Bundesgerichtshof Urteil, 25. März 2014 - 1 StR 630/13

bei uns veröffentlicht am25.03.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 S t R 6 3 0 / 1 3
vom
25. März 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
25. März 2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Raum
und die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Mosbacher,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Nebenklägervertreter,
Justizangestellte - in der Verhandlung -,
Justizangestellte - bei der Verkündung -
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 5. Juli 2013 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten, die mit der näher ausgeführten Sachrüge begründet wird, hat keinen Erfolg.

I.

2
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
Der zum Tatzeitpunkt 20 Jahre und einen Monat alte und bislang unbestrafte Angeklagte lebte mit seinem 10-jährigen Bruder bei seinen Eltern. Nach anfänglichen Schwierigkeiten erlangte er den Qualifizierenden Hauptschulabschluss und absolvierte zuletzt ein Einstiegsqualifizierungsjahr im Bereich Elektroniker für Betriebstechnik in der Firma, in der auch sein Vater arbeitete.
4
Sein späteres Tatopfer, seinen fünf Jahre jüngeren Cousin A. , kannte er von klein auf; dessen Mutter ist die Patentante des Angeklag- ten. Nachdem es zwischen dem Angeklagten und seinem Cousin anlässlich einer gemeinsamen Fahrt nach Polen zu Konflikten gekommen war, hatten beide ca. drei Jahre keinen Kontakt mehr. Zum 20. Geburtstag des Angeklagten am 16. November 2012 besuchte ihn sein Cousin A. und war anschließend fast jedes Wochenende beim Angeklagten zu Besuch. Das Verhältnis der beiden war im Wesentlichen gut, aber nicht konfliktfrei. Der Angeklagte war bei einer Körpergröße von 175 cm und einem Körpergewicht von ca. 92 kg kleiner als sein sehr sportlicher und allseits beliebter Cousin A. , der bei einer Körpergröße von 189 cm etwa 90 kg wog.
5
A. war ab dem 22. Dezember 2012 bei dem Angeklagten zu Besuch und übernachtete mit in dessen Zimmer. Als seine Eltern A. am Heiligabend abholen wollten, kamen beide Familien überein, den Heiligabend gemeinsam zu feiern. Als Weihnachtsgeschenk erhielt der Angeklagte von seinem Vater ein einschneidiges, insgesamt 22 cm langes scharfes Klappmesser mit 10 cm langer spitzer schmaler Klinge; die Schärfe testete der Angeklagte noch am selben Abend, indem er sich mit dem Messer in den Unterarm ritzte. Auf Wunsch der beiden Cousins blieb A. noch weiter bei der Familie des Angeklagten.
6
Am ersten Weihnachtsfeiertag schliefen beide auf der ausgezogenen Couch des Angeklagten bis in die Mittagsstunden. Nachdem nachmittags zwei Freunde des Angeklagten zu Besuch gewesen und wieder gegangen waren, kam gegen 18.00 Uhr ein weiterer guter Freund des Angeklagten, der spätere Tatzeuge M. , der auch A. kannte. Diesem zeigte der Angeklagte auch sein neues Messer. Als M. die Klinge testete, indem er das Messer in die Couch stach, nahm ihm der Angeklagte das Messer weg und legte es aufgeklappt auf das Sofa.
7
Schließlich lagen alle drei auf dem aufgeklappten Sofa des Angeklagten. Dieser spielte auf dem an den Fernseher angeschlossenen Computer alleine das Spiel „Warcraft“, die anderen beiden schauten zu. Die Stimmung war ruhig, man machte Späße über das Spiel. Als sich der Angeklagte und A. über Arbeit unterhielten, kam es zwischen den beiden zu einer verbalen Auseinandersetzung mit gegenseitigen Beleidigungen, in deren Verlauf A. den Angeklagten als „strunzdumm“ bezeichnete. Nunmehr schlug der Ange- klagte A. mit der rechten Faust mehrmals auf die rechte Schulter. A. forderte den Angeklagten auf, damit aufzuhören und bezeichnete ihn als „Opfer“.Der Angeklagte beschimpfte A. daraufhin als „Krüppel“ oder „Spasti“. Als der Angeklagte A. erneutauf die Schulter schlagen wollte, dreht dieser sich weg, wodurch der Angeklagte ihn unabsichtlich ins Gesicht traf. A. stand auf, stellte sich hinter den im Schneidersitz auf dem Sofa sitzenden Angeklagten, packte ihn mit der linken Hand an den langen Haaren und schlug ihn nun mehrfach mit der rechten Faust ins Gesicht und auf den Hinterkopf, mindestens einmal davon auch auf die rechte Schläfe. Auch als der Angeklagte zu A. sagte, dass dieser aufhören solle, schlug A. weiterhin zu. Dabei befand er sich direkt hinter dem Angeklagten, seine Brust direkt hinter der Schulter des Angeklagten.
8
Um sich A. vom Leib zu halten, wofür ihm jedes Mittel recht war, nahm der Angeklagte das vor ihm liegende aufgeklappte Messer so in die Hand, dass die Klinge auf der Daumenseite aus der Hand herausschaute und stach mit den Worten „so, jetzt stirbst du!“ mit einer schnellen und ausholenden Bewegung über seine rechte Schulter einmal gezielt in Richtung des Oberkörpers von A. . Hierbei rechnete er mit der Möglichkeit, A. im Oberkörperbereich zu treffen und erkannte, dass eine solche Verletzung tödlich sein könnte, was er billigend in Kauf nahm. Der Stich führte zu einer Verletzung von Lunge und Herz und zu massiven Blutungen. A. fragte noch, ob der Angeklagte ihn jetzt abgestochen habe, brach dann bald bewusstlos zusammen und starb schließlich infolge massiven Blutverlustes.
9
Die Mutter von A. gab nach dem Tod ihres einzigen Kindes wegen psychischer Belastungen infolge des Tatgeschehens ihre selbständige Tätigkeit auf. Nach zunächst stationärer psychologischer Behandlung wird sie nun ambulant behandelt. Die Eltern des Angeklagten bezahlten die Beerdigung von A. , der Angeklagte will ihnen diese Kosten erstatten; zudem hat er sich bei den Nebenklägern entschuldigt.
10
2. Das Landgericht hat aufgrund des zielgerichteten Stichs mit einem spitzen und scharfen Messer gegen den Oberkörper von A. in Zusam- menhang mit den Worten „so, jetzt stirbst du!“ auf einen bedingten Tötungsvor- satz des Angeklagten geschlossen. Eine Rechtfertigung wegen Notwehr nach § 32 StGB hat die Jugendkammer verneint, weil es jedenfalls an der Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung fehle. Ausgeschlossen hat das Landgericht auch, dass der Angeklagte die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschritten hat (§ 33 StGB).
11
3. Das Landgericht hat bei dem zum Tatzeitpunkt über 20 Jahre alten Angeklagten wegen Reifeverzögerungen Jugendstrafrecht angewendet. Jugendstrafe hat die Kammer wegen der Schwere der Schuld verhängt, während sie keine schädlichen Neigungen feststellen konnte; zudem sei die Verhängung der Jugendstrafe auch zur erzieherischen Einwirkung auf den Angeklagten geboten.
12
Einen minder schweren Fall nach § 213 Alt. 1 StGB hat die Jugendkammer mit der Erwägung abgelehnt, es liege schon keine schwere Beleidigung in diesem Sinne vor. Zudem sei der Angeklagte nicht schuldlos gewesen, weil er selbst mit den körperlichen Angriffen begonnen und deshalb zur Verschärfung der Situation beigetragen habe. Nach einer Gesamtwürdigung des Tatbildes, aller objektiven und subjektiven Umstände und der Täterpersönlichkeit hat die Jugendkammer auch die Annahme eines unbenannten minder schweren Falls nach § 213 Alt. 2 StGB abgelehnt, wobei sie insbesondere berücksichtigt hat, dass der Angeklagte zwar in affektiver Erregung handelte, diese jedoch noch nicht den Grad einer affektiven Ausnahmesituation erreichte und in ihrem Maß nicht ungewöhnlich für einen Totschlag sei, sowie, dass der Angeklagte zwar unmittelbar vor der Tat von A. geschlagen wurde, der Angeklagte das Tatopfer jedoch zuerst geschlagen hatte.
13
Bei der konkreten Bemessung der Jugendstrafe hat das Landgericht eine Vielzahl von zugunsten des Angeklagten sprechenden Gesichtspunkten berücksichtigt , zu seinen Lasten jedoch die massiven psychischen Belastungen der Mutter von A. , die nunmehr ihren Beruf nicht mehr ausüben kann. Die Jugendstrafe von sechs Jahren hat die Jugendkammer auch zur erzieherischen Einwirkung auf den Angeklagten für erforderlich gehalten.

II.

14
Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge ergibt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.
15
1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts, mit der es sich vom Tötungsvorsatz des insoweit bestreitenden Angeklagten überzeugt hat, ist nicht zu beanstanden.
16
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, der sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden hat (§ 261 StPO). Die tatsächlichen Schlussfolgerungen des Tatgerichts müssen nicht zwingend sein; es genügt, dass sie möglich und nachvollziehbar sind und das Tatgericht von ihrer Richtigkeit überzeugt ist (vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 2013 – 1 StR 403/13 mwN). Das Revisionsgericht ist auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatrichters mit Rechtsfehlern behaftet ist, weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht übereinstimmt oder sich soweit von einer Tatsachengrundlage entfernt, dass sich die gezogenen Schlussfolgerungen letztlich als reine Vermutung erweisen (st. Rspr.; vgl. BGH aaO mwN; vgl. zur Beweiswürdigung hinsichtlich des Tötungsvorsatzes speziell BGH, Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183).
17
b) Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts gerecht. Der Schluss des Landgerichts, der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, weil er einen – wie er erkannte – objektiv besonders gefährlichen Angriff mit einem spitzen, scharfen Messer mit dünner Klinge gegen den Oberkörper eines Menschen mit den Worten ausführte „so, jetzt stirbst du!“, ist möglich und lebensnah. Dass der Angeklagte seinen Cousin A. mit dem Messer im Oberkörperbereich treffen wollte, hat die Jugendkammer entgegen der Auffassung der Revision rechtsfehlerfrei aus der Position der beiden in der konkreten Kampfsituation (A. stand unmittelbar hinter dem Angeklagten, sein Oberkörper befand sich auf der Höhe der Schulter des Angeklagten ) und der Stichführung gefolgert (UA S. 32). Als weitere Indizien hier- für hat die Kammer den Ausruf „so, jetzt stirbst du!“ und die Schilderung des Stichs durch den Zeugen R. („zielgerichtet gegen das Tatopfer“) gewertet. Auch dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen.
18
2. Zutreffend hat das Landgericht eine Rechtfertigung des tödlichen Stichs durch Notwehr mangels Erforderlichkeit der Notwehrhandlung ausgeschlossen.
19
a) Eine in einer objektiven Notwehrlage verübte Tat ist nach § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung stand. Ob dies der Fall ist, muss auf der Grundlage einer objektiven ex-ante-Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung beurteilt werden. Auf weniger gefährliche Verteidigungsmittel muss der Angegriffene nur dann zurückgreifen, wenn deren Abwehrwirkung unter den gegebenen Umständen unzweifelhaft ist und genügend Zeit zur Abschätzung der Lage zur Verfügung steht. Gegenüber einem unbewaffneten Angreifer ist der Gebrauch eines bis dahin noch nicht in Erscheinung getretenen Messers in der Regel anzudrohen (BGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 – 4 StR 347/13 mwN).
20
b) Das Landgericht hat zutreffend darauf abgestellt, dass der Angeklagte den Messereinsatz zunächst hätte androhen oder zumindest mit dem Messer auf einen weniger gefährlichen Körperteil des Opfers stechen müssen wie insbesondere auf das Bein von A. . Damit standen ihm erfolgversprechende mildere Mittel zur Angriffsabwehr zur Verfügung.
21
c) Hinzu kommt Folgendes: Wer durch ein sozialethisch zu beanstandendes Vorverhalten einen Angriff auf sich schuldhaft provoziert hat, auch wenn er ihn nicht in Rechnung gestellt haben sollte oder gar beabsichtigt hat, darf nicht bedenkenlos von seinem Notwehrrecht Gebrauch machen und sofort ein lebensgefährliches Mittel einsetzen. Er muss vielmehr dem Angriff nach Möglichkeit ausweichen und darf zur Trutzwehr mit einer lebensgefährdenden Waffe erst übergehen, nachdem er alle Möglichkeiten der Schutzwehr ausgenutzt hat; nur wenn sich ihm diese Möglichkeit verschließt, ist er zu entsprechend weitreichender Verteidigung befugt. Steht fremde Hilfe – auch privater Art – zur Verfügung, so hat er auf sie zurückzugreifen. Gegen einen unbewaffneten Gegner kommt der Gebrauch einer lebensgefährlichen Waffe nur in Ausnahmefällen in Betracht; er darf nur das letzte Mittel zur Verteidigung sein (BGH, Urteil vom 30. Mai 1996 – 4 StR 109/96, NStZ-RR 1997, 65 mwN; zur Notwehreinschränkung bei Angriffsprovokation umfassend Fasten, Die Grenzen der Notwehr im Wandel der Zeit, 2011, S. 151 ff. mwN).
22
Vorliegend hat der Angeklagte als erster die körperliche Auseinandersetzung mit seinem fünf Jahre jüngeren Cousin begonnen, nachdem sich beide zuvor lediglich gegenseitig verbal beleidigt hatten. Die Schläge gegen sich hat der Angeklagte durch seinen vorherigen körperlichen Angriff auf A. schuldhaft provoziert. Richtig ist deshalb die Erwägung der Kammer in diesem Zusammenhang, der Angeklagte habe vor Setzen des tödlichen Stichs zunächst den unmittelbar neben dem Geschehen befindlichen Zeugen M. oder die in der Wohnung anwesenden Erwachsenen um Hilfe anrufen müssen.
23
d) Zur gleichen Einschränkung des Notwehrrechts könnte die Erwägung führen, dass bei einem derartigen persönlichen Näheverhältnis wie dem des Angeklagten zu seinem – zumal jugendlichen – Opfer lebensgefährliche Verteidigungsmittel nicht ohne weiteres angewendet werden dürfen, wenn nur leichte Körperverletzungen drohen (vgl. BGH, Urteil vom 25. September 1974 – 3 StR 159/74, NJW 1975, 62 f.; vgl. demgegenüber auch BGH, Urteil vom 11. Januar 1984 – 2 StR 541/83, NJW 1984, 986 f.; Urteil vom 18. April 2002 – 3 StR 503/01, NStZ-RR 2002, 203, 204; hierzu umfassend auch Fasten aaO S. 199 ff.).
24
e) Weil angesichts dieser Umstände eine Rechtfertigung durch Notwehr im Ergebnis ersichtlich ausscheidet, ist es nicht rechtsfehlerhaft, dass das Landgericht – wie die Revision rügt – unter Hinweis auf die Gesamtumstände und die vorherige körperliche Gewalt des Angeklagten gegen A. an dieser Stelle letztlich offen gelassen hat, ob überhaupt eine Notwehrlage vorlag.
25
3. Die Ablehnung eines Notwehrexzesses nach § 33 StGB hat die Jugendkammer ebenfalls rechtsfehlerfrei begründet. Die Überschreitung der Grenzen der Notwehr aus Furcht ist entschuldigt, wenn bei dem Täter ein durch das Gefühl des Bedrohtseins verursachter psychischer Ausnahmezustand mit einem solchen Störungsgrad vorliegt, dass er das Geschehen nur noch in erheblich reduziertem Maße verarbeiten kann (BGH, Urteil vom 30. Mai 1996 – 4 StR 109/96, NStZ-RR 1997, 65 f. mwN). Dies war nach den Feststellungen bei dem Angeklagten nicht der Fall. Danach war er trotz der affektiven Aufladung der Situation noch in der Lage, das Geschehen richtig zu verarbeiten (UA S. 36). Einen erheblichen asthenischen Affekt als Ursache für das Überschreiten der Notwehrgrenze (vgl. BGH aaO) hat die Jugendkammer damit rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.
26
4. Auch der Rechtsfolgenausspruch hält revisionsrechtlicher Prüfung stand.
27
a) Die Jugendkammer hat die Voraussetzungen des § 213 StGB rechtsfehlerfrei verneint. Der Senat kann daher offen lassen, ob auch nach der Heraufsetzung des Strafrahmens von § 213 StGB durch das 6. Strafrechtsreformgesetz an der bisher zur Berücksichtigung von § 213 StGB bei der Bemessung von Jugendstrafe ergangenen Rechtsprechung festzuhalten wäre (vgl. insoweit nur Senat, Urteil vom 15. November 1988 – 1 StR 545/88, NStZ 1989, 119 f.; BGH, Beschluss vom 30. Juni 1987 – 4 StR 266/87; Beschluss vom 8. Oktober 1986 – 2 StR 394/86; Beschluss vom 1. Juli 1982 – 3 StR 190/82, NStZ 1982,

