Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Nov. 2009 - VI ZB 25/09
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die Klägerin, eine in Cardiff gegründete Limited Company mit satzungsmäßigem Sitz in Birmingham (Vereinigtes Königreich), macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 12. Januar 2007 geltend. Das Amtsgericht hat der Klage zur Hälfte stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Dagegen haben die Beklagten Berufung beim Landgericht eingelegt. Nach entsprechendem Hinweis hat das Landgericht die Berufung gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2, 3 ZPO als unzulässig verworfen, weil sie nicht beim zuständigen Oberlandesgericht eingelegt worden sei. Eine Zuständigkeit des Landgerichts sei nicht gegeben, weil die Klägerin im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit in erster Instanz ihren Sitz im Vereinigten Königreich und damit ihren allgemeinen Gerichtsstand im Ausland gehabt habe. Nach dem in erster Instanz vorgelegten Handelsregisterauszug befinde sich im Inland lediglich eine Zweigniederlassung. Der von den Beklagten erstmals im Berufungsrechtszug gehaltene Vortrag, dass unter der in der Klageschrift genannten Inlandsanschrift der Geschäftsführerin der Klägerin der Tätigkeitsort der Geschäftsführung zu finden sei, an dem die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung getroffen würden, sei unbeachtlich, weil im Berufungsrechtszug der im Verfahren erster Instanz unangegriffen gebliebene Gerichtsstand zugrunde zu legen sei. Im Übrigen sei dieses Vorbringen gemäß § 531 ZPO nicht zuzulassen.
- 2
- Mit ihrer Rechtsbeschwerde erstreben die Beklagten die Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
II.
- 3
- 1. Die kraft Gesetzes statthafte (§ 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat durch seine Entscheidung das Verfahrensgrundrecht der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt , welches es den Gerichten verbietet, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgrün- den nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (Senatsbeschluss vom 12. Juni 2007 - VI ZB 76/06, juris, Rn. 3; BGH, Beschluss vom 10. März 2009 - VIII ZB 105/07 - NJW 2009, 1610, jeweils m.w.N.).
- 4
- 2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Landgericht hat die Berufung der Beklagten zu Unrecht als unzulässig verworfen.
- 5
- a) Im Ansatz zutreffend geht das Landgericht allerdings davon aus, dass zur Entscheidung über die Berufung der Beklagten das Oberlandesgericht funktionell zuständig wäre, wenn die Voraussetzungen des § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b GVG a.F. vorliegen sollten. Ob dies der Fall ist, kann jedoch entgegen der Auffassung des Landgerichts auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen nicht beurteilt werden.
- 6
- Nach der genannten Vorschrift, die inzwischen durch Art. 22 Nr. 14 a des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-Reformgesetz - FGG-RG) vom 17. Dezember 2008 mit Wirkung vom 1. September 2009 aufgehoben worden ist (BGBl. I, S. 2586, 2696), sind die Oberlandesgerichte in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zuständig für die Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel in Streitigkeiten über Ansprüche, die von einer oder gegen eine Partei erhoben werden, die ihren allgemeinen Gerichtsstand im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit außerhalb Deutschlands hatte (§ 40 EGGVG, eingefügt durch Art. 21 Nr. 4 FGG-RG, BGBl. I, aaO, S. 2694). Dies könnte hier der Fall sein, weil die Klägerin bei Klageerhebung ihren satzungsmäßigen Sitz in Birmingham hatte.
- 7
- b) Die Voraussetzungen des § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b GVG sind indessen nicht erfüllt, wenn eine Partei neben einem allgemeinen Gerichtsstand im Ausland auch einen allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat (BGH, Beschluss vom 27. Juni 2007 - XII ZB 114/06 - NJW-RR 2008, 551, 552). Der allgemeine Gerichtsstand gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b GVG ist nach den Vorschriften der §§ 12 ff. ZPO und im Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) nach Art. 2, 59 f. EuGVVO zu beurteilen (Senatsbeschluss BGHZ 155, 46, 49; BGH, Beschluss vom 27. Juni 2007 - XII ZB 114/06 - aaO, S. 551). Der Anwendungsbereich der EuGVVO ist vorliegend aber nicht eröffnet, weil es im Streitfall nicht auf den allgemeinen Gerichtsstand der beklagten Partei (Art. 2 Abs. 1 EuGVVO), sondern auf den der klagenden Partei ankommt (BGH, Beschluss vom 10. März 2009 - VIII ZB 105/07 - aaO, S. 1611; vgl. auch BGH, Beschluss vom 27. Juni 2007 - XII ZB 114/06 - aaO).
