strafkammer zur betrügerischen Vorgehensweise des Angeklagten jedoch schon nichts Näheres dazu entnehmen, wie es zu einem Abschluss der "Scheinverträge" gekommen sein soll und wer aus dem Adressatenkreis der Täuschung über die mit fiktiven Personaldaten ausgefüllten Kundenaufträge von dem Angeklagten zu welcher irrtumsbedingten Vermögensverfügung veranlasst worden ist. Ausführungen zu vertraglichen Regelungen zwischen dem die Handy-Läden betreibenden Unternehmen und den Mobilfunknetz-Providern fehlen vollständig. Dementsprechend bleibt unklar, wie der Angeklagte die Mobiltelefone und die SIM-Karten erlangt hat. Es lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen, aus welchem Vermögen die Mobiltelefone herrührten und welchen Wert diese hatten. Danach lässt sich auch nicht nachvollziehen, wer in den Einzelfällen in welcher Höhe geschädigt worden ist.
8
3. Hinzu kommt, dass die Feststellungen den Schuldspruch wegen tateinheitlich begangener Urkundenfälschungen nicht tragen.
9
a) Durch die Ausdrucke von Bilddateien eines Personalausweises unter manipulativer Änderung von Personaldaten und Lichtbild sind weder unechte oder verfälschte Urkunden hergestellt worden, noch hat der Angeklagte solche Urkunden gebraucht, indem er die Ausdrucke verwendete, um vorzutäuschen, dass von den fiktiven Kunden Personaldokumente vorgelegen hätten.
10
Urkunden im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB sind verkörperte Erklärungen, die ihrem gedanklichen Inhalt nach geeignet und bestimmt sind, für ein Rechtsverhältnis Beweis zu erbringen, und die ihren Aussteller erkennen lassen. Einer http://www.juris.de/jportal/portal/t/3hw5/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE029688051&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/3hw5/## - 6 - bloßen Fotokopie ist, sofern sie nach außen als Reproduktion erscheint, mangels Beweiseignung sowie Erkennbarkeit des Ausstellers demgegenüber kein Urkundencharakter beizumessen (st. Rspr., vgl. BGHSt 20, 17, 18 f.; 24, 140, 141 f. mwN; BGH wistra 1993, 225; 341; 2010, 226). Zwar kann im Wege computertechnischer Maßnahmen wie der Veränderung eingescannter Dokumente grundsätzlich eine (unechte) Urkunde hergestellt werden. Dafür muss die Reproduktion jedoch einer Originalurkunde so ähnlich sein, dass die Möglichkeit einer Verwechslung nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. mwN BGH, wistra 2010, 184, 185; Fischer, StGB 58. Aufl. § 267 Rn. 22). Daran fehlt es hier. Die Ausdrucke der Computerdatei des gescannten Personalausweises wiesen nicht die typischen Authentizitätsmerkmale auf, die einen Originalausweis prägen. Sie sollten nach ihrem Dokumentationszweck wie Kopien verwendet werden und spiegelten erkennbar lediglich ein Abbild eines Personalausweises wider.
11
Da der von den Ausdrucken der Computerdatei jeweils abgebildete Personalausweis tatsächlich nicht existierte und diesbezüglich somit zu keinem Zeitpunkt eine falsche Urkunde vorgelegen hat, erfüllt die Verwendung dieser Ausdrucke auch nicht den Tatbestand der Urkundenfälschung in Form des Gebrauchens einer unechten Urkunde (vgl. Fischer, aaO § 267 Rn. 37), wie es das Landgericht in seinen sich auf die Angabe des Endergebnisses beschränkenden Ausführungen zur rechtlichen Würdigung angenommen hat (UA S. 11).
12
b) Eine hier in Betracht zu ziehende Urkundenfälschung durch eine Anfertigung der mit fingierten Namen unterzeichneten "Scheinverträge" bzw. Kundenaufträge und deren Weiterleitung hat die Strafkammer demgegenüber nicht erwogen.

Fischer Appl Berger Eschelbach Ott

Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 507/02
vom
11. März 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u. a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. März
2003, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Dr. Kolz,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenkläger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge- richts München I vom 16. April 2002, soweit es ihn betrifft, im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben
a) soweit der Angeklagte wegen Diebstahls verurteilt wurde;
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
3. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
4. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


I.