466).


28
b) Nach § 213 Alt. 1 StGB liegt ein minder schwerer Fall des Totschlags nur dann vor, wenn der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Misshandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und auf der Stelle zur Tat hingerissen wurde. Dem steht vorliegend – wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – ersichtlich entgegen, dass der Angeklagte die körperlichen Übergriffe auf ihn durch die vorherigen Faustschläge auf die Schulter und ins Gesicht seines 15 Jahre alten Cousins selbst schuldhaft provoziert hat, ohne dass dies nach den vorherigen gegenseitigen Beleidigungen gerechtfertigt oder entschuldigt gewesen wäre.
29
c) Rechtsfehlerfrei sind auch die Ausführungen des Landgerichts zur Ablehnung eines sonst minder schweren Falls des Totschlags nach § 213 Alt. 2 StGB. Das Landgericht hat im Rahmen seiner Gesamtwürdigung neben anderen Gesichtspunkten ausdrücklich berücksichtigt, dass der Angeklagte unmittelbar vor der Tat vom Tatopfer geschlagen wurde und dass er in affektiver Erregung handelte. Damit ist den Anforderungen der Rechtsprechung insoweit (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Februar 2007 – 4 StR 581/06, NStZ-RR 2007, 194, 195; Beschluss vom 4. Juli 2013 – 4 StR 213/13, NStZ 2013, 580 m. Anm. Becker) Genüge getan.
30
d) Auch die Bemessung der Jugendstrafe ist nicht zu beanstanden. Entgegen der Auffassung der Revision hat die Jugendkammer hinreichend berücksichtigt , dass der Angeklagte unmittelbar vor der Tat vom Tatopfer geschlagen und verletzt wurde und die Tat in einer affektiv aufgeladenen Situation beging.
31
Die Jugendkammer hat die aus ihrer Sicht schuldangemessene Jugendstrafe auch zur erzieherischen Einwirkung auf den Angeklagten für erforderlich und ausreichend angesehen. Dass sie die Gründe hierfür an dieser Stelle nicht ausführlicher dargelegt hat, begründet keinen Rechtsfehler, zumal ohnehin fraglich ist, ob sich eine Jugendstrafe zwischen fünf und zehn Jahren erzieherisch begründen lässt (vgl. Senat, Beschluss vom 27. November 1995 – 1 StR 634/95, NStZ 1996, 232, 233; BGH, Beschluss vom 15. Mai 1996 – 2 StR 119/96, NStZ 1997, 29; vgl. demgegenüber BGH, Beschluss vom 7. Mai1996 – 4 StR 182/96, NStZ 1996, 496). Raum Rothfuß Graf Jäger Mosbacher

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Bundesgerichtshof Urteil, 25. März 2014 - 1 StR 630/13 zitiert 6 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafgesetzbuch - StGB | § 32 Notwehr


(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig. (2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 213 Minder schwerer Fall des Totschlags


War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minde

Strafgesetzbuch - StGB | § 33 Überschreitung der Notwehr


Überschreitet der Täter die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft.

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(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 403/13
vom
1. Oktober 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 1. Oktober
2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Raum
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Radtke,
Prof. Dr. Mosbacher,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt aus München - in der Verhandlung -
als Verteidiger,
Justizangestellte - in der Verhandlung -,
Justizangestellte - bei der Verkündung -
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 5. April 2013 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt und bestimmt, dass die in den Niederlanden erlittene Auslieferungshaft im Verhältnis 1:1 angerechnet wird. Die mit einer Verfahrensrüge und der näher ausgeführten Sachrüge begründete Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

I.


2
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
Der anderweitig Verfolgte M. führte am 27. März 2011 etwas über 7,3 kg Kokaingemisch mit einem Wirkstoffgehalt von knapp 2,6 kg KokainHydrochlorid mit sich, das in den vorderen Radkästen eines in D. angemieteten Pkw versteckt worden war und bei einer Polizeikontrolle an der Autobahnrastanlage I. aufgefunden wurde. Nach Aufforderung der Polizei nahm M. mit dem von ihm benannten Mittäter „R. “ per SMS Kontakt auf, was zu einer Ortung des von „R. “ benutzten Mobiltelefons in A. führte. Sämtliche mit „R. “ ausgetauschten Kurzmitteilungen wa- ren in albanischer Sprache verfasst.
4
Wegen dieser Tat wurde M. mit Urteil des Landgerichts München II wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Das Landgericht sieht die Tat des M. als „Haupttat“ der Beihilfehandlung des Angeklagten an.
5
Das in Platten gepresste Kokain war für den Transport in dreizehn Päckchen verpackt worden, die jeweils einen identischen Aufbau aufwiesen: Die erste Schicht der Verpackung bestand aus transparentem Tesaklebeband, die zweite Schicht aus einem transparenten Schlauchfolienbeutel, die dritte Schicht aus braunem Paketklebeband, die vierte Schicht aus Frischhaltefolie und die fünfte Schicht aus einem bläulich-transparenten Gefrierbeutel. Zwölf Päckchen waren zudem in schwarzer Schrift mit Buchstabenkombinationen beschriftet.
6
Die geschilderte Verpackung des Kokains nahm der Angeklagte an einem unbekannten Ort vor der Übergabe an M. zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt kurz vor dem 27. März 2011 vor. Hierbei war ihm - wie allen übrigen Tatbeteiligten - bewusst, dass das Kokain zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt war.
7
2. Die Überführung des aus Albanien stammenden und in den Niederlanden in der Gastronomie arbeitenden Angeklagten, der zum Tatvorwurf geschwiegen hat und bislang im Bundesgebiet unbestraft ist, stützt das Landgericht auf drei von ihm stammende Fingerspuren, die auf der vierten Verpackungslage (Frischhaltefolie) eines der Kokainpakete gesichert werden konn- ten. Weitere verwertbare Spuren wurden bei der Untersuchung der Pakete nicht gefunden; der als Zeuge vernommene M. hatte angegeben, den Angeklagten nicht zu kennen.
8
Das Landgericht ist davon überzeugt, dass der Angeklagte bei der Verpackung des entsprechenden Kokainpakets beteiligt war: Weil sich die Frischhaltefolie wegen ihrer dünnen Qualität nicht zur Wiederverwendung eigne und sonstige Verschmutzungen auf dieser Folie nicht gefunden worden seien, gebe es keine Anhaltspunkte, dass die Frischhaltefolie vor ihrer Verwendung als Rauschgiftverpackung zu anderen Zwecken verwendet worden sei, weshalb ein zufälliges Aufbringen der Fingerabdrücke auf die Folie ausgeschlossen werden könne. Aus der Gleichartigkeit der Verpackung der Drogen zieht die Kammer den Schluss, dass der Angeklagte beim Verpacken aller dreizehn Rauschgiftpäckchen mitgeholfen habe, die aufgrund der Beschriftungen und des identischen Verpackungsaufbaus den Eindruck einer Sammelbestellung machten.

II.


