Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 507/02
vom
11. März 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u. a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. März
2003, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Dr. Kolz,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenkläger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge- richts München I vom 16. April 2002, soweit es ihn betrifft, im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben
a) soweit der Angeklagte wegen Diebstahls verurteilt wurde;
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
3. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
4. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


I.


1. Die Jugendkammer hat festgestellt:

a) In der Nacht vom 18. auf 19. März 2001 hielten sich nur noch der 19jährige Angeklagte und der Kellner P. in einem Münchener Lokal auf und tranken Whisky. Der Angeklagte glaubte, er sei eingeladen. Als er zahlen sollte, gab es Streit, P. drohte mit Anzeige wegen Zechprellerei. Dies erregte den Angeklagten so, daß er aus seiner Jacke, die er abgelegt hatte, ein großes Küchenmesser - er ging „nachts nie unbewaffnet“ aus - nahm und P. in Tötungsabsicht in den Rumpf stieß. P. flüchtete; der Angeklagte verfolgte ihn durch die Küche bis in den Innenhof einer Wohnanlage, wo er erneut so heftig auf ihn einstach, daß das Messer nicht unerheblich beschädigt wurde. Der Angeklagte schrie so laut, daß Anwohner der Wohnanlage erwachten. Sie verstanden einzelne Worte, wie z. B. er lasse sich nicht „verarschen“ und „Zechprellerei“. Der Angeklagte ließ schließlich von P. ab und ging in das Lokal zurück. Er wollte seine Jacke holen, entschloß sich dann aber, dort zu stehlen und nahm die gefüllte Bedienungsgeldtasche P. s an sich. Dann verließ er das Lokal, wobei er das Messer, mit dem er P. niedergestochen hatte, auf den Küchenboden warf. P. starb am nächsten Tag an den Stichverletzungen.

b) Am 5. April 2001 bemerkten der Angeklagte und der rechtskräftig abgeurteilte frühere Mitangeklagte A. in einem (anderen) Lokal die gut gefüllte Geldtasche des Wirts. Insbesondere auf Drängen von A. beschlossen sie,
den Wirt zu überfallen und versteckten sich in der Nähe des Lokals. Als der Wirt und ein Begleiter das Lokal verließen, fielen der Angeklagte und A. über sie her, der Angeklagte schlug mit einem Vierkantholz auf sie ein. Der Begleiter ging bewußtlos zu Boden, der Wirt konnte fliehen. Er ließ dabei eine Tüte mit 4.000 DM zurück, die sich der Angeklagte und A. teilten.
2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat die Jugendkammer den Angeklagten unter Anwendung von allgemeinem Strafrecht (Erwachsenenstrafrecht ) wie folgt verurteilt: Im ersten Komplex wegen Totschlags zu zehn Jahren Freiheitsstrafe sowie wegen Diebstahls zu 6 Monaten Freiheitsstrafe; im zweiten Komplex wegen schweren Raubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu fünf Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe. Aus diesen Strafen hat sie eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren gebildet.
3. Gegen dieses Urteil richten sich die auf die Sachrüge gestützten Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft.
Die uneingeschränkt eingelegte Revision des Angeklagten führt näher aus, es sei zu Unrecht allgemeines Strafrecht angewendet worden. Sie hat zum Strafausspruch Erfolg. Die Staatsanwaltschaft wendet sich allein dagegen, daß der Angeklagte im ersten Komplex nicht wegen aus Habgier begangenen Mordes verurteilt wurde. Insoweit hat sie keinen Erfolg; das Rechtsmittel führt aber zur Aufhebung der Verurteilung wegen Diebstahls und damit auch der Gesamtstrafe.

II.


Die Revision des Angeklagten:
1. Der Schuldspruch enthält keinen Fehler zum Nachteil des Angeklagten. Näherer Ausführung bedarf nur folgendes:

a) Gegen die Begründung, mit der die Jugendkammer Diebstahl an der Bedienungsgeldtasche bejaht, bestehen allerdings rechtliche Bedenken. Gleichwohl tragen die Feststellungen die Annahme eines Diebstahls.
Die Jugendkammer nimmt an, der niedergestochene P. habe zwar wegen seines Zustandes keinen Gewahrsam an seiner Geldtasche mehr gehabt , der Angeklagte habe jedoch den Mitgewahrsam des abwesenden Lokalinhabers gebrochen.
Ein Angestellter, der allein eine Kasse zu verwalten und über deren Inhalt abzurechnen hat, hat in der Regel Alleingewahrsam am Kasseninhalt (BGH NStZ-RR 2001, 268; BGH, Urteil vom 7. November 2000 - 1 StR 377/00 m.w. N.). Ob für die Geldtasche des allein im Lokal anwesendern Kellners anderes gelten könnte, erscheint fraglich. P. hatte jedoch bis zu seinem Tod Gewahrsam an seiner Habe (BGH NJW 1985, 1911 m.w.N.).

b) Tateinheit (§ 52 StGB) zwischen Totschlag und Diebstahl (vgl. BGHSt 47, 243 m.w.N.) liegt nicht vor. Die Feststellung zum Zeitpunkt, zu dem der Angeklagte den Vorsatz zur Wegnahme der Bedienungsgeldtasche faßte, beruht nicht auf dem Zweifelssatz, sondern auf der Überzeugung der Jugendkammer.
2. Der Strafausspruch hat keinen Bestand. Die Jugendkammer hat auf den zur Tatzeit heranwachsenden Angeklagten allgemeines Strafrecht angewendet. Weder sei der Angeklagte noch einem Jugendlichen gleichzusetzen (§ 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG) noch lägen Jugendverfehlungen vor (§ 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG). Die Revision macht zutreffend geltend, daß die Ablehnung der Anwendung von Jugendstrafrecht nicht rechtsfehlerfrei begründet ist.

a) Gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG ist auf einen Heranwachsenden Jugendstrafrecht anzuwenden, wenn die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand. Das JGG geht bei der Beurteilung des Reifegrades nicht von festen Altersgrenzen aus, sondern es stellt auf eine dynamische Entwicklung des noch jungen Menschen zwischen 18 und 21 Jahren ab. Einem Jugendlichen gleichzustellen ist der noch ungefestigte und prägbare Heranwachsende , bei dem Entwicklungskräfte noch in größerem Umfang wirksam sind. Hat der Angeklagte dagegen bereits die einen jungen Erwachsenen kennzeichnende Ausformung erfahren, dann ist er nicht mehr einem Jugendlichen gleichzustellen und auf ihn ist allgemeines Strafrecht anzuwenden. Dabei steht die Anwendung von Jugendstrafrecht oder allgemeinem Strafrecht nicht im Verhältnis von Regel und Ausnahme; § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG stellt keine Vermutung für die grundsätzliche Anwendung des einen oder anderen Rechts dar. Nur wenn dem Tatrichter, dem bei der Entscheidung dieser Frage ein weites Ermessen eingeräumt ist, nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten Zweifel verbleiben, muß er die Sanktionen dem Jugendstrafrecht entnehmen (vgl. Senatsurteil vom 9. August 2001 - 1 StR 211/01 = BGH NJW 2002, 72 ff. m.w.N.).


b) Zur bisherigen Entwicklung des Angeklagten und zu seinem Umfeld hat die Jugendkammer festgestellt:
Die Familie des Angeklagten lebt in einer Unterkunft für „nicht vermittelbare Mieter“. Handgreiflichkeiten sind „an der Tagesordnung“. Im Umfeld herrschen „schwierige soziale Verhältnisse, Kriminalität, Alkoholismus und Drogenkonsum“. Der Angeklagte, „ein wildes, trotziges Kind“, wurde nach drei Monaten Schulzeit „in die Sonderschule für Erziehungsschwierige umgeschult“. Nach mehreren Schulwechseln wurde er mit 16 Jahren von der Schule verwiesen. Darauf steigerte er seinen früh begonnen Konsum von Alkohol und Drogen. Er lebte „nur noch in den Tag hinein“, sämtliche Versuche, ihn zu einer Ausbildung oder einer Arbeit oder auch zum Erwerb des Führerscheins zu veranlassen , scheiterten an seinem Desinteresse. Soweit er nicht von seinem Vater „ausgehalten“ wurde, beging er Straftaten.

