Bundesgerichtshof Urteil, 24. Sept. 2014 - 2 StR 160/14

bei uns veröffentlicht am24.09.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 1 6 0 / 1 4
vom
24. September 2014
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. September
2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Schmitt,
Prof. Dr. Krehl,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Fulda vom 19. Dezember 2013 wird verworfen. 2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren und drei Monaten verurteilt. Seine Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat keinen Erfolg.
2
1. a) Nach den Feststellungen lebte der Angeklagte seit 2004 wegen wiederholter verbaler und körperlicher Auseinandersetzungen gegenüber seiner Ehefrau räumlich von ihr und den drei gemeinsamen Kindern getrennt. Der Angeklagte besuchte seine Familie nur noch sporadisch. Er fühlte sich ausgegrenzt und gedemütigt, weil ihm nach seiner Ansicht nicht der notwendige Respekt entgegenbracht wurde.
3
Als der Angeklagte erfuhr, dass erneut ein Türkeiurlaub seiner Familie bevorstand, war er darüber verärgert, dass er - wie schon zuvor - darüber nicht informiert worden war. Er wollte deshalb seine Ehefrau, das spätere Tatopfer, zur Rede stellen und ihr eine Lektion erteilen. Er nahm zwei Küchenmesser mit, die er gegenüber seiner Ehefrau "zumindest" (UA S. 8) als Drohmittel einsetzten wollte.
4
Nachdem der Angeklagte unter einem Vorwand seinen Sohn zum Einkaufen weggeschickt hatte und nunmehr mit seiner Ehefrau allein in der Wohnung war, begab er sich - mit bedingtem Tötungsvorsatz - ohne vorherige Ankündigung und wortlos mit jeweils einem Messer in einer Hand in die Küche, in der seine Ehefrau vor dem Spültisch ein Backblech spülte. "Die Ehefrau sah den Angeklagten in dem Türrahmen der Küchentür stehen und in die Küche herein treten. Sie sah ihm in die Augen, in der festen Erwartung, nun wieder Vorhalte gemacht zu bekommen und nunmehr in ein Streitgespräch mit ihrem Mann verwickelt zu werden. Sie wollte dem aus dem Weg gehen, stellte deswegen ihr Backblech in die Spüle hinein, trat ein bis zwei Schritte auf ihren Ehemann zu, um die Küche zu verlassen, wobei sie nicht bemerkte, da sie ihm nach wie vor in die Augen schaute, dass ihr Ehemann die beiden Messer in den Händen hielt. In dieser Situation versah sie sich insoweit keinerlei Angriffs ihres Ehemanns. Der Angeklagte, der erkannte, dass seine Frau - wie von ihm erwartet - arglos und deswegen auch wehrlos war, nutzte dies aus und - ohne mit ihr ein Wort zu wechseln - versetzte er seiner Ehefrau daraufhin einen ersten Stich in den Bauch und einen zweiten Stich in den Oberkörper" (UA S. 11).
5
Die Geschädigte sank zu Boden, woraufhin der Angeklagte ihr eine Vielzahl weiterer Messerstiche "wahllos auf den Körper" (UA S. 11) versetzte. Der zwischenzeitlich zurückgekehrte gemeinsame Sohn trat dem Angeklagten gegen den Kopf und "packte ihn von der Mutter Weg" (UA S. 12). Durch eine anschließende Notoperation wurde die Geschädigte gerettet.
6
b) Im Rahmen der Beweiswürdigung hat das Landgericht ausgeführt, der Vorsatz bezüglich der heimtückischen Begehung der Tat ergebe sich daraus, "dass der Angeklagte ohne Vorankündigung und ohne dass zuvor irgendein Streitgespräch oder überhaupt eine Kommunikation mit der Ehefrau stattgefunden hätte, mit den Messern aus dem Wohnzimmer in die Küche der Wohnung gegangen ist, wobei die Ehefrau gerade dabei war, ein Backblech zu spülen. [...] In diesem Moment war daher die Ehefrau des Angeklagten, die sich keinerlei Angriffes durch den Angeklagten versah, völlig arglos und infolge dessen auch wehrlos. Dies wusste der Angeklagte, der zuvor sogar seinen Sohn […] aus der Wohnung geschickt hatte, um insoweit ungestört die Situation ausnutzen zu können. Er ging wortlos aus dem Wohnzimmer in die Küche und begann sofort und völlig unvermittelt seinen Angriff auf die Ehefrau, die die Messer, weil sie dem Angeklagten zunächst nur in die Augen schaute, überhaupt nicht bemerkt hatte. Er wollte insoweit diese Geschehen bewusst ausnutzen und seine Ehefrau, die mit Küchenarbeiten beschäftigt war, überraschen" (UA S. 27).
7
2. Die Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts ist insbesondere die Beweiswürdigung zum Ausnutzungsbewusstsein nicht lückenhaft.
8
a) Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt; wesentlich ist, dass der Mörder sein keinen Angriff erwartendes, mithin argloses Opfer in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren, wobei für die Beurteilung die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs maßgebend ist. Bei einem offen feindseligen Angriff ist erforderlich, dass dem Opfer wegen der kurzen Zeitspanne zwischen Erkennen der Gefahr und unmittelbarem Angriff keine Möglichkeit der Abwehr verblieben ist (vgl. etwa BGH, Urteile vom 15. September 2011 - 3 StR 223/11, NStZ 2012, 35; vom 28. August 2014 - 5 StR 332/14, beide mwN). Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist weiter, dass der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt. Dafür genügt es, wenn er die die Heimtücke begründenden Umstände nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 2012 - 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233; Urteil vom 11. Juni 2014 - 2 StR 117/14; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 211 Rdn. 34, 44, jeweils mwN).
9
b) Das Landgericht hat seine Überzeugung, der Angeklagte habe auch mit entsprechendem Ausnutzungsbewusstsein gehandelt, ausreichend belegt. Die gezogenen Schlussfolgerungen sind möglich, zwingend brauchen sie nicht zu sein.
10
Der Angeklagte, der mit den beiden Küchenmessern bewaffnet im Wohnzimmer saß, und sich "endgültig" entschlossen hatte, "die Lage auszunut- zen und auf seine Ehefrau […] einzustechen, um sie zu bestrafen" (UA S.10), wollte dafür ungestört sein und hatte deswegen auch seinen Sohn unter einem Vorwand weggeschickt, um "freie Bahn für einen überraschenden ‚Angriff‘ auf seine Ehefrau haben zu können" (UA S. 10). Er betrat mit bedingtem Tötungsvorsatz die Küche, in der seine Frau gerade spülte. Dass die Geschädigte auf den Angeklagten "ein bis zwei Schritte" zutrat, ändert nichts daran, dass der Angeklagte - wie von ihm geplant - die mit Küchenarbeiten beschäftigte Geschädigte in der Küche überraschte (UA S. 27) und dieses von ihm herbeigeführte Überraschungsmoment ausnutzen wollte. Es ist deswegen auch unerheblich , ob die Geschädigte unmittelbar vor dem Angriff noch die Messer in den Händen des Angeklagten wahrgenommen und ob der Angeklagte die mög- licherweise eingeschränkte Wahrnehmung der Geschädigten erkannt hat. Eine Möglichkeit zur Abwehr verblieb ihr nicht, worauf es dem Angeklagten nach seinem Tatplan gerade ankam.
11
Dass das Ausnutzungsbewusstsein auch nicht aufgrund affektiver Anspannung des Angeklagten gefehlt hat (vgl. dazu: BGH, Beschluss vom 29. November 2011 - 3 StR 326/11, NStZ 2012, 270, 271; Urteil vom 11. Juni 2014 - 2 StR 117/14 mwN), hat das Landgericht ebenfalls rechtsfehlerfrei festgestellt (UA S. 27). Fischer Schmitt Krehl Ott Zeng

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Bundesgerichtshof Urteil, 15. Sept. 2011 - 3 StR 223/11

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 3 StR 223/11 vom 15. September 2011 in der Strafsache gegen wegen Mordes Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 15. September 2011, an der teilgenommen haben: Vorsitzend

Bundesgerichtshof Urteil, 28. Aug. 2014 - 5 StR 332/14

bei uns veröffentlicht am 28.08.2014

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 5 StR332/14 vom 28. August 2014 in der Strafsache gegen wegen Totschlags Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. August 2014, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richte

Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Nov. 2011 - 3 StR 326/11

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 326/11 vom 29. November 2011 in der Strafsache gegen wegen versuchten Mordes u.a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dess

Bundesgerichtshof Urteil, 11. Dez. 2012 - 5 StR 438/12

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bei uns veröffentlicht am 11.06.2014

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 S t R 1 1 7 / 1 4 vom 11. Juni 2014 in der Strafsache gegen wegen versuchten Totschlags u.a. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Juni 2014, an der teilgenommen haben:
5 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 24. Sept. 2014 - 2 StR 160/14.