9
1. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers liegt der absolute Revisionsgrund der örtlichen Unzuständigkeit nach § 338 Nr. 4 StPO nicht vor. Das Landgericht München II war nach § 7 Abs. 1 StPO für das Verfahren gegen den Angeklagten örtlich zuständig.
10
In dem für die Zuständigkeitsbestimmung maßgeblichen Zeitpunkt der Eröffnung des Hauptverfahrens lagen hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass der Angeklagte mit seiner Tätigkeit den Betäubungsmittelhandel von M. unterstützte. Nach der Überzeugung des Landgerichts ist der Transport der verpackten Betäubungsmittel durch den gesondert Verurteilten M. zum Zwe- cke gewinnbringenden Weiterverkaufs die Haupttat des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Diese Tat wurde jedenfalls auch im Zuständigkeitsbereich des Landgerichts München II begangen (§ 7 Abs. 1 StPO), weil M. mit dem Kokain zum Zweck des gewinnbringenden Weiterverkaufs unterwegs war (vgl. auch BGH, Beschluss vom 31. März 2011 - 3 StR 400/10, insoweit in NStZ 2011, 596 nicht abgedr.). An diesem Geschehen hat sich der Angeklagte durch die Verpackung des Kokains beteiligt, denn erst hierdurch war es zum Transport und auch zum Versteck in den Radkästen des Wagens geeignet. Tatort der Beihilfe zum Handeltreiben ist auch der Ort des Handeltreibens (§ 9 Abs. 2 StGB).
11
Der Fall unterscheidet sich damit schon im Ansatz von den Konstellationen , in denen sich Veräußerer und Erwerber von Betäubungsmitteln gegenüberstehen und gegenteilige Interessen verfolgen (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 17. Juli 2002 - 2 Ars 164/02, NStZ 2003, 269; vom 31. März 2011 - 3 StR 400/10, insoweit in NStZ 2011, 596 nicht abgedr.; BGH, Urteil vom 30. September 2008 - 5 StR 215/08, NStZ 2009, 221). Soweit die Revision erwägt , der Angeklagte sei alleine auf Seiten etwaiger Veräußerer der Betäubungsmittel tätig geworden, lag dies nach den Umständen des Falls im Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses angesichts der in albanisch geführten Kom- munikation mit dem in den Niederlanden befindlichen Hintermann „R. “ vor dem Hintergrund der albanischen Staatsangehörigkeit des Angeklagten und seines Aufenthalts in den Niederlanden nicht nahe.
12
2. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge hat ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
13
Die Beweiswürdigung des Landgerichts, mit der es sich von der Schuld des Angeklagten überzeugt hat, ist nicht zu beanstanden.
14
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, der sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden hat (§ 261 StPO). Die tatsächlichen Schlussfolgerungen des Tatgerichts müssen nicht zwingend sein; es genügt, dass sie möglich sind und das Tatgericht von ihrer Richtigkeit überzeugt ist (vgl. BGH, Urteil vom 9. Februar 1957 - 2 StR 508/56, BGHSt 10, 208, 209 ff.; BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20 f.). Zu seiner Überzeugungsbildung kann es auch allein ein einziges Beweisanzeichen wie etwa einen Fingerabdruck oder eine DNA-Spur heranziehen (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 2013 - 3 StR 247/12, NStZ 2013, 420; BGH, Urteil vom 11. Juni 1952 - 3 StR 229/52). Das Revisionsgericht ist auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatrichters mit Rechtsfehlern behaftet ist, weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht übereinstimmt oder sich soweit von einer Tatsachengrundlage entfernt, dass sich die gezogenen Schlussfolgerungen letztlich als reine Vermutung erweisen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 21. März 2013 - 3 StR 247/12, NStZ 2013, 420 mwN).
15
b) Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts gerecht:
16
Der Schluss des Landgerichts von den Fingerabdrücken auf einer Zwischenlage eines Betäubungsmittelpakets auf die Mitwirkung des Angeklagten an der Verpackung des Rauschgifts ist möglich und lebensnah. Aufgrund der Lage der Fingerabdrücke auf der Zwischenlage hat das Landgericht nachvoll- ziehbar ausgeschlossen, dass die Abdrücke auf unverfängliche Weise auf die Folie aufgetragen wurden. Angesichts der Gleichartigkeit der Verpackung konnte das Landgericht auch rechtsfehlerfrei darauf schließen, dass der Angeklagte am Verpacken sämtlicher Kokainpakete beteiligt war. Mit Umständen, die gegen diesen Schluss sprechen (keine weiteren Spuren an den Paketen), hat sich das Landgericht ausdrücklich auseinandergesetzt.
17
c) Ebenfalls rechtsfehlerfrei ist der Schluss des Landgerichts auf den entsprechenden Vorsatz des Angeklagten hinsichtlich der Mitwirkung am Kokainabsatz. Dass das Kokain zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt war und der Angeklagte dies auch erkannte, ergibt sich für das Landgericht aus der Menge und der auf eine Sammelbestellung hinweisenden Art der Verpackung des Rauschgifts.
18
Angesichts der Fertigung dreizehn gleichartig verpackter Kokain-Pakete bedurfte es keiner weiteren Ausführungen zu dem Vorstellungsbild des Angeklagten von der Haupttat des M. , wozu das Landgericht naturgemäß keine weiteren Anknüpfungstatsachen erheben konnte. Der Gehilfe muss seinen eigenen Tatbeitrag sowie die wesentlichen Merkmale der Haupttat, insbesondere deren Unrechts- und Angriffsrichtung, zumindest für möglich halten und billigen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Januar 2011 - 3 StR 420/10, NStZ 2011, 399). Er braucht hingegen Einzelheiten der Haupttat nicht zu kennen und keine bestimmte Vorstellung von ihr zu haben (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2012 - 3 StR 435/11, wistra 2012, 302), insbesondere wenn sein Tatbeitrag - wie hier - nur zu deliktischen Zwecken verwendet werden kann (vgl. Senat, Urteil vom 18. April 1996 - 1 StR 14/96, BGHSt 42, 135, 137 ff.). Da die dreizehn Kokainpäckchen angesichts der Menge an Betäubungsmitteln nur zum gewinnbringenden Weiterverkauf mittels Transport zu etwaigen Käufern be- stimmt sein konnten, liegt es auf der Hand, dass der Angeklagte genau damit rechnete und dies billigend in Kauf nahm. Die Tat des M. hält sich in diesem Rahmen.
19
d) Angesichts der geschilderten Gesamtumstände ist auch die Wertung des Landgerichts rechtsfehlerfrei, dass sich der Angeklagte an der Haupttat des M. beteiligt hat, indem er beim Verpacken des Kokains mitgeholfen hat. Dass eine besonders sichere Verpackung des Rauschgifts gerade zum Verstecken der Pakete in einem Pkw (hier den Radkästen) beiträgt, liegt nahe und bedurfte deshalb keiner weiteren Erörterung. Soweit die Revision vorbringt, es läge näher , dass der Angeklagte auf Seiten der Verkäufer des Kokains an M. und nicht auf Seiten von M. tätig geworden wäre, erschöpft sich das Vorbringen in dem Versuch einer in der Revision unbehelflichen eigenen Beweiswürdigung.
Raum Graf Jäger
Radtke Mosbacher

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 558/11
vom
22. März 2012
in der Strafsache
gegen
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
____________________________
Zur "Hemmschwellentheorie" bei Tötungsdelikten.
BGH, Urteil vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11 - LG Saarbrücken
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. März
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Dr. Mutzbauer,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 17. Juni 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist,
b) in den Aussprüchen über die Gesamtfreiheitsstrafe, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug eines Teils der Gesamtstrafe vor der Unterbringung.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben ,
a) soweit der Angeklagte wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe und
c) im gesamten Ausspruch über die verhängten Maßnahmen.
3. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und einem Monat verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug eines Teils der Gesamtstrafe angeordnet sowie Maßnahmen nach §§ 69, 69a StGB verhängt. Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen. Die Staatsanwaltschaft hat ihr Rechtsmittel nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist mit Einzelausführungen zur Verneinung des Tötungsvorsatzes und zur Anordnung der Unterbringung in dem angefochtenen Urteil näher begründet; im danach verbleibenden Umfang hat ihre Revision Erfolg. Der Angeklagte erzielt mit seinem Rechtsmittel einen Teilerfolg.

A.


2
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
3
I. Nach den Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen war der Angeklagte vor den hier abgeurteilten Taten u.a. bereits wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten: Am 8. Juni 2009 ordnete das Amtsgericht Saarbrücken gegen ihn wegen gefährlicher Körperverletzung eine Erziehungsmaßregel und ein Zuchtmittel an. Der Angeklagte hatte im Rahmen einer tätlichen Auseinandersetzung zweimal mit einem Schraubenzieher in den linken Mittelbauch des Geschädigten gestochen. Wegen einer etwa sechs Wochen nach dieser Ahndung begangenen (ersichtlich: vorsätzlichen) Körperverletzung verhängte das Amtsgericht Saarbrücken gegen ihn mit Strafbefehl vom 2. Oktober 2009 eine Geldstrafe in Höhe von 80 Tagessätzen. Er hatte seine damalige Lebensgefährtin so lange gewürgt, bis diese Angst hatte zu ersticken; von ihr hatte er erst abgelassen, als sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Sechs Tage vor dem hier abgeurteilten Angriff auf den Nebenkläger (nachfolgend zu Ziff. III.) stellte die Staatsanwaltschaft Saarbrücken ein gegen den Angeklagten geführtes Ermittlungsverfahren mangels öffentlichen Interesses ein; der Angeklagte hatte einem Besucher der Saarbrücker Diskothek „ “ angedroht, er werde ihn „abstechen, wenn er herauskomme“.
4
Bei der konkreten Strafzumessung teilt das Landgericht mit, dass der Angeklagte sich darauf berufen habe, in sämtlichen Fällen von den Zeugen bewusst der Wahrheit zuwider belastet worden zu sein.
5
II. Am 12. Oktober 2010 befuhr der Angeklagte mit einem entliehenen und abredewidrig weiter genutzten Pkw Smart gegen 5.45 Uhr öffentliche Straßen in Saarbrücken, u.a. die Straße in Saarbrücken-St. Johann. Infolge seiner alkoholischen Beeinflussung – er wies bei der Tat einen Blutalko- holgehalt von mindestens 1,35 ‰ auf – verkannteer den Straßenverlauf und überfuhr ein Stopp-Schild. Es kam beinahe zu einem Zusammenstoß mit dem Kleinbus des V. , der die vorfahrtberechtigte straße befuhr. An der Kreuzung Straße/ straße stieß der Angeklagte an ei- nen eisernen Begrenzungspfosten und riss diesen um; er kam mit dem von ihm gefahrenen, schwer beschädigten Fahrzeug erst auf einem angrenzenden Schulhof zum Stehen. Seine Fahrunsicherheit hätte er bei gewissenhafter Prüfung vor Antritt der Fahrt erkennen können.
6
III. In der Nacht zum 18. November 2010 beobachtete der Angeklagte in der Saarbrücker Diskothek „ “ einen Streit zwischen zwei ihm nicht näher bekannten Personen. Als der Nebenkläger diesen Streit schlichten wollte, mischte sich auch der Angeklagte in die Auseinandersetzung ein und geriet mit dem Nebenkläger in Streit. Es kam zu wechselseitigen Beleidigungen; der Angeklagte schlug dem Nebenkläger ins Gesicht. Anschließend trennten die Türsteher die Streitenden. Etwa 20 Minuten später lebte die Auseinandersetzung vor der Diskothek erneut auf; nach weiteren wechselseitigen Beleidigungen schlug nunmehr der Nebenkläger dem Angeklagten ins Gesicht. Auch dieses Mal trennten die Türsteher die Streitenden. Nachdem man sich kurzzeitig in unterschiedliche Richtungen entfernt hatte, setzte der Nebenkläger dem Angeklagten nach und schlug ihm ein weiteres Mal ins Gesicht; im Rahmen der sich anschließenden Rangelei blieb der Angeklagte der körperlich Unterlegene. Ein drittes Mal trennten die herbeigeeilten Türsteher die Streitenden. Der Angeklagte entfernte sich. Der Nebenkläger begab sich in Begleitung eines Freundes zu einem Taxistand, an dem sich eine Gruppe von „Nachtschwärmern“ ver- sammelt hatte.
7
Nach etwa 15 Minuten kam der Angeklagte plötzlich hinter einer Ecke hervor. Er lief unmittelbar auf den Nebenkläger zu und stach seinem nichts ahnenden Opfer sofort von seitlich hinten kommend in den Rücken. Mit den Wor- ten „Verreck‘, du Hurensohn“ rammte er ihm ein 22 cm langesdoppelklingiges Messer mit einer Klingenlänge von 11 cm derart heftig in den Rücken, dass die achte Rippe des Opfers durchtrennt wurde und die Klinge anschließend noch in die Lunge eindrang. Der Nebenkläger sackte auf dem Boden zusammen. Es entwickelten sich tumultartige Zustände; der Begleiter des Nebenklägers brachte den Angeklagten zu Boden und hielt ihn bis zum Eintreffen der Polizei fest. Die Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit betrug beim Angeklagten maximal 1,58 ‰.
8
Der Nebenkläger erlitt einen Hämatopneumothorax; es bestand akute Lebensgefahr. Ohne eine sofort durchgeführte Notoperation wäre er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verstorben. Er leidet nach wie vor unter erheblichen physischen und psychischen Beeinträchtigungen.

B.


