Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Mai 2013 - 5 StR 309/12

bei uns veröffentlicht am30.05.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 309/12

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 30. Mai 2013
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
5.
6.
wegen Insolvenzverschleppung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Mai 2013

beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten B. R. und K. R. wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 24. Juni 2011, soweit es sie betrifft, gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Auf die Revision des Angeklagten B. wird das genannte Urteil gemäß § 349 Abs. 4 StPO
a) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit er im Fall 1 der Urteilsgründe verurteilt worden ist;
b) im Schuldspruch dahingehend geändert, dass er im Fall 6 der Urteilsgründe der Beihilfe zur Untreue schuldig ist;
c) im gesamten Rechtfolgenausspruch aufgehoben.
3. Auf die Revision des Angeklagten J. wird das genannte Urteil gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben
a) mit den zugehörigen Feststellungen, soweit er im Fall 1 der Urteilsgründe verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
4. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten B. und J. werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
5. Die Revisionen der Angeklagten W. und O. gegen das genannte Urteil werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen, jedoch mit der Maßgabe (§ 349 Abs. 4 StPO), dass von den verhängten Gesamtgeldstrafen wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen jeweils 20 Tagessätze als vollstreckt gelten.
Die Angeklagten W. und O. tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel. Jedoch wird die Gebühr für das Rechtsmittelverfahren um ein Achtel ermäßigt. Die Staatskasse hat ein Achtel der insoweit entstandenen Auslagen sowie der notwendigen Auslagen dieser Angeklagten zu tragen.
6. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten B. – bei Freispruch im Übrigen – wegen Anstiftung zur Untreue (Fall 6), Beihilfe zur Insolvenzverschleppung in vier Fällen (Fälle 1, 2, 3, 5), Beihilfe zum Bankrott und Beihilfe zur Untreue (Fall 1) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt, von denen zwei Monate als vollstreckt gelten. Außerdem hat es gegen ihn ein zweijähriges Berufsverbot verhängt. Den Angeklagten J. hat das Landgericht wegen Insolvenzverschleppung in fünf Fällen (Fälle 1 bis 5) und wegen Bankrotts (Fall 1) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt, davon zwei Monate als vollstreckt angerechnet und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Die Angeklagten R. (beide: Fall 1), W. und O. (beide: Fall 5) hat das Landgericht jeweils wegen Insolvenzverschleppung, Bankrotts und Untreue zu Gesamtgeldstrafen (Angeklagte R. : jeweils 360 Tagessätze ; Angeklagte W. und O. : jeweils 80 Tagessätze) verurteilt. Die Revisionen der Angeklagten R. haben umfassend Erfolg. Die Revisionen der übrigen Angeklagten haben in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Verurteilungen der beiden Angeklagten R. wegen Untreue und des Angeklagten B. wegen Beihilfe hierzu (Fall 1) halten sachlich -rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts führten die angeklagten Eheleute R. als Gesellschafter und faktische Geschäftsführer die mittel- ständische „H. GmbH“ (nachfolgend H. GmbH) „planmäßig in die Insolvenz“ (UA S. 9), um sich eines Teils ihrer Arbeitneh- mer unter Umgehung der Forderungen des Betriebsrats und der Gewerkschaft zu entledigen und mit reduzierter Belegschaft ein neues Unternehmen am selben Standort zu gründen. Sie folgten bei ihrem Vorgehen dem anwaltlichen Rat des Angeklagten B. und wurden unterstützt durch den Angeklagten J. , der seit dem 30. Mai 2003 als alleiniger „Strohgeschäftsführer“ der H. GmbH fungierte.
4
Sie gründeten am 13. Juni 2003 die „He. “ (nachfolgend He. ) und veräußerten mit Kaufvertrag vom 30. Juni 2003 das gesamte Anlage- und Umlaufvermögen der H. GmbH für ca. 1,8 Mio. € an die He. . Der Kaufpreis sollte durch Freistellung und Über- nahme von Verbindlichkeiten (insbesondere Darlehensforderungen der Eltern der Angeklagten B. R. ) geleistet werden, wovon die Lohnund Gehaltsforderungen der 63 Arbeitnehmer in Höhe von rund 165.000 € nicht erfasst waren. Mit Vollzug des Kaufvertrages am 1. August 2003 geriet die H. GmbH in die Überschuldung, „weil sie über keinerlei Vermögenswerte mehr verfügte, andererseits aber Verbindlichkeiten ausgesetzt war“, die nicht übernommen worden waren (UA S. 26).
5
Allen 63 Arbeitnehmern der H. GmbH wurde am 30. Juni 2003 zum 31. Juli 2003 gekündigt; davon wurden 34 Arbeitnehmern ab dem 15. September 2003 neue Beschäftigungen in einer Betreibergesellschaft derHe. angeboten und mit 15 weiteren Arbeitnehmern Abfindungsvergleiche geschlossen. Die übrigen Arbeitnehmer haben Kündigungsschutzklagen erhoben und beide Gesellschaften unter Berufung auf einen Betriebsübergang nach § 613a BGB in Anspruch genommen; diese Rechtsstreitigkeiten endeten in Vergleichen, in denen die He. und der Angeklagte K. R. sich zu Abfindungszahlungen verpflichteten (vgl. UA S. 21 f.).
6
b) Die tatsächlichen Feststellungen belegen einen Vermögensnachteil im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB nicht.
7
Einen Vermögensnachteil hat das Landgericht nicht beziffert, sondern darin gesehen, dass die Käuferin nicht sämtliche schon entstandene und zukünftig entstehende Verbindlichkeiten der H. GmbH, „insbesondere die Lohn- und Gehaltsforderungen der Arbeitnehmer für die Monate Juni und Juli 2003 einschließlich der Lohnnebenkosten“ (vgl. UA S. 26, 104, 106), vollständig übernommen hat. Es hat damit den Vermögensnachteil nicht in Höhe der entzogenen Vermögenswerte, sondern in der Gefahr des Ausfalls der Gesellschaft als Schuldnerin für bestehende und noch zu erwartende Verbindlichkeiten gesehen.
8
Zwar war es den Angeklagten R. nicht erlaubt, der H. GmbH dasjenige Vermögen zu entziehen, das die Gesellschaft noch zur Begleichung ihrer Verbindlichkeiten benötigte (vgl. BGH, Urteil vom 13. Mai2004 – 5StR 73/03, BGHSt 49, 147, 158 f.; BGH, Beschluss vom 31. Juli 2009 – 2 StR 95/09, BGHSt 54, 52 mwN). Inwieweit der H. GmbH durch die Über- tragung des gesamten Anlage- und Umlaufvermögens ein messbarer Vermögensnachteil entstanden ist, kann aber vorliegend nicht allein aus pflichtwidrigem Handeln geschlossen werden, sondern bedarf eigenständiger Feststellungen (vgl. BVerfGE 126, 170, 211). Die bislang getroffenen Feststellungen des Landgerichts genügen nicht den Anforderungen, die an die Ermittlung eines schadensgleichen Gefährdungsschadens gestellt werden.
9
Ein solcher schadensgleicher Gefährdungsschaden ist in wirtschaftlich nachvollziehbarer Weise festzustellen; unvermeidliche Prognose- und Beurteilungsspielräume sind durch vorsichtige Schätzung auszufüllen (vgl. BVerfGE, aaO, S. 229 f.). Eine konkrete Vermögensgefährdung in Höhe der am 31. Juli 2003 bestehenden Lohn- und Gehaltsforderungen von rund 165.000 € ist nicht hinreichend belegt; die abstrakte Gefahr einer Inanspruchnahme reicht hierfür nicht aus.
10
Eine konkrete Vermögensgefährdung liegt erst dann vor, wenn nach den Umständen des Einzelfalls mit wirtschaftlichen Nachteilen ernstlich zu rechnen ist (BGH, Urteil vom 9. Juli 1987 – 4 StR 216/87, BGHSt 34, 394, 395) oder wenn die Gefahr des endgültigen Verlustes eines Vermögensbestandteils so groß ist, dass sie schon jetzt eine Minderung des Gesamtvermögens zur Folge hat (vgl. BGH, Beschluss vom 2. April 2008 – 5 StR 354/07, BGHSt 52, 182, 189). Erst die konkrete wirtschaftliche Aus- wirkung macht eine zukünftige Verlustgefahr zu einem wirtschaftlichen Schaden (vgl. BVerfGE, aaO, S. 228).
11
Im vorliegenden Fall bestand die Besonderheit darin, dass mit der überwiegenden Anzahl der Arbeitnehmer außergerichtliche Einigungen er- zielt wurden. Es hätte daher näherer Darlegungen bedurft, in welcher Höhe die Lohn- und Gehaltsforderungen danach gegenüber der H. GmbH noch durchsetzbar waren. Nach der insoweit nicht ausreichend gewürdigten Einlassung der Angeklagten B. R. , wonach sämtliche Gläubiger der H. GmbH objektiv befriedigt worden waren (UA S. 60, 62), kann nicht ausgeschlossen werden, dass in den entsprechenden Vereinbarungen auch Regelungen über Lohn- und Gehaltsforderungen getroffen und diese auch befriedigt worden sind.
12
Auch hinsichtlich der Forderungen, die prozessual geltend gemacht und schließlich Gegenstand gerichtlicher Vergleiche wurden, hätte erörtert werden müssen, in welcher Höhe die H. GmbH bei einem etwaigen Betriebsübergang nach § 613a BGB Zahlungsansprüchen ausgesetzt war, die nicht durch einen Anspruch im Innenverhältnis nach § 613a Abs. 2 Satz 1, § 426 Abs. 1 BGB kompensiert worden sind.
13
Die Rechtsfolge des § 613a BGB ist hier kein im Rahmen des Untreuetatbestands nach § 266 StGB unbeachtlicher Kompensationsanspruch, sondern ist aufgrund der gewählten Konstruktion der Überleitung der Betriebsmittel als ein zugunsten der Angeklagten zu berücksichtigender Schadensausschlussgrund anzusehen. Sie kann sich auch auf die Nachteilsfeststellung im Blick auf die H. GmbH auswirken. Das Bestehen eines Betriebsübergangs im Sinne des § 613a BGB würde – wozu das neue Tatgericht Feststellungen zu treffen hätte – den Nachteil gegenüber der H. GmbH beseitigen , wenn diese im Innenverhältnis von dem Nachfolgeunternehmen freigestellt wäre (oder sich ein solches Ereignis aufgrund einer Auslegung ergibt) und somit kein Gesamtschuldnerausgleich im Innenverhältnis zwischen abgebendem und aufnehmendem Unternehmen bestünde. Dieses müsste dann im Rahmen der Gesamtsaldierung bei der Nachteilsbestimmung im Sinne des § 266 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 27. August 2003 – 5 StR 254/03, BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 55) ebenso berücksichtigt werden wie die Regelungen des danach geltenden Kapitalersatzrechts (§ 30 GmbHG aF), die auf Altfälle noch anwendbar sind (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2009 – II ZR 260/07, BGHZ 179, 249; vgl. auch T. Fleischer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2011, Anh. zu § 30 GmbHG Rn. 9). Sollten die gewährten Darlehen nämlich in diesem Sinne eigenkapitalersetzend wirken und noch nicht zurückgeführt worden sein (BGH, Urteil vom 6. Mai 2008 – 5 StR 34/08, BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 66), könnte dies die Bestimmung des Untreueschadens ebenfalls beeinflussen.
14
Vor diesem Hintergrund reicht der Verweis des Landgerichts auf das erfolglose Vorgehen einer als Zeugin vernommenen Arbeitnehmerin, die angab , für zwei Monate Insolvenzausfallgeld erhalten und nach einem arbeitsgerichtlichen Vergleich fruchtlose Vollstreckungsversuche gegen die H. GmbH unternommen zu haben (vgl. UA S. 64, 79 f.), nicht für den Eintritt eines Nachteils dem Grunde nach aus. Erst recht vermag dies keinen Vermögensnachteil in Höhe sämtlicher Lohn- und Gehaltsforderungen zum Zeitpunkt der Vermögensverfügung zu begründen.
15
2. Daneben haben auch die Verurteilungen der Angeklagten J. und Eheleute R. wegen Insolvenzverschleppung und Bankrotts sowie des Angeklagten B. wegen Beihilfe hierzu in Fall 1 der Urteilsgründe keinen Bestand.
16
Denn weder die Überschuldung der H. GmbH nach Übertragung sämtlicher Vermögenswerte am 1. August 2003 noch die zuvor eingetretene Zahlungsunfähigkeit lassen sich vorliegend unabhängig von der Höhe des Untreuenachteils bestimmen (vgl. UA S. 26, 71).
17
3. Darüber hinaus hätten die Revisionen der Angeklagten R. auch mit einer Verfahrensrüge nach § 230 Abs. 1, § 231c, § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO i.V.m. § 338 Nr. 5 StPO Erfolg, weil das Landgericht während der Beurlaubung dieser Angeklagten und in Abwesenheit ihrer Verteidiger erhobene Beweistatsachen (parallele Vorgehensweise) zu deren Nachteil verwertet hat.
18
4. Die Verurteilung des Angeklagten B. wegen Anstiftung zur Untreue begegnet in Fall 6 der Urteilsgründe durchgreifenden Bedenken.
19
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts suchte der Gesellschafter und Geschäftsführer der notleidenden C. GmbH Ha. den anwaltlichen Rat des Angeklagten B. . Er bedauerte ihm gegenüber, „die Firma samt ihrem Kundenstamm und dem Anlage- und Umlaufvermögen“, insbesondere dem Warenlager aufgeben zu müssen, und äußerte, „wie schön es doch wäre, die Firma fortzuführen und diese Werte weiter zu nutzen. Gedanken über eine – legale oder illegale – Möglichkeit, diese Wünsche zu rea- lisieren“, habe sich der Zeuge nicht gemacht (UA S. 50 f.).
20
Das Landgericht ist in seiner rechtlichen Würdigung davon ausgegangen , dass der Angeklagte B. bei dem gesondert verfolgten Ha. den – von ihm auch umgesetzten – Tatentschluss hervorgerufen hat, der C. GmbH mittels fingierter Urkunden Anlagevermögen zu entziehen und dieses sukzessive durch eine neu gegründete GmbH zu verbrauchen. Er habe Ha. empfohlen, „den alten GmbH-Mantel abzustoßen und einen neuen überzuwerfen“, und habe ihn im Einzelnen dabei beraten (vgl. UA S. 51, 112).
21
b) Zwar stellt das Landgericht fest, dass dem Zeugen Ha. daran gelegen gewesen wäre, das umfangreiche Anlage- und Umlaufvermögen der Gesellschaft auf legalem Weg vor einem Zugriff der Gläubiger zu retten (UA S. 50). Nach den Urteilsgründen kann die Möglichkeit jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass Ha. zur Tatbegehung bereits entschlossen war und von dem Angeklagten B. nur in seinem Tatentschluss bestärkt sowie in der konkreten Tatausführung unterstützt wurde (sogenannter omnimodo facturus: vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. November 1987 – 3 StR 503/87, und vom 8. August 1995 – 1 StR 377/95, BGHR StGB § 26 Bestimmen 1 und 3). Denn der geschäftlich erfahrene Zeuge Ha. war bereits von Dritten auf seine Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags für die Gesellschaft hingewiesen worden. Es ist auch nicht erkennbar, in welcher Form es auf legale Weise hätte erreicht werden sollen, dass das Betriebsvermögen der überschuldeten Gesellschaft weiter ungeschmälert dem Gesellschafter zur Verfügung steht. In dieser Situation suchte der Zeuge Ha. den Angeklagten B. mit einer konkreten Zielvorstellung auf, die ersichtlich nur durch eine kriminelle Handlung zu realisieren war. Dass der Angeklagte B. , vorliegend, anders als in den übrigen Fällen der „pro- fessionellen Firmenbestattung“, einen gänzlich unentschlossenen und gut- gläubigen Geschäftsführer zu einer Untreuehandlung bestimmt hat, die im Übrigen dessen Anliegen voll entsprach, ist vom Landgericht nicht nur unerörtert geblieben; es erscheint nach dem Zusammenhang der Urteilsgründe ganz fernliegend.
22
Der Senat schließt aus, dass ein neues Tatgericht weitere die Verurteilung wegen Anstiftung zweifelsfrei tragende Feststellungen treffen kann und ändert den Schuldspruch entsprechend ab.
23
5. Der Rechtsfolgenausspruch, den Angeklagten B. betreffend, hat insgesamt keinen Bestand und bedarf auch in den nicht der Aufhebung (oben 1.) und Schuldspruchänderung (oben 4.) unterliegenden Fällen neuer tatgerichtlicher Prüfung. Denn das Landgericht hat in sämtlichen Fällen die Anwendung des Strafmilderungsgrundes nach § 28 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB unerörtert gelassen. Der Senat hebt deshalb neben den Einzelstrafen und der Gesamtstrafe – wie vom Generalbundesanwalt beantragt – auch den Maßregelausspruch auf, um dem neuen Tatgericht eine in sich stimmige Rechtsfolgenentscheidung zu ermöglichen.
24
Hinsichtlich des Angeklagten J. führt die Aufhebung der Einzelstrafen in Fall 1 zur Aufhebung des Gesamtstrafausspruchs. Bei diesem Angeklagten können jedoch die von dem Rechtsfehler nicht beeinflussten Einzelstrafen in den übrigen Fällen bestehen bleiben.
25
Die hinsichtlich der Angeklagten B. und J. vom Landgericht getroffenen Kompensationsentscheidungen wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen bleiben bestehen; gegebenenfalls zusätzlich eintretende Verzögerungen hat das neue Tatgericht ergänzend zu berücksichtigen. Hingegen waren die Kompensationsentscheidungen hinsichtlich der Angeklagten O. und W. auf ihre entsprechenden Verfahrensrügen gemäß dem Antrag des Generalbundesanwalts in der Beschlussformel nachzuholen, weil das Landgericht die auch gegenüber diesen Angeklagten eingetretene rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung rechtsfehlerhaft nur bei der Bemessung der Strafe mildernd berücksichtigt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 145).
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Sind diese Rechte und Pflichten durch Rechtsnormen eines Tarifvertrags oder durch eine Betriebsvereinbarung geregelt, so werden sie Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer und dürfen nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden. Satz 2 gilt nicht, wenn die Rechte und Pflichten bei dem neuen Inhaber durch Rechtsnormen eines anderen Tarifvertrags oder durch eine andere Betriebsvereinbarung geregelt werden. Vor Ablauf der Frist nach Satz 2 können die Rechte und Pflichten geändert werden, wenn der Tarifvertrag oder die Betriebsvereinbarung nicht mehr gilt oder bei fehlender beiderseitiger Tarifgebundenheit im Geltungsbereich eines anderen Tarifvertrags dessen Anwendung zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer vereinbart wird.

