Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Juli 2017 - XII ZB 183/17

ECLI: ECLI:DE:BGH:2017:190717BXIIZB183.17.0
published on 19/07/2017 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Juli 2017 - XII ZB 183/17
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Amtsgericht Backnang, 1 XVII 311/16, 05/01/2017
Landgericht Stuttgart, 19 T 48/17, 10/03/2017

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 183/17
vom
19. Juli 2017
in der Unterbringungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Das in einem Unterbringungsverfahren eingeholte Gutachten ist mit seinem
vollen Wortlaut grundsätzlich auch dem Betroffenen persönlich im Hinblick auf
dessen Verfahrensfähigkeit zur Verfügung zu stellen (im Anschluss an Senatsbeschluss
vom 22. März 2017 - XII ZB 358/16 - FamRZ 2017, 996).
BGH, Beschluss vom 19. Juli 2017 - XII ZB 183/17 - LG Stuttgart
AG Backnang
ECLI:DE:BGH:2017:190717BXIIZB183.17.0

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Juli 2017 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Prof. Dr. Klinkhammer, Schilling, Dr. Nedden-Boeger und Guhling
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 19. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 10. März 2017 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I.

1
Der Betroffene wendet sich gegen die Genehmigung seiner geschlossenen Unterbringung.
2
Nachdem der Beteiligte zu 1, der für den Betroffenen im Wege der einstweiligen Anordnung zum Betreuer bestellt worden ist, die Genehmigung der Unterbringung des Betroffenen beantragt hatte, hat das Amtsgericht ein Sachverständigengutachten eingeholt. Der Sachverständige ist in seinem Gutachten vom 14. Dezember 2016 zu dem Schluss gelangt, dass der Betroffene unter anderem an einer schizoaffektiven Psychose leide. Das Amtsgericht hat die Unterbringung durch den Betreuer bis zum 5. Januar 2018 genehmigt. Das Land- gericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.

II.