c) Aus alledem ergibt sich ohne weiteres, daß allgemeines Strafrecht nicht wegen einer „normalen Reifeentwicklung“ ohne „Auffälligkeiten in der geistigen und sittlichen Entwicklung“ (BGH NStZ 1984, 467 m.w.N.) angewendet worden ist. Die Jugendkammer ist vielmehr nach Beratung durch zwei Sachverständige zu dem Ergebnis gekommen, wegen des beim Angeklagten schon im Vorschulalter einsetzenden Fehlverhaltens und seiner normen- und wertemißachtenden Delinquenz bestünden kaum Chancen einer Nachreifung. „Die Zusammenschau der maßgeblichen Umstände und seiner Delinquenz führt zu dem Schluß, daß die vom Angeklagten ausgehenden Aggressionen auf Störungen beruhen, die bereits bei dem 19 ½ jährigen Angeklagten unbehebbar waren“. Mit dieser Formulierung geht die Jugendkammer ersichtlich davon
aus, daß beim Angeklagten Entwicklungsrückstände vorliegen. Sie nimmt jedoch an, diese Rückstände seien nicht behebbar, so daß die Entwicklung des Angeklagten bei den Taten bereits abgeschlossen war. Nur deshalb stehe er einem Jugendlichen nicht mehr gleich.
d ) Wie der Senat bereits ausgeführt hat (BGH NJW 2002, 72 ff.; ebenso BGH, Urteil vom 6. März 2003 - 4 StR 493/02), ist Jugendstrafrecht auch dann unanwendbar, wenn der Heranwachsende zwar noch einem Jugendlichen gleich steht, er seine Entwicklung aber bereits abgeschlossen hat. Kann nicht mehr erwartet werden, daß er über die erreichte Entwicklungsstufe hinaus gelangt und daß die im Jugendstrafrecht vorgesehenen Rechtsfolgen bei ihm noch wirksam werden können, so ist auf ihn allgemeines Strafrecht anzuwenden. Allerdings ist erfahrungsgemäß eine die Chancen jeder Nachreifung gering achtende, pessimistische Einschätzung völliger Entwicklungsunfähigkeit bereits in der Phase zwischen 18 und 21 Jahren nur ausnahmsweise mit der erforderlichen hohen prognostischen Sicherheit möglich; sie erfordert eine Zusammenschau aller für die gesamte Entwicklung maßgeblichen Umstände und deren eingehende Würdigung. Dem werden die Ausführungen der Jugendkammer nicht in jeder Hinsicht gerecht:
(1) So hat der Sachverständige Dr. L. , dem sich die Jugendkammer (ebenso wie dem Sachverständigen Dr. F. ) in vollem Umfang anschließt , ausgeführt, daß der Angeklagte „eine Reihe guter Möglichkeiten aufweise , die sich im Umgang mit seiner materiellen Umwelt und in deren Handhabung niederschlügen“. Dies ist nicht näher ausgeführt. Die Feststellungen zur Lebensführung des Angeklagten lassen nicht erkennen, daß sich hierin „gute Möglichkeiten“ niederschlagen. Andererseits sprechen „gute Möglichkei-
ten“ eines jungen Menschen hinsichtlich seines Umgangs mit der Umwelt dafür, daß zumindest eine gewisse Aussicht besteht, daß sich diese Möglichkeiten noch realisieren werden. Mit der weittragenden Diagnose unbehebbarer Entwicklungsrückstände erscheint dies jedenfalls ohne nähere Darlegung unvereinbar.
(2) Sind, wie hier, schwerwiegende Gewaltdelikte abzuurteilen, so ist die erforderliche Gesamtwürdigung insbesondere auch auf Erkenntnisse zum Umgang mit Aggression und Gewalt zu erstrecken (Senat aaO, 76).
Hier sind jedoch schon die Feststellungen zu der - auch nur eher pauschal gewürdigten - Delinquenz des Angeklagten nicht klar:
Der Angeklagte wurde zwischen 1997 und 2001 insgesamt sechs Mal vorgeahndet, mehrfach wegen Diebstahls, außerdem wegen Hausfriedensbruchs , Urkundenfälschung, Nötigung und Erwerbs von Betäubungsmitteln. Näheres zu den Taten ist nicht mitgeteilt, es wurden aber nur deutlich unter der Schwelle von Jugendstrafe liegende Maßnahmen nach dem JGG verhängt. Anhaltspunkte für besondere Gewalttätigkeiten ergeben sich aus alledem nicht. Allerdings führt die Jugendkammer aus, der Angeklagte sei viel häufiger und schwerwiegender straffällig geworden, als sich aus den Feststellungen zu den Vorahndungen ergebe; er sei aber „meist nicht erwischt“ worden. Grundsätzlich sind in die in Rede stehende Gesamtwürdigung auch Erkenntnisse über nicht abgeurteilte Straftaten einzubeziehen. Dies kann jedoch nur auf der Grundlage konkreter und tatsächlich klarer Feststellungen geschehen. Daran fehlt es.
(a) Der Angeklagte schloß sich mit etwa 14 Jahren „einer Clique aus mehr als 50 Jugendlichen (an), die ihre Zeit mit Alkohol trinken, Haschisch rauchen und Aggressionen gegenüber anderen Leuten verbrachten“. Der bloße Hinweis auf nicht näher beschriebene Aggressionen aus einer großen Gruppe heraus (vgl. allgemein zu „Gruppendynamik und Jugendstrafrecht“ Hoffmann, StV 2001, 196 ff.) kann jedoch schwerwiegende Gewaltdelinquenz des Angeklagten nicht belegen.
(b) Nach der Schulentlassung verschaffte sich der Angeklagte Geld „durch Kleindealen mit Haschisch, Wohnungs- und Kellereinbrüche und ‚Ablinken ‘ von Geld, Schmuck und Kleidung“. Näheres hierzu ist nicht mitgeteilt. Es bleibt daher unklar, ob sich der Angeklagte Geld, Schmuck und Kleidung eher betrügerisch oder eher gewaltsam beschafft hat. Es macht jedoch offensichtlich (auch) im Hinblick auf die Frage einer möglichen Nachreifung einen erheblichen Unterschied, ob die hier abgeurteilten Taten Teile einer Kette schwerwiegender Raub- oder sonstiger Gewaltdelikte sind, oder ob der Angeklagte bisher vor allem Straftaten begangen hat, die - wie etwa Einbrüche und Rauschgifthandel - zwar nicht leicht wiegen, aber auch nicht von Gewalttätigkeit gekennzeichnet sind.

e) Auch gegen die Ausführungen, mit denen die Jugendkammer das Vorliegen von Jugendverfehlungen (§ 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG) ablehnt, bestehen rechtliche Bedenken. Zwar hat der Tatrichter auch insoweit einen weiten Beurteilungsspielraum (BGH NStZ – RR 1999, 26, 27 m.w.N.) und die bisherigen Feststellungen zu Taten und Täter drängen die Annahme von Jugendverfehlungen jedenfalls nicht auf. Die Jugendkammer beschränkt sich jedoch auf den Hinweis, die Verneinung von Jugendverfehlungen bedürfe keiner näheren Er-
örterung. Dies ermöglicht dem Senat nicht die Überprüfung, ob die Jugendkammer dabei von einem rechtlich zutreffenden Maßstab ausgegangen ist (vgl. zu alledem zusammenfassend BGH StV 2001, 181 f. m.w.N.).
3. Um der neu zur Entscheidung berufenen Jugendkammer einheitliche Feststellungen als Grundlage der neuen Strafzumessung zu ermöglichen, hebt der Senat die der Strafzumessung zugehörigen Feststellungen insgesamt auf. Er bemerkt jedoch, daß die Ausführungen der Jugendkammer zur Schuldfähigkeit des Angeklagten bei den Taten für sich genommen Rechtsfehler nicht erkennen lassen.

III.


Die Revision der Staatsanwaltschaft:
1. Die Staatsanwaltschaft hält die Annahme, der Angeklagte habe sich erst zur Wegnahme der Bedienungsgeldtasche entschlossen, nachdem er P. niedergestochen hatte, für rechtsfehlerhaft. Zur Begründung verweist sie nicht zuletzt auf den Akteninhalt sowie auf Gang und Ergebnis der Hauptverhandlung. Das Revisionsgericht gleicht jedoch weder die Urteilsgründe mit dem Akteninhalt ab, noch rekonstruiert es Gang und Ergebnis der Hauptverhandlung (st. Rspr., vgl. zusammenfassend Wahl, NJW – Sonderheft für G. Schäfer 2002, 73 m.N.). Eine zulässige Verfahrensrüge ist insoweit nicht erhoben. Im übrigen erschöpft sich das Vorbringen in dem Versuch, die Beweiswürdigung der Jugendkammer durch eine eigene zu ersetzen, ohne jedoch Rechtsfehler aufzuzeigen, wie auch der Generalbundesanwalt in der Haupt-
verhandlung vor dem Senat ebenso wie schon in seinem schriftlichen Antrag vom 12. Dezember 2002 zutreffend ausgeführt hat.
2. Die Prüfung weiterer Mordmerkmale war nicht erforderlich.

a) Der Angeklagte glaubte, er sei von P. eingeladen worden, dessen Vorwurf der Zechprellerei versetzte ihn in Wut (I 1 a). Die Beanstandung der Staatsanwaltschaft, trotz einer Zechprellerei sei Verdeckungsmord nicht geprüft worden, geht ins Leere.

b) Wie der Generalbundesanwalt in der Hauptverhandlung vor dem Senat zutreffend ausgeführt hat, war auch eine Erörterung von Heimtücke nicht geboten.
Die Jugendkammer hat festgestellt, daß der Angeklagte vor dem ersten, bereits in Tötungsabsicht gesetzten Stich „das ... Messer ... holte und auf ... P. losging“. Dies legt die Annahme, P. sei bei Beginn dieses Angriffs arglos im Sinne des Mordmerkmals der Heimtücke gewesen (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13 und 17 m. zahlr. N.) nicht nahe. Es ist auch nicht erkennbar, worauf sich nach dem Tode P. s noch Feststellungen darüber stützen ließen, wann er die ihm drohende Gefahr erkannte (vgl. BGHSt 33, 363, 365).
3. Es wäre jedoch Diebstahl mit Waffen (§ 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB) zu prüfen gewesen. Der Angeklagte hat das Messer, mit dem er P. erstochen hatte, erst beim Verlassen des Lokals weggeworfen, hatte es also bei dem Diebstahl bei sich. Ein (großes) Küchenmesser fällt an sich unter § 244
Abs. 1 Nr. 1 a StGB (vgl. BGHSt 43, 265, 269; BayObLG NJW 1999, 2535 f.; Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 244 Rdn. 3 jew. m.w.N.). Ob es trotz seiner Beschädigungen (vgl. I 1 a) noch funktionsfähig war (vgl. Tröndle/Fischer aaO Rdn. 12 m.w.N.), bedarf tatrichterlicher Prüfung, ebenso die subjektiven Voraussetzungen von § 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB (vgl. hierzu BGH NStZ- RR 2003, 12 f. m.N.).
4. Auch unabhängig davon enthält die Strafzumessung wegen des Diebstahls einen den Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler, da § 243 StGB nicht geprüft ist, obwohl die Voraussetzungen des Regelbeispiels gemäß § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StGB vorliegen. Der schwerverletzte P. war hilflos und konnte deshalb die Wegnahme seiner Bedienungsgeldtasche nicht verhindern. Der Grund der Hilflosigkeit des Opfers ist ohne Bedeutung (Tröndle /Fischer aaO § 243 Rdn. 21). Daher fällt es auch unter das Regelbeispiel, wenn der Täter eine von ihm selbst aus anderen Gründen herbeigeführte Hilflosigkeit des Opfers für einen auf Grund neuen Entschlusses begangenen Diebstahl ausnutzt ( BGH, Beschluß vom 19. Februar 2002 – 1 StR 28/02).
5. Läge bewaffneter Diebstahl vor (vgl. III 3), würde § 243 StGB dahinter zurücktreten (BGHSt 33, 50, 53 m.w.N.). Dies stünde der strafschärfenden Berücksichtigung des Umstandes, daß zugleich ein Hilfloser bestohlen wurde, nicht entgegen (vgl. BGHSt 21, 183, 185; BGH, Beschlüsse vom 19. November 1981 – 4 StR 498/81 und vom 9. März 1977 – 3 StR 512/76); das gesteigerte Unrecht eines bewaffnet begangenen Diebstahls steht in keinem inneren Zusammenhang mit dem ebenfalls gesteigerten Unrecht eines Diebstahls zum Nachteil eines Hilflosen (vgl. auch BGH b. Pfister NStZ - RR 2001, 365 m.N.).
6. Mit der Aufhebung der Verurteilung wegen Diebstahls entfällt die Gesamtstrafe. Ein Einfluß der aufgezeigten Mängel auf die Einzelstrafe wegen des Totschlags ist ausgeschlossen. Da sie auch sonst ohne den Angeklagten begünstigenden Fehler festgesetzt wurde, ist die Revision der Staatsanwaltschaft
(auch) insoweit zu verwerfen. Darauf, daß dieses Rechtsmittel auch zu Gunsten des Angeklagten wirkt (§ 301 StPO), kommt es nicht an, da der Strafausspruch schon auf die Revision des Angeklagten aufzuheben war (BGH, Urteil vom 23. Januar 2003 - 4 StR 412/02; BGH VRS 50, 369, 370; Hanack in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 301 Rdn. 9 jew. m.w.N.).
Nack Wahl Boetticher Schluckebier Kolz

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gegen
wegen schweren Raubes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 7. November
2000, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
und die Richter am Bundesgerichtshof
Nack,
Dr. Wahl,
Schluckebier,
Schaal,
Bundesanwalt und Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

I.

