Bundesgerichtshof Beschluss, 31. Mai 2010 - II ZB 9/09
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
A.
- 1
- Die Klägerin zu 1 war eine Anwaltssozietät in Form einer zweigliedrigen Gesellschaft bürgerlichen Rechts, welcher der Kläger zu 2 und die Beklagte als Gesellschafter angehörten. In § 18 des Gesellschaftsvertrages war vereinbart, dass der kündigende Gesellschafter aus der Gesellschaft ausscheidet und im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters und Verbleibens nur eines Gesellschafters das Vermögen der Sozietät ohne Liquidation mit Aktiva und Passiva auf den verbleibenden Gesellschafter im Verhältnis der bisherigen Anteile übergeht. Unstreitig ist die Beklagte spätestens zum 31. März 2007 aus der Sozietät ausgeschieden.
- 2
- Die von der Klägerin zu 1 am 13. Juni 2007 eingereichte Klage auf Rückzahlung und Schadensersatz hat das Landgericht als unbegründet abgewiesen. Gegen das erstinstanzliche Urteil hat die Klägerin zu 1 fristgerecht Berufung eingelegt und diese innerhalb der Berufungsbegründungsfrist begründet. Nach einem Hinweis des Berufungsgerichts auf Bedenken gegen die Partei- und Prozessfähigkeit der Klägerin zu 1 haben mit Schriftsatz vom 20. Februar 2009 der Kläger zu 2 seinen Beitritt zum Rechtsstreit und die Klägerin zu 1 ihr Ausscheiden aus dem Prozess erklärt. Das Berufungsgericht hat die Berufungen beider Kläger durch Beschluss als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Kläger.
B.
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- I. Die nach § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Gegen die Zulässigkeit im Übrigen ergeben sich auch hinsichtlich der Klägerin zu 1 keine Bedenken, weil sie sich gegen die prozessualen Folgerungen wendet, welche das Berufungsgericht aus ihrer fehlenden Parteifähigkeit gezogen hat, und sie für diesen Streit als existent und parteifähig zu behandeln ist.
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- II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg und führt unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Entscheidung des Berufungsgerichts.
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- 1. Das Berufungsgericht (ZIP 2009, 2123) hat ausgeführt, dass die Klägerin zu 1 aufgrund der liquidationslosen Vollbeendigung der Gesellschaft und der Gesamtrechtsnachfolge des verbleibenden Gesellschafters infolge des Ausscheidens der Beklagten schon vor Anhängigkeit der Klage nicht mehr existent und damit parteiunfähig gewesen sei. Ergebe sich die bereits bei Klageerhebung fehlende Parteifähigkeit des in erster Instanz sachlich unterlegenen Klägers in der Berufungsinstanz, sei ausnahmsweise nicht die Klage als unzulässig abzuweisen, sondern die Berufung als unzulässig zu verwerfen, wenn die fehlende Parteifähigkeit nicht wiederhergestellt werden könne. Das erstinstanzlich ergangene Urteil, mit welchem die Klage der nicht mehr existenten Partei abgewiesen worden sei, gehe ins Leere, eine Schutzbedürftigkeit des betroffenen Klägers sei nicht ersichtlich. Die Berufung des Klägers zu 2 sei unzulässig, da sie nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist erfolgt und der später erklärte Parteiwechsel bereits wegen der Unzulässigkeit der Berufung der Klägerin zu 1 nicht wirksam geworden sei.
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- 2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand.
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- a) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass die zum Ausscheiden eines Gesellschafters im Gesellschaftsvertrag vereinbarte Regelung zur Folge hatte, dass beim Ausscheiden der Beklagten das Vermögen der Klägerin zu 1 im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den allein verbleibenden Gesellschafter überging, ohne dass es eines Übertragungsaktes oder einer Übernahmeerklärung bedurfte (Sen.Urt. v. 7. Juli 2008 - II ZR 37/07, ZIP 2008, 1677 Tz. 9; v. 12. Juli 1999 - II ZR 4/98, ZIP 1999, 1526, 1527). Mit dem Ausscheiden der Beklagten war die Gesellschaft daher ohne Liquidation beendet, so dass ihr bereits zum Zeitpunkt der Klageerhebung die Parteifähigkeit fehlte.
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- b) Die mangelnde Parteifähigkeit der Klägerin zu 1 führt aber entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht zur Unzulässigkeit der von ihr eingelegten Berufung gegen das landgerichtliche Urteil.