1. Die Jugendkammer hat festgestellt:

a) In der Nacht vom 18. auf 19. März 2001 hielten sich nur noch der 19jährige Angeklagte und der Kellner P. in einem Münchener Lokal auf und tranken Whisky. Der Angeklagte glaubte, er sei eingeladen. Als er zahlen sollte, gab es Streit, P. drohte mit Anzeige wegen Zechprellerei. Dies erregte den Angeklagten so, daß er aus seiner Jacke, die er abgelegt hatte, ein großes Küchenmesser - er ging „nachts nie unbewaffnet“ aus - nahm und P. in Tötungsabsicht in den Rumpf stieß. P. flüchtete; der Angeklagte verfolgte ihn durch die Küche bis in den Innenhof einer Wohnanlage, wo er erneut so heftig auf ihn einstach, daß das Messer nicht unerheblich beschädigt wurde. Der Angeklagte schrie so laut, daß Anwohner der Wohnanlage erwachten. Sie verstanden einzelne Worte, wie z. B. er lasse sich nicht „verarschen“ und „Zechprellerei“. Der Angeklagte ließ schließlich von P. ab und ging in das Lokal zurück. Er wollte seine Jacke holen, entschloß sich dann aber, dort zu stehlen und nahm die gefüllte Bedienungsgeldtasche P. s an sich. Dann verließ er das Lokal, wobei er das Messer, mit dem er P. niedergestochen hatte, auf den Küchenboden warf. P. starb am nächsten Tag an den Stichverletzungen.

b) Am 5. April 2001 bemerkten der Angeklagte und der rechtskräftig abgeurteilte frühere Mitangeklagte A. in einem (anderen) Lokal die gut gefüllte Geldtasche des Wirts. Insbesondere auf Drängen von A. beschlossen sie,
den Wirt zu überfallen und versteckten sich in der Nähe des Lokals. Als der Wirt und ein Begleiter das Lokal verließen, fielen der Angeklagte und A. über sie her, der Angeklagte schlug mit einem Vierkantholz auf sie ein. Der Begleiter ging bewußtlos zu Boden, der Wirt konnte fliehen. Er ließ dabei eine Tüte mit 4.000 DM zurück, die sich der Angeklagte und A. teilten.
2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat die Jugendkammer den Angeklagten unter Anwendung von allgemeinem Strafrecht (Erwachsenenstrafrecht ) wie folgt verurteilt: Im ersten Komplex wegen Totschlags zu zehn Jahren Freiheitsstrafe sowie wegen Diebstahls zu 6 Monaten Freiheitsstrafe; im zweiten Komplex wegen schweren Raubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu fünf Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe. Aus diesen Strafen hat sie eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren gebildet.
3. Gegen dieses Urteil richten sich die auf die Sachrüge gestützten Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft.
Die uneingeschränkt eingelegte Revision des Angeklagten führt näher aus, es sei zu Unrecht allgemeines Strafrecht angewendet worden. Sie hat zum Strafausspruch Erfolg. Die Staatsanwaltschaft wendet sich allein dagegen, daß der Angeklagte im ersten Komplex nicht wegen aus Habgier begangenen Mordes verurteilt wurde. Insoweit hat sie keinen Erfolg; das Rechtsmittel führt aber zur Aufhebung der Verurteilung wegen Diebstahls und damit auch der Gesamtstrafe.

II.


Die Revision des Angeklagten:
1. Der Schuldspruch enthält keinen Fehler zum Nachteil des Angeklagten. Näherer Ausführung bedarf nur folgendes:

a) Gegen die Begründung, mit der die Jugendkammer Diebstahl an der Bedienungsgeldtasche bejaht, bestehen allerdings rechtliche Bedenken. Gleichwohl tragen die Feststellungen die Annahme eines Diebstahls.
Die Jugendkammer nimmt an, der niedergestochene P. habe zwar wegen seines Zustandes keinen Gewahrsam an seiner Geldtasche mehr gehabt , der Angeklagte habe jedoch den Mitgewahrsam des abwesenden Lokalinhabers gebrochen.
Ein Angestellter, der allein eine Kasse zu verwalten und über deren Inhalt abzurechnen hat, hat in der Regel Alleingewahrsam am Kasseninhalt (BGH NStZ-RR 2001, 268; BGH, Urteil vom 7. November 2000 - 1 StR 377/00 m.w. N.). Ob für die Geldtasche des allein im Lokal anwesendern Kellners anderes gelten könnte, erscheint fraglich. P. hatte jedoch bis zu seinem Tod Gewahrsam an seiner Habe (BGH NJW 1985, 1911 m.w.N.).

