Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Juli 2016 - V ZB 94/14
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Juli 2016 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterin Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und die Richter Dr. Czub, Dr. Kazele und Dr. Göbel
beschlossen:
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
Gründe:
I.
- 1
- Dem Betroffenen, ein irakischer Staatsangehöriger, wurde durch die beteiligte Behörde zuletzt am 21. Februar 2014 eine Duldung bis zum 23. April 2014 erteilt. Ferner wurde er von der beteiligten Behörde auf seine vollziehbare Ausreisepflicht hingewiesen. Da er daraufhin erklärte, nicht freiwillig ausreisen zu wollen, wurde ihm die Abschiebung in den Irak nach Ablauf eines Monats angedroht.
- 2
- Nachdem der Betroffene aufgrund der Anordnung einer einstweiligen Freiheitsentziehung vom 11. April 2014 festgenommen und am 23. April 2014 dem Haftrichter vorgeführt worden war, hat das Amtsgericht auf den - sowohl die einstweilige Freiheitsentziehung als auch die Sicherungshaft betreffenden - Antrag der beteiligten Behörde vom 20. März 2014 Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 30. April 2014 angeordnet. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das Landgericht am 28. April 2014 zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde will der Betroffene, der am 28. April 2014 aus der Haft entlassen wurde, die Feststellung der Verletzung seiner Rechte durch die angegriffenen Entscheidungen erreichen.
II.
- 3
- Das Beschwerdegericht meint, die Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungshaft seien gegeben.
III.
- 4
- Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§ 71 FamFG) zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
- 5
- Die von der Rechtsbeschwerde erhobene Rüge, dem Betroffenen sei der Haftantrag vor seiner gerichtlichen Anhörung nicht bekanntgegeben worden, führt im vorliegenden Fall nicht zur Rechtswidrigkeit der Haftanordnung.
- 6
- 1. Richtig ist zwar, dass Verfahrensfehler bei der Durchführung der persönlichen Anhörung des Betroffenen § 420 FamFG und damit auch Art. 104 Abs. 1 GG verletzen, wenn sie nicht nur den formal ordnungsmäßigen Ablauf der Anhörung, sondern deren Grundlagen betreffen (vgl. Senat, Beschluss vom 18. Februar 2016 - V ZB 23/15, InfAuslR 2016, 235 Rn. 26 mwN). Dies ist etwa der Fall, wenn der Anhörung ein unzulässiger (Senat, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 19, 22) oder ein unvollständiger (Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210 Rn. 16 f.) Haftantrag zugrunde liegt oder wenn der zulässige Haftantrag bei der Anhörung nicht zumindest in den wesentlichen Grundzügen sinngemäß mündlich in eine Sprache übersetzt wird, die der Betroffene beherrscht (vgl. Senat, Beschluss vom 12. März 2015 - V ZB 187/14, InfAuslR 2015, 301 Rn. 5 aE). Eine vollständig unterbliebene Bekanntgabe des Haftantrages vor der Anhörung des Betroffenen führt daher zu einer Verletzung von Art. 104 Abs. 1 GG und begründet die Rechtswidrigkeit einer Haftanordnung.
- 7
- 2. Vorliegend ist dem Betroffenen aber der Haftantrag in Gestalt des die einstweilige Freiheitsentziehung anordnenden Beschlusses vom 11. April 2014 bekanntgegeben worden.
- 8
- Dem Anhörungsprotokoll des Amtsgerichts, auf das die Rechtsbeschwerde verweist, ist eine Bekanntgabe des Haftantrags an denBetroffenen nicht zu entnehmen. Allerdings geht aus ihm hervor, dass dem Betroffenen der Beschluss des Amtsgerichts vom 11. April 2014 eröffnet worden ist. Weiter ist dem Protokoll die Erklärung des Betroffenen zu entnehmen, dass er den Gerichtsbeschluss erhalten, gelesen und verstanden habe. Einer Übersetzung bedürfe es nicht. Der Beschluss vom 11. April 2014 gibt, wenn auch in gekürzter Fassung, so doch hinreichend detailliert den im Haftantrag enthaltenen Sach- verhalt, der auch die Anordnung von Sicherungshaft rechtfertigen soll, wieder. Darüber hinaus enthält er eine ins Detail gehende rechtliche Würdigung des Richters, wonach auch in der Hauptsache eine Haft zur Sicherung der Abschiebung anzuordnen sein wird. Damit enthält dieser Beschluss alle entscheidungserheblichen Tatsachen, die nach § 417 Abs. 2 FamFG notwendiger Bestandteil eines Haftantrages sind und auch Gegenstand des Haftantrages der beteiligten Behörde waren. Vor diesem Hintergrund bedurfte es ausnahmsweise nicht noch der Bekanntgabe des Haftantrages selbst. Dem Betroffenen war es auf der Grundlage des ihm bekanntgegebenen Gerichtsbeschlusses möglich, sich sachgerecht zu verteidigen.