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Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Mai 2018 - 1 StR 123/18

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BGH 2 StR 10/17

bei uns veröffentlicht am 14.06.2017

Tenor Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 22. Juli 2016 aufgehoben.

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 223/11
vom
15. September 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
15. September 2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Dr. Schäfer,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Menges
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Hannover vom 15. Februar 2011 wird verworfen. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vierzehn Jahren und sechs Monaten verurteilt, dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach dem Vorwegvollzug von fünf Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe angeordnet sowie eine vom Angeklagten in Spanien erlittene Freiheitsentziehung im Verhältnis 1 : 1 auf die Strafe angerechnet. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte, vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Nach den Feststellungen geriet der unter dem Einfluss von Alkohol und Benzodiazepinen stehende Angeklagte im Juli 2010 während der Fußballweltmeisterschaft in einem Lokal in Hannover mit dem L.
und dem S. in Streit, wobei er fälschlich bestritt, dass Italien bereits viermal Fußballweltmeister geworden war. Nach einer Rempelei mit L. begab sich der Angeklagte nach Hause, nahm eine mit sechs Patronen geladene Pistole Makarov, Kaliber 9 mm, an sich und kehrte in das Lokal zurück. Dort trat er auf den hinter S. am Tresen sitzenden L. zu. Als dieser aufstehen wollte, nahm der Angeklagte die Waffe aus einer Plastiktüte, hielt sie mit den Worten "Da hast Du Deine vier Sterne" dem völlig überraschten und unvorbereiteten L. an die Stirn und erschoss ihn. Daraufhin wandte sich S. dem Angeklagten zu und bat diesen sinngemäß mit den Worten "nein, nicht", ihn zu verschonen. Der Angeklagte entschloss sich nunmehr, den S. ebenfalls zu töten, richtete die Waffe auf ihn und gab aus nächster Nähe zwei Schüsse auf ihn ab, an deren Folgen S. verstarb. Motiv für die Tötung beider Opfer war die Verärgerung des Angeklagten über den Streit betreffend die Anzahl der Fußballweltmeistertitel sowie darüber, nicht Recht gehabt zu haben und in der Auseinandersetzung unterlegen gewesen zu sein. Nach der Tat flüchtete der Angeklagte nach Spanien, stellte sich dort aber der Polizei.
3
Das Landgericht hat bezüglich beider Opfer eine Tötung aus niedrigen Beweggründen angenommen. Hinsichtlich des L. hat es das Handeln des Angeklagten zudem als heimtückisch gewertet; für die Tötung des S. hat es dieses Mordmerkmal demgegenüber nicht bejaht. Die sachverständig beratene Strafkammer hat weiter ausgeführt, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei aufgrund einer Abhängigkeit von Alkohol und Benzodiazepinen bei ängstlich-depressiver Symptomatik in Verbindung mit der zur Tatzeit bestehenden Intoxikation gemäß § 21 StGB erheblich vermindert gewesen. Es hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die in § 211 StGB vorgesehene lebenslange Freiheitsstrafe nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB zu mildern, und in beiden Fällen eine Einzelfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verhängt; aus diesen hat es die Gesamtfreiheitsstrafe von vierzehn Jahren und sechs Monaten gebildet.
4
2. Die auf die Sachrüge hin veranlasste umfassende materiellrechtliche Nachprüfung des Urteils lässt - auch mit Blick auf die Einzelbeanstandungen der Revision - aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Rechtsfehler zu Gunsten oder zu Lasten (§ 301 StPO) des Angeklagten erkennen. Der näheren Erörterung bedarf lediglich Folgendes:
5
a) Das Landgericht hat auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen bezüglich der Tötung des S. zutreffend das Mordmerkmal der Heimtücke verneint. Nach ständiger Rechtsprechung, von der abzuweichen kein Anlass besteht, kommt es beim heimtückisch begangenen Mord hinsichtlich der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers auf den Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs an (vgl. etwa BGH, Urteil vom 4. Juli 1984 - 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382, 384). Allerdings kann das Opfer auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegen tritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (BGH, Urteile vom 16. Juni 1999 - 2 StR 68/99, NStZ 1999, 506, 507; vom 6. April 2005 - 5 StR 22/05, NStZ-RR 2005, 201, 202; vom 13. Juli 2005 - 2 StR 236/05, NStZ-RR 2005, 309; vom 11. Oktober 2005 - 1 StR 250/05, NStZ-RR 2006, 10). Hierbei handelt es sich allerdings nur um eine in gewisser Weise erweiternde Auslegung des Begriffs "Angriff". Er liegt nicht erst dann vor, wenn der Stich, Schlag oder Schuss selbst geführt oder gelöst wird, sondern umfasst die unmittelbar davor liegende Phase. Dies ändert jedoch nichts daran, dass Heimtücke nur zu bejahen ist, wenn der Täter bei Beginn des ersten Angriffs mit Tötungsvorsatz handelt (BGH, Urteil vom 15. Dezember 1992 - 1 StR 699/92, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 16).
6
Nach diesen Maßstäben handelte der Angeklagte nicht heimtückisch; denn er fasste den Entschluss, S. zu erschießen, erst spontan zu einem Zeitpunkt, als dieser aufgrund der Beobachtung des vorangegangenen Geschehens die Gefahr erkannt hatte und somit nicht mehr arglos war. Bei dieser Fallkonstellation fehlt es an der den Heimtückemord kennzeichnenden besonderen Gefährlichkeit der Tatbegehung, die darin liegt, dass der Täter in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers zur Tötung ausnutzt , indem er es in hilfloser Lage überrascht und dadurch hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu entgehen oder ihn doch wenigstens zu erschweren (BGH, Beschluss vom 2. Dezember 1957 - GSSt 3/57, BGHSt 11, 139, 143; Urteil vom 4. Juni 1991 - 5 StR 122/91, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 15). Allein der enge zeitliche und räumliche Zusammenhang mit der vorangegangen heimtückischen Tötung des L. genügt hierfür nicht.
7
b) Die weiteren Einwände der Revision gegen die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts dringen ebenfalls nicht durch. Das Landgericht hat insbesondere sorgfältig begründet, warum es bei der Bestimmung der Einzelfreiheitsstrafen die Milderungsmöglichkeit nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB genutzt hat. Es hat seine Entscheidung ohne Rechtsfehler an den Maßstäben ausgerichtet, welche die Rechtsprechung für die Strafmilderung bei mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohten Kapitaldelikten entwickelt hat (BGH, Beschluss vom 19. Januar 1996 - 2 StR 650/95, NStZ-RR 1996, 161, 162; Urteil vom 17. Dezember 1998 - 5 StR 315/98, NStZ-RR 1999, 295; Beschluss vom 25. Oktober 1989 - 2 StR 350/89, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 18), und die maßgebenden, sich aus den Feststellungen ergebenden Gesichtspunkte in seine Bewertung einbezogen. Es besteht deshalb kein Anlass zu der Besorgnis, die Strafkammer habe konkrete schulderhöhende Tatumstände aus dem Blick verloren.
8
Soweit die Revision meint, die Strafkammer habe auch das Wissen des Angeklagten von seiner Gefährlichkeit unter Alkoholeinfluss berücksichtigen müssen, entfernt sie sich in unzulässiger Weise von den allein maßgebenden Urteilsgründen. Aus diesen ergibt sich nicht, dass der Angeklagte in erheblichem Maße Alkohol zu sich nahm, obwohl er wusste, dass er in trunkenem Zustand dazu neigt, schwere, mit den abgeurteilten Straftaten vergleichbare Straftaten zu begehen. Festgestellt ist auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen H. , denen die Strafkammer folgt, vielmehr lediglich, dass der 43 Jahre alte, bislang unbestrafte Angeklagte sich vor allem bei Themen , die mit Fußball im Zusammenhang stehen, und vorwiegend in alkoholisiertem Zustand "rechthaberisch" zeige. Die Strafkammer hat in diesem Zusammenhang im Übrigen zutreffend in die Bewertung eingestellt, dass der Angeklagte aufgrund seiner psychischen Erkrankung sowie seiner Abhängigkeit von Alkohol und Benzodiazepinen nicht in der Lage war, die erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit zu vermeiden. Becker Pfister Schäfer RiBGH Mayer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Menges

