Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Juli 2011 - IX ZB 256/10
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Der Antrag des Schuldners auf Aussetzung der Vollziehung des Beschlusses des Amtsgerichts Lüneburg vom 7. September 2010 wird abgelehnt.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 30.288,70 € festgesetzt.
Gründe:
I.
- 1
- Die weitere Beteiligte zu 1 (Gläubigerin) hat wegen Steuerrückständen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners beantragt. Zur Glaubhaftmachung ihrer Forderung hat sie eine "Aufstellung von in Vollstreckung befindlichen Rückständen" vorgelegt. Steuerbescheide und Steueranmeldungen sind nicht zu den Akten gelangt. Das Insolvenzgericht hat das Insolvenzverfahren nach Einholung eines Gutachtens zum Vorliegen eines Insolvenzgrundes und zur Deckung der Massekosten eröffnet. Die sofortige Beschwerde des Schuldners ist erfolglos geblieben. Mit seiner Rechtsbeschwerde will der Schuldner weiterhin die Abweisung des Insolvenzantrags erreichen. Hilfsweise beantragt er, die Vollziehung des Eröffnungsbeschlusses bei Zurückverweisung an das Beschwerdegericht auszusetzen.
II.
- 2
- Die Rechtsbeschwerde ist nach § 34 Abs. 2, §§ 6, 7 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie führt bereits deshalb zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht, weil der angefochtene Beschluss nicht mit Gründen versehen ist. Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, müssen den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden wird, wiedergeben und den Streitgegenstand sowie die in den Vorinstanzen gestellten Anträge erkennen lassen (ständige Rechtsprechung, vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juni 2002 - IX ZB 56/01, ZInsO 2002, 724; vom 14. Juni 2010 - II ZB 20/09, NJW-RR 2010, 1582 Rn. 5; vom 13. Januar 2011 - IX ZB 113/10, juris, Rn. 2). Fehlen die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen, ist das Rechtsbeschwerdegericht, das grundsätzlich von dem vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt auszugehen hat (§ 577 Abs. 2 Satz 4, § 559 ZPO), zu einer rechtlichen Überprüfung der angefochtenen Entscheidung nicht in der Lage.
- 3
- So liegt der Fall hier. Dem Beschluss des Beschwerdegerichts ist nicht zu entnehmen, aufgrund welcher Tatsachen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners , die zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Verfahrenseröffnung vorliegen muss (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juli 2006 - IX ZB 204/04, BGHZ 169, 17 Rn. 8 ff), gegeben ist. Wie hoch die fälligen Verbindlichkeiten des Schuldners zu diesem Zeitpunkt waren und welche flüssigen Mittel diesen gegenüberstanden (vgl. zu den Voraussetzungen der Zahlungsunfähigkeit BGH, Urteil vom 24. Mai 2005 - IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134, 137 ff), hat das Beschwerdegericht nicht festgestellt. Die Einwendungen des Schuldners gegen die Forderung des den Antrag stellenden Finanzamts bleiben ebenso unerwähnt, wie der Einwand des Schuldners, über die Forderung der Steuerberatungsgesellschaft sei eine Teilzahlungsvereinbarung getroffen. Hinsichtlich des vorhandenen liquiden Vermögens wird nur ausgeführt, dass Zahlungsunfähigkeit selbst dann vorliege, wenn ein möglicherweise überhöhter Einbehalt aus einem früheren Insolvenzverfahren, in dem die Vergütung noch nicht abgerechnet sei, zur Masse gezählt werde. Wie hoch ein möglicher Rückfluss von Mitteln aus dem früheren Verfahren sein könnte, ist daraus nicht zu entnehmen.
- 4
- Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass der Insolvenzantrag eines Finanzamts, mit dessen Voraussetzungen sich das Beschwerdegericht bisher noch nicht befasst hat, grundsätzlich nur zulässig ist, wenn Steuerbescheide und gegebenenfalls etwaige Steueranmeldungen des Schuldners vorgelegt werden (BGH, Beschluss vom 13. Juni 2006 - IX ZB 214/05, ZInsO 2006, 828 Rn. 8 ff; vom 9. Juli 2009 - IX ZB 86/09, ZInsO 2009, 1533 Rn. 3). Eine Liste der in der Vollstreckung befindlichen Rückstände reicht hierzu nicht aus. Eine Glaubhaftmachung der Forderung durch das Finanzamt durch Vorlage der Bescheide kann ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn das Finanzamt die ausstehenden Steuern genau beschreibt und der Schuldner sich lediglich auf Er- lassanträge und Gegenansprüche beruft (BGH, Beschluss vom 9. Juli 2009, aaO, Rn. 3). Ob das Beschwerdegericht von einem entsprechenden Ausnahmefall ausgegangen ist, kann der Entscheidung, in der Ausführungen zur Zulässigkeit des Antrags gänzlich fehlen, nicht entnommen werden, obwohl auch das Beschwerdegericht die Zulässigkeit des Antrags zu prüfen hat (BGH, Beschluss vom 13. Juni 2006, aaO Rn. 6).
III.
