Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Aug. 2014 - XII ZB 179/14
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Der Betroffene begehrt die Aufhebung seiner Betreuung.
- 2
- Für den Betroffenen besteht eine Betreuung für die Aufgabenbereiche Besorgung der Rechtsangelegenheiten vor Gerichten, Vertretung vor Behörden (einschließlich der Beantragung von ARGE-Leistungen), Wohnungsangelegenheiten und Eröffnung eines Bankkontos. Für sämtliche Aufgabenkreise ist ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet.
- 3
- Das Amtsgericht hat den Antrag des Betroffenen, die Betreuung aufzuheben , zurückgewiesen und die Betreuung zugleich um den Aufgabenkreis Verfügungen über das Bankkonto des Betroffenen bei der Stadtsparkasse (…) erweitert. Das Landgericht hat die Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich dieser mit seiner Rechtsbeschwerde.
II.
- 4
- Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
- 5
- 1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Sachverständige habe in seinem Gutachten überzeugend dargelegt, dass der Betroffene an einer paranoiden Psychose leide und in den angeordneten Aufgabenkreisen einer Betreuung bedürfe, die auch gegen den Willen des Betroffenen angeordnet werden könne, da eine Bestimmbarkeit des Willens durch vernünftige Erwägungen bei dem Betroffenen krankheitsbedingt ausgeschlossen sei. Zudem belegten die zahlreichen und überwiegend unverständlichen Eingaben des Betroffenen eindrucksvoll dessen Betreuungsbedürftigkeit.
- 6
- Ebenso habe das Amtsgericht zu Recht den Aufgabenkreis erweitert und dem Betreuer die Befugnis eingeräumt, Verfügungen über das Bankkonto des Betroffenen zu treffen.
- 7
- 2. Die angegriffene Entscheidung hält der Verfahrensrüge der Rechtsbeschwerde nicht stand. Das Landgericht hätte das Gutachten seiner Entscheidung nicht zugrunde legen dürfen, weil der Sachverständige den Betroffenen nicht persönlich untersucht hat.
- 8
- a) Für das Aufhebungsverfahren gelten die §§ 278 Abs. 1, 280 FamFG, die die persönliche Anhörung des Betroffenen und die Einholung eines Sachverständigengutachtens vorschreiben, nicht. Es verbleibt insoweit bei den allgemeinen Verfahrensregeln und damit bei den Grundsätzen der Amtsermittlung (Senatsbeschluss vom 2. Februar 2011 - XII ZB 467/10 - FamRZ 2011, 556 Rn. 9 f.).
- 9
- Zwar ist danach die Einholung eines Sachverständigengutachtens im Aufhebungsverfahren nicht obligatorisch. Wenn aber ein Sachverständigengutachten - wie hier - eingeholt wird und das Gericht seine Entscheidung darauf stützt, so muss dieses den formalen Anforderungen des § 280 FamFG genügen (Senatsbeschluss vom 9. November 2011 - XII ZB 286/11 - FamRZ 2012, 104 Rn. 15 f.).
- 10
- Gemäß § 280 Abs. 2 Satz 1 FamFG hat der Sachverständige den Betroffenen vor der Erstattung des Gutachtens persönlich zu untersuchen oder zu befragen (s. auch BT-Drucks. 16/6308 S. 267). Ein ohne die erforderliche persönliche Untersuchung erstattetes Sachverständigengutachten ist grundsätzlich nicht verwertbar (Keidel/Budde FamFG 18. Aufl. § 280 Rn. 16 mwN).
- 11
- Die Weigerung des Betroffenen, einen Kontakt mit dem Sachverständigen zuzulassen, ist kein hinreichender Grund, von einer persönlichen Untersuchung durch den Sachverständigen abzusehen (Keidel/Budde FamFG 18. Aufl. § 280 Rn. 18 mwN). Wirkt der Betroffene an einer Begutachtung nicht mit, so kann das Gericht gemäß § 283 Abs. 1 und Abs. 3 FamFG seine Vorführung anordnen (Senatsbeschluss vom 17. Oktober 2012 - XII ZB 181/12 - FamRZ 2013, 31 Rn. 18; BT-Drucks. 16/6308 S. 268).
- 12
- b) Diesen Anforderungen wird die Entscheidung des Landgerichts nicht gerecht.
- 13
- Wie das Amtsgericht im Einzelnen dargelegt hat, hat der Sachverständige den Betroffenen nicht persönlich untersucht. Zwar führt das Amtsgericht aus, nach den Darlegungen des Sachverständigen böten die Vielzahl der zur Akte gelangten Schreiben des Betroffenen eine ausreichende Basis für die Diagnose und zur Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens. Dies vermag gleichwohl die persönliche Untersuchung des Betroffenen nicht zu ersetzen. Das Amtsgericht hätte deswegen erwägen müssen, den Betroffenen zur gutachterlichen Untersuchung vorführen zu lassen. Dabei hängt die Erstattung des Gutachtens im Ergebnis nicht davon ab, dass ein verbaler Kontakt zwischen dem Betroffenen und dem Sachverständigen hergestellt werden kann. Der Sachverständige ist nicht gehindert, im Fall einer durch den Betroffenen verweigerten Kommunikation aus dessen Gesamtverhalten in Verbindung mit anderen Erkenntnissen Schlüsse auf ein bestimmtes Krankheitsbild zu ziehen (Keidel/Budde FamFG 18. Aufl. § 280 Rn. 19).
