Bundesgerichtshof Urteil, 01. Juni 2016 - 1 StR 597/15

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:010616U1STR597.15.0
bei uns veröffentlicht am01.06.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 597/15
vom
1. Juni 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:010616U1STR597.15.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 1. Juni 2016, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Graf als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Jäger, Prof. Dr. Radtke, Prof. Dr. Mosbacher und die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Fischer,
Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hechingen vom 16. Juli 2015 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte vom Vorwurf des Totschlags freigesprochen worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten von den Vorwürfen des Totschlags gegenüber seinem Bruder und einer anschließend an seiner Lebensgefährtin begangenen gefährlichen Körperverletzung freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision, mit der sie insbesondere die Beweiswürdigung des Landgerichts beanstandet. Das insoweit vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat hinsichtlich des Freispruchs vom Vorwurf des Totschlags Erfolg ; im Übrigen ist es unbegründet.

I.

2
1. Die zugelassene Anklage legt dem Angeklagten folgende Taten zur Last:
3
a) Bei einer Auseinandersetzung wurde der Angeklagte in den frühen Morgenstunden des 1. Januar 2015 in seiner Wohnung von seinem Bruder, dem später getöteten Sch. , massiv geschlagen. Nachdem die beiden Brüder von der Lebensgefährtin des Angeklagten, der Zeugin S. , getrennt worden waren, griff der Angeklagte zu einem im Wohnzimmerregal liegenden zweiteiligen Ziermesser, das er auseinanderzog, sodass er in beiden Händen jeweils ein Messer hielt. Nachdem die Zeugin S. in die Küche geflohen war, flüchtete Sch. in den Flur in Richtung des Treppenabgangs zum Ausgang. Dort drehte er sich nochmals zu dem Angeklagten um. In diesem Moment versetzte ihm der Angeklagte mit dem größeren der beiden Messer, das er in seiner rechten Hand hielt, in Tötungsabsicht zwei wuchtige Stiche in den Thoraxbereich, die jeweils in die Brusthöhle eindrangen und den linken Lungenlappen verletzten. Als sich Sch. daraufhin in die Toilette flüchten wollte, versetzte ihm der Angeklagte mit diesem Messer einen weiteren wuchtigen Stich von hinten in den unteren Rückenbereich. Dieser Stich drang ebenfalls in den linken Lungenlappen und das Herz ein. Mit dem mitgeführten kleineren Messer stach der Angeklagte seinem Bruder außerdem noch in die rechte Hüfte. Sch. verstarb unmittelbar nach den Stichen an den ihm zugefügten Verletzungen.
4
b) Anschließend ging der Angeklagte zum Badezimmer, in dem sich seine Lebensgefährtin aufhielt, packte sie am Kopf und schlug diesen gegen die Waschmaschine. Anschließend trat er mehrfach mit den Worten „jetzt hast du, was du wolltest“ auf die am Boden liegende Geschädigte ein, die mehrere Hä- matome erlitt.
5
2. Demgegenüber hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen :
6
a) Der Angeklagte und der später getötete Sch. sind Brüder. Zwischen beiden kam es zeitlebens zu heftigen, immer wieder auch körperlich ausgetragenen Auseinandersetzungen, die nicht nur auf die unterschiedliche Lebensweise, sondern vor allem auch auf den besonderen Charakter Sch. s zurückzuführen waren. Er zeichnete sich durch zwei völlig entgegengesetzte Wesenszüge aus: Einerseits war er überaus gutmütig, hilfsbereit und großzügig, andererseits aber auch extrem reizbar, jähzornig und außerordentlich cholerisch. Aus dem nichtigsten Anlass heraus und für andere unvor- hersehbar und überraschend konnte er binnen Sekunden „explodieren“ und vollständig die Kontrolle über sich selbst verlieren, was sich sowohl in äußerst verletzenden verbalen Angriffen als auch in körperlichen Übergriffen äußerte. Sch. war dem Angeklagten in körperlicher Hinsicht klar überlegen, sodass der Angeklagte für Sch. , wenn es zu einer tätlichen Auseinandersetzung kam, niemals ein ebenbürtiger Gegner war.
7
An Silvester 2014 begaben sich die beiden Brüder mit der Lebensgefährtin des Angeklagten, der Zeugin S. , in eine Gaststätte, um dort den Jahreswechsel zu feiern. Nach einer verbalen Auseinandersetzung mit seinem Bruder zog sich der Angeklagte gegen 0.30 Uhr verärgert in seine Wohnung zurück. Zuvor machte er zumindest gegenüber seiner Lebensgefährtin klar, dass er seinen Bruder in dieser Nacht nicht mehr sehen wolle.
8
Gegen 1.30 Uhr begleitete Sch. gleichwohl die Zeugin S. in die Wohnung des Angeklagten. Auf das Erscheinen der beiden reagierte der Angeklagte sichtlich verärgert. Daraufhin begann Sch. völlig unvermittelt eine körperliche Auseinandersetzung, in deren Verlauf er dem Angeklagten mindestens 20 massive Faustschläge gegen den Kopf versetzte. Nachdem die Zeugin S. zunächst vergeblich versucht hatte, die beiden Brüder zu trennen, ließ Sch. schließlich vom Angeklagten ab und stand auf.
9
Um seinen Bruder aus dem Haus zu weisen, griff der Angeklagte nach einem im Wohnzimmerregal direkt neben ihm aufbewahrten zweiteiligen Ziermesser. Er zog dieses Ziermesser auseinander, wodurch er nun in der einen Hand ein Messer mit einer Klingenlänge von 18 cm und in der anderen Hand ein solches mit einer Klingenlänge von 13,5 cm hielt. Mit den Messern in den erhobenen Händen forderte der Angeklagte seinen Bruder mit äußerstem Nachdruck zum Verlassen der Wohnung auf. Sch. , der sich inzwischen wieder beruhigt hatte, ging den Flur entlang in Richtung der Treppe, die ins Erdgeschoss und zum Ausgang führt. Der Angeklagte folgte seinem Bruder mit einem gewissen Abstand, wobei er weiterhin die Messer in den Händen hielt, da er sichergehen wollte, dass sein Bruder auch tatsächlich das Haus verlässt.
10
Am oberen Treppenabsatz, an dem eine Tür in einen Abstellraum führt, drehte sich Sch. noch einmal um. Als er seinen „kleinen Bruder“ mit den Messern hinter sich erblickte, geriet er erneut in Zorn und ging den Angeklagten sogleich verbal massiv an. Dem Angeklagten war klar, dass Sch. nun nicht mehr bereit war, das Haus umgehend zu verlassen. Er sah sich einem erneuten Angriff seines Bruders gegenüber, da Sch. ihm eindeutig zu verstehen gab, dass er sich auf keinen Fall gefallen lasse, vom Angeklagten mit Messern aus dem Haus geworfen zu werden. In Erinnerung an die massiven Schläge im Wohnzimmer stach der Angeklagte nunmehr aus Angst um sein Leben und in der Absicht, sich zu verteidigen, dreimal von vorne auf den Oberkörper seines Bruders ein. Zwei Stiche, die zeitlich unmittelbar hintereinander in den Bereich der linken Achsel erfolgten, drangen in die Brusthöhle ein und verletzten jeweils den linken Lungenoberlappen. Ein weiterer Stich traf Sch. in die rechte Hüfte. Sch. bewegte sich nach den ersten drei Stichen in einer ersten Reaktion auf den Angeklagten zu, welcher seinem Bruder weiterhin in Todesangst und wiederum von vorne einen vierten Stich in den Rücken nahe der linken Flanke versetzte, indem er um den Oberkörper des Bruders herumgriff. Der vierte Stich durchdrang den linken Lungenunterlappen, eröffnete den Herzbeutel und penetrierte sodann die linksseitige Herzhinterwand. Sch. verstarb an den zugefügten Stichverletzungen im Abstellraum der Wohnung. Die auf Betreiben des Angeklagten und der Zeugin S. herbeigerufenen Rettungskräfte konnten nur noch seinen Tod feststellen.
11
Im Tatzeitpunkt betrug die Blutalkoholkonzentration beim Angeklagten 1,86 Promille, bei seinem Bruder Sch. 1,18 Promille.
12
b) Ob der Angeklagte nach den Stichen auf seinen Bruder seiner Lebensgefährtin überhaupt Schläge zufügte, konnte das Landgericht nicht feststellen.
13
3. Das Landgericht hat den Angeklagten hinsichtlich des ihm zur Last liegenden Tötungsdelikts aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen, hinsichtlich des Vorwurfs der Körperverletzung gegenüber der Zeugin S. aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
14
a) Bezüglich des Tatvorwurfs der vorsätzlichen Tötung seines Bruders hat es die Feststellungen weitgehend unter „Anwendung des Zweifelssatzes“ getroffen.
15
aa) Der Angeklagte ließ sich in der Hauptverhandlung ein, er habe seinen Bruder im Wohnzimmer nach dem Auseinanderziehen des Ziermessers zum Verlassen der Wohnung aufgefordert. Daraufhin habe ihn sein Bruder erneut angegriffen, weshalb er mit beiden Messern zugestochen habe. Sein Bruder habe ihn trotz der Stiche nicht losgelassen, weshalb er erneut auf ihn eingestochen habe. Alle vier Stiche seien seiner Erinnerung nach im Wohnzimmer erfolgt. Er habe auf seinen Bruder eingestochen, weil er befürchtet habe, dieser würde ihn sonst totschlagen.
16
bb) Bezüglich des Ortes der Messerstiche und der Art und Weise der Stichführung hält das Landgericht die Einlassung des Angeklagten für widerlegt. Es hat sich insbesondere im Hinblick auf die festgestellten Blutspuren davon überzeugt, dass die Messerstiche nicht im Wohnzimmer, sondern im Bereich der Tür zur Abstellkammer zugefügt wurden. Es konnte jedoch nicht feststellen , dass der Angeklagte das Gericht zum eigentlichen Tatgeschehen bewusst angelogen hat. Im Hinblick auf eine beim Angeklagten festgestellte Mischintoxikation mit Alkohol und Drogen konnte das Landgericht nicht ausschließen , dass der Angeklagte unter einer anterograden Amnesie litt.
17
cc) Die Aussage der einzigen Zeugin von Teilen des Tatgeschehens, der Zeugin S. , hält das Landgericht nicht für glaubhaft. Es hat deren Angaben daher nur insoweit herangezogen, als sie durch andere Beweise bestätigt wurden.
18
dd) Angesichts der außergewöhnlichen Charakterstruktur des Tatopfers konnte das Landgericht im Ergebnis nicht ausschließen, dass der Angeklagte die Messerstiche aus einer Notwehrsituation heraus gesetzt hat. Ausgehend von der bestehenden Beweislage sah es sich gezwungen, „das eigentliche Tat- geschehen zu rekonstruieren und die dabei verbleibenden Sachverhaltslücken gemäß dem Zweifelssatz zugunsten des Angeklagten zu schließen“. Es hat dabei bei ungeklärten Sachverhaltsalternativen nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ den Feststellungen jeweils die für den Angeklagten günstigere zugrun- de gelegt.
19
(1) Auf diese Weise hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte nicht seinem Bruder nachging, um sich für die vorangehenden Prügel zu rä- chen, sondern um „sein Hausrecht auszuüben und den Abgang seines Bruders sicherzustellen“ (UA S. 20).
20
(2) Nach dem Zweifelssatz ist es zudem zur Reihenfolge der Messerstiche davon ausgegangen, dass der erste Messerstich nicht während der Verfolgung von hinten erfolgte, sondern Sch. sich erst umdrehte und dann die Messerstiche erhielt.
21
(3) Weiterhin ist das Landgericht zugunsten des Angeklagten davon ausgegangen, dass ein erneuter Angriff Sch. s auf den Angeklagten unmittelbar bevor stand. Es sei „ausgehend von der charakterlichen Disposition und dem Verhältnis der beiden Menschen sogar naheliegend, dass es sich Sch. gerade von seinem jüngeren Bruder nicht bieten lassen wollte, dass dieser ihn mit Messern in der Hand aus dem Haus jagte“ (UA S. 22).
22
(4) Schließlich ergab sich für das Landgericht aus einer letzten Anwendung des Zweifelssatzes, dass der unter anderem den Herzbeutel verletzende Stich in den Rücken ebenfalls von vorne erfolgt ist. Es ging zugunsten des Angeklagten davon aus, dass er seinen Bruder nicht von hinten in den Rücken gestochen habe, sondern dass er von vorn um dessen Oberkörper herumgegriffen und ihm dann in den Rücken gestochen habe. Da die Geschehensvariante , dass der Angeklagte diesen Stich erst nach beendetem Angriff seines Bruders gesetzt habe, wegen eines extensiven Notwehrexzesses sowohl die Berufung auf § 32 StGB als auch auf § 33 StGB ausschließe, sei in dubio pro reo nicht von dieser Variante auszugehen.
23
ee) Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen hält das Landgericht die Messerstiche des Angeklagten für durch Notwehr (§ 32 StGB) gerechtfertigt. Der Angeklagte habe sich bei den Stichen einem unmittelbar bevorstehenden Angriff seines Bruders auf seine körperliche Integrität, wenn nicht sogar auf sein Leben, gegenüber gesehen. Dieser sei auch rechtswidrig gewesen, weil das Nachgehen und Drohen mit den Messern seitens des Angeklagten keinen rechtswidrigen Angriff auf seinen Bruder darstelle, sondern vielmehr seinerseits durch Notwehr gerechtfertigt gewesen sei. Denn es habe ein rechtswidriger Angriff Sch. s auf das Hausrecht des Angeklagten vorgelegen.
24
b) Im Hinblick auf die nicht glaubhaften Angaben der Zeugin S. konnte sich das Landgericht auch nicht von einer zu ihrem Nachteil begangenen Körperverletzung überzeugen.

II.


25
Der Freispruch vom Vorwurf des Totschlags hat keinen Bestand.
26
1. Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
27
a) Das Revisionsgericht muss es grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Vielmehr hat es die tatrichter- liche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178). Dem Tatgericht obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 11. November 2015 – 1 StR 235/15, wistra 2016, 78, vom 1. Juli 2008 – 1 StR 654/07 und vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08, wistra 2008, 398; jeweils mwN).
28
Voraussetzung für die Überzeugung des Tatrichters von einem bestimmten Sachverhalt ist nicht eine absolute, das Gegenteil ausschließende Gewissheit. Vielmehr genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 2009 – 4 StR 368/09, NStZ 2010, 292). Das Tatgericht ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Dabei muss sich aus den Urteilsgründen auch ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08, wistra 2008, 398 mwN). Auch wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die Möglichkeit, dass sie in ihrer Gesamtheit dem Tatrichter die entsprechende Überzeugung vermitteln können (vgl. BGH, Urteil vom 11. November 2015 – 1 StR 235/15 Rn. 43, wistra 2016, 78, vom 30. März 2004 – 1 StR 354/03, NStZ-RR 2004, 238 und vom 6. August 2003 – 2 StR 180/03, NStZ-RR 2003, 369, 370 mwN).
29
b) Diesen Anforderungen genügt die Beweiswürdigung hinsichtlich des Tatvorwurfs des Totschlags nicht.
30
aa) Das Landgericht hat den Anwendungsbereich des Zweifelssatzes verkannt. Der Grundsatz „in dubio pro reo“ ist keine Beweis-, sondern eine Entscheidungsregel , die das Gericht erst dann zu befolgen hat, wenn es nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht die volle Überzeugung von der Täterschaft zu gewinnen vermag. Auf einzelne Elemente der Beweiswürdigung ist er grundsätzlich nicht anzuwenden (vgl. BGH, Urteil vom 5. November 2014 – 1 StR 327/14 Rn. 44, NStZ-RR 2015, 83 mwN).
31
Das Landgericht hat bereits einen rechtsfehlerhaften Ansatz gewählt, in- dem es der Auffassung war, es könne „Sachverhaltslücken“ jeweils unabhängig vom restlichen Sachverhalt gemäß dem Zweifelssatz zugunsten des Angeklagten schließen. Denn hierdurch hat es die Betrachtung auf diejenigen Beweisanzeichen verengt, denen es eine unmittelbare Aussagekraft für das jeweilige Sachverhaltselement beigemessen hat. Das Landgericht hätte statt einer isolierten Beweiswürdigung für einzelne Sachverhaltselemente eine Gesamtbewertung aller be- und entlastenden Beweisanzeichen mit dem ihnen jeweils zukommenden Beweiswert vornehmen müssen.
32
Die gebotene Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände hätte dem Tatgericht möglicherweise eine sichere Überzeugung von einem nicht in Verteidigungsabsicht vorgenommenen Messerangriff des Angeklagten vermitteln können. Denn erst die Würdigung des gesamten Beweisstoffs entscheidet letztlich darüber, ob der Richter die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten und den sie tragenden Feststellungen gewinnt.
33
bb) Indem das Landgericht unter mehrfacher isolierter Anwendung des Zweifelssatzes den für den Angeklagten günstigsten Geschehensablauf annimmt , der nicht einmal mit der Einlassung des Angeklagten in Einklang zu bringen ist, hat das Landgericht zudem verkannt, dass es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten ist, zugunsten des Angeklagten Geschehensabläufe zu unterstellen, für deren Vorliegen außer nicht widerlegbaren und durch nichts gestützten Angaben des Angeklagten keine Anhaltspunkte bestehen (vgl. BGH, Urteil vom 5. November 2014 – 1 StR 327/14 Rn. 37, NStZ-RR 2015, 83 mwN).
34
cc) Die Feststellung des Landgerichts, es „könne unter besonderer Be- rücksichtigung der ganz außergewöhnlichen Charakterstruktur des Tatopfers nicht ausschließen, dass der Angeklagte, wie von ihm geschildert, die Messer- stiche aus einer Notwehrsituation heraus“ gesetzt habe (UA S. 18), lässt zudem besorgen, das Landgericht habe nicht beachtet, dass für die Überzeugung des Tatrichters von einem bestimmten Sachverhalt eine absolute, das Gegenteil ausschließende Gewissheit nicht erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 2009 – 4 StR 368/09, NStZ 2010, 292).
35
2. Der Freispruch vom Vorwurf des Totschlags hat ferner deshalb keinen Bestand, weil die Annahme des Landgerichts, die Messerstiche des Angeklagten seien durch Notwehr (§ 32 StGB) gerechtfertigt gewesen, auch ausgehend von den getroffenen Feststellungen rechtlicher Nachprüfung nicht standhält.
36
a) Nicht rechtswidrig handelt nur derjenige, der eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist (§ 32 Abs. 1 StGB). Dabei erfordert das Merkmal der Gebotenheit im Einzelfall sozialethisch begründete Einschränkungen an sich erforderlicher Verteidigungshandlungen (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 1996 – 5 StR 432/95, BGHSt 42, 97). Die Verteidigung ist dann nicht geboten, wenn von dem Angegriffenen aus Rechtsgründen die Hinnahme der Rechtsgutsverletzung oder eine eingeschränkte und risikoreichere Verteidigung zu verlangen ist (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 32 Rn. 36).
37
b) Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen ist das Gebotensein des vom Angeklagten gewählten tödlichen Messereinsatzes nicht dargetan. Denn das Landgericht hat zwei Umstände, die zu einer Einschränkung des Notwehrrechts führen konnten, rechtsfehlerhaft nicht in den Blick genommen.
38
aa) Zum einen könnte eine Notwehrprovokation vorgelegen haben. Wer durch ein sozialethisch zu beanstandendes Vorverhalten einen Angriff auf sich schuldhaft provoziert hat, auch wenn er ihn nicht in Rechnung gestellt haben sollte oder gar beabsichtigt hat, darf nicht bedenkenlos von seinem Notwehrrecht Gebrauch machen und sofort ein lebensgefährliches Mittel einsetzen. Er muss vielmehr dem Angriff nach Möglichkeit ausweichen und darf zur Trutzwehr mit einer lebensgefährlichen Waffe erst übergehen, nachdem er alle Möglichkeiten zur Schutzwehr ausgenutzt hat; nur wenn sich ihm diese Möglichkeit verschließt, ist er zu entsprechend weitreichender Verteidigung befugt (vgl. BGH, Urteil vom 25. März 2014 – 1 StR 630/13, NStZ 2014, 451, 452). Gegen einen unbewaffneten Gegner kommt der Gebrauch einer lebensgefährlichen Waffe nur in Ausnahmefällen in Betracht; er darf nur das letzte Mittel zur Verteidigung sein (BGH aaO; vgl. auch BGH, Urteil vom 30. Mai 1996 – 4 StR 109/96, NStZ-RR 1997, 65 mwN; zur Rechtsprechung zur Notwehrprovokation vgl. auch BGH, Urteile vom 19. Dezember 2013 – 4 StR 347/13, Rn. 28, NStZ 2014, 147 mwN und vom 21. März 1996 – 5 StR 432/95, BGHSt 42, 97, 100 f.; zur Notwehreinschränkung bei Angriffsprovokation umfassend Fasten, Die Grenzen der Notwehr im Wandel der Zeit, 2011, 151 ff. mwN).
39
Vorliegend war der Angeklagte seinem Bruder mit Messern in den Händen gefolgt, obwohl die vorherige Auseinandersetzung bereits beendet war und sich der Bruder, der sich bereits wieder beruhigt hatte, auf dem Weg zum Ausgang befand. Hierin konnte – jedenfalls angesichts des Umstandes, dass von Sch. zu diesem Zeitpunkt kein Angriff auf das Hausrecht mehr ausging (UA S. 7) – ein sozialethisch zu beanstandendes Vorverhalten liegen, das zu einer Einschränkung des Notwehrrechts führte. Es hätte deshalb ergänzender Feststellungen und Erörterungen bedurft, ob der Angeklagte mit dem Verfolgen des Bruders mit Messern den Anschein eines bevorstehenden, von ihm ausgehenden Angriffs erweckt hatte und damit sein Notwehrrecht aus sozialethischen Gründen eingeschränkt war, sodass er hätte versuchen müssen, dem Angriff seines Bruders auszuweichen (vgl. BSG, Urteil vom 25. März 1999 – B 9 VG 1/98 R, BSGE 84, 54).
40
Schon bei der Verfolgung des Bruders mit Messern konnte sich der Angeklagte nicht auf Notwehr zur Durchsetzung des Hausrechts berufen. Ein Hausfriedensbruch gemäß § 123 Abs. 1 Alt. 2 StGB liegt erst dann vor, wenn der Täter nach der Aufforderung, sich zu entfernen, den Raum nicht unverzüglich verlässt. Das weitere Verweilen muss dabei von solcher Dauer sein, dass es sich als Ungehorsam gegen die ergangene Aufforderung darstellt. Erst das Überschreiten dieser Grenze führt dazu, dass der Täter ohne Befugnis verweilt und damit ein rechtswidriger Angriff auf das Hausrecht vorliegt (vgl. Lilie in LKStGB , 12. Aufl., § 123 Rn. 65 f. mwN). Ein solches Verweilen hat das Landgericht indes nicht festgestellt. Vielmehr leistete Sch. nach den Urteils- feststellungen der Aufforderung des Angeklagten, das Haus zu verlassen, unverzüglich Folge und begab sich zur Treppe, die zum Hausausgang führt.
41
bb) Ebenfalls zu einer Einschränkung des Notwehrrechts konnte das zwischen dem Angeklagten und seinem Bruder bestehende persönliche Näheverhältnis führen. Bei einer solchen engen familiären und persönlichen Beziehung , wie sie hier zwischen den beiden Brüdern bestand, dürfen lebensgefährliche Verteidigungsmittel nicht ohne Weiteres angewendet werden, wenn der Angreifer unbewaffnet ist (vgl. BGH, Urteil vom 25. März 2014 – 1 StR 630/13, NStZ 2014, 451, 452 mwN) und statt einer Trutzwehr auch eine Schutzwehr möglich ist (vgl. Erb in Müko-StGB, 2. Aufl., § 32 Rn. 219; vgl. auch BGH, Urteil vom 26. Februar 1969 – 3 StR 322/68, NJW 1969, 802).
42
3. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.