(2) Der bisherige Arbeitgeber haftet neben dem neuen Inhaber für Verpflichtungen nach Absatz 1, soweit sie vor dem Zeitpunkt des Übergangs entstanden sind und vor Ablauf von einem Jahr nach diesem Zeitpunkt fällig werden, als Gesamtschuldner. Werden solche Verpflichtungen nach dem Zeitpunkt des Übergangs fällig, so haftet der bisherige Arbeitgeber für sie jedoch nur in dem Umfang, der dem im Zeitpunkt des Übergangs abgelaufenen Teil ihres Bemessungszeitraums entspricht.

(3) Absatz 2 gilt nicht, wenn eine juristische Person oder eine Personenhandelsgesellschaft durch Umwandlung erlischt.

(4) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Inhaber wegen des Übergangs eines Betriebs oder eines Betriebsteils ist unwirksam. Das Recht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen bleibt unberührt.

(5) Der bisherige Arbeitgeber oder der neue Inhaber hat die von einem Übergang betroffenen Arbeitnehmer vor dem Übergang in Textform zu unterrichten über:

1.
den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Übergangs,
2.
den Grund für den Übergang,
3.
die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer und
4.
die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen.

(6) Der Arbeitnehmer kann dem Übergang des Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Monats nach Zugang der Unterrichtung nach Absatz 5 schriftlich widersprechen. Der Widerspruch kann gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber oder dem neuen Inhaber erklärt werden.

(1) Wer die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, mißbraucht oder die ihm kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder eines Treueverhältnisses obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteil zufügt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) § 243 Abs. 2 und die §§ 247, 248a und 263 Abs. 3 gelten entsprechend.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : nein
Veröffentlichung : ja
Vermögensbetreuungspflicht des Vermieters für Kautionen
bei Wohnraum- und Gewerberaummiete (im Anschluss an
BGHSt 41, 224).
BGH, Beschluss vom 2. April 2008 – 5 StR 354/07
LG Berlin –

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 2. April 2008
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen Untreue u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. April 2008

beschlossen:
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 12. Februar 2007 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Angeklagten verurteilt worden sind.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat – neben Teileinstellung und -freispruch – den Angeklagten G. S. wegen Untreue in 201 Fällen – unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einer rechtskräftigen Vorverurteilung – zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt sowie gegen ihn ein Berufsverbot für vier Jahre ausgesprochen. Gegen seine Ehefrau E. S. und seinen Sohn M. S. hat das Landgericht wegen Beihilfe zur Untreue Geldstrafen in Höhe von 150 Tagessätzen bzw. 90 Tagessätzen verhängt. Gegen dieses Urteil wenden sich sämtliche Angeklagten mit ihren Revisionen, die jeweils mit der Sachrüge im vollen Umfang Erfolg haben. Der Generalbundesanwalt hat – ohne Begründung – Terminsantrag gestellt und zur Sache keine Ausführungen gemacht (vgl. zur gleichwohl zulässigen Verfahrensweise nach § 349 Abs. 4 StPO Hanack in Löwe /Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 349 Rdn. 37; Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl. § 349 Rdn. 30).

I.


2
Das landgerichtliche Urteil enthält folgende Feststellungen und Wertungen :
3
1. Der Angeklagte G. S. war faktischer Geschäftsführer der W. Q. GmbH, der Komplementärin der KG, sowie der Sa. GmbH, die Komplementärin der Sa. KG war. An beiden Unternehmen hielten Familienmitglieder die Mehrzahl der Geschäftsanteile, nämlich unter anderem seine mitangeklagte Ehefrau E. (bei der ) und sein mitangeklagter Sohn M. (bei der Sa. ). Die Angeklagten E. und M. S. waren auch jeweils Geschäftsführer des Unternehmens, an dem sie eine Mehrheitsbeteiligung innehatten.
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Sowohl die KG als auch die Sa. KG vermieteten ihnen gehörende Wohn- und Gewerbeimmobilien. Entsprechend der mietvertraglichen Regelungen waren die Mieter zur Stellung von Kautionen verpflichtet. Die Kautionen wurden meist in bar übergeben oder per Überweisung an die beiden Gesellschaften geleistet. Der Angeklagte G. S. , der in beiden Unternehmen alle wesentlichen Entscheidungen traf, zahlte die Kautionen jeweils auf ein Girokonto bei der Sparkasse zwischen August 1994 und März 1997 ein. Beide Konten waren – für jede der beiden Gesellschaften separat – seit August 1993 in eine Kontokorrentvereinbarung einbezogen, was dazu führte, dass zwischen sämtlichen Konten ein täglicher Ausgleich stattfand. Damit konnten auf einigen Konten entstandene Negativsalden durch Guthaben auf anderen Konten der Gesellschaft, unter anderem auch durch das Kautionskonto, ausgeglichen werden. Die eingezahlten Kautionen wurden auf diese Weise in das allgemeine Umlaufvermögen der beiden Unternehmen überführt und standen für die Deckung sämtlicher Verbindlichkeiten zur Verfügung. Es kam ebenfalls zu Transaktionen zwischen der KG und der Sa. KG. Insgesamt hat der Angeklagte G. S. Kautionen in einer Höhe von mindestens 500.000 DM vereinnahmt. Über das Vermögen der KG wurde später das Insolvenzverfahren eröffnet. Die einzelnen Mieter konnten bis heute ihre Kautionsansprüche nicht realisieren , weil der Insolvenzverwalter das noch vorhandene Guthaben in Höhe von 260.000 DM hinterlegt und bislang nicht an die Mieter als Gläubiger der Kautionen ausbezahlt hatte.
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2. Das Landgericht hat bereits die Einzahlungen der Kautionen auf die beiden Girokonten als jeweils selbständige Untreuehandlungen gewürdigt. Damit habe der Angeklagte G. S. als faktischer Geschäftsführer seine treuhänderische Pflicht gegenüber den Mietern verletzt, die Kautionen so anzulegen, dass sie vor einem Zugriff der Gläubiger der jeweils vermietenden Gesellschaft geschützt seien. Dies gelte nicht nur für die Wohnraummiete , für die eine solche Pflicht ausdrücklich geregelt sei (§ 550b Abs. 2 BGB a.F. – jetzt § 551 Abs. 3 BGB), sondern ebenso für die Vermietung von Gewerberaum. Die Einzahlung der Gelder auf das Girokonto habe in jedem Falle eine schadensgleiche Vermögensgefährdung begründet, zumal die eingezahlten Kautionen die Liquiditätslage der Gesellschaften abgesichert hätten.
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Die Angeklagten E. und M. S. hätten Beihilfe zur Untreue geleistet, weil sie durch ihre Strohmanntätigkeit dem Angeklagten G. S. die einzelnen Taten erst ermöglichten.

II.