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- aa) In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Prozesspartei, deren Parteifähigkeit in Streit steht, zur gerichtlichen Klärung dieser Frage als parteifähig zu behandeln ist (BGHZ 24, 91, 94; 74, 212, 215; BGH, Beschl. v. 29. Mai 2008 - IX ZB 103/07, ZIP 2008, 2029 Tz. 33; v. 13. Juli 1993 - III ZB 17/93, WM 1993, 1939, 1940; Sen.Urt. v. 21. Oktober 1985 - II ZR 82/85, WM 1986, 145; Urt. v. 29. September 1981 - VI ZR 21/80, WM 1981, 1387, 1388). Eine nicht existente oder aus anderen Gründen parteiunfähige Partei kann Rechtsmittel einlegen, um ihre Nichtexistenz oder anderweitig fehlende Parteifähigkeit geltend zu machen oder um zu rügen, dass ihre Parteifähigkeit vorinstanzlich zu Unrecht verneint worden ist. Ob auch ein Rechtsmittel zulässig ist, mit welchem sich eine parteiunfähige Partei gegen ein in der Vorinstanz ergangenes Sachurteil mit dem Ziel wendet, ein anderes, ihrem Begehren entsprechendes Sachurteil zu erreichen (verneinend OLG Köln VersR 1998, 207, 208), hat der Bundesgerichtshof - anders als für die Prozessvoraussetzung der Prozessfähigkeit (BGHZ 143, 122, 126 ff.; Sen.Urt. v. 28. Februar 2005 - II ZR 220/03, ZIP 2005, 900, 901; a.A. BGHZ 110, 294, 296) - bislang nicht ausdrücklich entschieden. In den Urteilen vom 4. Mai 2004 (BGHZ 159, 94, 103) und vom 8. April 1976 (II ZR 212/74, WM 1976, 686) ist er allerdings ohne weiteres von der Zulässigkeit eines auf eine andere Sachentscheidung abzielenden Rechtsmittels der parteiunfähigen Prozesspartei ausgegangen. Im Schrifttum wird bei der Frage der Zulässigkeit des Rechtsmittels einer möglicherweise parteiunfähigen Partei überwiegend nicht danach differenziert, ob mit dem Rechtsmittel ein Prozessurteil oder eine andere Sachentscheidung erstrebt wird (Zöller/Vollkommer, ZPO 28. Aufl. § 56 Rdn. 14; Hausmann in Wieczorek/Schütze, ZPO 3. Aufl. § 50 Rdn. 83; Bork in Stein/Jonas, ZPO 22. Aufl. § 56 Rdn. 16; MünchKommZPO/ Lindacher 3. Aufl. § 50 Rdn. 60; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht , 17. Aufl. § 43 Rdn. 40; Schemmann, Parteifähigkeit im Zivilprozess S. 134 ff.; a.A. Gehrlein in Prütting/Gehrlein, ZPO § 50 Rdn. 9).
- 10
- bb) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts besteht kein Grund, in der hier gegebenen Verfahrenskonstellation die Zulässigkeit der Berufung der Klägerin zu 1 ausnahmsweise zu verneinen.