III.

43
Der Freispruch vom Vorwurf der Körperverletzung aus tatsächlichen Gründen hat demgegenüber Bestand. Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei dargelegt , aus welchen Gründen es sich nicht von der Richtigkeit der Angaben der Zeugin S. zu diesem Tatvorwurf überzeugen konnte. Weitere Beweismittel sind ausweislich der Urteilsgründe nicht vorhanden.
Graf Jäger Radtke
Mosbacher Fischer

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 01. Juni 2016 - 1 StR 597/15

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 01. Juni 2016 - 1 StR 597/15

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Urteil, 01. Juni 2016 - 1 StR 597/15 zitiert 4 §§.

Strafgesetzbuch - StGB | § 32 Notwehr


(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig. (2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 33 Überschreitung der Notwehr


Überschreitet der Täter die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft.

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Urteil, 01. Juni 2016 - 1 StR 597/15 zitiert oder wird zitiert von 17 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Urteil, 01. Juni 2016 - 1 StR 597/15 zitiert 10 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 29. Okt. 2009 - 4 StR 368/09

bei uns veröffentlicht am 29.10.2009

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES Urteil 4 StR 368/09 vom 29. Oktober 2009 in der Strafsache gegen wegen Verdachts der schweren Brandstiftung u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. Oktober 2009, an der teilgen

Bundesgerichtshof Urteil, 25. März 2014 - 1 StR 630/13

bei uns veröffentlicht am 25.03.2014

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 S t R 6 3 0 / 1 3 vom 25. März 2014 in der Strafsache gegen wegen Totschlags Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. März 2014, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Ri

Bundesgerichtshof Urteil, 30. März 2004 - 1 StR 354/03

bei uns veröffentlicht am 30.03.2004

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 354/03 vom 30. März 2004 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30. März 2004, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richte

Bundesgerichtshof Urteil, 19. Dez. 2013 - 4 StR 347/13

bei uns veröffentlicht am 19.12.2013

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 4 StR 347/13 vom 19. Dezember 2013 in der Strafsache gegen wegen Beteiligung an einer Schlägerei Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. Dezember 2013, an der teilgenommen ha

Bundesgerichtshof Urteil, 01. Juli 2008 - 1 StR 654/07

bei uns veröffentlicht am 01.07.2008

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 654/07 vom 1. Juli 2008 in der Strafsache gegen wegen Totschlags Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 1. Juli 2008, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am B

Bundesgerichtshof Urteil, 06. Aug. 2003 - 2 StR 180/03

bei uns veröffentlicht am 06.08.2003

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 180/03 vom 6. August 2003 in der Strafsache gegen wegen Totschlags u.a. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. August 2003, an der teilgenommen haben: Richter am Bunde

Bundesgerichtshof Urteil, 11. Nov. 2015 - 1 StR 235/15

bei uns veröffentlicht am 11.11.2015

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 235/15 vom 11. November 2015 in der Strafsache gegen 1. 2. 3. wegen gewerbs- und bandenmäßigen Schmuggels u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 10. Novem

Bundesgerichtshof Urteil, 24. März 2015 - 5 StR 521/14

bei uns veröffentlicht am 24.03.2015

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 5 StR521/14 vom 24. März 2015 in der Strafsache gegen wegen des Verdachts der schweren Vergewaltigung u.a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. März 2015, an der t

Bundesgerichtshof Urteil, 12. Feb. 2015 - 4 StR 420/14

bei uns veröffentlicht am 12.02.2015

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 4 StR 420/14 vom 12. Februar 2015 in der Strafsache gegen wegen Betruges u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. Februar 2015, an der teilgenommen haben: Vorsitzende R

Bundesgerichtshof Urteil, 05. Nov. 2014 - 1 StR 327/14

bei uns veröffentlicht am 05.11.2014

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 S t R 3 2 7 / 1 4 vom 5. November 2014 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 5. November 2014, an der teilge
7 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 01. Juni 2016 - 1 StR 597/15.

Bundesgerichtshof Urteil, 26. Okt. 2016 - 2 StR 275/16

bei uns veröffentlicht am 26.10.2016

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 275/16 vom 26. Oktober 2016 in der Strafsache gegen wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung ECLI:DE:BGH:2016:261016U2STR275.16.0 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in d

Bundesgerichtshof Urteil, 19. Dez. 2018 - 2 StR 291/18

bei uns veröffentlicht am 19.12.2018

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 291/18 vom 19. Dezember 2018 in der Strafsache gegen wegen Betruges u. a. ECLI:DE:BGH:2018:191218U2STR291.18.0 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. Dezember 2

Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Dez. 2017 - 2 StR 252/17

bei uns veröffentlicht am 07.12.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 252/17 vom 7. Dezember 2017 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung ECLI:DE:BGH:2017:071217B2STR252.17.0 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und

Bundesgerichtshof Urteil, 21. Nov. 2017 - 1 StR 261/17

bei uns veröffentlicht am 21.11.2017

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 261/17 vom 21. November 2017 in der Strafsache gegen wegen versuchten Totschlags ECLI:DE:BGH:2017:211117U1STR261.17.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. Novembe

Referenzen

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

Überschreitet der Täter die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft.

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR521/14
vom
24. März 2015
in der Strafsache
gegen
wegen des Verdachts der schweren Vergewaltigung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
24. März 2015, an der teilgenommen haben:
Richter Prof. Dr. Sander
als Vorsitzender,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Dr. Berger,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt K.
als Verteidiger,
Rechtsanwalt Ba.
als Vertreter der Nebenklägerin Bö. ,
Rechtsanwältin T.
als Vertreterin der Nebenklägerin H. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 24. März 2014 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen und Betrugs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und ihn hinsichtlich weiterer vier Tatvorwürfe aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Revision des Angeklagten hat der Senat im Beschlusswege gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision gegen die Freisprüche des Angeklagten wegen drei der weiteren ihm vorgeworfenen Straftaten. Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
2
1. Dem Angeklagten lag zur Last, in zwei Fällen jeweils eine schwere Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung begangen zu haben, indem er im Mai 2010 die Geschädigte Bö. und im Juni 2010 die Geschädigte H. durch heimliche Beibringung eines bewusstseinstrüben- den Mittels (sog. K.O.-Tropfen) in einen willenlosen Zustand versetzt und diesen jeweils zur Durchführung des Geschlechtsverkehrs ausgenutzt habe. Darüber hinaus war ihm vorgeworfen worden, eine räuberische Erpressung in Tateinheit mit Anstiftung zum Betrug verübt zu haben; er habe U. und L. unter Androhung körperlicher Repressalien dazu gebracht, dass L. unter Vortäuschung von Zahlungswilligkeit und -fähigkeit einen Mobilfunkvertrag abgeschlossen und anschließend dem Angeklagten das erlangte Mobiltelefon nebst SIM-Karte weisungsgemäß ausgehändigt habe.
3
2. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
4
a) Die Nebenklägerin Bö. lernte den Angeklagten über einen Chat kennen und verabredete sich mit ihm für den Abend des 12. Mai 2010. Begleitet von ihrer Freundin P. und einem Bekannten des Angeklagten besuchten sie eine Diskothek, in der sie Alkohol tranken und sich küssten. Als ihr aufgrund des Alkoholkonsums schlecht wurde, wurde sie von mehreren Personen vor die Diskothek gebracht. Anschließend fuhr sie mit dem Angeklagten in einem Taxi zu dessen Wohnung. Dabei war sie alkoholbedingt enthemmt; sie wusste jedoch noch, was sie tat, und konnte sich ihrem Willen entsprechend ohne erhebliche Beeinträchtigung steuern und äußern (UA S. 51). Nachdem sie, in der Wohnung angelangt, weiterhin unter Übelkeit gelitten hatte, zog sie sich aus, legte sich ins Bett und schlief ein. Am nächsten Morgen verließ die Nebenklägerin Bö. die Wohnung des noch schlafenden Angeklagten, ohne ihn zu wecken , weil ihr Verhalten ihr peinlich war. Sie ließ sich von ihrem ehemaligen Freund nach Hause bringen, mit dem sie noch am selben Abend an einer Feier teilnahm.
5
b) In der Nacht zum 3. Juni 2010 besuchte die Nebenklägerin H. , die „gerne Schnaps trank, diesen gut vertrug und am Vortag oderam Morgen des 3. Juni 2010 Crystal konsumiert hatte“ (UA S. 53), mit Freunden eine Diskothek. Dort traf sie den ihr bereits bekannten Angeklagten, mit dem sie früher „gelegentlich Zärtlichkeiten in nicht näher ermittelbarer Art“ (UA S. 52) ausge- tauscht hatte. Gemeinsam mit dem Angeklagten konsumierte sie innerhalb von zehn bis zwanzig Minuten jeweils zehn Gläser mit 4 cl „Wodka-Energy“. Etwa eine Stunde später fuhr sie mit dem Angeklagten und einem ihm Bekannten zu dessen Wohnung. Dort spielten sie bei weiterem Alkoholkonsum zu Dritt ein Spiel, in dessen Verlauf sie sich einzelne Kleidungsstücke auszogen und H. , die alkoholbedingt – lediglich – enthemmt ihre Mitspieler küsste. Außerdem kam es zwischen ihr und dem Angeklagten zum Geschlechtsverkehr. Nachdem sie zuvor ihren Freunden gegenüber telefonisch ihre baldige Rückkehr in die Diskothek angekündigt hatte, nutzte nicht ausschließbar der Bekannte des Angeklagten einen Toilettenbesuch H. s dazu, aus ihrem Mobiltelefon die SIM-Karte zu entfernen, zu zerbrechen und zu verstecken, weil er sich bei ihrem längeren Aufenthalt in seiner Wohnung einen intensiveren Austausch von Zärtlichkeiten mit ihr erhoffte. Gegen 6:00 Uhr schlief H. auf einem Sofa ein. Als sie kurz darauf wieder erwachte, war ihr aufgrund des vorangegangenen Alkohol- und Drogenkonsums schwindelig und ihr fiel ein, dass sie einen Termin beim Arbeitsamt hatte. Sie verließ die Wohnung und fuhr zunächst zu ihren Freunden, denen gegenüber sie über Schmerzen an den Oberschenkeln klagte und andeutete, sexuell bedrängt worden zu sein. Sie konsumierte Liquid Ecstasy und ließ sich von ihrer Hausärztin krankschreiben.
6
c) Am 22. Mai 2010 schloss L. auf Veranlassung seines Freundes U. einen Mobilfunkvertrag, der die Aushändigung eines Mobiltelefons umfasste. Hierbei täuschte er seine tatsächlich nicht bestehende Zahlungswilligkeit und -fähigkeit vor. Die bis zum 13. Juli 2010 angefallenen Tele- fonkosten in Höhe von 355 Euro entrichtete er nicht. Um sich weiteren Forderungen des Mobilfunkanbieters und Vorwürfen seiner Mutter zu entziehen, dachte er sich aus, dass der sich mittlerweile in Untersuchungshaft befindliche Angeklagte ihn und U. unter Ankündigung, diesen andernfalls töten zu wollen , gezwungen habe, den Vertrag abzuschließen.
7
3. Die angefochtenen Freisprüche halten sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.
8
a) Die Beweiswürdigung ist dem Tatgericht vorbehalten (§ 261 StPO). Spricht das Tatgericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies vom Revisionsgericht grundsätzlich hinzunehmen, da die Beweiswürdigung Sache des Tatgerichts ist. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt nur, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 10. Dezember 2014 – 5 StR 136/14 mwN). Dabei hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – 4 StR 371/13, NStZ-RR 2014, 87; Sander in LR-StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 182 mwN).
9
b) Daran gemessen ist die Beweiswürdigung nicht zu beanstanden. Entgegen der Ansicht der Revision hat das Landgericht die erforderliche Gesamtwürdigung der be- und entlastenden Umstände in jedem der angegriffenen Fälle vorgenommen und sich mit den Angaben der betroffenen Nebenklägerinnen ausführlich auseinandergesetzt. Die Schlussfolgerungen und Wertungen des Landgerichts sind tatsachenfundiert, lassen keine Rechtsfehler erkennen und halten sich im tatgerichtlichen Beurteilungsspielraum. Die Revision hat weder Widersprüche noch wesentliche Erörterungsmängel aufgezeigt. Die Beanstandungen der Revision zielen auf eine andere Bewertung von Tatsachen ab, die das Landgericht aber allesamt bedacht hat.
10
aa) Hinsichtlich der dem Angeklagten vorgeworfenen Tat zum Nachteil der Nebenklägerin Bö. hat das Landgericht nicht ausschließen können, dass deren Erinnerungsvermögen – entgegen ihren Angaben – bei alkoholbedingter Enthemmung nicht vorübergehend aufgehoben, sondern insgesamt erhalten geblieben war. Nachvollziehbar hat es das Landgericht insbesondere aufgrund der Aussage der Zeugin Br. für möglich gehalten, dass Bö. sich ein Erlebnis, das ihr die Zeugin Br. im Zusammenhang mit einer Verabreichung von „K.O.-Tropfen“ geschildert hatte, zu eigen gemacht habe, um eine freiwillige Übernachtung bei dem Angeklagten gegenüber ihrer Mutter und ihrem ehemaligen Freund zu rechtfertigen (UA S. 83 f.). Die Zeugin Br. war von der Mutter der Nebenklägerin um ein Gespräch mit ihrer Tochter gebeten worden, weil die Mutter vermutet hatte, dass es eine Verbindung mit dem ihr von Br. berichteten Geschehen gäbe (UA S. 73). Das Landgericht hat weiter bedacht, dass die Nebenklägerin ihre Angaben zur Aufnahme der alkoholischen Getränke, zu ihrer Erinnerungslücke und ihrem Zustand beim Erwachen gegenüber verschiedenen Personen im Zeitablauf verändert hatte. Es vermochte nicht festzustellen, dass sie zu ihren wechselnden Schilderungen (vgl. UA S. 69, 71) etwa durch gravierende Angstzustände oder eine erhebliche Beeinträchtigung des seelischen Befindens und der körperlichen Gesundheit veranlasst worden sein könnte, da sie am Abend nach dem Geschehen mit Freunden feierte und Geschlechtsverkehr hatte (UA S. 75). Vielmehr hat das Landgericht nicht ausschließen können, dass die Nebenklägerin und ihre Freundin P. frühzeitig Handlungen, soweit sie elterlichen Erwartungen nicht entsprachen, nicht oder nicht vollständig preisgegeben oder aber der Beigabe von „K.O.-Tropfen“ zugeschrieben hätten. Insoweit hatte das Landgericht neben der Aussage der Zeugin Br. auch die Angaben der Zeugin P. in deren polizeilicher Vernehmung zu berücksichtigen, in der sie einräumte, dass Bö. deren Mutter das Geschehen anders geschildert und sie „wohl angeschwindelt habe, weil sie Ärger befürchtet habe, wenn sie die Wahrheit sage“ (UA S. 79 f.). Gegen diese Beweiswürdigung ist nichts zu erinnern.
11
bb) In dem die Nebenklägerin H. betreffenden Fall ist das Landgericht von einem nicht ausschließbar einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zwischen dem Angeklagten und H. ausgegangen. Es hat dabei sämtliche – fürsich genommen gewichtigen belastenden – Indizien, wie Schmerzen und eine schwache Unterblutung an der Oberschenkelinnenseite, Nachweis von Sperma des Angeklagten in der Scheide der Nebenklägerin und von Gammahydroxybuttersäure (GHB) im Urin der Nebenklägerin (UA S. 94, 96) erkannt und bewertet, sich aber nach umfassender Gesamtwürdigung im Ergebnis nicht von dem in der Anklage vorgeworfenen Tatgeschehen zu überzeugen vermocht. Das Landgericht hat der Nebenklägerin H. nicht geglaubt, dass sie sich nicht habe erinnern können, ob es jemals zwischen ihr unddem Angeklagten Zärtlichkeiten in ansonsten unbeeinträchtigten Situationen gegeben habe (UA S. 84, 87, 98). Es hat ferner bedacht, dass aus sachverständiger Sicht eine Substanz mit dem Wirkstoff GHB auch noch nach dem vorgeworfenen Tatgeschehen eingenommen worden sein könnte. Das Landgericht ist insofern zu dem – nach den Gesamtumständen möglichen – Schluss gekommen, dass H. , in deren Urin auch Amphetamine nachgewiesen worden sind, am nächsten Morgen in der Wohnung ihrer Drogen konsumierenden Freunde Liquid Ecstasy eingenommen hat. Auch haben sich für die sachverständig beratene Strafkammer die von der Nebenklägerin beschriebene Erinnerungslücke und der Umstand, dass sie beim nächtlichen Telefonat mit ihrer Freundin „durcheinander“ gewirkt habe, allein durch den massiven Alkoholkonsum und nicht durch die Einnahme eines Narkosemittels erklären lassen (UA S. 88, 97). Die gewissen Parallelen zu den weiteren Anklagevorwürfen der übrigen Nebenklägerinnen mit dem Angeklagten hat das Landgericht gesehen (UA S. 98), es vermochte sich jedoch letztlich insbesondere wegen der Alkoholgewöhnung und der wechselnden Angaben der Nebenklägerin H. zu ihrem Erinnerungsvermögen nicht von einer erheblichen Willensbeeinträchtigung bei Durchführung des Geschlechtsverkehrs zu überzeugen. Diese Würdigung hat der Senat angesichts des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs hinzunehmen.
12
c) Auf die wenig verlässlichen, von erheblichem Belastungseifer getragenen und zum Teil widersprüchlichen Angaben der Zeugen U. und L. hat die Strafkammer auch eingedenk der erst im August 2010 erfolgten Anzeigenerstattung zu Recht keine Verurteilung gestützt.
Sander Schneider König
Berger Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 420/14
vom
12. Februar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. Februar
2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof – in der Verhandlung –,
Richterin am Landgericht – bei der Verkündung –
als Vertreterinnen des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Pflichtverteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 24. März 2014 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte vom Vorwurf des schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung freigesprochen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs und fahrlässigen unerlaubten Besitzes eines nach dem Waffengesetz verbotenen Gegenstandes zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Vom Vorwurf, einen (besonders) schweren Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie einen Diebstahl begangen zu haben, hat es den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Mit ihrer vom Generalbundesanwalt vertretenen, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen den hinsichtlich der Raubtat ergangenen Teilfreispruch.
2
Ausweislich der Ausführungen in der Revisionsrechtfertigung, mit denen die Beschwerdeführerin ausschließlich den Freispruch vom Vorwurf des schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung als sachlich-rechtlich fehlerhaft beanstandet, ist das Rechtsmittel ungeachtet des in der Revisionsbegründung abschließend formulierten umfassenden Aufhebungsantrags auf diesen Teilfreispruch beschränkt (vgl. BGH, Urteile vom 12. April 1989 – 3 StR453/88, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3; vom 18. Dezember 2014 – 4 StR 468/14 Rn. 7 mwN; Gericke in KK-StPO, 7. Aufl., § 344 Rn. 7).
3
Die wirksam beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

I.