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Die Revisionen aller drei Angeklagten führen zur umfassenden Aufhebung der landgerichtlichen Verurteilungen.
8
1. Die Auffassung des Landgerichts, der Angeklagte G. S. habe mit der Einzahlung der von den Mietern geschuldeten Kautionen auf das Girokonto bei der Sparkasse jeweils eine selbständige Untreuehandlung begangen, begegnet durchgreifenden Bedenken.
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a) Allerdings hat das Landgericht ohne Rechtsverstoß angenommen, dass durch die gesetzliche Regelung des § 550b Abs. 2 BGB a.F. (nunmehr § 551 Abs. 3 BGB) zugleich eine auf Gesetz beruhende Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des § 266 StGB begründet wurde. Wie der Bundesgerichtshof bereits in seinem Beschluss vom 23. August 1995 (BGHSt 41, 224) ausgeführt hat, stellt diese gesetzliche Regelung einen Ausgleich zwischen dem Sicherungsbedürfnis des Vermieters auf der einen und dem Schutzbedürfnis des Mieters auf der anderen Seite her; sie schützt dabei insbesondere den Rückzahlungsanspruch des Mieters im Falle einer Zahlungsunfähigkeit des Vermieters vor dem Zugriff von dessen Gläubigern. Deshalb habe der Gesetzgeber die Mietkaution in Anlehnung an die Vorschriften über die Anlage von Einnahmen des Wohnungsverwalters (§ 27 Abs. 4 WEG) oder über den Umgang mit Mündelgeldern (§§ 1806, 1807 BGB) im Rahmen der Wohnungsmiete als Treuhandverhältnis ausgestaltet (BGHSt 41, 224, 228 unter Bezugnahme auf BT-Drucks 9/2079, S. 10). Auch wenn der dem Vermieter insoweit verbleibende Ermessensspielraum relativ eng gezogen sei, entstehe mit der Entgegennahme der Kautionsleistung eine Vermögensbetreuungspflicht , die für den Vermieter durch die mietrechtlich vorgesehene Verwendung dieser Gelder begründet werde (BGHSt aaO S. 229; Schünemann in LK 11. Aufl. § 266 Rdn. 113; kritisch hierzu: Dierlamm in MK-StGB 2006 § 266 Rdn. 11; Samson/Günther in SK-StGB 39. Lfg. § 266 Rdn. 29).
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An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest, wobei es keiner Vertiefung bedarf, ob die in der Literatur kritisierte Anknüpfung der Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des § 266 StGB an eine vertragliche Nebenpflicht aufrechtzuerhalten ist (Sowada JR 1997, 28; Dierlamm aaO). Der Senat hat vielmehr deutlich gemacht, dass sich die Vermögensbetreuungspflicht aus den Sonderregeln für die Wohnraummiete (§ 550b Abs. 2 BGB a.F.) ergibt (BGHSt 41, 224, 227 f.), also keine durch Rechtsgeschäft, sondern eine durch Gesetz begründete Vermögensbetreuungspflicht darstellt. Mit der Anlage der Gelder unter Verstoß gegen die gesetzliche Regelung des § 550b Abs. 2 BGB a.F. hat der Angeklagte G. S. deshalb pflichtwidrig im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB gehandelt.
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b) Entgegen der Auffassung des Landgerichts entsteht eine solche Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB nur bei der Wohnraummiete. Das Landgericht hat eine Erstreckung auf gewerbliche Mietverhältnisse damit begründet, dass aus der Sicht dieser Mieter ebenfalls eine Sicherung der eingebrachten Kautionen erforderlich sei, weil auch die gewerblichen Mieter nicht unerhebliche Risiken eingingen. Die gewerblichen Mieter müssten deshalb gleichermaßen am strafrechtlichen Schutz des § 266 Abs. 1 StGB teilnehmen. Dieser Ansatz des Landgerichts begegnet in zweifacher Hinsicht durchgreifenden Bedenken.
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aa) Eine durch Gesetz begründete Vermögensbetreuungspflicht in Bezug auf die Mietkaution scheidet bei der Gewerberaummiete aus. Die gesetzlichen Regelungen über die Anlage von Mietkautionen beziehen sich allein auf Mietverhältnisse über Wohnraum. Dies ergibt sich aus der Überschrift des Untertitels 2: „Mietverhältnisse über Wohnraum“ und aus § 549 Abs. 1 BGB, der insoweit den spezialgesetzlichen Charakter der Regelungen über Wohnraummietverhältnisse klarstellt. Dies bedeutet aber auch, dass selbst eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 551 Abs. 3 BGB auf gewerbliche Mietverhältnisse ausscheidet. Da der Gesetzgeber die Regelung bewusst nicht als allgemeine mietvertragliche Regelung ausgestaltet, sondern auf Mietverträge über Wohnraum beschränkt hat, fehlt eine Lücke, die im Wege einer Analogie geschlossen werden könnte. Der Senat kann es daher dahinstehen lassen, ob im Blick auf das strafrechtliche Analogieverbot (§ 1 StGB) überhaupt eine derartige – über den Wortsinn hinausgehende – Auslegung mittelbar strafrechtsbegründender zivilrechtlicher Normen zulässig ist (vgl. Dannecker in LK 12. Aufl. § 1 Rdn. 262). Es liegt bei der Gewerberaummiete mithin keine gesetzlich begründete Vermögensbetreuungspflicht im Hinblick auf die Kaution vor. Schon deshalb geht die Erwägung des Landgerichts, auch der gewerbliche Mieter verdiene den Schutz des § 266 StGB, ins Leere.
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bb) Eine anderweitige Entstehung einer Vermögensbetreuungspflicht ist nicht ersichtlich. Zwar ist eine mietvertragliche Regelung denkbar, die eine entsprechende Anlagepflicht der eingezahlten Kautionen vorsieht. In diesem Fall läge eine rechtsgeschäftliche Begründung einer entsprechenden Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB vor. Dass eine derartige Vereinbarung erfolgt ist, hat das Landgericht jedoch nicht festgestellt. Sie liegt auch nicht nahe, zumal die Verträge durch die Vermieterseite vorformuliert gewesen sein dürften.
14
Hingegen begründet die bloße Vereinbarung einer Kaution als solche keine Vermögensbetreuungspflicht. Es ist schon zweifelfhaft, ob für die Kaution bei der Gewerberaummiete vergleichbare Regelungen gelten, der Vermieter also überhaupt zu einer abgesonderten und verzinslichen Anlage der Kautionssumme verpflichtet ist. Solches ist schon deshalb fraglich, weil der Gesetzgeber dieses ausdrücklich nur für die Wohnraummiete angeordnet hat. Zudem würde es der unterschiedlichen Interessenlage bei der Gewerberaummiete widersprechen, wenn dort ohne weiteres gleiche Pflichten bestünden. Für die Gewerberaummiete gilt nämlich das Primat der freien Vereinbarung (Palandt/Weidenkaff, BGB 67. Aufl. Einf. v. § 535 Rdn. 122).
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Für die strafrechtliche Beurteilung unter dem Gesichtspunkt der Untreue kann die Frage der Behandlung einer Kaution im Rahmen eines Gewerberaummietverhältnisses aber letztlich offen bleiben. Selbst wenn sich aus der Kautionsvereinbarung nämlich entsprechende Nebenpflichten ergeben sollten (so zur abgesonderten Anlage der Kaution – OLG Nürnberg MDR 2006, 1100 –; zu deren Verzinsung – BGH NJW 1994, 3287), führt dies nicht zur Annahme einer durch Rechtsgeschäft begründeten Vermögensbetreuungspflicht. Allgemeine schuldrechtliche Pflichten aus einem Vertragsverhältnis genügen für sich genommen nicht (BGHSt 33, 244, 249; BGHR StGB § 266 Abs. 1 Vermögensbetreuungspflicht 11, 14, 16; vgl. auch Fischer , StGB 55. Aufl. § 266 Rdn. 29). Dies gilt grundsätzlich selbst dann, wenn es sich um Rücksichtnahme- oder Sorgfaltspflichten zugunsten des Vertragspartners handelt (Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 266 Rdn. 23; vgl. auch BGHR StGB § 266 Abs. 1 Vermögensbetreuungspflicht

9).


16
Vertragliche Pflichten müssen, um eine Vermögensbetreuungspflicht begründen zu können, im besonderen Maße den Interessen des Vertragspartners dienen und gerade deshalb vereinbart worden sein. Die vereinbarte Regelung muss – als rechtsgeschäftlich eingegangene Vermögensbetreuungspflicht – mithin zugunsten des geschützten Vertragspartners Elemente einer Geschäftsbesorgung aufweisen (Lenckner/Perron aaO Rdn. 27; vgl. auch BGHSt 28, 20, 23 f.). Das bedeutet, dass sich die Vertragspartner nicht nur über die Zahlung einer Kaution an sich, sondern auch über deren besondere Anlageform geeinigt haben müssen. Vereinbaren die Parteien eines gewerblichen Mietverhältnisses eine besondere Sicherung nicht ausdrücklich und bringen dadurch nicht zum Ausdruck, dass der Vermieter im Hinblick auf die Kaution treuhänderische Pflichten zu übernehmen habe, kann deshalb nicht von der Annahme einer rechtsgeschäftlichen Vermögensbetreuungspflicht ausgegangen werden.
17
Treffen den Empfänger der Kaution keine besonderen, ihm vertraglich auferlegten Sicherungspflichten, ist die Einzahlung einer Kaution nicht anders zu beurteilen, als wenn der Mieter für einen künftigen Sicherungsfall vorleistet. Insoweit besteht an sich immer ein Sicherungsbedürfnis, das der vorleistende Mieter aber durch eine entsprechende Fassung der Vereinbarung minimieren könnte. Einem gewerblichen Mieter ist die Durchsetzung einer entsprechenden vertraglichen Absicherung auch abzuverlangen. Ein gewisses Sicherungsbedürfnis wohnt im Übrigen letztlich jeder Vorleistung inne. Dieses dem Leistenden verbleibende Restrisiko reicht jedoch grundsätzlich nicht aus, den Empfänger der Vorleistung mit einer Vermögens- betreuungspflicht im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB zu belasten (BGHSt 28, 20, 23 f.). Gerade im Rahmen von Austauschverhältnissen bedarf es deshalb – sofern eine gesetzliche Bestimmung fehlt – einer ausdrücklichen Vereinbarung , die den Vertragsschließenden insoweit zu einer besonderen Vermögensfürsorge zugunsten des anderen Vertragspartners verpflichtet. Andernfalls erschöpft sich der Verstoß in einer Verletzung der Pflicht, sich vertragsgemäß zu verhalten. Dies begründet aber als solches noch keine Untreue (BGHSt 22, 190, 191; 33, 244, 250).
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2. Da in den Gewerberaummietfällen nach den Feststellungen keine besonderen Kautionsvereinbarungen in dem oben dargestellten Sinne abgeschlossen wurden, führt dies dazu, dass nur in den Fällen, in denen ein Mietverhältnis über Wohnraum begründet worden ist, hinsichtlich der eingezahlten Kautionen eine Vermögensbetreuungspflicht hat entstehen können. Da sich den Urteilsgründen nicht entnehmen lässt, in welchem der 201 Einzelfälle es sich jeweils um Wohn- oder Gewerberaummiete handelte, kann das Urteil gegen den Angeklagten G. S. schon deshalb insgesamt keinen Bestand haben. Es lässt sich nämlich für keinen der ausgeurteilten 201 Fälle ausschließen, dass es sich insoweit nicht um ein Gewerbemietverhältnis gehandelt haben könnte. Im Gegenteil spricht in mehreren Fällen für Gewerberaummietverhältnisse, dass eine juristische Person als Mieter auftritt oder die Höhe der Kaution dies nahelegt. Im Fall 169 der Urteilsgründe hat dies das Landgericht ausdrücklich festgestellt. Die unterbliebene Zuordnung, ob es sich um Wohnraummietverhältnisse handelt, bedingt auch die umfassende Aufhebung der zugrunde liegenden Feststellungen.
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3. Die Verurteilungen der Angeklagten E. und M. S. wegen Beihilfe zur Untreue haben auch deswegen keinen Bestand, weil durchgreifende Bedenken gegen die Annahme eines Gehilfenvorsatzes bestehen.
20
a) Das Landgericht leitet einen Gehilfenvorsatz daraus ab, dass beide Angeklagte jeweils dem Angeklagten G. S. die von ihnen als formelle Geschäftsführer geführten Unternehmen in dem Bewusstsein überlassen hätten, dass es zu einer strafrechtlich erheblichen Schädigung der Mieter dieser Gesellschaften kommen könnte. Die Einzelheiten der Taten hätten sie als Gehilfen nicht wissen müssen. Die billigende Inkaufnahme einer Nachteilszufügung zu Lasten der Mieter begründet das Landgericht damit, dass beide Angeklagte von der Vorverurteilung des Angeklagten G. S. durch das Landgericht Berlin vom 5. März 1992 Kenntnis gehabt hätten. Der Angeklagte G. S. wurde dort wegen Untreue, Meineides und versuchten Betrugs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
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b) Im Ansatz zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass der Gehilfe die Haupttat in ihren wesentlichen Merkmalen kennen und in dem Bewusstsein handeln muss, durch sein Verhalten das Vorhaben des Haupttäters zu fördern. Einzelheiten der Haupttat braucht er dabei jedoch nicht zu kennen (BGHSt 46, 107, 109; BGHR StGB § 27 Abs. 1 Vorsatz 7, 9). Die hierzu bislang getroffenen Feststellungen tragen jedoch bezüglich der Angeklagten E. und M. S. nicht ohne weiteres eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Beihilfe zur Untreue.
22
Zwar ist die Würdigung der Beweise grundsätzlich Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht hat seine Schlussfolgerungen, die nur möglich, aber nicht zwingend sein müssen, grundsätzlich hinzunehmen (BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 21). Eine Grenze findet dies jedoch dort, wo sich die tatrichterliche Würdigung in Vermutungen erschöpft, die nicht durch entsprechende Tatsachen belegt sind. Entfernt sich der Tatrichter in seinen Schlussfolgerungen so sehr von einer festen Tatsachengrundlage, dass sie nur noch einen Verdacht, nicht dagegen die für eine Verurteilung erforderliche Überzeugung zu begründen vermögen, liegt hierin ein Verstoß gegen § 261 StPO (BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 26; Vermutung 1, 7).
Allein das Vorhandensein einer – im Übrigen nicht einmal tatsächlich sehr ähnlich gelagerten – einschlägigen Vorverurteilung, deren Vollstreckung zudem wegen der positiven Sozialprognose des Angeklagten G. S. zur Bewährung ausgesetzt wurde, rechtfertigt einen solchen Schluss nicht ohne weiteres. Ohne entsprechende nähere Anhaltspunkte ist die Feststellung des Landgerichts nicht tragfähig, die Angeklagten E. und M. S. hätten mit einer vorsätzlichen Nachteilszufügung der Mieter durch den Angeklagten G. S. gerechnet. Es hätte zumindest der Kenntnis bestimmter Vorkommnisse bedurft, die für E. und M. S. einen entsprechenden konkreten Verdacht hätten begründen können. Ohne weitere Aufklärung zu dem Wissensstand dieser Angeklagten bleibt die Annahme des Landgerichts spekulativ, zumal es sich nicht ernsthaft mit der Möglichkeit auseinandersetzt, dass die beiden Angeklagten von entsprechenden strafbaren Handlungen des faktischen Geschäftsführers G. S. keine Kenntnis hatten, sondern letztlich dem Ehemann bzw. Vater vertrauten. Insoweit hätte es einer weitergehenden und tieferen Erörterung bedurft.
23
c) Die Schuldsprüche gegen die Angeklagten E. und M. S. sind deshalb aufzuheben. Dies führt bezüglich dieser Angeklagten zu einer umfassenden Aufhebung der Feststellungen, weil sich insoweit der Rechtsfehler im Hinblick auf die Haupttat auch zu ihren Lasten auswirkt.

III.


