Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Juni 2011 - IX ZR 139/10

bei uns veröffentlicht am30.06.2011
vorgehend
Landgericht Bamberg, 1 O 529/07, 30.10.2009
Oberlandesgericht Bamberg, 3 U 186/09, 14.07.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZR 139/10
vom
30. Juni 2011
in dem Rechtsstreit
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den VorsitzendenRichter
Prof. Dr. Kayser, den Richter Vill, die Richter Dr. Fischer und Dr. Pape
am 30. Juni 2011

beschlossen:
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 14. Juli 2010 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Der Wert des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf 107.290,11 Euro festgesetzt.

Gründe:


1
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).
2
1. Das Urteil des Berufungsgerichts weicht nicht in zulassungsrelevanter Weise von dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22. September 2005 (IX ZR 23/04, WM 2005, 2197 ff) ab. Nach dieser Entscheidung darf sich ein Anwalt grundsätzlich auf die Vollständigkeit und Richtigkeit der Angaben des Mandanten verlassen; zu einer weiteren Erforschung des Sachverhalts ohne entsprechende Anhaltspunkte ist er grundsätzlich nicht verpflichtet (aaO S. 2199). Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht Anhaltspunkte gesehen, die Anlass zu weiteren Nachforschungen gegeben hätten (die bisherige Nutzung des Gebäudes , der Vertrag vom 21. Februar 1927, in welchem das Wohnhaus "mit Synagoge und Schule" verkauft worden war; das Vermessungsgutachten vom 1. Dezember 2004 nebst Anlagen). Einen allgemeinen Rechtssatz des Inhalts, dass sich ein Anwalt immer und unter allen Umständen auf die Vollständigkeit und Richtigkeit einer ihm vom Mandanten vorgelegten Urkunde verlassen darf, gibt es nicht.
3
2. Verfahrensgrundrechte der Beklagten wurden nicht verletzt. Insbesondere wurde deren Anspruch auf rechtliches Gehör gewahrt (Art. 103 Abs. 1 GG). Das Berufungsgericht hat vielfach andere Schlüsse aus dem ihm unterbreiteten Sachverhalt - etwa den vom Historienforscher H. aufgefundenen und vom Kläger eingereichten Unterlagen - gezogen, als die Beklagten für richtig halten. Das verstößt jedoch nicht gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Die Anknüpfungstatsachen , auf denen das Rechtsgutachten des Sachverständigen Prof. Dr. W. beruht, hat das Berufungsgericht nach Auswertung der vom Kläger vorgelegten Urkunden für bewiesen angesehen; es hat das Bestreiten der Beklagten nicht, wie diese rügen, übergangen.
4
Das Berufungsgericht war nicht verpflichtet, entsprechend dem in erster Instanz ausdrücklich gestellten und in zweiter Instanz in Bezug genommenen Antrag der Beklagten ein weiteres Gutachten einzuholen. Die Einholung eines weiteren Gutachtens steht, wie sich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 412 Abs. 1 ZPO ergibt, im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (BGH, Urteil vom 17. Februar 1970 - III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 258 f; vom 4. November 2010 - III ZR 45/10, NJW 2011, 852 Rn. 29). Ein Beweisantrag ist nicht erforderlich; wird ein entsprechender Antrag gestellt, bindet er das Gericht aber auch dann nicht, wenn das erste Gutachten das Gegenteil der behaupte- ten Tatsache bewiesen hat (BGH, Urteil vom 17. Februar 1970, aaO S. 258 f). Das Berufungsgericht hat ausführlich begründet, von welchen tatsächlichen Grundlagen es ausgegangen ist und warum es auf dieser Grundlage den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. W. folgt. Anlass, ein weiteres Gutachten einzuholen, bestand danach nicht. Auf die von der Nichtzulassungsbeschwerde aufgeworfene Frage, ob ein Beweisantrag in der Berufungsbegründung ausdrücklich wiederholt werden muss oder ob eine Bezugnahme auf einen in erster Instanz gestellten Antrag ausreicht, kommt es folglich nicht an.
5
3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Fall 2 ZPO abgesehen.
Kayser Vill Lohmann
Fischer Pape
Vorinstanzen:
LG Bamberg, Entscheidung vom 30.10.2009 - 1 O 529/07 -
OLG Bamberg, Entscheidung vom 14.07.2010 - 3 U 186/09 -

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 543 Zulassungsrevision


(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie1.das Berufungsgericht in dem Urteil oder2.das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassungzugelassen hat. (2) Die Revision ist zuzulassen, wenn1.die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Zivilprozessordnung - ZPO | § 544 Nichtzulassungsbeschwerde


(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde). (2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn1.der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Eur

Zivilprozessordnung - ZPO | § 412 Neues Gutachten


(1) Das Gericht kann eine neue Begutachtung durch dieselben oder durch andere Sachverständige anordnen, wenn es das Gutachten für ungenügend erachtet. (2) Das Gericht kann die Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen anordnen, wenn ein S

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Bundesgerichtshof Urteil, 04. Nov. 2010 - III ZR 45/10

bei uns veröffentlicht am 04.11.2010

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL III ZR 45/10 Verkündet am: 4. November 2010 F r e i t a g Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja BGB §§ 249 ff
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Juni 2011 - IX ZR 139/10.

Bundesgerichtshof Urteil, 06. Juli 2017 - IX ZR 271/16

bei uns veröffentlicht am 06.07.2017

Tenor Die Revision gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 20. Oktober 2016 wird auf Kosten der Beklagten zu 2 bis 4 zurückgewiesen.

Referenzen

(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie

1.
das Berufungsgericht in dem Urteil oder
2.
das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung
zugelassen hat.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
Das Revisionsgericht ist an die Zulassung durch das Berufungsgericht gebunden.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Das Gericht kann eine neue Begutachtung durch dieselben oder durch andere Sachverständige anordnen, wenn es das Gutachten für ungenügend erachtet.

(2) Das Gericht kann die Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen anordnen, wenn ein Sachverständiger nach Erstattung des Gutachtens mit Erfolg abgelehnt ist.

29
Die Anordnung der Beauftragung eines anderen Sachverständigen steht gemäß § 412 Abs. 1 ZPO (in Verbindung mit § 144 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 ZPO) im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters (BGH, Urteil vom 16. März 1999 - VI ZR 34/98, NJW 1999, 1778 f).

(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).

(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder
2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.

(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.

(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.

(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.

(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.

(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.

(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.