4
Zu dem in der zugelassenen Anklage gegen den Angeklagten erhobenen Vorwurf, gemeinsam mit einem bislang unbekannten Täter einen schweren Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung begangen zu haben, hat die Strafkammer folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
5
In den frühen Morgenstunden des 10. Juli 2013 gegen 2.00/2.30 Uhr klingelte es an der Wohnungstür des Geschädigten. Unbedarft öffnete er die Wohnungstür und erblickte zwei schwarz gekleidete und mit Sturmhauben maskierte männliche Personen, welche ihn unvermittelt zurück in seine Wohnung drängten und zu Boden zwangen. Einer der beiden Männer hielt einen schwarzen, etwa 50 bis 80 cm langen Schlagstock in der Hand und fuchtelte mit diesem herum, wobei er den Geschädigten auch am linken Unterarm traf. Während einer der beiden maskierten Männer den Geschädigten mit dem Fuß auf dem Brustkorb am Boden hielt, trug der andere verschiedene elektronische Geräte in der Wohnung zusammen. Er holte einen Rucksack aus dem Schlafzimmer und verstaute darin einen Laptop Sony Vaio, eine Playstation 3 sowie eine Toshiba Festplatte. Ferner stellte er ein Mischpult Traktor Kontrol S2, welches sich in einem Karton befand, zur Mitnahme bereit. Anschließend forderten die Täter den Geschädigten auf, sowohl seine Geldbörse als auch sein Mobiltelefon , ein Apple iPhone 4-8 GB, herauszugeben. Aus Angst und unter dem Eindruck des Überfalls stehend übergab der Geschädigte die geforderten Gegenstände. In der Geldbörse befanden sich u.a. der Personalausweis, der Führerschein und die Krankenkassenkarte des Geschädigten. Unter Mitnahme der genannten Gegenstände verließen die Täter sodann die Wohnung.
6
Das Mobiltelefon des Geschädigten verkaufte der Angeklagte am 22. Juli 2013 für 130 € an den Bruder seiner ehemaligen Freundin, nachdem er es in der Zeit vom 12. Juli 2013 bis zum Verkauf selbst genutzt hatte. Das entwendete Laptop nutzte der Angeklagte vom 12. Juli bis 15. Juli 2013 und veräußerte es anschließend für 100 € an seine ehemalige Freundin. Bei der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten konnten am 22. Juli 2013 das Mischpult des Geschädigten sowie dessen Führerschein und Krankenkassenkarte aufgefunden werden.
7
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Beteiligung an dem Raubüberfall zum Nachteil des Geschädigten freigesprochen, weil nicht habe festgestellt werden können, wie der Angeklagte an die Gegenstände aus der Tatbeute gelangt sei. Die tatsächlichen Voraussetzungen für eine wahldeutige Verurteilung wegen Diebstahls oder Hehlerei hat es verneint.

II.


8
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Die dem Teilfreispruch zugrunde liegende Beweiswürdigung hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
9
1. Das Revisionsgericht hat es regelmäßig hinzunehmen, wenn der Tatrichter einen Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, denn die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1966 – 1 StR 305/66, BGHSt 21, 149, 151). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 18. Januar 2011 – 1 StR 600/10, NStZ 2011, 302; vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16). Insbesondere sind die Beweise erschöpfend zu würdigen (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78 aaO). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 – 4 StR 360/12, NStZ 2013, 180). Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 – 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111). Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung schließlich dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind (vgl. BGH, Urteile vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97 aaO; vom 26. Juni 2003 – 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35, 36). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. BGH, Urteile vom 17. Juli 2014 – 4 StR 129/14 Rn. 7; vom 18. August 2009 – 1 StR 107/09, NStZ-RR 2010, 85, 86; vom 21. Oktober 2008 – 1 StR 292/08, NStZ-RR 2009, 90, 91).
10
2. Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht in jeder Hinsicht gerecht.
11
a) Die Strafkammer hat die Einlassung des Angeklagten, er sei, nachdem er am Tattag bis gegen 1.00 Uhr bzw. 1.30 Uhr bei seiner Schwester gewesen sei, von dort an die Schwimmhalle in Bitterfeld gefahren worden, wo er seinen Bekannten K. O. getroffen habe, der ihm „schöne Dinge“ angeboten und gefragt habe, ob er daran Interesse habe, als unglaubhaft bewertet. Dabei hat sie sich u.a. auf die Zeugenaussage der Schwester des Angeklagten gestützt, die bekundet hat, den Angeklagten gegen 1.00 Uhr bzw. 1.30 Uhr gemeinsam mit einer Freundin von ihr zur Haustür begleitet, ihn anschließend aber nicht zur Schwimmhalle gefahren zu haben. Wenn das Landgericht dieses Beweisergebnis dahingehend bewertet, dass dem Angeklagten für die Tatzeit ein Alibi fehlt (UA S. 22), liegt dem ersichtlich die Annahme zugrunde, dass es dem Angeklagten nach den zeitlichen und räumlichen Gegebenheiten möglich war, nach dem Verlassen der Wohnung der Schwester um 1.00 Uhr bzw. 1.30 Uhr die wenig später um 2.00/2.30 Uhr verübte Raubtat zu begehen. Die objektiv belegte Gelegenheit zur Tatausführung, die daraus resultiert, dass der Angeklagte maximal 1 ½ Stunden vor der Tat in der eine Tatausführung ermöglichenden Nähe zum Tatort unterwegs war, stellt aber ein den Angeklagten belastendes Indiz dar, das in seinem Beweiswert durch den bloßen Hinweis auf das fehlende Alibi zur Tatzeit nicht erschöpfend erfasst wird und daher in die tatrichterlichen Überlegungen hätte einbezogen werden müssen.
12
b) Im Rahmen der Gesamtwürdigung der Beweisergebnisse wäre zudem zu erörtern gewesen, dass der Angeklagte nicht nur über ohne weiteres selbst zu nutzende oder wirtschaftlich verwertbare Gegenstände aus der Beute verfügte , sondern mit dem Führerschein und der Krankenkassenkarte des Geschädigten auch solche Beutestücke in Besitz hatte, denen kein unmittelbarer Vermögenswert zukommt und für deren Überlassung durch einen Raubtäter kein nachvollziehbarer Anlass erkennbar ist.
13
c) Mit seiner der Ablehnung einer wahldeutigen Verurteilung zugrunde liegenden Annahme, der Erwerb der Gegenstände aus der Beute könne auch auf einem dritten Weg erfolgt sein, der in seiner konkreten Gestalt nicht näher bekannt sei, hat die Strafkammer schließlich eine Sachverhaltsvariante für möglich erachtet, für welche sich aus dem Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte ergeben. Soweit die Strafkammer in der Unglaubhaftigkeit der Schilderung des Angeklagten über den (hehlerischen) Erwerb der Gegenstände von seinem Bekannten K. O. einen Anhalt für ihre Annahme gesehen hat, hat sie verkannt, dass der widerlegten Einlassung des Angeklagten keine Beweisbedeutung zukommt, die gegen eine anderweitige hehlerische Erlangung der Beutestücke durch den Angeklagten spricht. Das Landgericht hat es insoweit versäumt, eine umfassende Würdigung aller Beweisumstände vorzunehmen und auf dieser Grundlage zu prüfen und zu entscheiden, ob die Beweisergebnisse die Überzeugung zu tragen vermögen, dass der Angeklagte die Gegenstände aus der Tatbeute entweder durch die Raubtat oder im Wege der Hehlerei erlangt hat.
Sost-Scheible Cierniak Franke
Bender Quentin
43
aa) Das Tatgericht ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen , wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Dabei muss sich aus den Urteilsgründen auch ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 23. Juli 2007 – 2 StR 150/08, NJW 2008, 2792 mwN). Die Anforderungen an eine umfassende Würdigung der festgestellten Tatsachen sind bei einem Freispruch nicht geringer als im Fall der Verurteilung (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2009 – 1 StR 479/08, wistra 2009, 315). Auch wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die Möglichkeit, dass sie in ihrer Gesamtheit dem Tatrichter die entsprechende Überzeugung vermitteln können (vgl. BGH, Urteil vom 30. März2004 – 1 StR 354/03, NStZ-RR 2004, 238).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 654/07
vom
1. Juli 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 1. Juli 2008,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack,
und der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Kolz,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Prof. Dr. Sander,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin des Nebenklägers J. Z. ,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin D. Z. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 24. Juli 2007 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Augsburg zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Totschlags aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Nach der Anklage lag ihm zur Last, am 20. September 2006 auf die Geschädigte A. Z. mit einem Zimmererhammer eingeschlagen und ihr vier Messerstiche beigebracht zu haben. A. Z. verstarb an den schweren Gewalteinwirkungen im Bereich des Kopfes. Das Landgericht vermochte sich von der Täterschaft des Angeklagten nicht zu überzeugen.
2
Dagegen wenden sich die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft und die Revisionen der Nebenkläger. Die Rechtsmittel haben mit der Sachrüge Erfolg, da die dem Freispruch zugrunde liegende Beweiswürdigung Mängel aufweist. Auf die von dem Nebenkläger J. Z. erhobenen, als Aufklärungsrügen zu verstehenden Beanstandungen kommt es daher nicht an.

I.

3
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
4
Am 20. September 2006 etwa zwischen 8.40 Uhr und 11.30 Uhr wurde die 41-jährige A. Z. im Flur des Erdgeschosses des von ihr und ihrer Familie bewohnten Anwesens in K. getötet. Sie wurde zuletzt gegen 8.40 Uhr gesehen. Gegen 11.30 Uhr fand man sie tot auf.
5
Sie befand sich zum Tatzeitpunkt mit ihrer damals eineinhalbjährigen Enkelin allein im Anwesen. Die rückseitige Eingangs- und Kellertür waren zum Zeitpunkt der Tat unversperrt. Im Haushalt der Familie war es - wie der Angeklagte wusste - üblich, diese beiden Türen nicht abzuschließen.
6
Als sich A. Z. der Hintereingangstür näherte, wurde sie durch einen Schlag mit einem Zimmererhammer ihres Ehemannes auf den Hinterkopf zu Fall gebracht. Der am Boden liegenden Frau fügte der Täter am Kopf mit der dornähnlich zulaufenden Seite des Hammers fünf Lochbrüche zu. Mit der stumpfen Endfläche versetzte er ihr eine Vielzahl weiterer Schläge, so dass sich an ihrem Kopf insgesamt 52 voneinander zu differenzierende Wunden ergaben. Um sicherzugehen, dass der Tod tatsächlich eintritt, brachte der Täter seinem Opfer zudem am Hals linksseitig eine fünf Zentimeter tiefe Stichverletzung sowie im Bereich der vorderen linken Brust drei Messerstiche bei. A. Z. verstarb an den schweren Gewalteinwirkungen im Bereich des Kopfes.
7
Bei der Tat hatte der Täter zur Vermeidung von Spuren gelbe Haushaltshandschuhe verwendet. Der rechte Handschuh wurde in der Waschküche des von Familie Z. bewohnten Anwesens liegen gelassen. Dieser zurückgelassene Handschuh wies innen und außen Blut des Opfers auf und war von dem Angeklagten zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt getragen worden.
8
2. Der gegen den Angeklagten sprechende Tatverdacht beruhte insbesondere auf folgenden Erkenntnissen:
9
a) An der Innenseite des bei der Tat getragenen und am Tatort zurückgelassenen Handschuhs wurden zwei Spuren gesichert, die ein DNA-Identifizierungsmuster aufweisen, das mit dem des Angeklagten mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:100 Milliarden übereinstimmt. Die Zeugen und Nebenkläger D. und J. Z. - Tochter und Ehemann des Opfers - hatten vor der Tat weder den Angeklagten mit solchen Handschuhen im Haus noch derartige Handschuhe in ihrem Haushalt gesehen. Weitere Fremdspuren anderer Personen waren an dem zurückgelassenen Handschuh nicht vorhanden , obwohl bei dem intensiven Gebrauch des Tatwerkzeugs wie vorliegend (massiver Einsatz eines Hammers) mit größerer Wahrscheinlichkeit Spuren verbleiben als bei einem bloßen Kontaktieren.
10
b) Als der Angeklagte von dem ermittelnden Polizeibeamten mit dem festgestellten genetischen Fingerabdruck in dem Handschuh konfrontiert wurde, äußerte er, jeder mache Fehler.
11
c) Der verheiratete Angeklagte hatte mit D. Z. , der Tochter der Getöteten, eine außereheliche Beziehung geführt, aus der das im März 2005 geborene Mädchen C. hervorgegangen ist. D. Z. hatte die Beziehung zu ihm jedoch beendet. Dies konnte der Angeklagte bis zuletzt nicht vollständig verwinden. Er versuchte stets, sie zurückzugewinnen. Als D.
Z. den Kontakt zu ihm abbrach, konnte der Angeklagte sie nur noch über A. Z. erreichen, zu der er regen Handykontakt pflegte. Dennoch war der Angeklagte weiterhin regelmäßig Gast bei Familie Z. . Am Tag vor der Tat war es zwischen ihm und A. Z. zu einer Meinungsverschiedenheit gekommen, nachdem diese einen vom Angeklagten vorgespiegelten Hauskauf aufgedeckt und ihre tiefe Enttäuschung darüber zum Ausdruck gebracht hatte. Sie schickte ihm folgende SMS: "Ich glaub nichts mehr, sonst wärst du hier". Der Angeklagte hatte insofern vorgegeben, zum gemeinsamen Bewohnen der Familie Z. eine neue Unterkunft zu verschaffen. Damit wollte er D. zurückgewinnen und an sich binden. Außerdem hatte der Angeklagte einen Rechtsanwalt mit der Geltendmachung eines Betrages in Höhe von 2.500,-- EUR gegen A. Z. beauftragt. Am Abend vor der Tat löschte der Angeklagte sämtliche auf seinem Handy gespeicherten SMS-Nachrichten der A. Z. .
12
3. Das Landgericht hat sich gleichwohl nicht von der Täterschaft des Angeklagten zu überzeugen vermocht.
13
a) Hinsichtlich der festgestellten DNA-Spur erachtet die Kammer die erst in der Hauptverhandlung erfolgte Einlassung des Angeklagten, er habe den Handschuh im Frühjahr 2006 bei Streicharbeiten im Haus der Familie Z. getragen und dort belassen, als "nicht zwingend widerlegbar" (UA S. 33). Der Angeklagte sei aufgrund seiner engen Beziehung zur Familie des Opfers als "berechtigter Spurenverursacher" anzusehen. Der Tatsache, dass die Nebenkläger , die bei den Streicharbeiten nicht anwesend waren, solche Handschuhe in der Zeit von Frühjahr 2006 bis zur Tat im Haus nicht wahrgenommen haben, obwohl J. Z. etwa eine Woche vor der Tat den Keller aufgeräumt hatte, komme kein gesteigerter Beweiswert zu. Diese Tatsache lasse nicht den "zwingenden Rückschluss" zu, der Angeklagte habe die Handschuhe am Tattag mitgebracht und bei Begehung der Tat getragen. Eine vor der Tat liegende Benutzung des vom Täter zurückgelassenen Handschuhs durch den Angeklagten sei möglich. Die Untersuchung des Handschuhs auf Rückstände von Farben habe zwar ergeben, dass keine Spuren des beim Streichen verwendeten Lacks vorhanden waren. Dennoch sei der "zwingende Schluss" dahingehend , dass bei Verwendung der Handschuhe Lackspuren aufgebracht worden sein müssen, nicht zu ziehen. Auch das Fehlen weiterer Fremdspuren im Handschuh sei durchaus denkbar, auch wenn bei dem vorliegenden Gebrauch ein Abrieb wahrscheinlich zu erwarten gewesen wäre. Es sei denkbar , dass ein unbekannter Dritter die Handschuhe im Haus gefunden und sie bei der Tatbegehung getragen habe, ohne identifizierbare Spuren daran zu hinterlassen , oder weitere Handschuhe in den Haushaltshandschuhen getragen habe. Auch aus dem Umstand, dass der Angeklagte die entlastende Einlassung erst im Rahmen der Hauptverhandlung abgegeben habe, können nach Ansicht der Kammer keine Schlüsse gezogen werden.
14
b) Die Äußerung des Angeklagten anlässlich der Konfrontation mit den am Handschuh festgestellten Spuren sei - so die Kammer - "nicht zwingend" als Schuldeingeständnis zu werten, sondern könne "genauso gut als flapsige, entnervte Bemerkung in einer Stresssituation gesehen werden".
15
c) Im Übrigen sei auch die situative und zeitliche Möglichkeit der Tatbegehung durch den Angeklagten mit nicht ausräumbaren Zweifeln behaftet. Aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass der Angeklagte ein Telefonat mit seiner Ehefrau um 9.24 Uhr aus der gemeinsamen Wohnung geführt und sich um 10.55 Uhr in der Aral-Tankstelle in U. eingefunden habe. Die von der Polizei gemessene Fahrzeit für den Weg von der Wohnung des Angeklagten zum Tatort bei einer Abfahrtszeit um 9.30 Uhr betrage 35 Minuten. Unter Berücksichtigung der jeweiligen Fahrtstrecken ergebe sich ein Zeitfenster von 21 Minuten. Die Tatbegehung sowie damit verbundene Abläufe (wie An- und Ablegen von Schutzkleidung, Holen des Tatwerkzeugs, Wechseln der Schuhe, Verstecken von Tatkleidung und Tatwerkzeug, Spurenbeseitigung ) innerhalb dieser Zeit seien zwar denkbar, aber nicht zwingend. Auch die Einlassung des Angeklagten, nach der Datenspeicherung auf seinem PC habe er von 9.26 Uhr bis 10.21 Uhr bei sich in der Wohnung CDs gebrannt, sei nicht zwingend zu widerlegen.
16
d) Letztlich begründeten der bisherige Werdegang des Angeklagten und seine Persönlichkeitsstruktur zur Überzeugung der Kammer erhebliche Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten. Für eine gesteigerte Gewalttätigkeit des Angeklagten gebe es keine greifbaren Anhaltspunkte. Auch ein starkes zur Tötung des Opfers ausreichendes Motiv ergebe sich für den Angeklagten nicht. Der gescheiterte Hauskauf liefere "kein zwingendes Motiv zur Tötung". Im Rahmen der Meinungsverschiedenheit zwischen dem Angeklagten und dem Opfer am Tag vor der Tat habe es keine "erhebliche Zuspitzung" gegeben.

II.