- 8
- Der allgemeine Gerichtsstand der Klägerin wird gemäß § 17 Abs. 1 ZPO durch ihren Sitz bestimmt. Als Sitz gilt, wenn sich nichts anderes ergibt, der Ort, wo die Verwaltung geführt wird (§ 17 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Darunter ist der Tätigkeitsort der Geschäftsführung und der dazu berufenen Vertretungsorgane zu verstehen, also der Ort, wo die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden (BGHZ 97, 269, 272; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 17 Rn. 15; Zöller /Vollkommer, ZPO, 27. Aufl., § 17 Rn. 10). Danach kann auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht ausgeschlossen werden, dass die Klägerin im Zeitpunkt der Klageerhebung jedenfalls auch einen inländischen Verwaltungssitz hatte.
- 9
- c) Unstreitig unterhält die Klägerin im Inland eine Zweigniederlassung. Die Beklagten haben im Berufungsrechtszug mit Schriftsatz vom 28. November 2008 unter Beweisantritt vorgetragen, dass die Klägerin ihre Tätigkeit ausschließlich im Inland betreibe bzw. ihre unternehmensspezifischen Leistungen ausschließlich im Inland erbringe. Diesen Vortrag durfte das Landgericht nicht mit der Begründung für unbeachtlich halten, im Berufungsverfahren sei in der Regel der im Verfahren erster Instanz unangegriffen gebliebene Gerichtsstand zugrunde zu legen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2004 - VIII ZB 66/03 - NJW-RR 2004, 1073, 1074), so dass im Streitfall auf den im Vereinigten Königreich gelegenen satzungsmäßigen Sitz der Klägerin abzustellen sei. Da es für die Zulässigkeit der Klage auf den Gerichtsstand der Klägerin nicht ankam, hatten die Parteien im ersten Rechtszug nämlich keinerlei Veranlassung, dazu vorzutragen , ob die Klägerin zum Zeitpunkt der Klageerhebung neben ihrem im Ausland gelegenen allgemeinen Gerichtsstand an ihrem satzungsmäßigen Sitz in Birmingham auch einen allgemeinen Gerichtsstand im Inland hatte. Ein solcher könnte indessen gegeben sein (§ 17 Abs. 1 Satz 2 ZPO), wenn die Klägerin zum Zeitpunkt der Klageerhebung ihre Geschäfte von ihrer im Inland gele- genen Zweigniederlassung in D. aus geleitet hat. Dem diesbezüglichen Vortrag der Beklagten, der prozessual nicht verspätet erfolgt ist, hätte das Landgericht nachgehen müssen. Galke Diederichsen Pauge Stöhr von Pentz
AG Lampertheim, Entscheidung vom 01.10.2008 - 3 C 674/07 (03) -
LG Darmstadt, Entscheidung vom 25.03.2009 - 25 S 244/08 -
moreResultsText
Annotations
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen.
(2) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie
- 1.
einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist, - 2.
infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden oder - 3.
im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Der allgemeine Gerichtsstand der Gemeinden, der Korporationen sowie derjenigen Gesellschaften, Genossenschaften oder anderen Vereine und derjenigen Stiftungen, Anstalten und Vermögensmassen, die als solche verklagt werden können, wird durch ihren Sitz bestimmt. Als Sitz gilt, wenn sich nichts anderes ergibt, der Ort, wo die Verwaltung geführt wird.
(2) Gewerkschaften haben den allgemeinen Gerichtsstand bei dem Gericht, in dessen Bezirk das Bergwerk liegt, Behörden, wenn sie als solche verklagt werden können, bei dem Gericht ihres Amtssitzes.
(3) Neben dem durch die Vorschriften dieses Paragraphen bestimmten Gerichtsstand ist ein durch Statut oder in anderer Weise besonders geregelter Gerichtsstand zulässig.