- 5
- Der Antrag des Schuldners auf Aussetzung der Vollziehung der Entscheidung (§ 4 InsO, § 575 Abs. 5, § 570 Abs. 3 ZPO) wird abgelehnt, weil nicht festgestellt werden kann, dass dem Rechtsbeschwerdeführer durch die weitere Vollziehung größere Nachteile drohen als den anderen Beteiligten im Fall der Aussetzung (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 2002 - IX ZB 48/02, ZInsO 2002, 370 f). Zwar kann das Rechtsbeschwerdegericht die Vollziehung der erstinstanzlichen Entscheidung auch bis zur (erneuten) Entscheidung des Beschwerdegerichts aussetzen (BGH, Beschluss vom 27. Juli 2006, aaO Rn. 29 ff). Eine Aussetzung der Vollziehung, deren Anordnung im Ermessen des Rechtsbeschwerdegerichts liegt, erscheint hier aber nicht angebracht,weil die Gefahr erheblicher Verschlechterungen für die Gläubiger besteht, wenn der Schuldner bei der Aufklärung der Eröffnungsvoraussetzungen sein bisheriges obstruktives Verhalten fortsetzt.
Grupp Möhring
Vorinstanzen:
AG Lüneburg, Entscheidung vom 07.09.2010 - 46 IN 61/10 -
LG Lüneburg, Entscheidung vom 10.11.2010 - 3 T 82/10 -
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(1) Wird die Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgelehnt, so steht dem Antragsteller und, wenn die Abweisung des Antrags nach § 26 erfolgt, dem Schuldner die sofortige Beschwerde zu.
(2) Wird das Insolvenzverfahren eröffnet, so steht dem Schuldner die sofortige Beschwerde zu.
(3) Sobald eine Entscheidung, die den Eröffnungsbeschluß aufhebt, Rechtskraft erlangt hat, ist die Aufhebung des Verfahrens öffentlich bekanntzumachen. § 200 Abs. 2 Satz 2 gilt entsprechend. Die Wirkungen der Rechtshandlungen, die vom Insolvenzverwalter oder ihm gegenüber vorgenommen worden sind, werden durch die Aufhebung nicht berührt.
(1) Die Entscheidungen des Insolvenzgerichts unterliegen nur in den Fällen einem Rechtsmittel, in denen dieses Gesetz die sofortige Beschwerde vorsieht. Die sofortige Beschwerde ist bei dem Insolvenzgericht einzulegen.
(2) Die Beschwerdefrist beginnt mit der Verkündung der Entscheidung oder, wenn diese nicht verkündet wird, mit deren Zustellung.
(3) Die Entscheidung über die Beschwerde wird erst mit der Rechtskraft wirksam. Das Beschwerdegericht kann jedoch die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung anordnen.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(2) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Parteien gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 575 Abs. 3 und § 574 Abs. 4 Satz 2 gerügt worden sind. § 559 gilt entsprechend.
(3) Ergibt die Begründung der angefochtenen Entscheidung zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
(4) Wird die Rechtsbeschwerde für begründet erachtet, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. § 562 Abs. 2 gilt entsprechend. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(5) Das Rechtsbeschwerdegericht hat in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist. § 563 Abs. 4 gilt entsprechend.
(6) Die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ergeht durch Beschluss. § 564 gilt entsprechend. Im Übrigen kann von einer Begründung abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.
(1) Der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegt nur dasjenige Parteivorbringen, das aus dem Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist. Außerdem können nur die in § 551 Abs. 3 Nr. 2 Buchstabe b erwähnten Tatsachen berücksichtigt werden.
(2) Hat das Berufungsgericht festgestellt, dass eine tatsächliche Behauptung wahr oder nicht wahr sei, so ist diese Feststellung für das Revisionsgericht bindend, es sei denn, dass in Bezug auf die Feststellung ein zulässiger und begründeter Revisionsangriff erhoben ist.
Für das Insolvenzverfahren gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung entsprechend. § 128a der Zivilprozessordnung gilt mit der Maßgabe, dass bei Gläubigerversammlungen sowie sonstigen Versammlungen und Terminen die Beteiligten in der Ladung auf die Verpflichtung hinzuweisen sind, wissentliche Ton- und Bildaufzeichnungen zu unterlassen und durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass Dritte die Ton- und Bildübertragung nicht wahrnehmen können.
(1) Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten:
- 1.
die Bezeichnung der Entscheidung, gegen die die Rechtsbeschwerde gerichtet wird und - 2.
die Erklärung, dass gegen diese Entscheidung Rechtsbeschwerde eingelegt werde.
(2) Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Beschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat zu begründen. Die Frist beginnt mit der Zustellung der angefochtenen Entscheidung. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend.
(3) Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss enthalten:
- 1.
die Erklärung, inwieweit die Entscheidung des Beschwerdegerichts oder des Berufungsgerichts angefochten und deren Aufhebung beantragt werde (Rechtsbeschwerdeanträge), - 2.
in den Fällen des § 574 Abs. 1 Nr. 1 eine Darlegung zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2, - 3.
die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe, und zwar - a)
die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt; - b)
soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.
(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Beschwerde- und die Begründungsschrift anzuwenden. Die Beschwerde- und die Begründungsschrift sind der Gegenpartei zuzustellen.
(5) Die §§ 541 und 570 Abs. 1, 3 gelten entsprechend.
(1) Die Beschwerde hat nur dann aufschiebende Wirkung, wenn sie die Festsetzung eines Ordnungs- oder Zwangsmittels zum Gegenstand hat.
(2) Das Gericht oder der Vorsitzende, dessen Entscheidung angefochten wird, kann die Vollziehung der Entscheidung aussetzen.
(3) Das Beschwerdegericht kann vor der Entscheidung eine einstweilige Anordnung erlassen; es kann insbesondere die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung aussetzen.