Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Sept. 2015 - VI ZR 418/14

bei uns veröffentlicht am29.09.2015
vorgehend
Landgericht Verden (Aller), 5 O 158/12, 06.03.2014
Oberlandesgericht Celle, 1 U 32/14, 06.10.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZR418/14
vom
29. September 2015
in dem Rechtsstreit
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. September 2015 durch
den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Stöhr und Offenloch und die
Richterinnen Dr. Oehler und Dr. Roloff

beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 6. Oktober 2014 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als ein Schadensersatzanspruch der Klägerin wegen einer Verletzung der Aufklärungspflicht verneint worden ist. Im Übrigen wird die Beschwerde der Klägerin zurückgewiesen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Gegenstandswert: 187.253,58 €

Gründe:

I.

1
Die Klägerin nimmt die Beklagten im Zusammenhang mit einer ChemoTherapie in der Gemeinschaftspraxis der Beklagten zu 1 in Anspruch. Im Rah- men des zweiten Chemo-Therapie-Zyklus am 5. Januar 2010 kam es zu einem sogenannten Paravasat. Es erfolgte bis zum 19. Januar 2010 eine Behandlung mit DMSO-Tropfen, welche die Klägerin zuhause durchführte. Sie stellte sich am 7. Januar, am 12. Januar, am 15. Januar und am 19. Januar bei den Beklagten zur ärztlichen Kontrolle vor. Am 12. Januar 2010 suchte sie auf Veranlassung der Beklagten einen Chirurgen auf, der keinen Handlungsbedarf sah. Am 19. Januar 2010 kam es zu einer handtellergroßen Epitheliolyse im Bereich des Paravasats. Deswegen wurde die DMSO-Behandlung beendet. Danach wurde die Chemo-Therapie am 26. Januar und 16. Februar 2010 fortgesetzt. Im weiteren Verlauf kam es zu einer Nekrose, wegen der die Klägerin zahlreiche Operationen über sich ergehen lassen musste und im Ergebnis beide Brüste entfernt wurden.
2
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe die Klägerin weder den Beweis geführt, dass den Beklagten ein Behandlungsfehler anzulasten sei, noch könne sie sich auf Ansprüche aus einer möglichen Aufklärungspflichtverletzung stützen.

II.

3
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht, soweit ein Schadensersatzanspruch der Klägerin wegen einer Verletzung der Aufklärungspflicht verneint worden ist.
4
1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. Insbesondere ist eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gegeben, wenn eine erforderliche Beweiserhebung nicht erfolgt und dies im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. Senat, Beschluss vom 12. Mai 2009 - VI ZR 275/08, VersR 2009, 1137 Rn. 2 mwN).
5
2. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats darf der Tatrichter Feststellungen darüber, wie sich ein Patient bei ausreichender Aufklärung entschieden hätte, und ob er in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, grundsätzlich nicht ohne persönliche Anhörung des Patienten treffen; ein Ausnahmefall kann vorliegen, wenn schon die unstreitigen äußeren Umstände eine sichere Beurteilung der hypothetischen Entscheidungssituation erlauben (vgl. Senat, Urteil vom 26. Juni 1990 - VI ZR 289/89 - VersR 1990, 1238, 1240; vom 1. Februar 2005 - VI ZR 174/03, VersR 2005, 694; vom 17. April 2007 - VI ZR 108/06, VersR 2007, 999, 1000; vom 30. September 2014 - VI ZR 443/13, VersR 2015, 196 Rn. 19).
6
Im Streitfall hat die Klägerin erstinstanzlich und mit der Berufung vorgetragen , sie sei über die Risiken der Chemo-Therapie nicht aufgeklärt worden, insbesondere auch über die letztlich ungenügenden personellen und medikamentösen Versorgungsmöglichkeiten der Beklagten im Fall einer Komplikation durch ein Paravasat. Wäre ihr dies alles vor Beginn der Chemo-Therapie erläutert worden, hätte sie eine Fachklinik aufgesucht, den Eingriff also nicht in der Praxis der Beklagten zu 1 vornehmen lassen. Das Landgericht und das Berufungsgericht haben offengelassen, ob die Klägerin im gebotenen Maße über das tatsächlich eingetretene Risiko eines Paravasats aufgeklärt wurde. Sie haben eine Haftung verneint, weil die Klägerin einen Entscheidungskonflikt nicht plausibel dargelegt habe. Eine Anhörung der Klägerin ist weder beim Landgericht noch beim Berufungsgericht erfolgt.
7
Das Vorbringen der Klägerin, sie hätte bei Kenntnis der Gefahren der Chemo-Therapie eine Fachklinik aufgesucht, ist als ausreichender Vortrag für einen Entscheidungskonflikt anzusehen, weil insoweit nur geringe Anforderungen an die Substantiierungspflicht des Patienten zu stellen sind. Insbesondere gilt dies im Hinblick darauf, dass das Präparat Savene nach den Ausführungen des Gerichtssachverständigen wegen der Kosten von ca. 12.000 € in Praxen als Notfallpräparat vermutlich nicht und auch nur in der Zentralapotheke der medizinischen Hochschule H. vorgehalten wird. Im Hinblick auf die möglichen schwerwiegenden Folgen eines Paravasats durfte die Plausibilität eines Entscheidungskonflikts unter diesen Umständen nicht ohne Anhörung der Klägerin verneint werden. Das Vorliegen eines Ausnahmefalls, auf den die Nichtzulassungsbeschwerdeerwiderung für das Absehen von der Anhörung abstellen will, hat das Berufungsgericht nicht angenommen und ist auch nicht gegeben. Es liegt mithin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor.
8
Hinsichtlich einer behaupteten fehlerhaften Behandlung war die Beschwerde zurückzuweisen, weil sie nicht aufzeigt, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbs. ZPO abgesehen. Galke Stöhr Offenloch Oehler Roloff
Vorinstanzen:
LG Verden, Entscheidung vom 06.03.2014 - 5 O 158/12 -
OLG Celle, Entscheidung vom 06.10.2014 - 1 U 32/14 -