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR332/14
vom
28. August 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. August
2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Dr. Berger,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt M.
als Verteidiger,
Rechtsanwalt G.
als Nebenklägervertreter,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revisionen der Nebenkläger gegen das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 31. März 2014 werden verworfen.
Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Frei1 heitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die gegen das Urteil gerichtete Revision des Angeklagten hat der Senat mit Beschluss vom 13. August 2014 als unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen. Auch die Revisionen der Nebenkläger bleiben ohne Erfolg.
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der auf die Sachrüge gestützten
2
Rechtsmittel hat keinen Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten ergeben. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts lässt sich den Urteilsfeststellungen schon nicht mit hinreichender Deutlichkeit die für die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke erforderliche Arglosigkeit des – mehrere Abwehrverletzungen aufweisenden – Opfers entnehmen. Hierfür wäre bei dem festgestellten offen feindseligen Angriff nach ständiger Rechtsprechung erforderlich , dass dem Opfer wegen der kurzen Zeitspanne zwischen Erkennen der Gefahr und unmittelbarem Angriff keine Möglichkeit der Abwehr verblieben ist (vgl. etwa BGH, Urteile vom 4. Juni 1991 – 5 StR 122/91, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 15 mwN, insoweit in BGHSt 37, 397 nicht abgedruckt; vom 15. September 2011 – 3 StR 223/11, NStZ 2012, 35). Zu einem derart abrupten Tatverlauf verhalten sich die Urteilsgründe jedoch nicht. Die anderweitigen Ausführungen des Generalbundesanwalts beruhen auf eigenen Wertungen, die im Revisionsverfahren nicht gehört werden können. Entsprechendes gilt für das angesichts der möglichen Spontantat in einer spannungsgeladenen Situation in Verbindung mit der bei dem Angeklagten diagnostizierten psychischen Störung (UA S. 19 ff.) nicht etwa naheliegende Ausnutzungsbewusstsein im Zeitpunkt der Tat. Bei dem hier zugrunde zu legenden Sachverhalt begründet es nach alledem keinen Erörterungsmangel, dass sich die Schwurgerichtskammer, die das Mordmerkmal der Heimtücke erwogen hat (UA S. 22), nicht ausdrücklich mit dem durch den Generalbundesanwalt aufgeworfenen Aspekt auseinandergesetzt hat. Zureichende Anhaltspunkte für das Vorliegen anderer Mordmerkmale sind – insoweit in Einklang mit der Meinung des Generalbundesanwalts – nicht vorhanden.
Basdorf Dölp König
Berger Bellay
5 StR 438/12