17
Die Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
18
1. Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Daran ändert sich nicht einmal dann etwas, wenn eine vom Tatrichter getroffene Feststellung "lebensfremd" erscheinen mag. Im Strafprozess gibt es keinen Beweis des ersten Anscheins, der nicht auf der Gewissheit des Tatgerichts, sondern auf der Wahrscheinlichkeit eines Geschehensablaufs beruht. Demgegenüber ist eine Beweiswürdigung etwa dann rechtsfehlerhaft, wenn sie schon von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht (z.B. hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelssatzes ), wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr., vgl. etwa Senat, Urt. vom 22. Mai 2007 - 1 StR 582/06; NJW 2005, 1727; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 33, jew. m.w.N.).
19
2. Das Landgericht hat umfangreich die den Angeklagten belastenden Indizien sowie die ihn entlastenden Umstände aufgelistet und gewürdigt. Gleichwohl werden die Abwägungen den vorstehenden Grundsätzen nicht gerecht. Zum einen legt die Strafkammer entlastende Einlassungen des Angeklagten , für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine Beweise gibt, den Urteilsfeststellungen ohne weiteres als unwiderlegbar zugrunde (nachfolgend Buchst. a). Zum anderen ist die Beweiswürdigung auch lückenhaft, entbehrt einer erschöpfenden Gesamtwürdigung (nachfolgend Buchst. b), stellt an die Überzeugungsbildung überspannte Anforderungen (nachfolgend Buchst. c) und verkennt die Bedeutung des Zweifelssatzes (nachfolgend Buchst. d).
20
a) Die Kammer hatte zu prüfen, ob die in dem sichergestellten und bei der Tat getragenen Handschuh festgestellte DNA-Spur des Angeklagten dessen Täterschaft belegt und ob der Angeklagte zur Tatzeit am Tatort war. Dabei nahm sie Einlassungen des Angeklagten, für die es keine objektiven Anhaltspunkte gibt, ohne weiteres als unwiderlegbar hin:
21
aa) Die Kammer erachtet die Angabe des Angeklagten, er habe den bei der Tatbegehung getragenen Handschuh, an dem DNA-Material gesichert wurde , das mit dem DNA-Identifizierungsmuster des Angeklagten übereinstimmt, nicht am Tattag, sondern im Frühjahr 2006 bei Streicharbeiten getragen, als nicht zwingend widerlegbar. Hinreichende Anhaltspunkte, die diese Einlassung stützen würden, konnte das Gericht nicht feststellen. Weder befanden sich an dem Handschuh Spuren des beim Streichen verwendeten Lacks. Noch haben Zeugen den Angeklagten mit solchen Handschuhen oder überhaupt solche Handschuhe im Haushalt der Familie Z. gesehen. Außerdem konnten an dem Handschuh keine weiteren Fremdspuren festgestellt werden, obwohl dies bei der konkreten Art und Weise der Verwendung des Hammers zu erwarten gewesen wäre.
22
Unter diesen Umständen ist das Tatgericht nicht gehalten, auch entlastende Einlassungen des Angeklagten, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine Beweise gibt, den Urteilsfeststellungen ohne weiteres als unwiderlegbar zugrunde zu legen. Der Tatrichter hat nach ständiger Rechtsprechung vielmehr auf der Grundlage des gesamten Beweisergebnisses zu entscheiden, ob derartige Angaben geeignet sind, seine Überzeugungsbildung zu beeinflussen (vgl. BGHSt 34, 29, 34; BGH NStZ 2002, 48; NJW 2007, 2274). Die vom Landgericht erwogene Möglichkeit, der Täter habe im Haus der Familie Z. die Haushaltshandschuhe , die vorher niemand gesehen hat, gefunden und es dem Zufall überlassen, ob er solche findet, wenn er - wie festgestellt - damit Spuren vermeiden wollte, ist eine bloße denktheoretische Möglichkeit, die jeglicher Anknüpfungspunkte entbehrt. Gleiches gilt für das Tragen von Handschuhen in Handschuhen. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten , zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine zureichenden Anhaltspunkte erbracht sind (vgl. nur BVerfG, Beschl.
vom 8. November 2006 - 2 BvR 1378/06; BGH NStZ-RR 2003, 371; NStZ 2004, 35, 36; NJW 2007, 2274).
23
bb) Die Einlassung des Angeklagten, er habe zur Tatzeit bei sich in der Wohnung CDs gebrannt, so wie dies in seinem Computer protokolliert worden sei, hat die Strafkammer als nicht zwingend widerlegbar hingenommen. Sie hat - sachverständig beraten - festgestellt, dass auf dem sichergestellten Computer des Angeklagten am Tattag Brennvorgänge im Zeitraum von 9.26 Uhr bis 10.21 Uhr aufgezeichnet wurden. Diese festgehaltenen Daten könnten indes von einem Kundigen über die Basissoftware BIOS manipuliert werden. Auf dem Computer würden derartige Veränderungen nicht festgehalten, so dass sie nicht mehr festgestellt werden könnten. Für den Angeklagten, der nach seinen eigenen Angaben über gute Computerkenntnisse, auch die Basissoftware BIOS betreffend, verfüge, stelle das Umstellen der Zeitdaten zwar kein anspruchsvolles Problem dar, es sei aber - so die Kammer - nicht belegt, dass der Angeklagte tatsächlich so vorgegangen sei. Eine denkbare Manipulation sei nicht nachweisbar.
24
Das Landgericht war auch hier nicht gehalten, diese Einlassung als unwiderlegbar hinzunehmen. Zureichende Anhaltspunkte dafür, dass die auf dem Computer gespeicherten Zeitdaten richtig sind, gibt es nicht. Diese rühren allein vom Angeklagten her und unterlagen nur seinem Einfluss. Eine Manipulation dieser Daten war für den Angeklagten, der über die dazu erforderlichen Fähigkeiten verfügt, möglich, ohne dass dies später nachvollzogen werden könnte.
25
b) Die Beweiswürdigung weist zudem Lücken auf. Zwar können und müssen die Gründe auch eines freisprechenden Urteils nicht jeden irgendwie beweiserheblichen Umstand ausdrücklich würdigen. Das Maß der gebotenen Darlegung hängt vielmehr von der jeweiligen Beweislage und insoweit von den Umständen des Einzelfalles ab. Dieser kann so beschaffen sein, dass sich die Erörterung bestimmter einzelner Beweisumstände erübrigt. Um einen solchen Fall handelt es sich hier aber nicht. Das Tatgericht hat auf Freispruch erkannt, obwohl erhebliche Belastungsindizien vorlagen. Bei einer solchen Sachlage muss es in seine Beweiswürdigung und deren Darlegung alle wesentlichen für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägungen einbeziehen und in einer Gesamtwürdigung betrachten (vgl. Senat, Urt. vom 22. Mai 2007 - 1 StR 582/06; BGH NStZ-RR 2002, 338 m.w.N.). Dem wird das angefochtene Urteil trotz der umfangreichen Beweiserwägungen nicht gerecht:
26
aa) Die Urteilsgründe lassen zum einen eine umfassende Würdigung der Einlassung des Angeklagten vermissen. Die Kammer führt aus, aus der Tatsache , dass der Angeklagte seine entlastende Einlassung hinsichtlich des Tragens des Handschuhs erst im Rahmen der Hauptverhandlung abgegeben habe , ließen sich bereits deshalb keine Schlüsse ziehen, da er aus seiner Sicht nachvollziehbar angegeben habe, kein Vertrauen in die Ermittlungen der Polizei mehr gehabt und deshalb erst vor Gericht hierzu Angaben gemacht zu haben (UA S. 29). Das Urteil teilt insoweit aus den früheren Einlassungen des Angeklagten lediglich die Äußerung mit, "jeder mache Fehler". Angesichts der besonderen Fallkonstellation im Hinblick auf die sichergestellten DNA-Spuren wäre es aber erforderlich gewesen, darzulegen, ob und gegebenenfalls welche Erklärungen er im Ermittlungsverfahren darüber hinaus dazu abgegeben hat. Ein Wechsel der Einlassung im Laufe des Verfahrens kann ein Indiz für die Unrichtigkeit der Einlassung in der Hauptverhandlung sein und ihre Bedeutung für die Beweiswürdigung verringern oder unter Umständen ganz entfallen lassen (BGHR StPO § 261 Einlassung 6). Auch sind die Einlassungen nicht einzeln abzuhandeln, wie hier geschehen, sondern gegenüberzustellen und in eine umfassende Würdigung des gesamten Aussageverhaltens einzubeziehen.
27
bb) Des Weiteren lässt die Beweiswürdigung, soweit die Kammer die situative und zeitliche Möglichkeit der Tatbegehung durch den Angeklagten mit nicht ausräumbaren Zweifeln behaftet sieht, eine Auseinandersetzung mit der nahe liegenden Frage vermissen, ob nicht eine Begehung der Tat unmittelbar nach dem Verlassen der gemeinsamen Wohnung durch seine Ehefrau gegen 7.50 Uhr und vor dem mit ihr um 9.24 Uhr geführten Telefonat erfolgt sein kann. Für dieses Zeitfenster erörtert die Kammer lediglich eine mögliche Manipulation der Brennzeiten, nicht aber die Tatbegehung, obwohl die von der Polizei für eine Abfahrt um 9.30 Uhr gemessene Fahrdauer von der Wohnung des Angeklagten zum Tatort dies zuließe und sich möglicherweise für eine frühere Fahrt zum Tatort eine abweichende Fahrdauer ergibt.
28
cc) Zum anderen ist den Urteilsfeststellungen nicht zu entnehmen, dass das Landgericht im vorliegenden Fall tatsächlich eine erschöpfende Gesamtwürdigung aller Indizien vorgenommen, also nicht nur die einzelnen Beweisergebnisse isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtabwägung eingestellt hat. Die Kammer reiht in den Urteilsgründen (UA S. 61/62) "zusammenfassend" lediglich die vorher abgehandelten Indizien einzeln aneinander und teilt nochmals ihre Zweifel bezogen auf jedes einzelne dieser Indizien mit. Die vorgenommene formelhafte "Gesamtschau des Beweisergebnisses" lässt nicht erkennen, inwieweit sie alle oder mehrere Indizien im Zusammenhang gewürdigt hat. Dies wäre indes erforderlich gewesen. Denn einzelne Belastungsindizien , die für sich genommen zum Beweis der Täterschaft nicht ausreichen, können doch in ihrer Gesamtheit die für eine Verurteilung notwendige Überzeugung des Tatrichters begründen. Deshalb bedarf es einer Gesamtabwägung unter Gewichtung der einzelnen Indizien (st. Rspr., vgl. nur BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung, unzureichende 1; BGH, Urt. vom 29. August 2007 - 2 StR 284/07 m.w.N.).
29
c) Außerdem ist zu besorgen, dass die Strafkammer überspannte Anforderungen an die für eine Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung gestellt hat. Voraussetzung für die Überzeugung des Tatrichters von einem bestimmten Sachverhalt ist nicht eine absolute, das Gegenteil oder andere Möglichkeiten denknotwendig - oder wie es das Landgericht formuliert "zwingend" - ausschließende Gewissheit. Vielmehr genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt. Der Tatrichter ist also nicht gehindert, an sich mögliche, wenn auch nicht zwingende Folgerungen aus bestimmten Tatsachen zu ziehen, wenn diese tragfähig sind (st. Rspr., vgl. nur BGH NStZ-RR 2004, 238).
30
aa) Im Hinblick darauf begegnet bereits die Formulierung des Landgerichts rechtlichen Bedenken, wonach die Kammer "nicht den zwingenden Schluss ziehen" (UA S. 34) könne, dass aufgrund der DNA-Spuren des Angeklagten in dem sichergestellten Handschuh dieser den Handschuh auch bei Tatbegehung getragen haben müsse. Die Wortwahl zeigt, dass sich die Strafkammer nicht bewusst war, dass aus einer Indiztatsache auch zu Ungunsten des Angeklagten Schlüsse, die nicht zwingend, sondern nur möglich sind, gezogen werden können. Gleiches gilt für die Ausführungen der Kammer, nach denen sich aus dem Umstand, dass die Zeugen D. und J. Z. weder den Angeklagten mit Haushaltshandschuhen noch einen derartigen Haushaltshandschuh überhaupt in ihrem Haushalt gesehen haben, "kein zwingender Rückschluss" (UA S. 30) dahingehend ziehen lasse, der Angeklagte habe die Handschuhe am Tattag mitgebracht und bei Begehung der Tat getragen. Ebenso verhält es sich mit dem festgestellten Fehlen von Spuren des beim Streichen verwendeten Lacks an dem sichergestellten Handschuh. Auch hier führt die Kammer aus, der "zwingende Schluss dahingehend" (UA S. 33), dass bei der Verwendung der Handschuhe Lackspuren aufgebracht worden sein müssten, sei nicht zu ziehen.
31
Da das Landgericht auch im Hinblick auf andere Beweisumstände an sich mögliche Schlüsse als "nicht zwingend" bewertet (vgl. UA S. 41, 46) und in dem gescheiterten Hauskauf "kein zwingendes Motiv zur Tötung" sieht (UA S. 52), steht zu besorgen, dass es die Anforderungen an die Überzeugungsbildung zu hoch angesetzt haben könnte.
32
bb) Gleiches gilt für die Beurteilung der Gesamtheit der Indizien. Das Landgericht hat im Rahmen der von ihm vorgenommenen "Gesamtschau des Beweisergebnisses" ausgeführt, es könne nach seiner Überzeugung "keine jegliche Zweifel zum Schweigen bringende Sicherheit von der Täterschaft des Angeklagten erzielen" (UA S. 62). Dadurch hat es den Grundsatz der freien Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft angewandt: Für die Beantwortung der Schuldfrage kommt es allein darauf an, ob der Tatrichter die Überzeugung von einem bestimmten Sachverhalt erlangen kann oder nicht. Der Begriff der Überzeugung schließt die Möglichkeit eines anderen, auch gegenteiligen Sachverhalts nicht aus; vielmehr gehört es gerade zum Wesen der Überzeugung, dass sie sehr häufig objektiv möglichen Zweifel ausgesetzt bleibt (BGH NStZ-RR 2004, 238, 240).
33
d) Schließlich hat die Kammer nicht hinreichend bedacht, dass der Zweifelssatz nicht schon auf das einzelne Indiz, sondern erst bei der abschließenden Überzeugungsbildung aufgrund der gesamten Beweislage anzuwenden ist. Bereits vor der Gesamtschau aller Beweise hat das Landgericht bei der Prüfung der Täterschaft des Angeklagten Beweisanzeichen - wie etwa den Werdegang und die Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten (UA S. 52) oder die Frage der situativen und zeitlichen Möglichkeit der Tatbegehung (UA S. 38, 41, 44) - jeweils einzeln unter Zugrundelegung des Zweifelssatzes als nicht überzeugend erachtet.
34
Der Grundsatz "in dubio pro reo" ist jedoch keine Beweis-, sondern eine Entscheidungsregel, die das Gericht erst dann zu befolgen hat, wenn es nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht die volle Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten zu gewinnen vermag. Auf einzelne Elemente der Beweiswürdigung ist er grundsätzlich nicht anzuwenden (Senat, Urt. vom 22. Mai 2007 - 1 StR 582/06). Keinesfalls gilt er für entlastende Indiztatsachen (st. Rspr., vgl. nur BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 24 m.w.N.).

III.

35
Die Sache bedarf daher erneuter Verhandlung und Entscheidung. Der Senat hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, sie gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1, 2. Alt. StPO an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen.
36
Da die Revisionen zur Aufhebung des Urteils führen, ist die mit der Revisionseinlegung der Staatsanwaltschaft erhobene sofortige Beschwerde gegen die an den Freispruch anknüpfende Entscheidung über die Entschädigung des Angeklagten für erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen gegenstandslos. Nack Kolz Elf Graf Sander

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 368/09
vom
29. Oktober 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts der schweren Brandstiftung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. Oktober
2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Dr. Mutzbauer
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 31. März 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der schweren Brandstiftung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und der versuchten schweren Brandstiftung in zwei Fällen, einmal ebenfalls in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, freigesprochen. Eine dem Angeklagten ferner zur Last gelegte Sachbeschädigung hat es nach § 154 Abs. 2 SPO eingestellt und - wie das Urteil mitteilt - das Verfahren insofern abgetrennt. Gegen den Freispruch richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2
Die zugelassene Anklage legte - soweit das Verfahren nicht nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt wurde - dem Angeklagten zur Last, am 30. September sowie am 5. und 7. Oktober 2008 jeweils im Keller des Mehrfamilienhauses, in dem er wohnte, Feuer gelegt zu haben, wobei in zwei Fällen insgesamt drei Mitbewohner durch Rauchgasvergiftungen verletzt wurden.
3
Die Strafkammer hat den Angeklagten freigesprochen, weil sie sich nicht von seiner Täterschaft überzeugen konnte. Zwar spreche für diese, dass der Angeklagte zu sämtlichen Brandzeitpunkten in dem Haus anwesend gewesen sei, er offenbar die Brände als erster bemerkt habe und er sodann als erster unter einem falschen Namen die Notrufe betätigt oder dies veranlasst habe. Auch hätten sich keine Anhaltspunkte für die Täterschaft eines Dritten ergeben. Ferner sei es in dem Haus weder vor dem Einzug des Angeklagten am 12. Juni 2008 noch nach dessen Aufnahme in die Untersuchungshaft am 9. Oktober 2008 zu weiteren Bränden gekommen. In dem Anwesen, das der Angeklagte in den Jahren 2005 und 2006 bewohnt habe, habe es in dieser Zeit ebenfalls mehrfach gebrannt. Schließlich habe der Angeklagte eingeräumt, vor dem Brand am 7. Oktober 2008 mit einem Taxi nach Hause gefahren zu sein und ein als Zeuge vernommener Taxifahrer habe bekundet, in dieser Zeit einen Fahrgast zu der Straße gefahren zu haben, in der der Angeklagte wohnte; während der Fahrt habe der Fahrgast plötzlich und ungefragt gesagt, dass sein Haus brenne, „hier brennt’s immer, ich bin der Hausmeister“. Diese Indizien weisen nach Ansicht der Strafkammer aber „nicht zwingend“ bzw. „notwendigerweise“ auf den - wenn auch mit widersprüchlichen und zumindest teilweise widerlegten Angaben - die Tatbegehung in den polizeilichen Vernehmungen bestreitenden Angeklagten als Brandleger hin. Denn es sei „denkbar“, dass der Angeklagte sich bei den Notrufen nicht zu erkennen geben wollte, weil er wegen in der Vergangenheit erfolgter Verurteilungen wegen Inbrandsetzungen befürchtet habe, als Melder der Brände mit diesen direkt in Verbindung gebracht zu werden. Hinzu komme, dass der Zugang zu den Kellerräumen, in denen die Brände gelegt wurden, nicht nur für die Hausbewohner, sondern auch für Außenstehende ohne weiteres möglich gewesen sei.

II.

4
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg, da die Beweiswürdigung auch angesichts ihrer nur eingeschränkten Überprüfbarkeit in der Revision Rechtsfehler aufweist.
5
Die Begründung des Freispruchs lässt besorgen, dass die Strafkammer bei der für eine Verurteilung erforderlichen Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten einen falschen rechtlichen Maßstab angelegt hat. Denn Voraussetzung für die Überzeugung des Tatrichters von einem bestimmten Sachverhalt ist nicht eine absolute, das Gegenteil oder andere Möglichkeiten denknotwendig ausschließende - oder wie das Landgericht mehrfach formuliert „zwingende“ - Gewissheit. Vielmehr genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 1. Juli 2008 - 1 StR 654/07; vom 30. Juli 2009 - 3 StR 273/09).
6
Hinzu kommt, dass das Landgericht - obwohl es sich hierauf berufen hat - nicht die gebotene Gesamtwürdigung vorgenommen hat. So hat es lediglich im Rahmen der Prüfung, ob der Angeklagte bei den Brandmeldungen Anlass hatte, einen falschen Namen anzugeben, seine Vorstrafen berücksichtigt, aber in der die Tatvorwürfe selbst betreffenden Beweiswürdigung unerörtert gelassen, dass der Angeklagte bereits in den Jahren 1997 und 2006 wegen Brandlegungen verurteilt wurde (in einem Fall hatte er nach einem Einbruch in einen Kindergarten Gegenstände in Brand gesetzt, im anderen Fall hatte er Papier in einem Papiercontainer angezündet). Solche weiteren Brandlegungen können jedoch - etwa wenn sie auf ähnliche Weise begangen wurden wie die hier verfahrensgegenständlichen - ein gewichtiges Indiz für die Täterschaft des Angeklagten sein. Dies gilt ebenfalls für den dem Angeklagten ferner zur Last gelegten, in der Hauptverhandlung aber nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellten und nicht weiter aufgeklärten Vorwurf der Sachbeschädigung, die er am 18. Juni 2008 durch Anzünden von Papier in der vor dem von ihm bewohnten Haus abgestellten Papiertonne begangen haben soll. Auch zu der Vorgehensweise bei den angeklagten Brandlegungen hat das Landgericht keine näheren Feststellungen getroffen bzw. mitgeteilt und insbesondere unerörtert gelassen, ob diese stets auf dieselbe Art und Weise erfolgten und ob der Angeklagte über die Möglichkeiten und Mittel verfügte, solche Brände zu legen.

III.

7
Die Aufhebung des Urteils erfasst auch den Ausspruch über die dem Angeklagten für die erlittene Untersuchungshaft zugesprochene Entschädigung. Tepperwien Maatz Solin-Stojanović Franke Mutzbauer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 420/14
vom
12. Februar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. Februar
2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof – in der Verhandlung –,
Richterin am Landgericht – bei der Verkündung –
als Vertreterinnen des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Pflichtverteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 24. März 2014 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte vom Vorwurf des schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung freigesprochen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs und fahrlässigen unerlaubten Besitzes eines nach dem Waffengesetz verbotenen Gegenstandes zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Vom Vorwurf, einen (besonders) schweren Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie einen Diebstahl begangen zu haben, hat es den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Mit ihrer vom Generalbundesanwalt vertretenen, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen den hinsichtlich der Raubtat ergangenen Teilfreispruch.
2
Ausweislich der Ausführungen in der Revisionsrechtfertigung, mit denen die Beschwerdeführerin ausschließlich den Freispruch vom Vorwurf des schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung als sachlich-rechtlich fehlerhaft beanstandet, ist das Rechtsmittel ungeachtet des in der Revisionsbegründung abschließend formulierten umfassenden Aufhebungsantrags auf diesen Teilfreispruch beschränkt (vgl. BGH, Urteile vom 12. April 1989 – 3 StR453/88, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3; vom 18. Dezember 2014 – 4 StR 468/14 Rn. 7 mwN; Gericke in KK-StPO, 7. Aufl., § 344 Rn. 7).
3
Die wirksam beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

I.


4
Zu dem in der zugelassenen Anklage gegen den Angeklagten erhobenen Vorwurf, gemeinsam mit einem bislang unbekannten Täter einen schweren Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung begangen zu haben, hat die Strafkammer folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
5
In den frühen Morgenstunden des 10. Juli 2013 gegen 2.00/2.30 Uhr klingelte es an der Wohnungstür des Geschädigten. Unbedarft öffnete er die Wohnungstür und erblickte zwei schwarz gekleidete und mit Sturmhauben maskierte männliche Personen, welche ihn unvermittelt zurück in seine Wohnung drängten und zu Boden zwangen. Einer der beiden Männer hielt einen schwarzen, etwa 50 bis 80 cm langen Schlagstock in der Hand und fuchtelte mit diesem herum, wobei er den Geschädigten auch am linken Unterarm traf. Während einer der beiden maskierten Männer den Geschädigten mit dem Fuß auf dem Brustkorb am Boden hielt, trug der andere verschiedene elektronische Geräte in der Wohnung zusammen. Er holte einen Rucksack aus dem Schlafzimmer und verstaute darin einen Laptop Sony Vaio, eine Playstation 3 sowie eine Toshiba Festplatte. Ferner stellte er ein Mischpult Traktor Kontrol S2, welches sich in einem Karton befand, zur Mitnahme bereit. Anschließend forderten die Täter den Geschädigten auf, sowohl seine Geldbörse als auch sein Mobiltelefon , ein Apple iPhone 4-8 GB, herauszugeben. Aus Angst und unter dem Eindruck des Überfalls stehend übergab der Geschädigte die geforderten Gegenstände. In der Geldbörse befanden sich u.a. der Personalausweis, der Führerschein und die Krankenkassenkarte des Geschädigten. Unter Mitnahme der genannten Gegenstände verließen die Täter sodann die Wohnung.
6
Das Mobiltelefon des Geschädigten verkaufte der Angeklagte am 22. Juli 2013 für 130 € an den Bruder seiner ehemaligen Freundin, nachdem er es in der Zeit vom 12. Juli 2013 bis zum Verkauf selbst genutzt hatte. Das entwendete Laptop nutzte der Angeklagte vom 12. Juli bis 15. Juli 2013 und veräußerte es anschließend für 100 € an seine ehemalige Freundin. Bei der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten konnten am 22. Juli 2013 das Mischpult des Geschädigten sowie dessen Führerschein und Krankenkassenkarte aufgefunden werden.
7
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Beteiligung an dem Raubüberfall zum Nachteil des Geschädigten freigesprochen, weil nicht habe festgestellt werden können, wie der Angeklagte an die Gegenstände aus der Tatbeute gelangt sei. Die tatsächlichen Voraussetzungen für eine wahldeutige Verurteilung wegen Diebstahls oder Hehlerei hat es verneint.