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 543 Zulassungsrevision


(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie1.das Berufungsgericht in dem Urteil oder2.das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassungzugelassen hat. (2) Die Revision ist zuzulassen, wenn1.die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Zivilprozessordnung - ZPO | § 544 Nichtzulassungsbeschwerde


(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde). (2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn1.der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Eur

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(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).

(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder
2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.

(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.

(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.

(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.

(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.

(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.

(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

2
a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebotes verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. BVerfGE 50, 32, 35; 60, 247, 249; NJW 2003, 1655; BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2006 - IX ZR 173/03 - VersR 2007, 666; vom 12. Dezember 2007 - IV ZR 178/06 - VersR 2008, 483).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 174/03 Verkündet am:
1. Februar 2005
Böhringer-Mangold,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 823 Abs. 1 (Aa); § 847 Abs. 1 a.F.
Wenn der Patient im Arzthaftungsprozeß im einzelnen darlegt, warum er bei vollständiger
und richtiger Aufklärung hinsichtlich seiner Einwilligung in den ärztlichen
Eingriff in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, darf der Tatrichter in aller Regel
die Plausibilität dieses Vortrags nicht beurteilen, ohne den Patienten persönlich dazu
angehört zu haben. Der Tatrichter darf seine eigene Beurteilung des Konflikts nicht
an die Stelle derjenigen des Patienten setzen.
BGH, Urteil vom 1. Februar 2005 - VI ZR 174/03 - Thüringer OLG Jena
LG Meiningen
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 1. Februar 2005 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller, den Richter
Wellner, die Richterin Diederichsen und die Richter Stöhr und Zoll

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts Jena vom 4. Juni 2003 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen ärztlicher Behandlungsfehler und fehlerhafter Aufklärung auf Zahlung von Schmerzensgeld und Ersatz materiellen Schadens in Anspruch. Die Klägerin behauptet, seit der operativen Exzision einer Analfistel im Juni 1998 im Krankenhaus der Beklagten zu 1 durch den Beklagten zu 2 als Operateur an einer Inkontinenz II. Grades (unkontrollierter Abgang von Winden und dünnflüssigem Stuhl) zu leiden. Sie führt dies auf einen Behandlungsfehler bei der Operation zurück.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen: Zur Begründung hat es ausgeführt , dem Beklagten zu 2 sei kein ärztlicher Kunstfehler unterlaufen; aus einem vorliegenden Mangel der Aufklärung ergäben sich keine Ansprüche, weil die Klägerin der Operation auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung zugestimmt hätte. Das Berufungsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht verneint in Übereinstimmung mit dem Landgericht das Vorliegen eines Behandlungsfehlers. Das Landgericht habe sich insoweit auf das eingeholte Sachverständigengutachten stützen können. Die Voraussetzungen für Beweiserleichterungen zugunsten der Klägerin lägen nicht vor. Aus einem Aufklärungsfehler könne die Klägerin keine Ansprüche herleiten. Hier sei zwar nicht über alternative Behandlungsmethoden, wohl aber über das Risiko einer bleibenden Stuhlinkontinenz aufzuklären gewesen. Eine solche Aufklärung habe nach dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Zeugenvernehmung nicht stattgefunden. Die Beklagten hätten aber vorgetragen, daß die Klägerin auch bei korrekter Aufklärung in den Eingriff, wie er vorgenommen worden sei, eingewilligt hätte. Die gegenteilige Behauptung der Klägerin überzeuge nicht. Sie habe nicht vorgetragen, welche Erwägungen von ihr vorgenommen worden wären, wenn sie damit konfrontiert worden wäre, daß es bei der geplanten Operation ein Inkontinenzrisiko gebe. Angesichts dessen, daß eine Zustimmung nahegelegen habe, reiche die pauschale Behauptung einer Zustimmungsverweigerung nicht aus. Auch unter Berücksichtigung der vorlie-
genden Umstände, insbesondere der sensiblen Reaktion der Klägerin auf den Schaden, und der Tatsache, daß die Operation nur relativ indiziert gewesen sei, dränge sich eine Zustimmung der Klägerin auf. Von einer persönlichen Anhörung der Klägerin habe abgesehen werden können, weil die unstreitigen äußeren Umstände eine sichere Beurteilung der hypothetischen Entscheidungssituation erlaubten.