24
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat noch auf Folgendes hin:
25
1. Bei den Kautionen für Wohnraummiete bewirkt die Einzahlung der Kaution auf das Girokonto noch nicht ohne weiteres eine (vollendete) Untreue im Sinne des § 266 StGB. Die pflichtwidrige Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht indiziert hier nämlich – entgegen der Auffassung des Landgerichts – nicht die Feststellung eines Nachteils im Sinne des § 266 StGB.
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a) Die Strafbarkeit wegen Untreue setzt voraus, dass ein Vermögensnachteil entstanden ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Nachteil im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB bereits dann eingetreten sein, wenn eine schadensgleiche Vermögensgefährdung gegeben ist. Dies ist dann der Fall, wenn die Gefährdung nach wirtschaftlicher Betrachtung bereits eine Verschlechterung der gegenwärtigen Vermögenslage bedeutet (BGHSt 44, 376, 384; 48, 354, 357).
27
Eine solche schadensgleiche Vermögensgefährdung entsteht allerdings nicht bereits, wenn die Kaution nicht vom sonstigen Betriebsvermögen abgesondert, sondern auf ein „allgemeines“ Konto eingezahlt wird. Insoweit ist die Sachverhaltskonstellation nicht anders zu beurteilen als allgemein die unterlassene Einzahlung von Fremdgeldern auf einem Anderkonto, obwohl eine Rechtspflicht zu einer abgesonderten Anlage dieser Gelder besteht. Nach der ständigen Rechtsprechung führt ein solches Verhalten nicht zu einem Nachteil im Sinne des § 266 StGB, soweit der Betreffende jederzeit bereit und fähig ist, einen entsprechenden Betrag aus eigenen flüssigen Mitteln vollständig auszukehren (BGHSt 15, 342; BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 56). Hierzu fehlen bislang Feststellungen. Zwar stünde die auf dem Girokonto eingezahlte Kaution grundsätzlich dem Zugriff von Privatgläubigern des Vermieters offen; damit waren diese Guthaben gefährdet. Eine schadensgleiche Vermögensgefährdung begründet diese bloße abstrakte Möglichkeit jedoch noch nicht. Die Gefahr eines endgültigen Verlusts eines Vermögensbestandteils muss vielmehr so groß sein, dass sie schon jetzt eine Minderung des Gesamtvermögens zur Folge hat (BGHSt 51, 165, 177; vgl. auch BGHSt 21, 112 ff.; BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 32).
28
Im Rahmen der Prüfung einer schadensgleichen Vermögensgefährdung kommt es deshalb insgesamt auf die Vermögensverhältnisse des Ver- mieters an. Nur soweit aufgrund der Gesamtumstände die naheliegende Gefahr besteht, dass auf dieses „allgemeine“ Konto zugegriffen werden könnte, liegt eine zu einer Minderbewertung führende Vermögensgefährdung vor (vgl. BGHSt 44, 376, 384). Dies setzt – sofern man schon in der Einzahlung auf das allgemeine Konto eine Untreuehandlung sehen wollte – voraus, dass bereits zu diesem Zeitpunkt eine drohende Überschuldung der vermietenden Gesellschaft bestand, die einen Zugriff der Gläubiger erwarten ließ.
29
Eine solche Prüfung wird der neue Tatrichter vorzunehmen haben. Dabei wird auch dem Umstand Beachtung einzuräumen sein, dass der Angeklagte G. S. mit dem Kontoausgleichssystem sämtliche Konten der Gesellschaft miteinander verbunden hat, um so Negativsalden weitgehend zu vermeiden. Dies hat indizielle Wirkung für die wirtschaftliche Gesamtsituation der Gesellschaft, weil ersichtlich ab diesem Zeitpunkt die Kautionen für die Deckung anderweitiger Verbindlichkeiten verwandt wurden und damit ihre Rückzahlbarkeit unmittelbar gefährdet war. Gleiches gilt insbesondere auch im Hinblick auf den Ausgleich des Hauptkontos Ende 1995 und die Querüberweisungen zwischen und Sa . Ergäbe sich eine entsprechende angespannte Vermögenslage beider Gesellschaften, dann wäre eine Einzahlung auf den Girokonten, obwohl zu diesem Zeitpunkt der Kontenausgleich bereits institutionalisiert war, regelmäßig mit einer schadensgleichen Vermögensgefährdung verbunden. Dies gilt jedenfalls, solange sich die wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaft nicht nachhaltig gebessert haben, wofür allerdings nach den bisherigen Feststellungen kein Anhalt besteht.
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Eine Untreue durch Unterlassen käme in Betracht, falls die einzelne Kaution im Zeitpunkt ihrer Einzahlung noch nicht gefährdet und ihre Rückzahlbarkeit erst später aufgrund der Verschlechterung der finanziellen Verhältnisse beider Unternehmen nicht mehr gewährleistet gewesen sein sollte. Insoweit würde die Vermögensbetreuungspflicht des Angeklagten G. S. zugleich eine Garantenpflicht begründen. Ihm obliegt es nämlich, die eingezahlten Kautionen so zu sichern, dass sie nicht zur Deckung von Verbindlichkeiten der beiden Gesellschaften herangezogen werden können (vgl. BGHSt 49, 147, 164).
31
b) Das Vorliegen einer schadensgleichen Vermögensgefährdung begründet bei dem Angeklagten G. S. einen Tatvorsatz, wenn er die zugrunde liegenden tatsächlichen Umstände erkannt hat. Zu dem kognitiven Element, nämlich dass er aufgrund der wirtschaftlichen Situation der Gesellschaften eine nicht gegebene Rückzahlbarkeit der Mietkaution zumindest für möglich gehalten hatte (vgl. BGHSt 48, 331, 348), muss zusätzlich noch das voluntative Element hinzutreten. Dies bedeutet, dass der Angeklagte G. S. die konkrete Gefahr erkannt und zudem deren Realisierung gebilligt haben muss, sei es auch nur in der Form, dass er sich mit dem Eintritt des ihm unerwünschten Erfolges abfindet (BGHSt 51, 100, 120 f.; vgl. auch BGHSt 48, 331, 347 ff.).
32
2. Ließe sich feststellen, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse der beiden Gesellschaften so angespannt waren, dass die eingezahlten Kautionen schon aus diesem Grund erheblich gefährdet waren, käme auch eine Verurteilung wegen Betrugs nach § 263 StGB in Betracht, wenn dem Angeklagten G. S. hinsichtlich einer sich aus der schlechten Vermögenssituation der Gesellschaften möglicherweise ergebenden schadensgleichen Vermögensgefährdung insoweit Vorsatz nachgewiesen werden könnte (vgl. BGHSt 48, 331, 346 f.). Da dies nicht völlig ausgeschlossen werden kann, scheidet ein Freispruch auch in den Fällen aus, in denen eine Gewerberaummiete unzweifelhaft vorliegt (wie im Fall 169 der Urteilsgründe).
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3. Ein von der Verteidigung behaupteter Verbotsirrtum ist nicht ersichtlich. Die Verteidigung meint, dass jedenfalls erst nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 23. August 1995 (BGHSt 41, 224) und deren Veröffentlichung den Angeklagten die Kenntnis von der Strafbarkeit ihres Verhaltens vorgeworfen werden könne.
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Die Verteidigung belegt mit der von ihr dargestellten Fehlvorstellung der Angeklagten – wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – noch keinen Verbotsirrtum im Sinne des § 17 StGB. Ein Verbotsirrtum nach dieser Vorschrift kommt nur in Betracht, wenn dem Täter die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs braucht der Täter die Strafbarkeit seines Vorgehens nicht zu kennen; es genügt, dass er wusste oder hätte erkennen können, Unrecht zu tun (BGHSt 15, 377, 383; BGH NStZ 1996, 236, 237; wistra 1986, 218). Der Unrechtsgehalt wird hier aber bereits durch den Verstoß gegen die gesetzlich normierten Pflichten zur Anlage einer Kaution vermittelt (§ 550b BGB a.F. = § 551 Abs. 3 BGB). Hiergegen verstieß der Angeklagte G. S. . Die Annahme, er habe diese Vorschrift des Mietrechts zumindest ihrem Inhalt nach nicht gekannt, liegt bei ihm ebenso fern wie bei den Mitangeklagten E. und M. S. . Es ist deshalb schon kein Irrtum im Sinne des § 17 StGB gegeben, sondern allenfalls eine unbeachtliche falsche rechtliche Einordnung (vgl. BGHR StGB § 11 Abs. 1 Nr. 2 Amtsträger 14). Selbst wenn die Angeklagten die Kautionsregelung für den Bereich der Wohnraummiete nicht gekannt haben sollten, wäre ein solcher Irrtum, der die Normen ihres unmittelbaren beruflichen Bereichs betraf, ohne weiteres vermeidbar gewesen.
35
4. Zur Bestimmung des Schuldumfangs bedarf es der Feststellung des tatsächlich eingetretenen Schadens (vgl. BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 27). Hierbei kommt einem bloßen Gefährdungsschaden nicht das gleiche Gewicht zu wie dem endgültig eingetretenen Nachteil (Fischer, StGB 55. Aufl. § 266 Rdn. 82). Dies erfordert grundsätzlich, dass der Tatrichter Feststellungen zu dem Ausfall trifft, der dem einzelnen Mieter entstanden ist. Dafür kann der Tatrichter gehalten sein, für die einzelne Kaution mögliche Gegenansprüche des Vermieters zu berechnen, die durch die Kaution gesichert werden sollen. Ein Schaden scheidet bei der im Rahmen der Untreue gebotenen gesamtbilanzierenden Betrachtung (BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 55) nämlich dann aus, wenn der durch den Kautionsverlust geschä- digte Mieter seinerseits von Ersatzansprüchen gegenüber dem Vermieter frei wird.
36
Lässt sich die Höhe des tatsächlich entstandenen Schadens nicht ermitteln , kann der Tatrichter auf den Gefährdungsschaden abstellen. Belässt er es dabei, muss er dann allerdings zugunsten des Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung davon ausgehen, dass tatsächlich kein endgültiger Schaden eingetreten ist.
37
5. Der neue Tatrichter wird die Frage einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung umfassend zu prüfen haben. Die Ausführungen des Landgerichts hierzu begegnen Bedenken. Es reicht nicht aus, in den Urteilsgründen lediglich auf die bisher verstrichene Verfahrensdauer zu verweisen (hier: mehr als neun Jahre). Der Tatrichter ist vielmehr verpflichtet, das Maß der eingetretenen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung zu bestimmen (BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 17, 20, 21) und hierfür eine Kompensation festzulegen (BGH, Beschluss vom 13. Februar 2008 – 2 StR 356/07). Nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs vom 17. Januar 2008 (NJW 2008, 860 ff. zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen) hat die Kompensation nunmehr grundsätzlich in der Form zu erfolgen, dass zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer ein bezifferter Teil der verhängten Strafe als vollstreckt gilt. Dabei wird der neue Tatrichter den im angefochtenen Urteil vorgenommenen Strafabschlag berücksichtigen können. Gegen die vom 3. Strafsenat erwogene Möglichkeit einer Erhöhung der bisher verhängten Strafe (BGH, Beschluss vom 18. Januar 2008 – 3 StR 388/07) hätte der Senat indes dogmatische Bedenken. Für den Fall, dass nach dem Ergebnis der neuen Hauptverhandlung ein Schuldspruch gegen die Angeklagten E. und M. S. noch in Betracht kommen sollte, wird eine Einstellung des Verfahrens, jedenfalls aber eine Sanktion unterhalb einer Geldstrafe in Betracht zu ziehen sein. Die grundsätzlich übliche Kompensation schließt nämlich nicht aus, in besonders krassen Fällen der Verfahrensverzögerung das Verfahren wegen eines dann eingetretenen Verfahrenshindernisses abzubrechen (BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung
2) oder nach §§ 153 ff. StPO einzustellen. Weiterhin kann auch das Absehen von Strafe oder eine Verwarnung mit Strafvorbehalt geboten sein (vgl. BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 21), wenn allein eine vollstreckungsrechtliche Anrechnung nicht mehr ausreicht.
Basdorf Raum Brause Schaal Jäger

(1) Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Sind diese Rechte und Pflichten durch Rechtsnormen eines Tarifvertrags oder durch eine Betriebsvereinbarung geregelt, so werden sie Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer und dürfen nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden. Satz 2 gilt nicht, wenn die Rechte und Pflichten bei dem neuen Inhaber durch Rechtsnormen eines anderen Tarifvertrags oder durch eine andere Betriebsvereinbarung geregelt werden. Vor Ablauf der Frist nach Satz 2 können die Rechte und Pflichten geändert werden, wenn der Tarifvertrag oder die Betriebsvereinbarung nicht mehr gilt oder bei fehlender beiderseitiger Tarifgebundenheit im Geltungsbereich eines anderen Tarifvertrags dessen Anwendung zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer vereinbart wird.

(2) Der bisherige Arbeitgeber haftet neben dem neuen Inhaber für Verpflichtungen nach Absatz 1, soweit sie vor dem Zeitpunkt des Übergangs entstanden sind und vor Ablauf von einem Jahr nach diesem Zeitpunkt fällig werden, als Gesamtschuldner. Werden solche Verpflichtungen nach dem Zeitpunkt des Übergangs fällig, so haftet der bisherige Arbeitgeber für sie jedoch nur in dem Umfang, der dem im Zeitpunkt des Übergangs abgelaufenen Teil ihres Bemessungszeitraums entspricht.

(3) Absatz 2 gilt nicht, wenn eine juristische Person oder eine Personenhandelsgesellschaft durch Umwandlung erlischt.

(4) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Inhaber wegen des Übergangs eines Betriebs oder eines Betriebsteils ist unwirksam. Das Recht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen bleibt unberührt.

(5) Der bisherige Arbeitgeber oder der neue Inhaber hat die von einem Übergang betroffenen Arbeitnehmer vor dem Übergang in Textform zu unterrichten über:

1.
den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Übergangs,
2.
den Grund für den Übergang,
3.
die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer und
4.
die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen.

(6) Der Arbeitnehmer kann dem Übergang des Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Monats nach Zugang der Unterrichtung nach Absatz 5 schriftlich widersprechen. Der Widerspruch kann gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber oder dem neuen Inhaber erklärt werden.

(1) Die Gesamtschuldner sind im Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen verpflichtet, soweit nicht ein anderes bestimmt ist. Kann von einem Gesamtschuldner der auf ihn entfallende Beitrag nicht erlangt werden, so ist der Ausfall von den übrigen zur Ausgleichung verpflichteten Schuldnern zu tragen.

(2) Soweit ein Gesamtschuldner den Gläubiger befriedigt und von den übrigen Schuldnern Ausgleichung verlangen kann, geht die Forderung des Gläubigers gegen die übrigen Schuldner auf ihn über. Der Übergang kann nicht zum Nachteil des Gläubigers geltend gemacht werden.