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 11. Dezember 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Dezember
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenkläger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 23. April 2012 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dadurch den Nebenklägern entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Hiergegen richtet sich dessen mit der Sachrüge geführte Revision. Dem Rechtsmittel bleibt der Erfolg versagt.
2
1. Das Landgericht hat – zum Anlass der Tat im Wesentlichen auf der Basis der Einlassung des Angeklagten – folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
Der Angeklagte lebte mit der später von ihm getöteten H. – unterbrochen durch Haftzeiten des Angeklagten – seit 2002 zusammen. Nach frühzeitigem Missbrauch von Alkohol und Betäubungsmitteln beschränkte sich sein Rauschmittelkonsum zwischen 2009 und 2011 auf Alkohol , wobei er, Vorgaben seiner die Beziehung dominierenden Lebensgefährtin folgend, nicht mehr als vier bis fünf halbe Liter Bier am Tag trank. Die Alkoholreglementierung war mitunter Anlass für Streitigkeiten, im Rahmen derer H. gegenüber dem Angeklagten auch gelegentlich handgreif- lich wurde. Der Angeklagte verübte hingegen bei diesen und anderen Auseinandersetzungen niemals Gewalt gegen seine Lebensgefährtin.
4
Am Abend des 23. September 2011 hatte der Angeklagte die ihm zugebilligte Alkoholmenge bereits konsumiert. Gleichwohl fragte H. , ob er noch zwei Bier haben wolle, was er bejahte. Sie holte von einer Tankstelle zwei Flaschen Bier, von denen der Angeklagte trank. Es kam zu sexuellen Handlungen. Nach deren Abschluss erzählte sie dem Angeklagten, dass sie beim Bierholen ihren früheren Dealer für Flunitrazepam getroffen habe. Sie werde noch einmal losgehen, um für sich und ihn „Flunis“ zu holen. Der mittelgradig alkoholisierte Angeklagte (maximale Blutalkoholkonzentrati- on 1,74 ‰) reagierte enttäuscht. Er hatte geglaubt, seine Lebensgefährtin, die früher Heroin und rauschmittelhaltige Medikamente konsumiert hatte, habe ihr Suchtproblem überwunden. Er machte ihr Vorhaltungen. Im Zuge des sich anschließenden Streits wurde H. immer aggressiver und schlug den Angeklagten gegen den Mund.
5
Für H. war der Streit nun beendet. Sie wollte am Ange- klagten vorbeigehen. „Dabei rechnete sie mit keinem Angriff auf ihr Leben, insbesondere weil der Angeklagte auch bei vorangegangenen Streitigkeiten sie weder geschlagen hatte noch anderweitig gewalttätig gegen sie vorgegangen war. Dies erkannte der Angeklagte trotz seiner alkoholischen Beein- flussung und nutzte es zur Tatbegehung aus“ (UA S. 12). Erergriff ein Küchenmesser , packte H. , umklammerte sie mit einem Arm um den Hals, zog sie an sich heran und versetzte ihr neun kraftvoll geführte Messerstiche in die Brust. Danach lockerte er seinen Griff und stach ihr fünfmal in den Rücken. Sie sank zu Boden. Um ihren Tod sicher herbeizuführen , würgte der Angeklagte sie am Hals. Sie verstarb binnen weniger Minuten an den Folgen multipler Stichverletzungen in der linken Lunge.
6
Der Angeklagte reinigte einen Teil der Küche und die Handflächen der Getöteten. Dann fesselte er sie mit einer Kinderstrumpfhose an den Armen und mit den Streifen eines zuvor zerrissenen Geschirrtuchs an den Beinen, um einen Überfall vorzutäuschen. Er zog sich saubere Kleidung an. Seine verschmutzte Kleidung und die zur Reinigung verwendeten Gegenstände packte er in einen Plastikmüllsack, den er im Müllcontainer eines Baumarkts entsorgte. Gegen 22 Uhr verließ er die Wohnung endgültig und begab sich in die Innenstadt von Leipzig. Den ein Jahr acht Monate alten gemeinsamen Sohn ließ er schlafend in der Wohnung zurück.
7
Um sich ein Alibi zu verschaffen, versuchte er im weiteren Verlauf der Nacht, die Polizei durch entsprechende Anrufe zu einer Nachschau in der Wohnung zu veranlassen. Nachdem dies fehlgeschlagen war, täuschte er einen Einbruch in einem Autohaus vor und wurde kurzzeitig festgenommen. Gegen 5.50 Uhr begab er sich wieder in die Wohnung. Er alarmierte die Poli- zei, weil er „seine Frau“ blutüberströmt und gefesselt vorgefunden habe. Den Polizeibeamten warf er vor, nicht auf seine Anrufe reagiert und deshalb das Versterben seiner Lebensgefährtin mitverschuldet zu haben. Auch gegenüber eintreffenden Hilfskräften verhielt er sich aggressiv.
8
2. Die Verurteilung des in seiner Schuldfähigkeit nicht relevant beeinträchtigten Angeklagten wegen Mordes (§ 211 StGB) hält rechtlicher Prüfung stand. Der Erörterung bedarf nur die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke sowie des hierauf bezogenen Ausnutzungsbewusstseins. Sie weist keine durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
9
a) Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Argund Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt; wesentlich ist, dass der Mörder sein keinen Angriff erwartendes, mithin argloses Opfer in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren, wobei für die Beurteilung die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs maßgebend ist (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 17. September 2008 – 5 StR 189/08, NStZ 2009, 30, 31 mwN).
10
Das Schwurgericht ist davon ausgegangen, dasssich H. keines erheblichen Angriffs auf ihre körperliche Unversehrtheit oder gar auf ihr Leben versah, als sie versuchte, an dem Angeklagten vorbeizugehen. Es leitet dies – trotz des vorangegangenen Streits mit der diesen aus Opfersicht „abschließenden“ Ohrfeige – ausdem Umstand ab, dass der Angeklagte im Verlauf der langjährigen Beziehung niemals gegen seine Lebensgefährtin gewalttätig geworden war, obwohl diese ihrerseits mitunter zugeschlagen hatte. Ferner stützt es sich auf das Ergebnis des rechtsmedizinischen Sachverständigengutachtens , wonach außer einer oberflächlichen Schnittverletzung an der Kuppe des rechten Ringfingers keine Verletzungen an der Getöteten festgestellt wurden, die darauf hindeuten könnten, dass diese noch die Möglichkeit hatte, die Stiche etwa durch instinktives Hochreißen der Arme abzuwehren.
11
Dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Nach ständiger Rechtsprechung können Arg- und Wehrlosigkeit auch dann gegeben sein, wenn der Tat eine feindselige Auseinandersetzung vorausgeht, das Opfer aber gleichwohl nicht mit einer Tätlichkeit rechnet (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Mai 2011 – 5 StR 65/11, NStZ 2011, 634; Urteil vom 6. September 2012 – 3 StR 171/12 mwN). Für seine Würdigung durfte und musste das Schwur- gericht dabei den bisherigen Verlauf der Beziehung heranziehen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 20. Januar 2005 – 4 StR 491/04, NStZ 2005, 691, 692), in deren Rahmen der Angeklagte Handgreiflichkeiten seiner Lebensgefährtin niemals „mit gleicher Münze“ vergolten hatte. Der hieraus in Verbindung mit den rechtsmedizinischen Befunden abgeleitete Schluss, diese habe sich im Zeitpunkt des Angriffs in Sicherheit gewogen und den Angriff auf ihr Leben allenfalls im letzten, eine Gegenwehr nicht mehr zulassenden Augenblick erkannt, erscheint naheliegend, jedenfalls aber möglich, und ist deshalb vom Revisionsgericht hinzunehmen. „Zwingend“ muss er entgegen der Auffas- sung der Revision nicht sein. Gleichfalls wäre, anders als die Verteidigung meint, angesichts von fünf Stichverletzungen mit einer Tiefe von jeweils acht Zentimetern (UA S. 27) nicht zu beanstanden, dass die Schwurgerichtskam- mer direkten Tötungsvorsatz auch für den Fall als gegeben ansieht, dass der Angeklagte seine Lebensgefährtin – für sich genommen nicht tödlich wirkend – zuerst in den Rücken gestochen hat.
12
b) Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist weiter, dass der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt. Dafür genügt es, wenn er die die Heimtücke begründenden Umstände nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 10. Februar 2010 – 2 StR 391/09, NStZ-RR 2010, 175, 176, Beschluss vom 4. Mai 2011 – 5 StR 65/11, aaO S. 635, je mwN). Dabei kann die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlte (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2008 – 5 StR 189/08, aaO mwN). Andererseits hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu erkennen; dies ist vielmehr eine vom Tatgericht zu bewertende Tatfrage (vgl. BGH, Urteile vom 25. November 2004 – 5 StR 401/04, vom 20. Januar 2004 – 4 StR 491/04, aaO, vom 17. September 2008 – 5 StR 189/08, aaO, und vom 10. Februar 2010 – 2 StR 391/09, aaO, Beschluss vom 4. Mai 2011 – 5 StR 65/11, aaO).
13
Diese Grundsätze hat das Landgericht nicht verkannt. Sachverständig beraten hat es einen die Erkenntnisfähigkeit in Frage stellenden tiefgreifenden Erregungszustand insbesondere mit Blick auf das komplexe und sehr zielgerichtete Nachtatverhalten des Angeklagten verneint. Die mittelgradige Alkoholisierung des außerordentlich trinkgewöhnten Angeklagten hat es dabei bedacht. An das psychiatrische Gutachten anknüpfend ist es zu dem Er- gebnis gelangt, dass der einsichtsfähige Angeklagte die schutzlose Lage des keinen Arg hegenden Opfers zutreffend erfasst und ausgenutzt hat.
14
Trotz nicht ganz unmissverständlicher, ersichtlich als Hilfserwägungen zu verstehender Ausführungen des Landgerichts (UA S. 32 f., 37, 48) ist den Feststellungen (UA S. 12) noch hinreichend deutlich zu entnehmen, dass der Angeklagte den Angriff von hinten begangen, also die neun Stiche in die Brust hinter seiner Lebensgefährtin stehend und diese umklammernd vollführt hat, um ihr nach Lockerung des Griffs dann die fünf Stiche in den Rücken zu versetzen. Auf dieser, die Ergebnisse der rechtsmedizinischen Befunde in eigener Würdigung bewertender Grundlage liegt die Schlussfolgerung des Landgerichts besonders nahe, der Angeklagte habe mit Ausnutzungsbewusstsein gehandelt. Das Gleiche würde gelten, wenn der Angeklagte entsprechend dem vom rechtsmedizinischen Sachverständigen angenommenen Verlauf (UA S. 32) seiner Lebensgefährtin zunächst von hinten die Stiche in den Rücken versetzt, sie dann – weiter hinter ihr stehend – an sich herangezogen und ihr die tödlichen Stiche in die Brust versetzt hat. Bei einem derartigen Vorgehen drängt sich auf, dass der Täter den Überraschungscharakter seines Angriffs bewusst ausgenützt hat, ohne dass es etwa des gezielten Herbeiführens eines Hinterhalts bedürfte (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 2006 – 1StR 113/06, NStZ 2006, 502, 503).
15
Nichts wesentlich anderes ergäbe sich, wenn man die vom Landgericht im Wege einer Hilfserwägung erörterte (UA S. 32 f.) Variante zugrunde legte, dass der Angeklagte seiner Lebensgefährtin vor ihr stehend zunächst die Stiche in die Brust und ihr danach die Stiche in den Rücken versetzt hat. Es handelte sich um eine mit einem Blick zu erfassende Situation; zudem wird ein Angreifer, schon um Schreie und Widerstand möglichst zu vermeiden , stets bestrebt sein, ein Überraschungsmoment auszunützen. Dass die Lebensgefährtin des Angeklagten namentlich in Anbetracht des bisherigen Verlaufs der Beziehung ungeachtet ihres aggressiven Verhaltens nicht mit einem körperlichen Angriff von Seiten des Angeklagten rechnete, ist hinrei- chend schlüssig belegt. Ferner ist die Tat von außergewöhnlichem Vernichtungswillen geprägt, der die Grenzen eines tödlichen Spontanangriffs deutlich überschreitet, und ist das Nachtatverhalten insofern besonders gestaltet, als es sich nicht nur wegen des Zurücklassens des schlafenden Kleinkindes bei der blutigen Leiche der Mutter als hochgradig verwerflich darstellt, sondern auch als überaus kalkuliert und kontrolliert auf Täuschung ausgerichtet. Jedenfalls angesichts dieser besonderen Fallgestaltung kann der Senat die dem Urteil ausreichend zu entnehmende Hilfsüberlegung des Landgerichts hinnehmen, dass der Angeklagte ungeachtet seiner Intoxikation und Erregung die Arglosigkeit des Opfers auch für den weniger wahrscheinlichen Fall eines Angriffs von vorn in sein Vorstellungsbild aufgenommen hat. Damit ist insgesamt von Rechts wegen nichts dagegen zu erinnern, dass das sachverständig beratene Tatgericht unter den hier gegebenen Vorzeichen davon ausgegangen ist, der in seinen kognitiven Fähigkeiten nicht relevant beeinträchtigte Täter habe den Bedeutungsgehalt der tatsächlichen Lage zu Beginn seines tödlichen Angriffs zutreffend eingeschätzt (vgl. auch BGH, Urteile vom 27. Februar 2008 – 2 StR 603/07, NStZ 2008, 510, 511 f., und vom 10. Februar 2010 – 2 StR 391/09, aaO).
Basdorf Schaal Schneider Dölp König

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 1 1 7 / 1 4
vom
11. Juni 2014
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Juni 2014,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof Dr. Fischer,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 12. Dezember 2013 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels sowie die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Mit ihrer Revision beanstandet die Nebenklägerin, dass eine Verurteilung wegen versuchten Mordes unterblieben ist. Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision hat Erfolg.