- 9
- 3. Auch eine entscheidungserhebliche Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG liegt nicht vor. Der Betroffene war durch die Bekanntgabe des Beschlusses über den Inhalt des Haftantrages hinreichend informiert. Andere Tatsachen sind im Rahmen der Haftanordnung nicht verwertet worden. Dass der Betroffene, wenn ihm der Haftantrag selbst bekanntgegeben worden wäre, Umstände vorgetragen hätte, die zu einer anderen Bewertung geführt hätten, hat die Rechtsbeschwerde nicht dargelegt.
- 10
- 4. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Vorinstanzen:
AG Günzburg, Entscheidung vom 23.04.2014 - XIV 126/14 (B) -
LG Memmingen, Entscheidung vom 28.04.2014 - 42 T 629/14 -
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(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist ohne Zulassung statthaft in
- 1.
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts, - 2.
Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 sowie - 3.
Freiheitsentziehungssachen.
(4) Gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.
(1) Hat sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt, spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat.
(2) Ein berechtigtes Interesse liegt in der Regel vor, wenn
(3) Hat der Verfahrensbeistand oder der Verfahrenspfleger die Beschwerde eingelegt, gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend.
(1) Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von einem Monat nach der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten:
- 1.
die Bezeichnung des Beschlusses, gegen den die Rechtsbeschwerde gerichtet wird, und - 2.
die Erklärung, dass gegen diesen Beschluss Rechtsbeschwerde eingelegt werde.
(2) Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Beschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat zu begründen. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.
(3) Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss enthalten:
- 1.
die Erklärung, inwieweit der Beschluss angefochten und dessen Aufhebung beantragt werde (Rechtsbeschwerdeanträge); - 2.
die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe, und zwar - a)
die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt; - b)
soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.
(4) Die Rechtsbeschwerde- und die Begründungsschrift sind den anderen Beteiligten bekannt zu geben.
(1) Das Gericht hat den Betroffenen vor der Anordnung der Freiheitsentziehung persönlich anzuhören. Erscheint er zu dem Anhörungstermin nicht, kann abweichend von § 33 Abs. 3 seine sofortige Vorführung angeordnet werden. Das Gericht entscheidet hierüber durch nicht anfechtbaren Beschluss.
(2) Die persönliche Anhörung des Betroffenen kann unterbleiben, wenn nach ärztlichem Gutachten hiervon erhebliche Nachteile für seine Gesundheit zu besorgen sind oder wenn er an einer übertragbaren Krankheit im Sinne des Infektionsschutzgesetzes leidet.
(3) Das Gericht hat die sonstigen Beteiligten anzuhören. Die Anhörung kann unterbleiben, wenn sie nicht ohne erhebliche Verzögerung oder nicht ohne unverhältnismäßige Kosten möglich ist.
(4) Die Freiheitsentziehung in einem abgeschlossenen Teil eines Krankenhauses darf nur nach Anhörung eines ärztlichen Sachverständigen angeordnet werden. Die Verwaltungsbehörde, die den Antrag auf Freiheitsentziehung gestellt hat, soll ihrem Antrag ein ärztliches Gutachten beifügen.
(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden.
(2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.
(3) Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.
(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.
(1) Die Freiheitsentziehung darf das Gericht nur auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde anordnen.
(2) Der Antrag ist zu begründen. Die Begründung hat folgende Tatsachen zu enthalten:
- 1.
die Identität des Betroffenen, - 2.
den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Betroffenen, - 3.
die Erforderlichkeit der Freiheitsentziehung, - 4.
die erforderliche Dauer der Freiheitsentziehung sowie - 5.
in Verfahren der Abschiebungs-, Zurückschiebungs- und Zurückweisungshaft die Verlassenspflicht des Betroffenen sowie die Voraussetzungen und die Durchführbarkeit der Abschiebung, Zurückschiebung und Zurückweisung.
(3) Tatsachen nach Absatz 2 Satz 2 können bis zum Ende der letzten Tatsacheninstanz ergänzt werden.
(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.
(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.
(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.
(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.