Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Mai 2018 - XII ZB 625/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2018:090518BXIIZB625.17.0
bei uns veröffentlicht am09.05.2018
vorgehend
Amtsgericht Neuss, 115 XVII 28/17 Z, 12.09.2017
Landgericht Düsseldorf, 19 T 160/17, 16.11.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 625/17
vom
9. Mai 2018
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Die ausdrückliche Erwähnung des Erforderlichkeitsgrundsatzes in § 1896
Abs. 2 Satz 1 BGB soll verhindern, dass dem Betreuer formularmäßig und ohne
eingehende Prüfung verhältnismäßig umfangreiche Aufgaben zugewiesen werden.
Sofern die Aufenthaltsbestimmung allein der Verwirklichung der Gesundheitssorge
dient, ist daher eine entsprechende Einschränkung des Aufgabenkreises
geboten.
BGH, Beschluss vom 9. Mai 2018 - XII ZB 625/17 - LG Düsseldorf
AG Neuss
ECLI:DE:BGH:2018:090518BXIIZB625.17.0

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Mai 2018 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Prof. Dr. Klinkhammer, Dr. Günter, Dr. Nedden-Boeger und Guhling
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 19. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 16. November 2017 unter Zurückweisung der weitergehenden Rechtsbeschwerde teilweise aufgehoben und insgesamt wie folgt neu gefasst: Auf die Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts Neuss vom 12. September 2017 unter Zurückweisung der weitergehenden Beschwerde aufgehoben, soweit der Aufgabenkreis der Betreuerin die Aufenthaltsbestimmung einschließlich der Entscheidung über Unterbringung und freiheitsentziehende Maßnahmen auch über den Bereich der Gesundheitssorge hinaus umfasst. Insoweit wird das Betreuungsverfahren eingestellt. Das Beschwerde- und das Rechtsbeschwerdeverfahren sind gerichtskostenfrei. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt. Wert beider Rechtsmittelverfahren: 5.000 €

Gründe:

I.

1
Die im Jahre 1969 geborene Betroffene leidet an einer schizophrenen Erkrankung. Diese geht in den akuten Krankheitsphasen mit einer schweren psychotischen Symptomatik und Realitätsverlust einher, so dass es zu einer in das Extreme gesteigerten Abkapselung und Unfähigkeit zur Kontaktaufnahme kommt und die Betroffene nicht in der Lage ist, Nahrung und Flüssigkeit zu sich zu nehmen.
2
Bereits im Oktober 2004 hatte die Betroffene eine Patientenverfügung erstellt, wonach dann, wenn "keine Aussicht mehr auf Besserung im Sinne eines für mich erträglichen und umweltbezogenen Leben" bestehe, keine lebenserhaltenden Maßnahmen oder künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr erfolgen sollten.
3
Wegen ihrer Erkrankung musste die Betroffene Ende 2010/Anfang 2011, Mitte 2016 und ab März 2017 jeweils mehrere Monate lang stationär - teilweise unter Einsatz ärztlicher Zwangsmaßnahmen - behandelt werden. Im Zuge des letzten Krankenhausaufenthalts wurde die Beteiligte zu 1, eine Rechtsanwältin, zur vorläufigen Betreuerin der Betroffenen mit dem Aufgabenkreis Aufenthaltsbestimmung einschließlich der Entscheidung über Unterbringung und freiheitsentziehende Maßnahmen, Behördenangelegenheiten, Gesundheitssorge und Sozialversicherungsangelegenheiten bestellt.
4
Nach weiteren Ermittlungen hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 12. September 2017 die Beteiligte zu 1 auch in der Hauptsache zur Betreuerin bestellt, dabei die Behörden- und die Sozialversicherungsangelegenheiten aus dem Aufgabenkreis herausgenommen und als spätesten Überprüfungszeitpunkt den 12. September 2019 bestimmt. Die von der Betroffenen mit dem Ziel der vollständigen Aufhebung der Betreuung eingelegte Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen.
5
Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II.

