Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Sept. 2015 - IX ZB 54/15

bei uns veröffentlicht am10.09.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZB54/15
IX ZB55/15
vom
10. September 2015
in dem Rechtsstreit
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Grupp, die Richterin Möhring
und den Richter Dr. Bär
am 10. September 2015

beschlossen:
Der Antrag der Beklagten, ihr Prozesskostenhilfe für die Verfahren der Rechtsbeschwerde gegen die Beschlüsse des Landgerichts München II vom 13. April 2015 und vom 27. April 2015 zu bewilligen , wird abgelehnt.

Gründe:


I.


1
Die Beklagte wendet sich gegen die Verwerfung ihrer Berufung und die Verweigerung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren durch das Landgericht. Mit Endurteil vom 11. Februar 2015 hat das Amtsgericht ein vorangegangenes Versäumnisurteil aufrechterhalten, mit dem es die Beklagte zur Zahlung von Rechtsanwaltshonorar in Höhe von 988,59 € und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Verzugszinsen an den Kläger verurteilt hatte. Gegen das ihr am 3. März 2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem beim Landgericht am 18. März 2015 eingegangenen Schreiben selbst Berufung eingelegt und Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren beantragt. Außer den Worten "beantrage Prozesskostenhilfe" hat die Beklagte keine weiteren Angaben zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gemacht. Mit Beschluss vom 13. April 2015 hat das Landgericht die von der Beklagten eingelegte Berufung als unzulässig verworfen, weil diese nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten war. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren hat das Berufungsgericht mit Beschluss vom 27. April 2015 abgelehnt , weil die Beklagte innerhalb der Berufungsfrist keine Angaben zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gemacht habe. Beide Beschlüsse sind der Beklagten am 16. Juni 2015 zugestellt worden. Hiergegen hat sie mit einem am 13. Juli 2015 beim Bundesgerichtshof eingegangenen Schreiben Rechtsbeschwerden eingelegt und die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt. Sie erstrebt eine Aufhebung der Verwerfungsentscheidung und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren. Mit am selben Tag beim Bundesgerichtshof eingegangenem Schreiben vom 15. Juli 2015 hat sie Angaben zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gemacht.

II.


2
Prozesskostenhilfe kann nicht bewilligt werden, weil die Unterlassung der beabsichtigten Rechtsverfolgung der Beklagten allgemeinen Interessen nicht zuwiderläuft (§ 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO).
3
1. Nach § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO erhalten juristische Personen oder parteifähige Vereinigungen Prozesskostenhilfe nur dann, wenn die Kosten weder von ihr noch von den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und wenn die Unterlassung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde. Die Beschränkung durch das letztgenannte Tatbestandsmerkmal trägt den be- sonderen Verhältnissen der juristischen Person Rechnung. Sie besitzen nur dann eine von der Rechtsordnung anerkannte Existenzberechtigung, wenn sie in der Lage sind, ihre Ziele aus eigener Kraft zu verfolgen (BVerfGE 35, 345, 355 ff zu § 114 Abs. 4 ZPO aF; BGH, Beschluss vom 14. Juli 2005 - IX ZB 224/04, WM 2005, 1857; vom 10. Februar 2011 - IX ZB 145/09, WM 2011, 807 Rn. 9, vom 5. März 2015 - IX ZB 77/14, WM 2015, 731 Rn. 8 f; Zöller/Geimer, ZPO, 30. Aufl., § 116 Rn. 24). Ihnen kann daher - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - Prozesskostenhilfe nur gewährt werden, wenn Sachverhalte vorliegen, die größere Kreise der Bevölkerung oder des Wirtschaftslebens ansprechen und soziale Wirkungen nach sich ziehen können. Ein allgemeines Interesse kann angenommen werden, wenn außer den an der Führung des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten ein erheblicher Kreis von Personen durch die Unterlassung der Rechtsverfolgung in Mitleidenschaft gezogen würde, die juristische Person gehindert würde, der Allgemeinheit dienende Aufgaben zu erfüllen, oder wenn von der Durchführung des Prozesses die Existenz eines Unternehmens abhinge, an dessen Erhaltung wegen der großen Zahl von Arbeitsplätzen ein allgemeines Interesse besteht (BGH, Beschluss vom 5. März 2015, aaO Rn. 9 mwN). Ohne Bedeutung ist dagegen das Einzelinteresse an einer richtigen Entscheidung oder der Umstand, dass Rechtsfragen von allgemeiner Bedeutung zu beantworten sind (BGH, aaO Rn. 9 mwN).
4
2. Danach läuft die Unterlassung einer Rechtsverfolgung durch die Beklagte , die als Unternehmergesellschaft (§ 5a GmbHG) eine juristische Person ist (§ 13 Abs. 1 GmbHG), allgemeinen Interessen nicht zuwider. Nach ihrem eigenen Vortrag ist die Gesellschaft, die zuvor keinen im öffentlichen Interesse liegenden Geschäftszweck verfolgt hat, bereits seit Ende des Jahres 2012 nicht mehr wirtschaftlich tätig und verfügt weder über Arbeitnehmer noch über Vermögensgegenstände. Weitere Tatsachen hat sie nicht vortragen. Es liegen da- her keine Anhaltspunkte dafür vor, dass durch die Unterlassung der Rechtsverfolgung ein erheblicher Kreis von Personen in Mitleidenschaft gezogen würde. Rückwirkungen auf größere Teile der Bevölkerung oder des Wirtschaftslebens sind nicht zu erwarten. Es droht weder der Verlust einer großen Anzahl von Arbeitsplätzen , noch eine Gefährdung einer Vielzahl von Gläubigern.
Kayser Gehrlein Grupp
Möhring Bär

