Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Okt. 2019 - 1 StR 206/19
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 2. und 3. auf dessen Antrag – am 7. Oktober 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO beschlossen :
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 28. November 2018, soweit es ihn betrifft, im Ausspruch über die Höhe der Einheitsjugendstrafe aufgehoben. 2. Von der Einziehung des Wertes von Taterträgen wird abgesehen. 3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen. 4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Anstiftung zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen sowie wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Einheitsjugend- strafe von acht Jahren verurteilt. Zudem hat es gegen ihn die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 18.000 € angeordnet.
- 2
- Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit einer Verfahrensbeanstandung und mit der ausgeführten Sachrüge. Das Rechtsmittel erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
I.
- 3
- Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
- 4
- 1. Im Oktober 2017 verbrachte der Angeklagte drei Kilogramm Marihuana (Wirkstoffgehalt mindestens 5 % THC) aus den Niederlanden nach I. und veräußerte dieses dort zum Preis von 6.000 bis 6.500 € pro Kilogramm (Tat 1).
- 5
- Wenig später beauftragte er den anderweitig Verfolgten V. mit der Einfuhr von fünf Kilogramm Marihuana von D. (Niederlande) nach Deutschland, um dieses wiederum gewinnbringend zu veräußern (Tat 2). Der Kurier wurde jedoch kurz nach Grenzübertritt festgenommen; das Marihuana (Wirkstoffgehalt mindestens 15,2 % THC; Wirkstoffmenge 681 Gramm THC) wurde sichergestellt.
- 6
- Schließlich erklärte sich der Angeklagte, der zuvor lediglich mit Marihuana und Ecstasy gehandelt hatte, im Februar 2018 auf entsprechende Anfrage einer polizeilichen Vertrauensperson bereit, fünf Kilogramm Heroin minderer Qualität zum gewinnbringenden Weiterverkauf aus den Niederlanden nach F. zu liefern. Mit der Verbringung beauftragte er gegen einen entsprechenden Kurierlohn den nicht revidierenden Mitangeklagten P. . Das Heroin (Wirkstoffgehalte 4,31 bis 5,55 % HHCI; Gesamtwirkstoffmenge 241,1 Gramm HHCI) wurde nach Übergabe an einen nicht offen ermittelnden Polizeibeamten, der dieses vorgeblich zum Preis von 34.000 € erwerben wollte, sichergestellt (Tat 3).
- 7
- Der nicht vorbestrafte Angeklagte war bei den Taten 20 Jahre und drei bzw. sieben Monate alt. Er lebte im Haushalt seiner Mutter, besuchte eine Fachoberschule und ging jugendtypischen Freizeitaktivitäten nach.
- 8
- 2. Die Jugendkammer hat unter Hinweis auf den Stand der Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten Jugendstrafrecht zur Anwendung gebracht (§ 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG) und die Verhängung einer Jugendstrafe mit dem Vorliegen schädlicher Neigungen sowie der Schwere der Schuld begründet.
- 9
- Zur Bemessung der Jugendstrafe hat das Landgericht ausgeführt, es habe vorrangig erzieherische Gesichtspunkte berücksichtigt und die Wirkung der verhängten Jugendstrafe gegen die weitere Entwicklung des Angeklagten abgewogen. Dem äußeren Unrechtsgehalt der Taten komme insofern Bedeutung zu, als aus ihm Schlüsse auf die Persönlichkeit und die Höhe der Schuld möglich seien. Im Folgenden hat es auf die gesetzliche Strafandrohung des Erwachsenenstrafrechts abgestellt und ist dabei jeweils vom Regelstrafrahmen ausgegangen. Im Rahmen der Prüfung eines minder schweren Falles hat es im Hinblick auf Tat 3 unter anderem berücksichtigt, dass es sich bei diesem Tatge- schehen um ein überwachtes Betäubungsmittelgeschäft handelte, das „unter Beteiligung … einer polizeilichen Vertrauensperson“ stattfand.
- 10
- Aus dem Unrechtsgehalt der Taten und der Persönlichkeit des Angeklagten hat die Jugendkammer auf ein erhebliches Erziehungsdefizit beim Angeklagten geschlossen, aus dem – ebenso wie aus der bereits verfestigten, in Entwicklung und Reife schon stark einem Erwachsenen angenäherten Persönlichkeit des Angeklagten – ein hohes Erziehungsbedürfnis folge. Trotz diverser zu seinen Gunsten zu berücksichtigender Aspekte sei daher eine lange Jugendstrafe erzieherisch notwendig. Unter vorrangiger Berücksichtigung des Erziehungsgedankens als beherrschendem Strafzweck des Jugendstrafrechts sei mit Blick auf das Erfordernis eines gerechten Schuldausgleichs auch in Anbetracht der Folgen einer langjährigen Jugendstrafe für die weitere Entwicklung des Angeklagten – insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass der Angeklagte die Haftzeit nutzen könne, um eine berufliche Qualifikation zu erwerben und eine eigenständige, von der Familie gelöstere Lebensplanung in Angriff zu nehmen – die Verhängung einer achtjährigen Jugendstrafe zur erzieherischen Einwirkung „unbedingt erforderlich“.
II.
- 11
- 1. Die Verfahrensrüge hat aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift näher dargelegten Gründen keinen Erfolg.
- 12
- 2. Die Sachrüge führt dagegen in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zur Aufhebung des angegriffenen Urteils. Sie deckt zwar zum Schuldspruch und hinsichtlich der Verhängung einer Jugendstrafe keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf; die Erwägungen des Landgerichts zur Höhe der verhängten Jugendstrafe halten jedoch revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.
- 13
- Die Strafzumessung ist allerdings grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, die wesentlichen zumessungsrelevanten Umstände auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Auch bei der Verhängung von Jugendstrafe ist eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ausgeschlossen (vgl. BGH, Urteil vom 29. August 2018 – 5 StR 214/18 Rn. 7).