9
Die Revision des Angeklagten
10
I. Der Angeklagte hat mit seinem Revisionsangriff Erfolg, soweit er sich gegen seine Verurteilung wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 3 Nr. 2 StGB und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wendet.
11
1. Die Feststellungen des Landgerichts belegen die für die Annahme einer Tat nach § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 3 Nr. 2 StGB vorausgesetzte Herbeiführung einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder eine fremde Sache von bedeutendem Wert nicht. Nach gefestigter Rechtsprechung muss die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt haben, in der - was nach all- gemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist - die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt war, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (BGH, Urteile vom 30. März 1995 – 4 StR 725/94, NJW 1995, 3131 f., zu § 315 c StGB, und vom 4. September 1995 – 4 StR 471/95, NJW 1996, 329 f., zu § 315 b StGB; vgl. weiter SSW-Ernemann, StGB, § 315 c Rn. 22 ff.).
12
Da für den Eintritt des danach erforderlichen konkreten Gefahrerfolgs das vom Angeklagten geführte fremde Fahrzeug nicht in Betracht kommt (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 1976 – 4 StR 465/76, BGHSt 27, 40; Beschluss vom 19. Januar 1999 – 4 StR 663/98, NStZ 1999, 350, 351), auch der Verkehrswert und die Höhe des Schadens an dem Begrenzungspfosten nicht festgestellt sind (vgl. OLG Stuttgart DAR 1974, 106, 107; OLG Jena OLGSt § 315 c StGB Nr. 16; zur maßgeblichen Wertgrenze s. BGH, Beschluss vom 28. September 2010 – 4 StR 245/10, NStZ 2011, 215), kommt es auf die Begegnung mit dem Kleinbus des V. an. Nach den in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäben genügen die hierauf bezogenen Feststellungen des Landgerichts den Anforderungen zur Darlegung einer konkreten Gefahr nicht. Einen Verkehrsvorgang, bei dem es zu einem "Beinahe-Unfall" gekommen wäre - also ein Geschehen, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, "das sei noch einmal gut gegangen" (Senat, Urteile vom 30. März 1995 und vom 4. September 1995, jew. aaO) -, hat das Schwurgericht nicht mit Tatsachen belegt. Dass sich beide Fahrzeuge beim Querverkehr in enger räumlicher Nähe zueinander befunden haben, genügt für sich allein nicht. Insbesondere ergeben die bisher getroffenen Feststellungen nicht, dass es dem Angeklagten und V. etwa nur auf Grund überdurchschnittlich guter Re- aktion sozusagen im allerletzten Moment gelungen ist, einer sonst drohenden Kollision durch Ausweichen zu begegnen.
13
2. Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs entzieht der hierwegen verhängten Einzelstrafe, der Gesamtstrafe und den Maßnahmen nach §§ 69, 69 a StGB die Grundlage.
14
3. Die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht ist „vollumfänglich“ der psychiatrischen Sachverständigen gefolgt, welche die negative Gefahrenprognose mit „seiner (des Angeklagten) offenkundigen sich steigernden Neigung zu körperlichen Übergriffen“ begründet hat.Im Rahmen der konkreten Strafzumessung teilt das Schwurgericht mit, dass es, nachdem der Angeklagte behauptet hatte, früherer Aggressionsdelikte bewusst wahrheitswidrig beschuldigt worden zu sein, „die Anträge der Verteidigung auf Sachverhaltsaufklärung aller vorheriger Verfahren zurückgewiesen“ und „lediglich die Warn- funktion der beiden Vorstrafen“ berücksichtigt hat. Danach findet die die Prog- nose tragende Erwägung in den getroffenen Feststellungen keine ausreichende Grundlage.
15
II. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
16
III. 1. Der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter wird zunächst die Verkehrssituation, in der sich die beiden beteiligten Fahrzeuge bei ihrer Annäherung im Vorfallszeitpunkt befanden, näher aufzuklären haben. Auch wenn an die diesbezüglichen Feststellungen im Urteil keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. Senat, Urteil vom 30. März 1995, aaO), wird sich der Tatrichter um nähere Ermittlung der von beiden Fahrzeugen im Vorfallszeitpunkt gefahrenen Geschwindigkeiten, ihrer Entfernung zueinander, zur Beschaffenheit des Straßenverlaufs und der Kreuzung sowie der am Vorfallsort bestehenden Ausweichmöglichkeiten zu bemühen und das Ergebnis in einer Weise im Urteil darzulegen haben, die dem Revisionsgericht eine Nachprüfung ermöglicht, ob eine - wie beschrieben - konkrete Gefahr im Sinne eines "Beinahe -Unfalls" bereits vorlag.
17
2. Der neue Tatrichter wird auch die Einwendungen der revisionsführenden Staatsanwaltschaft und des Generalbundesanwalts gegen die Unterbringungsanordnung zu berücksichtigen haben.

C.