II.


8
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Die dem Teilfreispruch zugrunde liegende Beweiswürdigung hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
9
1. Das Revisionsgericht hat es regelmäßig hinzunehmen, wenn der Tatrichter einen Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, denn die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1966 – 1 StR 305/66, BGHSt 21, 149, 151). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 18. Januar 2011 – 1 StR 600/10, NStZ 2011, 302; vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16). Insbesondere sind die Beweise erschöpfend zu würdigen (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78 aaO). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 – 4 StR 360/12, NStZ 2013, 180). Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 – 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111). Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung schließlich dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind (vgl. BGH, Urteile vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97 aaO; vom 26. Juni 2003 – 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35, 36). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. BGH, Urteile vom 17. Juli 2014 – 4 StR 129/14 Rn. 7; vom 18. August 2009 – 1 StR 107/09, NStZ-RR 2010, 85, 86; vom 21. Oktober 2008 – 1 StR 292/08, NStZ-RR 2009, 90, 91).
10
2. Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht in jeder Hinsicht gerecht.
11
a) Die Strafkammer hat die Einlassung des Angeklagten, er sei, nachdem er am Tattag bis gegen 1.00 Uhr bzw. 1.30 Uhr bei seiner Schwester gewesen sei, von dort an die Schwimmhalle in Bitterfeld gefahren worden, wo er seinen Bekannten K. O. getroffen habe, der ihm „schöne Dinge“ angeboten und gefragt habe, ob er daran Interesse habe, als unglaubhaft bewertet. Dabei hat sie sich u.a. auf die Zeugenaussage der Schwester des Angeklagten gestützt, die bekundet hat, den Angeklagten gegen 1.00 Uhr bzw. 1.30 Uhr gemeinsam mit einer Freundin von ihr zur Haustür begleitet, ihn anschließend aber nicht zur Schwimmhalle gefahren zu haben. Wenn das Landgericht dieses Beweisergebnis dahingehend bewertet, dass dem Angeklagten für die Tatzeit ein Alibi fehlt (UA S. 22), liegt dem ersichtlich die Annahme zugrunde, dass es dem Angeklagten nach den zeitlichen und räumlichen Gegebenheiten möglich war, nach dem Verlassen der Wohnung der Schwester um 1.00 Uhr bzw. 1.30 Uhr die wenig später um 2.00/2.30 Uhr verübte Raubtat zu begehen. Die objektiv belegte Gelegenheit zur Tatausführung, die daraus resultiert, dass der Angeklagte maximal 1 ½ Stunden vor der Tat in der eine Tatausführung ermöglichenden Nähe zum Tatort unterwegs war, stellt aber ein den Angeklagten belastendes Indiz dar, das in seinem Beweiswert durch den bloßen Hinweis auf das fehlende Alibi zur Tatzeit nicht erschöpfend erfasst wird und daher in die tatrichterlichen Überlegungen hätte einbezogen werden müssen.
12
b) Im Rahmen der Gesamtwürdigung der Beweisergebnisse wäre zudem zu erörtern gewesen, dass der Angeklagte nicht nur über ohne weiteres selbst zu nutzende oder wirtschaftlich verwertbare Gegenstände aus der Beute verfügte , sondern mit dem Führerschein und der Krankenkassenkarte des Geschädigten auch solche Beutestücke in Besitz hatte, denen kein unmittelbarer Vermögenswert zukommt und für deren Überlassung durch einen Raubtäter kein nachvollziehbarer Anlass erkennbar ist.
13
c) Mit seiner der Ablehnung einer wahldeutigen Verurteilung zugrunde liegenden Annahme, der Erwerb der Gegenstände aus der Beute könne auch auf einem dritten Weg erfolgt sein, der in seiner konkreten Gestalt nicht näher bekannt sei, hat die Strafkammer schließlich eine Sachverhaltsvariante für möglich erachtet, für welche sich aus dem Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte ergeben. Soweit die Strafkammer in der Unglaubhaftigkeit der Schilderung des Angeklagten über den (hehlerischen) Erwerb der Gegenstände von seinem Bekannten K. O. einen Anhalt für ihre Annahme gesehen hat, hat sie verkannt, dass der widerlegten Einlassung des Angeklagten keine Beweisbedeutung zukommt, die gegen eine anderweitige hehlerische Erlangung der Beutestücke durch den Angeklagten spricht. Das Landgericht hat es insoweit versäumt, eine umfassende Würdigung aller Beweisumstände vorzunehmen und auf dieser Grundlage zu prüfen und zu entscheiden, ob die Beweisergebnisse die Überzeugung zu tragen vermögen, dass der Angeklagte die Gegenstände aus der Tatbeute entweder durch die Raubtat oder im Wege der Hehlerei erlangt hat.
Sost-Scheible Cierniak Franke
Bender Quentin
43
aa) Das Tatgericht ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen , wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Dabei muss sich aus den Urteilsgründen auch ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 23. Juli 2007 – 2 StR 150/08, NJW 2008, 2792 mwN). Die Anforderungen an eine umfassende Würdigung der festgestellten Tatsachen sind bei einem Freispruch nicht geringer als im Fall der Verurteilung (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2009 – 1 StR 479/08, wistra 2009, 315). Auch wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die Möglichkeit, dass sie in ihrer Gesamtheit dem Tatrichter die entsprechende Überzeugung vermitteln können (vgl. BGH, Urteil vom 30. März2004 – 1 StR 354/03, NStZ-RR 2004, 238).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 354/03
vom
30. März 2004
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30. März
2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 14. März 2003 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts Freiburg zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten erneut vom Vorwurf der Vergewaltigung zum Nachteil der Nebenklägerin S. freigesprochen. Hiergegen richtet sich die Revision der Nebenklägerin. Diese beanstandet die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


1. Der Senat hat bereits mit Urteil vom 29. September 1998 - 1 StR 416/98 - das erste in dieser Sache ergangene Urteil des Landgerichts vom 28. November 1997 auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin hin aufgehoben, soweit der Angeklagte von dem jetzt noch in Rede stehenden Tatvorwurf freigesprochen worden war. In der ersten Hauptverhandlung hatte sich das Landgericht nicht davon überzeugt, daß der Angeklagte gemeinsam mit einem unbekannten Mittäter namens J. die Zeugin
S. am 19. August 1996 gegen 20.30 Uhr in der Parkanlage hinter dem Sch. -Gymnasium in Bad Sä. überfallen habe, wobei beide Täter abwechselnd jeweils den Oral- und Vaginalverkehr erzwungen hätten (Anklage vom 13. April 1997). In einer mit diesem Verfahren verbundenen weiteren Anklage war dem Angeklagten darüber hinaus vorgeworfen worden, an einem nicht näher feststellbaren Tag in der zweiten Augusthälfte 1996 wiederum mit einem unbekannten Mittäter namens J. und ebenfalls im Sch. park in Bad Sä. eine weitere, allerdings unbekannt gebliebene Frau zum Geschlechtsverkehr gezwungen zu haben. Diese hatte sich später anonym bei einer Frauenberatungsstelle gemeldet, war danach aber nicht mehr in Erscheinung getreten. Auch von diesem Tatvorwurf hat das Landgericht den Angeklagten mit seinem ersten Urteil vom 28. November 1997 freigesprochen. Insoweit ist jenes Urteil rechtskräftig.
Hinsichtlich des Vorwurfs der Vergewaltigung zum Nachteil der Zeugin S. konnte das Landgericht seinerzeit Zweifel nicht überwinden, ob der Angeklagte bei seinem früheren, später widerrufenen Geständnis diejenige Tat geschildert habe, welche der Zeugin widerfahren sei. Auch die Identifizierung des Angeklagten durch die Zeugin sei nicht verläßlich genug, um Unstimmigkeiten zwischen den Tatschilderungen der Zeugin und des Angeklagten in seiner früheren geständigen Einlassung vernachlässigen zu können.
2. Das Landgericht hat sich auch in der erneuten Hauptverhandlung nicht davon zu überzeugen vermocht, daß es der Angeklagte war, der die Zeugin S. mit einem unbekannten Mittäter vergewaltigt hat. Zwar sei die Zeugin S. , wie von ihr geschildert, Opfer einer Vergewaltigung geworden ; es lasse sich jedoch nicht feststellen, daß der Angeklagte die Tat be-
gangen habe. Das später widerrufene Geständnis des Angeklagten im Ermittlungsverfahren beziehe sich zwar wahrscheinlich auf eine tatsächlich verübte Tat, obwohl dies nicht als völlig zwingend erscheine. Es bestünden aber erhebliche Zweifel an der Identität der von dem Angeklagten einerseits und der Zeugin andererseits jeweils geschilderten Tatabläufe. Unterschiede hätten sich bei den Angaben hinsichtlich des Ausgangspunkts der Tat und der Gehrichtung des Opfers, dessen Kleidung und Haarfarbe, der Kleidung der Täter, des Tattags und der Ausübung von Oralverkehr ergeben. Diese Abweichungen könnten auch nicht mit der Überlegung relativiert werden, daß die Begehung zweier vergleichbarer Vergewaltigungstaten durch jeweils zwei (andere) Täter in Bad Sä. in kurzem zeitlichem Abstand wenig wahrscheinlich sei. Die Strafkammer konnte sich von der Täterschaft des Angeklagten auch nicht aufgrund seiner Identifizierung als Täter durch dieZeugin S. überzeugen. Die Identifizierung bei der Wahllichtbildvorlage sei aufgrund von Unsicherheiten bei der Beschreibung der Barttracht des Angeklagten nicht sicher gewesen. Auch in der Hauptverhandlung hätten sich Unsicherheiten in bezug auf die Barttracht und die Lage der Narbe im Gesicht des Angeklagten ergeben.

II.


Das freisprechende Urteil hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Es weist im wesentlichen die gleichen rechtlichen Fehler bei der Beweiswürdigung auf wie das seinerzeit aufgehobene erste landgerichtliche Urteil. Die Beweiswürdigung leidet wiederum unter Erörterungsmängeln, beachtet nicht in jeder Hinsicht die für sie geltenden Maßgaben und überspannt die an die tatrichterliche Überzeugungsbildung zu stellenden Anforderungen.
1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters; kann er die erforderliche Gewißheit nicht gewinnen und zieht er die hiernach gebotene Konsequenz und spricht frei, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Revisionsgericht die Beweisergebnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Ein Urteil kann indes dann keinen Bestand haben, wenn die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft ist. Dies ist etwa der Fall, wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht berücksichtigt oder naheliegende Schlußfolgerungen nicht erörtert , wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewißheit überspannte Anforderungen gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH wistra 1999, 338, 339; NJW 2002, 2188, 2189).
Der Tatrichter ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen , wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen. Eine Beweiswürdigung, die über schwerwiegende Verdachtsmomente ohne Erörterung hinweggeht, ist rechtsfehlerhaft (BGH NStZ 2002, 656, 657). Liegen mehrere Beweisanzeichen vor, so genügt es nicht, sie jeweils einzeln abzuhandeln. Auf solche einzelnen Indizien ist der Grundsatz "in dubio pro reo" nicht isoliert anzuwenden. Das einzelne Beweisanzeichen ist vielmehr mit allen anderen Indizien in eine Gesamtwürdigung einzustellen. Erst die Würdigung des gesamten Beweisstoffes entscheidet letztlich darüber, ob der Richter die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten und den sie tragenden Feststellungen gewinnt. Auch wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die Möglich-
keit, daß sie in ihrer Gesamtheit dem Tatrichter die entsprechende Überzeugung vermitteln können (BGH NStZ-RR 2000, 45).
2. Die Strafkammer mußte ihrer Beweiswürdigung die Aussage der Zeugin S. zugrunde legen und prüfen, ob diese glaubhaft ist und ob die Zeugin den Angeklagten überzeugungskräftig als Täter identifiziert hat. Dabei hat die Kammer jedoch nicht hinreichend bedacht, daß der Zweifelssatz nicht schon auf das einzelne Indiz, sondern erst bei der abschließenden Überzeugungsbildung aufgrund der gesamten Beweislage anzuwenden ist. Bereits vor der Gesamtschau aller Beweise hat das Landgericht hier wesentliche Beweisanzeichen für die Täteridentifikation - wie die Lage der Narbe, die Barttracht, den Geruch und weitere Identifizierungsmerkmale - jeweils einzeln unter Zugrundelegung des Zweifelssatzes als „nicht völlig zwingend“ und deshalb nicht überzeugend erachtet. Das läßt besorgen, daß es bei der Gesamtwürdigung solche Indizien nicht hinreichend einbezogen hat, denen es für sich gesehen keinen „zwingenden“ Beweiswert beigemessen hat. Darüber hinaus hat es einzelne Beweisanzeichen und naheliegende Möglichkeiten nicht erschöpfend oder überhaupt nicht erörtert.

a) Die Strafkammer hat sich zur Identifizierung des Angeklagten durch die Zeugin S. mit dem Beweisanzeichen der Narbe befaßt, dabei aber die Angaben der Zeugin zur Lage der Narbe im Gesicht eines der Täter und das tatsächliche Vorhandensein einer Narbe unter dem linken Auge des Angeklagten nicht erschöpfend gewürdigt.
Das Landgericht sieht in dem Umstand, daß ein Tatopfer einen Täter an einer Narbe wieder erkennt, grundsätzlich ein starkes Indiz für die Richtigkeit
der Identifizierung; das gelte unabhängig von etwaigen Abweichungen hinsichtlich deren genauer Lage. Es hält den Wert der Wiedererkennung hier aber deshalb für gemindert, weil die Zeugin auch nach der Gegenüberstellung mit dem Angeklagten bei der fehlerhaften Beschreibung der Lage der Narbe geblieben ist und darauf beharrt hat, diese habe sich über dem linken Auge befunden. In diesem Zusammenhang läßt es allerdings unberücksichtigt, daß die Zeugin den Angeklagten in der Hauptverhandlung "zu 100 %" identifiziert hat. Zudem erörtert es nicht, welche Bedeutung der Aussage der Zeugin zur Lage der Narbe gerade vor dem Hintergrund zukommt, daß diese bei ihrer Beschreibung insoweit auch später blieb, obwohl sie spätestens nach der ersten Gegenüberstellung in der Hauptverhandlung im November 1997 naheliegenderweise die tatsächliche Lage der Narbe unter dem linken Auge gekannt haben müßte. Wenn die Zeugin dennoch den Täter mit einer über dem Auge liegenden Narbe beschrieben hat, liegt die Erklärung nahe, daß sie diese aus ihrer Erinnerung beschrieben hat, die jedoch nicht in jeder Hinsicht verläßlich war. Dabei war zu bedenken, daß die beiden Täter die liegende Zeugin auch kopfseitig von oben festgehalten haben. Wie dem Senat aus der Befassung mit dem ersten, aufgehobenen Urteil des Landgerichts bekannt ist, war dort festgestellt , daß sich die Zeugin inzwischen (damals, in jener Hauptverhandlung) nicht mehr sicher war, wo am Auge des Täters sich die Narbe genau befunden habe. Diese Besonderheiten hätte die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer in ihre Bewertung einbeziehen müssen.

b) Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist auch hinsichtlich des Beweisanzeichens der Barttracht unvollständig und wird den Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung nicht vollends gerecht.
Die ZeuginS. hat auch in der erneuten Beweisaufnahme gleichbleibend bestätigt, daß einer der Täter - ihres Erachtens der Angeklagte - keinen Bart getragen habe. Daneben hat sie aber den unbekannten Mittäter mit einem leicht an den Mundwinkeln herabwachsenden Schnurrbart beschrieben. Der Angeklagte hatte im Rahmen seines (später widerrufenen) Geständnisses angegeben, daß er zur Tatzeit zumindest einen Oberlippenbart getragen habe, welcher sicher an den Seiten etwas länger ausgeprägt gewesen sei. Danach hat die Zeugin einem der Täter einen Bart zugeordnet, der nach der Form der Barttracht des Angeklagten zur Tatzeit entsprechen konnte. Die Möglichkeit, daß die Zeugin den von ihr tatsächlich erwähnten Bart versehentlich dem falschen Täter zugeordnet haben könnte, wird vom Landgericht als spekulativ bezeichnet, ohne die besondere Anspannung der Zeugin in der Tatsituation und den Umstand zu würdigen, daß sie aus der Erinnerung zwei Täter zu beschreiben hatte, denen sie bestimmte Merkmale zuordnen mußte.

c) Darüber hinaus setzt sich das Landgericht wie im ersten Urteil mit dem besonderen Merkmal der Stimme des Angeklagten nicht hinreichend auseinander , obwohl die Zeugin die Stimme des entsprechenden Täters als näselnd beschrieben hat. Auch fehlt eine Erörterung der Sprache des Angeklagten im Hinblick auf den von der Zeugin beschriebenen „fehlenden Dialekt“. Gerade diese Umstände können nicht aufgrund einer nach Ansicht des Landgerichts methodisch unzulänglichen früheren Wahllichtbildvorlage wiedererkannt werden. Dies gilt auch für den von der Zeugin erstmals als Wiedererkennungsmerkmal erwähnten Geruch des Angeklagten. Das Urteil enthält keine Angaben zu den konkreten Abständen zwischen dem Angeklagten und der Zeugin in der jetzigen Hauptverhandlung und damit den Geruchswahrnehmungsmöglichkeiten. Weiter fehlt eine Würdigung im Hinblick auf Alter, Größe
und Haarfarbe des Angeklagten. Schließlich wird nicht darauf eingegangen, inwieweit die Zeugin den Angeklagten anhand der Augen wiedererkannt haben will. In dem ersten, aufgehobenen Urteil ist von einem hängenden Augenlid die Rede, einem Merkmal, mit dem sich das Tatgericht damals fehlerhaft nicht auseinandergesetzt hatte. Nunmehr wird dieser Umstand vom Landgericht ebenso wie die Gesichtsform nicht einmal mehr erwähnt. Das Urteil läßt schließlich eine Auseinandersetzung mit der beschriebenen erheblichen Alkoholisierung des Täters vermissen, während im ersten Urteil immerhin noch die insoweit übereinstimmenden Angaben von Angeklagtem und Zeugin festgestellt worden waren. Auch dies wäre als Indiz im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen gewesen.

d) Überdies ist die Annahme des Landgerichts nicht tragfähig, die Identifizierungsleistung der Zeugin verliere deswegen an Wert, weil sich der Angeklagte seinerzeit aufgrund der von der Zeugin gegebenen, in der Zeitung abgedruckten Täterbeschreibung nach deren Lektüre gestellt habe. Es liegt nahe, daß ein Zeuge eine Person als Täter identifiziert, die er zuvor beschrieben hat und die der Beschreibung entspricht, und zwar unabhängig davon, ob diese sich selbst gestellt hat oder nicht. Dies kann sogar ein Hinweis auf die Verläßlichkeit der Identifizierung sein. Sollte die Strafkammer hingegen gemeint haben , ein etwaiges Wissen des Identifizierungszeugen um die Selbstgestellung könne die Identifizierungsleistung beeinflussen, hätte dies klar zum Ausdruck gebracht und begründet werden müssen.
3. Auch die Würdigung der Einlassung des Angeklagten leidet unter Erörterungsmängeln und ist deshalb nicht tragfähig.

a) Der Senat hatte beanstandet, daß das Motiv des Angeklagten für den Widerruf seines bei mehreren Vernehmungen wiederholten Geständnisses nicht genügend gewürdigt worden sei. Die Schilderung der zeitlichen Abläufe und näheren Umstände des Widerrufs hat er als nicht ausreichend erachtet. Im ersten Urteil hatte das Landgericht als Grund für den Widerruf erwähnt, der Angeklagte habe mit einer Freiheitsstrafe von etwa drei Jahren gerechnet. Nachdem sein Anwalt ihm dann aber gesagt habe, daß ihn eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren erwarte, sei ihm das doch zuviel gewesen. Das jetzige Urteil erwähnt diese Umstände nicht mehr. Die Strafkammer führt aus, es sei nicht völlig unwahrscheinlich, daß sich der Angeklagte aufgrund seiner traumatischen sexuellen Erfahrungen mit seinem Vater in eine Opferrolle hineingesteigert haben könnte, aufgrund deren er dann ein solches Geständnis unabhängig von seinem tatsächlichen Wahrheitsgehalt abgelegt haben könnte, um - wie er erklärt hat - seinem Vater „eins auszuwischen“.
Diese Erklärung des Angeklagten für sein widerrufenes Geständnis, dem "Vater eins auszuwischen", mag, auch wenn das eher fern liegt, möglicherweise geeignet sein, das - dann falsche - Geständnis gegenüber der Polizei zu erklären, nicht ohne weiteres jedoch das zuvor nach Lektüre des Presseartikels gegenüber der Zeugin St. abgegebene. Das hätte der Erörterung bedurft.