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 8. Februar 2000, soweit es ihn betrifft, im Schuldspruch dahin abgeändert, daß der Angeklagte im Fall B I der Urteilsgründe der Unterschlagung und im Fall B VIII der Urteilsgründe der schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit Geiselnahme schuldig ist, und im gesamten Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen. 3. Die Ä nderung des Schuldspruchs im Fall B I der Urteilsgründe gilt auch für den früheren Mitangeklagten S. . 4. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil, soweit es den Angeklagten betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben soweit von der Anordnung von Sicherungsverwahrung abgesehen ist und im gesamten Strafausspruch.

II.

Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

I.

1. Die Strafkammer hat folgendes festgestellt:
a) Der Angeklagte hat am 5. Oktober 1998 nachts zusammen mit dem früheren Mitangeklagten S. im Einvernehmen mit dem Nachtkassierer einen bewaffneten Überfall auf eine Tankstelle fingiert, wobei ihm dieser den Kasseninhalt (mindestens 7.100 DM) sowie dreihundert Telefonkarten im Wert von insgesamt 3.600 DM aushändigte. Unbeteiligte Dritte waren nicht anwesend (Fall B I der Urteilsgründe).
b) Zwischen dem 19. Oktober und dem 28. November 1998 hat der Angeklagte sieben bewaffnete Überfälle begangen, sechs davon auf Drogeriemärkte , einen auf einen Lebensmittelmarkt. Einmal war er allein, viermal handelte er mit S. z usammen, in den letzten beiden Fällen handelte er zusammen mit dem Mitangeklagten E. (Fälle B II bis B VIII der Urteilsgründe).
c) Als sich der Angeklagte und E. nach der letzten Tat mit der Beute entfernen wollten, war der Drogeriemarkt von Polizei umstellt. Sie nahmen daher vier Angestellte des Drogeriemarkts mit Waffengewalt als Geiseln und forderten in stundenlangen Verhandlungen von der Polizei vergeblich freien Abzug, ehe sie sich, ersichtlich wegen Aussichtslosigkeit ihrer Bemühungen , ergaben (ebenso wie der Überfall Fall B VIII der Urteilsgründe). 2. Den fingierten Überfall auf die Tankstelle hat die Strafkammer wegen Bruchs des Gewahrsams des Tankstellenpächters als Diebstahl gewertet. Hierfür hat sie eine Einzelstrafe von zwei Jahren verhängt. Die Überfälle hat die Strafkammer je nach dem konkreten Geschehensablauf in drei Fällen als
schwere räuberische Erpressung in Tateinheit mit schwerem Raub, in drei Fällen als schwere räuberische Erpressung und in einem Fall als schweren Raub gewertet. Die hierfür jeweils verhängten Einzelstrafen liegen zwischen sechs und sieben Jahren. Wegen der Geiselnahme hat die Strafkammer eine weitere Strafe von fünf Jahren verhängt. Aus den genannten Strafen wurde eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren gebildet. Von Maßnahmen der Besserung und Sicherung hat die Strafkammer abgesehen. 3. Gegen dieses Urteil richtet sich die unbeschränkt eingelegte Revision des Angeklagten, die auf die Sachrüge und eine Reihe von Verfahrensrügen gestützt ist. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision nur dagegen, daß keine Sicherungsverwahrung angeordnet wurde. Die Revision des Angeklagten hat teilweise, die der Staatsanwaltschaft in vollem Umfang Erfolg. Die Revision der Staatsanwaltschaft führt zugleich dazu, daß der Strafausspruch zugunsten des Angeklagten aufzuheben war.

II.

Zur Revision des Angeklagten: 1. Im Fall B I der Urteilsgründe liegt nicht Diebstahl sondern Unterschlagung (§ 246 StGB) vor.
a) Wie der Generalbundesanwalt vor dem Senat zutreffend ausgeführt hat, hat ein Angestellter, der allein eine Kasse zu verwalten und über deren
Inhalt abzurechnen hat, in aller Regel Alleingewahrsam am Kasseninhalt. Ohne seine Mitwirkung darf niemand Geld aus der Kasse nehmen, damit bei Fehlbeträgen die Verantwortlichkeit festgestellt werden kann. Das generelle Kontrollund Weisungsrecht des Dienstherren gegenüber seinem Bediensteten begründet nicht ohne weiteres den Mitgewahrsam des Dienstherrn (BGHR StGB § 246 Abs. 1 Alleingewahrsam 1 m.w.N.).
b) Hinsichtlich der Telefonkarten gilt unter den hier gegebenen Umständen nichts anderes.
c) Einem Schuldspruch gemäß § 246 StGB steht nicht entgegen, daß der Angeklagte vor der Tat noch nicht im Besitz der Beute war (vgl. Lackner/ Kühl, StGB 23. Aufl. § 246 Rdn. 12 m.w.N.; zur Rechtslage vor der Ä nderung von § 246 StGB durch das 6. StrRG vgl. BGHSt 40, 8, 22 f. m.w.N.).
d) Der Senat ändert den Schuldspruch selbst, da keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, daß noch tatsächliche Feststellungen möglich wären, die eine andere Bewertung rechtfertigen könnten. § 265 StPO steht nicht entgegen , da sich der geständige Angeklagte nicht erfolgversprechender hätte verteidigen können. 2. Im Fall B VIII der Urteilsgründe hat die Strafkammer zu Unrecht Tatmehrheit zwischen der schweren räuberischen Erpressung und der Geiselnahme angenommen. Es besteht Tateinheit, da die Geiselnahme auch der endgültigen Beutesicherung diente (BGHSt 26, 24, 27 f.). Der Senat ändert den Schuldspruch selbst; auch hier hätte sich der geständige Angeklagte nicht erfolgversprechender verteidigen können.
3. Im übrigen hat die auf Grund des Revisionsvorbringen gebotene Überprüfung des Urteils zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. 4. Die Ä nderungen des Schuldspruchs führen hier zu einer Aufhebung des gesamten Strafausspruchs. Zumal, da von den Ä nderungen mehrere Taten betroffen sind und die wegen Geiselnahme verhängte Einzelstrafe entfällt, kann der Senat eine Auswirkung der aufgezeigten Ä nderungen auch auf die übrigen Fälle nicht völlig ausschließen. Damit erledigen sich zugleich die nicht auf den Schuldspruch bezogenen Verfahrensrügen des Angeklagten. Die Grenze der im Fall B VIII neu festzusetzenden Strafe (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) ergibt sich aus der Summe der bisher in diesem Zusammenhang verhängten Einzelstrafen (BGH b. Holtz MDR 1980, 988). 5. Die Ä nderung des Schuldspruchs im Fall B I der Urteilsgründe war auch auf den früheren Mitangeklagten S. z u erstrecken (§ 357 StPO). Der Senat hat jedoch davon abgesehen, die gegen ihn in diesem Fall verhängte Einzelstrafe von einem Jahr und drei Monaten aufzuheben. Es ist zur Überzeugung des Senats ausgeschlossen, daß eine neue Verhandlung für S. , der noch an v ier bewaffneten Überfällen beteiligt war und zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun J ahren verurteilt wurde, ein günstigeres Ergebnis erbringen würde (vgl. BGHR StPO § 357 Erstreckung 3; Kuckein in KK 4. Aufl. § 357 Rdn. 17 m.w.N.). S. ist häufig vorbestraft, darunter allein dreimal wegen (einmal auch mehrfachen) schweren Raubes oder schwerer räuberischer Erpressung und hat deshalb schon insgesamt über acht Jahre Strafe verbüßt.

III.