18
Die Revision der Staatsanwaltschaft
19
Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat in vollem Umfang Erfolg.
20
I. Das Rechtsmittel ist zulässig.
21
1. Zwar hat die Staatsanwaltschaft entgegen § 344 Abs. 1 StPO innerhalb der Revisionsbegründungsfrist (§ 345 Abs. 1 Satz 2 StPO) keinen Revisionsantrag gestellt. Sie hat bis zu diesem Zeitpunkt lediglich die bereits in ihrer Einlegungsschrift vorgebrachte allgemeine Sachrüge erhoben. Diese – auch Nr. 156 Abs. 2 RiStBV widersprechende – Verfahrensweise ist in dem hier gegebenen Einzelfall aber unschädlich. Freilich hat der Bundesgerichtshof wie- derholt Revisionen der Staatsanwaltschaft, die ohne Antragstellung lediglich mit der allgemeinen Sachrüge begründet waren, für unzulässig gehalten. Dies betraf jedoch Strafverfahren, in denen einem (BGH, Beschluss vom 21. Mai 2003 – 5 StR 69/03, bei Becker NStZ-RR 2004, 228) oder mehreren Angeklagten (BGH, Beschluss vom 7. November 2002 – 5 StR 336/02, NJW 2003, 839) eine Vielzahl von Straftaten zur Last gelegt oder in denen der Angeklagte teilweise freigesprochen worden war und die Angriffsrichtung des Rechtsmittels bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist unklar blieb (BGH, Beschluss vom 5. November 2009 – 2 StR 324/09, NStZ-RR 2010, 288). So verhält es sich hier nicht: Gegenstand des von der Staatsanwaltschaft angefochtenen Urteils sind lediglich zwei Taten; in der Erhebung der uneingeschränkten allgemeinen Sachrüge ist daher die Erklärung der revisionsführenden Staatsanwaltschaft zu sehen, dass das Urteil insgesamt angefochten werde (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 344 Rn. 3 m.w.N.).
22
2. Nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist hat die Staatsanwaltschaft mit Schriftsatz vom 12. September 2011 einen umfassenden Aufhebungsantrag gestellt. Mit ihren Einzelausführungen hat sie sodann jedoch lediglich gerügt, dass das Landgericht in dem oben unter A. III. geschilderten Fall zu Unrecht den Tötungsvorsatz des Angeklagten verneint hat; außerdem hat sie die Anordnung seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt beanstandet. Dies ist als Teilrücknahme gemäß § 302 Abs. 1 Satz 1 StPO zu werten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Mai 2005 – 5 StR 86/05 und vom 6. Juli 2005 – 2 StR 131/05) und führt dazu, dass der Schuldspruch wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs, die dieserhalb verhängte Einzelstrafe und die Maßnahmen nach §§ 69, 69 a StGB nicht (mehr) auf Revision der Staatsanwaltschaft zu überprüfen sind.
23
II. In dem vorgenannten Umfang erweist sich das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft als begründet. Die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
24
1. Nach Auffassung des Schwurgerichts sprechen zwar nicht unerhebliche Gesichtspunkte für einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz, nämlich insbesondere die erhebliche Wucht des von dem Ausspruch „Verreck‘, du Hurensohn“ begleiteten Messerstichs. Dagegenstehe indes die Tatsache, dass der Angeklagte lediglich einen Stich ausgeführt habe und darüber hinaus auch nicht unerheblich alkoholisiert gewesen sei. „Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der Hemmschwellentheorie sieht die Kammer im Zweifel zu Gunsten des Angeklagten einen Tötungsvorsatz als nicht mit letzter Sicherheit erwiesen an.“
25
2. Diese Beweiserwägungen halten – auch eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 2012 – 4 StR 499/11, m.w.N.) – rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Begründung, mit der das Landgericht meinte, dem Angeklagten nicht wenigstens bedingten Tötungsvorsatz nachweisen zu können, ist lückenhaft und teilweise widersprüchlich.
26
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (BGH, Urteil vom 9. Mai 1990 – 3 StR 112/90, BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 7 m.w.N.). Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen und - weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt - einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (BGH, Beschluss vom 7. Juli 1992 – 5StR 300/92, NStZ 1992, 587, 588). Zwar können das Wissens- oder das Willenselement des Eventualvorsatzes gleichwohl im Einzelfall fehlen, so etwa, wenn dem Täter, obwohl er alle Umstände kennt, die sein Vorgehen zu einer das Leben gefährdenden Behandlung machen, das Risiko der Tötung infolge einer psychischen Beeinträchtigung – z.B. Affekt, alkoholische Beeinflussung oder hirnorganische Schädigung (BGH, Beschluss vom 16. Juli 1996 – 4 StR 326/96, StV 1997, 7; Schroth NStZ 1990, 324, 325) – zur Tatzeit nicht bewusst ist (Fehlen des Wissenselements) oder wenn er trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit der Tat ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges vertraut (Fehlen des Willenselements). Bei der erforderlichen Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände (vgl. BGH, Urteile vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 9 f., vom 20. Dezember 2011 – VI ZR 309/10, WM 2012, 260, 262, und vom 21. Dezember 2011 – 1StR 400/11) darf der Tatrichter den Beweiswert offensichtlicher Lebensgefährlichkeit einer Handlungsweise für den Nachweis eines bedingten Tötungsvorsatzes nicht so gering veranschlagen, dass auf eine eingehende Auseinandersetzung mit diesen Beweisanzeichen verzichtet werden kann (BGH, Urteil vom 7. Juni 1994 – 4 StR 105/94, StV 1994, 654; vgl. zusammenfassend zuletzt BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11 m.w.N.).
27
b) Diese Prüfung lässt das Landgericht vermissen. Seinen knappen Ausführungen kann der Senat schon nicht die erforderliche Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände entnehmen. Es wird darüber hinaus nicht erkennbar, ob das Schwurgericht bereits Zweifel daran hatte, dass der Angeklagte den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkannte, oder nur daran, dass er ihn billigte oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfand.
28
aa) Soweit die Alkoholisierung des Angeklagten angesprochen wird, könnte dies für Zweifel des Landgerichts auch am Wissenselement sprechen. Abgesehen davon jedoch, dass eine maximale Alkoholkonzentration von 1,58 ‰ bei dem zur Tatzeit trinkgewohnten Angeklagten keinen Anhalt für solche Zweifel begründet, leidet das angefochtene Urteil an dieser Stelle – wie der Generalstaatsanwalt in Saarbrücken zu Recht geltend macht – an einem inneren Widerspruch: Während die Alkoholisierung bei der Prüfung des Tötungsvorsatzes als „nicht unerheblich“ bezeichnet wird, geht das Schwurgericht im Zusammenhang mit § 64 StGB – in Übereinstimmung mit der gehörten Sachverständigen – von einer „lediglich geringe(n) Beeinträchtigung durch Alkohol“ aus. Auch bei der Prüfung verminderter Schuldfähigkeit gelangt das sachverständig beratene Landgericht „nicht zu der Annahme einer erheblichen Beeinflussung“ des Angeklagten. Es legt auch nicht dar, wieso die den Stich begleitende Bemerkung überhaupt Raum für Zweifel daran lässt, dass der Angeklagte, dem die Lebensgefährlichkeit des Messerstichs bewusst war (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB), die Möglichkeit eines tödlichen Verlaufs erkannt hat. Insgesamt ergeben sich aus den bisherigen Feststellungen keine Anhaltspunkte, die die Annahme rechtfertigen könnten, eine psychische Beeinträchtigung habe dem Angeklagten die Erkenntnis einer möglichen tödlichen Wirkung seines in den oberen Rückenbereich zielenden, in hohem Maße lebensgefährlichen Angriffs verstellt (vgl. zur Allgemeinkundigkeit dieses Umstands BGH, Urteil vom 16. April 2008 – 2 StR 95/08 und zur Entbehrlichkeit medizinischen Detailwissens BGH, Urteil vom 13. Dezember 2005 – 1 StR 410/05, NStZ 2006, 444, 445).
29
bb) Die Annahme einer Billigung liegt nahe, wenn der Täter sein Vorhaben trotz erkannter Lebensgefährlichkeit durchführt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2005 – 4 StR 109/05, NStZ-RR 2005, 372; Urteil vom 18. Oktober 2007 – 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93 f.). Hierbei sind die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – insbesondere die konkrete Angriffsweise –, die psychische Verfassung des Täters bei der Tatbegehung sowie seine Mo- tivation in die Beweiswürdigung mit einzubeziehen (vgl. BGH, Urteile vom 27. August 2009 – 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372, und vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 702). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Vertrauen auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolgs regelmäßig dann zu verneinen, wenn der vorgestellte Ablauf des Geschehens einem tödlichen Ausgang so nahe kommt, dass nur noch ein glücklicher Zufall diesen verhindern kann (BGH, Urteile vom 16. September 2004 – 1 StR 233/04, NStZ 2005, 92, vom 23. Juni 2009 – 1 StR 191/09, NStZ 2009, 629, 630, und vom 1. Dezember 2011 - 5 StR 360/11).
30
Rechtlich tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte trotz der Lebensgefährlichkeit des Messerstichs ernsthaft und nicht nur vage (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Oktober 1990 – 3 StR 332/90, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 24) darauf vertraut haben könnte, der Nebenkläger würde nicht zu Tode kommen, hat das Landgericht nicht festgestellt und liegen bei dem Tatgeschehen auch fern (vgl. BGH, Urteile vom 6. März 1991 – 2 StR 333/90, NStE Nr. 27 zu § 212 StGB, und vom 18. Oktober 2006 – 2 StR 340/06, NStZ 2007, 150, 151). Entgegen der Meinung des Landgerichts spricht insbesondere das Unterlassen weiterer Angriffe nicht gegen die Billigung des Todes. Nach dem Messerstich sackte der – nach dem Gutachten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen konkret lebensbedrohlich verletzte – Nebenkläger zu Boden; es ist schon nicht festgestellt, ob der Angeklagte davon ausging, ihn bereits tödlich verletzt zu haben, so dass es aus seiner Sicht weiterer Stiche nicht bedurfte (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 2008 – 2 StR 95/08). Außerdem brachte der Begleiter des Nebenklägers den Angeklagten mit Gewalt zu Boden und hielt ihn bis zum Eintreffen der Polizei fest; auch brach infolge der Tat ein Tumult aus. Danach liegt es nicht nahe, dass der Angeklagte überhaupt noch die Gelegenheit zu einem weiteren Messerstich auf sein am Boden liegendes Opfer hatte.
31
cc) Soweit das Landgericht sich ergänzend auf eine „Hemmschwellentheorie“ berufen hat, hat es deren Bedeutung für die Beweiswürdigung verkannt.
32
Es hat schon nicht mitgeteilt, was es darunter im Einzelnen versteht und in welchem Bezug eine solche „Theorie“ zu dem von ihm zu beurteilenden Fall stehen soll. Die bloße Erwähnung dieses Schlagworts wird vom Generalstaatsanwalt in Saarbrücken und vom Generalbundesanwalt daher mit Recht als „pauschal“ bzw. „formelhaft“ bezeichnet. Zwarhat auch der Bundesgerichtshof immer wieder auf die „für Tötungsdelikte deutlich höhere Hemmschwelle“ hin- gewiesen (vgl. nur BGH, Urteil vom 7. Juni 1994 – 4 StR 105/94, StV 1994, 654; abl. z.B. Brammsen JZ 1989, 71, 78; Fahl NStZ 1997, 392; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 212 Rn. 15 f.; Geppert Jura 2001, 55, 59; SSW-StGB/Momsen § 212 Rn. 12; Paeffgen, FS für Puppe, 791, 797 Fn. 25, 798 Fn. 30; NKStGB /Puppe, 3. Aufl., § 212 Rn. 97 ff.; Rissing-van Saan, FS für Geppert, 497, 505 f., 510; Roxin, Strafrecht AT, Bd. I, 4. Aufl., § 12 Rn. 79 ff.; MünchKommStGB /Schneider § 212 Rn. 48 f.; SK-StGB/Sinn § 212 Rn. 35; Trück NStZ 2005, 233, 234 f.; Verrel NStZ 2004, 233 ff.; vgl. auch Altvater NStZ 2005, 22, 23), allerdings auch gemeint, in Fällen des Unterlassens bestünden „generell keine psychologisch vergleichbaren Hemmschwellen vor einem Tötungs- vorsatz“ (BGH,Urteil vom 7. November 1991 – 4 StR 451/91, NJW 1992, 583, 584; dazu Puppe NStZ 1992, 576, 577: „Anfang vom Ende der Hemm- schwellentheorie“).Für Fälle des positiven Tuns hat er an das Postulat einer Hemmschwelle anknüpfend weiter ausgeführt, dass selbst die offen zutage tretende Lebensgefährlichkeit zugefügter Verletzungen ein zwar gewichtiges Indiz, nicht aber einen zwingenden Beweisgrund für einen (bedingten) Tötungsvorsatz des Täters bedeute, der Tatrichter vielmehr gehalten sei, in seine Beweiserwägungen alle Umstände einzubeziehen, welche die Überzeugung von einem Handeln mit (bedingtem) Tötungsvorsatz in Frage stellen könnten (BGH, Beschlüsse vom 3. Dezember 1997 – 3 StR 569/97, NStZ-RR 1998, 101, vom 8. Mai 2001 – 1 StR 137/01, NStZ 2001, 475, 476, und vom 2. Februar 2010 – 3 StR 558/09, NStZ 2010, 511, 512);sachlich vergleichbar fordern andere Entscheidungen vom Tatrichter, immer auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen , dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut habe, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten (BGH, Beschlüsse vom 8. Mai 2008 – 3 StR 142/08, NStZ 2009, 91, und vom 22. April 2009 – 5 StR 88/09, NStZ 2009, 503; Urteil vom 25. März 2010 – 4 StR 594/09 m.w.N.). Wieder andere Entscheidungen verlangen „eine eingehende Prüfung anhand aller Umstände des Einzelfalles“ (BGH, Urteil vom 8. März 2001 – 4 StR 477/00, StV 2001, 572; ähnlich bereits BGH, Beschluss vom 27. November 1975 – 4 StR 637/75, VRS 50, 94, 95).
33
An den rechtlichen Anforderungen ändert sich indessen nichts, wenn die zur Annahme oder Verneinung bedingten Tötungsvorsatzes führende Beweiswürdigung ohne Rückgriff auf das Postulat einer Hemmschwelle überprüft wird (BGH, Urteile vom 3. Juli 1986 – 4 StR 258/86, NStZ 1986, 549, 550, und vom 7. August 1986 – 4 StR 308/86, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 3 [jeweils: sorgfältige Prüfung], sowie vom 11. Dezember 2001 – 1 StR 408/01, NStZ 2002, 541, 542 [Ausführungen zu einer Hemmschwelle bei stark alkoholisiertem Täter ohne Motiv nicht geboten]; ebenso für Fälle affektiv erregter, alkoholisierter , ohne Motiv, spontan oder unüberlegt handelnder Täter BGH, Beschlüsse vom 21. Oktober 1986 – 4 StR 563/86, StV 1987, 92, vom 7. Juli 1999 – 2 StR 177/99, NStZ 1999, 507, 508,und vom 7. November 2002 – 3 StR 216/02, NStZ 2004, 51; Urteil vom 14. November 2001 – 3 StR 276/01; Beschluss vom 2. Dezember 2003 – 4 StR 385/03, NStZ 2004, 329, 330; Urteil vom 14. Dezember 2004 - 4 StR 465/04; Beschluss vom 20. September2005 – 3StR 324/05, NStZ 2006, 169, 170; Urteile vom 30. August 2006 – 2 StR 198/06, NStZ-RR 2007, 43, 44 [zusätzlich gruppendynamischer Prozess], vom 18. Januar 2007 – 4 StR 489/06, NStZ-RR 2007, 141, 142, und vom 23. Juni 2009 – 1 StR 191/09, NStZ 2009, 629, 630; Beschluss vom 6. Dezember 2011 – 3 StR 398/11; vgl. auch BGH, Beschluss vom 14. Januar 2003 – 4 StR 526/02, NStZ 2003, 369).
34
Im Verständnis des Bundesgerichtshofs erschöpft sich die „Hemmschwellentheorie“ somit in einem Hinweis auf § 261 StPO (BGH, Urteil vom 11. Januar 1984 – 2 StR 615/83, StV 1984, 187, Beschluss vom 27. Juni 1986 – 2 StR 312/86, StV 1986, 421, Urteile vom 22. November 2001 – 1 StR 369/01, NStZ 2002, 314, 315, vom 23. April 2003 – 2 StR 52/03, NStZ 2003, 603, 604, und vom 16. Oktober 2008 – 4 StR 369/08, NStZ 2009, 210, 211: jeweils sorgfältige Prüfung; vgl. weiter BGH, Urteil vom 25. November 1987 – 3 StR 449/87, NStZ 1988, 175; Beschlüsse vom 19. Juli 1994 – 4 StR 348/94, NStZ 1994, 585, und vom 25. November 2010 – 3 StR 364/10, NStZ 2011, 338, 339; Urteil vom 15. Dezember 2010 – 2 StR 531/10, NStZ 2011, 210, 211; MünchKommStGB/Schneider § 212 Rn. 48: „prozessuale Selbstver- ständlichkeit“).Der Bundesgerichtshof hat demgemäß immer wieder hervorgehoben , dass durch sie die Wertung der hohen und offensichtlichen Lebensge- fährlichkeit von Gewalthandlungen als ein gewichtiges auf Tötungsvorsatz hinweisendes Beweisanzeichen (BGH, Urteil vom 24. April 1991 – 3 StR 493/90) in der praktischen Rechtsanwendung nicht in Frage gestellt oder auch nur relativiert werden solle (BGH, Urteile vom 24. März 1993 – 3 StR 485/92, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 35, vom 12. Januar 1994 – 3 StR 636/93, NStE Nr. 33 zu § 212 StGB, vom 11. Oktober 2000 – 3 StR 321/00, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 51, und vom 27. August 2009 – 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372), auch nicht bei Taten zum Nachteil des eigenen Kindes (BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 305). Zur Verneinung des voluntativen Vorsatzelements bedarf es vielmehr in jedem Einzelfall tragfähiger Anhaltspunkte dafür, dass der Täter ernsthaft darauf vertraut haben könnte, der Geschädigte werde nicht zu Tode kommen (BGH, Urteile vom 24. März 2005 – 3 StR 402/04, vom 9. August 2005 – 5 StR 352/04, NStZ 2006, 98, 99, vom 25. Mai 2007 – 1 StR 126/07, NStZ 2007, 639, 640, und vom 16. Oktober 2008 aaO; Trück aaO S. 239 f.). Daran fehlt es hier (vgl. vorstehend unter bb).
35
Der Hinweis des Landgerichts auf eine „Hemmschwellentheorie“ entbehrt somit jedes argumentativen Gewichts. Im Übrigen hätte das Schwurgericht sich – von seinem Standpunkt aus – damit auseinander setzen müssen, dass schon der festgestellte Handlungsablauf, nämlich das wuchtige und zielgerichtete Stechen eines Messers aus schnellem Lauf in den Rücken eines ahnungslosen Opfers, das Überwinden einer etwa vorhandenen Hemmschwelle voraussetzt (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 2008 – 2 StR 95/08). Auch ist eine erhebliche Alkoholisierung (oder ein Handeln in affektiver Erregung und aufgrund spontanen Entschlusses) nach sicherer Erfahrung gerade besonders geeignet, eine etwa vorhandene Hemmschwelle auch für äußerst gefährliche Gewalthandlungen herabzusetzen (BGH, Urteil vom 24. Februar 2010 – 2 StR 577/09, NStZ- RR 2010, 214, 215; NK-StGB/Puppe, 3. Aufl., § 15 Rn. 93; Rissing-van Saan, aaO, S. 515; Roxin, aaO, Rn. 81; MünchKommStGB/Schneider § 212 Rn. 50; Trück aaO S. 238; Verrel aaO S. 311).
36
dd) Nach alledem kann der Senat offen lassen, ob die zusammenfassende Bemerkung des Landgerichts, es sehe „einen Tötungsvorsatz als nicht mit letzter Sicherheit erwiesen an“, nicht auf eine Überspannung der Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung hindeutet. Auch bedarf es keiner Entscheidung, ob hier nicht – etwa im Blick auf die den Messerstich begleitende Äußerung des Angeklagten – die Annahme direkten Tötungsvorsatzes näher liegt.
37
3. Auf der fehlerhaften Beweiswürdigung beruht der Schuldspruch wegen der Tat zum Nachteil des Nebenklägers. Nach den bisherigen Feststellungen liegt die Annahme eines strafbefreienden Rücktritts vom Tötungsversuch nicht nahe (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 2010 – 2 StR 536/10, NStZ 2011, 209).
38
III. Der aufgezeigte Mangel zwingt zur Aufhebung der für sich gesehen rechtlich nicht zu beanstandenden Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung , weil ein versuchtes Tötungsdelikt hierzu in Tateinheit stünde (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1997 – 4 StR 642/96, NStZ 1997, 276; Beschluss vom 27. Juni 2000 – 4 StR 211/00). Dies entzieht der hierwegen verhängten Einzelfreiheitsstrafe , der Gesamtfreiheitsstrafe und der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nebst teilweisem Vorwegvollzug der Gesamtstrafe die Grundlage.
39
IV. Der Senat weicht mit seiner Entscheidung nicht von der Rechtsprechung anderer Senate des Bundesgerichtshofs zum Tötungsvorsatz ab. Er legt ihr vielmehr die sog. Hemmschwellentheorie in dem in der bisherigen Rechtsprechung entwickelten Verständnis zu Grunde (vgl. oben C. II. 2. b) cc).
Ernemann Cierniak Franke
Mutzbauer Quentin

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 347/13
vom
19. Dezember 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Beteiligung an einer Schlägerei
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. Dezember
2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Dr. Mutzbauer,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt in der Verhandlung vom 5. Dezember 2013,
Staatsanwaltschaft bei der Verkündung am 19. Dezember
2013
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt in der Verhandlung
vom 5. Dezember 2013
als Verteidiger,
Rechtsanwältin in der Verhandlung
vom 5. Dezember 2013
als Vertreterin des Nebenklägers Z. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen des Angeklagten und des Nebenklägers Z. wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 12. Dezember 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beteiligung an einer Schlägerei zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts und beantragt Freispruch, hilfsweise das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen. Der Nebenkläger Z. strebt eine Verurteilung wegen Totschlags (§ 212 StGB) an. Beide Rechtsmittel haben Erfolg.