II.

Das Berufungsurteil hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. 1. Es ist bereits zweifelhaft, ob es den Anforderungen entspricht, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an den Inhalt eines Berufungsurteils zu stellen sind. Findet gegen ein Berufungsurteil die Nichtzulassungsbeschwerde statt, muß aus dem Urteil zu ersehen sein, von welchem Sach- und Streitstand das Gericht ausgegangen ist, welches Rechtsmittelbegehren die Parteien verfolgt haben und welche tatsächlichen Feststellungen der Entscheidung zugrunde liegen (vgl. Senatsurteile BGHZ 156, 216 ff.; vom 10. Februar 2004 - VI ZR 94/03 - VersR 2004, 881 f. und vom 28. September 2004 - VI ZR 362/03 - EBE/BGH 2004, BGH-Ls 979/04 (Leitsatz); ferner BGHZ 154, 99 ff; 158, 37 ff.; BGH, Urteile vom 6. Juni 2003 - V ZR 392/02 - NJW-RR 2003, 1290, 1291; vom 22. Dezember 2003 - VIII ZR 122/03 - NJW-RR 2004, 494; vom 13. Januar 2004 - XI ZR 5/03 - NJW-RR 2004, 573 f.; vom 6. Februar 2004 - V ZR 249/03 - NJW 2004, 1666, 1667). Gemessen an diesen Anforderungen liegt es nahe, die Mitteilung, daß "klageerweiternd eine erhöhte Schmerzensgeldrente begehrt" werde, als nicht ausreichend anzusehen, zumal sie unvollständig ist, weil die Klägerin in der Berufungsbegründung auch ihren Antrag
auf Rentenzahlung erhöht hat. Dem muß indes nicht weiter nachgegangen werden. 2. Das angefochtene Urteil kann jedenfalls deshalb keinen Bestand haben , weil seine Ausführungen zum Entscheidungskonflikt der Klägerin von Verfahrensfehlern beeinflußt sind. Feststellungen darüber, wie sich ein Patient bei ausreichender Aufklärung entschieden hätte, und ob er in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, darf der Tatrichter grundsätzlich nicht ohne persönliche Anhörung des Patienten treffen (vgl. Senatsurteile vom 26. Juni 1990 - VI ZR 289/89 - VersR 1990, 1238, 1240 = AHRS 6180/38; vom 11. Dezember 1990 - VI ZR 151/90 - VersR 1991, 315, 316 = AHRS 1050/49; vom 2. März 1993 - VI ZR 104/92 - VersR 1993, 749, 750 = AHRS 1050/104; vom 14. Juni 1994 - VI ZR 260/93 - VersR 1994, 1302 f. = AHRS 1050/128; vom 4. April 1995 - VI ZR 95/94 - VersR 1995, 1055, 1057 = AHRS 1050/144). Ein Ausnahmefall kann vorliegen, wenn schon die unstreitigen äußeren Umstände eine sichere Beurteilung der hypothetischen Entscheidungssituation erlauben. Der Auffassung des Berufungsgerichts , dies sei hier der Fall, vermag der erkennende Senat nicht zu folgen. Freilich trifft den Patienten die Verpflichtung, plausibel darzulegen, weshalb er aus seiner Sicht bei Kenntnis der aufklärungspflichtigen Umstände vor einem Entscheidungskonflikt gestanden hätte, ob er die ihm empfohlene Behandlung gleichwohl ablehnen solle (Senatsurteil vom 26. Juni 1990 - VI ZR 289/89 - aaO). Dieser Verpflichtung ist die Klägerin jedoch in dem Schriftsatz vom 7. Februar 2003 nachgekommen. Dort ist im einzelnen dargelegt , weshalb sie im Hinblick auf ihre bestehenden Beeinträchtigungen und in Anbetracht ihres bisherigen Lebenswegs ein Inkontinenzrisiko keineswegs ak-
zeptiert hätte. Diese Ausführungen genügen den Anforderungen, die der erkennende Senat an die Substantiierung des Vortrags des Patienten stellt (BGHZ 90, 103, 111 ff. = AHRS 1050/11). Von einer "pauschalen Behauptung einer Zustimmungsverweigerung" kann insoweit nicht die Rede sein. Bei dieser Sachlage durfte das Berufungsgericht nicht von der grundsätzlich gebotenen persönlichen Anhörung der Klägerin absehen, ohne in unzulässiger Weise seine eigene Beurteilung des Konflikts an die Stelle derjenigen der Klägerin zu setzen. Gerade angesichts der vom Berufungsgericht selbst angesprochenen besonderen Lebensgeschichte und Sensibilität der Klägerin bedarf es zum Erfassen ihrer besonderen persönlichen Situation und ihrer Einstellung eines persönlichen Eindrucks und konkreter Nachfragen.
Müller Wellner Diederichsen Stöhr Zoll