I.

2
1. Der heute 56-jährige Angeklagte und die später geschädigte Zeugin M. bezogen im Jahr 2008 eine gemeinsame Wohnung. Nachdem der Angeklagte wiederholt Kontakte zu anderen Frauen unterhalten und zuletzt ein Wochenende mit seiner Arbeitskollegin S. verbracht hatte, warf ihn die Zeugin M. im Juli 2012 aus der Wohnung. Nach wenigen Tagen nahm sie ihn je- doch wieder auf, allerdings mit der Maßgabe, sich schnellstmöglichst eine andere Unterkunft zu suchen. Da der Angeklagte keine entsprechenden Bemühungen entfaltete, verwies sie ihn im August 2012 endgültig aus der ehemals gemeinsamen Wohnung. Gleichwohl unterhielten beide fortan ein freundschaftliches Verhältnis. Der Angeklagte nutzte weiterhin die zur Wohnung der Zeugin gehörende Garage, und beide tranken mehrmals die Woche gemeinsam Kaffee.
3
Am Tattag, den 7. Februar 2013, war der Angeklagte dazu entschlossen, sich umzubringen. Schon Tage zuvor hatte er Vorbereitungen wegen der Auflösung seines Haushalts getroffen. Nach Beendigung seiner Arbeit als Paketzusteller fuhr er zur Wohnung der Zeugin M. und hielt sich dort zunächst in der Garage auf. Er trug noch immer seine Arbeitskleidung, in der sich seine üblichen Arbeitsutensilien, u.a. ein Paketscanner und ein Cuttermesser, befanden. Gegen 17.00 Uhr erschien die Geschädigte. Beide gingen ins Haus, tranken im Wohnzimmer gemeinsam einen Kaffee und unterhielten sich über alltägliche Dinge. Schließlich bat die Zeugin den Angeklagten zu gehen, weil sie sich hinlegen wollte. Der Angeklagte verließ daraufhin das Wohnzimmer, und die Geschädigte begleitete ihn - hinter ihm hergehend - zur Tür. Einer von beiden betätigte beim Betreten des Flurs den Lichtschalter, der jedoch regelmäßig nur verzögert die Deckenbeleuchtung im Flur auslöste. Als der Angeklagte etwa die Mitte des Flurs erreicht hatte, der zu diesem Zeitpunkt nur durch das aus dem Wohnzimmer einfallende Licht beleuchtet war, zog er, einem spontanen Entschluss folgend, hervorgerufen durch den erneuten Verweis aus der ehemals gemeinsamen Wohnung, für die Geschädigte nicht sichtbar, den Paketscanner aus seiner Arbeitsweste, drehte sich um und schlug ihr damit wortlos auf den Kopf. Die Geschädigte wurde von dem plötzlichen Angriff überrascht und konnte zunächst nicht abwehrend reagieren. Nach weiteren Schlägen auf den Kopf ging sie zu Boden. Der Angeklagte kniete sich auf die Geschädigte, würgte sie und drückte ihr mit einem Knie auf die Kehle. Anschließend schnitt er ihr mit dem Cuttermesser mehrmals in den Hals sowie in den Kopf. Es gelang der Geschädigten indes, den Angeklagten wegzustoßen und in das Wohnzimmer zu flüchten. Der Angeklagte folgte ihr, setzte sich erneut auf sie und schlug mit dem Scanner solange auf die Geschädigte ein, bis diese das Bewusstsein verlor.
4
Der Angeklagte verließ die Wohnung um 18.15 Uhr und schrieb in der Folgezeit per E-Mail sowohl an seine Arbeitskollegin S. wie an seine Chefin jeweils einen Abschiedsbrief. Anschließend traf er sich mit der Zeugin S. . Er händigte ihre einige seiner Arbeitsutensilien aus und fuhr anschließend gegen 19.50 Uhr in suizidaler Absicht gegen einen Brückenpfeiler. Er überlebte schwer verletzt.
5
Die Geschädigte erlitt lebensgefährliche Verletzungen, musste mehrfach operiert werden und befand sich rund ein halbes Jahr lang in stationärer Behandlung. Sie leidet bis heute an Depressionen und Angstzuständen sowie an ständigen Kopfschmerzen, einem Druckgefühl im Kopf sowie einer linksseitigen Zungenlähmung verbunden mit Sprach- und Essstörungen. Zwei ihrer Finger sind taub und ihr rechter Arm ist nur eingeschränkt funktionsfähig. Die Geschädigte ist nur drei Stunden täglich körperlich belastbar und bis auf weiteres arbeitsunfähig.
6
2. Das Landgericht hat die Tat als versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gewertet. Das Vorliegen der Voraussetzungen eines Heimtückemords hat es verneint. Zwar habe sich das Tatopfer keines Angriffs des Angeklagten versehen und sei infolgedessen arg- und wehrlos ge- wesen. Der Angeklagte habe die Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers aber nicht bewusst zu dessen Tötung ausgenutzt.

II.

7
1. Die Erwägungen des Landgerichts, mit denen es ein Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten verneint hat, sind nicht frei von Rechtsfehlern.
8
a) Schon die Ausgangsüberlegung des Landgerichts, es spreche gegen ein Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten, dass er die Geschädigte nicht in den Flur „gelockt“ und damit ihre Arg- und Wehrlosigkeit nicht gezielt herbeige- führt habe, ist rechtsfehlerhaft. Für das bewusste Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, dass der Täter sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Täter die Arglosigkeit herbeiführt oder bestärkt (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 2006 - 2 StR 561/05, NStZ 2006, 338, 339); worauf die Arglosigkeit des Angegriffenen beruht, ist ohne Belang (vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 2007 - 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93,

94).

9
b) Die Urteilsgründe werden aber auch den Anforderungen an eine lückenlose und widerspruchsfreie Beweiswürdigung nicht gerecht.
10
Soweit darauf abgestellt wird, der Angeklagte habe, weil er vorausgegangen sei, die Verhältnisse hinter sich - insbesondere den Abstand zur Geschädigten und deren Möglichkeiten abwehrend zu reagieren bzw. auszuweichen - gar nicht beobachten und in sein Bewusstsein aufnehmen können, hat das Landgericht erkennbar nicht bedacht, dass es sich um einen lediglich zwei Meter langen und einen Meter breiten Flur handelte, auf dessen Seite zudem eine Kommode stand. Auch war der Angeklagte zum Zeitpunkt des ersten An- griffs auf die Geschädigte erst in der Mitte des Flurs angelangt. Weshalb es für das Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten von Belang sein sollte,dass er - worauf das Landgericht ergänzend abgestellt hat - sich nicht sicher sein konnte , den ersten Angriff gegen die Geschädigte noch bei fehlender Deckenbeleuchtung im Flur führen zu können, erschließt sich nicht.
11
Auch die Spontanität des Tatentschlusses sowie die affektive Erregung des Angeklagten sprechen entgegen der Annahme des Landgerichts nicht ohne Weiteres gegen ein bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit der Geschädigten. Zwar kann die Spontanität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass dem Täter das Ausnutzungsbewusstsein fehlte (BGH Beschluss vom 29. November 2011 - 3 StR 326/11, NStZ 2012, 270, 271; Urteil vom 20. Januar 2005 - 4 StR 491/04, NStZ 2005, 691, 692). Maßgeblich sind aber die in der Tatsituation bestehenden tatsächlichen Auswirkungen des psychischen Zustands des Täters auf seine Erkenntnisfähigkeit.
12
Die insoweit erforderlichen Erwägungen sind dem angefochtenen Urteil in seinem Gesamtzusammenhang schon nicht widerspruchsfrei zu entnehmen. Während das Landgericht bei Prüfung der subjektiven Seite des Heimtückemords davon ausgegangen ist, der Angeklagte habe auf Grund seiner affektiven Erregung und seiner Persönlichkeit in der Zeit zwischen dem spontanen Tatentschluss und der Durchführung der Tat nicht in sein Bewusstsein aufnehmen können, dass er die Arg- und Wehrlosigkeit der Geschädigten ausnutzen werde, hat es bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten eine entsprechende Einengung des Bewusstseins und insbesondere Einengung seines Wahrnehmungsfeldes nicht feststellen können. Es ist vielmehr von einer für ein vergleichbares Gewaltdelikt typischen und im normal-psychologischen Bereich liegenden affektiven Erregung des Angeklagten ausgegangen.
13
Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung zu einer Verurteilung wegen Heimtückemords gekommen wäre. Dies führt zur Aufhebung des Urteils auch, soweit der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
14
2. Im Übrigen weist der Senat noch auf Folgendes hin:
15
Bedenklich sind, was entsprechend §§ 301, 401 Abs. 3 Satz 1 StPO zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen ist (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 1986 - 3 StR 377/86; Beschluss vom 21. Februar 2013 - 3 StR 496/12), die Ausführungen des Landgerichts zur Anwendung des § 21 StGB. Das Gericht hat eine erhebliche Minderung der Steuerungsfähigkeit und insbesondere das Vorliegen eines schuldrelevanten Affekts ausgeschlossen. Dabei hat es zwar berücksichtigt, dass sich bei dem Angeklagten durch die wiederholten „Rausschmisse“ aus der ehemals gemeinsamen Wohnung gegen sich selbst gerich- tete Aggressionen aufgebaut hatten und dass es im Tatzeitpunkt nach dem nunmehr dritten Wohnungsverweis zu einer Umkehr dieser aggressiven Impulse gekommen war. Nicht bedacht hat es aber, dass der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt gleichwohl dazu entschlossen war, auch sich selbst zu töten, was zudem den Schluss nahe legt, dass er sich in einer psychischen Ausnahmesituation befunden hat. Fischer Krehl Eschelbach Ott Zeng