I.


2
1. Das Landgericht hat die folgenden Feststellungen getroffen:
3
In der Nacht vom 4. auf den 5. April 2012 war der Angeklagte zusammen mit G. , M. und S. auf dem Weg zur Wohnung seines Vaters, wo sie von D. und Y. erwartet wurden. Kurz vor dem Erreichen der Wohnung trafen sie auf den später getöteten F. und die Zeugen Fe. , O. , Su. , Ga. und Gr. . Die Stimmung in der Gruppe um F. war alkoholbedingt ausgelassen bis gereizt. F. und Fe. beschimpften den Angeklagten und G. als „Hurensöhne“ und bezeichneten M. und S. als „Schlampen“. Dabei tat sich der eine körperliche Auseinandersetzung suchende F. besonders hervor. Während der Angeklagte und seine weiblichen Begleiterinnen auf die Provokationen nicht eingingen , reagierte G. mit Beleidigungen in Richtung des F. und seiner Begleiter und gab diesen zu verstehen, sie sollten weni- ge Minuten abwarten, „dann würden sie schon sehen“.
4
Sodann begaben sich der Angeklagte und seine Begleiter in die nahe gelegene Wohnung. Dort berichtete G. den wartenden D. und Y. , dass sie auf der Straße vor dem Haus „an- gemacht“ worden seien und draußen Leute warten würden, die auf eine Schlä- gerei aus seien. Man solle hinuntergehen, um die Sache zu klären. Der Angeklagte , der dieser Aufforderung nicht ausschließbar nur widerwillig nachkam, entnahm aus einer Schublade zwei Küchenmesser und übergab diese Y. , der sie an D. und G. weiterreichte.
Y. hatte zudem eine Shisha-Zange bei sich. Dem Angeklagten und seinen Begleitern war dabei bewusst, dass sie sich in eine alkoholbedingt aufgeladene Situation begeben würden, bei der auch mit Tätlichkeiten ernstlich zu rechnen war.
5
Als der Angeklagte und seine drei männlichen Begleiter unter der Führung von D. vor das Haus traten, wurden sie von der im Halbkreis aufgestellten Gruppe um F. erwartet. Während sich die als Wortführer auftretenden D. und F. zunächst ein Wortgefecht lieferten, trennten sich einzelne Personen aus den jeweiligen Gruppen heraus. Dabei kam es zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen G. einerseits und Gr. und S. andererseits, bei der G. eines der Küchenmesser als Drohmittel einsetzte. Der Angeklagte und Fe. führten ein wenig abseits stehend ein Gespräch, bei dem sie übereinkamen, dass eine Schlägerei überflüssig sei und die Streitenden auseinandergebracht werden müssten. Nachdem es unterdessen zwischen einigen Mitgliedern der beiden Gruppen bereits zu Schubsereien gekommen war, wobei sowohl F. , als auch D. zu Boden gingen, trat der Angeklagte wieder hinzu, um D. von einer tätlichen Auseinandersetzung abzuhalten. Dies gelang ihm jedoch nicht. Statt- dessen kam es zu einer „heftigen Schlägerei“ zwischen D. und F. , bei der der Angeklagte daneben stand und das Geschehen beobachtete.
6
Weil sie möglicherweise der Mut verlassen hatte, ergriffen G. , D. und Y. die Flucht in Richtung eines nahe gelegenen Spielplatzes und ließen den Angeklagten alleine vor dem Wohnhaus zurück. Im Weglaufen drückte ihm D. noch mit dem Wort „hier“ eines der Küchenmesser in die Hand. Unterdessen flog eine zuvor von dem Angeklagten auf dem Boden abgestellte Wodkaflasche in Richtung der Gruppe um F. . Ob die Flasche von einem der Flüchtenden aus der Gruppe des Angeklagten geworfen wurde, hat das Landgericht nicht festzustellen vermocht. Die Gruppe um F. lief nun – von ihm angeführt – auf den allein auf einer Rasenfläche stehenden Angeklagten zu, um ihn anzugreifen. F. stürzte sich auf den Angeklagten und versetzte ihm ein bis zwei Schläge und Tritte. In dieser Situation führte der Angeklagte das Messer einmal „ziellos nach vorne“ in die Richtung des ihn angreifenden F. , um erwartete weitere Schläge und Tritte abzuwehren und sich zu verteidigen. Den Eintritt eines Verletzungserfolges nahm er dabei billigend in Kauf. Er traf F. mit dem Messer im Bereich des Halses und fügte ihm eine 11 cm tiefe Stichverletzung zu. Einen gezielten Stich in den Halsbereich und die billigende Inkaufnahme von für möglich gehaltenen tödlichen Verletzungen hat das Landgericht nicht festzustellen vermocht. Auch hat es sich nicht davon überzeugen können, dass es dem Angeklagten in der konkreten Situation möglich gewesen wäre, sich befürchteten weiteren Tätlichkeiten des Getöteten durch mildere Mittel oder ein Weglaufen zu entziehen.
7
Nach dem Stich ließ F. von weiteren Tätlichkeiten ab. Der Angeklagte hob das zunächst fallengelassene Messer wieder auf und lief zu D. , G. und Y. , die sich auf dem Spielplatz gesammelt hatten. Nachdem er an dem Messer Blutantragungen bemerkt hatte, äußerte er auf der sich anschließenden gemeinsamen Flucht vom Tatort: “Ich hab wohl einen abgestochen“.
8
2. Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten als Beteiligung an einer Schlägerei gemäß § 231 Abs. 1 StGB gewertet. Zwischen F. und den Zeugen D. , G. , Su. und Ga. sei es zu wechselseitigen Körperverletzungen, mithin zu einer Schlägerei i.S.d. § 231 Abs. 1 StGB gekommen. An dieser Schlägerei sei der Angeklagte beteiligt gewesen, obgleich er selbst nicht geschlagen habe. Der Angeklagte habe sich in Kenntnis der Tatsache, dass auf der Straße eine gewaltbereite, überzählige Gruppe wartete, mit seiner Gruppe dorthin begeben, um die Sache zu klären. Damit habe er sich wissentlich in eine Situation begeben, in der unmittelbar mit Tätlichkeiten zu rechnen gewesen sei. Dieses Gesamtgeschehen reiche aus, um eine psychische Beteiligung des Angeklagten von Beginn der Auseinandersetzung an zu begründen (UA 19).
9
Eine Bestrafung wegen Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 Abs. 1 StGB scheide aus, weil die Tat durch Notwehr gerechtfertigt gewesen sei (§ 32 Abs. 2 StGB). Der Messerstich sei zur Abwehr des noch andauernden Angriffs des F. geeignet und erforderlich gewesen, da dem Angeklagten keine wirksameren Mittel zur Verfügung gestanden hätten. Ob sein Notwehrrecht wegen eines zu missbilligenden Vorverhaltens eingeschränkt gewesen sei, könne dahinstehen, da er sich der Notwehrlage auch nicht durch ein Weglaufen habe entziehen können (UA 24). Das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes hat das Landgericht unter anderem mit der Erwägung verneint , dass der Angeklagte das Messer „ziellos“ nach vorne geführt habe und durch einen Verteidigungs- und nicht durch einen Tötungswillen motiviert gewesen sei (UA 21).

II.


10
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
11
1. Die Verurteilung wegen Beteiligung an einer Schlägerei gemäß § 231 Abs. 1 1. Alt. StGB wird von den Urteilsfeststellungen nicht getragen.
12
Eine Schlägerei im Sinne des § 231 Abs. 1 1. Alt. StGB ist eine mit gegenseitigen Tätlichkeiten verbundene Auseinandersetzung, an der mehr als zwei Personen aktiv mitwirken (BGH, Urteile vom 12. März 1997 – 3 StR 627/96, NStZ 1997, 402, 403; vom 21. Oktober 1982 – 4 StR 526/82, BGHSt 31, 124, 125; vom 21. Februar 1961 – 1 StR 624/60, BGHSt 15, 369, 370). Die Feststellungen des angefochtenen Urteils ergeben nicht, dass es im Rahmen eines einheitlichen Tatgeschehens zu Tätlichkeiten unter mindestens drei Personen gekommen ist.
13
a) Als eine für das Tatbestandsmerkmal Schlägerei konstitutive Tätlichkeit können neben zu vollendeten Körperverletzungen führenden Handlungen auch solche in Betracht kommen, die auf deren Herbeiführung abzielen (vgl. BGH, Urteil vom 22. September 1959 – 5 StR 289/59, GA 1960, 213; LK-StGB/ Hanack, 11. Aufl., § 231 Rn. 4; Schönke/Schröder/Stree, StGB, 27. Aufl., § 231 Rn. 3 mwN). Eine Tätlichkeit in diesem Sinn verübt auch, wer sich in Ausübung seines Notwehrrechts gegen einen Angriff in „Trutzwehr“ wendet (BGH, Urteil vom 12. März 1997 – 3 StR 627/96, NStZ 1997, 402, 403; Urteil vom 21. Februar 1961 – 1 StR 624/60, BGHSt 15, 369, 370 f.; Küper, Strafrecht BT, 5. Aufl., S. 246).
14
Daran gemessen begegnet die Annahme einer Schlägerei durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Soweit die Strafkammer darauf abgestellt hat, dass es zu wechselseitigen Körperverletzungen zwischen F. und den Zeugen D. , G. , Su. und Ga. gekommen sei, findet sich dafür in den Feststellungen und der zuge- hörigen Beweiswürdigung nur in Bezug auf F. und D. („heftige Schlägerei“) ein ausreichender Beleg. Hinsichtlich G. und Su. ist lediglich eine „verbale Auseinandersetzung“ festgestellt, an der auch noch Gr. beteiligt war. Zudem drohte G. beiden mit einem Messer. Dass in diesem Zusammenhang auch Tätlichkeiten verübt wurden, lässt sich den Urteilsgründen nicht ent- nehmen. Die zu den „Schubsereien“ getroffenen Feststellungen lassen nicht erkennen, ob es dabei zu Körperverletzungen oder darauf abzielenden Handlungen gekommen ist. Zudem bleibt offen, ob neben den dabei zu Boden gegangenen D. und F. noch weitere Personen beteiligt waren. Die Feststellungen zum Wurf der Wodkaflasche reichen für eine Beurteilung als tatbestandskonstitutive Tätlichkeit einer dritten Person nicht aus, da er nicht ausschließbar von D. ausgeführt worden sein kann.
15
b) Mit der Frage, ob es sich bei dem abschließenden Geschehen, bei dem es zu (weiteren) Tätlichkeiten zwischen F. (ein bis zwei Schläge und Tritte) und dem Angeklagten (Messerstich) kam, um einen Teilakt einer bereits zuvor begonnenen und noch fortdauernden einheitlichen tätlichen Auseinandersetzung handelte, hat sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt. Dies versteht sich indes nicht von selbst.
16
Die für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals Schlägerei erforderlichen wechselseitigen Tätlichkeiten zwischen mehr als zwei Personen müssen nicht gleichzeitig begangen werden (BGH, Urteil vom 12. März 1997 – 3 StR 627/96, NStZ 1997, 402, 403; RG, Urteil vom 15. Oktober 1940 – 1 D 464/40, HRR 1941 Nr. 369). Eine Schlägerei im Sinne des § 231 Abs. 1 1. Alt. StGB kann vielmehr auch anzunehmen sein, wenn nacheinander jeweils nur zwei Personen gleichzeitig wechselseitige Tätlichkeiten verüben, zwischen diesen Vorgän- gen aber ein so enger innerer Zusammenhang besteht, dass eine Aufspaltung in einzelne „Zweikämpfe“ nicht in Betracht kommt und die Annahme eines ein- heitlichen Gesamtgeschehens mit mehr als zwei aktiv Beteiligten gerechtfertigt ist (BGH, Urteil vom 12. März 1997 – 3 StR 627/96, NStZ 1997, 402, 403; RG, Urteil vom 15. Oktober 1940 – 1 D 464/40, HRR 1941 Nr. 369; vgl. RG, Urteil vom 24. Februar 1925 – I 61/25, RGSt 59, 107, 108 f. zum von mehreren verübten Angriff; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 231 Rn. 2; NK-StGB/Paeffgen, 3. Aufl., § 231 Rn. 5; Pichler, Beteiligung an einer Schlägerei, 2010, S. 47). Allerdings verliert eine tätliche Auseinandersetzung zwischen mehr als zwei Personen den Charakter einer Schlägerei, wenn sich so viele Beteiligte entfernen,dass nur noch zwei Personen verbleiben, die aufeinander einschlagen oder in anderer Weise gegeneinander tätlich sind (RG, Urteil vom 27. September 1938 – 4 D 646/38, JW 1938, 3157; Eisele, ZStW 110 [1998], S. 69, 72; Henke, Jura 1985, 585, 586; Saal, Die Beteiligung an einer Schlägerei, 2005, S. 44).
17
Ob ein einheitliches Gesamtgeschehen bis zum Ende vorlag, hätte der Prüfung durch die Strafkammer bedurft. Daran fehlt es indes. Das Schwur- gericht hat in seiner rechtlichen Würdigung zwar darauf verwiesen, dass „eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen“ sei. Es hat dabei aber nicht – wie geboten – darauf abgestellt, ob in diese auch der Messerstich des Angeklagten einzube- ziehen ist, sondern allein darauf, ob „eine Beteiligung des Angeklagten … von Beginn der Tätlichkeiten an“ vorlag (UA 19).
18
2. Die Sache bedarf daher auf die Revision des Angeklagten neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass dabei Feststellungen getroffen werden können, die eine Bestrafung des Angeklagten wegen Beteiligung an einer Schlägerei rechtfertigen.