Vorinstanzen:
AG Wolfratshausen, Entscheidung vom 11.02.2015 - 5 C 222/14 -
LG München II, Entscheidung vom 13.04.2015 - 8 S 1260/15 -

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 114 Voraussetzungen


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Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG | § 13 Juristische Person; Handelsgesellschaft


(1) Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung als solche hat selbständig ihre Rechte und Pflichten; sie kann Eigentum und andere dingliche Rechte an Grundstücken erwerben, vor Gericht klagen und verklagt werden. (2) Für die Verbindlichkeiten der Ges

Zivilprozessordnung - ZPO | § 116 Partei kraft Amtes; juristische Person; parteifähige Vereinigung


Prozesskostenhilfe erhalten auf Antrag 1. eine Partei kraft Amtes, wenn die Kosten aus der verwalteten Vermögensmasse nicht aufgebracht werden können und den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten nicht zuzumuten ist, die Kosten a

Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG | § 5a Unternehmergesellschaft


(1) Eine Gesellschaft, die mit einem Stammkapital gegründet wird, das den Betrag des Mindeststammkapitals nach § 5 Abs. 1 unterschreitet, muss in der Firma abweichend von § 4 die Bezeichnung "Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)" oder "UG (ha

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Prozesskostenhilfe erhalten auf Antrag

1.
eine Partei kraft Amtes, wenn die Kosten aus der verwalteten Vermögensmasse nicht aufgebracht werden können und den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten nicht zuzumuten ist, die Kosten aufzubringen;
2.
eine juristische Person oder parteifähige Vereinigung, die im Inland, in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum gegründet und dort ansässig ist, wenn die Kosten weder von ihr noch von den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und wenn die Unterlassung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde.
§ 114 Absatz 1 Satz 1 letzter Halbsatz und Absatz 2 ist anzuwenden. Können die Kosten nur zum Teil oder nur in Teilbeträgen aufgebracht werden, so sind die entsprechenden Beträge zu zahlen.