- 14
- Die Strafzumessungserwägungen der Jugendkammer entsprechen aber vorliegend nicht den Anforderungen des § 18 Abs. 2 JGG. Auch bei einer – unter anderem – wegen der Schwere der Schuld verhängten Jugendstrafe ist gemäß § 18 Abs. 2 JGG die Höhe der Strafe so zu bemessen, dass die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich ist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 19. April 2016 – 1 StR 95/16 Rn. 5 mwN). Die in den gesetzlichen Regelungen des allgemeinen Strafrechts zum Ausdruck gelangende Bewertung des Ausmaßes des in einer Straftat hervorgetretenen Unrechts ist zwar auch bei der Bestimmung der Höhe der Jugendstrafe zu berücksichtigen; keinesfalls darf aber die Begründung wesentlich oder gar ausschließlich nach solchen Zumessungserwägungen vorgenommen werden, die auch bei Erwachsenen in Betracht kommen. Die Bemessung der Jugendstrafe erfordert vielmehr von der Jugendkammer, das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Heranwachsenden abzuwägen (BGH aaO mwN).
- 15
- Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 24. April 2019 – 2 StR 377/18 Rn. 20; Beschlüsse vom 16. April 2007 – 5 StR 335/06 Rn. 16; vom 20. März 1996 – 3 StR 10/96 Rn. 3 und vom 27. November 1995 – 1 StR 634/95 Rn. 3; in diese Richtung zudem BGH, Urteil vom 25. März 2014 – 1 StR 630/13 Rn. 31 und Beschluss vom 6. Mai 2013 – 1 StR 178/13 Rn. 9) und allgemeiner Meinung in der Literatur (Eisenberg, JGG, 20. Aufl., § 18 Rn. 9; BeckOK/Brögeler, JGG, 14. Ed., § 18 Rn. 5; Brunner/Dölling, JGG, 13. Aufl., § 18 Rn. 3; jeweils mwN) lässt sich eine länger als fünf Jahre andauernde Jugendstrafe allein erzieherisch in der Regel nicht begründen, weil eine Anstaltserziehung nur für eine Dauer von bis zu fünf Jahren Erfolg verspricht. Die Verhängung einer darüberhinausgehenden Jugendstrafe kann nur unter zusätzlicher Berücksichtigung anderer Strafzwecke – insbesondere des Schuldausgleichs – angezeigt sein.
- 16
- Mit diesem Umstand hätte sich das Landgericht im Rahmen der Strafzumessung erkennbar auseinandersetzen müssen, was jedoch nicht geschehen ist. Stattdessen insinuiert die Jugendkammer, dass die von ihr angeführten Ziele – Erwerb einer Berufsqualifikation, Entwicklung einer eigenständigen Lebensplanung , moralische Fortentwicklung der Persönlichkeit – nur im Rahmen einer achtjährigen Jugendstrafe erreicht werden könnten, und gewichtet diese positiven Erwartungen erkennbar stärker als die entsozialisierenden Wirkungen eines langjährigen Freiheitsentzuges. Dies steht nicht in Einklang mit der oben genannten Rechtsprechung und lässt zudem jegliche Begründung vermissen, warum die aufgeführten positiven Effekte einer Jugendstrafe vorliegend nur oder erfolgversprechender durch eine Jugendstrafe von mehr als fünf Jahren erzielbar sein sollten.
- 17
- 3. Der Senat hebt das Urteil daher im Ausspruch über die Höhe der Einheitsjugendstrafe auf.
- 18
- Die zugrundeliegenden Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können daher bestehen bleiben. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen zu den erzieherischen Aspekten treffen, soweit sie zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
- 19
- 4. Entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts hat der Senat im Hinblick auf das Anfrageverfahren zu § 8 Abs. 3 JGG vom 11. Juli 2019 (1 StR 467/18) von der Einziehung des Wertes von Taterträgen abgesehen (§ 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO), um weitere Verzögerungen zu vermeiden.
- 20
- 5. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
- 21
- Zu Gunsten des Angeklagten ist bei der Strafzumessung auch der Umstand zu berücksichtigen, dass dieser im Rahmen der Tat 3 durch die polizeili- che Vertrauensperson dazu veranlasst wurde, „härtere“ Betäubungsmittel einzuführen und damit Handel zu treiben, als dies bislang der Fall war; die Einwirkung einer polizeilichen Vertrauensperson auf den Täter, die diesen in erhöhte Tatschuld verstrickt, ist bei der Strafzumessung in der Regel zu würdigen – gleichgültig, ob sie sich in rechtsstaatlichem Rahmen gehalten oder ihn überschritten hat (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Januar 1993 – 4 StR 607/92 Rn. 7; vgl. zudem BGH, Urteile vom 4. Juni 1992 – 4 StR 99/92 Rn. 13 und vom 6. März 1992 – 2 StR 559/91 Rn. 13). Die vom Landgericht insofern verwendete Formulierung, dass eine Vertrauensperson an der Tat beteiligt war, lässt besorgen , dass es diesen Umstand nur unzureichend beachtet hat.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Das Gericht kann mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft von der Einziehung absehen, wenn
- 1.
das Erlangte nur einen geringen Wert hat, - 2.
die Einziehung nach den §§ 74 und 74c des Strafgesetzbuchs neben der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nicht ins Gewicht fällt oder - 3.
das Verfahren, soweit es die Einziehung betrifft, einen unangemessenen Aufwand erfordern oder die Herbeiführung der Entscheidung über die anderen Rechtsfolgen der Tat unangemessen erschweren würde.
(2) Das Gericht kann die Wiedereinbeziehung in jeder Lage des Verfahrens anordnen. Einem darauf gerichteten Antrag der Staatsanwaltschaft hat es zu entsprechen. § 265 gilt entsprechend.