Zur Revision der Staatsanwaltschaft: 1. Die Strafkammer bejaht sowohl im Hinblick auf frühere Verurteilungen des Angeklagten die formalen Voraussetzungen von § 66 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB, als auch im Hinblick auf die hier abgeurteilten Taten die formalen Voraussetzungen von § 66 Abs. 2 StGB. § 66 Abs. 3 StGB ist dagegen nicht angesprochen. Die bei sämtlichen Alternativen zusätzlich erforderlichen Voraussetzungen von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB werden jedoch verneint: Die Taten gingen nicht unbedingt auf den dissozialen Charakter des Angeklagten zurück. Sie seien vielmehr durch eine innere Erregung des Angeklagten ausgelöst worden, die auf der Verhaftung der Ehefrau des Angeklagten am 21. Mai 1998 wegen Verstoßes gegen Bewährungsauflagen beruhe. Außerdem sei nach sachverständiger Beratung davon auszugehen, "daß durch den natürlichen Alterungsprozeß insbesondere bei Verbüßung einer längeren Freiheitsstrafe die Gefährlichkeit des Angeklagten sich anders darstellen kann". Der Angeklagte werde voraussichtlich erst mit 55 Jahren aus der Strafhaft entlassen. Zumal, da er noch keine längeren Strafen verbüßt habe, reiche die verhängte Strafe aus, seiner "Gefährlichkeit ... zu begegnen". Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand: 2. Allerdings ergeben die Urteilsgründe nicht, daß die formalen Voraussetzungen von § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB vorliegen.
a) Das Urteil vom 21. Juni 1993 hat in diesem Zusammenhang außer Betracht zu bleiben. Der Angeklagte war damals unter Freispruch im übrigen in
einer Entziehungsanstalt untergebracht worden, nachdem er am 25. Januar 1991, trunkenheitsbedingt möglicherweise schuldunfähig, seine Lebensgefährtin mit einer Schußwaffe in Tötungsabsicht verletzt hatte. Da der Angeklagte nicht zu Freiheitsstrafe verurteilt wurde, liegt insoweit keine Vorverurteilung im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB vor (vgl. Stree in Schönke/Schröder StGB 25. Aufl. § 66 Rdn. 12 m.w.N.).
b) Im übrigen hat der Angeklagte am 4. Juni 1986 vergeblich versucht, ein Juweliergeschäft zu überfallen; deshalb wurde er am 30. Oktober 1986 zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, die er voll verbüßt hat. Außerdem wurde er am 30. Juli 1990 wegen vier Vergehen des fahrlässigen Vollrauschs (er war in diesem Zustand zwischen dem 5. Mai und dem 17. August 1988 gegen seine Lebensgefährtin gewalttätig geworden) und eines Verstoßes gegen das Waffengesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Auch diese Strafe hat er voll verbüßt. Die Einzelstrafen betrugen einmal ein Jahr, dreimal sechs Monate und einmal vier Monate. Welche Strafe für welches Delikt verhängt wurde, wird nicht deutlich. Selbst wenn man davon ausgeht, daß die gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB erforderliche Strafe von einem Jahr wegen einer Vorsatztat für das Waffendelikt verhängt wurde, ist jedenfalls die Tatzeit des (auch im übrigen nicht näher geschilderten) Waffendelikts nicht festgestellt. Diese Tat ist aber jedenfalls deutlich länger als fünf Jahre vor den hier abgeurteilten Taten begangen worden. Ob entgegen § 66 Abs. 4 Satz 3 StGB gemäß § 66 Abs. 4 Satz 4 StGB gleichwohl keine Rückfallverjährung eingetreten ist, ist nicht ersichtlich, da auch der Zeitraum, in dem der Angeklagte sich in Strafhaft und im Maßregelvollzug befand, (zuletzt von "1991" bis "August 1994"), nicht präzise festgestellt ist.
3. Unabhängig davon liegen aber jedenfalls die formalen Voraussetzungen von § 66 Abs. 2 und Abs. 3 StGB vor. 4. Die Voraussetzungen von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB sind nicht rechtsfehlerfrei verneint. Die Strafkammer geht für sich genommen rechtsfehlerfrei davon aus, daß die Taten des Angeklagten dafür sprechen, daß er ein gefährlicher Hangtäter ist. Damit ist regelmäßig die bestimmte Gefahr weiterer schwerer Straftaten gegeben (BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 3 m.w.N.). Die von der Strafkammer angeführten gegenteiligen Gesichtspunkte können kein anderes Ergebnis rechtfertigen.
a) Für die Gefährlichkeitsprognose kommt es auf den Urteilszeitpunkt an, jedoch darf der Tatrichter den Wirkungen eines langjährigen Strafvollzuges Bedeutung beimessen, soweit dieser nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung mit hoher prognostischer Sicherheit eine Haltungsänderung des Angeklagten erwarten läßt (st.Rspr., vgl. zuletzt BGH StV 2000, 615, 616 m.w.N.). Diese Sicherheit ergibt sich aber nicht aus der Annahme, daß sich die Gefährlichkeit des Angeklagten bei seiner Haftentlassung anders darstellen "kann". Daß der Angeklagte dann (voraussichtlich) 55 Jahre alt sein wird, kann daran nichts ändern (BGHR aaO Gefährlichkeit 5); Besonderheiten, die hier eine andere Annahme rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich.
b) Bei der Gewichtung der in der hier abgeurteilten Tatserie zum Ausdruck kommenden Gefährlichkeit des Angeklagten stellt die Strafkammer auch auf die Festnahme der Ehefrau als auslösendes Moment ab. Dies ist schon deshalb bedenklich, weil es in der Regel ohne Bedeutung ist, warum sich ein bereits vorhandener Hang gesteigert hat (Stree aaO Rdn. 33 m.w.N.). Zumindest wäre aber zu erörtern gewesen, daß die Taten erst mehrere Monate nach der Festnahme begangen wurden. Darüber hinaus ist festgestellt, daß die
Ehefrau im November 1998 einige Zeit entwichen war und sich beim Angeklagten aufhielt. Auch in dieser Zeit hat der Angeklagte einen Überfall begangen. Damit hat sich die Strafkammer ebenfalls nicht auseinander gesetzt.
c) Soweit die Strafkammer darauf abstellt, daß der Angeklagte längere Haft noch nicht verbüßt hat, ist dies (jedenfalls im Rahmen einer Ermessensentscheidung gemäß § 66 Abs. 2 StGB) ein nicht zu beanstandender Ansatz (BGH StV 1982, 114; NStZ 1985, 261). Die Annahme der Strafkammer ist jedoch mit der Feststellung, daß der Angeklagte - abgesehen von einer Unterbringung im Maßregelvollzug - insgesamt schon mehr als drei Jahre Freiheitsstrafe verbüßt hat, unvereinbar. Über die Anordnung von Sicherungsverwahrung muß nach alledem neu entschieden werden.
5. Die Aufhebung eines Urteils wegen unterbliebener Anordnung von Sicherungsverwahrung kann im Einzelfall auch zur Aufhebung des Strafausspruchs zugunsten des Angeklagten führen, wenn möglicherweise die Strafe bei Anordnung von Sicherungsverwahrung niedriger ausgefallen wäre (BGH StV 2000, 615, 617 m.w.N.). Da die Strafkammer ausdrücklich einen Bezug zwischen der Dauer der Strafe und der Nichtanordnung von Sicherungsverwahrung hergestellt hat, hebt der Senat den Strafausspruch auf. Schäfer Nack Wahl Schluckebier Schaal

(1) Verletzt dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals, so wird nur auf eine Strafe erkannt.

(2) Sind mehrere Strafgesetze verletzt, so wird die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Sie darf nicht milder sein, als die anderen anwendbaren Gesetze es zulassen.

(3) Geldstrafe kann das Gericht unter den Voraussetzungen des § 41 neben Freiheitsstrafe gesondert verhängen.

(4) Auf Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Absatz 1 Nummer 8) muss oder kann erkannt werden, wenn eines der anwendbaren Gesetze dies vorschreibt oder zulässt.

(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, wenn

1.
die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, oder
2.
es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.

(2) § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ist auch dann anzuwenden, wenn der Heranwachsende wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig nach allgemeinem Strafrecht verurteilt worden ist.

(3) Das Höchstmaß der Jugendstrafe für Heranwachsende beträgt zehn Jahre. Handelt es sich bei der Tat um Mord und reicht das Höchstmaß nach Satz 1 wegen der besonderen Schwere der Schuld nicht aus, so ist das Höchstmaß 15 Jahre.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 211/01
vom
9. August 2001
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
Zur Anwendung von Jugendstrafrecht oder von allgemeinem Strafrecht bei
einem heranwachsenden Gewalttäter mit schwerer dissozialer und emotionaler
Persönlichkeitsstörung und daraus entstehenden Zweifeln an weiteren
Entwicklungsfortschritten.
BGH, Urt. vom 9. August 2001 - 1 StR 211/01 - LG München I
wegen Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
7. August 2001 in der Sitzung am 9. August 2001, an denen teilgenommen haben
:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Hebenstreit,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger in der Verhandlung,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenkläger in der Verhandlung,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts München I vom 3. Januar 2001 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten dieses Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die Revision des Angeklagten gegen das vorgenannte Urteil wird als unbegründet verworfen.
Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern durch dieses Rechtsmittel im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.
Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten des Mordes schuldig gesprochen. Nachdem der Senat das erste tatrichterliche Urteil auf die Revision der Staatsanwaltschaft im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben hatte, hat das Landgericht den Angeklagten zu einer Jugendstrafe von zehn Jahren verurteilt. Die in Kroatien erlittene Auslieferungshaft hat es im Verhältnis eins zu eins auf die
verhängte Strafe angerechnet. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf Verfahrensrügen und auf die Sachrüge gestützten Revision die Verurteilung des Angeklagten nach Erwachsenenstrafrecht. Der Angeklagte erhebt Verfahrensrügen und wendet sich gegen die Nichteinbeziehung einer früheren Jugendstrafe (§ 31 Abs. 3 JGG). Er erstrebt eine niedrigere Einheitsjugendstrafe. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg; die Revision des Angeklagten ist unbegründet.

A.

I. Nach den Feststellungen des Landgerichts im bezüglich des Schuldspruchs rechtskräftig gewordenen Urteil vom 2. März 1999 tötete der Angeklagte im Oktober 1993 im “Westpark” in München einen ihm bis dahin völlig unbekannten Mann mit mehreren Messerstichen. Er wollte sich nach einem Streit mit dem Vater seiner damaligen Freundin abreagieren und irgendein Menschenleben vernichten. Die zunächst zur Entscheidung berufene Jugendkammer hat angenommen, der Angeklagte habe die Tat aus Mordlust und sonstigen niedrigen Beweggründen begangen. Sie hat, beraten durch den Sachverständigen Prof. Dr. Nedopil, auf den zur Tatzeit achtzehn Jahre und sechs Monate alten Angeklagten Jugendstrafrecht angewendet (§§ 1 Abs. 2, 105 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 JGG) und – ausgehend von einer für den Mord an sich zu verhängenden Jugendstrafe von zehn Jahren – im Wege des Härteausgleichs für eine bereits teilweise verbüßte Jugendstrafe von fünf Jahren wegen früherer Delikte auf eine Einheitsjugendstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten erkannt.
Die Staatsanwaltschaft hatte sich in der ersten Hauptverhandlung nicht dagegen gewandt, daß die Strafkammer den Angeklagten nach Jugendstrafrecht verurteilt hat. Ihre Revision richtete sich allein gegen die Höhe der Rechtsfolgen und die Bildung der Einheitsjugendstrafe. Sie hatte im wesentlichen die Verhängung einer selbständigen Jugendstrafe von zehn Jahren für den Mord erstrebt.
Der Senat hat mit Urteil vom 14. Dezember 1999 das Urteil des Landgerichts im Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben und in diesem Umfang die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer zurückverwiesen. Aufhebungsgrund war, daß das Landgericht nicht hinreichend geprüft hat, ob aus erzieherischen Gründen von besonderem Gewicht eine weitere Jugendstrafe ohne Einbeziehung der früheren Verurteilungen verhängt werden konnte (§ 31 Abs. 3 JGG). Da der Senat den Rechtsfolgenausspruch insgesamt aufgehoben hatte, war auch über die Anwendung von Jugendstrafrecht neu zu befinden.
II. Die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer hat gegen den Antrag der Staatsanwaltschaft, die eine Verurteilung des Angeklagten zu lebenslanger Freiheitsstrafe gefordert hat, auf diesen erneut Jugendstrafrecht angewendet. Aufgrund eigener Gesamtwürdigung - der Angeklagte hatte sich diesmal nicht von dem Sachverständigen Prof. Dr. Nedopil untersuchen lassen -, ist die Jugendkammer zu dem Ergebnis gekommen, daß beim Angeklagten zum Tatzeitpunkt noch Entwicklungskräfte in größerem Umfang wirksam gewesen waren. Unbehebbare Entwicklungsrückstände, bei deren Vorliegen die Anwendung von Jugendstrafrecht (§ 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG) zweifelhaft sein könne,
hat die Strafkammer nicht feststellen können. Ihm sei eine inzwischen eingetretene Nachreifung nicht abzusprechen. Allerdings sei wegen des noch vorhandenen erheblichen Aggressionspotentials aus erzieherischen Gründen § 31 Abs. 3 JGG anzuwenden. Unter dem Gesichtspunkt des Erziehungszwecks der Strafe lägen Gründe von ganz besonderem Gewicht vor, die es zweckmäßig erscheinen ließen, die Jugendstrafe von zehn Jahren für den Mord als weitere Jugendstrafe zu verhängen. Der Ausnahmetatbestand des § 31 Abs. 3 JGG sei hier auch auf den inzwischen 24 Jahre alten Angeklagten anzuwenden, weil dieser unter Mißachtung der Warnwirkung eines ersten gegen ihn ergangenen Urteils vom 20. Januar 1992 erneut Straftaten begangen habe und auch jetzt noch erziehungsbedürftig sei.