3
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht. Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde, dass die Entscheidung verfahrensfehlerhaft ergangen ist, weil das vom Amtsgericht im Unterbringungsverfahren eingeholte Sachverständigengutachten dem Betroffenen nicht übersandt worden ist.
4
1. Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Entscheidungsgrundlage setzt gemäß § 37 Abs. 2 FamFG voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Insoweit ist das Gutachten mit seinem vollen Wortlaut grundsätzlich auch dem Betroffenen persönlich im Hinblick auf dessen Verfahrensfähigkeit (§ 316 FamFG) zur Verfügung zu stellen. Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 288 Abs. 1 FamFG abgesehen werden (Senatsbeschlüsse vom 22. März 2017 - XII ZB 358/16 - FamRZ 2017, 996 Rn. 15 und vom 7. August 2013 - XII ZB 691/12 - FamRZ 2013, 1725 Rn. 11 mwN).
5
2. Diesen Anforderungen wird das vorliegende Verfahren nicht gerecht.
6
Aus der Verfügung des Amtsgerichts vom 23. Dezember 2016 ergibt sich, dass das Sachverständigengutachten vom 14. Dezember 2016 lediglich an den Betreuer und den Verfahrenspfleger übersandt worden ist. Demgemäß hat der Betroffene in der Anhörung vor dem Landgericht ausgeführt, dass ihm das Sachverständigengutachten vom 14. Dezember 2016 nicht bekannt sei.
Zwar haben der Betreuer sowie die getrennt lebende Ehefrau des Betroffenen ausgeführt, dass mit dem Betroffenen über das Gutachten gesprochen worden sei. Das genügt indes nicht, um dem Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör gerecht zu werden. Da auch keine Gründe i.S.d. § 325 Abs. 1 FamFG festgestellt worden sind, wonach das Gutachten dem Betroffenen nicht hätte in vollem Wortlaut übergeben werden dürfen, war das Gericht von dieser Verpflichtung nicht entbunden.
7
Die Entscheidung beruht auf diesem Fehler, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich der Betroffene nach voller Kenntnis des Sachverständigengutachtens anders eingelassen und das Landgericht daraufhin eine andere Entscheidung getroffen hätte. Daran ändern auch die Ausführungen in dem landgerichtlichen Beschluss nichts, denen zufolge diese "psychiatrische Diagnose" von dem im Betreuungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten vom 23. Januar 2017 "auch getragen" wird. Zum einen ist nicht ersichtlich, dass dieses Gutachten ordnungsgemäß in das Verfahren eingeführt worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 5. Oktober 2016 - XII ZB 152/16 - FamRZ 2017, 48 Rn. 7 f.). Aus den Akten ergibt sich zudem, dass das besagte Gutachten, das der Betreuer im Beschwerdeverfahren an das Landgericht gesandt hat, lediglich zu den Akten genommen worden ist. Weder findet sich eine Übersendungsverfügung an die Beteiligten des Unterbringungsverfahrens, noch ist das zweite Gutachten in der Anhörung vor dem Landgericht thematisiert worden. Zum anderen zieht das Landgericht das zweite Gutachten nur für die Diagnose heran, nicht aber für die übrigen, im Beweisbeschluss des Amtsgerichts aufgeworfenen Fragen, wie etwa die Erforderlichkeit der Unterbringung und das Vorliegen eines freien Willens.
8
3. Gemäß § 74 Abs. 5 und 6 Satz 2 FamFG ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen.
Dose Klinkhammer Schilling Nedden-Boeger Guhling
Vorinstanzen:
AG Backnang, Entscheidung vom 05.01.2017 - 1 XVII 311/16 -
LG Stuttgart, Entscheidung vom 10.03.2017 - 19 T 48/17 -
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(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem gesamten Inhalt des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. (2) Das Gericht darf eine Entscheidung, die die Rechte eines Beteiligten beeinträchtigt, nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützen
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published on 07/08/2013 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS XII ZB 691/12 vom 7. August 2013 in der Unterbringungssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja FamFG §§ 37 Abs. 2, 62, 319 Abs. 1, 321 Abs. 1 Satz 1 a) Der Gutachter muss schon vor der Untersuchu
published on 22/03/2017 00:00

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(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem gesamten Inhalt des Verfahrens gewonnenen Überzeugung.

(2) Das Gericht darf eine Entscheidung, die die Rechte eines Beteiligten beeinträchtigt, nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützen, zu denen dieser Beteiligte sich äußern konnte.

In Unterbringungssachen ist der Betroffene ohne Rücksicht auf seine Geschäftsfähigkeit verfahrensfähig.

(1) Von der Bekanntgabe der Gründe eines Beschlusses an den Betroffenen kann abgesehen werden, wenn dies nach ärztlichem Zeugnis erforderlich ist, um erhebliche Nachteile für seine Gesundheit zu vermeiden.

(2) Das Gericht hat der zuständigen Behörde den Beschluss über die Bestellung eines Betreuers oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts oder Beschlüsse über Umfang, Inhalt oder Bestand einer solchen Maßnahme stets bekannt zu geben. Andere Beschlüsse sind der zuständigen Behörde bekannt zu geben, wenn sie vor deren Erlass angehört wurde.

(1) Von der Bekanntgabe der Gründe eines Beschlusses an den Betroffenen kann abgesehen werden, wenn dies nach ärztlichem Zeugnis erforderlich ist, um erhebliche Nachteile für seine Gesundheit zu vermeiden.

(2) Der Beschluss, durch den eine Unterbringungsmaßnahme genehmigt oder angeordnet wird, ist auch dem Leiter der Einrichtung, in der der Betroffene untergebracht werden soll, bekannt zu geben. Das Gericht hat der zuständigen Behörde die Entscheidung, durch die eine Unterbringungsmaßnahme genehmigt, angeordnet oder aufgehoben wird, bekannt zu geben.

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.

(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.

(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.