(1) Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Sind diese Rechte und Pflichten durch Rechtsnormen eines Tarifvertrags oder durch eine Betriebsvereinbarung geregelt, so werden sie Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer und dürfen nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden. Satz 2 gilt nicht, wenn die Rechte und Pflichten bei dem neuen Inhaber durch Rechtsnormen eines anderen Tarifvertrags oder durch eine andere Betriebsvereinbarung geregelt werden. Vor Ablauf der Frist nach Satz 2 können die Rechte und Pflichten geändert werden, wenn der Tarifvertrag oder die Betriebsvereinbarung nicht mehr gilt oder bei fehlender beiderseitiger Tarifgebundenheit im Geltungsbereich eines anderen Tarifvertrags dessen Anwendung zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer vereinbart wird.

(2) Der bisherige Arbeitgeber haftet neben dem neuen Inhaber für Verpflichtungen nach Absatz 1, soweit sie vor dem Zeitpunkt des Übergangs entstanden sind und vor Ablauf von einem Jahr nach diesem Zeitpunkt fällig werden, als Gesamtschuldner. Werden solche Verpflichtungen nach dem Zeitpunkt des Übergangs fällig, so haftet der bisherige Arbeitgeber für sie jedoch nur in dem Umfang, der dem im Zeitpunkt des Übergangs abgelaufenen Teil ihres Bemessungszeitraums entspricht.

(3) Absatz 2 gilt nicht, wenn eine juristische Person oder eine Personenhandelsgesellschaft durch Umwandlung erlischt.

(4) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Inhaber wegen des Übergangs eines Betriebs oder eines Betriebsteils ist unwirksam. Das Recht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen bleibt unberührt.

(5) Der bisherige Arbeitgeber oder der neue Inhaber hat die von einem Übergang betroffenen Arbeitnehmer vor dem Übergang in Textform zu unterrichten über:

1.
den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Übergangs,
2.
den Grund für den Übergang,
3.
die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer und
4.
die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen.

(6) Der Arbeitnehmer kann dem Übergang des Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Monats nach Zugang der Unterrichtung nach Absatz 5 schriftlich widersprechen. Der Widerspruch kann gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber oder dem neuen Inhaber erklärt werden.

(1) Wer die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, mißbraucht oder die ihm kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder eines Treueverhältnisses obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteil zufügt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) § 243 Abs. 2 und die §§ 247, 248a und 263 Abs. 3 gelten entsprechend.

(1) Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Sind diese Rechte und Pflichten durch Rechtsnormen eines Tarifvertrags oder durch eine Betriebsvereinbarung geregelt, so werden sie Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer und dürfen nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden. Satz 2 gilt nicht, wenn die Rechte und Pflichten bei dem neuen Inhaber durch Rechtsnormen eines anderen Tarifvertrags oder durch eine andere Betriebsvereinbarung geregelt werden. Vor Ablauf der Frist nach Satz 2 können die Rechte und Pflichten geändert werden, wenn der Tarifvertrag oder die Betriebsvereinbarung nicht mehr gilt oder bei fehlender beiderseitiger Tarifgebundenheit im Geltungsbereich eines anderen Tarifvertrags dessen Anwendung zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer vereinbart wird.

(2) Der bisherige Arbeitgeber haftet neben dem neuen Inhaber für Verpflichtungen nach Absatz 1, soweit sie vor dem Zeitpunkt des Übergangs entstanden sind und vor Ablauf von einem Jahr nach diesem Zeitpunkt fällig werden, als Gesamtschuldner. Werden solche Verpflichtungen nach dem Zeitpunkt des Übergangs fällig, so haftet der bisherige Arbeitgeber für sie jedoch nur in dem Umfang, der dem im Zeitpunkt des Übergangs abgelaufenen Teil ihres Bemessungszeitraums entspricht.

(3) Absatz 2 gilt nicht, wenn eine juristische Person oder eine Personenhandelsgesellschaft durch Umwandlung erlischt.

(4) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Inhaber wegen des Übergangs eines Betriebs oder eines Betriebsteils ist unwirksam. Das Recht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen bleibt unberührt.

(5) Der bisherige Arbeitgeber oder der neue Inhaber hat die von einem Übergang betroffenen Arbeitnehmer vor dem Übergang in Textform zu unterrichten über:

1.
den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Übergangs,
2.
den Grund für den Übergang,
3.
die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer und
4.
die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen.

(6) Der Arbeitnehmer kann dem Übergang des Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Monats nach Zugang der Unterrichtung nach Absatz 5 schriftlich widersprechen. Der Widerspruch kann gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber oder dem neuen Inhaber erklärt werden.

(1) Wer die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, mißbraucht oder die ihm kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder eines Treueverhältnisses obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteil zufügt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) § 243 Abs. 2 und die §§ 247, 248a und 263 Abs. 3 gelten entsprechend.

5 StR 254/03

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 27. August 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Untreue
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. August 2003

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 27. Januar 2003 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Untreue zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und die Voll- streckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die mit der Sachrüge Erfolg hat.

I.


Nach den Feststellungen des Landgerichts entwickelte der Angeklagte eine Comic-Reihe, die sogenannten Donky-Figuren. Nachdem die Produktion weiterer Comic-Serien mit den Donky-Figuren wegen finanzieller Schwierigkeiten gefährdet war, initiierte der Angeklagte im Jahr 1996 die Gründung der D M GmbH & Co. Filmproduktion-Beteiligungs KG (D F KG). Der Angeklagte war hieran als Gesellschafter der Komplementär-GmbH beteiligt. Mit dem Geschäftsführer der Komplementär-GmbH, dem früheren Mitangeklagten H , vereinbarte der Angeklagte am 14. Oktober 1997,
daß er für die Vermittlung von Kommanditisten eine Provision in Höhe von zehn Prozent der eingezahlten Beteiligungen erhalten sollte.
Anfang 1998 kam der Angeklagte in Kontakt mit dem Investor C , der zugleich die D C AG vertrat. C selbst und die D C AG zahlten im März 1998 insgesamt drei Millionen DM ein. Am 8. April 1998 unterzeichnete der Angeklagte einen Überweisungsauftrag über 300.000 DM vom Firmenkonto der D F KG auf sein Privatkonto, wobei er als Verwendungszweck „Provision“ angab. Zu Verfügungen über das Konto der D F KG war der Angeklagte nur berechtigt im Falle unaufschiebbarer Zahlungsverpflichtungen, die bei einer Abwesenheit des Geschäftsführers H erfüllt werden mußten. Die auf dem Konto des Angeklagten gutgeschriebene Überweisung hat das Landgericht als Untreue gemäß § 266 Abs. 1 StGB angesehen.

II.


Die Verurteilung wegen Untreue hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die bislang getroffenen Feststellungen des Landgerichts vermögen die Annahme eines Vermögensnachteils im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB nicht zu tragen.
1. Eine Strafbarkeit wegen Untreue setzt gemäß § 266 Abs. 1 StGB die Zufügung eines Nachteils voraus. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist unter Nachteil jede durch die Tathandlung verursachte Vermögenseinbuße zu verstehen. Die Vermögensminderung ist nach dem Prinzip der Gesamtsaldierung – aufgrund eines Vergleichs des Vermögensstands vor und nach der treuwidrigen Handlung – festzustellen. Ein Nachteil liegt deshalb nicht vor, wenn durch die Tathandlung selbst zugleich ein den Verlust aufwiegender Vermögenszuwachs begründet wird (BGHSt 15, 342, 343 f.; BGH NJW 1975, 1234, 1235; BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 14). Ein entsprechender Vorteil, der einen Nachteil entfallen lassen kann, tritt bei-
spielsweise ein, soweit das betreute Vermögen von einer Verbindlichkeit in gleicher Höhe befreit wird. Dies gilt selbst dann, wenn die Verbindlichkeit schwer zu beweisen wäre (BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 46).
2. Das Landgericht hätte deshalb prüfen müssen, ob ein Nachteil hier etwa deshalb ausgeschlossen war, weil dem durch die Überweisung bewirkten Vermögensabfluß ein in selber Höhe eingetretener Vorteil gegenüberstand. Hier könnte die D F KG einen Vorteil deshalb erlangt haben , weil eine gegenüber dem Angeklagten bestehende Provisionsverpflichtung erloschen ist. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat sich der Angeklagte nämlich mit Vereinbarung vom 14. Oktober 1997 einen Provisionsanspruch von der D F KG einräumen lassen, der mit dem Eingang der eingeworbenen Beteiligungsgelder auf dem Geschäftskonto des Unternehmens entstanden und im Zweifel (§ 271 Abs. 1 BGB) damit auch sofort fällig geworden ist. Mit der Überweisung wäre deshalb eine fällige Forderung des Angeklagten erfüllt worden.
Ein Nachteil im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB kann deshalb nur dann eingetreten sein, wenn entweder die Provisionsabrede von vornherein unwirksam war oder jedenfalls für die Akquisition der Einlagen von C und der D C AG aufgehoben bzw. wenigstens ausgesetzt wurde. Hierfür bestanden vorliegend Anhaltspunkte, weil nach den Urteilsgründen der Angeklagte selbst sich zunächst gegenüber dem Geschäftsführer H auf einen ihm vom Zeugen He abgetretenen Provisionsanspruch bezog. Dies tat er, obwohl er mit dem Geschäftsführer H die Provisionsvereinbarung getroffen hatte. Auch wenn der Angeklagte sich später ausdrücklich auf die Provisionsvereinbarung berufen hat, kann aus diesem Verhalten möglicherweise ein Indiz dafür hergeleitet werden, daß die Provisionsabrede keinen ausreichenden rechtlichen Grund für die eigenmächtige Überweisung dargestellt und der Angeklagte dies auch erkannt hat. Damit hätte sich das Landgericht ausdrücklich auseinandersetzen müssen. Das Revisionsgericht ist nicht in der Lage, ohne eine derartige Erörterung die
Voraussetzungen für einen Vermögensnachteil in eigener Wertung dem Gesamtzusammenhang des Urteils zu entnehmen.
3. Der neue Tatrichter wird bei der Prüfung, ob ein Nachteil im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB gegeben ist, folgendes zu beachten haben:

a) Soweit die Provisionsvereinbarung nicht etwa sogar nachträglich fingiert wurde, wird zu erörtern sein, ob sie wirksam zustande gekommen ist. Insbesondere wenn entsprechende Beteiligungen bereits konkret absehbar waren, ein besonderer Akquisitionsaufwand mithin also nicht mehr erforderlich war, kann eine entsprechende Vereinbarung wegen Kollusion zwischen dem Angeklagten und dem Geschäftsführer H nach § 138 Abs. 1 BGB unwirksam sein. Dies gilt insbesondere im Falle einer gesteigerten wirtschaftlichen Abhängigkeit des Geschäftsführers H vom Angeklagten, sofern eine solche Abhängigkeit dazu mißbraucht wurde, die Anleger zu schädigen (vgl. BGH NJW 1989, 26).

b) Ein Anspruch aus der Vereinbarung kann aber auch im Hinblick auf das gesellschaftsrechtliche Schädigungsverbot ausgeschlossen sein, das verdeckte Gewinnausschüttungen an einzelne Gesellschafter verbietet (BGHZ 65, 15, 18 ff.). Eine solche Ausschüttung ist gegeben, wenn ein Gesellschafter die Geschäftsführung veranlaßt, an ihn vermögenswerte Sondervorteile auszureichen, denen keine adäquate Leistung gegenübersteht. Ob im Einzelfall ein normales Austauschgeschäft oder eine verdeckte Ausschüttung von Gesellschaftsvermögen gegeben ist, richtet sich danach, ob ein gewissenhaft handelnder Geschäftsführer das Geschäft unter sonst gleichen Bedingungen auch mit einem Nichtgesellschafter abgeschlossen hätte, ob die Leistung also durch betriebliche Gründe gerechtfertigt war (BGH GmbHR 1996, 111, 112; BGH LM Nr. 3 zu § 30 GmbHG). Im vorliegenden Fall wird anhand der üblichen Provisionsregelung für vergleichbare Einlagegeschäfte deshalb festzustellen sein, ob und ggf. inwieweit sich der vereinbarte Provisionssatz von zehn Prozent im Rahmen des Marktüblichen be-
wegte. Dabei ist hier aber auch zu berücksichtigen, daß der Angeklagte dem Zeugen He eine Beteiligung an dem Unternehmen eingeräumt hat, das mit dem Merchandising der Donky-Figuren befaßt ist. Der insoweit vom Angeklagten aufgewandte Vermögenswert schmälert seinen Gewinn aus dem Provisionsgeschäft und ist deshalb in Abzug zu bringen.

c) Selbst wenn die vereinbarte Provision an sich geschuldet sein sollte, ist weiter zu prüfen, ob für die Anlage des Zeugen C sowie der D C AG der Provisionsanspruch nicht durch einen Verzicht (§ 397 Abs. 1 BGB) erloschen ist. Zwar sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes an die Annahme eines konkludent erklärten Verzichts grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen (BGH NJW 1996, 588; 1994, 379, 380). Hier könnte jedoch für einen Verzicht sprechen, daß das Geld möglichst ungeschmälert der Filmproduktion zugute kommen sollte. Hätte deshalb der Angeklagte unter Einbeziehung des Geschäftsführers eine konkrete Verwendung der Gelder – auch betragsmäßig – den Investoren zugesagt , dann könnte möglicherweise darin aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände zugleich ein Verzicht zugunsten der Gesellschaft gesehen werden.

d) Ließe sich ein (endgültiger) Verzicht nicht nachweisen, könnten dennoch hier solche besonderen Umstände gegeben sein, die für den Angeklagten als Gesellschafter die Pflicht begründet hätten, seinen Anspruch vorübergehend nicht geltend zu machen. Eine nur in besonderen Ausnahmefällen anzunehmende entsprechende Aussetzung der Fälligstellung des An-
spruchs setzt freilich voraus, daß anderenfalls eine bedrohliche Liquiditätskrise entstünde und ein erhebliches Zuwarten im Blick auf die Verhältnisse des Gesellschafters und der Gesellschaft zumutbar wäre (Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG 4. Aufl. § 13 Rdn. 47 m.w.N.).
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(1) Wer die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, mißbraucht oder die ihm kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder eines Treueverhältnisses obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteil zufügt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) § 243 Abs. 2 und die §§ 247, 248a und 263 Abs. 3 gelten entsprechend.