III.


19
Die Revision des Nebenklägers Z. hat ebenfalls Erfolg.
20
1. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte könne nicht wegen Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 StGB bestraft werden, weil der tödliche Stich zur Angriffsabwehr erforderlich und deshalb durch Notwehr (§ 32 StGB) gerechtfertigt gewesen sei, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
21
a) Eine in einer objektiven Notwehrlage verübte Tat ist nach § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung stand (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 21. März 1996 – 5 StR 432/95, BGHSt 42, 97, 100 mwN). Ob dies der Fall ist, muss auf der Grundlage einer objektiven ex-anteBetrachtung der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung beurteilt werden (BGH, Beschluss vom 21. August 2013 – 1 StR 449/13 Rn. 6; Beschluss vom 21. November 2012 – 2 StR 311/12, NStZ-RR 2013, 105, 106; Urteil vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 140 mwN). Auf weniger gefährliche Verteidigungsmittel muss der Angegriffene nur dann zurückgreifen, wenn deren Abwehrwirkung unter den gegebenen Umständen unzweifelhaft ist und genügend Zeit zur Abschätzung der Lage zur Verfügung steht (BGH, Beschluss vom 21. November 2012 – 2 StR 311/12, NStZ-RR 2013, 105, 106; Urteil vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 140; Urteil vom 2. November 2011 – 2 StR 375/11, NStZ 2012, 272, 274). Auch der sofortige, das Leben des Angreifers gefährdende Einsatz einer Waffe kann danach durch Notwehr gerechtfertigt sein. Da- bei geht die Rechtsprechung jedoch davon aus, dass gegenüber einem unbewaffneten Angreifer der Gebrauch eines bis dahin noch nicht in Erscheinung getretenen Messers in der Regel anzudrohen ist (BGH, Beschluss vom 21. November 2012 – 2 StR 311/12, NStZ-RR 2013, 105, 106; Urteil vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 140 mwN). Angesichts der schweren Kalkulierbarkeit des Fehlschlagrisikos dürfen an die regelmäßig in einer zugespitzten Situation zu treffende Entscheidung für oder gegen eine vorherige Androhung des Messereinsatzes dabei jedoch keine überhöhten Anforderungen gestellt werden (vgl. BGH, Urteil vom 2. November 2011 – 2 StR 375/11, NStZ 2012, 272, 274).
22
b) Diesen Grundsätzen werden die Erwägungen des Landgerichts zur Erforderlichkeit des Messerstichs nicht gerecht. Für die Annahme, dem Angeklagten wäre eine erfolgversprechende Androhung des Messereinsatzes nicht möglich gewesen, fehlt es an einer tragfähigen Grundlage.
23
Das Landgericht hat sich außerstande gesehen, konkrete Feststellungen zum Geschehen unmittelbar vor dem tödlichen Stich zu treffen und deshalb seiner Entscheidung die unwiderlegte Einlassung des Angeklagten zugrunde gelegt. Dieser – in einer gebilligten Verteidigererklärung liegenden – Einlassung lässt sich zum äußeren Geschehen jedoch lediglich entnehmen, dass F. dem Angeklagten vor dem tödlichen Stich mindestens zwei Schläge und einen Tritt versetzte, der Angeklagte das Messer zu diesem Zeitpunkt bereits in der Hand hielt und der tödliche Stich von ihm „ziellos“ nach vorne geführt wurde (UA 12). Eine nähere Beschreibung der „Kampflage“, die für eine objektive Bewertung der Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten herangezogen werden könnte, enthalten diese Angaben nicht.
24
Zwar darf sich das Fehlen von sicheren Feststellungen zu Einzelheiten des Geschehens nicht zu Lasten des Angeklagten auswirken (BGH, Beschluss vom 15. November 1994 – 3 StR 393/94, NJW 1995, 973), doch hätte das Landgericht an dieser Stelle in seine Erwägungen einbeziehen müssen, dass der Angeklagte auch behauptet hat, den tödlichen Stich nur geführt zu haben, „um sein Gegenüber zu erschrecken“ und dadurch von weiteren Tätlichkeiten abzuhalten (UA 12). Diese Einlassung deutet darauf hin, dass er selbst in der Androhung des Messereinsatzes eine realistische Verteidigungsmöglichkeit gesehen hat. Warum diese Einschätzung bei objektiver Betrachtung unzutreffend ist, obgleich die Auseinandersetzung bis dahin nur auf – offenkundig folgenlose – Schläge und Tritte begrenzt war, hätte näherer Darlegung bedurft. Die Feststellung, dass die gesamte Gruppe um F. in Angriffsabsicht auf den Angeklagten zugelaufen sei, findet in der zugehörigen Beweiswürdigung keine Stütze. Nach der zugrunde liegenden Einlassung des Angeklagten wurde nur F. tätlich. Auch hat er nur damit gerechnet, von diesem verprügelt zu werden (UA 12).
25
2. Dieser Rechtsfehler führt dazu, dass das angegriffene Urteil auch auf die Revision des Nebenklägers aufzuheben ist.
26
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:
27
a) Sollte der neue Tatrichter zu der Feststellung gelangen, dass sich der Angeklagte auf eine einvernehmliche Prügelei eingelassen hat, bei der sich Angriffe und Abwehrhandlungen aneinanderreihen, wird er zu bedenken haben, dass sich in Ermangelung eines Verteidigungswillens nicht auf Notwehr berufen kann, wer dabei zum Messer greift und auf seinen Gegner einsticht, weil er den Kürzeren gezogen hat (BGH, Urteil vom 8. Mai 1990 – 5 StR 106/90, NStZ 1990, 435; Urteil vom 25. August 1977 – 4 StR 229/77, bei Holtz, MDR 1978, 109 mwN). Allerdings kann sich auch für den Beteiligten an einer einvernehmlichen Prügelei eine Notwehrlage ergeben, wenn er zu erkennen gegeben hat, dass er den Kampf nicht fortsetzen will und danach zum allein Angegriffenen wird (BGH, Urteil vom 8. Mai 1990 – 5 StR 106/90, NStZ 1990, 435; Urteil vom 6. Juli 1965 – 1 StR 204/65, bei Dallinger, MDR 1966, 23).
28
b) Ergeben die neuen Feststellungen, dass sich der Angeklagte bei der Ausführung des Messerstichs gegen einen rechtswidrigen Angriff verteidigt hat, wird zu prüfen sein, ob er mit Blick auf die Rechtsprechung zur Notwehrprovokation (vgl. BGH, Urteile vom 2. November 2005 – 2 StR 237/05, NStZ 2006, 332, 333; vom 21. März 1996 – 5 StR 432/95, BGHSt 42, 97, 100 f.; vom 7. Februar 1991 – 4 StR 526/90, Rn. 22; vom 15. Mai 1975 – 4 StR 71/75, BGHSt 26, 143, 145) nur eingeschränkt von seinem Notwehrrecht Gebrauch machen durfte. Hierzu wird dann Anlass bestehen, wenn sich (wiederum) ergibt, dass der Angeklagte seine Begleiter durch die Bereitstellung der Messer und seine Teilnahme an der Konfrontation mit der Gruppe um F. in ihrer Streitlust bestärkt hat und sich der spätere Angriff auf ihn als eine adäquate und voraussehbare Folge des von ihm mit ausgelösten Geschehens erweist.
29
c) Der neue Tatrichter wird auch zu bedenken haben, dass ein bedingter Tötungsvorsatz nicht mit der Erwägung in Frage gestellt werden kann, der Angeklagte sei durch einen Verteidigungs- und nicht durch einen Tötungswillen motiviert gewesen. Mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnde Täter haben kein Tötungsmotiv, sondern gehen einem anderen Handlungsantrieb nach (BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 445; Urteil vom 30. November 2005 – 5 StR 344/05, NStZ-RR 2006, 317, 318). Die Absicht, sich verteidigen zu wollen, steht daher der Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes nicht entgegen. Allerdings kann sich aus der Art des jeweiligen Handlungsantriebs ein Rückschluss auf die Stärke des vom Täter empfundenen Tatanreizes und damit auch auf seine Bereitschaft zur Inkaufnahme schwerster Folgen ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 24. August 1990 – 3 StR 311/90, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 22; Urteil vom 30. November 2005 – 3 StR 344/05, NStZ-RR 2006, 317, 318). Hat der Täter – wie vom Angeklagten behauptet – „panische Angst“, kann dies sogar eher für als gegen einen bedingten Tötungsvorsatz sprechen. Ferner wird zu berücksichtigen sein, dass ein „ziellos“ geführter Messerstich zwar einendirekten, nicht aber ohne Weiteres einen bedingten Tötungsvorsatz ausschließt. Schließlich hat der in der Gesamtwürdigung enthaltene Hinweis auf die bei der Tötung eines anderen Menschen bestehende besondere Hemmschwelle – für sich genommen – kein argumentatives Gewicht (BGH, Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183 Rn. 31 ff.).
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

Überschreitet der Täter die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft.

War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 581/06
vom
27. Februar 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 27. Februar
2007 gemäß §§ 44 ff., 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Dem Angeklagten wird nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 31. Juli 2006 auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Damit ist der Verwerfungsbeschluss des Landgerichts vom 27. Oktober 2006 gegenstandslos.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere – als Schwurgericht zuständige – Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision.
2
2. Dem Angeklagten ist nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da ihn – wie sein Verteidiger vorgetragen und glaubhaft gemacht hat – an der Fristversäumung kein (Mit-) Verschulden trifft (§ 44 Satz 1 StPO).
3
3. Die Nachprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch keinen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben. Der Strafausspruch hat jedoch keinen Bestand. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt: "Indes hält die Ablehnung eines sonst minder schweren Falles des Totschlags gemäß § 213, 2. Alt. StGB revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Im Rahmen der bei der Prüfung eines minder schweren Falles erforderlichen Gesamtbetrachtung sind alle Umstände heranzuziehen und zu würdigen, die für die Wertung der Tat und des Täters in Betracht kommen, gleichgültig, ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen (BGHSt 26, 97, 98 f.). Die vom Schwurgericht vorgenommene Abwägung schuldmildernder und schulderhöhender Faktoren begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Schwurgericht hat einzelnen Umständen einen schulderhöhenden Charakter zugewiesen , obwohl dies vorliegend rechtlich anerkannten Strafzumessungsgrundsätzen zuwiderläuft: Die Abwägung des Schwurgerichts (UA S. 42) erschöpft sich, soweit sie zu Lasten des Angeklagten geht, im Wesentlichen in einer bloßen Wiedergabe des Tathergangs. Dabei verstößt die Hervorhebung des Umstands, dass sich der Angeklagte trotz Rückzugsmöglichkeit überhaupt auf eine Konfrontation mit dem Geschädigten eingelassen hat, gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB, denn diese "Konfrontation" ist ja gerade Grund und Gegenstand der Aburteilung. Soweit das Schwurgericht es für beachtlich hält, dass der Angeklagte dem Geschädigten in dem Bewusstsein entgegen gegangen ist, in der rechten Hand ein Messer zu halten , erschöpft sich dieser Umstand ebenfalls in einer nochmaligen Verwertung des tatbestandlichen Unrechts (vgl. Tröndle /Fischer, 54. Aufl., § 46 Rdn. 77). Im Übrigen wertet das Schwurgericht unzulässigerweise das Ausbleiben von Rücktrittsbemühungen zu Lasten des Angeklagten, indem es hervorhebt , der Angeklagte habe sich nicht weiter um den schwer verletzten Geschädigten gekümmert (BGH, Beschluss vom 25. September 2002 - 1 StR 347/02). Zudem hat das Schwurgericht zu Ungunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er sich selbst in einen alkoholisierten Zustand versetzt hat. Abgesehen davon, dass eine nicht eigenverantwortliche Berauschung des Angeklagten ein strafmildernder Gesichtspunkt gewesen wäre oder unter bestimmten Voraussetzungen zur Einordnung des Angeklagten als strafloses Werkzeug geführt hätte, stellt eine Alkoholisierung für sich genommen jedenfalls keinen schulderhöhenden Umstand dar, zumal der Angeklagte nicht etwa im Hinblick auf die spätere Tatbegehung Alkohol zu sich genommen hat. Das Schwurgericht stellt ferner wesentlich zu Lasten des Angeklagten darauf ab, der Angeklagte habe die Tat aus nichtigem Anlass begangen. Dies rechtfertigt die Besorgnis, das Schwurgericht habe die strafzumessungsrechtliche Bedeutung der zur Tatzeit zugunsten des Angeklagten objektiv gegebenen Notwehrlage verkannt. Insofern wäre vom Schwurgericht vielmehr zu berücksichtigen gewesen, dass bei einer Tötung im Grenzbereich der Notwehr (Tröndle/Fischer, 54. Aufl., § 213 Rdn. 13), insbesondere bei Überschreitung der Grenzen der Notwehr ohne Erreichen der Voraussetzungen des § 33 StGB (BGH, Beschluss vom 29. März 2000 - 2 StR 71/00), bereits allein aus diesem Grunde die Annahme eines minder schweren Falles im Sinne des § 213, 2. Alt. StGB in Betracht kommen kann und dieser Umstand gerade nicht ohne weiteres einen zu Lasten des Angeklagten wirkenden "nichtigen Tatanlass" darstellt".
4
Dem kann sich der Senat nicht verschließen. Tepperwien Kuckein Athing Solin-Stojanović Ernemann

