Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Okt. 2016 - XII ZB 331/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:191016BXIIZB331.16.0
19.10.2016
vorgehend
Amtsgericht Düsseldorf, 98 XVII 146/15 I, 18.02.2016
Landgericht Düsseldorf, 25 T 370/16, 08.06.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 331/16
vom
19. Oktober 2016
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
In einer Betreuungssache ist dem Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen die
Teilnahme an dem Anhörungstermin zu ermöglichen (im Anschluss an Senatsbeschluss
vom 9. November 2011 - XII ZB 286/11 - FamRZ 2012, 104).
BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2016 - XII ZB 331/16 - LG Düsseldorf
AG Düsseldorf
ECLI:DE:BGH:2016:191016BXIIZB331.16.0

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Oktober 2016 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richter Dr. Günter, Dr. Nedden-Boeger und Guhling und die Richterin Dr. Krüger
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 25. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 8. Juni 2016 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens , an das Landgericht zurückverwiesen. Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei. Beschwerdewert: 5.000 €

Gründe:

I.

1
Der 58jährige Betroffene leidet nach dem Inhalt des vom Amtsgericht eingeholten Sachverständigengutachtens an einer paranoiden Schizophrenie mit ausgeprägten Wahnvorstellungen.
2
Das Amtsgericht hat eine Betreuung für die Aufgabenkreise der Aufenthaltsbestimmung , Entscheidung über Unterbringung, Gesundheitsfürsorge, Regelung des Postverkehrs, Vermögensangelegenheiten, Vertretung gegenüber Behörden und Wohnungsangelegenheiten eingerichtet und die Beteiligte zu 1 als Berufsbetreuerin sowie die Beteiligte zu 2 als Ersatzbetreuerin bestimmt. Das Landgericht hat die Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich seine Rechtsbeschwerde.

II.

3
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
4
1. Das Landgericht hat ausgeführt, dass der Betroffene aufgrund seiner psychischen Erkrankung nicht in der Lage sei, seine Angelegenheiten selbständig zu regeln. Zur freien Willensbildung sei er nicht in der Lage. Die Betreuung sei auch erforderlich; insbesondere könnten die Angelegenheiten in den genannten Aufgabenkreisen nicht ebenso gut wie durch einen Betreuer durch andere Hilfen besorgt werden. Eine persönliche Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren sei nicht erforderlich, da diese in erster Instanz erfolgt sei und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten seien.
5
2. Wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt, leidet das Verfahren unter einem schwerwiegenden Verfahrensfehler.
6
a) Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurde und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind. Im Beschwerdeverfahren kann allerdings nicht von einer Wiederholung solcher Verfahrenshandlungen abgesehen werden, bei denen das Gericht des ersten Rechtszugs zwingende Verfahrensvorschriften verletzt hat. In diesem Fall muss das Beschwerdegericht, vorbehaltlich der Möglichkeiten nach § 69 Abs. 1 Satz 2 und 3 FamFG, den betreffenden Teil des Verfahrens nachholen oder das gesamte Verfahren wiederholen (vgl. zur Unterbringung Senatsbeschluss vom 10. Februar 2016 - XII ZB 478/15 - FamRZ 2016, 802 Rn. 10 mwN).
7
b) Ist der Betroffene wie hier durch einen Rechtsanwalt als Verfahrensbevollmächtigten vertreten, muss diesem Gelegenheit gegeben werden, an der Anhörung teilzunehmen (Senatsbeschluss vom 9. November 2011 - XII ZB 286/11 - FamRZ 2012, 104 Rn. 25 mwN). Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Der Betroffene ist zwar im ersten Rechtszug in seiner Wohnung angehört worden. Das geschah jedoch unangekündigt und ohne den Verfahrensbevollmächtigten von dem Anhörungstermin zu unterrichten und ihm die Teilnahme daran zu ermöglichen.
8
3. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da er die erforderliche erneute Anhörung nicht selbst durchführen kann.
Dose Günter Nedden-Boeger Guhling Krüger

Vorinstanzen:
AG Düsseldorf, Entscheidung vom 18.02.2016 - 98 XVII 146/15 I -
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 08.06.2016 - 25 T 370/16 -

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(1) Das Beschwerdegericht hat in der Sache selbst zu entscheiden. Es darf die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens nur dann an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückverweisen, wenn dieses in der Sache noch nicht en

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(1) Hält das Gericht, dessen Beschluss angefochten wird, die Beschwerde für begründet, hat es ihr abzuhelfen; anderenfalls ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Das Gericht ist zur Abhilfe nicht befugt, wenn die Beschwerde sich gegen eine Endentscheidung in einer Familiensache richtet.

