Bundesgerichtshof Urteil, 28. Aug. 2014 - 5 StR 332/14
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
- Von Rechts wegen -
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Frei1 heitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die gegen das Urteil gerichtete Revision des Angeklagten hat der Senat mit Beschluss vom 13. August 2014 als unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen. Auch die Revisionen der Nebenkläger bleiben ohne Erfolg.
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der auf die Sachrüge gestützten
- 2
- Rechtsmittel hat keinen Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten ergeben. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts lässt sich den Urteilsfeststellungen schon nicht mit hinreichender Deutlichkeit die für die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke erforderliche Arglosigkeit des – mehrere Abwehrverletzungen aufweisenden – Opfers entnehmen. Hierfür wäre bei dem festgestellten offen feindseligen Angriff nach ständiger Rechtsprechung erforderlich , dass dem Opfer wegen der kurzen Zeitspanne zwischen Erkennen der Gefahr und unmittelbarem Angriff keine Möglichkeit der Abwehr verblieben ist (vgl. etwa BGH, Urteile vom 4. Juni 1991 – 5 StR 122/91, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 15 mwN, insoweit in BGHSt 37, 397 nicht abgedruckt; vom 15. September 2011 – 3 StR 223/11, NStZ 2012, 35). Zu einem derart abrupten Tatverlauf verhalten sich die Urteilsgründe jedoch nicht. Die anderweitigen Ausführungen des Generalbundesanwalts beruhen auf eigenen Wertungen, die im Revisionsverfahren nicht gehört werden können. Entsprechendes gilt für das angesichts der möglichen Spontantat in einer spannungsgeladenen Situation in Verbindung mit der bei dem Angeklagten diagnostizierten psychischen Störung (UA S. 19 ff.) nicht etwa naheliegende Ausnutzungsbewusstsein im Zeitpunkt der Tat. Bei dem hier zugrunde zu legenden Sachverhalt begründet es nach alledem keinen Erörterungsmangel, dass sich die Schwurgerichtskammer, die das Mordmerkmal der Heimtücke erwogen hat (UA S. 22), nicht ausdrücklich mit dem durch den Generalbundesanwalt aufgeworfenen Aspekt auseinandergesetzt hat. Zureichende Anhaltspunkte für das Vorliegen anderer Mordmerkmale sind – insoweit in Einklang mit der Meinung des Generalbundesanwalts – nicht vorhanden.
Berger Bellay
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.
(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vierzehn Jahren und sechs Monaten verurteilt, dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach dem Vorwegvollzug von fünf Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe angeordnet sowie eine vom Angeklagten in Spanien erlittene Freiheitsentziehung im Verhältnis 1 : 1 auf die Strafe angerechnet. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte, vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
- 2
- 1. Nach den Feststellungen geriet der unter dem Einfluss von Alkohol und Benzodiazepinen stehende Angeklagte im Juli 2010 während der Fußballweltmeisterschaft in einem Lokal in Hannover mit dem L.
- 3
- Das Landgericht hat bezüglich beider Opfer eine Tötung aus niedrigen Beweggründen angenommen. Hinsichtlich des L. hat es das Handeln des Angeklagten zudem als heimtückisch gewertet; für die Tötung des S. hat es dieses Mordmerkmal demgegenüber nicht bejaht. Die sachverständig beratene Strafkammer hat weiter ausgeführt, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei aufgrund einer Abhängigkeit von Alkohol und Benzodiazepinen bei ängstlich-depressiver Symptomatik in Verbindung mit der zur Tatzeit bestehenden Intoxikation gemäß § 21 StGB erheblich vermindert gewesen. Es hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die in § 211 StGB vorgesehene lebenslange Freiheitsstrafe nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB zu mildern, und in beiden Fällen eine Einzelfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verhängt; aus diesen hat es die Gesamtfreiheitsstrafe von vierzehn Jahren und sechs Monaten gebildet.