B.


Revision der Staatsanwaltschaft
Die Beschwerdeführerin rügt mit Verfahrensrügen und der Sachrüge, die Jugendkammer habe nicht alle für die Entscheidung nach § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG wesentlichen Umstände aufgeklärt und erwogen. Sie wäre sonst zu dem Ergebnis gelangt, daß auf den Angeklagten für den begangenen Mord nicht Jugendstrafrecht, sondern Erwachsenenstrafrecht anzuwenden sei. Das Rechtsmittel hat mit der Rüge eines Verstoßes gegen § 261 StPO Erfolg. Eines Eingehens auf die weiteren Verfahrensrügen und die Sachrüge bedarf es nicht.
I. Die Jugendkammer hat für ihre Entscheidung nach § 105 Abs.1 Nr. 1 JGG folgende Feststellungen getroffen:

1a) Der Angeklagte wurde als Kind in Slowenien überwiegend von seiner Großmutter aufgezogen. Er erfuhr bei seinen Eltern, die in München einen Spielsalon betrieben und ihn 1978 nachholten, wenig Rückhalt. Er litt unter der Trennung von der gewohnten Umgebung, konnte sich kaum verständigen und hatte deshalb geringere soziale Entfaltungsmöglichkeiten als gleichaltrige deutsche Kinder. Nach Beendigung der Hauptschule im Jahre 1990 schwänzte er im folgenden Berufsgrundschuljahr den Unterricht und hatte keine Lust mehr zu arbeiten. Mit 15 Jahren schloß er sich einer Jugendclique an und begann mit dem Konsum von Drogen, Tabletten und Alkohol. Eine Ausbildung zum Betonbauer brach er ab. Die Eltern fanden sich schließlich damit ab und gaben ihm Geld, wann immer er es wollte. Er wurde Mitglied der sogenannten Marienplatz -Clique und beging im Zusammenhang damit eine Reihe von Straftaten. Während dieser Zeit spritzte er sich regelmäßig Heroin, trank übermäßig Alkohol und nahm dazu Tabletten.

b) Der Angeklagte beging seit 1991 mit anderen Jugendlichen Diebstähle ; die Gruppe stieg in die Münchner Großmarkthalle ein und stahl Geld und Waren. Eigentumsdelikte gegenüber anderen Jugendlichen beging der Angeklagte mehrfach unter Anwendung von Gewalt. So drohten er und sein Mittäter im Februar 1991 – er war noch 15 Jahre alt - Jugendlichen Schläge an, wenn sie kein Geld hergaben. Um an eine Daunenjacke zu kommen, packte er einen Jugendlichen am Hals und zog den Reißverschluß der Jacke zu. Einem weiteren Opfer gaben der Angeklagte und ein Mittäter Faustschläge ins Gesicht und auf den Kopf sowie einen Tritt in die Nieren. Ein weiteres Opfer “schubste” der Angeklagte gegen eine Steinmauer und versetzte ihm einen Tritt in den linken unteren Rippenbereich. Einem Opfer versetzten sie im Dezember
1991 so heftige Schläge, daß sie zu einer Nasenbeinfraktur führten. Im Jahr 1992 zwangen sie einen Geschädigten auf einer Behindertentoilette mit einer Gaspistole zur Duldung der Wegnahme. Nach seiner Haftentlassung aus der ersten Jugendstrafe entwickelte sich im März 1993 zwischen dem Angeklagten und der17jährigen W. eine Liebesbeziehung, die zunächst harmonisch verlief. Nachdem die Freundin nicht bereit war, ihn sofort zu heiraten und der Angeklagte keine Arbeitserlaubnis erhielt, fiel er wieder in seinen früheren Lebensstil zurück. Er genoß seine Führerrolle, ließ sich das Haupthaar kahl scheren und war auffallend tätowiert. In seinen Kreisen war er angesehen, aber auch gefürchtet, nachdem er bei körperlichen Auseinandersetzungen seine Aggressionen ausagierte und immer mit Messern bewaffnet war. Zu seinen Vorlieben zählten damals Horrorfilme, die ihn insbesondere dann faszinierten, wenn viel Blut floß und Menschen zerstückelt wurden. Gegenüber W. wurde er zunehmend brutaler. Ohrfeigen und andere Gewalttätigkeiten waren an der Tagesordnung, ebenso Sexualpraktiken, die sie abstießen. Ohne jeden Anlaß kam es vor, daß er ihr ein Messer an die Kehle setzte und drohte sie umzubringen.

c) Im September 1993 wurde der Angeklagte von einem Türsteher nicht zu einer Party in ein Freizeitheim eingelassen. Er schlug den Mann mit Fäusten und Füßen und versetzte ihm mit einem Butterfly-Messer auf der Backe einen oberflächlichen Schnitt. Bei einer Auseinandersetzung im November 1993 zwischen seinem Freund und mehreren Türken stach er mit seinem ButterflyMesser mit voller Wucht auf einen Türken ein. Er wollte ihn im Bauch- und Rückenbereich treffen und nahm hierbei den Tod des Opfers zumindest billigend in Kauf. Da der Geschädigte eine wattierte Jacke trug, gelang es dem Angeklagten nicht, mit seinem Messer bis zum zentralen Körperbereich durch-
zudringen. Im Dezember 1993 stellte sich der Angeklagte seiner früheren Freundin W. in den Weg und gab ihr ohne jeden erkennbaren Anlaß sofort mehrere Ohrfeigen. Anschließend würgte er sie mit beiden Händen und schlug ihren Kopf gegen die Wand. Er forderte sie auf mitzukommen, weil “ansonsten etwas passiere”. Am 4. Februar 1994 wurde der Angeklagte verhaftet; er war in der Zeit vom 3. März 1994 bis 6. Oktober 1994 wegen des Verdachts einer Psychose, die der Angeklagte allerdings nur vorgetäuscht hatte, im Bezirkskrankenhaus Haar. Danach war er bis Oktober 1995 in der JVA Stadelheim und bis zu seiner Abschiebung am 24. Januar 1996 in der JVA Ebrach in Haft.

d) In der JVA Ebrach erwies sich der Angeklagte als aufbrausend und jähzornig. Am Tag vor seiner Abschiebung wurde er wieder gewalttätig, als er bei der Essensausgabe einen Hausarbeiter schlug und einen JVA-Beamten würgte. Nach seiner Abschiebung nach Kroatien lebte der Angeklagte im Hause seines Vaters. Im September 1996 versetzte er dort im alkoholisierten Zustand einem Landsmann, der ihn vorher “geschubst” hatte, einen Faustschlag ins Gesicht und einen Fußtritt in den Bauch. Er wurde zu einer Geldstrafe verurteilt.
Nachdem er des Westparkmordes verdächtigt, in Kroatien verhaftet und nach Deutschland eingeliefert worden war, erklärte er im Juli 1998 in der JVA Stadelheim gegenüber einem früheren Freund, der als Zeuge in der vorliegenden Sache gegen ihn ausgesagt hatte, wenn er ihn wieder mal treffe, “fresse er ihn auf”. Gegenüber dem Anstaltspsychiater der JVA, Dr. S. , der im April 1999 den Versuch unternommen hatte, mit dem Angeklagten ein Untersuchungsgespräch zu führen, reagierte der Angeklagte äußerst barsch und wei-
gerte sich Platz zu nehmen. Als er sich drohend vor Dr. S. aufbaute, mußte dieser Hilfe rufen. Der Angeklagte schlug auf einen herbeigerufenen Wachtmeister ein und mußte von fünf Wachtmeistern gebändigt und gefesselt abgeführt werden. Gegenüber dem Anstaltspsychologen und einer Sozialarbeiterin der JVA Nürnberg, die zum Angeklagten in den Jahren 1999 und 2000 Kontakt hatten, zeigte dieser keinerlei Gesprächsbereitschaft; er war aber schnell aufgebracht. Im Juli 2000 sägte der Angeklagte in seiner Zelle in der JVA Stadelheim ein Rohr aus dem Bettgestell und fertigte mit zwei Putzmittelkanistern eine Art Hantel zum Krafttraining an. Die Kanister hatte er sich gegen den Widerspruch der Hausarbeiter mit auf die Zelle genommen. Diese getrauten sich aber nicht, die Kanister herauszuverlangen, weil der Angeklagte äußerst aggressiv war.
2. Wegen des durchgängig gewalttätigen Verhaltens des Angeklagten hat die Jugendkammer geprüft, ob die Anwendung von Jugendstrafrecht hier deshalb ausscheide, weil bei diesem unbehebbare Erziehungsdefizite vorliegen. Sie hat ausgeführt, der Angeklagte habe bis Ende 1993 zahlreiche, mit gravierender Gewalt verbundene Straftaten begangen. In der Folgezeit sei es nur noch zu ganz gelegentlichen “Ausreißern” gekommen, aus denen sich zwar ein noch vorhandenes Gewaltpotential ergebe, die aber den Schluß, der Angeklagte habe sein Verhalten “in unverminderter Form fortgesetzt” nicht zuließen. Die getroffenen Feststellungen zum weiteren Lebenslauf seien nicht geeignet, das Fehlen jeder Nachreifung anzunehmen. Weder durch das einmalige Fehlverhalten in Freiheit noch durch die einzelnen, mehr oder weniger gravierenden Fehlverhaltensweisen während der ca. zweieinhalbjährigen Untersuchungshaft werde die Nachreifung in Frage gestellt, wobei bezüglich der Vor-
fälle in der Untersuchungshaft auf die psychische Belastung durch eine länger andauernde Haft hinzuweisen sei.

a) Im einzelnen spreche für die Nachreifung, daß der Sachverständige Prof. Dr. Nedopil in seinem Gutachten darauf hingewiesen habe, daß er den Angeklagten seit einer Untersuchung in einem früheren Verfahren im Oktober 1994 und in der damaligen Hauptverhandlung im Juli 1995 nunmehr besonnener und ausgeglichener und weniger impulsiv als damals erlebt habe. Der Angeklagte sei zwar nach dem in der Hauptverhandlung gewonnenen Eindruck immer noch impulsiv. Aus den Aussagen der Zeugen aus dem Justizvollzug ergebe sich zwar, daß er bei den drei Vorfällen im Januar 1996, im Juli 1998 und im April 1999 gegenüber anderen aggressiv gewesen sei. Andererseits ergebe sich aber aus der Aussage der Zeugin W. , daß das Aggressionspotential des Angeklagten stark vermindert sei, daß er besonnener geworden sei und er einsehe, früher anderen Unrecht getan zu haben.