b) Tateinheit (§ 52 StGB) zwischen Totschlag und Diebstahl (vgl. BGHSt 47, 243 m.w.N.) liegt nicht vor. Die Feststellung zum Zeitpunkt, zu dem der Angeklagte den Vorsatz zur Wegnahme der Bedienungsgeldtasche faßte, beruht nicht auf dem Zweifelssatz, sondern auf der Überzeugung der Jugendkammer.
2. Der Strafausspruch hat keinen Bestand. Die Jugendkammer hat auf den zur Tatzeit heranwachsenden Angeklagten allgemeines Strafrecht angewendet. Weder sei der Angeklagte noch einem Jugendlichen gleichzusetzen (§ 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG) noch lägen Jugendverfehlungen vor (§ 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG). Die Revision macht zutreffend geltend, daß die Ablehnung der Anwendung von Jugendstrafrecht nicht rechtsfehlerfrei begründet ist.

a) Gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG ist auf einen Heranwachsenden Jugendstrafrecht anzuwenden, wenn die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand. Das JGG geht bei der Beurteilung des Reifegrades nicht von festen Altersgrenzen aus, sondern es stellt auf eine dynamische Entwicklung des noch jungen Menschen zwischen 18 und 21 Jahren ab. Einem Jugendlichen gleichzustellen ist der noch ungefestigte und prägbare Heranwachsende , bei dem Entwicklungskräfte noch in größerem Umfang wirksam sind. Hat der Angeklagte dagegen bereits die einen jungen Erwachsenen kennzeichnende Ausformung erfahren, dann ist er nicht mehr einem Jugendlichen gleichzustellen und auf ihn ist allgemeines Strafrecht anzuwenden. Dabei steht die Anwendung von Jugendstrafrecht oder allgemeinem Strafrecht nicht im Verhältnis von Regel und Ausnahme; § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG stellt keine Vermutung für die grundsätzliche Anwendung des einen oder anderen Rechts dar. Nur wenn dem Tatrichter, dem bei der Entscheidung dieser Frage ein weites Ermessen eingeräumt ist, nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten Zweifel verbleiben, muß er die Sanktionen dem Jugendstrafrecht entnehmen (vgl. Senatsurteil vom 9. August 2001 - 1 StR 211/01 = BGH NJW 2002, 72 ff. m.w.N.).


b) Zur bisherigen Entwicklung des Angeklagten und zu seinem Umfeld hat die Jugendkammer festgestellt:
Die Familie des Angeklagten lebt in einer Unterkunft für „nicht vermittelbare Mieter“. Handgreiflichkeiten sind „an der Tagesordnung“. Im Umfeld herrschen „schwierige soziale Verhältnisse, Kriminalität, Alkoholismus und Drogenkonsum“. Der Angeklagte, „ein wildes, trotziges Kind“, wurde nach drei Monaten Schulzeit „in die Sonderschule für Erziehungsschwierige umgeschult“. Nach mehreren Schulwechseln wurde er mit 16 Jahren von der Schule verwiesen. Darauf steigerte er seinen früh begonnen Konsum von Alkohol und Drogen. Er lebte „nur noch in den Tag hinein“, sämtliche Versuche, ihn zu einer Ausbildung oder einer Arbeit oder auch zum Erwerb des Führerscheins zu veranlassen , scheiterten an seinem Desinteresse. Soweit er nicht von seinem Vater „ausgehalten“ wurde, beging er Straftaten.