b) Das Landgericht würdigt bei der Prüfung des Wahrheitsgehalts der früheren geständigen Einlassung des Angeklagten nicht ausreichend deren Aussagequalität.
Auch ein frei erfundenes Geständnis, um dem Vater „eins auszuwischen“ , birgt die Gefahr der fehlenden Konstanz insbesondere dann, wenn das
Tatgeschehen so genau wie hier beschrieben worden ist. Eine Erklärung dafür, warum das widerrufene Geständnis des Angeklagten durch Beständigkeit und Detailtreue auch in Nebensächlichkeiten gekennzeichnet ist, führt die Strafkammer nicht an. Sie geht daran vorbei, daß sich der Angeklagte das Geständnis sehr spontan überlegt haben muß, wenn er nach dem Lesen des Zeitungsartikels mit der Täterbeschreibung noch am selben Tag zunächst gegenüber der Zeugin St. die Tat eingestanden und sich in der Nacht der Polizei gestellt hat. Dies hätte der näheren Bewertung bedurft.
c) Die Beweiswürdigung zum Aufenthalt des Angeklagten zum Tatzeitpunkt ist nicht tragfähig. Zwar nimmt das Landgericht nicht an, der Angeklagte habe ein Alibi nachweisen können, weil er am Spätnachmittag des 19. August 1996 persönlich bei seinem Arbeitgeber gekündigt habe. Das Landgericht hält es aber "für sehr unwahrscheinlich", daß sich der Angeklagte danach noch nach Bad Sä. begeben und dort die Vergewaltigung begangen habe (UA S. 19). Es konnte jedoch keine Feststellungen dazu treffen, wann genau und wo der ZeugeL. den Angeklagten nach dem Besuch des Arbeitgebers mit dem Fahrzeug abgesetzt hat. Dieser hat sich nur noch daran erinnert, daß die Fahrt zum Arbeitgeber zwischen 17.00 Uhr und 20.00 Uhr stattgefunden und der Angeklagte sich dort ca. ein- bis eineinhalb Stunden aufgehalten habe. Da die Tat gegen 20.30 Uhr geschehen sein soll, konnte aus diesen Angaben keine tragfähige Folgerung auf die Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit einer anschließenden Vergewaltigung in Bad Sä. gezogen werden.

d) Indem das Landgericht es als nicht "völlig zwingend" erachtet, daß das Geständnis der Wahrheit entspreche und der Angeklagte auch an der Tat zum Nachteil der Zeugin S. beteiligt gewesen sei, hat es den Grundsatz der freien Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft angewandt: Für die Beantwortung
der Schuldfrage kommt es allein darauf an, ob der Tatrichter die Überzeugung von einem bestimmten Sachverhalt erlangen kann oder nicht. Der Begriff der Überzeugung schließt die Möglichkeit eines anderen, auch gegenteiligen Sachverhalts nicht aus; vielmehr gehört es gerade zu ihrem Wesen, daß sie sehr häufig objektiv möglichen Zweifel ausgesetzt bleibt. Der Tatrichter ist aber nicht gehindert, an sich mögliche, wenn auch nicht zwingende Folgerungen aus bestimmten Tatsachen zu ziehen. Sie müssen allerdings tragfähig sein (BGHSt 10, 208, 209 f.; 41, 376, 380; BGH, Urt. v. 4. September 2003 - 3 StR 224/03). Da das Landgericht auch im Blick auf andere Beweisumstände an sich mögliche Schlüsse als „nicht völlig zwingend“ bewertet oder Beweisanzeichen als „kein zwingendes Indiz“ charakterisiert (etwa UA S. 19), steht angesichts der hier vorliegenden besonderen Umstände zu besorgen, daß es die Anforderungen an die Überzeugungsbildung überspannt haben könnte.
4. Das Landgericht hat eine naheliegende Möglichkeit nicht ausdrücklich gewürdigt, die sich aus der Zusammenschau des widerrufenen Geständnisses des Angeklagten und der Aussage der Zeugin S. ergibt. Diese erklärt möglicherweise die von der Strafkammer hervorgehobenen Differenzen zwischen den beiden Tatschilderungen und kann ihnen den beweismindernden Wert hinsichtlich der Bekundungen der Zeugin weitgehend nehmen.
Die Strafkammer hat offen gelassen, ob dem später widerrufenen Geständnis des Angeklagten ein wirkliches Ereignis zugrunde liegt. Einerseits hält sie es für wahrscheinlich, daß das Geständnis wegen der Detailliertheit und Konstanz der Angaben über einen längeren Zeitraum und mehrere Vernehmungen hinweg der Wahrheit entspreche. Sachverständig beraten führt sie andererseits aus, es sei nicht völlig unwahrscheinlich, daß der Angeklagte ein
solches Geständnis „unabhängig von seinem Wahrheitsgehalt abgelegt“ haben könnte. Wie bereits im ersten, aufgehobenen Urteil ist die Strafkammer davon ausgegangen, daß das widerrufene Geständnis des Angeklagten deshalb fragwürdig sei, weil es in wesentlichen Punkten von den Angaben der Geschädigten abweiche. Insbesondere habe der Angeklagte den Ausgangspunkt, von dem aus und die Gehrichtung, in welcher er und sein Mittäter das Opfer verfolgten , anders als die Zeugin beschrieben. Differenzen bestünden darüber hinaus hinsichtlich der Schilderung der Kleidung des Opfers und der Täter sowie des Tathergangs in seinen Einzelheiten.
Das Geständnis des Angeklagten wäre jedoch nur dann ohne jeden Beweiswert , wenn davon auszugehen wäre, daß es erfunden war. Liegt ihm hingegen ein wahrer, wenn auch nicht der angeklagte Sachverhalt zugrunde, bestünde zwischen den Angaben der Zeugin hinsichtlich des Tathergangs und der geständigen Einlassung des Angeklagten möglicherweise kein wirklicher Widerspruch, weil beide dann verschiedene, aber reale Geschehensabläufe beschrieben haben könnten. Die vom Landgericht hervorgehobenen Differenzen hinsichtlich der Schilderungen etwa zur Kleidung des Opfers (Hose oder Rock, roter Slip) verlören dann weitgehend ihre Bedeutung für die Würdigung der Aussage der Zeugin S. und deren Wiedererkennung des Angeklagten. Das Landgericht hätte sich deshalb die Frage vorlegen müssen, ob das später widerrufene, aber detailreiche und von Konstanz gekennzeichnete Geständnis des Angeklagten zwar eine andere Tat betraf, er aber dennoch auch die - von ihm dann nicht gestandene - Tat zum Nachteil der Zeugin S. begangen hat. Es hätte in Betracht ziehen müssen, ob der Angeklagte aufgrund der veröffentlichten Täterbeschreibung nach Begehung einer zweiten Tat zunächst nach seiner Gestellung nur Anlaß sehen konnte, lediglich eine der
Taten zu gestehen. Auf diese Möglichkeit könnte hindeuten, daß innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums an demselben Ort zwei Vergewaltigungen mit derselben Vorgehensweise von jeweils zwei Tätern begangen worden sein könnten. Dabei hätte jeweils einer der Täter nach den insoweit übereinstimmenden Angaben sowohl der Zeugin als auch des Angeklagten eine Tätowierung mit dem Motiv einer Spinne aufgewiesen. Der zweite Täter, der die Tat zum Nachteil der Zeugin S. mit begangen hat, hätte dann ebenso wie der Angeklagte , der die Tat zum Nachteil des unbekannten Opfers gestanden und beschrieben hätte, eine Narbe am Auge. Würde das Landgericht also beide Schilderungen - das frühere Geständnis des Angeklagten, aber auch die Tatschilderung der Zeugin S. - unter diesen Umständen für nicht widersprüchlich und für glaubhaft halten, müßte es sich fragen, ob es sich auf solcher Grundlage davon überzeugen kann, daß der Angeklagte auch die von ihm nicht gestandene Tat zum Nachteil der Nebenklägerin begangen hat. Die Abweichungen in den Tatschilderungen könnten dann nicht mehr gegen eine solche Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten im Fall zum Nachteil der Nebenklägerin ins Feld geführt werden. Der Identifizierungsleistung der Zeugin käme dann für die Wiedererkennung in der Hauptverhandlung und auch in bezug auf die Wahllichtbildvorlage möglicherweise ein höherer Beweiswert zu.
Daß der Angeklagte von dem Vorwurf der zweiten Vergewaltigung zum Nachteil des unbekannten Opfers rechtskräftig freigesprochen ist, hindert nicht dessen Erörterung und etwaige indizielle Bewertung im Blick auf den noch in Rede stehenden Anklagevorwurf. Der rechtskräftige Freispruch verbraucht die Strafklage und steht fortan einer Sanktionierung wegen der nämlichen Tat ent-
gegen. Eine Tatsachenbindung gehört aber nicht zum Wesen der Rechtskraft (vgl. BGHSt 43, 106, 108 f.; Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. Einl. Rdn. 170, 188).

III.


Auf diesen sachlich-rechtlich erheblichen Beweiswürdigungsmängeln kann das Urteil beruhen. Es ist nicht auszuschließen, daß das Landgericht bei ihrer Vermeidung die Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten gewonnen hätte.

IV.


Die Sache muß somit neu verhandelt und entschieden werden. Der Senat verweist sie an ein anderes Landgericht zurück (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO; vgl. im übrigen Bd. III Bl. 713 ff. der Strafakten).
Nack Boetticher Schluckebier Herr Richer am BGH Hebenstreit Elf ist erkrankt und deshalb an der Unterschrift verhindert. Nack

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 180/03
vom
6. August 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. August
2003, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Bode
als Vorsitzender
und Richter am Bundesgerichtshof
Dr. h.c. Detter,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
als beisitzende Richter
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin des Nebenklägers,
Justizhauptsekretärin und Justizangestellte (bei der
Verkündung)
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 16. August 2002, ausgenommen die Verurteilung wegen Erwerbs einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe sowie die Einziehungsanordnung, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Aufrechterhalten bleiben jedoch die äußeren Feststellungen zur Tötung der Ehefrau des Angeklagten. 2. Auf die Revision des Nebenklägers wird das vorgenannte Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

I.


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe sowie wegen unerlaubten Erwerbs einer solchen Waffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt, die halbautomatische Selbstladepistole hat es eingezogen. Vom Vorwurf eines weiteren Tötungsdelikts (Tötung des A. ) hat die Schwurgerichtskammer den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
Nach den Feststellungen erwarb der Angeklagte im Jahre 1998 von einer unbekannten Person eine halbautomatische Selbstladepistole. Die Waffe verwahrte er auf einem Betriebsgelände im Ö. in K. . Im Juli 2000 erhielt er Kenntnis von dem Gerücht, seine Ehefrau H. , das spätere Tatopfer, habe ein außereheliches Verhältnis mit A. , dem zweiten Tatopfer. Am 28. August 2000 traf sich A. mit dem Angeklagten auf dem Betriebsgelände. Dem Angeklagten gelang es dann auch, seine Ehefrau unter einem Vorwand dorthin zu locken. In einer über den Büros gelegenen Wohnung kam es zu einem Zusammentreffen dieser drei Personen. Während seines Aufenthalts in dieser Wohnung wurde A. mit zwei Schüssen aus der Pistole entweder vom Angeklagten oder seiner Ehefrau getötet. Anschließend erschoß der Angeklagte seine Ehefrau mit dieser Waffe. Gegenüber den von ihm verständigten Polizeibeamten und gegenüber dem Notarzt erklärte er, seine Ehefrau habe zunächst A. erschossen und dann Selbstmord begangen. Entsprechende Angaben machte er auch in der Hauptverhandlung.
Das Landgericht sieht es demgegenüber als erwiesen an, daß die Ehefrau des Angeklagten keinen Selbstmord begangen hat, sondern von diesem
erschossen worden ist. Ob A. vom Angeklagten oder seiner Ehe- frau getötet worden ist, hält die Schwurgerichtskammer aber entgegen der Anklage , die auch diese Tat dem Angeklagten anlastet, für ungeklärt und hat ihn insoweit freigesprochen.
Gegen diese Entscheidung wenden sich, soweit der Angeklagte hinsichtlich des Vorwurfs der Tötung des A. freigesprochen worden ist, die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger mit ihren auf die Verletzung sachlichen und formellen Rechts gestützten Revisionen. Die Staatsanwaltschaft erstrebt darüber hinaus eine Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes hinsichtlich der Tötung seiner Ehefrau.

II.


Beide Rechtsmittel haben mit der Sachrüge Erfolg, einer Erörterung der Verfahrensrügen bedarf es daher nicht.
1. Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Dieses hat insoweit nur zu beurteilen, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Rechtlich zu beanstanden sind die Beweiserwägungen auch dann, wenn sie erkennen lassen, daß das Gericht überspannte Anforderungen an die zur Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung gestellt und dabei nicht beachtet hat, daß eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende und von
niemandem anzweifelbare Gewißheit nicht erforderlich ist, vielmehr ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit genügt, das vernünftige und nicht bloß auf denktheoretische Möglichkeiten gegründete Zweifel nicht zuläßt (st. Rspr.).
In der Beweiswürdigung selbst muß der Tatrichter sich mit allen festgestellten Indizien auseinandersetzen, die geeignet sind, das Beweisergebnis zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen. Dabei muß sich aus den Urteilsgründen ergeben, daß die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung einbezogen wurden. Denn die Indizien können in ihrer Gesamtheit dem Gericht die entsprechende Überzeugung vermitteln, auch wenn eine Mehrzahl von Beweisanzeichen jeweils für sich allein nicht zum Nachweis der Täterschaft eines Angeklagten ausreicht (vgl. u.a. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2, 11; Beweiswürdigung, unzureichende 1; BGH NStZ 2001, 491, 492; 2002, 48).
2. Diesen Anforderungen wird das Urteil, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist, nicht gerecht.

a) Die Urteilsgründe lassen eine Überspannung der Anforderungen an eine Verurteilung besorgen. Die Annahme, auch die Ehefrau des Angeklagten käme als Täterin hinsichtlich der Tötung des A. in Betracht, war nach der Widerlegung der Einlassung des Angeklagten, seine Ehefrau habe Selbstmord begangen, äußerst unwahrscheinlich und fernliegend. Das Landgericht hätte sich damit auseinandersetzen müssen, ob nicht die wenigen für eine Täterschaft der Ehefrau des Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte schon dadurch relativiert worden sind, daß der Angeklagte nach den Feststellungen
versucht hat, deren Selbstmord vorzutäuschen. Zwar kann grundsätzlich eine widerlegte Einlassung allein nicht zur Grundlage einer dem Angeklagten ungünstigen Sachverhaltsfeststellung gemacht werden (vgl. BGH NStZ 1997, 96), etwas anderes muß aber gelten, wenn sich bei einem komplexen Tatgeschehen solche Teile der Einlassung als unrichtig erwiesen, die für die Beurteilung des gesamten Geschehens von wesentlicher Bedeutung sind und nicht losgelöst von dem anderen Teil beurteilt werden können. In einem solchen Fall darf bei der Beweiswürdigung die Widerlegung der Einlassung nicht außer acht bleiben (vgl. auch BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 33). Der Tatrichter hätte im Rahmen einer Gesamtwürdigung nachvollziehbar darlegen müssen, daß hinreichende Anhaltspunkte für die Richtigkeit der lebensfremd erscheinenden Einlassung zur Tötung des A. bestehen. Dazu kommt, daß die Angaben des Angeklagten zum Tathergang ganz erheblich an Glaubhaftigkeit verloren, weil dieser seine Einlassung zum Tatgeschehen jeweils dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere den Bekundungen der Sachverständigen, anpaßte (vgl. UA S. 88, 94), wobei die Schwurgerichtskammer sich auch nicht damit auseinandersetzt, ob und welche Angaben der Angeklagte zu den Vorfällen früher gemacht hat.

b) Soweit das Landgericht eine Verurteilung ablehnt, weil "nach Würdigung aller in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise Zweifel verbleiben", ob der Angeklagte auch A. getötet hat und dabei die Indizien, die gegen eine Täterschaft des Angeklagten sprechen, nur aufzählt (UA S. 88 ff.), deutet dies auf eine fehlerhafte Anwendung des "Zweifelssatzes" hin. Denn dieser Grundsatz gilt nicht für entlastende Indiztatsachen, aus denen lediglich ein Schluß auf eine unmittelbar entscheidungsrelevante Tatsache gezogen werden kann, sondern nur für die abschließende zusammenfassende Würdi-
gung aller Indiztatsachen (vgl. im einzelnen BGH NStZ 2001, 609 = BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 24 m. w. N.).

c) Diese Gesamtwürdigung fehlt jedoch. Die Schwurgerichtskammer hat die für und gegen eine Täterschaft des Angeklagten sprechenden Gründe aufgezählt und isoliert gewürdigt, eine Gesamtprüfung und -würdigung aller Beweisanzeichen jedoch nicht vorgenommen. Die erheblichen für eine Täterschaft des Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte hätten jedoch in eine Gesamtabwägung mit den wenigen gegen seine Täterschaft sprechenden Gesichtspunkten einbezogen werden müssen. Die lediglich summarische Feststellung der Indizien ohne eine Bewertung wird den Anforderungen an eine sachgerechte Beweiswürdigung nicht gerecht. Abgewogen werden mußte insoweit unter anderem, daß den auf eine Berührung der Tatwaffe durch H. hindeutenden DNA-Spuren an der Pistole (UA S. 89 - 92) und den an ihren Händen gesicherten Schmauchspuren (UA S. 92 - 95) keine Beweisbedeutung für ihre Täterschaft zukam, wenn der Angeklagte einen Selbstmord seiner Ehefrau vorgetäuscht hat, wovon das Landgericht rechtsfehlerfrei ausgeht. Ein Berühren der Tatwaffe war in diesem Zusammenhang unbedingt erforderlich , um Kontaktspuren des Tatopfers zu verursachen. Wichtig für die Gesamtwürdigung wäre auch gewesen, daß ein Motiv für eine Tötung des A. durch H. fern lag, nachdem der Angeklagte seine Ehefrau nur unter einem Vorwand dazu gebracht hatte, ihn zum Anwesen Ö. zu begleiten (UA S. 27 - 33), wo sich A. mit Wissen des Angeklagten befand.
Die fehlerhafte Beweiswürdigung führt zur Aufhebung des Urteils, soweit der Angeklagte vom Vorwurf der Tötung des A. freigesprochen
worden ist.
3. Keinen Bestand haben kann das Urteil des Landgerichts auch, soweit der Angeklagte hinsichtlich der Tötung seiner Ehefrau nur wegen Totschlags (§ 212 StGB), nicht aber wegen Mordes (§ 211 StGB) verurteilt worden ist. Denn eine mögliche Verurteilung des Angeklagten wegen der Tötung des A. kann Auswirkungen auf die rechtliche Einordnung der Tat zum Nachteil der Ehefrau des Angeklagten haben. Zumindest die Annahme niedriger Beweggründe oder die Verdeckung einer anderen Straftat liegt dann nicht fern. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen der Tötung von H. können jedoch aufrechterhalten bleiben.
Bode Detter Otten Fischer Roggenbuck
44
1. Das Landgericht hat bereits den Anwendungsbereich des Zweifelssat- zes verkannt. Der Grundsatz „in dubio pro reo“ ist keine Beweis-, sondern eine Entscheidungsregel, die das Gericht erst dann zu befolgen hat, wenn es nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht die volle Überzeugung von der Täterschaft zu gewinnen vermag. Auf einzelne Elemente der Beweiswürdigung ist er grundsätzlich nicht anzuwenden (vgl. BGH, Urteil vom 22. Mai 2007 – 1 StR 582/06).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 368/09
vom
29. Oktober 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts der schweren Brandstiftung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. Oktober
2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Dr. Mutzbauer
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 31. März 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der schweren Brandstiftung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und der versuchten schweren Brandstiftung in zwei Fällen, einmal ebenfalls in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, freigesprochen. Eine dem Angeklagten ferner zur Last gelegte Sachbeschädigung hat es nach § 154 Abs. 2 SPO eingestellt und - wie das Urteil mitteilt - das Verfahren insofern abgetrennt. Gegen den Freispruch richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2
Die zugelassene Anklage legte - soweit das Verfahren nicht nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt wurde - dem Angeklagten zur Last, am 30. September sowie am 5. und 7. Oktober 2008 jeweils im Keller des Mehrfamilienhauses, in dem er wohnte, Feuer gelegt zu haben, wobei in zwei Fällen insgesamt drei Mitbewohner durch Rauchgasvergiftungen verletzt wurden.
3
Die Strafkammer hat den Angeklagten freigesprochen, weil sie sich nicht von seiner Täterschaft überzeugen konnte. Zwar spreche für diese, dass der Angeklagte zu sämtlichen Brandzeitpunkten in dem Haus anwesend gewesen sei, er offenbar die Brände als erster bemerkt habe und er sodann als erster unter einem falschen Namen die Notrufe betätigt oder dies veranlasst habe. Auch hätten sich keine Anhaltspunkte für die Täterschaft eines Dritten ergeben. Ferner sei es in dem Haus weder vor dem Einzug des Angeklagten am 12. Juni 2008 noch nach dessen Aufnahme in die Untersuchungshaft am 9. Oktober 2008 zu weiteren Bränden gekommen. In dem Anwesen, das der Angeklagte in den Jahren 2005 und 2006 bewohnt habe, habe es in dieser Zeit ebenfalls mehrfach gebrannt. Schließlich habe der Angeklagte eingeräumt, vor dem Brand am 7. Oktober 2008 mit einem Taxi nach Hause gefahren zu sein und ein als Zeuge vernommener Taxifahrer habe bekundet, in dieser Zeit einen Fahrgast zu der Straße gefahren zu haben, in der der Angeklagte wohnte; während der Fahrt habe der Fahrgast plötzlich und ungefragt gesagt, dass sein Haus brenne, „hier brennt’s immer, ich bin der Hausmeister“. Diese Indizien weisen nach Ansicht der Strafkammer aber „nicht zwingend“ bzw. „notwendigerweise“ auf den - wenn auch mit widersprüchlichen und zumindest teilweise widerlegten Angaben - die Tatbegehung in den polizeilichen Vernehmungen bestreitenden Angeklagten als Brandleger hin. Denn es sei „denkbar“, dass der Angeklagte sich bei den Notrufen nicht zu erkennen geben wollte, weil er wegen in der Vergangenheit erfolgter Verurteilungen wegen Inbrandsetzungen befürchtet habe, als Melder der Brände mit diesen direkt in Verbindung gebracht zu werden. Hinzu komme, dass der Zugang zu den Kellerräumen, in denen die Brände gelegt wurden, nicht nur für die Hausbewohner, sondern auch für Außenstehende ohne weiteres möglich gewesen sei.