6
Die Rechtsbeschwerde hat teilweise Erfolg. Sie führt zur Einschränkung der Betreuung im Bereich der Aufenthaltsbestimmung insoweit, als sich die Aufenthaltsbestimmung einschließlich der Entscheidung über Unterbringung und freiheitsentziehende Maßnahmen auf den Bereich der Gesundheitssorge bezieht.
7
1. Das Landgericht hat seine Entscheidung unter weitgehender Bezugnahme auf den Beschluss des Amtsgerichts wie folgt begründet: Die Betroffene sei zu einer kritischen und verantwortlichen Abwägung nicht in der Lage, was ihre Erkrankung und deren Behandlung angehe; ohne Intervention könnten die akuten Krankheitsphasen binnen kurzer Zeit einen tödlichen Verlauf nehmen. Die Betroffene beharre auf ihrer Patientenverfügung, um eine Behandlung abzulehnen , obwohl die Erkrankung behandelbar sei und die Lebensgefahr nur aus der Nichtbehandlung folge. Krankheitseinsicht bestehe nicht, der Wille zur Nichtbehandlung sei ausschließlich durch die psychische Erkrankung bedingt. Deshalb sei sie aus gesundheitlichen Gründen gehindert, ihre Angelegenheiten im angeordneten Aufgabenkreis interessengerecht zu regeln, und benötige insoweit Hilfe durch eine Betreuung.
8
Die Betreuung sei zwar wegen der fehlenden Kooperation der Betroffenen schwierig, aber nicht undurchführbar. Anderweitige Hilfen bestünden nicht.
Insbesondere sei der Vater der Betroffenen nicht mehr bereit, als Warnposten zu dienen, so dass bei akuter Erkrankung ein noch rechtzeitiges Eingreifen zukünftig nur im Rahmen der Betreuung erfolgen könne.
9
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung im überwiegenden Umfang stand.
10
a) Nach § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB darf ein Betreuer nur bestellt werden, soweit die Betreuung erforderlich ist. Dieser Grundsatz verlangt für die Bestellung eines Betreuers die konkrete tatrichterliche Feststellung, dass sie - auch unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit - notwendig ist, weil der Betroffene auf entsprechende Hilfen angewiesen ist und weniger einschneidende Maßnahmen nicht in Betracht kommen. Die Erforderlichkeit einer Betreuung darf sich dabei nicht allein aus der subjektiven Unfähigkeit des Betroffenen ergeben, seine Angelegenheiten selbst regeln zu können (Betreuungsbedürftigkeit). Hinzutreten muss ein konkreter Bedarf für die Bestellung eines Betreuers. Ob und für welche Aufgabenbereiche ein objektiver Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen. Dabei genügt es, wenn ein Handlungsbedarf in dem betreffenden Aufgabenkreis jederzeit auftreten kann (st. Senatsrspr., vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 21. Januar 2015 - XII ZB 324/14 - FamRZ 2015, 649 Rn. 7 und vom 27. September 2017 - XII ZB 330/17 - FamRZ 2018, 54 Rn. 12 mwN).
11
Trotz bestehenden Handlungsbedarfs kann es an der Erforderlichkeit der Betreuung unter anderem fehlen, wenn die Betreuung - aus welchem Grund auch immer - keinerlei Änderung der Situation des Betroffenen herbeizuführen geeignet ist und mit ihr daher keine Verbesserung zu Gunsten des Betroffenen erreicht werden kann. Das kommt nach der Senatsrechtsprechung unter engen Voraussetzungen etwa dann in Betracht, wenn der Betroffene jeden Kontakt mit seinem Betreuer verweigert und der Betreuer dadurch handlungsunfähig ist, also eine "Unbetreubarkeit" vorliegt (vgl. Senatsbeschluss vom 27. September 2017 - XII ZB 330/17 - FamRZ 2018, 54 Rn. 13 mwN).
12
b) Bei Anlegung dieses Maßstabs macht die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg geltend, der für die Betroffene eingerichteten Betreuung fehle es schon deshalb an der Erforderlichkeit im Sinne des § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB, weil wegen der Patientenverfügung und der Behandlungsverweigerung durch die Betroffene ein Fall der tatsächlichen Unbetreubarkeit vorliege.
13