c) Aus alledem ergibt sich ohne weiteres, daß allgemeines Strafrecht nicht wegen einer „normalen Reifeentwicklung“ ohne „Auffälligkeiten in der geistigen und sittlichen Entwicklung“ (BGH NStZ 1984, 467 m.w.N.) angewendet worden ist. Die Jugendkammer ist vielmehr nach Beratung durch zwei Sachverständige zu dem Ergebnis gekommen, wegen des beim Angeklagten schon im Vorschulalter einsetzenden Fehlverhaltens und seiner normen- und wertemißachtenden Delinquenz bestünden kaum Chancen einer Nachreifung. „Die Zusammenschau der maßgeblichen Umstände und seiner Delinquenz führt zu dem Schluß, daß die vom Angeklagten ausgehenden Aggressionen auf Störungen beruhen, die bereits bei dem 19 ½ jährigen Angeklagten unbehebbar waren“. Mit dieser Formulierung geht die Jugendkammer ersichtlich davon
aus, daß beim Angeklagten Entwicklungsrückstände vorliegen. Sie nimmt jedoch an, diese Rückstände seien nicht behebbar, so daß die Entwicklung des Angeklagten bei den Taten bereits abgeschlossen war. Nur deshalb stehe er einem Jugendlichen nicht mehr gleich.
d ) Wie der Senat bereits ausgeführt hat (BGH NJW 2002, 72 ff.; ebenso BGH, Urteil vom 6. März 2003 - 4 StR 493/02), ist Jugendstrafrecht auch dann unanwendbar, wenn der Heranwachsende zwar noch einem Jugendlichen gleich steht, er seine Entwicklung aber bereits abgeschlossen hat. Kann nicht mehr erwartet werden, daß er über die erreichte Entwicklungsstufe hinaus gelangt und daß die im Jugendstrafrecht vorgesehenen Rechtsfolgen bei ihm noch wirksam werden können, so ist auf ihn allgemeines Strafrecht anzuwenden. Allerdings ist erfahrungsgemäß eine die Chancen jeder Nachreifung gering achtende, pessimistische Einschätzung völliger Entwicklungsunfähigkeit bereits in der Phase zwischen 18 und 21 Jahren nur ausnahmsweise mit der erforderlichen hohen prognostischen Sicherheit möglich; sie erfordert eine Zusammenschau aller für die gesamte Entwicklung maßgeblichen Umstände und deren eingehende Würdigung. Dem werden die Ausführungen der Jugendkammer nicht in jeder Hinsicht gerecht:
(1) So hat der Sachverständige Dr. L. , dem sich die Jugendkammer (ebenso wie dem Sachverständigen Dr. F. ) in vollem Umfang anschließt , ausgeführt, daß der Angeklagte „eine Reihe guter Möglichkeiten aufweise , die sich im Umgang mit seiner materiellen Umwelt und in deren Handhabung niederschlügen“. Dies ist nicht näher ausgeführt. Die Feststellungen zur Lebensführung des Angeklagten lassen nicht erkennen, daß sich hierin „gute Möglichkeiten“ niederschlagen. Andererseits sprechen „gute Möglichkei-
ten“ eines jungen Menschen hinsichtlich seines Umgangs mit der Umwelt dafür, daß zumindest eine gewisse Aussicht besteht, daß sich diese Möglichkeiten noch realisieren werden. Mit der weittragenden Diagnose unbehebbarer Entwicklungsrückstände erscheint dies jedenfalls ohne nähere Darlegung unvereinbar.
(2) Sind, wie hier, schwerwiegende Gewaltdelikte abzuurteilen, so ist die erforderliche Gesamtwürdigung insbesondere auch auf Erkenntnisse zum Umgang mit Aggression und Gewalt zu erstrecken (Senat aaO, 76).
Hier sind jedoch schon die Feststellungen zu der - auch nur eher pauschal gewürdigten - Delinquenz des Angeklagten nicht klar:
Der Angeklagte wurde zwischen 1997 und 2001 insgesamt sechs Mal vorgeahndet, mehrfach wegen Diebstahls, außerdem wegen Hausfriedensbruchs , Urkundenfälschung, Nötigung und Erwerbs von Betäubungsmitteln. Näheres zu den Taten ist nicht mitgeteilt, es wurden aber nur deutlich unter der Schwelle von Jugendstrafe liegende Maßnahmen nach dem JGG verhängt. Anhaltspunkte für besondere Gewalttätigkeiten ergeben sich aus alledem nicht. Allerdings führt die Jugendkammer aus, der Angeklagte sei viel häufiger und schwerwiegender straffällig geworden, als sich aus den Feststellungen zu den Vorahndungen ergebe; er sei aber „meist nicht erwischt“ worden. Grundsätzlich sind in die in Rede stehende Gesamtwürdigung auch Erkenntnisse über nicht abgeurteilte Straftaten einzubeziehen. Dies kann jedoch nur auf der Grundlage konkreter und tatsächlich klarer Feststellungen geschehen. Daran fehlt es.
(a) Der Angeklagte schloß sich mit etwa 14 Jahren „einer Clique aus mehr als 50 Jugendlichen (an), die ihre Zeit mit Alkohol trinken, Haschisch rauchen und Aggressionen gegenüber anderen Leuten verbrachten“. Der bloße Hinweis auf nicht näher beschriebene Aggressionen aus einer großen Gruppe heraus (vgl. allgemein zu „Gruppendynamik und Jugendstrafrecht“ Hoffmann, StV 2001, 196 ff.) kann jedoch schwerwiegende Gewaltdelinquenz des Angeklagten nicht belegen.
(b) Nach der Schulentlassung verschaffte sich der Angeklagte Geld „durch Kleindealen mit Haschisch, Wohnungs- und Kellereinbrüche und ‚Ablinken ‘ von Geld, Schmuck und Kleidung“. Näheres hierzu ist nicht mitgeteilt. Es bleibt daher unklar, ob sich der Angeklagte Geld, Schmuck und Kleidung eher betrügerisch oder eher gewaltsam beschafft hat. Es macht jedoch offensichtlich (auch) im Hinblick auf die Frage einer möglichen Nachreifung einen erheblichen Unterschied, ob die hier abgeurteilten Taten Teile einer Kette schwerwiegender Raub- oder sonstiger Gewaltdelikte sind, oder ob der Angeklagte bisher vor allem Straftaten begangen hat, die - wie etwa Einbrüche und Rauschgifthandel - zwar nicht leicht wiegen, aber auch nicht von Gewalttätigkeit gekennzeichnet sind.