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 108/06 Verkündet am:
17. April 2007
B l u m,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Der Arzt hat den Patienten vor dem ersten Einsatz eines Medikaments, dessen
Wirksamkeit in der konkreten Behandlungssituation zunächst erprobt werden soll,
über dessen Risiken vollständig aufzuklären, damit der Patient entscheiden kann,
ob er in die Erprobung überhaupt einwilligen oder ob er wegen der möglichen Nebenwirkungen
darauf verzichten will.

b) Kann ein Patient zu der Frage, ob er bei zutreffender ärztlicher Aufklärung in einen
Entscheidungskonflikt geraten wäre, nicht persönlich angehört werden (hier: wegen
schwerer Hirnschäden), so hat das Gericht aufgrund einer umfassenden Würdigung
der Umstände des Einzelfalls festzustellen, ob der Patient aus nachvollziehbaren
Gründen in einen ernsthaften Entscheidungskonflikt geraten sein könnte.
BGH, Urteil vom 17. April 2007 - VI ZR 108/06 - OLG Braunschweig
LGGöttingen
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 17. April 2007 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller, den Richter Wellner,
die Richterin Diederichsen und die Richter Stöhr und Zoll

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 4. Mai 2006 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Klägerin nimmt die beklagte Universität wegen behaupteter ärztlicher Fehler in deren medizinischen Einrichtungen auf Zahlung von Schmerzensgeld, Ersatz materiellen Schadens und Feststellung in Anspruch. Der Klägerin wurde bei einer stationären Behandlung in der Universitätsklinik seit dem 22. März 2000 zur Behandlung einer Herzarrhythmie das Medikament Cordarex (Amiodaron ) verabreicht. Am 30. März 2000 erlitt sie in der Pause zwischen einer durchgeführten und einer geplanten Myokardszintigraphie einen Kreislaufstillstand. Dieser konnte zwar innerhalb von 10 Minuten nach der Entdeckung durch Reanimation beendet werden, führte jedoch zu schweren bleiben- den Hirnschäden. Die Klägerin wirft den behandelnden Ärzten der Beklagten Behandlungs- und Aufklärungsfehler vor.
2
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

3
Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist ein Behandlungsfehler der behandelnden Ärzte nicht festzustellen. Den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen sei zu entnehmen, dass die Behandlung mit Amiodaron (= Cordarex) indiziert gewesen sei, weil die vorherige Behandlung mit BetaBlockern zur symptomatischen Besserung bei erheblichem Leidensdruck und ansonsten nicht ausreichend behandelbarem Vorhofflimmern nicht angeschlagen habe. Eine Kontraindikation habe nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht vorgelegen.
4
Auch ein Aufklärungsfehler sei zu verneinen. Eine Aufklärungspflicht habe (noch) nicht bestanden. Das Medikament Cordarex (Amiodaron) sei nach den Ausführungen des Sachverständigen zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit Ursache für den bei der Klägerin eingetretenen Herzstillstand gewesen. Das Risiko eines Herzstillstandes sei aber durch den Wechsel des HerzrhythmusMedikaments von Propafenon auf Cordarex nicht gesteigert, sondern vielmehr gesenkt worden. Im Hinblick auf das Risiko des Eintritts eines Herzstillstandes seien die Ärzte der Beklagten daher nicht zu einer Einwilligungsaufklärung verpflichtet gewesen, da insoweit ein gesteigertes Risiko nicht vorgelegen habe.
5
Eine Aufklärungspflicht habe auch nicht hinsichtlich der sonstigen Risiken des Medikamentes Cordarex bestanden. Dabei sei nicht entscheidend, dass sich bei der Klägerin keines dieser Risken verwirklicht habe. Maßgeblich sei vielmehr, dass diese Risiken sich in dem erforderlichen Zeitraum der Erprobung zur Umstellung auf Cordarex - nämlich zehn Tage - gar nicht hätten verwirklichen können. Zumindest für diese Phase der therapeutischen Abklärung, ob ein Medikamentenwechsel sinnvoll sei, habe daher noch keine Aufklärungspflicht seitens der Beklagten bestanden. Solange in der Phase der Feststellung, ob das andere Medikament dem Patienten überhaupt helfe, eine Risikoerhöhung - wie hier - ausgeschlossen sei, fehle es an einem einwilligungsbedürftigen Eingriff. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten werde nicht beeinträchtigt. Allerdings habe vor Beginn einer Dauermedikamentierung die Aufklärung der Klägerin über die erst damit verbundenen Nebenwirkungsrisiken erfolgen müssen. Darauf komme es hier aber nicht an, da sich diese Frage nicht mehr gestellt habe.
6
Unterstelle man das Bestehen einer Aufklärungspflicht, so hafte die Beklagte nicht, weil die Cordarex-Gabe durch eine hypothetische Einwilligung der Klägerin gedeckt gewesen wäre. Einen Entscheidungskonflikt habe die Klägerin bereits nicht hinreichend dargelegt. Dass sie infolge ihrer erheblichen kognitiven Beeinträchtigung und spastischen Störung infolge des Hirnschadens zum Entscheidungskonflikt nicht persönlich angehört werden könne, gehe zu ihren Lasten. Die fehlende persönliche Anhörung werde auch nicht durch unstreitige oder aufklärbare streitige Umstände kompensiert. Zum Zeitpunkt der probeweisen Umstellung der Medikation ab 22. März 2000 auf Cordarex habe unstreitig festgestanden , dass bei der Klägerin eine absolute Tachyarrhythmie bestand, die sich als mit Beta-Blockern nicht behandelbar herausgestellt habe. Daraus, dass die Klägerin behaupte, sie habe zunächst nur die Verträglichkeit ihrer Herzmittel mit ihren nach dem Selbstmord ihres Mannes verordneten Antidepressiva bei der Beklagten abklären lassen wollen, lasse sich für ihre Entscheidungslage zum 22. März 2000 nichts ableiten. Vielmehr spreche der Umstand, dass sich die Klägerin um einen kompatiblen Zustand der Medikamente bemüht habe, eher dafür, dass sie sowohl ihre Depressionen als auch ihre Herzrhythmusstörungen grundsätzlich weiterhin habe behandeln lassen wollen. Ausreichende Anhaltspunkte für einen Entscheidungskonflikt fänden sich jedenfalls nicht.