Nach den rechtlich beanstandungsfrei getroffenen tatrichterlichen Feststellungen kann bei der eine vorbeugende medikamentöse Behandlung verweigernden Betroffenen jederzeit eine erneute akute Krankheitsphase auftreten, die dann eine ärztliche Zwangsmaßnahme im Rahmen eines stationären Aufenthalts mit Einwilligung der Betreuerin (§ 1906 a BGB) erfordern kann. Einer solchen Zwangsbehandlung steht die von der Betroffenen erstellte Patientenverfügung nicht entgegen, weil sie - wie die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben - nur Krankheitsverläufe erfasst, die nicht im Sinne einer Verbesserung der gesundheitlichen Situation behandelbar sind. Um einen solchen geht es jedoch weder bei der psychischen Erkrankung der Betroffenen noch bei den aus der Abkapselung mit Unfähigkeit zur Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme folgenden Zuständen. Mithin hat die Betreuerin die Möglichkeit, durch rechtliche Entscheidungen positiv auf die Lage der Betroffenen einzuwirken.
14
c) Teilweise zu Recht wendet sich die Rechtsbeschwerde jedoch gegen den Umfang des angeordneten Aufgabenkreises.
15
aa) Keinen rechtlichen Bedenken begegnet insoweit allerdings, dass die Gesundheitssorge ohne Einschränkungen und damit umfassend in den Aufgabenkreis aufgenommen worden ist. Selbst wenn als Ursache für medizinische Behandlungsmaßnahmen nur die psychische Erkrankung der Betroffenen ab- sehbar ist, können die sich in einer akuten Krankheitsphase aus ihr ergebenden gesundheitlichen Komplikationen - wie die Vergangenheit gezeigt hat - weit darüber hinaus gehen und sind einer näheren Eingrenzung nicht zugänglich. Vielmehr kann sich insoweit ein umfassender Handlungsbedarf für die Betreuerin ergeben.
16
bb) Anders liegt es aber für den Bereich der Aufenthaltsbestimmung. Der angefochtenen Entscheidung und dem von dieser in Bezug genommenen amtsgerichtlichen Beschluss ist zu entnehmen, dass ein den Bereich der Aufenthaltsbestimmung einschließlich der Entscheidung über die Unterbringung und freiheitsentziehende Maßnahmen betreffender Handlungsbedarf nur im Zusammenhang mit der Gesundheitssorge absehbar ist und damit jederzeit auftreten kann. Dass für die Betroffene neben Entscheidungen über den Aufenthaltsort , an dem Behandlungsmaßnahmen zum Wohl der Betroffenen vorzunehmen sind, auch solche etwa zu ihrem Wohnort zu treffen sind, ist vom Tatrichter weder festgestellt noch anderweitig ersichtlich.
17
Mit der ausdrücklichen Erwähnung des Erforderlichkeitsgrundsatzes in § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB sollte nach dem Willen des Gesetzgebers aber gerade verhindert werden, dass dem Betreuer formularmäßig und ohne eingehende Prüfung verhältnismäßig umfangreiche Aufgaben zugewiesen werden, etwa die gesamte Vermögenssorge und die Aufenthaltsbestimmung (BT-Drucks. 11/4528 S. 58, 120). Sofern - wie hier - die Aufenthaltsbestimmung allein der Verwirklichung der Gesundheitssorge dient, ist daher eine entsprechende Einschränkung geboten (vgl. BayObLG FamRZ 1994, 1060, 1061; vgl. auch Staudinger/Bienwald BGB [2017] § 1896 Rn. 203 ff.).
18
3. Soweit das Landgericht die Entscheidung des Amtsgerichts, der Betreuerin die Aufenthaltsbestimmung einschließlich der Entscheidung über Un- terbringung und freiheitsentziehende Maßnahmen über den Bereich der Gesundheitssorge hinaus zu übertragen, bestätigt hat, ist die Beschwerdeentscheidung daher gemäß § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben. Da keine weiteren Feststellungen zu treffen sind, entscheidet der Senat nach § 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG in der Sache selbst.
19
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung , zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Dose Klinkhammer Günter Nedden-Boeger Guhling
Vorinstanzen:
AG Neuss, Entscheidung vom 12.09.2017 - 115 XVII 28/17 Z -
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 16.11.2017 - 19 T 160/17 -