e) Auch gegen die Ausführungen, mit denen die Jugendkammer das Vorliegen von Jugendverfehlungen (§ 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG) ablehnt, bestehen rechtliche Bedenken. Zwar hat der Tatrichter auch insoweit einen weiten Beurteilungsspielraum (BGH NStZ – RR 1999, 26, 27 m.w.N.) und die bisherigen Feststellungen zu Taten und Täter drängen die Annahme von Jugendverfehlungen jedenfalls nicht auf. Die Jugendkammer beschränkt sich jedoch auf den Hinweis, die Verneinung von Jugendverfehlungen bedürfe keiner näheren Er-
örterung. Dies ermöglicht dem Senat nicht die Überprüfung, ob die Jugendkammer dabei von einem rechtlich zutreffenden Maßstab ausgegangen ist (vgl. zu alledem zusammenfassend BGH StV 2001, 181 f. m.w.N.).
3. Um der neu zur Entscheidung berufenen Jugendkammer einheitliche Feststellungen als Grundlage der neuen Strafzumessung zu ermöglichen, hebt der Senat die der Strafzumessung zugehörigen Feststellungen insgesamt auf. Er bemerkt jedoch, daß die Ausführungen der Jugendkammer zur Schuldfähigkeit des Angeklagten bei den Taten für sich genommen Rechtsfehler nicht erkennen lassen.

III.


Die Revision der Staatsanwaltschaft:
1. Die Staatsanwaltschaft hält die Annahme, der Angeklagte habe sich erst zur Wegnahme der Bedienungsgeldtasche entschlossen, nachdem er P. niedergestochen hatte, für rechtsfehlerhaft. Zur Begründung verweist sie nicht zuletzt auf den Akteninhalt sowie auf Gang und Ergebnis der Hauptverhandlung. Das Revisionsgericht gleicht jedoch weder die Urteilsgründe mit dem Akteninhalt ab, noch rekonstruiert es Gang und Ergebnis der Hauptverhandlung (st. Rspr., vgl. zusammenfassend Wahl, NJW – Sonderheft für G. Schäfer 2002, 73 m.N.). Eine zulässige Verfahrensrüge ist insoweit nicht erhoben. Im übrigen erschöpft sich das Vorbringen in dem Versuch, die Beweiswürdigung der Jugendkammer durch eine eigene zu ersetzen, ohne jedoch Rechtsfehler aufzuzeigen, wie auch der Generalbundesanwalt in der Haupt-
verhandlung vor dem Senat ebenso wie schon in seinem schriftlichen Antrag vom 12. Dezember 2002 zutreffend ausgeführt hat.
2. Die Prüfung weiterer Mordmerkmale war nicht erforderlich.

a) Der Angeklagte glaubte, er sei von P. eingeladen worden, dessen Vorwurf der Zechprellerei versetzte ihn in Wut (I 1 a). Die Beanstandung der Staatsanwaltschaft, trotz einer Zechprellerei sei Verdeckungsmord nicht geprüft worden, geht ins Leere.