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

9
aa) Der Gesetzgeber hat die Gewährung von Prozesskostenhilfe an juristische Personen oder parteifähige Vereinigungen durch § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO in Einklang mit der Verfassung an das spezielle Erfordernis geknüpft, dass die Unterlassung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde. Diese Beschränkung trägt den besonderen Ver- hältnissen der juristischen Personen und rechtsfähigen Vereinigungen Rechnung. Diese Rechtsformen bieten den dahinter stehenden Personen wirtschaftliche Vorteile, bei Kapitalgesellschaften zusätzlich eine Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen. Die Rechtsträgerschaft parteifähiger Vereinigungen ist an ein ausreichendes Gesellschaftsvermögen gebunden. Dieses ist die Voraussetzung sowohl für ihre Gründung als auch für ihre weitere Existenz. Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung bilden für Gesellschaften Insolvenzgründe. Mit der Insolvenzeröffnung werden die Vereinigungen aufgelöst. Die Vereinigungen besitzen demnach nur dann eine von der Rechtsordnung anerkannte Existenzberechtigung, wenn sie in der Lage sind, ihre Ziele aus eigener Kraft zu verfolgen (BT-Drucks. 8/3068 S. 26 unter Hinweis auf BVerfGE 35, 348 ff, 356). Vor diesem Hintergrund will die Regelung des § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO Vorsorge dagegen treffen, dass mittellose Vereinigungen wirtschaftliche Interessen auf Kosten der Allgemeinheit verwirklichen (OLG Hamburg MDR 1988, 782, 783; MünchKomm-ZPO/Motzer 3. Aufl. § 116 Rn. 25).
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Der Gesetzgeber hat die Gewährung von Prozesskostenhilfe an juristische Personen durch § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO in Einklang mit der Verfassung an das spezielle Erfordernis geknüpft, dass die Unterlassung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde. Diese Beschränkung trägt den besonderen Verhältnissen der juristischen Personen Rechnung. Ihre Rechtsträgerschaft ist an ein ausreichendes Gesellschaftsvermögen gebunden. Dieses ist die Voraussetzung sowohl für ihre Gründung als auch für ihre weitere Existenz. Mit der Insolvenzeröffnung werden sie (§ 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG) aufgelöst. Sie besitzen demnach nur dann eine von der Rechtsordnung anerkannte Existenzberechtigung, wenn sie in der Lage sind, ihre Ziele aus eigener Kraft zu verfolgen (BGH, Beschluss vom 10. Februar 2011 - IX ZB 145/09, ZIP 2011, 540 Rn. 8 f mwN).

(1) Eine Gesellschaft, die mit einem Stammkapital gegründet wird, das den Betrag des Mindeststammkapitals nach § 5 Abs. 1 unterschreitet, muss in der Firma abweichend von § 4 die Bezeichnung "Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)" oder "UG (haftungsbeschränkt)" führen.

(2) Abweichend von § 7 Abs. 2 darf die Anmeldung erst erfolgen, wenn das Stammkapital in voller Höhe eingezahlt ist. Sacheinlagen sind ausgeschlossen.

(3) In der Bilanz des nach den §§ 242, 264 des Handelsgesetzbuchs aufzustellenden Jahresabschlusses ist eine gesetzliche Rücklage zu bilden, in die ein Viertel des um einen Verlustvortrag aus dem Vorjahr geminderten Jahresüberschusses einzustellen ist. Die Rücklage darf nur verwandt werden

1.
für Zwecke des § 57c;
2.
zum Ausgleich eines Jahresfehlbetrags, soweit er nicht durch einen Gewinnvortrag aus dem Vorjahr gedeckt ist;
3.
zum Ausgleich eines Verlustvortrags aus dem Vorjahr, soweit er nicht durch einen Jahresüberschuss gedeckt ist.

(4) Abweichend von § 49 Abs. 3 muss die Versammlung der Gesellschafter bei drohender Zahlungsunfähigkeit unverzüglich einberufen werden.

(5) Erhöht die Gesellschaft ihr Stammkapital so, dass es den Betrag des Mindeststammkapitals nach § 5 Abs. 1 erreicht oder übersteigt, finden die Absätze 1 bis 4 keine Anwendung mehr; die Firma nach Absatz 1 darf beibehalten werden.

(1) Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung als solche hat selbständig ihre Rechte und Pflichten; sie kann Eigentum und andere dingliche Rechte an Grundstücken erwerben, vor Gericht klagen und verklagt werden.

(2) Für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftet den Gläubigern derselben nur das Gesellschaftsvermögen.

(3) Die Gesellschaft gilt als Handelsgesellschaft im Sinne des Handelsgesetzbuchs.