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 326/11
vom
29. November 2011
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
29. November 2011 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 11. April 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt worden ist (Fall III. 1. der Urteilsgründe );
b) im gesamten Strafausspruch und
c) soweit das Landgericht den Angeklagten verurteilt hat, an den Nebenkläger 25.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 21. März 2011 zu zahlen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten des "versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte" (richtig: versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) sowie der versuchten Körperverletzung und der Beleidigung, jeweils in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, schuldig gesprochen und gegen ihn eine Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und zehn Monaten verhängt. Weiter hat es den Angeklagten verurteilt, an den Nebenkläger 25.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 21. März 2011 zu zahlen; im Übrigen hat es von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag abgesehen. Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge im Fall III. 1. der Urteilsgründe sowie bezüglich des gesamten Strafausspruchs und der Adhäsionsentscheidung Erfolg; im Übrigen ist es aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Nach den Feststellungen des Landgerichts im Fall III. 1. der Urteilsgründe beabsichtigten zahlreiche Polizeibeamte, am frühen Morgen des 28. August 2010 in Mönchengladbach auf einem Uferweg der Niers eine etwa acht- bis zehnköpfige Personengruppe zu kontrollieren, der mehrere Verwandte des damals 20 Jahre alten Angeklagten angehörten. Die Anwesenden kamen jedoch der Aufforderung, sich auszuweisen, nicht nach, beschimpften die Polizisten und machten sich über diese lustig. Der Zeuge S. verhielt sich besonders aggressiv. Er wurde daraufhin fixiert, wogegen er sich wehrte. Nach einem Gerangel brachten ihn schließlich mehrere Polizeibeamte, zu denen der zivil gekleidete Nebenkläger gehörte, zu Boden und hielten ihn fest. Dabei kniete der Nebenkläger in gebückter Haltung seitlich auf dem Zeugen und fixierte dessen Kopf und Schultern. Der Angeklagte, dessen Blutalkoholkonzentration 1,81 Promille betrug, befand sich mit Freunden in einer in der Nähe gelegenen Wohnung. Er wurde auf das Geschehen aufmerksam und verließ mit dem Ruf "Mein Vater!" eilig das Haus. Er lief auf die Stelle zu, an welcher der Zeuge S. von mittlerweile vier Polizeibeamten fixiert wurde und rief immer wieder: "Lass meinen Bruder in Ruhe, lass meinen Bruder in Ruhe!". Der Versuch eines Polizeibeamten, den Angeklagten durch einen sog. Bodycheck zu Fall zu bringen, misslang. Nachdem der Angeklagte die Personengruppe erreicht hatte , versuchte er, mit dem Ruf "Das ist mein Bruder, das ist mein Bruder!" einen Polizeibeamten von dem Zeugen S. wegzuziehen. Er wurde jedoch von drei weiteren Polizisten gepackt und einige Meter weggebracht; dabei schlug er wild um sich. Einen kurzen Moment der Passivität der Polizeibeamten nutzte er, riss sich los, überbrückte mit wenigen Schritten die Distanz zu dem am Boden fixierten Zeugen S. und trat dem Nebenkläger in vollem Lauf und mit großer Wucht in das Gesicht. Der Nebenkläger versah sich zu diesem Zeitpunkt keines Angriffs durch den Angeklagten; er konzentrierte sich auf den Zeugen S. und vertraute darauf, dass seine Kollegen die übrigen vor Ort anwesenden Personen in Schach und von ihm fernhalten würden. Er wurde durch den Tritt des Angeklagten schwer verletzt. Der Angeklagte wurde sodann u.a. durch den Einsatz eines Diensthundes überwältigt, festgenommen und zu einem Polizeiwagen verbracht. Hiergegen wehrte er sich, schlug um sich und rief: "Ich mach euch fertig, ihr Dreckschweine!".
3
1. Die Würdigung des Landgerichts, der Angeklagte habe bei seinem Fußtritt in das Gesicht des Nebenklägers heimtückisch im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB gehandelt, hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
4
a) Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet. Das Opfer muss weiter gerade aufgrund seiner Arglosigkeit wehrlos sein. Arg- und Wehrlosigkeit können auch gegeben sein, wenn der Tat eine feindselige Auseinandersetzung vorausgeht, das Tatopfer aber nicht (mehr) mit einem erheblichen Angriff gegen seine körperliche Unversehrtheit rechnet. Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist weiter, dass der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 20. Januar 2005 - 4 StR 491/04, NStZ 2005, 691, 692; vom 29. November 2007 - 4 StR 425/07, NStZ 2008, 273, 274 jeweils mwN).
5
b) Es erscheint mit Blick auf das vorausgegangene Geschehen bereits fraglich, ob die Feststellungen die Arglosigkeit des Nebenklägers zum Zeitpunkt der ersten mit Tötungsvorsatz ausgeführten Handlung - dem Fußtritt des Angeklagten in das Gesicht des Nebenklägers - hinreichend belegen.
6
Auch wenn das Landgericht insoweit keine ausdrücklichen Feststellungen getroffen hat, lässt sich dem Zusammenhang der Urteilsgründe zwanglos entnehmen, dass der Nebenkläger nach dem ersten tätlichen Angriff des Angeklagten auf die den Zeugen S. festhaltenden Polizeibeamten zunächst nicht arglos war, weil er einen nicht unerheblichen Angriff zumindest auch auf seine eigene Gesundheit konkret besorgte. Denn dem Angeklagten kam es für den Nebenkläger erkennbar darauf an, seinen zu Boden gebrachten Bruder, an dessen Fixierung der Nebenkläger mitwirkte, zu "befreien". Allerdings kann die Arglosigkeit auch bei einer unmittelbar vorausgegangenen Auseinandersetzung wieder eintreten. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist Voraussetzung hierfür indessen, dass das Opfer den Streit für beigelegt hält und sich deshalb keines tätlichen Angriffs mehr versieht. Danach kann die Beendigung einer Auseinandersetzung, bei der das Opfer zunächst mit einem Angriff rechnete, vor allem dann angenommen werden, wenn der Täter sich so verhält, dass daraus auf ein Ende der Feindseligkeiten geschlossen werden kann, und das Opfer daraufhin eine Haltung einnimmt, aus der sich ergibt, dass es keinen weiteren Angriff befürchtet (BGH, Urteil vom 30. Mai 1996 - 4 StR 150/96, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 21 mwN).
7
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Der Angeklagte verhielt sich keineswegs in einer Weise, aus der sich für den Nebenkläger ergab, dass er seine aggressiven, auf die Befreiung seines Bruders zielenden Handlungen einstellen wollte. Er wehrte sich vielmehr gegen seine eigene Festnahme, indem er wild um sich schlug, und nutzte zeitnah die erste sich bietende Gelegenheit , um sich zu befreien und seine Absicht weiter zu verfolgen. Der Nebenkläger ging auch nicht deshalb davon aus, dass ihm von dem Angeklagten keine Gefahr mehr drohte, weil er diesen nun als friedfertig einschätzte, sondern weil er darauf vertraute, seine Kollegen hätten den Angeklagten und die Situation insgesamt im Griff. Dies könnte - obwohl es bei der Beurteilung seines Erwartungshorizonts entscheidend auf die subjektive Vorstellung des Angegriffenen ankommt - mit Blick auf die hier gegebene Gesamtsituation gegen die Arglosigkeit des Nebenklägers sprechen.
8
c) Der Senat kann jedoch offen lassen, ob die bisherige Rechtsprechung dahin fortzuführen ist, dass gegebenenfalls auch in einem solchen Fall die Arglosigkeit des Opfers zu bejahen ist. Denn jedenfalls beruht die Feststellung, der Angeklagte habe die Arg- und Wehrlosigkeit des Nebenklägers erkannt und zur Tatbegehung ausgenutzt, nicht auf einer sie tragenden Beweiswürdigung.
9
aa) Für das bewusste Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers ist es erforderlich, dass der Täter die Umstände, die die Tötung zu einer heimtückischen machen, nicht nur an sich wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (BGH, Urteil vom 13. August 1997 - 3 StR 189/97, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 26). Wenn auch nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran hindert, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tatbegehung zu erkennen, so kann doch insbesondere die Spontanität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlte (BGH, Urteile vom 13. August 1997 - 3 StR 189/97, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 26; vom 20. Januar 2005 - 4 StR 491/04, NStZ 2005, 691, 692). Dasselbe gilt für eine - zumal erhebliche - Alkoholisierung des Täters. Deshalb bedarf es in solchen Fällen in aller Regel der Darlegung der Beweisanzeichen, aus denen der Tatrichter folgert, dass der Täter trotz seiner Alkoholisierung und Erregung die für die Heimtücke maßgebenden Gesichtspunkte in sein Bewusstsein aufgenommen hat (BGH, Urteil vom 9. Februar 2000 - 3 StR 392/99, NStZ-RR 2000, 166, 167).
10
bb) Den sich hieraus ergebenden Anforderungen an eine umfassende Beweiswürdigung genügen die Urteilsgründe nicht. Nach den Feststellungen war die Tatsituation wesentlich durch eine insgesamt "angeheizte" Stimmung geprägt. Der Angeklagte, der seinen Bruder bedroht wähnte und diesem bei- stehen wollte, befand sich ersichtlich in einem Zustand großer emotionaler Erregung. Er war zudem bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,81 Promille nicht unerheblich alkoholisiert. Die konkrete Tat entwickelte sich spontan aus einem dynamischen Geschehen. Diese Beweisanzeichen hätte das Landgericht erörtern müssen. Die Strafkammer hat jedoch jede Beweiswürdigung zum Ausnutzungsbewusstsein unterlassen und nur ihre auf den Angaben des Nebenklägers und weiterer Zeugen beruhende Überzeugung davon begründet, dass sich der Nebenkläger zum Zeitpunkt des gegen ihn gerichteten Trittes keines Angriffs versah. Dies gilt auch mit Blick auf die Ausführungen im Rahmen der rechtlichen Würdigung. Dort hat das Landgericht ebenfalls nicht zum Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten Stellung genommen, sondern lediglich dargelegt, ein längeres Überlegen oder ein planvolles Vorgehen werde für die Heimtücke nicht vorausgesetzt. Es genüge, wenn der Täter, einer raschen Eingebung folgend, die für ihn günstige Situation erfasse und sich zunutze mache ; genau das habe der Angeklagte hier getan. Die erforderlichen Erwägungen sind darüber hinaus nicht den Ausführungen des Landgerichts zum bedingten Tötungsvorsatz oder zur wesentlich eingeschränkten Schuldfähigkeit des Angeklagten zu entnehmen. Gründe, welche die unterlassenen Erörterungen ausnahmsweise entbehrlich machen, liegen nicht vor.
11
2. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Schuldspruchs im Fall III. 1. der Urteilsgründe. Damit kommt die in diesem Fall verhängte Einzelfreiheitsstrafe von sieben Jahren und acht Monaten in Wegfall, so dass auch die Gesamtfreiheitsstrafe nicht bestehen bleiben kann. Die Schuldsprüche in den Fällen III. 2. und 3. der Urteilsgründe werden durch den dargelegten Rechtsfehler nicht berührt; insoweit hat das Urteil deshalb Bestand. Der Senat hebt gleichwohl auch in diesen Fällen die Einzelstrafen auf. Zum einen ist nicht auszuschließen, dass sie von der Einsatzstrafe beeinflusst waren; zum anderen soll dem neuen Tatgericht, das u.a. über die Anwendbarkeit von Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht zu befinden haben wird, ermöglicht werden, über den Strafausspruch eine insgesamt in sich stimmige Entscheidung zu treffen.
12
Daneben entfällt die Grundlage der Adhäsionsentscheidung. Der Senat sieht mit Blick darauf, dass die Strafkammer die Höhe des Schmerzensgeldes, auf die sie erkannt hat, in lediglich einem Satz ausschließlich mit einem pauschalen Hinweis auf die vom Nebenkläger erlittenen Verletzungen begründet hat, Anlass für folgenden Hinweis:
13
Derartige rudimentäre, formelhafte Erwägungen genügen den Anforderungen an die Begründungspflicht, die auch für die im Strafurteil getroffene Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche gilt, grundsätzlich nicht. Die Verurteilung zu Schmerzensgeld erfordert regelmäßig zumindest auch die ausdrückliche Erörterung der wirtschaftlichen Verhältnisse von Schädiger und Geschädigtem (BGH, Urteil vom 27. September 1995 - 3 StR 338/95, BGHR StPO § 404 Abs. 1 Entscheidung 4; Urteil vom 21. August 1996 - 2 StR 263/96, BGHR StPO § 404 Abs. 1 Entscheidung 5 jeweils mwN).
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3. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 StPO Gebrauch.
Becker Pfister von Lienen Hubert Schäfer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 1 1 7 / 1 4
vom
11. Juni 2014
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Juni 2014,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof Dr. Fischer,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 12. Dezember 2013 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels sowie die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Mit ihrer Revision beanstandet die Nebenklägerin, dass eine Verurteilung wegen versuchten Mordes unterblieben ist. Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision hat Erfolg.

