Bundesgerichtshof Beschluss, 10. März 2010 - 5 StR 62/10

published on 10/03/2010 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 10. März 2010 - 5 StR 62/10
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate
5 StR 62/10

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 10. März 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. März 2010

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 16. Oktober 2009 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Die hiergegen mit einer Verfahrensrüge und der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten vermag zum Schuldspruch aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts nicht durchzudringen. Jedoch kann der Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand haben.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts stach der beträchtlich alkoholisierte Angeklagte (Blutalkoholkonzentration: rund 2,8 ‰) dem Geschädigten in den frühen Morgenstunden des 1. April 2009 mit dem abgeschlagenen Flaschenhals einer Likörflasche mindestens zweimal wuchtig in den Hals. Dadurch durchtrennte er die linke Halsschlagader vollständig und die linke Drosselvene fast vollständig. Das Opfer verstarb binnen weniger Minuten.
3
Den tödlichen Stichen war ein auf Provokationen des Geschädigten zurückzuführendes Kampfgeschehen vorausgegangen. Der Geschädigte (Blutalkoholkonzentration: rund 3 ‰), bei dem es sich um einen Alkoholiker und „notorischen Straftäter“ handelte (UA S. 16), hatte sich über die Tätowierungen am Körper des Angeklagten lustig gemacht, diesen als „Knacki“ bezeichnet , sich herablassend über dessen Wohnsituation in einem Wohnheim für sozial schwache Personen und über dessen Stand als „Hartz IVEmpfänger“ geäußert. Außerdem hatte er gedroht, dass er, wenn er den Angeklagten „nicht kriege“, eben dessen Frau und Kind „wegmachen“ werde.
4
2. Das Landgericht hat einen minder schweren Fall des Totschlags nach § 213 StGB im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, die Drohung gegenüber der früheren Lebenspartnerin des Angeklagten und dessen Kind habe dieser nicht ernst genommen. Er habe diese Worte vielmehr so interpretiert, dass das Opfer sich mit ihm zu schlagen wünsche. Sich darauf einzulassen, sei für ihn eher eine Genugtuung gewesen, habe ihn doch der Geschädigte u. a. mit dem Gerede über seine soziale Lage „genervt“ und wütend gemacht, weshalb es an der Zeit gewesen sei, ihn in die Schranken zu weisen (UA S. 57 f.).
5
3. Die diesen Ausführungen zugrunde liegende Beweiswürdigung ist nicht frei von Rechtsfehlern. Der Angeklagte hatte sich in seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung dahin eingelassen, aufgrund der vom Opfer geäußerten Bedrohung gegenüber seiner Familie „ausgeklinkt“ zu sein und „den platt gemacht“ zu haben (UA S. 42). Ähnlich hatte er sich gegenüber dem Sachverständigen geäußert (UA S. 43: „Ich hab' sehr ernst genommen, dass der ein Killer ist“; „Ich hab' in dem Moment einfach das Bild gesehen, was der hätte machen können“; siehe auch UA S. 47, 51).
6
Die Strafkammer sieht hierin eine Ausflucht. Der Angeklagte habe die Drohung des Opfers nicht ernst genommen, weil er dem Geschädigten körperlich überlegen gewesen sei (UA S. 42). Damit lässt das Landgericht außer Acht, dass eine körperliche Überlegenheit zwar beim Angeklagten, nicht aber bei seinem 2002 geborenen Sohn und dessen Mutter gegeben war, und dass die Überlegenheit des Angeklagten nicht gewährleistete, den Geschädigten von Übergriffen gegen die Genannten in seiner Abwesenheit abzuhalten. Letztlich beruhen die diesbezüglichen Darlegungen der Strafkammer deshalb auf nicht durch konkrete Tatsachen belegten Vermutungen (vgl. BGHR StPO § 261 Vermutung 3, 6, 7, je m.w.N).
7
Mag die Ablehnung eines minder schweren Falls des Totschlags nach § 213 StGB 1. Alternative trotz der durch den Geschädigten ausgesprochenen Kränkungen und der von ihm verübten Misshandlung, zu der auch die versuchte Körperverletzung zu rechnen ist (BGHR StGB § 213 Alternative 1 Misshandlung 5), im Ergebnis im Blick auf auch gegebene eigene Schuld des Angeklagten noch vertretbar sein, so sind bei dieser Sachlage jedenfalls die Voraussetzungen des sonst minder schweren Falles nach § 213 StGB 2. Alternative nicht tragfähig ausgeschlossen. In die erforderliche Gesamtbewertung (vgl. Fischer, StGB 57. Aufl. § 213 Rdn. 12) waren über die angesprochenen Umstände hinaus die von der Strafkammer zugrunde gelegte verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten sowie die bei ihm diagnostizierte Persönlichkeitsstörung einzustellen. Einer vom Angeklagten als real empfundenen Bedrohung des Lebens seines Kindes und seiner ehemaligen Lebenspartnerin würde in diesem Rahmen beträchtliches zusätzliches Gewicht zukommen.
8
Das neue Tatgericht wird die Voraussetzungen des § 213 StGB demnach unter Erhebung eigener Feststellungen neu zu prüfen haben. Dass ein die Schuldfähigkeit aufhebender Affekt gegeben sein könnte, schließt der Senat aus.
9
4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
10
a) Das Landgericht hat eine Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 21 StGB nicht auszuschließen vermocht, jedoch die Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB unter dem Gesichtspunkt der selbstverschuldeten Trunkenheit versagt (zu den hier zu beachtenden Grundsätzen BGHSt 49, 239). Dafür hat es maßgebend in alkoholisiertem Zustand begangene Gewalttaten herangezogen, derentwegen der Angeklagte in den Jahren 1996 und 1997 verurteilt worden ist. Das neue Tatgericht wird sich mit dem Umstand auseinanderzusetzen haben, dass der Angeklagte in den folgenden mehr als zehn Jahren nicht mehr in gleicher Weise straffällig geworden ist. Bei Annahme eines minder schweren Falls des Totschlags nach § 213 StGB wird eine Doppelmilderung (vgl. Fischer aaO § 213 Rdn. 17 ff.) allerdings eher fern liegen.
11
b) Das angefochtene Urteil würdigt straferschwerend, die vom Angeklagten eingesetzte Kraft und die wuchtig geführten Stiche seien Ausdruck erheblicher Brutalität und Aggressivität. Dies begegnet bei der hier vorliegenden Tötungshandlung unter dem Blickwinkel des § 46 Abs. 3 StGB Bedenken.
12
c) Das neue Tatgericht wird ferner neu zu prüfen haben, ob eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) in Betracht kommt. Den Urteilsgründen ist zu entnehmen, dass bei dem Angeklagten Alkoholmissbrauch zum Alltag gehört (vgl. UA S. 56). Deswegen musste er aus der Wohnung seiner früheren Lebenspartnerin ausziehen (UA S. 9) und verlor hierdurch seine soziale Einbindung. Damit liegt das Merkmal des Hangs im Sinne von § 64 StGB nahe. Kurzfristige Phasen der Abstinenz, auf die das angefochtene Urteil seine gegenteilige Auffassung maßgebend stützt, stehen der Feststellung des Hangs dabei nicht entgegen (vgl. BGH NStZ-RR 2009, 137; Fischer aaO § 64 Rdn. 7).
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,das Maß der Pflichtwidrigkeit,die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowiesein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.