- 4
- 2. Die auf die Sachrüge hin veranlasste umfassende materiellrechtliche Nachprüfung des Urteils lässt - auch mit Blick auf die Einzelbeanstandungen der Revision - aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Rechtsfehler zu Gunsten oder zu Lasten (§ 301 StPO) des Angeklagten erkennen. Der näheren Erörterung bedarf lediglich Folgendes:
- 5
- a) Das Landgericht hat auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen bezüglich der Tötung des S. zutreffend das Mordmerkmal der Heimtücke verneint. Nach ständiger Rechtsprechung, von der abzuweichen kein Anlass besteht, kommt es beim heimtückisch begangenen Mord hinsichtlich der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers auf den Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs an (vgl. etwa BGH, Urteil vom 4. Juli 1984 - 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382, 384). Allerdings kann das Opfer auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegen tritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (BGH, Urteile vom 16. Juni 1999 - 2 StR 68/99, NStZ 1999, 506, 507; vom 6. April 2005 - 5 StR 22/05, NStZ-RR 2005, 201, 202; vom 13. Juli 2005 - 2 StR 236/05, NStZ-RR 2005, 309; vom 11. Oktober 2005 - 1 StR 250/05, NStZ-RR 2006, 10). Hierbei handelt es sich allerdings nur um eine in gewisser Weise erweiternde Auslegung des Begriffs "Angriff". Er liegt nicht erst dann vor, wenn der Stich, Schlag oder Schuss selbst geführt oder gelöst wird, sondern umfasst die unmittelbar davor liegende Phase. Dies ändert jedoch nichts daran, dass Heimtücke nur zu bejahen ist, wenn der Täter bei Beginn des ersten Angriffs mit Tötungsvorsatz handelt (BGH, Urteil vom 15. Dezember 1992 - 1 StR 699/92, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 16).
- 6
- Nach diesen Maßstäben handelte der Angeklagte nicht heimtückisch; denn er fasste den Entschluss, S. zu erschießen, erst spontan zu einem Zeitpunkt, als dieser aufgrund der Beobachtung des vorangegangenen Geschehens die Gefahr erkannt hatte und somit nicht mehr arglos war. Bei dieser Fallkonstellation fehlt es an der den Heimtückemord kennzeichnenden besonderen Gefährlichkeit der Tatbegehung, die darin liegt, dass der Täter in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers zur Tötung ausnutzt , indem er es in hilfloser Lage überrascht und dadurch hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu entgehen oder ihn doch wenigstens zu erschweren (BGH, Beschluss vom 2. Dezember 1957 - GSSt 3/57, BGHSt 11, 139, 143; Urteil vom 4. Juni 1991 - 5 StR 122/91, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 15). Allein der enge zeitliche und räumliche Zusammenhang mit der vorangegangen heimtückischen Tötung des L. genügt hierfür nicht.
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- b) Die weiteren Einwände der Revision gegen die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts dringen ebenfalls nicht durch. Das Landgericht hat insbesondere sorgfältig begründet, warum es bei der Bestimmung der Einzelfreiheitsstrafen die Milderungsmöglichkeit nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB genutzt hat. Es hat seine Entscheidung ohne Rechtsfehler an den Maßstäben ausgerichtet, welche die Rechtsprechung für die Strafmilderung bei mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohten Kapitaldelikten entwickelt hat (BGH, Beschluss vom 19. Januar 1996 - 2 StR 650/95, NStZ-RR 1996, 161, 162; Urteil vom 17. Dezember 1998 - 5 StR 315/98, NStZ-RR 1999, 295; Beschluss vom 25. Oktober 1989 - 2 StR 350/89, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 18), und die maßgebenden, sich aus den Feststellungen ergebenden Gesichtspunkte in seine Bewertung einbezogen. Es besteht deshalb kein Anlass zu der Besorgnis, die Strafkammer habe konkrete schulderhöhende Tatumstände aus dem Blick verloren.
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- Soweit die Revision meint, die Strafkammer habe auch das Wissen des Angeklagten von seiner Gefährlichkeit unter Alkoholeinfluss berücksichtigen müssen, entfernt sie sich in unzulässiger Weise von den allein maßgebenden Urteilsgründen. Aus diesen ergibt sich nicht, dass der Angeklagte in erheblichem Maße Alkohol zu sich nahm, obwohl er wusste, dass er in trunkenem Zustand dazu neigt, schwere, mit den abgeurteilten Straftaten vergleichbare Straftaten zu begehen. Festgestellt ist auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen H. , denen die Strafkammer folgt, vielmehr lediglich, dass der 43 Jahre alte, bislang unbestrafte Angeklagte sich vor allem bei Themen , die mit Fußball im Zusammenhang stehen, und vorwiegend in alkoholisiertem Zustand "rechthaberisch" zeige. Die Strafkammer hat in diesem Zusammenhang im Übrigen zutreffend in die Bewertung eingestellt, dass der Angeklagte aufgrund seiner psychischen Erkrankung sowie seiner Abhängigkeit von Alkohol und Benzodiazepinen nicht in der Lage war, die erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit zu vermeiden. Becker Pfister Schäfer RiBGH Mayer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Menges