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Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 74 Entscheidung über die Rechtsbeschwerde


(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 324/14
vom
21. Januar 2015
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Auch im Bereich der Vermögenssorge kann die Erforderlichkeit der Betreuung
nicht allein mit der subjektiven Unfähigkeit des Betreuten begründet
werden, seine diesbezüglichen Angelegenheiten selbst zu regeln; vielmehr
muss aufgrund konkreter tatrichterlicher Feststellungen die gegenwärtige Gefahr
begründet sein, dass der Betreute einen Schaden erleidet, wenn man
ihm die Erledigung seiner vermögensrechtlichen Angelegenheiten eigenverantwortlich
selbst überließe (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 6. Juli
2011 - XII ZB 80/11 - FamRZ 2011, 1391).

b) Das Vorliegen eines aktuellen Handlungsbedarfs zugunsten des Vermögens
des Betreuten ist nicht zwingend erforderlich; es genügt, dass dieser Bedarf
jederzeit auftreten kann und für diesen Fall die begründete Besorgnis besteht
, dass ohne die Einrichtung einer Betreuung nicht das Notwendige veranlasst
wird.

c) Zur Einrichtung einer Betreuung mit dem Aufgabenkreis der Vertretung in
behördlichen und gerichtlichen Verfahren.
BGH, Beschluss vom 21. Januar 2015 - XII ZB 324/14 - LG Regensburg
AG Straubing
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Januar 2015 durch den
Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Dr. Klinkhammer, Dr. Günter,
Dr. Botur und Guhling

beschlossen:
Dem Betroffenen wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gewährt. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Regensburg vom 3. Juni 2014 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I.

1
Der 67-jährige Betroffene wendet sich gegen die Verlängerung seiner Betreuung.
2
Für den Betroffenen wurde im Jahre 2007 eine rechtliche Betreuung eingerichtet und der weitere Beteiligte zum Berufsbetreuer mit den Aufgabenkreisen Vermögenssorge, Wohnungsangelegenheiten, Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung , "Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Rentenund Sozialleistungsträgern" sowie "Vertretung in gerichtlichen Verfahren" be- stellt. Für die beiden letztgenannten Aufgabenkreise wurde zudem ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet.
3
Das Amtsgericht hat die Betreuung nach Einholung eines nervenärztlichen Sachverständigengutachtens und nach Anhörung des Betroffenen durch Beschluss vom 2. April 2014 dahingehend eingeschränkt, dass die Aufgabenkreise Wohnungsangelegenheiten und Aufenthaltsbestimmung entfallen; im Übrigen hat es die Betreuung - bei Aufrechterhaltung des bestehenden Einwilligungsvorbehalts - verlängert. Auf die gegen die Verlängerung der Betreuung gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat das Amtsgericht die Betreuung weiter eingeschränkt und durch Beschluss vom 25. April 2014 den Aufgabenkreis der Gesundheitssorge entfallen lassen. Die weitergehende Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde.

II.