(3) Im vorbereitenden Verfahren kann die Staatsanwaltschaft das Verfahren auf die anderen Rechtsfolgen beschränken. Die Beschränkung ist aktenkundig zu machen.
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, wenn
- 1.
die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, oder - 2.
es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.
(2) § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ist auch dann anzuwenden, wenn der Heranwachsende wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig nach allgemeinem Strafrecht verurteilt worden ist.
(3) Das Höchstmaß der Jugendstrafe für Heranwachsende beträgt zehn Jahre. Handelt es sich bei der Tat um Mord und reicht das Höchstmaß nach Satz 1 wegen der besonderen Schwere der Schuld nicht aus, so ist das Höchstmaß 15 Jahre.
(1) Das Mindestmaß der Jugendstrafe beträgt sechs Monate, das Höchstmaß fünf Jahre. Handelt es sich bei der Tat um ein Verbrechen, für das nach dem allgemeinen Strafrecht eine Höchststrafe von mehr als zehn Jahren Freiheitsstrafe angedroht ist, so ist das Höchstmaß zehn Jahre. Die Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts gelten nicht.
(2) Die Jugendstrafe ist so zu bemessen, daß die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich ist.
(1) Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel, ebenso mehrere Erziehungsmaßregeln oder mehrere Zuchtmittel können nebeneinander angeordnet werden. Mit der Anordnung von Hilfe zur Erziehung nach § 12 Nr. 2 darf Jugendarrest nicht verbunden werden.
(2) Neben Jugendstrafe können nur Weisungen und Auflagen erteilt und die Erziehungsbeistandschaft angeordnet werden. Unter den Voraussetzungen des § 16a kann neben der Verhängung einer Jugendstrafe oder der Aussetzung ihrer Verhängung auch Jugendarrest angeordnet werden. Steht der Jugendliche unter Bewährungsaufsicht, so ruht eine gleichzeitig bestehende Erziehungsbeistandschaft bis zum Ablauf der Bewährungszeit.
(3) Neben Erziehungsmaßregeln, Zuchtmitteln und Jugendstrafe kann auf die nach diesem Gesetz zulässigen Nebenstrafen und Nebenfolgen erkannt werden. Ein Fahrverbot darf die Dauer von drei Monaten nicht überschreiten.
BUNDESGERICHTSHOF
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Juli 2019, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum,
der Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Jäger, die Richterinnen am Bundesgerichtshof Cirener, Dr. Hohoff und der Richter am Bundesgerichtshof Dr. Leplow,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung –, Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizangestellte – in der Verhandlung –, Justizangestellte – bei der Verkündung – als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,
beschlossen:
Gründe:
- 1
- 1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung, Diebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung, wegen Betruges in 49 Fällen, davon in zwölf Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung , und wegen versuchten Betruges in 13 Fällen, davon in elf Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung, unter Einbeziehung einer anderweitigen Verurteilung zu einer Einheitsjugendstrafe von vier Jahren verurteilt.
- 2
- Das Landgericht hat folgende für die Einziehungsentscheidung bedeutsame Feststellungen und Wertungen getroffen:
- 3
- Im Zeitraum von September 2014 bis April 2016 erbeutete der – umfassend geständige – Angeklagte durch eine räuberische Erpressung zum Nachteil des Mitarbeiters eines Casinos, einen Einbruchdiebstahl in eine Gaststätte , Betrugstaten im Internet (Ankauf von Waren ohne Bezahlung, Verkauf ohne Lieferungen, Kauf auf fremden Namen), unberechtigte Überweisungen mittels Fälschung von Unterschriften auf Überweisungsträgern, einen gemeinsam mit seinem Bruder begangenen Betrug zum Nachteil eines Drogenabhängigen sowie durch den Abschluss eines Untermietvertrages unter Vorspiegelung seiner Leistungswilligkeit und -fähigkeit Geld und Waren im Gesamtwert von etwa 17.000 €. Hintergrund der Vermögensstraftaten des in seiner Schuldfähigkeit nicht eingeschränkten Angeklagten waren seine pathologische Spielsucht und dadurch entstandene Schulden.
- 4
- Die Jugendkammer hat auf die Taten, die der Angeklagte sämtlich als Heranwachsender begangen hat, nach § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG Jugendstrafrecht angewendet und von der Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 73c StGB gegen den – wie dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe hinreichend zu entnehmen ist – nicht mehr bereicherten und vermögenslosen Angeklagten abgesehen. Zur Begründung hat das Landgericht unter anderem angeführt, aus der Systematik des JGG ergebe sich, dass die Einziehung von Wertersatz zwar eine zulässige Nebenfolge im Jugendstrafrecht sei, § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG allerdings vorsehe, dass die Entscheidung, ob die Nebenfolge angeordnet werde, im Ermessen des Gerichts liege. Dass die Vorschrift des § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG den Regelungen des allgemeinen Strafrechts vorgehe, ergebe sich aus § 2 Abs. 2 JGG.