II.

7
Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision, welche sich ausschließlich gegen die Verneinung der Haftung wegen eines Aufklärungsversäumnisses wenden, nicht stand.
8
1. Im Ansatz zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts. Der Arzt, der Medikamente, die sich als für die Behandlung der Beschwerden des Patienten ungeeignet erwiesen haben, durch ein anderes Medikament ersetzt, dessen Verabreichung für den Patienten mit dem Risiko erheblicher Nebenwirkungen verbunden ist, hat den Patienten zur Sicherung seines Selbstbestimmungsrechts über den beabsichtigten Einsatz des neuen Medikaments und dessen Risiken aufzuklären (sogenannte Eingriffs- oder Risikoaufklärung ). Tut er dies nicht, ist die Behandlung rechtswidrig, auch wenn der Einsatz des Medikaments an sich sachgerecht war (vgl. Senatsurteile BGHZ 162, 320, 323 f.; vom 27. Oktober 1981 - VI ZR 69/80 - VersR 1982, 147, 148 f. = AHRS 5100/5; vgl. auch für den Fall einer Routineimpfung Senatsurteil BGHZ 144, 1, 5). Das Berufungsgericht stellt fest, dass die Behandlung mit Cordarex mit einer Wahrscheinlichkeit von 35% nachteilige Nebenwirkungen im Bereich der Lunge, der Schilddrüse, der Augen und der Haut nach sich ziehe und dass Cordarex deshalb als Reservemedikament erst zum Einsatz kommen solle, wenn andere weniger riskante Mittel nicht anschlagen. Die Revision weist ergänzend darauf hin, dass es sich bei den zu befürchtenden Nebenwirkungen um Schilddrüsenfunktionsstörungen, schwere entzündliche Lungenerkrankungen und Leberschäden, periphere Neuropathien und/oder Myopathien sowie Augenschäden, und ferner um Erkrankungen des Blutes und des Lymphsystems , der Gefäße, des Gastrointestinaltrakts, der Haut, des Nervensystems, der Geschlechtsorgane und Brustdrüsen, der Nieren- und Harnwege sowie der Skelettmuskulatur und des Bindegewebes handele. Unter diesen Umständen bejaht das Berufungsgericht zutreffend eine grundsätzliche Aufklärungspflicht des Arztes über die beabsichtigte Behandlung mit Cordarex und die damit verbundenen Risiken.
9
2. Nicht gefolgt werden kann jedoch der Auffassung des Berufungsgerichts , über die zwar seltene, aber möglicherweise mit schwer wiegenden Folgen verbundene Komplikation eines Herzstillstandes habe hier deshalb nicht aufgeklärt werden müssen, weil das abgesetzte Medikament insoweit gefährlicher , die konkrete Gefahr durch den Einsatz des Cordarex demnach vermindert worden sei.
10
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war der Einsatz des Medikaments Cordarex mit hoher Wahrscheinlichkeit die Ursache für den Herzstillstand. Für das Revisionsverfahren ist deshalb zu unterstellen, dass dies tatsächlich der Fall war. Muss - wovon nach dem bisherigen Sachstand auszugehen ist - das Risiko eines Herzstillstandes als typisches Risiko der Verabreichung von Cordarex angesehen werden, so war wegen der schwer wiegenden Folgen eine Aufklärung auch hierüber erforderlich. Entscheidend für die ärztliche Hinweispflicht ist nicht ein bestimmter Grad der Risikodichte, insbesondere nicht eine bestimmte Statistik, sondern vielmehr, ob das betreffende Risiko dem Eingriff spezifisch anhaftet und es bei seiner Verwirklichung die Lebensführung des Patienten besonders belastet, so dass grundsätzlich auch über derartige äußerst seltene Risiken aufzuklären ist (Senatsurteile BGHZ 144, 1, 5 f. und vom 21. November 1995 - VI ZR 341/94 - VersR 1996, 330, 331; ferner BGHZ 126, 386, 389).
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Der Hinweis des Berufungsgerichts darauf, dass das Risiko eines Herzstillstandes durch das der Klägerin zuvor verabreichte Medikament Propafenon höher gewesen sei, führt schon deshalb nicht weiter, weil nicht festgestellt ist, dass die Klägerin über diese Wirkung des Propafenon aufgeklärt worden ist und gleichwohl mit seiner Verabreichung einverstanden war. Ohnehin können die Risiken einer zuvor erfolgten ärztlichen Behandlung mit den Risiken der nunmehr vorgenommenen Behandlung nicht "verrechnet" werden. Vielmehr ist der Patient vor dem Einsatz eines neuen Medikaments über dessen Risiken vollständig aufzuklären (Senatsurteil BGHZ 162, 320, 323 ff. m.w.N.).
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3. Nicht zu billigen ist auch die Ansicht des Berufungsgerichts, der Einsatz eines neuen Medikaments sei ohne Einwilligung des Patienten vorübergehend zulässig, wenn zunächst ermittelt werden solle, ob das Medikament überhaupt anschlage und sich dessen Risiken in der Erprobungsphase der Medikation noch nicht auswirkten.
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a) Insoweit ist bereits zweifelhaft, ob das Berufungsgericht den Sachvortrag der Parteien und das Ergebnis der Beweisaufnahme ausreichend in Betracht gezogen hat. Es ist nicht ersichtlich, dass sich die Beklagte darauf berufen hat, sie habe von einer Aufklärung der Klägerin nur vorübergehend absehen und diese bei einem Anschlagen des Medikaments vor Beginn der Dauermedikation nachholen wollen. Mit Recht macht die Revision auch geltend, die Zeitberechnungen des Berufungsgerichts könnten auf einem fehlerhaften Verständnis der Ausführungen des Sachverständigen beruhen. Diese seien ledig- lich dahin zu verstehen, dass die Verwirklichung der beschriebenen Risiken in dem kurzen Zeitraum, in dem das Cordarex hier verabreicht wurde, noch nicht durch das Auftreten konkreter Krankheitserscheinungen sichtbar geworden wären , nicht aber dahin, dass sie in diesem Zeitraum noch nicht hätten entstehen können. Dem Berufungsurteil ist nicht zu entnehmen, dass sich das Berufungsgericht dieser möglichen Differenzierung bewusst gewesen und dass dieser Gesichtspunkt mit dem Sachverständigen erörtert worden ist.