I.

2
1. Der heute 56-jährige Angeklagte und die später geschädigte Zeugin M. bezogen im Jahr 2008 eine gemeinsame Wohnung. Nachdem der Angeklagte wiederholt Kontakte zu anderen Frauen unterhalten und zuletzt ein Wochenende mit seiner Arbeitskollegin S. verbracht hatte, warf ihn die Zeugin M. im Juli 2012 aus der Wohnung. Nach wenigen Tagen nahm sie ihn je- doch wieder auf, allerdings mit der Maßgabe, sich schnellstmöglichst eine andere Unterkunft zu suchen. Da der Angeklagte keine entsprechenden Bemühungen entfaltete, verwies sie ihn im August 2012 endgültig aus der ehemals gemeinsamen Wohnung. Gleichwohl unterhielten beide fortan ein freundschaftliches Verhältnis. Der Angeklagte nutzte weiterhin die zur Wohnung der Zeugin gehörende Garage, und beide tranken mehrmals die Woche gemeinsam Kaffee.
3
Am Tattag, den 7. Februar 2013, war der Angeklagte dazu entschlossen, sich umzubringen. Schon Tage zuvor hatte er Vorbereitungen wegen der Auflösung seines Haushalts getroffen. Nach Beendigung seiner Arbeit als Paketzusteller fuhr er zur Wohnung der Zeugin M. und hielt sich dort zunächst in der Garage auf. Er trug noch immer seine Arbeitskleidung, in der sich seine üblichen Arbeitsutensilien, u.a. ein Paketscanner und ein Cuttermesser, befanden. Gegen 17.00 Uhr erschien die Geschädigte. Beide gingen ins Haus, tranken im Wohnzimmer gemeinsam einen Kaffee und unterhielten sich über alltägliche Dinge. Schließlich bat die Zeugin den Angeklagten zu gehen, weil sie sich hinlegen wollte. Der Angeklagte verließ daraufhin das Wohnzimmer, und die Geschädigte begleitete ihn - hinter ihm hergehend - zur Tür. Einer von beiden betätigte beim Betreten des Flurs den Lichtschalter, der jedoch regelmäßig nur verzögert die Deckenbeleuchtung im Flur auslöste. Als der Angeklagte etwa die Mitte des Flurs erreicht hatte, der zu diesem Zeitpunkt nur durch das aus dem Wohnzimmer einfallende Licht beleuchtet war, zog er, einem spontanen Entschluss folgend, hervorgerufen durch den erneuten Verweis aus der ehemals gemeinsamen Wohnung, für die Geschädigte nicht sichtbar, den Paketscanner aus seiner Arbeitsweste, drehte sich um und schlug ihr damit wortlos auf den Kopf. Die Geschädigte wurde von dem plötzlichen Angriff überrascht und konnte zunächst nicht abwehrend reagieren. Nach weiteren Schlägen auf den Kopf ging sie zu Boden. Der Angeklagte kniete sich auf die Geschädigte, würgte sie und drückte ihr mit einem Knie auf die Kehle. Anschließend schnitt er ihr mit dem Cuttermesser mehrmals in den Hals sowie in den Kopf. Es gelang der Geschädigten indes, den Angeklagten wegzustoßen und in das Wohnzimmer zu flüchten. Der Angeklagte folgte ihr, setzte sich erneut auf sie und schlug mit dem Scanner solange auf die Geschädigte ein, bis diese das Bewusstsein verlor.
4
Der Angeklagte verließ die Wohnung um 18.15 Uhr und schrieb in der Folgezeit per E-Mail sowohl an seine Arbeitskollegin S. wie an seine Chefin jeweils einen Abschiedsbrief. Anschließend traf er sich mit der Zeugin S. . Er händigte ihre einige seiner Arbeitsutensilien aus und fuhr anschließend gegen 19.50 Uhr in suizidaler Absicht gegen einen Brückenpfeiler. Er überlebte schwer verletzt.
5
Die Geschädigte erlitt lebensgefährliche Verletzungen, musste mehrfach operiert werden und befand sich rund ein halbes Jahr lang in stationärer Behandlung. Sie leidet bis heute an Depressionen und Angstzuständen sowie an ständigen Kopfschmerzen, einem Druckgefühl im Kopf sowie einer linksseitigen Zungenlähmung verbunden mit Sprach- und Essstörungen. Zwei ihrer Finger sind taub und ihr rechter Arm ist nur eingeschränkt funktionsfähig. Die Geschädigte ist nur drei Stunden täglich körperlich belastbar und bis auf weiteres arbeitsunfähig.
6
2. Das Landgericht hat die Tat als versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gewertet. Das Vorliegen der Voraussetzungen eines Heimtückemords hat es verneint. Zwar habe sich das Tatopfer keines Angriffs des Angeklagten versehen und sei infolgedessen arg- und wehrlos ge- wesen. Der Angeklagte habe die Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers aber nicht bewusst zu dessen Tötung ausgenutzt.

II.

7
1. Die Erwägungen des Landgerichts, mit denen es ein Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten verneint hat, sind nicht frei von Rechtsfehlern.
8
a) Schon die Ausgangsüberlegung des Landgerichts, es spreche gegen ein Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten, dass er die Geschädigte nicht in den Flur „gelockt“ und damit ihre Arg- und Wehrlosigkeit nicht gezielt herbeige- führt habe, ist rechtsfehlerhaft. Für das bewusste Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, dass der Täter sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Täter die Arglosigkeit herbeiführt oder bestärkt (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 2006 - 2 StR 561/05, NStZ 2006, 338, 339); worauf die Arglosigkeit des Angegriffenen beruht, ist ohne Belang (vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 2007 - 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93,

94).

9
b) Die Urteilsgründe werden aber auch den Anforderungen an eine lückenlose und widerspruchsfreie Beweiswürdigung nicht gerecht.
10
Soweit darauf abgestellt wird, der Angeklagte habe, weil er vorausgegangen sei, die Verhältnisse hinter sich - insbesondere den Abstand zur Geschädigten und deren Möglichkeiten abwehrend zu reagieren bzw. auszuweichen - gar nicht beobachten und in sein Bewusstsein aufnehmen können, hat das Landgericht erkennbar nicht bedacht, dass es sich um einen lediglich zwei Meter langen und einen Meter breiten Flur handelte, auf dessen Seite zudem eine Kommode stand. Auch war der Angeklagte zum Zeitpunkt des ersten An- griffs auf die Geschädigte erst in der Mitte des Flurs angelangt. Weshalb es für das Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten von Belang sein sollte,dass er - worauf das Landgericht ergänzend abgestellt hat - sich nicht sicher sein konnte , den ersten Angriff gegen die Geschädigte noch bei fehlender Deckenbeleuchtung im Flur führen zu können, erschließt sich nicht.
11
Auch die Spontanität des Tatentschlusses sowie die affektive Erregung des Angeklagten sprechen entgegen der Annahme des Landgerichts nicht ohne Weiteres gegen ein bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit der Geschädigten. Zwar kann die Spontanität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass dem Täter das Ausnutzungsbewusstsein fehlte (BGH Beschluss vom 29. November 2011 - 3 StR 326/11, NStZ 2012, 270, 271; Urteil vom 20. Januar 2005 - 4 StR 491/04, NStZ 2005, 691, 692). Maßgeblich sind aber die in der Tatsituation bestehenden tatsächlichen Auswirkungen des psychischen Zustands des Täters auf seine Erkenntnisfähigkeit.
12
Die insoweit erforderlichen Erwägungen sind dem angefochtenen Urteil in seinem Gesamtzusammenhang schon nicht widerspruchsfrei zu entnehmen. Während das Landgericht bei Prüfung der subjektiven Seite des Heimtückemords davon ausgegangen ist, der Angeklagte habe auf Grund seiner affektiven Erregung und seiner Persönlichkeit in der Zeit zwischen dem spontanen Tatentschluss und der Durchführung der Tat nicht in sein Bewusstsein aufnehmen können, dass er die Arg- und Wehrlosigkeit der Geschädigten ausnutzen werde, hat es bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten eine entsprechende Einengung des Bewusstseins und insbesondere Einengung seines Wahrnehmungsfeldes nicht feststellen können. Es ist vielmehr von einer für ein vergleichbares Gewaltdelikt typischen und im normal-psychologischen Bereich liegenden affektiven Erregung des Angeklagten ausgegangen.
13
Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung zu einer Verurteilung wegen Heimtückemords gekommen wäre. Dies führt zur Aufhebung des Urteils auch, soweit der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
14
2. Im Übrigen weist der Senat noch auf Folgendes hin:
15
Bedenklich sind, was entsprechend §§ 301, 401 Abs. 3 Satz 1 StPO zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen ist (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 1986 - 3 StR 377/86; Beschluss vom 21. Februar 2013 - 3 StR 496/12), die Ausführungen des Landgerichts zur Anwendung des § 21 StGB. Das Gericht hat eine erhebliche Minderung der Steuerungsfähigkeit und insbesondere das Vorliegen eines schuldrelevanten Affekts ausgeschlossen. Dabei hat es zwar berücksichtigt, dass sich bei dem Angeklagten durch die wiederholten „Rausschmisse“ aus der ehemals gemeinsamen Wohnung gegen sich selbst gerich- tete Aggressionen aufgebaut hatten und dass es im Tatzeitpunkt nach dem nunmehr dritten Wohnungsverweis zu einer Umkehr dieser aggressiven Impulse gekommen war. Nicht bedacht hat es aber, dass der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt gleichwohl dazu entschlossen war, auch sich selbst zu töten, was zudem den Schluss nahe legt, dass er sich in einer psychischen Ausnahmesituation befunden hat. Fischer Krehl Eschelbach Ott Zeng