- 5
- Dem Jugendrichter ein Ermessen bei der Auswahl der anzuordnenden Maßnahmen, Strafen und Nebenfolgen einzuräumen, entspreche dem Grundgedanken des Jugendgerichtsgesetzes, nach dem der Erziehungsgedanke Leitprinzip des Jugendstrafrechts sei. Bei der Findung der erzieherisch erforderlichen und angemessenen Ahndung sei im Einzelfall sorgfältig zu überprüfen und abzuwägen, dass dem Jugendlichen keine übermäßigen finanziellen Belastungen auferlegt werden, da ihn solche entmutigen würden, überhaupt finanziell selbständig zu werden, oder – schlimmstenfalls – zu erneuten Straftaten treiben würden, um seinen Lebensunterhalt trotz der staatlich auferlegten finanziellen Verpflichtungen zu bestreiten. Dieser Grundgedanke finde sich in verschiedenen Regelungen des Jugendgerichtsgesetzes, so bei dem Absehen von der Auferlegung von Verfahrenskosten nach § 74 JGG oder dem Umstand, dass das Jugendgerichtsgesetz keine Geldstrafe vorsehe. Auch sei die Anordnung von Geldauflagen nach § 15 Abs. 1 Satz 2 JGG nur zulässig, wenn an den Jugendlichen keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden. Überdies stehe die Regelung der Geldauflage zur Gewinnabschöpfung in § 15 Abs. 2 Nr. 2 JGG in Widerspruch zu der zwingenden Anordnung der Einziehung des Wertersatzes nach § 73c StGB. Die Bedenken gegen die zwingende Anwendung des § 73c StGB im Jugendstrafverfahren könnten auch nicht durch die Möglichkeit des Ausschlusses der Vollstreckung nach § 459g Abs. 5 StPO ausgeräumt werden, da die Anordnung des Unterbleibens der Vollstreckung nur zeitlich begrenzt gelte und die Vollstreckung jederzeit wieder aufgenommen werden könne.
- 6
- Die Jugendkammer hat das von ihr angenommene Ermessen dahingehend ausgeübt, von einer Einziehung des Wertes der Taterträge bei dem Angeklagten abzusehen. Dabei hat sie insbesondere darauf abgehoben, dass der Angeklagte, bei dem das Landgericht eine positive Entwicklung sieht und der die Zeit in der Justizvollzugsanstalt für eine Ausbildung nutzen möchte, nach Verbüßung der Jugendstrafe „von Null“ beginnen und sich erst ein eigenständi- ges, selbstverantwortliches Leben schaffen müsse. Er werde durch die finanzi- elle Belastung von über 17.000 € in eine finanzielle Situation gebracht, die ihn entmutigen würde, überhaupt einen Neuanfang zu wagen, und die ihn stattdessen in die Versuchung neuer Vermögensdelikte bringen würde.
- 7
- 2. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer wirksam beschränkten Revision gegen die Nichtanordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen. Der Generalbundesanwalt vertritt die Revision nur, soweit der Angeklagte aus den Betrugstaten Gegenstände erbeutet hat. Der Generalbundesanwalt ist insoweit der Ansicht, den Feststellungen des Landgerichts sei in einigen Fällen nicht zu entnehmen, dass die erlangten Waren nicht mehr im Vermögen des Angeklagten vorhanden seien. Damit fehle es an einer Grundlage für eine Ermessensausübung des Tatgerichts (Fälle C. 4., C. 6. a bis f und C. 6. h bisk der Urteilsgründe). Im Übrigen vertritt der Generalbundesanwalt die Revision der Staatsanwaltschaft nicht. Der Generalbundesanwalt geht dabei teilweise davon aus, der Angeklagte selbst habe durch die Taten nichts erlangt (Fälle C. 5. a, bb und C. 5. e – Überweisung an die E. Limited – der Urteilsgründe ), und ist hinsichtlich der übrigen Fälle vollendeter Straftaten ebenso wie das Landgericht der Auffassung, die Regelung in § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG sehe hinsichtlich der Einziehung von Taterträgen ein Ermessen des Jugendgerichts vor; Fehler bei der Ermessensausübung des Landgerichts seien nicht gegeben.
- 8
- 3. Der Senat beabsichtigt, die Revision insgesamt zu verwerfen. Nach Auffassung des Senats steht – was nur einheitlich zu beantworten ist – die Entscheidung über die Einziehung von Taterträgen nach § 73 Abs. 1 StGB und des Wertes von Taterträgen nach § 73c Satz 1 StGB im Jugendstrafverfahren im Ermessen des Tatgerichts (§ 8 Abs. 3 Satz 1 JGG). Die Jugendkammer hat rechtsfehlerfrei das ihr eingeräumte Ermessen ausgeübt und von der Einziehung des Wertes von Taterträgen abgesehen.
- 9
- a) Die strafrechtliche Vermögensabschöpfung richtet sich vorliegend gemäß Art. 316h Satz 1 EGStGB nach den durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) eingeführten und am 1. Juli 2017 in Kraft getretenen neuen Regelungen der §§ 73 ff. StGB.
- 10
- b) Dabei steht einer Einziehung von Taterträgen – wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat – in dem Fall C. 5. a, bb der Urteilsgründe und in dem Fall C. 5. e der Urteilsgründe hinsichtlich der an die E. Limited veranlassten Überweisung bereits entgegen, dass der Angeklagte selbst nichts aus diesen Taten erlangt hat.
- 11
- c) Die Frage, ob nach den neuen Regelungen der Vermögensabschöpfung in §§ 73 ff. StGB die Einziehung von Taterträgen und des Wertes der Taterträge im Jugendstrafrecht zwingend anzuordnen ist oder im Ermessen des Tatgerichts steht, wird in Literatur und Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet. Während teilweise die Einziehung – entsprechend der gesetzlichen Neuregelung im Erwachsenenstrafrecht – im Erkenntnisverfahren unabhängig davon, ob der Angeklagte noch bereichert ist, als zwingend angesehen wird (vgl. Brunner/ Dölling, JGG, 13. Aufl., § 6 Rn. 5; MüKoStGB/Laue, 3. Aufl., § 6 JGG Rn. 8; Diemer/Schatz/Sonnen/Diemer, JGG, 7. Aufl., § 8 Rn. 11 f. zum alten Recht; Reitemeier, ZJJ 2017, 354, 361, 366; Köhler, NStZ 2018, 730, 731 f.; Korte, NZWiSt 2018, 231, 233; Schumann, StraFo 2018, 415, 419; LG Trier, Urteil vom 27. September 2017 – 8031 Js 20631/16 jug. 2a Ns Rn. 21 ff.), nimmt die Gegenauffassung demgegenüber mit unterschiedlichen Begründungsansätzen an, die Entscheidung über die Anordnung stehe im Ermessen des Tatgerichts (vgl. Eisenberg, JGG, 20. Aufl., § 6 Rn. 7; Schady/Sommerfeld, ZJJ 2018, 219, 223 ff.; Kölbel, 42. Strafverteidigertag 2018, S. 339 ff.; LG Münster, NStZ 2018, 669; AG Rudolstadt, StV 2019, 462; AG Frankfurt a.M., ZJJ 2018, 249, 250 f., ZJJ 2018, 251, 252 f.).
