Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Sept. 2017 - V ZR 29/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:280917BVZR29.17.0
28.09.2017
vorgehend
Landgericht Hamburg, 330 O 523/14, 22.01.2016
Hanseatisches Oberlandesgericht, 9 U 42/16, 21.12.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZR 29/17
vom
28. September 2017
in dem Rechtsstreit
ECLI:DE:BGH:2017:280917BVZR29.17.0

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. September 2017 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und Weinland, den Richter Dr. Göbel und die Richterin Haberkamp

beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts - 9. Zivilsenat - vom 21. Dezember 2016 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Klägerin entschieden worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 900.000 €.

Gründe:


I.


1
Die Klägerin kaufte mit Vertrag vom 25. Mai 2012 von dem Beklagten alle in einem Mehrfamilienhaus befindlichen Wohnungen und Teileigentumseinheiten mit Ausnahme einer Wohnung. Sie zahlte den vereinbarten Kaufpreis von 2,6 Mio. € auf ein Notaranderkonto. In dem Kaufvertrag verpflichtete sie sich, einen Bauantrag für den Ausbau von zwei Dachgeschossflächen zu Wohnzwecken zu stellen. Nach Vorliegen der Baugenehmigung sollte ein weiterer Kaufpreis von 900.000 € gezahlt werden. Die Klägerin leistete hierauf ver- einbarungsgemäß eine Abschlagszahlung von 100.000 €. Die Wohnungen und Teileigentumseinheiten sind zwischenzeitlich an die Klägerin aufgelassen.
2
In der Folgezeit lehnte die Baubehörde die Baugenehmigung für die Errichtung von Wohneinheiten im Dachgeschoss wegen Fehlens des erforderlichen zweiten Rettungswegs ab.
3
Das Landgericht hat den Beklagten - soweit hier von Interesse - zur Rückzahlung der Abschlagszahlung von 100.000 € verurteilt und festgestellt, dass dem Beklagten ein weiterer (bedingter) Kaufpreisanspruch von 900.000 € nicht zusteht. Das Oberlandesgericht hat die Klage insoweit abgewiesen. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde will die Klägerin die Zulassung der Revision erreichen.

II.


4
Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist der auf die Feststellung gerichtete Klageantrag, dass dem Beklagten ein weiterer Kaufpreisanspruch von 900.000 €nicht zustehe, derzeit unbegründet. Die für die Entstehung des Anspruchs vereinbarte Bedingung, nämlich die Erteilung der Baugenehmigung für den Dachgeschossausbau, könne in Zukunft noch eintreten. Der Vortrag der Klägerin, die Errichtung eines zweiten Rettungsweges in Form eines Sicherheitstreppenhauses sei technisch unmöglich, sei aufgrund der Widersprüchlichkeit ihres Vorbringens unbeachtlich. Die Klägerin habe erstinstanzlich Beweis dafür angeboten, dass sich die Umbaukosten pro Wohnung auf ca. 30.000 € beliefen und damit zum Ausdruck gebracht, dass die Errichtung eines Sicherheitstreppenhauses möglich sei. Zudem habe der Geschäftsführer der Klägerin in der mündlichen Verhandlung angegeben, es gebe derzeit „keine realistische Möglichkeit“, den Ausbau des Dachgeschosses zu betreiben. Mit dieser Einlas- sung habe er letztlich eingeräumt, dass es Möglichkeiten gebe, diese aber für die Klägerin aus finanziellen Gründen nicht in Betracht kämen. Darüber hinaus sei nicht ausgeschlossen, dass sich die regulatorischen Rahmenbedingungen für Dachgeschossausbauten änderten. Auch könnte die benachbarte Wohnungseigentümergemeinschaft ihre Meinung ändern und der Errichtung einer Außentreppe zustimmen. Da die Möglichkeit bestehe, dass der Dachgeschossausbau noch erfolgreich betrieben werde, stehe der Klägerin auch nicht der geltend gemachte Anspruch auf Rückzahlung der Abschlagszahlung von 100.000 € zu.

III.