b) Wie der Generalbundesanwalt in der Hauptverhandlung vor dem Senat zutreffend ausgeführt hat, war auch eine Erörterung von Heimtücke nicht geboten.
Die Jugendkammer hat festgestellt, daß der Angeklagte vor dem ersten, bereits in Tötungsabsicht gesetzten Stich „das ... Messer ... holte und auf ... P. losging“. Dies legt die Annahme, P. sei bei Beginn dieses Angriffs arglos im Sinne des Mordmerkmals der Heimtücke gewesen (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13 und 17 m. zahlr. N.) nicht nahe. Es ist auch nicht erkennbar, worauf sich nach dem Tode P. s noch Feststellungen darüber stützen ließen, wann er die ihm drohende Gefahr erkannte (vgl. BGHSt 33, 363, 365).
3. Es wäre jedoch Diebstahl mit Waffen (§ 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB) zu prüfen gewesen. Der Angeklagte hat das Messer, mit dem er P. erstochen hatte, erst beim Verlassen des Lokals weggeworfen, hatte es also bei dem Diebstahl bei sich. Ein (großes) Küchenmesser fällt an sich unter § 244
Abs. 1 Nr. 1 a StGB (vgl. BGHSt 43, 265, 269; BayObLG NJW 1999, 2535 f.; Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 244 Rdn. 3 jew. m.w.N.). Ob es trotz seiner Beschädigungen (vgl. I 1 a) noch funktionsfähig war (vgl. Tröndle/Fischer aaO Rdn. 12 m.w.N.), bedarf tatrichterlicher Prüfung, ebenso die subjektiven Voraussetzungen von § 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB (vgl. hierzu BGH NStZ- RR 2003, 12 f. m.N.).
4. Auch unabhängig davon enthält die Strafzumessung wegen des Diebstahls einen den Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler, da § 243 StGB nicht geprüft ist, obwohl die Voraussetzungen des Regelbeispiels gemäß § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StGB vorliegen. Der schwerverletzte P. war hilflos und konnte deshalb die Wegnahme seiner Bedienungsgeldtasche nicht verhindern. Der Grund der Hilflosigkeit des Opfers ist ohne Bedeutung (Tröndle /Fischer aaO § 243 Rdn. 21). Daher fällt es auch unter das Regelbeispiel, wenn der Täter eine von ihm selbst aus anderen Gründen herbeigeführte Hilflosigkeit des Opfers für einen auf Grund neuen Entschlusses begangenen Diebstahl ausnutzt ( BGH, Beschluß vom 19. Februar 2002 – 1 StR 28/02).
5. Läge bewaffneter Diebstahl vor (vgl. III 3), würde § 243 StGB dahinter zurücktreten (BGHSt 33, 50, 53 m.w.N.). Dies stünde der strafschärfenden Berücksichtigung des Umstandes, daß zugleich ein Hilfloser bestohlen wurde, nicht entgegen (vgl. BGHSt 21, 183, 185; BGH, Beschlüsse vom 19. November 1981 – 4 StR 498/81 und vom 9. März 1977 – 3 StR 512/76); das gesteigerte Unrecht eines bewaffnet begangenen Diebstahls steht in keinem inneren Zusammenhang mit dem ebenfalls gesteigerten Unrecht eines Diebstahls zum Nachteil eines Hilflosen (vgl. auch BGH b. Pfister NStZ - RR 2001, 365 m.N.).
6. Mit der Aufhebung der Verurteilung wegen Diebstahls entfällt die Gesamtstrafe. Ein Einfluß der aufgezeigten Mängel auf die Einzelstrafe wegen des Totschlags ist ausgeschlossen. Da sie auch sonst ohne den Angeklagten begünstigenden Fehler festgesetzt wurde, ist die Revision der Staatsanwaltschaft
(auch) insoweit zu verwerfen. Darauf, daß dieses Rechtsmittel auch zu Gunsten des Angeklagten wirkt (§ 301 StPO), kommt es nicht an, da der Strafausspruch schon auf die Revision des Angeklagten aufzuheben war (BGH, Urteil vom 23. Januar 2003 - 4 StR 412/02; BGH VRS 50, 369, 370; Hanack in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 301 Rdn. 9 jew. m.w.N.).
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