II.

4
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg, da die Beweiswürdigung auch angesichts ihrer nur eingeschränkten Überprüfbarkeit in der Revision Rechtsfehler aufweist.
5
Die Begründung des Freispruchs lässt besorgen, dass die Strafkammer bei der für eine Verurteilung erforderlichen Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten einen falschen rechtlichen Maßstab angelegt hat. Denn Voraussetzung für die Überzeugung des Tatrichters von einem bestimmten Sachverhalt ist nicht eine absolute, das Gegenteil oder andere Möglichkeiten denknotwendig ausschließende - oder wie das Landgericht mehrfach formuliert „zwingende“ - Gewissheit. Vielmehr genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 1. Juli 2008 - 1 StR 654/07; vom 30. Juli 2009 - 3 StR 273/09).
6
Hinzu kommt, dass das Landgericht - obwohl es sich hierauf berufen hat - nicht die gebotene Gesamtwürdigung vorgenommen hat. So hat es lediglich im Rahmen der Prüfung, ob der Angeklagte bei den Brandmeldungen Anlass hatte, einen falschen Namen anzugeben, seine Vorstrafen berücksichtigt, aber in der die Tatvorwürfe selbst betreffenden Beweiswürdigung unerörtert gelassen, dass der Angeklagte bereits in den Jahren 1997 und 2006 wegen Brandlegungen verurteilt wurde (in einem Fall hatte er nach einem Einbruch in einen Kindergarten Gegenstände in Brand gesetzt, im anderen Fall hatte er Papier in einem Papiercontainer angezündet). Solche weiteren Brandlegungen können jedoch - etwa wenn sie auf ähnliche Weise begangen wurden wie die hier verfahrensgegenständlichen - ein gewichtiges Indiz für die Täterschaft des Angeklagten sein. Dies gilt ebenfalls für den dem Angeklagten ferner zur Last gelegten, in der Hauptverhandlung aber nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellten und nicht weiter aufgeklärten Vorwurf der Sachbeschädigung, die er am 18. Juni 2008 durch Anzünden von Papier in der vor dem von ihm bewohnten Haus abgestellten Papiertonne begangen haben soll. Auch zu der Vorgehensweise bei den angeklagten Brandlegungen hat das Landgericht keine näheren Feststellungen getroffen bzw. mitgeteilt und insbesondere unerörtert gelassen, ob diese stets auf dieselbe Art und Weise erfolgten und ob der Angeklagte über die Möglichkeiten und Mittel verfügte, solche Brände zu legen.

III.

7
Die Aufhebung des Urteils erfasst auch den Ausspruch über die dem Angeklagten für die erlittene Untersuchungshaft zugesprochene Entschädigung. Tepperwien Maatz Solin-Stojanović Franke Mutzbauer

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 S t R 6 3 0 / 1 3
vom
25. März 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
25. März 2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Raum
und die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Mosbacher,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Nebenklägervertreter,
Justizangestellte - in der Verhandlung -,
Justizangestellte - bei der Verkündung -
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 5. Juli 2013 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten, die mit der näher ausgeführten Sachrüge begründet wird, hat keinen Erfolg.

I.

2
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
Der zum Tatzeitpunkt 20 Jahre und einen Monat alte und bislang unbestrafte Angeklagte lebte mit seinem 10-jährigen Bruder bei seinen Eltern. Nach anfänglichen Schwierigkeiten erlangte er den Qualifizierenden Hauptschulabschluss und absolvierte zuletzt ein Einstiegsqualifizierungsjahr im Bereich Elektroniker für Betriebstechnik in der Firma, in der auch sein Vater arbeitete.
4
Sein späteres Tatopfer, seinen fünf Jahre jüngeren Cousin A. , kannte er von klein auf; dessen Mutter ist die Patentante des Angeklag- ten. Nachdem es zwischen dem Angeklagten und seinem Cousin anlässlich einer gemeinsamen Fahrt nach Polen zu Konflikten gekommen war, hatten beide ca. drei Jahre keinen Kontakt mehr. Zum 20. Geburtstag des Angeklagten am 16. November 2012 besuchte ihn sein Cousin A. und war anschließend fast jedes Wochenende beim Angeklagten zu Besuch. Das Verhältnis der beiden war im Wesentlichen gut, aber nicht konfliktfrei. Der Angeklagte war bei einer Körpergröße von 175 cm und einem Körpergewicht von ca. 92 kg kleiner als sein sehr sportlicher und allseits beliebter Cousin A. , der bei einer Körpergröße von 189 cm etwa 90 kg wog.
5
A. war ab dem 22. Dezember 2012 bei dem Angeklagten zu Besuch und übernachtete mit in dessen Zimmer. Als seine Eltern A. am Heiligabend abholen wollten, kamen beide Familien überein, den Heiligabend gemeinsam zu feiern. Als Weihnachtsgeschenk erhielt der Angeklagte von seinem Vater ein einschneidiges, insgesamt 22 cm langes scharfes Klappmesser mit 10 cm langer spitzer schmaler Klinge; die Schärfe testete der Angeklagte noch am selben Abend, indem er sich mit dem Messer in den Unterarm ritzte. Auf Wunsch der beiden Cousins blieb A. noch weiter bei der Familie des Angeklagten.
6
Am ersten Weihnachtsfeiertag schliefen beide auf der ausgezogenen Couch des Angeklagten bis in die Mittagsstunden. Nachdem nachmittags zwei Freunde des Angeklagten zu Besuch gewesen und wieder gegangen waren, kam gegen 18.00 Uhr ein weiterer guter Freund des Angeklagten, der spätere Tatzeuge M. , der auch A. kannte. Diesem zeigte der Angeklagte auch sein neues Messer. Als M. die Klinge testete, indem er das Messer in die Couch stach, nahm ihm der Angeklagte das Messer weg und legte es aufgeklappt auf das Sofa.
7
Schließlich lagen alle drei auf dem aufgeklappten Sofa des Angeklagten. Dieser spielte auf dem an den Fernseher angeschlossenen Computer alleine das Spiel „Warcraft“, die anderen beiden schauten zu. Die Stimmung war ruhig, man machte Späße über das Spiel. Als sich der Angeklagte und A. über Arbeit unterhielten, kam es zwischen den beiden zu einer verbalen Auseinandersetzung mit gegenseitigen Beleidigungen, in deren Verlauf A. den Angeklagten als „strunzdumm“ bezeichnete. Nunmehr schlug der Ange- klagte A. mit der rechten Faust mehrmals auf die rechte Schulter. A. forderte den Angeklagten auf, damit aufzuhören und bezeichnete ihn als „Opfer“.Der Angeklagte beschimpfte A. daraufhin als „Krüppel“ oder „Spasti“. Als der Angeklagte A. erneutauf die Schulter schlagen wollte, dreht dieser sich weg, wodurch der Angeklagte ihn unabsichtlich ins Gesicht traf. A. stand auf, stellte sich hinter den im Schneidersitz auf dem Sofa sitzenden Angeklagten, packte ihn mit der linken Hand an den langen Haaren und schlug ihn nun mehrfach mit der rechten Faust ins Gesicht und auf den Hinterkopf, mindestens einmal davon auch auf die rechte Schläfe. Auch als der Angeklagte zu A. sagte, dass dieser aufhören solle, schlug A. weiterhin zu. Dabei befand er sich direkt hinter dem Angeklagten, seine Brust direkt hinter der Schulter des Angeklagten.
8
Um sich A. vom Leib zu halten, wofür ihm jedes Mittel recht war, nahm der Angeklagte das vor ihm liegende aufgeklappte Messer so in die Hand, dass die Klinge auf der Daumenseite aus der Hand herausschaute und stach mit den Worten „so, jetzt stirbst du!“ mit einer schnellen und ausholenden Bewegung über seine rechte Schulter einmal gezielt in Richtung des Oberkörpers von A. . Hierbei rechnete er mit der Möglichkeit, A. im Oberkörperbereich zu treffen und erkannte, dass eine solche Verletzung tödlich sein könnte, was er billigend in Kauf nahm. Der Stich führte zu einer Verletzung von Lunge und Herz und zu massiven Blutungen. A. fragte noch, ob der Angeklagte ihn jetzt abgestochen habe, brach dann bald bewusstlos zusammen und starb schließlich infolge massiven Blutverlustes.
9
Die Mutter von A. gab nach dem Tod ihres einzigen Kindes wegen psychischer Belastungen infolge des Tatgeschehens ihre selbständige Tätigkeit auf. Nach zunächst stationärer psychologischer Behandlung wird sie nun ambulant behandelt. Die Eltern des Angeklagten bezahlten die Beerdigung von A. , der Angeklagte will ihnen diese Kosten erstatten; zudem hat er sich bei den Nebenklägern entschuldigt.
10
2. Das Landgericht hat aufgrund des zielgerichteten Stichs mit einem spitzen und scharfen Messer gegen den Oberkörper von A. in Zusam- menhang mit den Worten „so, jetzt stirbst du!“ auf einen bedingten Tötungsvor- satz des Angeklagten geschlossen. Eine Rechtfertigung wegen Notwehr nach § 32 StGB hat die Jugendkammer verneint, weil es jedenfalls an der Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung fehle. Ausgeschlossen hat das Landgericht auch, dass der Angeklagte die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschritten hat (§ 33 StGB).
11
3. Das Landgericht hat bei dem zum Tatzeitpunkt über 20 Jahre alten Angeklagten wegen Reifeverzögerungen Jugendstrafrecht angewendet. Jugendstrafe hat die Kammer wegen der Schwere der Schuld verhängt, während sie keine schädlichen Neigungen feststellen konnte; zudem sei die Verhängung der Jugendstrafe auch zur erzieherischen Einwirkung auf den Angeklagten geboten.
12
Einen minder schweren Fall nach § 213 Alt. 1 StGB hat die Jugendkammer mit der Erwägung abgelehnt, es liege schon keine schwere Beleidigung in diesem Sinne vor. Zudem sei der Angeklagte nicht schuldlos gewesen, weil er selbst mit den körperlichen Angriffen begonnen und deshalb zur Verschärfung der Situation beigetragen habe. Nach einer Gesamtwürdigung des Tatbildes, aller objektiven und subjektiven Umstände und der Täterpersönlichkeit hat die Jugendkammer auch die Annahme eines unbenannten minder schweren Falls nach § 213 Alt. 2 StGB abgelehnt, wobei sie insbesondere berücksichtigt hat, dass der Angeklagte zwar in affektiver Erregung handelte, diese jedoch noch nicht den Grad einer affektiven Ausnahmesituation erreichte und in ihrem Maß nicht ungewöhnlich für einen Totschlag sei, sowie, dass der Angeklagte zwar unmittelbar vor der Tat von A. geschlagen wurde, der Angeklagte das Tatopfer jedoch zuerst geschlagen hatte.
13
Bei der konkreten Bemessung der Jugendstrafe hat das Landgericht eine Vielzahl von zugunsten des Angeklagten sprechenden Gesichtspunkten berücksichtigt , zu seinen Lasten jedoch die massiven psychischen Belastungen der Mutter von A. , die nunmehr ihren Beruf nicht mehr ausüben kann. Die Jugendstrafe von sechs Jahren hat die Jugendkammer auch zur erzieherischen Einwirkung auf den Angeklagten für erforderlich gehalten.

II.

14
Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge ergibt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.
15
1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts, mit der es sich vom Tötungsvorsatz des insoweit bestreitenden Angeklagten überzeugt hat, ist nicht zu beanstanden.
16
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, der sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden hat (§ 261 StPO). Die tatsächlichen Schlussfolgerungen des Tatgerichts müssen nicht zwingend sein; es genügt, dass sie möglich und nachvollziehbar sind und das Tatgericht von ihrer Richtigkeit überzeugt ist (vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 2013 – 1 StR 403/13 mwN). Das Revisionsgericht ist auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatrichters mit Rechtsfehlern behaftet ist, weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht übereinstimmt oder sich soweit von einer Tatsachengrundlage entfernt, dass sich die gezogenen Schlussfolgerungen letztlich als reine Vermutung erweisen (st. Rspr.; vgl. BGH aaO mwN; vgl. zur Beweiswürdigung hinsichtlich des Tötungsvorsatzes speziell BGH, Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183).
17
b) Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts gerecht. Der Schluss des Landgerichts, der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, weil er einen – wie er erkannte – objektiv besonders gefährlichen Angriff mit einem spitzen, scharfen Messer mit dünner Klinge gegen den Oberkörper eines Menschen mit den Worten ausführte „so, jetzt stirbst du!“, ist möglich und lebensnah. Dass der Angeklagte seinen Cousin A. mit dem Messer im Oberkörperbereich treffen wollte, hat die Jugendkammer entgegen der Auffassung der Revision rechtsfehlerfrei aus der Position der beiden in der konkreten Kampfsituation (A. stand unmittelbar hinter dem Angeklagten, sein Oberkörper befand sich auf der Höhe der Schulter des Angeklagten ) und der Stichführung gefolgert (UA S. 32). Als weitere Indizien hier- für hat die Kammer den Ausruf „so, jetzt stirbst du!“ und die Schilderung des Stichs durch den Zeugen R. („zielgerichtet gegen das Tatopfer“) gewertet. Auch dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen.
18
2. Zutreffend hat das Landgericht eine Rechtfertigung des tödlichen Stichs durch Notwehr mangels Erforderlichkeit der Notwehrhandlung ausgeschlossen.
19
a) Eine in einer objektiven Notwehrlage verübte Tat ist nach § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung stand. Ob dies der Fall ist, muss auf der Grundlage einer objektiven ex-ante-Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung beurteilt werden. Auf weniger gefährliche Verteidigungsmittel muss der Angegriffene nur dann zurückgreifen, wenn deren Abwehrwirkung unter den gegebenen Umständen unzweifelhaft ist und genügend Zeit zur Abschätzung der Lage zur Verfügung steht. Gegenüber einem unbewaffneten Angreifer ist der Gebrauch eines bis dahin noch nicht in Erscheinung getretenen Messers in der Regel anzudrohen (BGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 – 4 StR 347/13 mwN).
20
b) Das Landgericht hat zutreffend darauf abgestellt, dass der Angeklagte den Messereinsatz zunächst hätte androhen oder zumindest mit dem Messer auf einen weniger gefährlichen Körperteil des Opfers stechen müssen wie insbesondere auf das Bein von A. . Damit standen ihm erfolgversprechende mildere Mittel zur Angriffsabwehr zur Verfügung.
21
c) Hinzu kommt Folgendes: Wer durch ein sozialethisch zu beanstandendes Vorverhalten einen Angriff auf sich schuldhaft provoziert hat, auch wenn er ihn nicht in Rechnung gestellt haben sollte oder gar beabsichtigt hat, darf nicht bedenkenlos von seinem Notwehrrecht Gebrauch machen und sofort ein lebensgefährliches Mittel einsetzen. Er muss vielmehr dem Angriff nach Möglichkeit ausweichen und darf zur Trutzwehr mit einer lebensgefährdenden Waffe erst übergehen, nachdem er alle Möglichkeiten der Schutzwehr ausgenutzt hat; nur wenn sich ihm diese Möglichkeit verschließt, ist er zu entsprechend weitreichender Verteidigung befugt. Steht fremde Hilfe – auch privater Art – zur Verfügung, so hat er auf sie zurückzugreifen. Gegen einen unbewaffneten Gegner kommt der Gebrauch einer lebensgefährlichen Waffe nur in Ausnahmefällen in Betracht; er darf nur das letzte Mittel zur Verteidigung sein (BGH, Urteil vom 30. Mai 1996 – 4 StR 109/96, NStZ-RR 1997, 65 mwN; zur Notwehreinschränkung bei Angriffsprovokation umfassend Fasten, Die Grenzen der Notwehr im Wandel der Zeit, 2011, S. 151 ff. mwN).
22
Vorliegend hat der Angeklagte als erster die körperliche Auseinandersetzung mit seinem fünf Jahre jüngeren Cousin begonnen, nachdem sich beide zuvor lediglich gegenseitig verbal beleidigt hatten. Die Schläge gegen sich hat der Angeklagte durch seinen vorherigen körperlichen Angriff auf A. schuldhaft provoziert. Richtig ist deshalb die Erwägung der Kammer in diesem Zusammenhang, der Angeklagte habe vor Setzen des tödlichen Stichs zunächst den unmittelbar neben dem Geschehen befindlichen Zeugen M. oder die in der Wohnung anwesenden Erwachsenen um Hilfe anrufen müssen.
23
d) Zur gleichen Einschränkung des Notwehrrechts könnte die Erwägung führen, dass bei einem derartigen persönlichen Näheverhältnis wie dem des Angeklagten zu seinem – zumal jugendlichen – Opfer lebensgefährliche Verteidigungsmittel nicht ohne weiteres angewendet werden dürfen, wenn nur leichte Körperverletzungen drohen (vgl. BGH, Urteil vom 25. September 1974 – 3 StR 159/74, NJW 1975, 62 f.; vgl. demgegenüber auch BGH, Urteil vom 11. Januar 1984 – 2 StR 541/83, NJW 1984, 986 f.; Urteil vom 18. April 2002 – 3 StR 503/01, NStZ-RR 2002, 203, 204; hierzu umfassend auch Fasten aaO S. 199 ff.).
24
e) Weil angesichts dieser Umstände eine Rechtfertigung durch Notwehr im Ergebnis ersichtlich ausscheidet, ist es nicht rechtsfehlerhaft, dass das Landgericht – wie die Revision rügt – unter Hinweis auf die Gesamtumstände und die vorherige körperliche Gewalt des Angeklagten gegen A. an dieser Stelle letztlich offen gelassen hat, ob überhaupt eine Notwehrlage vorlag.
25
3. Die Ablehnung eines Notwehrexzesses nach § 33 StGB hat die Jugendkammer ebenfalls rechtsfehlerfrei begründet. Die Überschreitung der Grenzen der Notwehr aus Furcht ist entschuldigt, wenn bei dem Täter ein durch das Gefühl des Bedrohtseins verursachter psychischer Ausnahmezustand mit einem solchen Störungsgrad vorliegt, dass er das Geschehen nur noch in erheblich reduziertem Maße verarbeiten kann (BGH, Urteil vom 30. Mai 1996 – 4 StR 109/96, NStZ-RR 1997, 65 f. mwN). Dies war nach den Feststellungen bei dem Angeklagten nicht der Fall. Danach war er trotz der affektiven Aufladung der Situation noch in der Lage, das Geschehen richtig zu verarbeiten (UA S. 36). Einen erheblichen asthenischen Affekt als Ursache für das Überschreiten der Notwehrgrenze (vgl. BGH aaO) hat die Jugendkammer damit rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.
26
4. Auch der Rechtsfolgenausspruch hält revisionsrechtlicher Prüfung stand.
27
a) Die Jugendkammer hat die Voraussetzungen des § 213 StGB rechtsfehlerfrei verneint. Der Senat kann daher offen lassen, ob auch nach der Heraufsetzung des Strafrahmens von § 213 StGB durch das 6. Strafrechtsreformgesetz an der bisher zur Berücksichtigung von § 213 StGB bei der Bemessung von Jugendstrafe ergangenen Rechtsprechung festzuhalten wäre (vgl. insoweit nur Senat, Urteil vom 15. November 1988 – 1 StR 545/88, NStZ 1989, 119 f.; BGH, Beschluss vom 30. Juni 1987 – 4 StR 266/87; Beschluss vom 8. Oktober 1986 – 2 StR 394/86; Beschluss vom 1. Juli 1982 – 3 StR 190/82, NStZ 1982,

466).