(1) Das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen der Gesellschaft darf an die Gesellschafter nicht ausgezahlt werden. Satz 1 gilt nicht bei Leistungen, die bei Bestehen eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags (§ 291 des Aktiengesetzes) erfolgen oder durch einen vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch gegen den Gesellschafter gedeckt sind. Satz 1 ist zudem nicht anzuwenden auf die Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens und Leistungen auf Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprechen.

(2) Eingezahlte Nachschüsse können, soweit sie nicht zur Deckung eines Verlustes am Stammkapital erforderlich sind, an die Gesellschafter zurückgezahlt werden. Die Zurückzahlung darf nicht vor Ablauf von drei Monaten erfolgen, nachdem der Rückzahlungsbeschluß nach § 12 bekanntgemacht ist. Im Fall des § 28 Abs. 2 ist die Zurückzahlung von Nachschüssen vor der Volleinzahlung des Stammkapitals unzulässig. Zurückgezahlte Nachschüsse gelten als nicht eingezogen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 260/07 Verkündet am:
26. Januar 2009
Vondrasek
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
"GutBuschow"
GmbHG §§ 30, 31, 32 a, 32 b (idF vor dem 1. November 2008);

a) Das Eigenkapitalersatzrecht in Gestalt der Novellenregeln (§§ 32 a, 32 b GmbHG
a.F.) und der Rechtsprechungsregeln (§§ 30, 31 GmbH a.F. analog) findet gemäß
der Überleitungsnorm des Art. 103 d EGInsO wie nach allgemeinen Grundsätzen
des intertemporalen Rechts auf "Altfälle", in denen das Insolvenzverfahren vor Inkrafttreten
des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung
von Missbräuchen (MoMiG) vom 23. Oktober 2008 (BGBl. I S. 2026) eröffnet
worden ist, als zur Zeit der Verwirklichung des Entstehungstatbestandes des
Schuldverhältnisses geltendes "altes" Gesetzesrecht weiterhin Anwendung.

b) Die Rückzahlungspflicht des bürgenden Gesellschafters nach Novellen- wie nach
Rechtsprechungsregeln wird nicht durch das Vorhandensein einer Mehrzahl von
Sicherheiten - hier: verlängerter Eigentumsvorbehalt und Wechselbürgschaft - berührt
, solange sich unter den Sicherungsgebern auch ein Gesellschafter befindet.
Da wirtschaftlich dessen Kreditsicherheit in der Krise der Gesellschaft funktionales
Eigenkapital darstellt, darf dieses nicht auf dem Umweg über eine Leistung an
den Gesellschaftsgläubiger aus dem Gesellschaftsvermögen dem Gesellschafter
"zurückgewährt" werden.
BGH, Urteil vom 26. Januar 2009 - II ZR 260/07 - OLG Frankfurt am Main
LG Darmstadt
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 26. Januar 2009 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette
und die Richter Dr. Kurzwelly, Caliebe, Dr. Reichart und Dr. Drescher

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Schlussurteil des 24. Zivilsenats in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 14. September 2007 - mit Ausnahme der Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1 - aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionsverfahren, an den 5. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Kläger ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der A. GmbH (nachfolgend: Schuldnerin), deren geschäftsführender (Allein-)Gesellschafter der Beklagte zu 2 war. Die Schuldnerin kaufte am 24. September 1999 zum Preise von 81.855,00 DM und am 28. Oktober 1999 für 40.500,00 DM Jungbullen unter verlängertem Eigentumsvorbehalt von der Beklagten zu 1. Im Gegenzug akzeptierte sie zwei Wechsel über 85.026,90 DM und 41.807,80 DM, die am 24. bzw. 28. März 2000 fällig wurden; die gegenüber den Kaufpreisschulden höheren Wechselverbindlichkeiten resultierten daraus, dass die Beklagte zu 1 der Schuldnerin weitere finanzielle Mittel zur Begleichung von Futtermittelrechnungen und anderen Verbindlichkeiten vorstrecken musste. Für die Wechselforderung über 41.807,80 DM übernahm der Beklagte zu 2 als Gesellschafter der Schuldnerin - als weitere Sicherheit - eine Wechselbürgschaft. Am 28. März 2000 löste er zwei aus dem Weiterverkauf der Bullen stammende Verrechnungsschecks über das Konto der AH. GmbH, deren Geschäftsführer er ebenfalls war, bei der Commerzbank R. ein, die den Gegenwert der Wechselforderungen an die Beklagte zu 1 zahlte; dieser "Umweg" war nach dem Eingeständnis des Beklagten zu 2 erforderlich, weil das ebenfalls bei der Commerzbank R. bestehende Geschäftskonto der Schuldnerin sich im Debet befand und zudem bereits durch Drittgläubiger gepfändet war. Auf Eigenantrag der Schuldnerin vom 29. März 2000 wurde über deren Vermögen das Insolvenzverfahren am 1. Juni 2000, 0.00 Uhr, eröffnet.
2
Der Kläger hat die Beklagte zu 1 unter dem Blickwinkel der Insolvenzanfechtung und den Beklagten zu 2 aus Eigenkapitalersatzrecht gesamtschuldnerisch auf Erstattung im Umfang der zweiten Wechselforderung über 41.807,80 DM (= 21.375,99 €) sowie darüber hinaus die Beklagte zu 1 allein in Höhe der ersten Wechselforderung über 85.026,90 DM (= 43.473,56 €) in Anspruch genommen. Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage gegen beide Beklagten abgewiesen, das Oberlandesgericht unter dem Blickwinkel einer vermeintlichen Verjährung. Auf die Revision des Klägers hat der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs durch Urteil vom 9. Februar 2006 (IX ZR 98/04) das Urteil des Oberlandesgerichts vom 23. April 2004 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, weil die Klageforderung nicht verjährt und im Übrigen der Rechtsstreit bislang nicht entscheidungsreif sei.
3
Das Oberlandesgericht hat daraufhin nach Beweisaufnahme zunächst durch - mittlerweile rechtskräftiges - Teilurteil vom 20. Juli 2007 die Klage gegen die Beklagte zu 1 und anschließend durch Schlussurteil vom 14. September 2007 auch die Klage gegen den Beklagten zu 2 wiederum abgewiesen. Gegen das Schlussurteil des Berufungsgerichts richtet sich die - von dem erkennenden Senat - zugelassene Revision des Klägers, mit der dieser seine Klage gegenüber dem Beklagten zu 2 unter dem Blickwinkel einer eigenkapitalersetzenden Gesellschafterleistung wegen der von diesem übernommenen Avalbürgschaft für die zweite Wechselverbindlichkeit weiterverfolgt.

Entscheidungsgründe:

4
I. Die (erneute) Revision des Klägers in Bezug auf den Beklagten zu 2 ist wiederum begründet und führt unter Aufhebung des angefochtenen Schlussurteils zur Zurückverweisung der Sache, diesmal an einen anderen Senat des Berufungsgerichts (§§ 562, 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
5
II. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
6
Nach dem nunmehr schlüssigen - allerdings vom Beklagten zu 2 bestrittenen - Vortrag des Klägers habe sich die Schuldnerin zwar bereits im Zeitpunkt der Begebung des zweiten Wechsels über 41.807,80 DM und der gleichzeitigen Übernahme der Wechselbürgschaft durch den Beklagten zu 2 in einer wirtschaftlichen Krise aufgrund von Zahlungsunfähigkeit, Überschuldung sowie Kreditunwürdigkeit befunden; ob dies zutreffe, könne jedoch dahingestellt bleiben. Denn unabhängig davon scheide eine Haftung des Beklagten zu 2 nach §§ 32 a, 32 b GmbHG wie auch gemäß §§ 30, 31 GmbHG schon deshalb aus, weil diese Vorschriften im vorliegenden Fall nicht einschlägig seien. Bei der Hingabe der Wechselbürgschaft des Beklagten zu 2 handele es sich weder um ein Darlehen noch um eine diesem wirtschaftlich entsprechende Rechtshandlung. Das Ursprungsgeschäft zwischen der Schuldnerin und der Beklagten zu 1 sei ein branchenübliches Austauschgeschäft, bei dem die Stundung des Kaufpreises bis zur Weiterveräußerung der Tiere wie auch die Verbürgung des Beklagten zu 2 für die ausgereichten Wechsel nichts Ungewöhnliches seien. Durch die Bürgschaft des Beklagten zu 2 habe die Schuldnerin nichts erlangt; vielmehr sei dadurch lediglich die Kaufpreisforderung der Beklagten zu 1 neben dem verlängerten Eigentumsvorbehalt subsidiär abgesichert worden. Auch sei der Schuldnerin durch die Begleichung der von vornherein mit dem verlängerten Eigentumsvorbehalt belasteten Kaufpreisforderung weder Stammkapital entzogen worden noch habe sie aufgrund der Verbürgung des Beklagten zu 2 einen anderen Nachteil erlitten.
7
III. Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
8
1. Für das Revisionsverfahren ist - aufgrund der entsprechenden Unterstellung des Berufungsgerichts - von dem schlüssigen Vorbringen des Klägers auszugehen, dass bei Übernahme der Avalbürgschaft durch den Beklagten zu 2 am 28. Oktober 1999 für den an demselben Tag begebenen zweiten Wechsel die Schuldnerin nicht nur kreditunwürdig, sondern weitergehend sogar insolvenzreif - und zwar sowohl zahlungsunfähig als auch überschuldet - war.
9
2. Danach war hier der Anwendungsbereich eigenkapitalersatzrechtlicher Anspruchsnormen gegenüber dem Beklagten zu 2 sowohl nach Novellenregeln (§§ 32 b, 32 a Abs. 2, 3 GmbHG a.F.) als auch nach Rechtsprechungsregeln (§§ 30, 31 GmbH a.F. analog) - entgegen der verfehlten, den Normgehalt dieser Vorschriften offenbar verkennenden Ansicht des Berufungsgerichts - eröffnet. Denn der Beklagte zu 2 hat in der Krise der Schuldnerin (vgl. zur Eigenständig- keit der Tatbestände der Insolvenzreife einerseits und der Kreditunwürdigkeit andererseits: Sen.Urt. v. 3. April 2006 - II ZR 332/05, ZIP 2006, 996 m.w.Nachw.) die Wechselbürgschaft für die von dieser als Akzeptantin eingegangene Wechselverbindlichkeit und die zugrunde liegende Kaufpreisschuld gegenüber der Beklagten zu 1 übernommen; seine Gesellschaftersicherheit war daher von Anfang an eigenkapitalersetzend.
10
a) In der fortbestehenden Krise der Schuldnerin löste die Tilgung der Wechselforderung und zugleich der zugrunde liegenden, darlehensgleich gestundeten Kaufpreisforderung der Beklagten zu 1 als Drittgläubigerin aus Gesellschaftsmitteln am 28. März 2000 einen Rückzahlungsanspruch der Schuldnerin gegen den Beklagten zu 2 sowohl nach §§ 32 b Abs. 1, 32 a Abs. 2, 3 GmbHG a.F. als auch nach Rechtsprechungsregeln analog § 31 Abs. 1 GmbHG a.F. aus, weil dieser durch die Tilgung der Schuld aus gebundenem Vermögen der GmbH von seiner (vorrangigen) Sicherungspflicht befreit wurde (st. Senatsrechtsprechung: vgl. nur Sen.Urt. v. 14. März 2005 - II ZR 129/03, ZIP 2005, 659; v. 23. Februar 2004 - II ZR 207/01, ZIP 2004, 1049 - jew. m.w.Nachw.). Die Anwendung sowohl der Novellen- als auch der Rechtsprechungsregeln beruht in dieser Fallkonstellation auf folgender Erwägung: Zahlt der Gesellschafter selbst aufgrund der Bürgschaft an den Gläubiger, kann er gegen die Gesellschaft keinen Rückgriff nehmen. Diese Lage darf sich für ihn nicht verbessern, wenn die Gesellschaft von sich aus den Gläubiger befriedigt und dadurch den Gesellschafter von seiner Bürgschaftsverpflichtung befreit, vielmehr muss er der Gesellschaft dann den sozusagen für ihn verauslagten Betrag erstatten (Sen.Urt. v. 2. April 1990 - II ZR 149/89, ZIP 1990, 642, 643; v. 9. Dezember 1991 - II ZR 43/91, ZIP 1992, 108 f.). Aus diesem Grund ist in der Rechtsprechung des Senats entschieden, dass der bürgende Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft freistellungspflichtig ist, wenn die Krise eintritt und der Gläubiger Leistung von der Gesellschaft fordert (vgl. nur Sen.Urt. v.
14. März 2005 und v. 23. Februar 2004 - jeweils aaO; Sen.Urt. v. 6. Juli 1998 - II ZR 284/94, ZIP 1998, 1437; h.M.: vgl. nur Scholz/K. Schmidt, GmbHG 10. Aufl. §§ 32 a, 32 b Rdn. 177 m. umfangr. Nachw.).
11
b) Die Rückzahlungspflicht des bürgenden Gesellschafters nach Novellen - wie nach Rechtsprechungsregeln wird nicht durch das Vorhandensein einer Mehrzahl von Sicherheiten - hier: verlängerter Eigentumsvorbehalt zugunsten der Beklagten zu 1 und Wechselbürgschaft des Beklagten zu 2 - berührt, solange sich unter den Sicherungsgebern - wie im vorliegenden Fall - auch ein Gesellschafter befindet. Da wirtschaftlich dessen Kreditsicherheit in der Krise der Gesellschaft funktionales Eigenkapital darstellt, darf dieses nicht auf dem Umweg über eine Leistung an den Gesellschaftsgläubiger aus dem Gesellschaftsvermögen dem Gesellschafter "zurückgewährt" werden. Das gilt auch dann, wenn der Drittgläubiger im Falle der Doppelsicherung aus einer reinen Gesellschaftssicherheit Befriedigung erlangt (Sen.Urt. v. 9. Dezember 1991, ZIP aaO S. 108 f.). Der Beklagte zu 2 wäre auch in diesem Fall der Schuldnerin gegenüber schon vor deren Inanspruchnahme durch die Beklagte zu 1 freistellungspflichtig gewesen.
12
c) Dem Rückzahlungsanspruch der Schuldnerin nach Novellen- bzw. Rechtsprechungsregeln steht auch nicht die besondere wechselrechtliche Vorschrift des Art. 31 Abs. 4 WG entgegen. Danach gilt zwar die Wechselbürgschaft grundsätzlich für den Aussteller (hier: die Beklagte zu 1) als wechselmäßigen Hauptschuldner, wenn - wie im vorliegenden Fall - nicht in der Erklärung angegeben ist, für wen sie übernommen wird. Indessen kann es sich im Verhältnis zwischen Akzeptanten, Wechselbürgen und Aussteller vor Begebung des Wechsels an einen Dritten anders verhalten, weil die Vorschrift eine widerlegbare Auslegungsregel enthält (Senat, BGHZ 22, 148, 152 f.). So lag es hier, weil die Beklagte zu 1 durch die Avalbürgschaft des Beklagten zu 2 nach den Feststellungen des Berufungsgerichts unstreitig eine zusätzliche Sicherheit für ihre Forderung aus dem Verkauf der ungemästeten Tiere gegen die Schuldnerin erhalten sollte. Dann aber war die Bürgschaft auch für die Schuldnerin als Akzeptantin des Wechsels übernommen.
13
d) Angesichts dessen ist die Annahme des Berufungsgerichts, bei dem Verkauf der Tiere unter Stundung des Kaufpreises wie auch der Verbürgung für die ausgereichten Wechsel habe es sich um einen verkehrsüblichen Vorgang gehandelt, für das Bestehen eines Zahlungsanspruchs des Klägers gegen den Beklagten zu 2 nach §§ 32, 32 a Abs. 2 GmbHG a.F. wie auch gemäß § 31 Abs. 1 GmbHG a.F. unerheblich. Ebenso verfehlt ist die Ansicht des Berufungsgerichts , der Schuldnerin sei weder Stammkapital entzogen worden noch habe sie aufgrund der Verbürgung des Beklagten zu 2 einen anderen Nachteil erlitten. Vielmehr stellte, wie dargelegt, die Kreditrückführung - hier durch Begleichung der Wechselverbindlichkeit mit den Mitteln der erhaltenen Scheckvaluta aus dem Weiterverkauf der Tiere - eine Auszahlung aus dem zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögen der Gesellschaft zugunsten des - frei werdenden - bürgenden Beklagten zu 2 im Sinne der Eigenkapitalersatzregeln dar.
14
IV. Das festgestellte bzw. zu unterstellende Rechtsverhältnis ist bezüglich der aufgezeigten Rechtsfehler des Berufungsurteils im Hinblick auf die Anwendbarkeit der eigenkapitalersatzrechtlichen Novellen- und Rechtsprechungsregeln nicht etwa deshalb anders zu beurteilen und die angefochtene Entscheidung stellt sich insbesondere nicht etwa aus anderen Gründen ganz oder teilweise als im Ergebnis richtig dar (§ 561 ZPO), weil aufgrund des zwischenzeitlich während des anhängigen Nichtzulassungsbeschwerde- bzw. Revisionsverfahrens am 1. November 2008 in Kraft getretenen Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23. Oktober 2008 (BGBl. I S. 2026) die Novellenregeln der §§ 32 a, b GmbHG a.F. aufgehoben (Art. 1 Nr. 22 MoMiG), ihr Regelungsgehalt (teilweise gleichlautend) in das Insolvenzrecht, d.h. insbesondere in die Vorschriften der §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 4 und 5, 44 a, 135, 143 InsO n.F. verlagert (Art. 9 Nr. 5, 6, 8, 9 MoMiG) und die sog. Rechtsprechungsregeln (§§ 30, 31 GmbHG a.F. analog) durch das neu eingefügte "Nichtanwendungsgesetz" des § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG n.F. (Art. 1 Nr. 20 MoMiG) ebenfalls aufgehoben worden sind.
15
Auf den vorliegenden "Altfall", in dem die - zu unterstellende - verbotene Befreiung des Gesellschafters von seiner eigenkapitalersetzenden Wechselbürgschaft aufgrund der Tilgung der darlehensgleichen Verbindlichkeit gegenüber dem Drittgläubiger und damit die Entstehung des Erstattungsanspruchs der Gesellschaft sowohl nach Novellen- wie auch nach Rechtsprechungsregeln vor dem Inkrafttreten des MoMiG lag, ist nicht etwa das neue Recht "rückwirkend" anwendbar; vielmehr gilt insoweit das zur Zeit der Verwirklichung des Entstehungstatbestandes des Schuldverhältnisses geltende "alte Recht" weiter.
16
1. Hinsichtlich des novellenrechtlichen Erstattungsanspruchs aus §§ 32 b, 32 a Abs. 2, 3 GmbHG a.F. - der sachlich einen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraussetzenden Anfechtungstatbestand darstellte (vgl. Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG 5. Aufl. § 32 b Rdn. 2; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG 18. Aufl. § 32 b Rdn. 1; K. Schmidt, ZIP 1999, 1820, 1822; ders. in Scholz, GmbHG 10. Aufl. §§ 32 a, 32 b Rdn. 185; zur Parallelität mit § 135 InsO bzw. § 32 a KO: Senat, BGHZ 123, 289, 293) - ergibt sich die Anwendbarkeit des alten Rechts auf den vorliegenden Altfall bereits aus der Überleitungsvorschrift in Art. 103 d EGInsO, der auf die vor dem Inkrafttreten des MoMiG am 1. November 2008 eröffneten Insolvenzverfahren die weitere Anwendung der "bis dahin geltenden gesetzlichen Vorschriften" anordnet.
Zu diesen "gesetzlichen Vorschriften" gehören ersichtlich nicht nur solche, die - wie § 135 InsO a.F. - in der Insolvenzordnung geregelt waren, sondern selbstverständlich auch die damit konkurrierenden "parallelen" Anspruchsnormen der Novellenregeln gemäß §§ 32 b, 32 a GmbHG a.F. (vgl. dazu Goette, Einführung in das neue GmbH-Recht, Einf. Rdn. 83-85).
17
2. a) Auch die Fortgeltung der sog. Rechtsprechungsregeln lässt sich für den vorliegenden "Altfall" des vor Inkrafttreten des MoMiG eröffneten Insolvenzverfahrens bereits aus der genannten Überleitungsnorm des Art. 103 d EGInsO ableiten, da es sich bei den analog angewendeten §§ 30, 31 GmbHG a.F. ebenfalls um "bis dahin geltende gesetzliche Vorschriften" handelte, die mit solchen aus §§ 32 b, 32 a GmbHG a.F. und Anfechtungsansprüchen gemäß § 135 InsO a.F. konkurrierten; es ist nicht ersichtlich, dass nach der Überleitungsvorschrift diese gesetzlichen Ansprüche nach §§ 30, 31 GmbHG a.F. analog nur deshalb von der Fortgeltung in Altfällen ausgeschlossen sein sollten, weil sie - nicht anders als die Novellenregeln - im GmbHG verortet waren.
18
Bei einem derartigen - allein sachgerechten - Verständnis der Überleitungsnorm des Art. 103 d EGInsO steht der Anwendbarkeit der Rechtsprechungsregeln analog §§ 30, 31 GmbHG a.F. auf den vorliegenden "Altfall" das durch das MoMiG neu in das GmbHG eingefügte "Nichtanwendungsgesetz" des § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG n.F. schon deshalb nicht entgegen, weil für diesen eine - "spezielle" - Überleitungsvorschrift nicht existiert (Goette aaO Einf. Rdn. 84 f.; Altmeppen, NJW 2008, 3601; diesen Aspekt nicht beachtend und i. Erg. a.A. Hirte/Knof/Mock, NZG 2009, 48 ff.; a.A. auch Holzer, ZIP 2009, 206 ff.).
19
b) Selbst wenn man die Fortgeltung der Rechtsprechungsregeln analog §§ 30, 31 GmbHG a.F. für die betreffenden "Altfälle" nicht schon aus Art. 103 d EGInsO herleiten wollte, so folgte sie trotz des "Nichtanwendungsgesetzes" des § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG n.F. aus den dann - in Ermangelung einer insoweit einschlägigen Übergangsregelung - heranzuziehenden allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Rechts (vgl. Wedemann, GmbHR 2008, 1131, 1134; ähnlich Goette aaO Einf. Rdn. 84 f.; Altmeppen aaO S. 3601; Bormann/Urlichs, GmbHR Sonderheft Okt. 2008, 37, 50 f.).
20
Danach untersteht ein Schuldverhältnis nach seinen Voraussetzungen, seinem Inhalt und seinen Wirkungen dem Recht, das zur Zeit seiner Entstehung galt (Art. 170, 229 § 5, 232 § 1 EGBGB analog; vgl. auch Senat, BGHZ 44, 192, 194 m.w.Nachw.; h.M.: vgl. nur Palandt/Heinrichs, BGB 68. Aufl. Einl. vor § 241 Rdn. 14 m. umfangr. Rechtsprechungsnachw.; Wedemann aaO S. 1134 - zu § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG n.F.; im Ergebnis auch: BAG, Urt. v. 1. Dezember 2004 - 7 AZR 198/04, NJW 2005, 2333, 2334).
21
Für die "Nichtanwendungsvorschrift" des § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG n.F. hat das MoMiG - anders als etwa für die Änderungen zur verdeckten Sacheinlage und zum Hin- und Herzahlen in § 19 Abs. 4 und 5 GmbHG n.F., die nach § 3 Abs. 4 EGGmbHG grundsätzlich auch auf Einlageleistungen vor dem 1. November 2008 anzuwenden sind - keine ausdrückliche Rückwirkung auf in der Vergangenheit liegende "Auszahlungen" i.S. der Rechtsprechungsregeln (§§ 30, 31 GmbHG a.F.) angeordnet. Eine solche "rückwirkende" Übergangsregelung lässt sich auch nicht im Wege der Auslegung aus den Zielen des MoMiG oder systematischen Erwägungen ableiten; vielmehr geht aus dem Gesetzgebungsverfahren sogar im Gegenteil hervor, dass die Vorschriften in § 3 EGGmbHG - die zu § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG n.F. keine Regelung treffen - "sämtliche Übergangsregelungen, die aufgrund der Änderungen des GmbHG erforderlich geworden sind", enthalten (vgl. Begr RegE § 3 EGGmbHG, bei Goette aaO Seite 342).
22
c) Danach sind auf den vorliegenden "Altfall" auch die Vorschriften der Rechtsprechungsregeln (§§ 30, 31 GmbHG a.F. analog), unter deren Geltung sich der gesamte Entstehungstatbestand (vgl. dazu schon: RGZ 76, 394, 397) des Anspruchs aufgrund der nach Eigenkapitalersatzrecht verbotenen "Rückzahlung" vom 28. März 2000 verwirklicht hat, weiterhin anzuwenden.
23
V. Wegen der aufgezeigten Rechtsfehler unterliegt das Berufungsurteil der Aufhebung (§ 562 ZPO). Aufgrund der danach gebotenen Zurückverweisung der Sache wird ein anderer Senat des Berufungsgerichts unter Zugrundelegung der weiterhin auf das streitige Rechtsverhältnis anwendbaren eigenkapitalersatzrechtlichen Vorschriften des alten Rechts (§§ 32 a, b GmbHG a.F. bzw. §§ 30, 31 GmbHG a.F. analog) die fehlenden Feststellungen zu den - bislang nur unterstellten - Voraussetzungen einer Krisensituation im Zeitpunkt der Wechselbegebung entsprechend dem schlüssigen und unter Beweis gestellten - vom Beklagten zu 2 substantiiert bestrittenen - Vorbringen des Klägers zu treffen haben.
24
Sollte sich danach etwa eine Insolvenzreife der Schuldnerin - sei es in Form von Zahlungsunfähigkeit, sei es aufgrund einer Überschuldung - im Zeitpunkt der Wechselbegebung nicht feststellen lassen, wäre auch der davon unabhängige , selbständige Krisentatbestand einer - vom Kläger ebenfalls behaupteten - Kreditunwürdigkeit der Schuldnerin zu prüfen.
25
Soweit das Berufungsgericht bisher bei seiner Beweiswürdigung im Anschluss an die Aussage des Zeugen R. den Verkauf der Tiere unter Stundung des Kaufpreises und gleichzeitiger Verbürgung für die ausgereichten Wechsel als "verkehrsüblich" bezeichnet hat, wird dieser Umstand - sofern er auf der Grundlage der erneuten Berufungsverhandlung etwa als potentielles Indiz für das Fehlen einer Kreditunwürdigkeit der Schuldnerin angesehen wer- den sollte - kritisch zu überprüfen sein. Insbesondere wird dabei zu berücksichtigen sein, dass der Schuldnerin nicht nur flüssige Mittel für eine sofortige Tilgung der Kaufpreisforderung fehlten, sondern dass sie darüber hinaus unstreitig nicht dazu in der Lage war, Futtermittelrechnungen und sonstige Verbindlichkeiten aus eigenen Mitteln zu begleichen, so dass auch insoweit die Beklagte zu 1 mit einer Kreditierung gegen Wechselakzepte in Vorlage treten musste. Soweit nach Darstellung des Oberlandesgerichts in diesem Zusammenhang der Zeuge R. bekundet hat, es sei für die Beklagte zu 1 üblich gewesen, bei einem Kunden in Form einer GmbH durch den Geschäftsführer per Aval unterschreiben zu lassen, so ist das differenziert zu sehen: Zum einen hat der Zeuge weiter bekundet, dass bei dem ersten Wechsel die Avalbürgschaft unterlassen worden sei, weil im Kaufvertrag vermerkt gewesen sei, dass dieser Wechsel durch die späteren Erlöse eingelöst werden sollte. Zum anderen genügte bei dem zweiten Wechsel - obwohl er einen gleich gelagerten Sachverhalt betraf - eine entsprechende Vorgehensweise offenbar nicht; denn in diesem Fall wurde zusätzlich die Avalbürgschaft vom Beklagten zu 2 als Gesellschafter persönlich - und nicht etwa in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer für die Gesellschaft - verlangt und auch übernommen.
Goette Kurzwelly Caliebe Reichart Drescher
Vorinstanzen:
LG Darmstadt, Entscheidung vom 17.12.2002 - 1 O 259/02 -
OLG Frankfurt in Darmstadt, Entscheidung vom 14.09.2007 - 24 U 43/03 -

(1) Das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen der Gesellschaft darf an die Gesellschafter nicht ausgezahlt werden. Satz 1 gilt nicht bei Leistungen, die bei Bestehen eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags (§ 291 des Aktiengesetzes) erfolgen oder durch einen vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch gegen den Gesellschafter gedeckt sind. Satz 1 ist zudem nicht anzuwenden auf die Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens und Leistungen auf Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprechen.