(2) Das Beschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Beschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(3) Das Beschwerdeverfahren bestimmt sich im Übrigen nach den Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug. Das Beschwerdegericht kann von der Durchführung eines Termins, einer mündlichen Verhandlung oder einzelner Verfahrenshandlungen absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind.

(4) Das Beschwerdegericht kann die Beschwerde durch Beschluss einem seiner Mitglieder zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen; § 526 der Zivilprozessordnung gilt mit der Maßgabe entsprechend, dass eine Übertragung auf einen Richter auf Probe ausgeschlossen ist. Zudem kann das Beschwerdegericht die persönliche Anhörung des Kindes durch Beschluss einem seiner Mitglieder als beauftragtem Richter übertragen, wenn es dies aus Gründen des Kindeswohls für sachgerecht hält oder das Kind offensichtlich nicht in der Lage ist, seine Neigungen und seinen Willen kundzutun. Gleiches gilt für die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks von dem Kind.

(5) Absatz 3 Satz 2 und Absatz 4 Satz 1 finden keine Anwendung, wenn die Beschwerde ein Hauptsacheverfahren betrifft, in dem eine der folgenden Entscheidungen in Betracht kommt:

1.
die teilweise oder vollständige Entziehung der Personensorge nach den §§ 1666 und 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuchs,
2.
der Ausschluss des Umgangsrechts nach § 1684 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder
3.
eine Verbleibensanordnung nach § 1632 Absatz 4 oder § 1682 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

(1) Das Beschwerdegericht hat in der Sache selbst zu entscheiden. Es darf die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens nur dann an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückverweisen, wenn dieses in der Sache noch nicht entschieden hat. Das Gleiche gilt, soweit das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und zur Entscheidung eine umfangreiche oder aufwändige Beweiserhebung notwendig wäre und ein Beteiligter die Zurückverweisung beantragt. Das Gericht des ersten Rechtszugs hat die rechtliche Beurteilung, die das Beschwerdegericht der Aufhebung zugrunde gelegt hat, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Der Beschluss des Beschwerdegerichts ist zu begründen.

(3) Für die Beschwerdeentscheidung gelten im Übrigen die Vorschriften über den Beschluss im ersten Rechtszug entsprechend.

10
aa) Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG auch in einem Unterbringungsverfahren dem Beschwerdegericht die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen, etwa wenn die erstinstanzliche Anhörung des Betroffenen nur kurze Zeit zurückliegt, sich nach dem Akteninhalt keine neuen entscheidungserheblichen Tatsachen oder rechtliche Gesichtspunkte ergeben, das Beschwerdegericht das in den Akten dokumentierte Ergebnis der erstinstanzlichen Anhörung nicht abweichend werten will und es auf den persönlichen Eindruck des Gerichts von dem Betroffenen nicht ankommt. Im Be- schwerdeverfahren kann allerdings nicht von einer Wiederholung solcher Verfahrenshandlungen abgesehen werden, bei denen das Gericht des ersten Rechtszugs zwingende Verfahrensvorschriften verletzt hat. In diesem Fall muss das Beschwerdegericht, vorbehaltlich der Möglichkeiten nach § 69 Abs. 1 Satz 2 und 3 FamFG, den betreffenden Teil des Verfahrens nachholen oder das gesamte Verfahren wiederholen. Die Anhörung des Betroffenen in Unterbringungsverfahren nach § 319 Abs. 1 FamFG dient der Verwirklichung der in Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG garantierten Rechte eines Betroffenen in Freiheitsentziehungssachen. Die Anhörung des Betroffenen nach § 319 Abs. 1 FamFG vor der Entscheidung über die Unterbringung gehört zu den wesentlichen Förmlichkeiten i.S.v. Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG. Verfahrensfehler bei der Durchführung der Anhörung verletzen den Betroffenen deshalb nicht nur in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG, sondern auch in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. Senatsbeschluss vom 2. März 2011 - XII ZB 346/10 - FamRZ 2011, 805 Rn. 13 f. mwN).