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- Die rechtliche Existenz und damit die Parteifähigkeit jeder an einem Rechtsstreit beteiligten Partei ist eine Prozessvoraussetzung, die in jeder Lage des Verfahrens, auch in den Rechtsmittelinstanzen, von Amts wegen zu prüfen ist (§ 56 Abs. 1 ZPO) und ohne die ein Sachurteil nicht ergehen darf (BGHZ 159, 94, 98; 134, 116, 118). Legt eine parteiunfähige Partei gegen ein vorinstanzlich ergangenes Sachurteil Rechtsmittel ein, stellt sich für das Rechtsmittelgericht die Frage der Parteifähigkeit gleichviel, ob der Rechtsmittelführer seine Parteiunfähigkeit geltend macht oder eine andere für ihn günstigere Sachentscheidung erstrebt. Dem mit dem Rechtsmittel verfolgten Rechtsschutzziel kommt insoweit keine Bedeutung zu, weil die Parteifähigkeit als Prozessvoraussetzung der Parteidisposition entzogen ist, die rechtsmittelführende Partei mithin den Erlass eines Sachurteils nicht mit rechtlicher Bindungswirkung hinnehmen kann (a.A. OLG Köln aaO). Ergeben sich in der Rechtsmittelinstanz Zweifel an der Parteifähigkeit, ist die Partei nach den allgemein anerkannten Grundsätzen für die Klärung der Zweifel als parteifähig zu behandeln, was die Zulässigkeit des Rechtsmittels zur Folge hat. Die Zuordnung der Entscheidung über die Parteifähigkeit zur Begründetheit des Rechtsmittels trägt dem Charakter der Parteifähigkeit als für den gesamten Rechtsstreit bedeutsamen Sachurteilsvoraussetzung Rechnung (vgl. Schemmann aaO S. 137; Bökelmann, JR 1972, 246) und eröffnet einen prozessual einfachen Weg zur Korrektur des in der Vorinstanz fehlerhaft ergangenen Sachurteils. Hierfür besteht entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auch dann ein Bedürfnis, wenn das Sachurteil für und gegen eine nicht existente Partei ergeht und deshalb keine Rechtswirkungen entfaltet (vgl. Hausmann aaO vor § 50 Rdn. 24 m.w.Nachw.). Aus diesem Grund ist anerkannt, dass auch solche wirkungslosen Urteile durch Rechtsmittel beseitigt werden können (BGH, Urt. v. 24. März 1994 - VII ZR 159/92, WM 1994, 1212, 1213; Beschl. v. 13. Juli 1993 aaO; OLG Hamburg MDR 1976, 845; Zöller/Vollkommer aaO vor § 50 Rdn. 11 m.w.Nachw.). Auf Erwägungen zur Schutzbedürftigkeit der parteiunfähigen Prozesspartei im Einzelfall kann es, anders als es das Berufungsgericht meint, demgegenüber nicht entscheidend ankommen.
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- c) Die Verwerfung der Berufung des Klägers zu 2 kann ebenfalls keinen Bestand haben. Für eine Berufungsverwerfung ist schon deshalb kein Raum, weil es an einem eigenständigen Rechtsmittel des Klägers zu 2 fehlt. Dabei kommt es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auf die Wirksamkeit des erklärten Klägerwechsels und in diesem Zusammenhang auf die Zulässigkeit der Berufung der Klägerin zu 1 nicht an. Erweist sich die Berufung der ursprünglichen Klägerin zu 1 als unzulässig, scheidet ein Klägerwechsel von vornherein aus. Denn ein Parteiwechsel in der Berufungsinstanz setzt das Vorliegen einer zulässigen, die Instanz überhaupt eröffnenden Berufung voraus (BGHZ 155, 21, 24 f.; BGH, Beschl. v. 21. September 1994 - VIII ZB 22/94, NJW 1994, 3358). In diesem Fall geht die Erklärung des Klägerwechsels ins Leere, ohne dass es hierzu einer gesonderten gerichtlichen Entscheidung bedarf. Bei Zulässigkeit der von der ursprünglichen Klägerin zu 1 eingelegten und begründeten Berufung hängt die Wirksamkeit des Klägerwechsels bei fehlender Zustimmung der Beklagten von der Sachdienlichkeit des Parteiwechsels ab (BGHZ 155, 21, 25; 65, 264, 268; BGH, Urt. v. 27. Juni 1996 - IX ZR 324/95, NJW 1996, 2799). Hierüber ist im Berufungsverfahren durch Zwischenurteil (BGH, Urt. v. 28. Juni 1994 - X ZR 44/93, GRUR 1996, 865; Sen.Urt. v. 10. November 1980 - II ZR 96/80, NJW 1981, 989 zum Beklagtenwechsel) oder in der Endentscheidung über die Berufung zu befinden.
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 15.11.2007 - 14 O 255/07 -
KG, Entscheidung vom 02.04.2009 - 4 U 184/07 -
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Annotations
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Das Gericht hat den Mangel der Parteifähigkeit, der Prozessfähigkeit, der Legitimation eines gesetzlichen Vertreters und der erforderlichen Ermächtigung zur Prozessführung von Amts wegen zu berücksichtigen.
(2) Die Partei oder deren gesetzlicher Vertreter kann zur Prozessführung mit Vorbehalt der Beseitigung des Mangels zugelassen werden, wenn mit dem Verzug Gefahr für die Partei verbunden ist. Das Endurteil darf erst erlassen werden, nachdem die für die Beseitigung des Mangels zu bestimmende Frist abgelaufen ist.