- 12
- d) Für die rechtliche Beurteilung ist davon auszugehen, dass die Anordnung der Einziehung von Taterträgen nach § 73 Abs. 1 StGB und des Wertes von Taterträgen nach § 73c Satz 1 StGB auch im Jugendstrafrecht zulässig ist.
- 13
- Die Vorschriften der §§ 73 ff. StGB sind über die Verweisung des § 2 Abs. 2 JGG grundsätzlich auch im Jugendstrafrecht anwendbar (vgl. BGH, Urteil vom 21. November 2018 – 2 StR 262/18 Rn. 7 zu §§ 73 ff. StGB nF sowie BGH, Urteil vom 17. Juni 2010 – 4 StR 126/10 Rn. 7 ff., BGHSt 55, 174, 177 f. zu §§ 73 ff. StGB aF). Für das vereinfachte Jugendverfahren ist die Einziehung in § 76 Satz 1 JGG dementsprechend für zulässig erklärt worden.
- 14
- Hieran knüpft § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG an, wonach der Richter neben Jugendstrafe auf die nach dem Jugendgerichtsgesetz zulässigen Nebenstrafen und Nebenfolgen erkennen kann. Damit ist auch die in § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB genannte Maßnahme der Einziehung gemeint (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juni 2010 – 4 StR 126/10 Rn. 7 ff., BGHSt 55, 174, 177 f. zu §§ 73 ff. StGB aF mwN; Brunner/Dölling, JGG, 13. Aufl., § 6 Rn. 5; BeckOK JGG/Putzke, 13. Ed., § 8 Rn. 8). Dass die Einziehung nach den §§ 73 bis 73c StGB eine Nebenfolge im Sinne des § 8 Abs. 3 JGG ist, setzt auch § 459g StPO voraus, der unter anderem Regelungen für die Vollstreckung dieser Nebenfolge enthält. Vom Anwendungsbereich des § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG nimmt § 6 JGG – als Ausnahmevorschrift – lediglich die dort genannten Nebenfolgen aus (vgl. BGH aaO Rn. 8). Demnach ist die Anordnung der Einziehung von Taterträgen auch im Jugendstrafrecht – neben den jugendstrafrechtlichen Rechtsfolgen in § 5 Abs. 1 und 2 JGG – grundsätzlich zulässig (vgl. BGH aaO).
- 15
- Der Bundesgerichtshof hat zum alten Recht darauf verwiesen, dass diese gesetzgeberische Entscheidung nicht unter Berufung auf erzieherische Interessen unterlaufen werden dürfe; der Vermeidung von Härtefällen diene allein die Vorschrift in § 73c StGB aF (vgl. BGH aaO Rn. 8, 10). Die als solche bezeichnete Härtevorschrift sah in § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB aF vor, dass der Verfall nicht angeordnet wird, soweit er für den Betroffenen eine unbillige Härte wäre. § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB aF bestimmte, dass die Anordnung unterbleiben kann, soweit der Wert des Erlangten zur Zeit der Anordnung in dem Vermögen des Betroffenen nicht mehr vorhanden ist oder wenn das Erlangte nur einen geringen Wert hat.
- 16
- e) Die umfassende Neuregelung der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung mit dem Wegfall der Härtefallklausel des § 73c StGB aF und der Verlagerung der Berücksichtigung der finanziellen Situation des Täters oder sonstiger unbilliger Härten in das Vollstreckungsverfahren gibt nach Auffassung des Senats Anlass, die Anordnung der Einziehung im jugendgerichtlichen Verfahren neu zu bewerten. Dies gilt insbesondere für die Fälle, in denen der Einziehungsbetroffene nicht mehr über die ursprüngliche Tatbeute verfügt und folglich nach § 73c Satz 1 StGB allein eine Geldforderung des Staates tituliert wird. Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Vorschrift des § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG, die – wie zuvor ausgeführt – auch für die Einziehung von Taterträgen im Jugendstrafrecht gilt.
- 17
- aa) Dafür, dass die Anordnung der Einziehung von Taterträgen im Ermessen des Jugendgerichts steht, streitet zunächst der Wortlaut des § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG. Dort heißt es ohne jede Einschränkung, dass neben Erziehungs- maßregeln, Zuchtmitteln und Jugendstrafe auf die nach diesem Gesetz zulässigen Nebenstrafen und Nebenfolgen erkannt werden „kann“.
- 18
- Dem steht nicht entgegen, dass in der jugendstrafrechtlichen Literatur der Regelungsgegenstand des § 8 JGG in der Verbindung verschiedener Reaktionsmittel des Jugendstrafrechts gesehen wird (vgl. Brunner/Dölling, JGG, 13. Aufl., § 8 Rn. 1 f., 8; Eisenberg, JGG, 20. Aufl., § 8 Rn. 7, 13; MüKoStGB/Laue, 3. Aufl., § 8 JGG Rn. 1). Denn anerkannt ist auch, dass Kombinationen – unabhängig von den zulässigen Kombinationsoptionen – immer dann unzulässig sind, wenn sie (z.B. wegen konfligierender Ziele hinsichtlich des Erziehungs- und Ahndungsbedarfs) nicht geeignet oder (z.B. wegen der Kumulationswirkung) insgesamt unverhältnismäßig sind (vgl. BeckOK JGG/Putzke, 13. Ed., § 8 Rn. 9; HK-JGG/Rössner, 2. Aufl., § 8 Rn. 8; NKJGG /Ostendorf, 10. Aufl., § 8 Rn. 8). Gerade für diese Kombinationsentscheidung sieht § 8 JGG ein Ermessen des Jugendgerichts vor (vgl. BeckOK JGG/Putzke, 13. Ed., § 8 Rn. 12).