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b) Vor allem aber kann den Ausführungen des Berufungsgerichts auch aus grundsätzlichen Erwägungen nicht gefolgt werden. Ergeben sich beim Einsatz eines Medikaments für den Patienten andere Risiken als bei der bisherigen Medikation, ist der Patient bereits vor dessen erstem Einsatz entsprechend aufzuklären. Nur so wird das Selbstbestimmungsrecht des Patienten in ausreichender Weise gewahrt. Nur so wird auch vermieden, dass eine haftungsrechtliche "Grauzone" für die Erprobungsphase eines neuen Medikaments entsteht. Auch könnte es das Selbstbestimmungsrecht des Patienten beeinträchtigen, wenn die Aufklärung bzw. seine Entscheidung über den Einsatz des Medikaments auf einen Zeitpunkt verschoben würde, in dem möglicherweise der Eindruck der Beschwerdelinderung durch einen einsetzenden Therapieerfolg den Blick auf die erheblichen Risiken der Medikation verstellen kann.
15
Erforderlich ist vielmehr, dass der Patient bereits vor dem ersten Einsatz eines neuen Medikaments über dessen Risiken aufgeklärt wird, damit er entscheiden kann, ob er in dessen Erprobung überhaupt einwilligen oder ob er wegen der möglichen Nebenwirkungen von vornherein darauf verzichten will.
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4. Schließlich sind auch die Ausführungen des Berufungsgerichts zur hypothetischen Einwilligung der Klägerin von Rechtsfehlern beeinflusst.
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a) Der Einwand der Behandlungsseite, der Patient hätte sich einem Eingriff auch bei zutreffender Aufklärung über dessen Risiken unterzogen, ist grundsätzlich beachtlich (Senatsurteil BGHZ 90, 103, 111 = AHRS 1050/12). Den Arzt trifft insoweit die Behauptungs- und Beweislast. Er ist mit dem Beweis für seine Behauptung, dass der Patient bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den Eingriff eingewilligt haben würde, allerdings nur zu belasten, wenn der Patient zur Überzeugung des Tatrichters plausibel macht, dass er, wären ihm rechtzeitig die Risiken der Behandlung verdeutlicht worden, vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte, wobei an die Substantiierungspflicht zur Darlegung eines solchen Konflikts keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen (Senatsurteile vom 7. April 1992 - VI ZR 192/91 - VersR 1992, 960, 962 = AHRS 1050/55; vom 14. Juni 1994 - VI ZR 260/93 - VersR 1994, 1302 = AHRS 1050/128 und 6805/105 m.w.N.). Feststellungen darüber, wie sich ein Patient bei ausreichender Aufklärung entschieden hätte, und ob er in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, darf der Tatrichter grundsätzlich nicht ohne persönliche Anhörung des Patienten treffen; ein Ausnahmefall kann vorliegen, wenn schon die unstreitigen äußeren Umstände eine sichere Beurteilung der hypothetischen Entscheidungssituation erlauben (vgl. Senatsurteile vom 26. Juni 1990 - VI ZR 289/89 - VersR 1990, 1238, 1240 = AHRS 6180/38; vom 1. Februar 2005 - VI ZR 174/03 - VersR 2005, 694 m.w.N.). Von diesen Grundsätzen geht das Berufungsgericht im Ansatz zutreffend aus.
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b) In ihrer Verallgemeinerung unrichtig ist indes die zum Rechtssatz erhobene Aussage des Berufungsgerichts, die Unmöglichkeit der persönlichen Anhörung des Patienten zum Entscheidungskonflikt wirke sich grundsätzlich zu dessen Lasten aus. Der erkennende Senat fordert für den Regelfall eine per- sönliche Anhörung des Patienten, um zu vermeiden, dass das Gericht für die Verneinung eines Entscheidungskonflikts vorschnell auf das abstellt, was bei objektiver Betrachtung als nahe liegend oder vernünftig erscheint, ohne die persönlichen , möglicherweise weniger nahe liegenden oder als unvernünftig erscheinenden Erwägungen des Patienten ausreichend in Betracht zu ziehen. Die persönliche Anhörung soll es dem Gericht ermöglichen, den anwaltlich vorgetragenen Gründen für und gegen einen Entscheidungskonflikt durch konkrete Nachfragen nachzugehen und sie auch aufgrund des persönlichen Eindrucks vom Patienten sachgerecht beurteilen zu können. Dabei muss im Auge behalten werden, dass an den Nachweis einer hypothetischen Einwilligung durch die Behandlungsseite grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen sind, damit das Aufklärungsrecht des Patienten nicht auf diesem Wege unterlaufen wird (Senatsurteil vom 14. Juni 1994 - VI ZR 260/93 - aaO), und dass die Darlegung eines echten Entscheidungskonflikts durch den Patienten gefordert wird, um einem Missbrauch des Aufklärungsrechts allein für Haftungszwecke vorzubeugen (vgl. Senatsurteil BGHZ 90, 103, 112).