b) Auch habe seine frühere Freundin ausgesagt, sie habe in den zwei Jahren von der Abschiebung bis zur Einlieferung in regem brieflichen Kontakt zum Angeklagten gestanden. Sie hätten versucht, ihre Liebesbeziehung aufzuarbeiten. Zu irgendwelchen verbalen Aggressionen sei es nicht gekommen. Auch anläßlich von Telefonaten sei es zu keinen Auffälligkeiten gekommen. Der Angeklagte habe vielmehr wiederholt erklärt, es tue ihm leid, daß er sich ihr gegenüber “schandhaft” verhalten habe.
II. Die Beschwerdeführerin hat mit der als Verstoß gegen § 244 Abs. 2 StPO bezeichneten Verfahrensbeschwerde Erfolg, die Strafkammer habe zwar über einen wesentlichen Vorfall aus dem Jahr 1994 Beweis erhoben, diesen
Vorfall aber bei ihrer Gesamtwürdigung außer Betracht gelassen. Das Landgericht hatte das früher in dieser Sache ergangene Urteil vom 2. März 1999 zum Zwecke der Beweisaufnahme über darin enthaltene Feststellungen verlesen. Daraus ergab sich, daß der Angeklagte im Bezirkskrankenhaus Straubing seinen damals 15 jährigen MitpatientenSt. brutal zusammengeschlagen hat. Dieser Vorfall wird im Urteil nicht gewürdigt, obwohl er angesichts der eingeschränkten Beurteilungsgrundlage - der Angeklagte befindet sich seit der Tat im Oktober 1993 lange Zeit in Haft; er hat therapeutische Angebote abgelehnt und sich vom Sachverständigen nicht untersuchen lassen – bei der Beurteilung des aggressiven Gesamtverhaltens des Angeklagten nicht außer Betracht bleiben durfte. Der Sache nach liegt damit ein Verstoß gegen § 261 StPO vor, den das Revisionsgericht feststellen kann, ohne daß es einer im Revisionsverfahren verbotenen Rekonstruktion der Hauptverhandlung bedürfte (BGH NStZ-RR 2001, 18; BGH StV 1993, 115; StV 1991, 549; w.Nachw. b. Kleinknecht/MeyerGoßner , StPO 45. Aufl. § 261 Rdn. 38a).
Hätten der Verwertung dieses früheren Urteils im Urkundenbeweis rechtliche Hindernisse entgegengestanden, hätte es im übrigen die Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) geboten, zu dem der Kammer aus der Verlesung bekannten Vorfall hinreichende Feststellungen zu treffen. Daß der frühere Vorfall sich so wie im früheren Urteil festgestellt auch tatsächlich abgespielt hatte, wird in diesem früheren Urteil ausführlich begründet.
Der Entscheidung des Senats über die Bedeutung der unterlassenen Würdigung des Vorfalls aus dem Jahre 1994 liegen folgende Erwägungen zu Grunde.
1. Ob ein Heranwachsender bei seiner Tat im Sinne des § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG noch einem Jugendlichen gleichstand, ist im wesentlichen Tatfrage, wobei dem Jugendrichter ein erheblicher Beurteilungsspielraum eingeräumt ist (vgl. BGHSt 36, 37 m.w.Nachw.).

a) Das Jugendgerichtsgesetz geht bei der Beurteilung des Reifegrades nicht von festen Altersgrenzen aus, sondern es stellt auf eine dynamische Entwicklung des noch jungen Menschen in dem Lebensabschnitt vom 18. bis zum 21. Lebensjahr ab. Einem Jugendlichen gleichzustellen ist der noch ungefestigte , in der Entwicklung stehende, noch prägbare Heranwachsende, bei dem Entwicklungskräfte noch in größerem Umfang wirksam sind. Hat der Täter dagegen bereits die einen jungen Erwachsenen kennzeichnende Ausformung erfahren, dann ist er nicht mehr einem Jugendlichen gleichzustellen und auf ihn ist das allgemeine Strafrecht anzuwenden. Dabei steht die Anwendung von Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht nicht im Verhältnis von Regel und Ausnahme. § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG stellt keine Vermutung für die grundsätzliche Anwendung des einen oder anderen Rechts auf. Nur wenn der Tatrichter nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten Zweifel nicht beheben kann, muß er die Sanktionen dem Jugendstrafrecht entnehmen (BGHSt aaO S. 40).

b) Nach der Entscheidung des Senats in BGHSt 22, 41, 42 kann die Anwendung des Jugendstrafrechts ausnahmsweise auch dann ungerechtfertigt sein, wenn der Heranwachsende in dieser Phase seine Entwicklung bereits abgeschlossen hat, selbst wenn er noch einem Jugendlichen gleichsteht. Kann nicht mehr erwartet werden, daß er über die erreichte Entwicklungsstufe hinaus gelangt und die im Jugendstrafrecht vorgesehenen Rechtsfolgen bei ihm nicht mehr wirksam werden können, ist auf ihn Erwachsenenstrafrecht anzuwenden.
aa) Jener Entscheidung aus dem Jahr 1968 lag die Beurteilung eines im 19. Lebensjahr stehenden Heranwachsenden nach § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG zugrunde, der aufgrund eines leichten Schwachsinns und seiner Willensschwäche negative jugendtümliche Züge aufwies und der nach Beurteilung durch einen Sachverständigen über die erreichte Entwicklungsstufe bis zur Vollendung seines 21. Lebensjahres nicht hinaus kommen konnte. Dabei wurde von einem Zustand des Schwachsinns ausgegangen, der als eigenständiges Merkmal nach § 20 StGB als angeborener Intelligenzmangel ohne nachweisbare organische Ursache eingestuft wird (Lenckner/Perron in Schönke /Schröder, StGB 26. Aufl. § 20 Rdn. 18; vgl. zum Unterschied zwischen der medizinischen und der rein juristischen Terminologie beim Schwachsinn Specht in Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung 3. Aufl. 191, 193; Nedopil, Forensische Psychiatrie 2. Aufl. S. 20 f.; Rasch, Forensische Psychiatrie 3. Aufl. S. 71). Der Senat hat in jener Entscheidung die Nichtanwendung von Jugendstrafrecht damit begründet, daß nach dem Wortlaut des § 105 JGG (“nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand..”) und nach dem Zweck der Vorschrift die für Straftaten Jugendlicher vorgesehenen Rechtsfolgen nur “auf den noch unfertigen, noch formbaren Menschen zugeschnitten” seien; bei ihm müßten die auf das Erziehungsbedürfnis abgestellten, nach § 5 JGG auszuwählenden differenzierten jugendstrafrechtlichen Maßnahmen noch eine Besserung und Abschreckung erwarten lassen.
bb) Dieser für den angeborenen Schwachsinn entwickelte Maßstab kann im Fall des Angeklagten nicht unmittelbar gelten. Nach den im Urteil wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Nedopil lag beim Angeklagten zur Tatzeit im Oktober 1993 auf der Grundlage einer ersten Untersu-
chung im Oktober 1994 und aufgrund der Eindrücke in der Hauptverhandlung vom Juli 1995 eine Persönlichkeitsstörung mit ausgeprägten dissozialen und emotional instabilen Zügen nach ICD-10 F 60.2 und 60.3 vor (vgl. Dilling /Mombour/Schmidt (Hrsg.) Internationale Klassifikation psychischer Störungen 4. Aufl. S. 254 ff.). Diese dissoziale Entwicklung sei spätestens ab dem Zeitraum erkennbar, zu dem sich der Angeklagte nach dem Schulabschluß dem Druck seiner Eltern widersetzte. Sie sei so erheblich gewesen, daß sie als schwere andere seelische Abartigkeit nach § 20 StGB anzusehen sei; eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit nach § 21 StGB habe aber nicht vorgelegen. Die mangelnde Frustrationstoleranz und die unzureichende Kontrolle bei aggressiver Anspannung hat der Sachverständige vorwiegend auf die mangelnde Reife zurückgeführt und nicht einer chronischen psychischen Störung zugeordnet (UA S. 34).
cc) In der psychiatrischen Begutachtungspraxis wird bei jugendlicher Gewaltdelinquenz insbesondere zwischen zwei Tätertypen unterschieden: Quantitativ im Vordergrund stehen die Aggressionstäter, deren oft in Gruppen ausgeführte Delikte als Symptom einer schon im Grundschulalter begonnenen Sozialverhaltensstörung einzuordnen sind. Defizitäre familiäre Bedingungen, Traumatisierungen, Leistungsschwächen, Drogen- und Alkoholkonsum können dazu führen, daß sich im Erwachsenenalter eine dissoziale oder antisoziale Persönlichkeitsstörung manifestiert (Nedopil aaO S. 217; Specht in Venzlaff /Foerster aaO S. 275, 290; Nedopil aaO S. 151; Rasch aaO S. 265 f. jeweils m.w.Nachw.). Bei solchen Heranwachsenden, die aufgrund schlechter Entwicklungsbedingungen keine Normen und Werte verinnerlicht haben, ist bei der Beurteilung nach § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG jeweils im Einzelfall zu ermitteln, ob er gegen soziale Normen verstößt, obwohl er sich anders verhalten könnte,
oder ob er aufgrund eines bereits verfestigten negativen Wertesystems nicht mehr dazu in der Lage ist (vgl. Venzlaff aaO S. 237). Ein zweiter jugendlicher Gewalttätertyp begeht solche aggressiven Handlungen, die sich für die Umgebung des Täters überraschend ereignen und scheinbar unerklärlich sind. Dies sind leicht kränkbare Jugendliche, die auch zurückgezogen und einzelgängerisch leben. Bei dieser Gruppe kann die Diagnose zu einer möglicherweise bisher unerkannten psychiatrischen Störung, etwa in Form einer schweren neurotischen Fehlentwicklung, einer Persönlichkeits(entwicklungs)störung oder gar einer schizophrenen Psychose führen (Nedopil aaO S. 217, 218).
Ergibt die Diagnose, daß die Entwicklung des Täters in der Kindheit früh gehemmt worden ist und bereits schwere Schäden, etwa in Form frühkindlicher Deprivationssyndrome vorliegen, kann dies im Ausnahmefall zu schweren Persönlichkeitsstörungen mit tiefgreifender Ich-Kontrolle führen (vgl. Venzlaff aaO S. 238). In diesen Fällen kann das Vorliegen unbehebbarer Entwicklungsrückstände – dem Fall des Schwachsinns nicht unähnlich – erwogen werden.