- 19
- bb) Dafür, dass § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG dem Tatgericht ein Ermessen hinsichtlich der Anordnung der Einziehung einräumt, spricht auch § 2 Abs. 1 Satz 1 JGG, nach dem sich alle jugendstrafrechtlichen Sanktionen an dem Ziel der Spezialprävention orientieren müssen. Dass die im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs geregelte nunmehr zwingende Einziehung von Taterträgen für das Jugendstrafrecht modifiziert werden darf, ergibt sich aus § 2 Abs. 2 JGG, der vorsieht, dass die allgemeinen Vorschriften nur gelten, soweit im Jugendgerichtsgesetz nichts anderes bestimmt ist. Die Vorschrift des § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG ist in diesem Sinne eine entsprechende spezielle Regelung.
- 20
- cc) Zudem streiten systematische Erwägungen für ein Ermessen des Tatgerichts bezogen auf die Anordnung der Einziehung von Taterträgen. Eine zwingende Anwendung der Einziehungsvorschriften nach §§ 73 ff. StGB würde das differenzierte und abgestufte Gesamtgefüge möglicher Rechtsfolgen im Jugendstrafrecht unterlaufen. Dies verdeutlicht besonders die Vorschrift des § 15 JGG. § 15 Abs. 1 Satz 1 JGG sieht bestimmte Auflagen – wie z.B. die Schadenswiedergutmachung in Nr. 1 und die Zahlung eines Geldbetrages zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung in Nr. 4 – vor, die der Richter anord- nen „kann“. Gemäß § 15Abs. 2 JGG soll die Zahlung eines Geldbetrages nur angeordnet werden, wenn der Jugendliche eine leichte Verfehlung begangen hat und selbst über ausreichende Mittel verfügt, um den Geldbetrag zu zahlen (Nr. 1), oder dem Jugendlichen der Gewinn, den er aus der Tat erlangt hat, oder das Entgelt, das er für die Tat erhalten hat, entzogen werden soll (Nr. 2). § 15 Abs. 2 Nr. 2 JGG enthält damit eine besondere Regelung für die Vermögensabschöpfung im Jugendstrafrecht, deren Anordnung im Ermessen des Richters steht. Voraussetzung für die Entziehung der Tatvorteile ist nach allgemeiner Auffassung, dass der Täter noch bereichert ist (vgl. Diemer /Schatz/Sonnen/Diemer, JGG, 7. Aufl., § 15 Rn. 19; Eisenberg, JGG, 20. Aufl., § 15 Rn. 27; BeckOK JGG/Putzke, 13. Ed., § 15 Rn. 76; siehe auch Brunner /Dölling, JGG, 13. Aufl., § 15 Rn. 16). Dem entspricht, dass die Anordnung einer Geldauflage gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 JGG allgemein unter dem Vorbehalt steht, dass an den Jugendlichen keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden dürfen. Zur Durchsetzung sieht das Gesetz nach § 15 Abs. 3 Satz 2, § 11 Abs. 3 JGG die Verhängung von Beugearrest vor, wobei diese Entscheidung wiederum im Ermessen des Richters steht. Diese differenzierte Regelung zur Gewinnabschöpfung im Jugendstrafrecht würde vollständig konterkariert und ihr Anwendungsbereich gänzlich ausgehöhlt, wenn zwingend die Einziehung von Taterträgen oder – auch bei Entreicherung – des Wertes von Taterträgen anzuordnen wäre. Dabei sind schematische Betrachtungsweisen mit dem Grundgedanken der Rechtsfolgenbemessung im Jugendstrafrecht oh- nehin grundsätzlich unvereinbar. Vielmehr sind bei der Rechtsfolgenbestimmung stets die im Einzelfall relevanten Umstände und Gesichtspunkte gegeneinander abzuwägen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. September 2007 – 2 BvR 2577/06 Rn. 22 ff.).
- 21
- dd) Die Regelung des § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO enthält kein ausreichendes Korrektiv, um den zuvor dargestellten Bedenken Rechnung zu tragen. Zwar ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nunmehr anerkannt, dass eine Vollstreckung zwingend zu unterbleiben hat, wenn der Verurteilte entreichert ist (vgl. BGH, Urteile vom 15. Mai 2018 – 1 StR 651/17 Rn. 57 und vom 27. September 2018 – 4 StR 78/18 Rn. 11; Beschluss vom 22. März 2018 – 3 StR 577/17; ebenso BeckOK StPO/Coen, 33. Ed., § 459g Rn. 23; Bittmann, KriPoZ 2016, 120, 125 f.). Allerdings ist diese Auffassung nicht unbestritten (vgl. KK-StPO/Appl, 8. Aufl., § 459g Rn. 17; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 62. Aufl., § 459g Rn. 13; Rhode, wistra 2018, 102, 103). Zudem wird weitergehend diskutiert, welche Voraussetzungen an das Merkmal der Entreicherung zu stellen sind, so, ob eine Entreicherung auch dann angenommen werden kann, wenn der Täter mit den Taterträgen Schulden begleicht oder sie „verprasst“ (vgl. ablehnend Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 62. Aufl., § 459g Rn. 13; KK-StPO/Appl, 8. Aufl., § 459g Rn. 17; die Zulässigkeit einer wertenden Entscheidung des Gerichts generell verneinend BGH, Urteil vom 15. Mai 2018 – 1 StR 651/17 Rn. 57, BGHR StGB § 73c Verhältnismäßigkeit 1).