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Danach scheidet eine schematische Beantwortung der vom Berufungsgericht aufgeworfenen Frage aus. Alleine unter Berücksichtigung der aufgezeigten Spannungslage lässt sich im konkreten Einzelfall beurteilen, ob und in welcher Richtung sich die Unmöglichkeit der persönlichen Anhörung des Patienten auswirkt. Sofern aufgrund der objektiven Umstände ein echter Entscheidungskonflikt eher fern, eine haftungsrechtliche Ausnutzung des Aufklärungsversäumnisses eher nahe liegt, ist es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Tatrichter eine hypothetische Einwilligung bejaht, obwohl der Patient dazu nicht persönlich angehört werden konnte. Ist indes nicht auszuschließen, dass sich der Patient unter Berücksichtigung des zu behandelnden Leidens und der Risiken , über die aufzuklären war, aus vielleicht nicht gerade "vernünftigen", jedenfalls aber nachvollziehbaren Gründen für eine Ablehnung der Behandlung ent- schieden haben könnte, kommt ein echter Entscheidungskonflikt in Betracht. In einem solchen Fall darf der Tatrichter nicht alleine aufgrund der Unmöglichkeit der persönlichen Anhörung eine dem Patienten nachteilige Wertung vornehmen.
20
Deshalb kann auch der Revision nicht in vollem Umfang gefolgt werden, soweit sie die Ansicht vertritt, der behandelnde Arzt handele stets treuwidrig, wenn er sich auf eine hypothetische Einwilligung des Patienten berufe, obwohl dieser einen Entscheidungskonflikt nicht mehr darlegen könne. Richtig ist lediglich , dass die Behandlungsseite die Folgen der Unaufklärbarkeit zu tragen hat, wenn ein echter Entscheidungskonflikt ernsthaft in Betracht kommt. Ob dies der Fall ist, kann aber - wie ausgeführt - nur aufgrund einer umfassenden Abwägung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls festgestellt werden.
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Da es demnach auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls ankommt, besteht zwischen den Entscheidungen des OLG Bamberg (VersR 1998, 1025 = AHRS 4265/124 und 5400/134; Revision der Kläger nicht angenommen durch Senatsbeschluss vom 3. Februar 1998 - VI ZR 226/97) und des OLG Oldenburg (VersR 2001, 1381 = AHRS 4370/301; Revision der Beklagten nicht angenommen durch Senatsbeschluss vom 12. Dezember 2000 - VI ZR 237/00) nicht der vom Berufungsgericht als rechtsgrundsätzlich interpretierte Widerspruch.
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c) Die Wertung der Umstände des vorliegenden Falls durch das Berufungsgericht dahin gehend, dass von einer hypothetischen Einwilligung der Klägerin auszugehen sei, beanstandet die Revision mit Recht.
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Das Berufungsgericht führt dazu lediglich aus, zu Beginn der Medikation mit Cordarex habe festgestanden, dass bei der Klägerin eine absolute Tachyarrhythmie bestand, die sich mit Beta-Blockern als nicht behandelbar herausgestellt habe. Der Umstand, dass sich die Klägerin um einen kompatiblen Zustand der Medikamente bemüht habe, spreche dafür, dass sie sowohl ihre Depressionen als auch ihre Herzrhythmusstörungen grundsätzlich weiterhin habe behandeln lassen wollen. Ausreichende Anhaltspunkte für einen Entscheidungskonflikt fänden sich deshalb nicht. Dem lässt sich nicht entnehmen, dass das Berufungsgericht sämtliche Umstände, aus denen sich nach dem vorgetragenen und festgestellten Sachverhalt ein Entscheidungskonflikt ergeben konnte, in seine Würdigung einbezogen hat.
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Der Würdigung war eine vollständige Aufklärung der Klägerin über die Nebenwirkungen des Cordarex, wie sie nach den vorstehenden Ausführungen erforderlich war, zugrunde zu legen. Die Revision verweist insoweit mit Recht darauf, dass nach den Ausführungen des Sachverständigen der Einsatz des Medikaments nicht zum Zweck einer lebensverlängernden Behandlung, sondern zur Besserung der Beschwerden der Klägerin erfolgte und dass deshalb dem Nutzen einer Leidenslinderung die ganz erheblichen mit nicht unerheblicher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Gefahren des Medikaments hätten gegenüber gestellt werden müssen. Ein Entscheidungskonflikt liegt aber auf der Hand, wenn beim Einsatz eines Medikaments, das der Besserung der Beschwerden durch Herzrhythmusstörungen dienen soll, mit einer Wahrscheinlichkeit von 35% erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigungen wie etwa Schilddrüsenfunktionsstörungen , schwere entzündliche Lungenerkrankungen und Leberschäden , periphere Neuropathien oder Myopathien und - wenn auch mit geringer Wahrscheinlichkeit - ein Herzstillstand zu erwarten sind. Es mag sein, dass sich in einer solchen Situation eine Mehrheit der Patienten in der Hoffnung , die Nebenwirkungen würden sich nicht einstellen, für eine erfolgreiche Linderung der Beschwerden entscheidet. Darauf kommt es aber nicht an. Entscheidend ist, dass eine Konfliktlage zwischen dem Wunsch, die gegenwärtigen Beschwerden zu lindern, und der Gefahr, deshalb später erhebliche Gesund- heitsschäden hinnehmen zu müssen, durchaus besteht und der Patient sich in diesem Konflikt eigenverantwortlich entscheiden muss.
25
Das Berufungsgericht hätte deshalb unter den Umständen des Streitfalls eine hypothetische Einwilligung der Klägerin nicht bejahen dürfen. Dafür, dass die Beklagte den ihr insoweit obliegenden Beweis durch vorhandene Beweismittel führen könnte, ist nichts ersichtlich.