c) Diesen fachpsychiatrischen Vorgaben und dem in BGHSt 22, 41 entwickelten Maßstab für die Annahme unbbehebbarer Entwicklungsrückstände entnimmt der Senat, daß eine die Chancen jeder Nachreifung gering achtende, pessimistische Prognose völliger Entwicklungsunfähigkeit bereits in der Lebensphase zwischen dem 18. und dem 21. Lebensjahr nur auf einer Zusammenschau aller für die gesamte Entwicklung maßgeblichen tatsächlichen Umstände und nur ausnahmsweise mit Sicherheit zu stellen sein wird (allgemein Schaffstein/Beulke aaO S. 68; Eisenberg, JGG 8. Aufl. § 105 Rdn. 27; Ostendorf aaO; Diemer/Schoreit/Sonnen aaO). Liegen über das tatgegenständliche schwere Tötungsdelikt hinaus weitere erhebliche Gewalthandlungen vor und
stehen – wie im Fall des Angeklagten – Erkenntnisse über den Umgang mit Aggression und Gewalt auch aus den Entwicklungsphasen als junger Erwachsener zur Verfügung, so sind diese Umstände vollständig heranzuziehen und vertieft zu würdigen, bevor ausnahmsweise die weittragende Diagnose unbehebbarer Entwicklungsrückstände ausgesprochen werden kann.
2. Diese Maßstäbe hat die Jugendkammer nicht in jeder Hinsicht beachtet. Sie hat den kurz nach dem kaum erklärbaren Tötungsdelikt im Oktober 1993 geschehenen erneuten Gewaltausbruch im Bezirkskrankenhaus Straubing von 1994 nicht in ihre Erwägungen einbezogen. Dem Urteil ist auch nicht zu entnehmen, ob dem Sachverständigen dieser Vorfall bekannt war. Damit ist nicht erkennbar, ob der Vorfall Einfluß auf die Zuordnung des Angeklagten zu einem der beiden Tätertypen haben oder bestimmend für die bereits länger zurückliegende Diagnose aus der Untersuchung von 1994 sein könnte. Die Jugendkammer hat sich damit der Möglichkeit einer vollständigen Gesamtwürdigung begeben, die auch zum Ergebnis hätte führen können, daß der Angeklagte seit 1991 nicht nur im Zusammenhang mit seiner Jugendclique Diebstahlstaten unter Anwendung von Gewalt begangen hat. Eine vollständige Zusammenschau hätte auch zu dem Schluß führen können, daß der Angeklagte über den Mord von Oktober 1993 hinaus bis heute weiter aggressiv und gewalttätig gegen Personen war und dies auf Störungen beruht, die bereits in der Entwicklungsphase eines Heranwachsenden unbehebbar waren.
Die Annahme der Jugendkammer, beim Angeklagten hätten nur im Zeit- raum seines Straffälligwerdens von 1990 bis Ende 1993 noch Entwicklungskräfte in größerem Umfang gewirkt, trägt dann nicht, wenn er bereits 1994 und in den Folgejahren bis 2000 ohne wesentliche Unterbrechungen nicht uner-
hebliche Gewalt gegen andere Personen ausgeübt hat. Daß eine solche Möglichkeit nicht fernliegend ist, ergibt sich aus der zweiten, der Jugendkammer an die Hand gegebenen beiden Perspektiven des Sachverständigen Prof. Dr. Nedopil : Sei beim Angeklagten das inkriminierte Verhalten nicht mehr zu erwarten , weil er bei weiterer Reifung andere Einstellungen und Verhaltensweisen übernommen habe, sei das Fehlverhalten auf die mangelnde Reife zurückzuführen. Gelange die Kammer aber aufgrund der Beweiswürdigung zu dem Schluß, der Zustand des Angeklagten habe sich seit dem 1994 erstellten Gutachten nicht verändert, dann “bestehe sehr wohl die Möglichkeit, die gegenständliche Tat des Angeklagten als nicht im Zusammenhang mit der noch fehlenden Reife zu sehen”. Insofern müsse unter Berücksichtigung dieses Aspekts rückblickend beim Angeklagten geprüft werden, ob der Mord eher in das Fehlverhaltensmuster des Erwachsenen paßt, als in das Verhaltensmuster des gleichen Menschen als Jugendlicher.

d) Die neu zur Entscheidung berufene Jugendkammer wird – beraten durch den Sachverständigen - die gesamte Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten unter besonderer Berücksichtigung seines Umgangs mit seiner Aggression nach dem Mord im Oktober 1993 und seines Verhaltens im Strafvollzug neu zu bewerten haben. Gelangt die Jugendkammer wiederum zur Anwendung des Jugendstrafrechts, wird sie wiederum die Anwendung der Ausnahmevorschrift § 31 Abs. 3 JGG zu überprüfen haben.

C.


Revision des Angeklagten
I. Die Verfahrensrügen, mit denen der Angeklagte die Behandlung seiner Anträge auf Aussetzung des Verfahrens nach § 246 Abs. 2 StPO rügt, bleiben aus den Gründen, die der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift angeführt hat, ohne Erfolg.
II. Die Sachrüge ist nicht begründet. Es stellt keinen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler dar, daß das Landgericht nach § 31 Abs. 3 JGG aus erzieherischen Gründen von besonderem Gewicht davon abgesehen hat, in die Verurteilung des Angeklagten zu zehn Jahren Jugendstrafe wegen des Mordes vom Oktober 1993 die frühere, teilweise verbüßte Einheitsjugendstrafe einzubeziehen.
1. Nach der Rechtsprechung des Senats kann in Ausnahmefällen neben einer gesetzlichen Höchststrafe eine andere Jugendstrafe nach § 31 Abs. 3 JGG bestehenbleiben (BGHSt 36, 37, 42 = NStZ 1989, 574 mit Anm. Walter /Pieplow; BGH NStZ 1985, 410; 2000, 263). Beim Widerstreit zweier gesetzlicher Prinzipien des Jugendgerichtsgesetzes - hier Begrenzung der Jugendstrafe (§ 105 Abs. 3 JGG), dort Absehen von der üblichen Einheitsstrafe aus erzieherischen Gründen (§ 31 Abs. 3 Satz 1 JGG) - kann nicht von vornherein generell gesagt werden, die eine Maxime habe grundsätzlich Vorrang vor der anderen. Im Vordergrund steht der Erziehungsgedanke als Basis aller Regelungen des Jugendstrafrechts. Diesem Gedanken trägt § 31 Abs. 3 JGG für den Einzelfall Rechnung - maßgebend ist der konkrete Täter (vgl. BGHSt 22,
21, 23). Andererseits ist zu bedenken, daß sich aus den Vorschriften in § 18 Abs. 1 Satz 2, § 31 Abs. 1 Satz 3, § 105 Abs. 3 JGG zu ergeben scheint, der Gesetzgeber habe auch bei schwersten Straftaten die Möglichkeit der erzieherischen Einwirkung im Strafvollzug auf zehn Jahre begrenzt. Nähere Betrachtung zeigt aber einen grundlegenden Unterschied zu der hier zu beurteilenden Verfahrenslage auf. Während in jenen Vorschriften bestimmt wird, welche Höchstgrenzen der Richter bei der Entscheidung über das Reaktionsmittel auf die in einem bestimmten Verfahren zu beurteilenden Straftaten zu beachten hat, regelt § 31 JGG in seinen Absätzen 2 und 3 den Fall, daß im Augenblick der Entscheidung bereits ein rechtskräftiges, noch nicht erledigtes Erkenntnis wegen früherer Straftaten gegen den Täter vorliegt. Auch insoweit soll es nach § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG (»in gleicher Weise«) bei der Regel des Absatzes 1 verbleiben, wonach unter Beachtung der Höchstgrenzen einheitlich über alle Straftaten zu entscheiden ist. Nach dem Wortlaut von Absatz 3 können aber erzieherische Gründe ein Ausklammern des früheren Urteils rechtfertigen. Die in § 105 Abs. 3 JGG für erforderlich gehaltene ausdrückliche Bindung an die Höchstgrenze der Jugendstrafe kehrt in der einen besonderen Fall betreffenden Vorschrift des § 31 Abs. 3 JGG nicht wieder (dies räumen auch Walter /Pieplow aaO S. 577 ein). Daraus schließt der Senat weiterhin, daß die Höchstgrenzen hier nicht gelten sollen. Das Jugendgerichtsgesetz bietet keinen Anhalt dafür, die nach der Systematik der Vorschriften als zulässig erkannte Überschreitung des Höchstmaßes durch Kumulierung zweier Strafen auf die Fälle zu beschränken, in denen die frühere Strafe den Rahmen bereits (weitgehend) ausgeschöpft hat. Die möglichen Unterschiede in der Fallgestaltung haben vielmehr bei der Prüfung der Frage Berücksichtigung zu finden, ob erzieherische Gründe das Absehen von der Einbeziehung der früheren Taten rechtfertigen.
2. Dem Vorrang des Erziehungsgedankens kann nicht entgegen gehalten werden, der Angeklagte sei bei seiner Verurteilung wegen Mordes am 14. Dezember 1999 bereits 24 Jahre alt gewesen. Eisenberg hat zwar unter Berufung auf die für die Jugendstrafe nicht einschlägige Entscheidung BVerfGE 22, 180, 219f. (diese befaßt sich mit der Unterbringung in einer Erziehungsanstalt nach dem BSHG) eingewandt, es verbiete sich, beim Angeklagten noch auf erzieherische Gründe abzuheben. Dem Staat stehe gegenüber einem Erwachsenen, dem spätestens mit Überschreiten der Grenze von 21 Jahren die nach Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit zustehe, kein Erziehungsanspruch mehr zu (Anm. zum Senatsurteil vom 14. Dezember 1999 in NStZ 2000, 484). Dem Grundgesetz ist aber für den besonderen Bereich des Jugendstrafrechts keine absolute Grenze für die Verhängung einer Jugendstrafe zu entnehmen. Dies entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, daß unter strafrechtlichen Gesichtspunkten der Reifegrad Jugendlicher und Heranwachsender - unabhängig von den sonstigen Gründen, die für die Regelung des Volljährigkeitsalters allgemein gelten - unterschiedlich sein kann. Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb in seiner Entscheidung über die vom Jugendrichter anzuordnenden Erziehungsmaßregeln nach § 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 JGG eine Fortwirkung des staatlichen Erziehungsrechts auf Heranwachsende angenommen, obschon der Gesetzgeber durch das Neuregelungsgesetz vom 31. Juli 1974 (BGBl. I S.1713) das Volljährigkeitsalter auf 18 Jahre festgesetzt hat und das elterliche Erziehungsrecht zu diesem Zeitpunkt erlischt (BVerfGE 74, 102, 125). Es hat den Gesetzgeber nicht gehindert gesehen , in dem gegenständlich begrenzten Umfang die Erziehungshilfe als jugendgerichtliche Maßregel fortwirken zu lassen. Nur als Anhaltspunkt für die zeitliche Begrenzung des staatlichen Erziehungsrechts für eine gegenüber der Jugendstrafe weniger einschneidende Maßregel hat das Bundesverfassungs-
gericht die Vollendung des 21. Lebensjahres herangezogen, was der Rechtslage beim Inkrafttreten des Grundgesetzes entspricht.
Dem entnimmt der Senat, daß für die Jugendstrafe der Widerstreit zwischen den Prinzipien des § 105 Abs. 3 JGG und denen des § 31 Abs. 3 JGG unverändert bestehen geblieben ist, auch nachdem der Gesetzgeber die Vorschriften des § 105 und des § 31 JGG nach der Herabsetzung des Volljährigkeitsalters nicht geändert hat. Da es den Jugendlichen und den Erwachsenen nicht gibt, mit dem ein Heranwachsender verglichen werden kann, muß das Gericht entsprechend § 105 J GG den Reifegrad eines jungen Straftäters mit Hilfe des Sachverständigen individuell feststellen. Neuere psychiatrische Studien weisen im übrigen darauf hin, daß heute zwar einschneidende Entwicklungsfortschritte um die Vollendung des 18. Lebensjahres nicht zu erwarten sind, daß aber die Folgejahre bis zum 24. Lebensjahr durch fließende Übergänge zum Erwachsenenstatus geprägt sind (Nedopil aaO S. 63).
3. Allerdings müssen für die Anwendung des § 31 Abs. 3 JGG im Einzelfall Gründe vorliegen, die unter dem Gesichtspunkt einer Erziehung eines jungen Erwachsenen von ganz besonderem Gewicht sind (so schon BGH NStZ 1985, 410) und zur Verfolgung dieses Zweckes über die üblichen Strafzumessungsgesichtspunkte hinaus das Nebeneinander zweier Jugendstrafen notwendig erscheinen lassen. Das Landgericht hat dazu ausgeführt, die Einbeziehung der früheren Verurteilung würde dem Angeklagten die Bedeutung seiner Mordtat nicht ausreichend bewußt machen. Angesichts der Ablehnung jeden therapeutischen Gesprächs mit dem Anstaltspsychiater oder Anstaltspsychologen und seines nach wie vor vorhandenen Gewaltpotentials ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, daß die Jugendkammer ausgeführt hat, beim
Angeklagten müsse die erzieherisch nachteilige Annahme unterbunden werden , durch die Bildung einer Einheitsjugendstrafe auch für den abgeurteilten Mord würden die Rechtsfolgen der früheren Taten untergehen oder es würde auf sie verzichtet. Der erzieherische Zweck der verhängten Jugendstrafe von zehn Jahren für einen Mord kann somit beim Angeklagten durch die Konfrontation mit seiner Tat als Mittel der Nacherziehung und Nachreife auch noch im Erwachsenenalter durchaus erreicht werden.
Schäfer Wahl Boetticher Schluckebier Herr RiBGH Hebenstreit ist wegen Urlaubs an der Unterschrift verhindert. Schäfer