- 14
- c) Soweit es die vom Amtsgericht vorgenommene und vom Landgericht bestätigte Erweiterung der Betreuung gemäß § 293 FamFG anbelangt, kann diese schon deshalb keinen Bestand haben, weil die Instanzgerichte den Antrag des Betroffenen auf Aufhebung der Betreuung auf verfahrensfehlerhafte Weise zurückgewiesen haben und damit noch nicht abschließend darüber befunden ist, ob die Betreuung dem Grunde nach überhaupt bestehen bleiben kann. Unbeschadet der Fragen, ob es sich um eine wesentliche Erweiterung des Aufgabenkreises des Betreuers im Sinne von § 293 FamFG handelt und ob deshalb die Einholung eines Sachverständigengutachtens gemäß § 293 Abs. 1 FamFG obligatorisch ist, hat das Beschwerdegericht seine Entscheidung hinsichtlich der Betreuungserweiterung überdies ersichtlich auch auf das - verfahrensfehlerhaft zustande gekommene - Sachverständigengutachten gestützt , weshalb sie auch deshalb keinen Bestand haben kann.
- 15
- 3. Der Senat kann nicht abschließend in der Sache entscheiden, weil noch weitere Ermittlungen anzustellen sind. Deshalb ist der Beschluss aufzuheben und die Sache zur weiteren Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG.
- 16
- Nach Zurückverweisung und der gebotenen Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens wird das Beschwerdegericht auch unter Berücksichtigung des Zeitablaufs die Notwendigkeit einer persönlichen Anhörung des Betroffenen zu überprüfen haben. Sollte der Betroffene nicht zu einem anberaumten Anhörungstermin erscheinen, kann das Beschwerdegericht dessen Vorführung anordnen, vorausgesetzt sie steht nicht außer Verhältnis zum Verfahrensgegenstand (Senatsbeschluss vom 2. Juli 2014 - XII ZB 120/14 - juris Rn. 15 f.).
- 17
- Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung , zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG). Klinkhammer Schilling Nedden-Boeger Botur Guhling
AG Düsseldorf, Entscheidung vom 20.01.2014 - 97 XVII M 853 -
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 26.03.2014 - 25 T 70/14 -
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Annotations
(1) Vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts hat eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden. Der Sachverständige soll Arzt für Psychiatrie oder Arzt mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie sein.
(2) Der Sachverständige hat den Betroffenen vor der Erstattung des Gutachtens persönlich zu untersuchen oder zu befragen. Das Ergebnis einer Anhörung nach § 279 Absatz 2 Satz 2 hat der Sachverständige zu berücksichtigen, wenn es ihm bei Erstellung seines Gutachtens vorliegt.
(3) Das Gutachten hat sich auf folgende Bereiche zu erstrecken:
- 1.
das Krankheits- oder Behinderungsbild einschließlich dessen Entwicklung, - 2.
die durchgeführten Untersuchungen und die diesen zugrunde gelegten Forschungserkenntnisse, - 3.
den körperlichen und psychischen Zustand des Betroffenen, - 4.
den aus medizinischer Sicht aufgrund der Krankheit oder Behinderung erforderlichen Unterstützungsbedarf und - 5.
die voraussichtliche Dauer der Maßnahme.
(1) Das Gericht kann anordnen, dass der Betroffene zur Vorbereitung eines Gutachtens untersucht und durch die zuständige Behörde zu einer Untersuchung vorgeführt wird. Der Betroffene soll vorher persönlich angehört werden.
(2) Gewalt darf die Behörde nur anwenden, wenn das Gericht dies ausdrücklich angeordnet hat. Die zuständige Behörde ist befugt, erforderlichenfalls die Unterstützung der polizeilichen Vollzugsorgane nachzusuchen.
(3) Die Wohnung des Betroffenen darf ohne dessen Einwilligung nur gewaltsam geöffnet, betreten und durchsucht werden, wenn das Gericht dies zu dessen Vorführung zur Untersuchung ausdrücklich angeordnet hat. Vor der Anordnung ist der Betroffene persönlich anzuhören. Bei Gefahr im Verzug kann die Anordnung durch die zuständige Behörde ohne vorherige Anhörung des Betroffenen erfolgen. Durch diese Regelung wird das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes eingeschränkt.
(1) Für die Erweiterung des Aufgabenkreises des Betreuers und die Erweiterung des Kreises der einwilligungsbedürftigen Willenserklärungen gelten die Vorschriften über die Anordnung dieser Maßnahmen entsprechend. Das Gericht hat die zuständige Behörde nur anzuhören, wenn es der Betroffene verlangt oder es zur Sachaufklärung erforderlich ist.
(2) Einer persönlichen Anhörung nach § 278 Abs. 1 sowie der Einholung eines Gutachtens oder ärztlichen Zeugnisses (§§ 280 und 281) bedarf es nicht,
- 1.
wenn diese Verfahrenshandlungen nicht länger als sechs Monate zurückliegen oder - 2.
die beabsichtigte Erweiterung nach Absatz 1 nicht wesentlich ist.
(3) Unbeschadet des Absatzes 2 kann das Gericht von der Einholung eines Gutachtens oder eines ärztlichen Zeugnisses absehen, wenn der Aufgabenkreis des Betreuers nicht aufgrund einer Änderung des Krankheits- oder Behinderungsbildes des Betroffenen, sondern aufgrund der Änderung seiner Lebensumstände oder einer unzureichenden Wirkung anderer Hilfen erweitert werden soll.
(4) Ist mit der Bestellung eines weiteren Betreuers nach § 1817 des Bürgerlichen Gesetzbuchs eine Erweiterung des Aufgabenkreises verbunden, gelten die Absätze 1 bis 3 entsprechend.
(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.
(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.
(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.
(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.