III.

26
Die Klageabweisung erweist sich mit der dafür im Berufungsurteil gegebenen Begründung danach als unrichtig, so dass die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden muss. Das Berufungsgericht erhält dadurch auch Gelegenheit, die noch erforderlichen Feststellungen zur Ursächlichkeit der Einnahme von Cordarex für den Herzstillstand der Klägerin zu treffen.
Müller Wellner Diederichsen
Stöhr Zoll
Vorinstanzen:
LG Göttingen, Entscheidung vom 02.12.2004 - 2 O 612/03 -
OLG Braunschweig, Entscheidung vom 04.05.2006 - 1 U 102/04 -
19
aa) Die Würdigung, ob der Patient im Falle ordnungsgemäßer Aufklärung in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, ist ebenso wie die Beweiswürdigung gemäß § 286 ZPO grundsätzlich Sache des Tatrichters, an dessen Feststellungen das Revisionsgericht gebunden ist (§ 559 Abs. 2 ZPO). Revisionsrechtlich ist indes zu überprüfen, ob der Tatrichter sich mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (vgl. zur Beweiswürdigung Senatsurteil vom 10. Juli 2012 - VI ZR 341/10, aaO; BGH, Urteile vom 29. Juni 2010 - XI ZR 104/08, BGHZ 186, 96 Rn. 38 und vom 22. Juni 2011 - IV ZR 225/10, VersR 2011, 1037, insoweit in BGHZ 190, 120 nicht abgedruckt, jeweils mwN). Feststellungen darüber, wie sich ein Patient bei ausreichender Aufklärung entschieden hätte, und ob er in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, darf der Tatrichter grundsätzlich nicht ohne persönliche Anhörung des Patienten treffen; ein Ausnahmefall kann vorliegen, wenn schon die unstreitigen äußeren Umstände eine sichere Beurteilung der hypothetischen Entscheidungssituation erlauben (vgl. Senatsurteile vom 26. Juni 1990 - VI ZR 289/89, VersR 1990, 1238, 1240 und vom 1. Februar 2005 - VI ZR 174/03, VersR 2005, 694 mwN).

(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie

1.
das Berufungsgericht in dem Urteil oder
2.
das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung
zugelassen hat.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
Das Revisionsgericht ist an die Zulassung durch das Berufungsgericht gebunden.