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 213/13
vom
4. Juli 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 4. Juli 2013 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 8. Januar 2013 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des Strafausspruchs. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Der Angeklagte war seit Beginn des Jahres 2012 Geschäftsführer eines Bordellbetriebs, in dem das spätere Tatopfer v. L. als Tänzerin und Prostituierte arbeitete. Beide gingen in der Folgezeit eine Liebesbeziehung ein, die konfliktreich verlief und häufig zu wechselseitigen Provokationen sowie Tätlichkeiten führte.
4
v. L. konsumierte mehrmals täglich Amphetamin. Zudem sprach sie dem Alkohol in erheblichem Umfang zu. Insbesondere der permanente Amphetamingenuss führte bei ihr zu einer fast ständigen Enthemmung , Antriebssteigerung und Euphorie. Zugleich erhöhten sich ihre Erregbarkeit und Aggressivität. Sie war in manchen Situationen „mit Worten nicht mehr zu beruhigen“ und „kaum zu bremsen“ (UA S. 22). Mitunter schrie sie minuten- lang auf den Angeklagten ein und machte ihn „für alles verantwortlich“. Im Verlauf der zahlreichen tätlichen Auseinandersetzungen bemerkte der Angeklagte, dass er v. L. durch einen kurzen Griff mit der rechten Hand an ihren Hals ruhigstellen konnte. In der Folgezeit wandte er diese Verteidigungstechnik mehrfach erfolgreich an.
5
In den frühen Morgenstunden des 26. Juni 2012 kam es erneut zu einem heftigen Streit zwischen dem Angeklagten und v. L. und zu wechselseitigen Tätlichkeiten. Dieser Vorfall veranlasste die Verantwortlichen des Bordellbetriebes, die Zusammenarbeit mit dem Angeklagten fristlos zu beenden. Die nachfolgenden Tage verbrachte der Angeklagte in verschiedenen Hotels. v. L. , die ohne ihn in dem Bordell nicht bleiben wollte, folgte ihm nach. Am 5. Juli 2012 bezogen sie ein gemeinsames Zimmer im Ho- tel „Stadt “, wobei das verfügbare Geldnur noch für zwei Übernachtungen ausreichte. Den Abend des 6. Juli 2012 verbrachten beide in der Innenstadt , wobei der Angeklagte einige Glas Bier trank, während v. L. Sekt, Cocktails und Bier zu sich nahm. Am frühen Morgen des 7. Juli 2012 kehrten beide gegen 02.00 Uhr in ihr Hotelzimmer zurück, wo es wieder zu einem heftigen Streit kam. Während dieser Auseinandersetzung schrie v. L. gegen 02.50 Uhr hysterisch über einen Zeitraum von fünf Minuten ununterbrochen auf den Angeklagten ein, machte ihm Vorhaltungen und verlangte von ihm, sie in Ruhe zu lassen und das Hotelzimmer zu verlassen. Als sie begann, ihn mit den Fäusten auf die Brust zu schlagen, stieß der Angeklagte sie weg, so dass sie zu Boden fiel. v. L. stand sofort wieder auf und trat den Angeklagten in den Unterleib. Der Angeklagte, der seine Freundin von weiteren Tritten abhalten wollte, umfasste daraufhin ihren Hals mit beiden Händen und würgte sie äußerst kräftig, so dass der Blutabfluss aus dem Kopf über einen Zeitraum von mindestens 30 Sekunden komplett unterbrochen war. v. L. geriet in Atemnot. Ihr Röcheln war im Nachbarzimmer deutlich vernehmbar. Dem Angeklagten war bewusst, dass v. L. durch die erhebliche Gewaltanwendung zu Tode kommen könnte. Gleichwohl hielt er den erheblichen Druck auf den Hals aufrecht. Auf Grund dieser Gewalteinwirkung brach die Geschädigte leblos zusammen und verstarb infolge Erstickung.
6
Eine dem Angeklagten um 05.13 Uhr entnommene Blutprobe wies eine Blutalkoholkonzentration von 1,17 Promille auf. Im Blut von v. L. wurden ein Alkoholgehalt von 1,30 Promille und eine AmphetaminKonzentration von 1.800 ng/ml festgestellt.
7
2. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler erge- ben. Insbesondere hat das Schwurgericht auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen eine Rechtfertigung durch Notwehr gemäß § 32 StGB im Ergebnis zu Recht verneint.
8
Der Angeklagte befand sich, als ihn das spätere Tatopfer unter Steigerung der vorangegangenen Angriffshandlungen (Faustschläge gegen die Brust) in den Unterleib trat, zwar objektiv in einer Notwehrlage. Der Angriff dauerte auch noch fort, da v. L. , was der Angeklagte wusste, in solchen Situationen „mit Worten nicht zu bremsen“ war und mit weiteren Tätlichkeiten gerechnet werden musste.
9
Art und Maß der Verteidigungshandlung des Angeklagten waren aber zur Abwehr des drohenden Angriffs nicht erforderlich (vgl. Senatsurteile vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 140; vom 25. April 2013 – 4 StR 551/12, Rn. 27). Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen war es dem Angeklagten vielmehr möglich, den gegen ihn geführten Angriff auf seine körperliche Unversehrtheit schonender als geschehen zurückzuweisen. Denn es war ihm in der Vergangenheit stets gelungen, v. L. durch einen kurzen Griff an den Hals zur Räson zu bringen (UA S. 25). Es ist nichts dafür ersichtlich, dass diese „übliche Abwehrhandlung“ in der konkreten Situation ungeeignet war, den Angriff effektiv und endgültig abzuwehren. Der Streit verlief nicht anders als vorangegangene Auseinandersetzungen. Dementsprechend hat sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung unter anderem mit dem Argument verteidigt, sich lediglich mit dem üblichen Verteidigungsgriff an den Hals zur Wehr gesetzt zu haben.
10
Es kommt hinzu, dass bei Würgen oder Erdrosseln als Tötungshandlung bis zum Erfolgseintritt bei dem Opfer körperliche Reaktionen eintreten, die eine Verminderung von dessen Handlungsfähigkeit bewirken (insbesondere Atemnot , Bewusstlosigkeit, Erstickungskrämpfe) und einen Angriff auf den in Notwehr Würgenden durch fortschreitende äußere Anzeichen der Ermattung des Angreifers als sicher beendet und ein noch längeres Würgen als zweckverfehlend erscheinen lassen (BGH, Urteil vom 9. November 2011 – 5 StR 328/11, Rn. 27). So liegt der Fall hier. Spätestens zu dem Zeitpunkt, zu dem v. L. in akute Atemnot geriet und nur noch laut röchelte, war der von ihr ausgehende Angriff endgültig abgewehrt.
11
Auch die Voraussetzungen des § 33 StGB liegen nach den Urteilsfeststellungen – entgegen der Auffassung der Revision – nicht vor. Eine Entschuldigung wegen einer Überschreitung der Grenzen der Notwehr setzt voraus, dass der Täter in einer objektiv gegebenen Notwehrlage (§ 32 Abs. 2 StGB) bei der Angriffsabwehr die Grenzen des Erforderlichen aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschritten hat. Dafür fehlen jedwede Anhaltspunkte.
12
3. Dagegen kann der Strafausspruch nicht bestehen bleiben.
13
a) Bei der konkreten Strafzumessung hat das Schwurgericht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass die Tatausführung von massiver Gewalt geprägt sei und durch das heftige Würgen eine besondere Brutalität aufweise. Weitere straferschwerende Umstände führt das Urteil nicht an.
14
Diese Strafzumessungserwägungen verstoßen gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB. Ebenso wie der Tötungsvorsatz als solcher darf die Anwendung der zur Tötung erforderlichen Gewalt nicht straferschwerend gewertet werden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 12. Januar 1988 – 5 StR 657/87, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 2; vom 28. September 1995 – 4 StR 561/95, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 6; vom 24. März 1998 – 4 StR 34/98, StV 1998, 657). Diese Grundsätze hat das Landgericht nicht beachtet. Denn der Angeklagte hat, indem er das Tatopfer über einen Zeitraum von mindestens 30 Sekunden heftig würgte, lediglich die Gewalt angewendet, die erforderlich war, um den tatbestandsmäßigen Erfolg herbeizuführen. Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe kann nicht entnommen werden, dass er das zur Tötung seiner Lebensgefährtin erforderliche Maß an Gewalt überschritten hat.
15
Auf diesem Rechtsfehler beruht der Strafausspruch, da das Landgericht die massive Gewaltanwendung als erheblich ins Gewicht fallend gewertet hat (UA S. 25)
16
b) Darüber hinaus begegnet die Begründung, mit welcher das Schwurgericht einen minder schweren Fall des Totschlags nach § 213 StGB abgelehnt hat, durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
17
aa) Es wird nicht deutlich, welche Alternative des § 213 StGB das Schwurgericht seiner Prüfung zugrunde gelegt hat. Das Landgericht hätte die erste Alternative des § 213 StGB ausdrücklich erörtern müssen, weil es auf Grund des festgestellten Geschehensablaufs nicht fernliegend war, dass der Angeklagte durch eine vom späteren Tatopfer verübte Misshandlung provoziert worden ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Mai 2002 – 5 StR 119/02, Rn. 3 f.; vom 24. Oktober 2012 – 5 StR 472/12, Rn. 5; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 213 Rn. 2 und 12). In diesem Zusammenhang hätte das Schwurgericht auch die Zuspitzung der Situation nach der fristlosen Kündigung des Angeklagten (Verlust des Arbeitsplatzes und der Unterkunft) in den Blick nehmen und prüfen müssen, ob hierdurch und die damit verbundenen Vorhaltungen und Tätlich- keiten des Tatopfers eine Situation herbeigeführt wurde, die das „Fass zum Überlaufen“ gebracht hat (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2010 – 3 StR 454/10, NStZ 2011, 339, 340). Dabei wäre auch die Alkoholisierung des Tatopfers und des Angeklagten, deren Schweregrad das Schwurgericht zudem verkannt hat, in die Betrachtung einzubeziehen gewesen (Fischer, StGB, 60. Aufl., § 213 Rn. 6). Die Wertung, der Angeklagte sei nur leicht enthemmt gewesen, geht von einem unzutreffenden Maß der Alkoholisierung (1,17 Promille um 05.13 Uhr) aus. Die zur Feststellung der Tatzeit-BAK erforderliche Rückrechnung ist unterblieben. Bei Zugrundelegung eines stündlichen Abbauwerts von 0,2 Promille und eines einmaligen Sicherheitszuschlags von 0,2 Promille ergibt sich zur Tatzeit (03.00 Uhr) ein Blutalkoholgehalt von mindestens 1,81 Promille (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., § 20 Rn. 13).
18
bb) Die Urteilsgründe begründen ferner die Besorgnis, dass das Schwurgericht die zu Gunsten des Angeklagten objektiv gegebene Notwehrlage verkannt hat, die jedenfalls bei der Prüfung der zweiten Alternative des § 213 StGB in die Gesamtbewertung hätte einbezogen werden müssen (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Februar 2007 – 4 StR 581/06, NStZ-RR 2007, 194, 195).
Sost-Scheible Roggenbuck RiBGH Cierniak ist urlaubsabwesend und deshalb an der Unterschrift gehindert.
Sost-Scheible
Mutzbauer Reiter