5
Das angefochtene Berufungsurteil ist auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben, soweit zu ihrem Nachteil entschieden wurde, weil das Berufungsgericht ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
6
1. Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht unter anderem dazu, den wesentlichen Kern des Vorbringens der Partei zu erfassen und - soweit er eine zentrale Frage des jeweiligen Verfahrens betrifft - in den Gründen zu bescheiden. Von einer Verletzung dieser Pflicht ist auszugehen, wenn die Begründung der Entscheidung des Gerichts nur den Schluss zulässt, dass sie auf einer allenfalls den äußeren Wortlaut, aber nicht den Sinn des Vortrags der Partei erfassenden Wahrnehmung beruht (Senat, Beschluss vom 29. Oktober 2015 - V ZR 61/15, NJW-RR 2016, 78 Rn. 6).
7
2. So liegt es hier. Mit seiner Auffassung, die Klägerin habe in ihren Schriftsätzen sowie durch die Äußerung ihres Geschäftsführers in der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck gebracht, die Errichtung eines Sicherheitstreppenhauses sei durchaus möglich, für sie aber nicht wirtschaftlich, verkennt das Berufungsgericht den Kern des Sachvortrages der Klägerin. Diese hat in dem in der Berufungserwiderung ausdrücklich in Bezug genommenen Schriftsatz vom 14. April 2015 unter Beweisantritt vorgetragen, dass der für die Errichtung eines Sicherheitstreppenhauses erforderliche Brandschutz daran scheitere , dass sämtliche angrenzenden Bauteile wie Decken, Böden und Wände brandschutztechnisch ertüchtigt werden müssten, und betont, dass wegen der Altbausubstanz die Errichtung eines den technischen Anforderungen genügenden Sicherheitstreppenhauses nicht möglich sei. Soweit das Berufungsgericht meint, die Klägerin habe sich zu diesem Sachvortrag in Widerspruch gesetzt, indem sie die Kosten pro Wohnung mit 30.000 € beziffert habe, erfasstes den Vortrag der Klägerin nicht richtig. Diese hat in dem Schriftsatz vom 14. April 2015 ausgeführt, dass selbst dann, wenn die Möglichkeit bestünde, die angrenzenden Bauteile brandschutztechnisch zu ertüchtigen, dies zur Folge hätte, dass ein bzw. zwei Zimmer der jeweiligen Wohnungen wegfielen. Allein die Umbaukosten für die zwölf Wohnungen (ohne Ertüchtigung der angrenzen- den Bauteile) würden etwa 360.000 € betragen. Hinzukomme ein Wertverlust durch die wegfallenden Räume von 252.000 €. Indem von dem Berufungsgericht erwähnten Schriftsatz vom 2. November 2015 hat die Klägerin nochmals darauf hingewiesen, dass erhebliche Kosten entstünden, und unter ausführlicher Beschreibung der für die Schaffung eines Sicherheitstreppenhauses erforderlichen Maßnahmen und Auswirkungen auf die vorhandenen Wohnungen ausgeführt, dass alle Vorschläge höchstwahrscheinlich technisch nicht umsetzbar seien, jedenfalls nicht in wirtschaftlich vertretbarem Rahmen. Im Schriftsatz vom 22. Dezember 2015 hat die Klägerin unter Bezugnahme auf die Aussage der als Zeugin vernommenen zuständigen Bauprüferin dargelegt, dass die Herstellung eines zweiten Rettungsweges aussichtslos sei, jedenfalls unter Anlegung halbwegs wirtschaftlicher Maßstäbe. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat die Klägerin damit nicht zum Ausdruck gebracht, dass ihr die Maßnahmen lediglich zu teuer seien. Vielmehr ist ihr Vorbringen dahingehend zu verstehen, dass die Schaffung eines Sicherheitstreppenhauses, selbst wenn dies technisch möglich sein sollte, so übermäßige Aufwendungen erforderte, dass ein Fall der wirtschaftlichen Unmöglichkeit vorliege.
8
3. Der - im Kern - übergangene Vortrag ist entscheidungserheblich. Wäre die Errichtung eines zweiten Rettungswegs tatsächlich oder wirtschaftlich un- möglich, wäre die von den Parteien für die Zahlung der 900.000 € vereinbarte Bedingung ausgefallen, da die Erteilung einer Baugenehmigung bei Fehlen eines zweiten Rettungswegs ausgeschlossen ist. Soweit das Berufungsgericht darauf hinweist, dass sich die Bauvorschriften auch ändern könnten oder die benachbarte Wohnungseigentümergemeinschaft ihre Meinung ändern und einer Außentreppe zustimmen könnte, stehen diese vagen, einer tatsächlichen Grundlage entbehrenden Möglichkeiten der Annahme eines Bedingungsausfalls nicht entgegen. Ausgefallen ist eine Bedingung nicht nur dann, wenn sie objektiv nicht mehr eintreten kann, sondern auch dann, wenn der Zeitraum, innerhalb dessen der Eintritt der Bedingung zu erwarten war, verstrichen ist. Haben die Vertragspartner einen solchen Zeitraum nicht ausdrücklich festgelegt und lässt er sich den Umständen des Falles auch nicht eindeutig entnehmen, kann dies nicht dazu führen, dass der durch den bedingten Vertragsabschluss entstande- ne Schwebezustand unbegrenzt fortdauert (BGH, Urteil vom 26. November 1984 - VIII ZR 217/83, NJW 1985, 1556, 1557).
Stresemann Schmidt-Räntsch Weinland
Göbel Haberkamp

Vorinstanzen:
LG Hamburg, Entscheidung vom 22.01.2016 - 330 O 523/14 -
OLG Hamburg, Entscheidung vom 21.12.2016 - 9 U 42/16 -

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 544 Nichtzulassungsbeschwerde


(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde). (2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn1.der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Eur

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(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).

(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder
2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.

(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.

(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.

(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.

(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.

(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.

(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.

6
Das angefochtene Berufungsurteil ist auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben, weil das Berufungsgericht dessen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.