4
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
5
1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dass bei dem Betroffenen nach dem überzeugenden Gutachten des Sachverständigen Dr. S. eine affektive Psychose in Form einer Manie bestehe. Für diese Störung seien insbesondere die bei dem Betroffenen vorliegenden Größenideen mit Realitätsverlust typisch. Aufgrund der teilweisen Realitätsverkennung sei der Betroffene wohl nicht in der Lage, seine finanziellen und schriftlichen Angelegenheiten selbst zu besorgen, woraus zweifelsfrei eine Be- treuungsbedürftigkeit für die Aufgabenbereiche Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialversicherungsträgern sowie "Erledigung des Postverkehrs" erwachse. Es lägen keine konkreten Anhaltspunkte vor, die geeignet seien, die gutachterliche Diagnose und Einschätzung in Frage zu stellen, zumal das aktuelle Gutachten durchaus mit dem Ergebnis der Vorgutachten des Landgerichtsarztes R. aus den Jahren 2006 und 2007 in Einklang zu bringen sei. Dem Anliegen des Betroffenen, den Aufgabenkreis der Gesundheitssorge entfallen zu lassen, habe bereits das Amtsgericht entsprochen. Letztlich widerspreche der Betroffene der angenommenen Betreuungsbedürftigkeit auch gar nicht, denn er selbst führe an, dass er einen Rechtsbeistand bis zur Erledigung der eingebrachten "Probleme" benötige.
6
2. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
7
a) Nach § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB darf ein Betreuer nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Dieser Grundsatz verlangt für die Bestellung eines Betreuers die konkrete tatrichterliche Feststellung, dass sie - auch unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit - notwendig ist, weil der Betroffene auf entsprechende Hilfen angewiesen ist und weniger einschneidende Maßnahmen nicht in Betracht kommen. Die Erforderlichkeit einer Betreuung darf sich dabei nicht allein aus der subjektiven Unfähigkeit des Betroffenen ergeben, seine Angelegenheiten selbst regeln zu können (Betreuungsbedürftigkeit). Hinzutreten muss ein konkreter Bedarf für die Bestellung eines Betreuers. Ob und für welche Aufgabenbereiche ein objektiver Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen (vgl. Senatsbeschluss vom 6. Juli 2011 - XII ZB 80/11 - FamRZ 2011, 1391 Rn. 9 mwN).
8
Gemessen daran kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben. Das Beschwerdegericht hat die fortbestehende Erforderlichkeit der Be- treuung nur aus seinen Erwägungen zur Betreuungsbedürftigkeit hergeleitet. Dagegen hat es keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen, dass in der gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen ein objektiver Bedarf für die Aufrechterhaltung einer Betreuung mit den Aufgabenkreisen der Vermögenssorge und der Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern sowie der Vertretung in gerichtlichen Verfahren besteht.
9
aa) Auch im Bereich der Vermögenssorge kann die Erforderlichkeit der Betreuung nicht allein mit der subjektiven Unfähigkeit des Betreuten begründet werden, seine diesbezüglichen Angelegenheiten selbst zu regeln (Senatsbeschluss vom 6. Juli 2011 - XII ZB 80/11 - FamRZ 2011, 1391 Rn. 9). Vielmehr muss aufgrund konkreter tatrichterlicher Feststellungen die gegenwärtige Gefahr begründet sein, dass der Betreute einen Schaden erleidet, wenn man ihm die Erledigung seiner vermögensrechtlichen Angelegenheiten eigenverantwortlich selbst überließe. Dabei ist das Vorliegen eines aktuellen Handlungsbedarfs zugunsten des Vermögens des Betreuten nicht zwingend erforderlich; es genügt , dass dieser Bedarf jederzeit auftreten kann und für diesen Fall die begründete Besorgnis besteht, dass ohne die Einrichtung einer Betreuung nicht das Notwendige veranlasst wird (BayObLG FamRZ 1995, 117; BayObLG FamRZ 1997, 902, 903; MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1896 Rn. 112; Jürgens Betreuungsrecht 5. Aufl. § 1896 Rn. 22). Demgegenüber lässt sich die Erforderlichkeit der Vermögensbetreuung nicht aus bloßen Zweckmäßigkeitserwägungen herleiten (Senatsbeschluss vom 30. Mai 2012 - XII ZB 59/12 - FamRZ 2012, 1365 Rn. 10).