- 22
- Dass die Regelung in § 459g Abs. 5 StPO für die Situation des jugendlichen oder heranwachsenden Straftäters nicht adäquat ist, ergibt sich maßgeblich jedoch daraus, dass mit der Anordnung des Unterbleibens durch das für die Vollstreckung zuständige Jugendgericht (§ 82 JGG) das Vollstreckungsverfahren nicht endgültig beendet ist (vgl. zur Wiederaufnahme der Vollstreckung Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 62. Aufl., § 459g Rn. 14). Vielmehr ist bis zum Ablauf der – für Jugendliche maximal 20-jährigen (§ 79 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2, Abs. 5 Satz 1, Abs. 3 Nrn. 2 bis 4 StGB, § 18 Abs. 1 Satz 1 und 2 JGG) und für Heranwachsende maximal 25-jährigen (§ 79 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2, Abs. 5 Satz 1, Abs. 3 Nrn. 1 bis 4 StGB, § 18 Abs. 1, § 105 Abs. 3 JGG) – Vollstreckungsverjährung gemäß § 459g Abs. 5 Satz 2 StPO jederzeit eine Wiederaufnahme der Vollstreckung möglich, wenn nachträglich Umstände bekannt werden oder eintreten , die einer Anordnung nach Satz 1 entgegenstehen. Diese Unsicherheit ist mit der durch das Jugendstrafrecht bezweckten Resozialisierung des Täters unvereinbar. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass während der Vollstreckung die in § 459g Abs. 3 StPO genannten Maßnahmen – wie etwa Durchsuchungen entsprechend §§ 102 ff. StPO oder die Ausschreibung einer rechtskräftigen Einziehungsanordnung im polizeilichen Fahndungssystem entsprechend § 131 Abs. 1 StPO – zulässig sind, um festzustellen, ob bei dem Verurteilten Vermögen vorhanden ist. Es kommt hinzu, dass aus dem Wortlaut des § 459g Abs. 5 Satz 2 StPO nicht eindeutig erkennbar ist, welche Gründe zur Wiederaufnahme berechtigen. So erscheint fraglich, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Erlangung neuer Vermögenswerte nach Rechtskraft – etwa durch die Aufnahme einer legalen Beschäftigung – einen Grund zur Wiederaufnahme darstellen kann (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 62. Aufl., § 459g Rn. 14).
- 23
- Zudem lässt die Vorschrift des § 459g Abs. 5 StPO eine prognostische Beurteilung der Auswirkungen einer Vollstreckung auf die Entwicklung des jugendlichen oder heranwachsenden Straftäters bei der Urteilsverkündung, die den wesentlichen Zeitpunkt für die Bemessung der Rechtsfolgen im Jugendstrafrecht darstellt, nicht zu. Die Entscheidung nach § 459g Abs. 5 StPO wird erst zu einem späteren Zeitpunkt nach Urteilserlass getroffen. Soweit der jugendliche oder heranwachsende Straftäter sich bis dahin während des Vollzugs einer mehrjährigen Jugendstrafe mit der Einziehungsanordnung konfrontiert sieht, sind – was das Landgericht auch für den Angeklagten in seiner konkreten Situation nachvollziehbar dargelegt hat – negative Einflüsse auf die mit der Vollstreckung der Strafe bezweckte erzieherische Einwirkung zu befürchten.
- 24
- ee) Bestehende Zahlungsverpflichtungen gegenüber möglichen Geschädigten rechtfertigen keine andere Bewertung. Zum einen sind ohnehin nicht in allen Fällen, in denen eine Einziehung von Taterträgen oder des Wertes von Taterträgen in Betracht kommt, Personen geschädigt, so etwa bei Betäubungsmittelstraftaten. Zum anderen macht auch nicht jeder Geschädigte Ansprüche geltend, zumal im Strafverfahren gegen Jugendliche nach § 81 JGG – anders als gegen Heranwachsende gemäß § 109 JGG – ein Adhäsionsverfahren nicht statthaft ist. Soweit der Jugendrichter in der Durchsetzung von Ersatzansprüchen durch Dritte negative Auswirkungen auf die Entwicklung des jungen Delinquenten für die Zukunft befürchtet, besteht zudem für ihn jedenfalls kein Anlass, diesen nachteiligen Folgen durch die Anordnung der Einziehung von Wertersatz zusätzlich Nachdruck zu verleihen. Ein Erfahrungssatz dergestalt, dass es in jedem Fall erzieherisch geboten erscheint, den jugendlichen oder heranwachsenden Täter zum Ersatz des von ihm verursachten Schadens heranzuziehen , kann in dieser allgemeinen Form nicht aufgestellt werden.
- 25
- Umgekehrt erscheint die mit der Vermögensabschöpfung nach dem Bruttoprinzip verbundene Vermögenseinbuße, der nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kein strafähnlicher Charakter zukommt (vgl. zum früheren Verfallsrecht BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2004 – 2 BvR 564/95 Rn. 77 ff., BVerfGE 110, 1, 20 ff.), für Jugendliche oder Heranwachsende unter dem Gesichtspunkt der Resozialisierung nicht immer angemessen. So findet nach dem Bruttoprinzip bei zugrunde liegenden verbotenen Geschäften (wie etwa Betäubungsmitteldelikten) bei der Berechnung des Erlangten ein Abzug von Aufwendungen nicht statt, § 73d Abs. 1 Satz 2, 1. Halbsatz StGB. Abgeschöpft werden kann in diesen Konstellationen – ebenso wie auch in den Fällen der nur vorübergehenden Verfügungsgewalt über die Tatbeute – aber der gesamte Erlös, der als realer Gewinn nicht im Vermögen des jugendlichen oder heranwachsenden Täters vorhanden ist.