(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, wenn

1.
die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, oder
2.
es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.

(2) § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ist auch dann anzuwenden, wenn der Heranwachsende wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig nach allgemeinem Strafrecht verurteilt worden ist.

(3) Das Höchstmaß der Jugendstrafe für Heranwachsende beträgt zehn Jahre. Handelt es sich bei der Tat um Mord und reicht das Höchstmaß nach Satz 1 wegen der besonderen Schwere der Schuld nicht aus, so ist das Höchstmaß 15 Jahre.

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

(1) In besonders schweren Fällen wird der Diebstahl mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
zur Ausführung der Tat in ein Gebäude, einen Dienst- oder Geschäftsraum oder in einen anderen umschlossenen Raum einbricht, einsteigt, mit einem falschen Schlüssel oder einem anderen nicht zur ordnungsmäßigen Öffnung bestimmten Werkzeug eindringt oder sich in dem Raum verborgen hält,
2.
eine Sache stiehlt, die durch ein verschlossenes Behältnis oder eine andere Schutzvorrichtung gegen Wegnahme besonders gesichert ist,
3.
gewerbsmäßig stiehlt,
4.
aus einer Kirche oder einem anderen der Religionsausübung dienenden Gebäude oder Raum eine Sache stiehlt, die dem Gottesdienst gewidmet ist oder der religiösen Verehrung dient,
5.
eine Sache von Bedeutung für Wissenschaft, Kunst oder Geschichte oder für die technische Entwicklung stiehlt, die sich in einer allgemein zugänglichen Sammlung befindet oder öffentlich ausgestellt ist,
6.
stiehlt, indem er die Hilflosigkeit einer anderen Person, einen Unglücksfall oder eine gemeine Gefahr ausnutzt oder
7.
eine Handfeuerwaffe, zu deren Erwerb es nach dem Waffengesetz der Erlaubnis bedarf, ein Maschinengewehr, eine Maschinenpistole, ein voll- oder halbautomatisches Gewehr oder eine Sprengstoff enthaltende Kriegswaffe im Sinne des Kriegswaffenkontrollgesetzes oder Sprengstoff stiehlt.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1 bis 6 ist ein besonders schwerer Fall ausgeschlossen, wenn sich die Tat auf eine geringwertige Sache bezieht.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 28/02
vom
19. Februar 2002
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Februar 2002 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Ulm vom 7. November 2001, soweit es ihn betrifft, wird mit der
Maßgabe verworfen, daß die Anordnung des Vorwegvollzugs von
drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe entfällt.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und
die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.

Gründe:


1. Der Angeklagte, der seit seinem 15. Lebensjahr im Übermaß Alkohol konsumiert, hat in erheblich angetrunkenem Zustand den Geschädigten im Streit über eine Dose Bier so heftig gewürgt und geschlagen, daß dieser wenige Stunden später an den Verletzungsfolgen verstarb. Dem hilflos daliegenden Geschädigten entwendete der Angeklagte die Geldbörse. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat die Strafkammer den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) in Tatmehrheit mit Diebstahl (§ 242 StGB i.V.m. § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StGB) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet (§ 64 StGB). Zugleich hat
sie bestimmt, daû drei Jahre und sechs Monate der Strafe vorweg zu vollziehen sind (§ 67 Abs. 2 StGB). 2. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zum Wegfall der Anordnung über den teilweisen Vorwegvollzug (§ 349 Abs. 4 StPO), bleibt aber im übrigen erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
a) Soweit sich die Revision mit näheren Ausführungen gegen den Schuldspruch und den Strafausspruch wendet, nimmt der Senat auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts in seinem Antrag vom 24. Januar 2002 Bezug, die auch durch die Erwiderung der Revision nicht entkräftet sind.
b) Auch die Unterbringungsanordnung ist rechtsfehlerfrei.
c) Nach der Grundentscheidung des Gesetzgebers soll möglichst umgehend mit der Behandlung des süchtigen (oder kranken) Rechtsbrechers begonnen werden, da dies am ehesten einen dauerhaften Erfolg verspricht. Gerade bei längerer Strafdauer muû es darum gehen, den Angeklagten frühzeitig zu heilen und seine Persönlichkeitsstörung zu behandeln, damit er im Strafvollzug an der Verwirklichung des Vollzugsziels arbeiten kann. Ein Abweichen von der Regelabfolge des Vollzugs kommt nur bei erkennbar gewichtigen Besonderheiten des Einzelfalls in Betracht (st. Rspr., vgl. zusammenfassend die Übersicht bei Detter, NStZ 2002, 132, 137; weitere Nachw. bei Tröndle/Fischer StGB, 50. Aufl. § 67 Rdn. 6, 6a). Die Strafkammer verweist dem gegenüber jedoch nur darauf, daû der mit dem Vorwegvollzug verbundene erhöhte Leidensdruck die bessere Erreichbarkeit des Ziels des Maûregelvollzugs ermögliche, wohingegen der Erfolg der Maûregel gefährdet wäre, wenn nicht die Möglichkeit bestünde, den Angeklagten unmittelbar aus dem Maûregelvollzug in die Freiheit zu entlassen.
Diese eher allgemein gehaltenen Ausführungen lassen für sich genommen gerade in der Person des Angeklagten liegende Besonderheiten, die ein Abweichen von der gesetzlichen Vollzugsreihenfolge rechtfertigen könnten, nicht erkennen. Auch eine Gesamtschau der Urteilsgründe führt zu keinem anderen Ergebnis: Vielmehr ist der Angeklagte durch die Tat "beeindruckt und geschockt", und es wird sein "Wille, seine Lebensverhältnisse zu ändern, erkennbar". Er "äuûert den Willen zur Umkehr" und ist für eine "Entziehungskur .... motiviert". 3. Angesichts dieser Feststellungen ist ausgeschlossen, daû eine neue Verhandlung noch Erkenntnisse ergeben könnte, wonach ausnahmsweise beim Angeklagten durch einen (teilweisen) Vorwegvollzug der Strafe der Zweck der Maûregel leichter erreicht würde. Entsprechend § 354 Abs. 1 StPO entscheidet der Senat daher selbst, daû die Anordnung des teilweisen Vorwegvollzugs der Strafe entfällt.
4. Der Wegfall dieser Anordnung hat auf die Kostenentscheidung keinen Einfluû (§ 473 Abs. 4 StPO). Schäfer Nack Wahl Boetticher Kolz

(1) In besonders schweren Fällen wird der Diebstahl mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
zur Ausführung der Tat in ein Gebäude, einen Dienst- oder Geschäftsraum oder in einen anderen umschlossenen Raum einbricht, einsteigt, mit einem falschen Schlüssel oder einem anderen nicht zur ordnungsmäßigen Öffnung bestimmten Werkzeug eindringt oder sich in dem Raum verborgen hält,
2.
eine Sache stiehlt, die durch ein verschlossenes Behältnis oder eine andere Schutzvorrichtung gegen Wegnahme besonders gesichert ist,
3.
gewerbsmäßig stiehlt,
4.
aus einer Kirche oder einem anderen der Religionsausübung dienenden Gebäude oder Raum eine Sache stiehlt, die dem Gottesdienst gewidmet ist oder der religiösen Verehrung dient,
5.
eine Sache von Bedeutung für Wissenschaft, Kunst oder Geschichte oder für die technische Entwicklung stiehlt, die sich in einer allgemein zugänglichen Sammlung befindet oder öffentlich ausgestellt ist,
6.
stiehlt, indem er die Hilflosigkeit einer anderen Person, einen Unglücksfall oder eine gemeine Gefahr ausnutzt oder
7.
eine Handfeuerwaffe, zu deren Erwerb es nach dem Waffengesetz der Erlaubnis bedarf, ein Maschinengewehr, eine Maschinenpistole, ein voll- oder halbautomatisches Gewehr oder eine Sprengstoff enthaltende Kriegswaffe im Sinne des Kriegswaffenkontrollgesetzes oder Sprengstoff stiehlt.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1 bis 6 ist ein besonders schwerer Fall ausgeschlossen, wenn sich die Tat auf eine geringwertige Sache bezieht.

Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.