10
Der Betroffene ist nach Aktenlage vermögenslos und verfügt aus einer Altersrente und Wohngeld über laufende Einkünfte in monatlicher Höhe von rund 750 €; er hat alte Darlehens- und Mietschulden, auf die angesichts der geringen Höhe seines Einkommens keine Tilgungsleistungen erbracht werden können. Das Beschwerdegericht hat bislang keine konkreten Tatsachen festgestellt , die beispielsweise die Schlussfolgerung rechtfertigen könnten, dass dem Betroffenen ohne die Unterstützung des Betreuers eine weitere Verschuldung oder infolge krankheitsbedingt unangepasster wirtschaftlicher Dispositionen eine Gefährdung seines elementaren Lebensbedarfs droht.
11
bb) Auch die Einrichtung einer Betreuung mit den Aufgabenkreisen der "Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern" sowie der "Vertretung in gerichtlichen Verfahren" kann für sich genommen keinen Bestand haben. Soweit mit der Bestimmung einessolchen Aufgabenkreises nicht lediglich eine an sich entbehrliche, aber nicht schädliche Klarstellung der sich aus § 1902 Abs. 1 BGB ergebenden Vertretungsberechtigung des Betreuers im Rahmen eines weiteren ihm übertragenen Aufgabenkreises - hier der Vermögenssorge - beabsichtigt ist, muss regelmäßig ein konkreter Bezug zu einer bestimmten Angelegenheit oder einem bestimmten behördlichen oder gerichtlichen Verfahren hergestellt werden, für den die Notwendigkeit der Bestellung eines Betreuers besteht. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Betreute krankheitsbedingt dazu neigt, sich durch das Betreiben einer Vielzahl von sinnlosen Verfahren zu schädigen (KG FamRZ 2008, 919, 920; OLG Brandenburg FamRZ 2012, 1166, 1167; MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1896 Rn. 116; Jürgens Betreuungsrecht 5. Aufl. § 1896 Rn. 26). Das Beschwerdegericht hat nicht festgestellt, dass diese Besorgnis derzeit begründet wäre.
12
b) Hat das Beschwerdegericht hiernach die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge oder dem (isolierten) Aufgabenkreis der "Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen , Renten- und Sozialleistungsträgern" bzw. der "Vertretung in gerichtlichen Verfahren" nicht ausreichend festgestellt, kann die Anordnung des Einwilli- gungsvorbehalts nach § 1903 Abs. 1 BGB schon deshalb nicht bestehen bleiben , weil dieser die wirksame Einrichtung einer Betreuung im betreffenden Aufgabenkreis voraussetzt (Senatsbeschluss vom 6. Juli 2011 - XII ZB 80/11 - FamRZ 2011, 1391 Rn. 15).
13
3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.
Dose Klinkhammer Günter Botur Guhling
Vorinstanzen:
AG Straubing, Entscheidung vom 02.04.2014 - XVII 206/09 -
LG Regensburg, Entscheidung vom 03.06.2014 - 5 T 182/14 -
12
a) Nach § 1908 d BGB ist die Betreuung aufzuheben, sobald die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers entfallen. Hierfür genügt es, wenn eines der die Betreuung begründenden Tatbestandsmerkmale des § 1896 BGB weggefallen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 18. November 2015 - XII ZB 16/15 - FamRZ 2016, 291 Rn. 8 mwN). Bei seiner Prüfung, ob dies hinsichtlich der für den Betroffenen angeordneten Betreuung zu bejahen ist, geht das Landgericht im Ausgangspunkt zutreffend davon aus, dass eine Betreuung für den angeordneten Aufgabenkreis gemäß § 1896 Abs. 2 BGB erforderlich sein muss. Für welche Aufgabenkreise ein Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten , gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen. Dabei genügt es, wenn ein Handlungsbedarf in dem betreffenden Aufgabenkreis jederzeit auftreten kann (Senatsbeschlüsse vom 22. März 2017 - XII ZB 260/16 - FamRZ 2017, 995 Rn. 7 und vom 6. Juli 2016 - XII ZB 131/16 - FamRZ 2016, 1668 Rn. 14 mwN).

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.

(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.

(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.