- 26
- ff) Schließlich sind gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 JGG sämtliche Rechtsfolgen , die aus Anlass der Tat gegen einen jugendlichen oder heranwachsenden Straftäter nach dem JGG verhängt werden, vorrangig an dem Erziehungsgedanken auszurichten. Dem würde im Bereich der Jugendstrafe eine obligatorische Anordnung der Einziehung (des Wertes) von Taterträgen – auch im Falle der Entreicherung des Betroffenen – nicht gerecht; denn die Verurteilung zu einer den Jugendlichen oder Heranwachsenden überfordernden Leistung widerspricht § 15 Abs. 1 Satz 2 JGG und damit auch dem Erziehungsgedanken.
- 27
- Soweit hinsichtlich der zwingenden Anwendung der §§ 73 ff. StGB auch im Jugendstrafrecht zur Begründung maßgeblich auf den Willen des Gesetzgebers abgestellt wird (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 2019 – 5 StR 95/19 Rn. 7; Köhler, NStZ 2018, 730, 731 f.; Korte, NZWiSt 2018, 231, 232 f.; MükoStGB/Laue, 3. Aufl., § 6 JGG Rn. 8), ist dieses Argument nur von eingeschränkter Überzeugungskraft, da sich in den Gesetzesmaterialen zum neuen Recht der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung außer der redaktionellen Anpassung in § 76 Satz 1 JGG kein Anhaltspunkt für eine inhaltliche Befassung mit der Einziehung im Jugendstrafverfahren oder gar eine Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der Neuregelung des Rechts der Vermögensabschöpfung auf das Jugendstrafrecht findet (vgl. BT-Drucks. 18/9525 S. 104). Indes lässt sich für die Annahme eines Ermessens des Tatgerichts ebenso ein gesetzgeberischer Wille ins Feld führen, nämlich das in § 2 Abs. 1 Satz 1 JGG normierte Ziel des Jugendstrafrechts der Spezialprävention und die in § 2 Abs. 1 Satz 2 JGG bestimmte vorrangige Ausrichtung der Rechtsfolgen am Erziehungsgedanken.
- 28
- 4. Der Senat sieht sich durch Entscheidungen des 2. und des 5. Strafsenats gehindert, wie beabsichtigt zu entscheiden.
- 29
- Der 5. Strafsenat hat ohne nähere Begründung auf die Revision der Staatsanwaltschaft in seinem Urteil vom 24. Mai 2018 analog § 354 Abs. 1 StPO den Wert des aus der Tat Erlangten – auf der Grundlage rechtsfehlerfreier Feststellungen – selbst bestimmt und den einzuziehenden Betrag in Höhe der gesamten Beute festgesetzt, weil das Landgericht rechtsfehlerhaft davon ausgegangen war, die Angeklagten hätten jeweils lediglich ihren eigenen Beuteanteil erlangt (vgl. BGH, Urteil vom 24. Mai 2018 – 5 StR 623/17 und 624/17 Rn. 11 f.).
- 30
- Der 2. Strafsenat hat auf die Revision der Staatsanwaltschaft in seinem Urteil vom 21. November 2018 – ebenfalls ohne nähere Begründung – entsprechend § 354 Abs. 1 StPO die Verurteilung einer Angeklagten zu einer Einheitsjugendstrafe um die von der Jugendkammer unterlassene Anordnung der Einziehung nach § 73c Satz 1 StGB ergänzt, nachdem er auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen den Wert des Erlangten selbst bestimmt hatte (vgl. BGH, Urteil vom 21. November 2018 – 2 StR 262/18 Rn.
8).
- 31
- In seinem Beschluss vom 24. Januar 2019 hat der 5. Strafsenat die Revision eines nach Jugendstrafrecht verurteilten Angeklagten mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass er für den Einziehungsbetrag als Gesamt- schuldner haftet, und dabei darauf hingewiesen, dass §§ 73 ff. StGB uneingeschränkt auf Jugendliche und Heranwachsende anwendbar seien (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2019 – 5 StR 475/18).
- 32
- Schließlich hat der 5. Strafsenat in seinem Urteil vom 8. Mai 2019 auf die Revision der Staatsanwaltschaft das erstinstanzliche Urteil geändert und entsprechend § 354 Abs. 1 StPO die Einziehung des Wertes von Taterträgen gegen einen nach Jugendstrafrecht verurteilten Angeklagten selbst angeordnet. Der 5. Strafsenat unterstreicht in dieser Entscheidung mit näherer Begründung nochmals, dass §§ 73 ff. StGB im Jugendstrafrecht – gleich wie im Erwachsenenstrafrecht – zwingend und uneingeschränkt anzuwenden seien (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 2019 – 5 StR 95/19).
- 33
- 5. Der Senat fragt daher gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG bei dem 2. und 5. Strafsenat an, ob an der genannten Rechtsauffassung festgehalten wird. Vorsorglich fragt der Senat auch bei dem 3. und 4. Strafsenat an, ob dortige Rechtsprechung der beabsichtigten Entscheidung entgegensteht und ob gegebenenfalls an dieser festgehalten wird.
(1) Das Gericht kann mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft von der Einziehung absehen, wenn
- 1.
das Erlangte nur einen geringen Wert hat, - 2.
die Einziehung nach den §§ 74 und 74c des Strafgesetzbuchs neben der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nicht ins Gewicht fällt oder - 3.
das Verfahren, soweit es die Einziehung betrifft, einen unangemessenen Aufwand erfordern oder die Herbeiführung der Entscheidung über die anderen Rechtsfolgen der Tat unangemessen erschweren würde.
(2) Das Gericht kann die Wiedereinbeziehung in jeder Lage des Verfahrens anordnen. Einem darauf gerichteten Antrag der Staatsanwaltschaft hat es zu entsprechen. § 265 gilt entsprechend.
(3) Im vorbereitenden Verfahren kann die Staatsanwaltschaft das Verfahren auf die anderen Rechtsfolgen beschränken. Die Beschränkung ist aktenkundig zu machen.