28
b) Nach § 213 Alt. 1 StGB liegt ein minder schwerer Fall des Totschlags nur dann vor, wenn der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Misshandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und auf der Stelle zur Tat hingerissen wurde. Dem steht vorliegend – wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – ersichtlich entgegen, dass der Angeklagte die körperlichen Übergriffe auf ihn durch die vorherigen Faustschläge auf die Schulter und ins Gesicht seines 15 Jahre alten Cousins selbst schuldhaft provoziert hat, ohne dass dies nach den vorherigen gegenseitigen Beleidigungen gerechtfertigt oder entschuldigt gewesen wäre.
29
c) Rechtsfehlerfrei sind auch die Ausführungen des Landgerichts zur Ablehnung eines sonst minder schweren Falls des Totschlags nach § 213 Alt. 2 StGB. Das Landgericht hat im Rahmen seiner Gesamtwürdigung neben anderen Gesichtspunkten ausdrücklich berücksichtigt, dass der Angeklagte unmittelbar vor der Tat vom Tatopfer geschlagen wurde und dass er in affektiver Erregung handelte. Damit ist den Anforderungen der Rechtsprechung insoweit (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Februar 2007 – 4 StR 581/06, NStZ-RR 2007, 194, 195; Beschluss vom 4. Juli 2013 – 4 StR 213/13, NStZ 2013, 580 m. Anm. Becker) Genüge getan.
30
d) Auch die Bemessung der Jugendstrafe ist nicht zu beanstanden. Entgegen der Auffassung der Revision hat die Jugendkammer hinreichend berücksichtigt , dass der Angeklagte unmittelbar vor der Tat vom Tatopfer geschlagen und verletzt wurde und die Tat in einer affektiv aufgeladenen Situation beging.
31
Die Jugendkammer hat die aus ihrer Sicht schuldangemessene Jugendstrafe auch zur erzieherischen Einwirkung auf den Angeklagten für erforderlich und ausreichend angesehen. Dass sie die Gründe hierfür an dieser Stelle nicht ausführlicher dargelegt hat, begründet keinen Rechtsfehler, zumal ohnehin fraglich ist, ob sich eine Jugendstrafe zwischen fünf und zehn Jahren erzieherisch begründen lässt (vgl. Senat, Beschluss vom 27. November 1995 – 1 StR 634/95, NStZ 1996, 232, 233; BGH, Beschluss vom 15. Mai 1996 – 2 StR 119/96, NStZ 1997, 29; vgl. demgegenüber BGH, Beschluss vom 7. Mai1996 – 4 StR 182/96, NStZ 1996, 496). Raum Rothfuß Graf Jäger Mosbacher
28
b) Ergeben die neuen Feststellungen, dass sich der Angeklagte bei der Ausführung des Messerstichs gegen einen rechtswidrigen Angriff verteidigt hat, wird zu prüfen sein, ob er mit Blick auf die Rechtsprechung zur Notwehrprovokation (vgl. BGH, Urteile vom 2. November 2005 – 2 StR 237/05, NStZ 2006, 332, 333; vom 21. März 1996 – 5 StR 432/95, BGHSt 42, 97, 100 f.; vom 7. Februar 1991 – 4 StR 526/90, Rn. 22; vom 15. Mai 1975 – 4 StR 71/75, BGHSt 26, 143, 145) nur eingeschränkt von seinem Notwehrrecht Gebrauch machen durfte. Hierzu wird dann Anlass bestehen, wenn sich (wiederum) ergibt, dass der Angeklagte seine Begleiter durch die Bereitstellung der Messer und seine Teilnahme an der Konfrontation mit der Gruppe um F. in ihrer Streitlust bestärkt hat und sich der spätere Angriff auf ihn als eine adäquate und voraussehbare Folge des von ihm mit ausgelösten Geschehens erweist.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 S t R 6 3 0 / 1 3
vom
25. März 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
25. März 2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Raum
und die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Mosbacher,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Nebenklägervertreter,
Justizangestellte - in der Verhandlung -,
Justizangestellte - bei der Verkündung -
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 5. Juli 2013 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten, die mit der näher ausgeführten Sachrüge begründet wird, hat keinen Erfolg.

I.

2
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
Der zum Tatzeitpunkt 20 Jahre und einen Monat alte und bislang unbestrafte Angeklagte lebte mit seinem 10-jährigen Bruder bei seinen Eltern. Nach anfänglichen Schwierigkeiten erlangte er den Qualifizierenden Hauptschulabschluss und absolvierte zuletzt ein Einstiegsqualifizierungsjahr im Bereich Elektroniker für Betriebstechnik in der Firma, in der auch sein Vater arbeitete.
4
Sein späteres Tatopfer, seinen fünf Jahre jüngeren Cousin A. , kannte er von klein auf; dessen Mutter ist die Patentante des Angeklag- ten. Nachdem es zwischen dem Angeklagten und seinem Cousin anlässlich einer gemeinsamen Fahrt nach Polen zu Konflikten gekommen war, hatten beide ca. drei Jahre keinen Kontakt mehr. Zum 20. Geburtstag des Angeklagten am 16. November 2012 besuchte ihn sein Cousin A. und war anschließend fast jedes Wochenende beim Angeklagten zu Besuch. Das Verhältnis der beiden war im Wesentlichen gut, aber nicht konfliktfrei. Der Angeklagte war bei einer Körpergröße von 175 cm und einem Körpergewicht von ca. 92 kg kleiner als sein sehr sportlicher und allseits beliebter Cousin A. , der bei einer Körpergröße von 189 cm etwa 90 kg wog.
5
A. war ab dem 22. Dezember 2012 bei dem Angeklagten zu Besuch und übernachtete mit in dessen Zimmer. Als seine Eltern A. am Heiligabend abholen wollten, kamen beide Familien überein, den Heiligabend gemeinsam zu feiern. Als Weihnachtsgeschenk erhielt der Angeklagte von seinem Vater ein einschneidiges, insgesamt 22 cm langes scharfes Klappmesser mit 10 cm langer spitzer schmaler Klinge; die Schärfe testete der Angeklagte noch am selben Abend, indem er sich mit dem Messer in den Unterarm ritzte. Auf Wunsch der beiden Cousins blieb A. noch weiter bei der Familie des Angeklagten.
6
Am ersten Weihnachtsfeiertag schliefen beide auf der ausgezogenen Couch des Angeklagten bis in die Mittagsstunden. Nachdem nachmittags zwei Freunde des Angeklagten zu Besuch gewesen und wieder gegangen waren, kam gegen 18.00 Uhr ein weiterer guter Freund des Angeklagten, der spätere Tatzeuge M. , der auch A. kannte. Diesem zeigte der Angeklagte auch sein neues Messer. Als M. die Klinge testete, indem er das Messer in die Couch stach, nahm ihm der Angeklagte das Messer weg und legte es aufgeklappt auf das Sofa.
7
Schließlich lagen alle drei auf dem aufgeklappten Sofa des Angeklagten. Dieser spielte auf dem an den Fernseher angeschlossenen Computer alleine das Spiel „Warcraft“, die anderen beiden schauten zu. Die Stimmung war ruhig, man machte Späße über das Spiel. Als sich der Angeklagte und A. über Arbeit unterhielten, kam es zwischen den beiden zu einer verbalen Auseinandersetzung mit gegenseitigen Beleidigungen, in deren Verlauf A. den Angeklagten als „strunzdumm“ bezeichnete. Nunmehr schlug der Ange- klagte A. mit der rechten Faust mehrmals auf die rechte Schulter. A. forderte den Angeklagten auf, damit aufzuhören und bezeichnete ihn als „Opfer“.Der Angeklagte beschimpfte A. daraufhin als „Krüppel“ oder „Spasti“. Als der Angeklagte A. erneutauf die Schulter schlagen wollte, dreht dieser sich weg, wodurch der Angeklagte ihn unabsichtlich ins Gesicht traf. A. stand auf, stellte sich hinter den im Schneidersitz auf dem Sofa sitzenden Angeklagten, packte ihn mit der linken Hand an den langen Haaren und schlug ihn nun mehrfach mit der rechten Faust ins Gesicht und auf den Hinterkopf, mindestens einmal davon auch auf die rechte Schläfe. Auch als der Angeklagte zu A. sagte, dass dieser aufhören solle, schlug A. weiterhin zu. Dabei befand er sich direkt hinter dem Angeklagten, seine Brust direkt hinter der Schulter des Angeklagten.
8
Um sich A. vom Leib zu halten, wofür ihm jedes Mittel recht war, nahm der Angeklagte das vor ihm liegende aufgeklappte Messer so in die Hand, dass die Klinge auf der Daumenseite aus der Hand herausschaute und stach mit den Worten „so, jetzt stirbst du!“ mit einer schnellen und ausholenden Bewegung über seine rechte Schulter einmal gezielt in Richtung des Oberkörpers von A. . Hierbei rechnete er mit der Möglichkeit, A. im Oberkörperbereich zu treffen und erkannte, dass eine solche Verletzung tödlich sein könnte, was er billigend in Kauf nahm. Der Stich führte zu einer Verletzung von Lunge und Herz und zu massiven Blutungen. A. fragte noch, ob der Angeklagte ihn jetzt abgestochen habe, brach dann bald bewusstlos zusammen und starb schließlich infolge massiven Blutverlustes.
9
Die Mutter von A. gab nach dem Tod ihres einzigen Kindes wegen psychischer Belastungen infolge des Tatgeschehens ihre selbständige Tätigkeit auf. Nach zunächst stationärer psychologischer Behandlung wird sie nun ambulant behandelt. Die Eltern des Angeklagten bezahlten die Beerdigung von A. , der Angeklagte will ihnen diese Kosten erstatten; zudem hat er sich bei den Nebenklägern entschuldigt.
10
2. Das Landgericht hat aufgrund des zielgerichteten Stichs mit einem spitzen und scharfen Messer gegen den Oberkörper von A. in Zusam- menhang mit den Worten „so, jetzt stirbst du!“ auf einen bedingten Tötungsvor- satz des Angeklagten geschlossen. Eine Rechtfertigung wegen Notwehr nach § 32 StGB hat die Jugendkammer verneint, weil es jedenfalls an der Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung fehle. Ausgeschlossen hat das Landgericht auch, dass der Angeklagte die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschritten hat (§ 33 StGB).
11
3. Das Landgericht hat bei dem zum Tatzeitpunkt über 20 Jahre alten Angeklagten wegen Reifeverzögerungen Jugendstrafrecht angewendet. Jugendstrafe hat die Kammer wegen der Schwere der Schuld verhängt, während sie keine schädlichen Neigungen feststellen konnte; zudem sei die Verhängung der Jugendstrafe auch zur erzieherischen Einwirkung auf den Angeklagten geboten.
12
Einen minder schweren Fall nach § 213 Alt. 1 StGB hat die Jugendkammer mit der Erwägung abgelehnt, es liege schon keine schwere Beleidigung in diesem Sinne vor. Zudem sei der Angeklagte nicht schuldlos gewesen, weil er selbst mit den körperlichen Angriffen begonnen und deshalb zur Verschärfung der Situation beigetragen habe. Nach einer Gesamtwürdigung des Tatbildes, aller objektiven und subjektiven Umstände und der Täterpersönlichkeit hat die Jugendkammer auch die Annahme eines unbenannten minder schweren Falls nach § 213 Alt. 2 StGB abgelehnt, wobei sie insbesondere berücksichtigt hat, dass der Angeklagte zwar in affektiver Erregung handelte, diese jedoch noch nicht den Grad einer affektiven Ausnahmesituation erreichte und in ihrem Maß nicht ungewöhnlich für einen Totschlag sei, sowie, dass der Angeklagte zwar unmittelbar vor der Tat von A. geschlagen wurde, der Angeklagte das Tatopfer jedoch zuerst geschlagen hatte.
13
Bei der konkreten Bemessung der Jugendstrafe hat das Landgericht eine Vielzahl von zugunsten des Angeklagten sprechenden Gesichtspunkten berücksichtigt , zu seinen Lasten jedoch die massiven psychischen Belastungen der Mutter von A. , die nunmehr ihren Beruf nicht mehr ausüben kann. Die Jugendstrafe von sechs Jahren hat die Jugendkammer auch zur erzieherischen Einwirkung auf den Angeklagten für erforderlich gehalten.

II.

14
Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge ergibt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.
15
1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts, mit der es sich vom Tötungsvorsatz des insoweit bestreitenden Angeklagten überzeugt hat, ist nicht zu beanstanden.
16
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, der sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden hat (§ 261 StPO). Die tatsächlichen Schlussfolgerungen des Tatgerichts müssen nicht zwingend sein; es genügt, dass sie möglich und nachvollziehbar sind und das Tatgericht von ihrer Richtigkeit überzeugt ist (vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 2013 – 1 StR 403/13 mwN). Das Revisionsgericht ist auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatrichters mit Rechtsfehlern behaftet ist, weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht übereinstimmt oder sich soweit von einer Tatsachengrundlage entfernt, dass sich die gezogenen Schlussfolgerungen letztlich als reine Vermutung erweisen (st. Rspr.; vgl. BGH aaO mwN; vgl. zur Beweiswürdigung hinsichtlich des Tötungsvorsatzes speziell BGH, Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183).
17
b) Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts gerecht. Der Schluss des Landgerichts, der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, weil er einen – wie er erkannte – objektiv besonders gefährlichen Angriff mit einem spitzen, scharfen Messer mit dünner Klinge gegen den Oberkörper eines Menschen mit den Worten ausführte „so, jetzt stirbst du!“, ist möglich und lebensnah. Dass der Angeklagte seinen Cousin A. mit dem Messer im Oberkörperbereich treffen wollte, hat die Jugendkammer entgegen der Auffassung der Revision rechtsfehlerfrei aus der Position der beiden in der konkreten Kampfsituation (A. stand unmittelbar hinter dem Angeklagten, sein Oberkörper befand sich auf der Höhe der Schulter des Angeklagten ) und der Stichführung gefolgert (UA S. 32). Als weitere Indizien hier- für hat die Kammer den Ausruf „so, jetzt stirbst du!“ und die Schilderung des Stichs durch den Zeugen R. („zielgerichtet gegen das Tatopfer“) gewertet. Auch dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen.
18
2. Zutreffend hat das Landgericht eine Rechtfertigung des tödlichen Stichs durch Notwehr mangels Erforderlichkeit der Notwehrhandlung ausgeschlossen.
19
a) Eine in einer objektiven Notwehrlage verübte Tat ist nach § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung stand. Ob dies der Fall ist, muss auf der Grundlage einer objektiven ex-ante-Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung beurteilt werden. Auf weniger gefährliche Verteidigungsmittel muss der Angegriffene nur dann zurückgreifen, wenn deren Abwehrwirkung unter den gegebenen Umständen unzweifelhaft ist und genügend Zeit zur Abschätzung der Lage zur Verfügung steht. Gegenüber einem unbewaffneten Angreifer ist der Gebrauch eines bis dahin noch nicht in Erscheinung getretenen Messers in der Regel anzudrohen (BGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 – 4 StR 347/13 mwN).
20
b) Das Landgericht hat zutreffend darauf abgestellt, dass der Angeklagte den Messereinsatz zunächst hätte androhen oder zumindest mit dem Messer auf einen weniger gefährlichen Körperteil des Opfers stechen müssen wie insbesondere auf das Bein von A. . Damit standen ihm erfolgversprechende mildere Mittel zur Angriffsabwehr zur Verfügung.
21
c) Hinzu kommt Folgendes: Wer durch ein sozialethisch zu beanstandendes Vorverhalten einen Angriff auf sich schuldhaft provoziert hat, auch wenn er ihn nicht in Rechnung gestellt haben sollte oder gar beabsichtigt hat, darf nicht bedenkenlos von seinem Notwehrrecht Gebrauch machen und sofort ein lebensgefährliches Mittel einsetzen. Er muss vielmehr dem Angriff nach Möglichkeit ausweichen und darf zur Trutzwehr mit einer lebensgefährdenden Waffe erst übergehen, nachdem er alle Möglichkeiten der Schutzwehr ausgenutzt hat; nur wenn sich ihm diese Möglichkeit verschließt, ist er zu entsprechend weitreichender Verteidigung befugt. Steht fremde Hilfe – auch privater Art – zur Verfügung, so hat er auf sie zurückzugreifen. Gegen einen unbewaffneten Gegner kommt der Gebrauch einer lebensgefährlichen Waffe nur in Ausnahmefällen in Betracht; er darf nur das letzte Mittel zur Verteidigung sein (BGH, Urteil vom 30. Mai 1996 – 4 StR 109/96, NStZ-RR 1997, 65 mwN; zur Notwehreinschränkung bei Angriffsprovokation umfassend Fasten, Die Grenzen der Notwehr im Wandel der Zeit, 2011, S. 151 ff. mwN).
22
Vorliegend hat der Angeklagte als erster die körperliche Auseinandersetzung mit seinem fünf Jahre jüngeren Cousin begonnen, nachdem sich beide zuvor lediglich gegenseitig verbal beleidigt hatten. Die Schläge gegen sich hat der Angeklagte durch seinen vorherigen körperlichen Angriff auf A. schuldhaft provoziert. Richtig ist deshalb die Erwägung der Kammer in diesem Zusammenhang, der Angeklagte habe vor Setzen des tödlichen Stichs zunächst den unmittelbar neben dem Geschehen befindlichen Zeugen M. oder die in der Wohnung anwesenden Erwachsenen um Hilfe anrufen müssen.
23
d) Zur gleichen Einschränkung des Notwehrrechts könnte die Erwägung führen, dass bei einem derartigen persönlichen Näheverhältnis wie dem des Angeklagten zu seinem – zumal jugendlichen – Opfer lebensgefährliche Verteidigungsmittel nicht ohne weiteres angewendet werden dürfen, wenn nur leichte Körperverletzungen drohen (vgl. BGH, Urteil vom 25. September 1974 – 3 StR 159/74, NJW 1975, 62 f.; vgl. demgegenüber auch BGH, Urteil vom 11. Januar 1984 – 2 StR 541/83, NJW 1984, 986 f.; Urteil vom 18. April 2002 – 3 StR 503/01, NStZ-RR 2002, 203, 204; hierzu umfassend auch Fasten aaO S. 199 ff.).
24
e) Weil angesichts dieser Umstände eine Rechtfertigung durch Notwehr im Ergebnis ersichtlich ausscheidet, ist es nicht rechtsfehlerhaft, dass das Landgericht – wie die Revision rügt – unter Hinweis auf die Gesamtumstände und die vorherige körperliche Gewalt des Angeklagten gegen A. an dieser Stelle letztlich offen gelassen hat, ob überhaupt eine Notwehrlage vorlag.
25
3. Die Ablehnung eines Notwehrexzesses nach § 33 StGB hat die Jugendkammer ebenfalls rechtsfehlerfrei begründet. Die Überschreitung der Grenzen der Notwehr aus Furcht ist entschuldigt, wenn bei dem Täter ein durch das Gefühl des Bedrohtseins verursachter psychischer Ausnahmezustand mit einem solchen Störungsgrad vorliegt, dass er das Geschehen nur noch in erheblich reduziertem Maße verarbeiten kann (BGH, Urteil vom 30. Mai 1996 – 4 StR 109/96, NStZ-RR 1997, 65 f. mwN). Dies war nach den Feststellungen bei dem Angeklagten nicht der Fall. Danach war er trotz der affektiven Aufladung der Situation noch in der Lage, das Geschehen richtig zu verarbeiten (UA S. 36). Einen erheblichen asthenischen Affekt als Ursache für das Überschreiten der Notwehrgrenze (vgl. BGH aaO) hat die Jugendkammer damit rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.
26
4. Auch der Rechtsfolgenausspruch hält revisionsrechtlicher Prüfung stand.
27
a) Die Jugendkammer hat die Voraussetzungen des § 213 StGB rechtsfehlerfrei verneint. Der Senat kann daher offen lassen, ob auch nach der Heraufsetzung des Strafrahmens von § 213 StGB durch das 6. Strafrechtsreformgesetz an der bisher zur Berücksichtigung von § 213 StGB bei der Bemessung von Jugendstrafe ergangenen Rechtsprechung festzuhalten wäre (vgl. insoweit nur Senat, Urteil vom 15. November 1988 – 1 StR 545/88, NStZ 1989, 119 f.; BGH, Beschluss vom 30. Juni 1987 – 4 StR 266/87; Beschluss vom 8. Oktober 1986 – 2 StR 394/86; Beschluss vom 1. Juli 1982 – 3 StR 190/82, NStZ 1982,

466).


28
b) Nach § 213 Alt. 1 StGB liegt ein minder schwerer Fall des Totschlags nur dann vor, wenn der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Misshandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und auf der Stelle zur Tat hingerissen wurde. Dem steht vorliegend – wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – ersichtlich entgegen, dass der Angeklagte die körperlichen Übergriffe auf ihn durch die vorherigen Faustschläge auf die Schulter und ins Gesicht seines 15 Jahre alten Cousins selbst schuldhaft provoziert hat, ohne dass dies nach den vorherigen gegenseitigen Beleidigungen gerechtfertigt oder entschuldigt gewesen wäre.
29
c) Rechtsfehlerfrei sind auch die Ausführungen des Landgerichts zur Ablehnung eines sonst minder schweren Falls des Totschlags nach § 213 Alt. 2 StGB. Das Landgericht hat im Rahmen seiner Gesamtwürdigung neben anderen Gesichtspunkten ausdrücklich berücksichtigt, dass der Angeklagte unmittelbar vor der Tat vom Tatopfer geschlagen wurde und dass er in affektiver Erregung handelte. Damit ist den Anforderungen der Rechtsprechung insoweit (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Februar 2007 – 4 StR 581/06, NStZ-RR 2007, 194, 195; Beschluss vom 4. Juli 2013 – 4 StR 213/13, NStZ 2013, 580 m. Anm. Becker) Genüge getan.
30
d) Auch die Bemessung der Jugendstrafe ist nicht zu beanstanden. Entgegen der Auffassung der Revision hat die Jugendkammer hinreichend berücksichtigt , dass der Angeklagte unmittelbar vor der Tat vom Tatopfer geschlagen und verletzt wurde und die Tat in einer affektiv aufgeladenen Situation beging.
31
Die Jugendkammer hat die aus ihrer Sicht schuldangemessene Jugendstrafe auch zur erzieherischen Einwirkung auf den Angeklagten für erforderlich und ausreichend angesehen. Dass sie die Gründe hierfür an dieser Stelle nicht ausführlicher dargelegt hat, begründet keinen Rechtsfehler, zumal ohnehin fraglich ist, ob sich eine Jugendstrafe zwischen fünf und zehn Jahren erzieherisch begründen lässt (vgl. Senat, Beschluss vom 27. November 1995 – 1 StR 634/95, NStZ 1996, 232, 233; BGH, Beschluss vom 15. Mai 1996 – 2 StR 119/96, NStZ 1997, 29; vgl. demgegenüber BGH, Beschluss vom 7. Mai1996 – 4 StR 182/96, NStZ 1996, 496). Raum Rothfuß Graf Jäger Mosbacher