(2) Eingezahlte Nachschüsse können, soweit sie nicht zur Deckung eines Verlustes am Stammkapital erforderlich sind, an die Gesellschafter zurückgezahlt werden. Die Zurückzahlung darf nicht vor Ablauf von drei Monaten erfolgen, nachdem der Rückzahlungsbeschluß nach § 12 bekanntgemacht ist. Im Fall des § 28 Abs. 2 ist die Zurückzahlung von Nachschüssen vor der Volleinzahlung des Stammkapitals unzulässig. Zurückgezahlte Nachschüsse gelten als nicht eingezogen.

5 StR 34/08

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 6. Mai 2008
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Untreue u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
6. Mai 2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richter Dr. Schäfer,
Richter Prof. Dr. Sander
alsbeisitzendeRichter,
Staatsanwalt
alsVertreterderBundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt W.
alsVerteidigerfürdenAngeklagten B. K. ,
Rechtsanwalt Kl.
alsVerteidigerfürdenAngeklagten D. K. ,
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 7. Mai 2007 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Dresden verwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten B. K. wegen vorsätzlichen Bankrotts verwarnt und die Verhängung einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 35 Euro vorbehalten. Vom Vorwurf der Untreue in zwei Fällen sowie vom Vorwurf des vorsätzlichen Unterlassens der Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat das Landgericht den Angeklagten B. K. aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, ebenso den Angeklagten D. K. vom Vorwurf der Beihilfe zur Untreue in zwei Fällen. Die zuungunsten der Angeklagten eingelegten und gegen das gesamte Urteil gerichteten Revisionen der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten werden, haben jeweils mit der Sachrüge Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
3
1. Der Angeklagte B. K. war alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter der F. P. GmbH, für deren Kontokorrentdarlehen er selbst gegenüber den Banken bürgte. Seit April 2000 geriet die F. P. GmbH in Zahlungsschwierigkeiten. Um ein Insolvenzverfahren über das Firmenvermögen mit der Folge eines – insbesondere wegen der Bürgschaften drohenden – eigenen Privatinsolvenzverfahrens abzuwenden, wandte sich der Angeklagte an den Zeugen Rechtsanwalt S. mit dem Auftrag, Verhandlungen über Forderungsverzichte mit den Banken zu führen. Gleichwohl kündigten die HypoVereinsbank AG, die Commerzbank AG und die Deutsche Bank AG im Juni 2000 die jeweils gewährten Kontokorrentkredite und stellten Schuldsalden in Höhe von rund 1,04 Mio. DM, von fast 700.000 DM bzw. rund 2,01 Mio. DM fällig. Allerdings konnte der Angeklagte B. K. im Zuge der fortgeführten Verhandlungen erreichen, dass von ihm hierfür gewonnene Vertrauenspersonen, nämlich der vormals Mitangeklagte M. , gegen den das Verfahren nach § 153a StPO eingestellt worden ist, und sein Vater, der Mitangeklagte D. K. , mit den Banken Kaufverträge am 26. Juni 2000, 17. Juli 2000 bzw. 11. August 2000 über die ausstehenden Darlehensforderungen abschlossen.
4
a) Demgemäß trat die HypoVereinsbank AG an M. ihre Forderung in Höhe von 1.062.068,70 DM nebst den hierfür gewährten Sicherheiten gegen einen Kaufpreis von 500.000 DM ab. Zu den Sicherheiten gehörten neben der Bürgschaft Forderungen der F. P. GmbH gegen ihre Abnehmer. Den Kaufpreis überwies der Angeklagte B. K. von einem Konto der F. P. GmbH bei einer weiteren Bank über ein Anderkonto des Rechtsanwalts S. an die HypoVereinsbank AG und nicht, wie gegenüber der Bank vorgespiegelt, M. aus seinem Vermö- gen. In der Buchhaltung der F. P. GmbH ließ der Angeklagte diesen Zahlungsvorgang als Darlehen an M. über 500.000 DM erfassen. Gemäß der vorher getroffenen Abrede „verrechneten“ der Angeklagte B. K. und M. den der Firma zustehenden Darlehensrückzahlungsanspruch mit der von M. erworbenen Bankforderung. Über den Restbetrag in Höhe von 562.068,70 DM erteilte der Angeklagte B. K. dem M. am 7. Juli 2000 eine Saldenbestätigung; nach der zuvor getroffenen „Sanierungsvereinbarung“ sollte M. diese Restforderung der F. P. GmbH eigentlich erlassen (Fall 1 der Anklage). Tatsächlich ließ der Angeklagte B. K. in der Folgezeit Rechtsanwalt S. gegenüber den Kunden der F. P. GmbH den Übergang der Geschäftsforderungen auf M. offen legen und die auf diese Forderungen gezahlten Beträge auf das Anderkonto einziehen.
5
b) In gleicher Weise erwarb der Angeklagte D. K. von der Commerzbank AG deren Forderung in Höhe von 685.863,65 DM nebst der Bürgschaft und zur Sicherheit von der F. P. GmbH an die Bank abgetretener Forderungen; der Kaufpreis in Höhe von 200.000 DM wurde vom Angeklagten B. K. in Höhe von 150.000 DM wiederum von einem Konto der F. P. GmbH bei einer weiteren Bank über das Anderkonto an die Commerzbank überwiesen. Auch diesen Geschäftsvorfall ließ der Angeklagte B. K. als Darlehen verbuchen. Nach „Verrechnung“ der gegenseitigen Forderungen gab der Angeklagte B. K. am 20. Juli 2000 gegenüber seinem Vater eine Saldenbestätigung über die diesem zustehende Restforderung in Höhe von 535.863,65 DM ab, anstatt einen Erlassvertrag abzuschließen (Fall 2 der Anklage). Den Restbetrag des Kaufpreises in Höhe von 50.000 DM überwies der Angeklagte B. K. vom Bankkonto einer anderen Firma auf das Anderkonto.
6
In gleicher Weise sollte M. die noch offene Forderung von der Deutschen Bank AG aus dem Kontokorrentdarlehen erwerben; dieses Geschäft (als solches nicht Gegenstand der Anklage) scheiterte jedoch, weil der Angeklagte B. K. den dafür erforderlichen Kaufpreis in Höhe von 1.320.000 DM bis zum 5. Oktober 2000 nicht aufbringen konnte. Es gelang ihm lediglich, vom 8. August bis zum 18. Oktober 2000 insgesamt rund 450.000 DM auf das Anderkonto zu zahlen. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1. November 2000 ließ der Angeklagte B. K. über Rechtsanwalt S. die Herausgabe dieser Guthaben ebenso wie der Beträge , die von den Kunden auf die auf M. und D. K. übergegangenen Geschäftsforderungen gezahlt worden waren, gegenüber der Insolvenzverwalterin verweigern.
7
c) Mehrere Liquiditätsstaten betreffend die Zahlungsfähigkeit der F. P. GmbH ergaben nach Auffassung des Landgerichts im Zeitraum von April bis zum 30. September 2000 unter Berücksichtigung der mit den Banken vereinbarten „Stillhalteabkommen“ und der Guthaben auf dem Anderkonto Deckungsgrade von jeweils über 90 %. Erst nachdem die von der Deutschen Bank AG bis zum 5. Oktober 2000 gesetzte Zahlungsfrist nicht eingehalten werden konnte und damit die mit dieser Bank geführten Vergleichsverhandlungen gescheitert waren, sei Zahlungsunfähigkeit eingetreten ; daher habe der Angeklagte B. K. am 12. Oktober 2000 rechtzeitig vor Ablauf der Dreiwochenfrist Insolvenzantrag gestellt (Fall 4 der Anklage).
8
d) Allerdings unterließ es der Angeklagte B. K. als Geschäftsführer der F. P. GmbH trotz der seit Frühjahr 2000 drohenden Zahlungsunfähigkeit, bis spätestens zum 30. Juni 2000 einen Jahresabschluss für das vorangegangene Geschäftsjahr 1999 aufzustellen. Am 1. November 2000 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der F. P. GmbH eröffnet (Fall 3 der Anklage).
9
2. Nach Auffassung des Landgerichts begründete auch der Umstand, dass der Angeklagte B. K. in Höhe von 650.000 DM von seinen Bürgschaftsschulden befreit wurde, nicht seine Strafbarkeit wegen Untreue zu Lasten der F. P. GmbH; denn aus § 32b GmbHG folge – anders als aus § 30 GmbHG – kein Rückzahlungsverbot. Der Erwerb der fälligen und durchsetzbaren Forderungen aus den Kontokorrentdarlehen sei wegen des Gläubigerwechsels sogar vorteilhaft gewesen, zumal es nicht bewiesen sei, dass die F. P. GmbH selbst die Kaufverträge mit den Banken hätte abschließen können. Die Überweisungen in Höhe von rund 450.000 DM sollten nach Überzeugung des Landgerichts dem Forderungserwerb von der Deutschen Bank AG dienen und nicht, wie in der Anklage zugrunde gelegt, an die Vertrauenspersonen weitergeleitet werden. Dass der Angeklagte B. K. die Herausgabe der auf dem Anderkonto befindlichen Guthaben verweigert habe, beruhe auf einem neuen, freilich zeitlich nicht genau zu bestimmenden Tatentschluss. Dieses Verhalten sei von der Anklage nicht umfasst.

II.


10
Die Freisprüche halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
11
1. Der Freispruch des Angeklagten B. K. vom Vorwurf der Untreue in zwei Fällen und der Insolvenzverschleppung erweist sich aus mehreren Gründen als rechtsfehlerhaft.
12
a) Hinsichtlich des Freispruchs vom Vorwurf der Untreue (§ 266 StGB) in den Fällen 1 und 2 der Anklage ist das Landgericht von unzutreffenden rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen und hat den angeklagten Sachverhalt nicht unter allen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten erschöpfend gewürdigt.
13
aa) Das Landgericht hat, worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat, nicht bedacht, dass die überwiesenen Beträge in Höhe von 650.000 DM bei entsprechender Befreiung des Angeklagten von seinen Bürgschaftsschulden aus den Mitteln des zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögens der F. P. GmbH stammen könnten. Dadurch könnte der Angeklagte B. K. der F. P. GmbH das Stammkapital entgegen § 30 Abs. 1 GmbHG entnommen haben. Darüber hinaus könnte er im Falle eines bereits aufgezehrten Stammkapitals die Überschuldung der F. P. GmbH herbeigeführt oder vertieft haben. Eine derartige Vermögenssituation lag hier bei der Gesellschaft angesichts des festgestellten gesamten Geschehensablaufs nahe.
14
(1) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs begeht der Geschäftsführer eine Untreue zu Lasten der GmbH, wenn er das zur Erhaltung des Stammkapitals, das der Verfügungsmacht der Gesellschafter im Interesse der Gläubiger entzogen ist, erforderliche Vermögen an die Gesellschafter auszahlt (BGHSt 35, 333, 337 f.; 9, 203, 216; 3, 32, 40; BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 23, 37, 45; BGH wistra 2003, 385, 387; Schaal in Rowedder /Schmidt-Leithoff, GmbHG 4. Aufl. vor § 82 Rdn. 17 m.w.N.; Tiedemann , GmbH-Strafrecht 4. Aufl. vor §§ 82 ff. Rdn. 15). Dies gilt auch dann, wenn das Stammkapital bereits verloren und die GmbH überschuldet ist (BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 21).
15
Hat der Gesellschafter der GmbH anstelle von Eigenkapital ein Darlehen gewährt – oder dieses stehengelassen (vgl. dazu Pentz in Rowedder /Schmidt-Leithoff aaO § 32a Rdn. 143 ff. m.w.N.) –, das als eigenkapitalersetzend zu qualifizieren ist, weil es verlorenes Stammkapital ersetzt oder eine darüber hinausgehende Überschuldung abdeckt, besteht ebenfalls ein Rückzahlungsverbot im Sinne des § 30 Abs. 1 GmbHG: Der Geschäftsführer darf das Darlehen nicht an den Gesellschafter zurückzahlen, soweit er damit in das (wiederhergestellte) Stammkapital eingreifen oder sogar die (erneute) Überschuldung der GmbH herbeiführen würde (vgl. BGHZ 90, 370, 376 ff.; 76, 326, 328 ff.; BGHR GmbHG § 30 Abs. 1 Gesellschafterdarlehen 1 = BB 2005, 176, 177; BGH NJW 2006, 225). Auszahlungen an den Gesellschafter dürfen nur geleistet werden, wenn die Aktiva die Passiva übersteigen und zudem nur in der Höhe, in welcher der sich daraus ergebende Un- terschiedsbetrag den Nennwert des Stammkapitals übersteigt (vgl. Maurer GmbHR 2004, 1549, 1550 m.w.N.). Ein vorsätzlicher Verstoß gegen dieses Rückzahlungsverbot begründet die Strafbarkeit wegen Untreue (vgl. Hartung NJW 1996, 229, 231 f.; Maurer aaO S. 1555; Gribbohm DStR 1991, 248, 249; Hachenburg/Kohlmann, GmbHG 8. Aufl. vor § 82 Rdn. 98; Dierlamm in MünchKomm-StGB, § 266 Rdn. 139, 170; vgl. auch BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 53; BGH wistra 2006, 309; BGH, Beschlüsse vom 15. April 1977 – 2 StR 799/76 und 800/76; Muhler wistra 1994, 283, 287).
16
Nichts anderes gilt für Rückzahlungen auf ein von einem Gesellschaftsfremden gewährtes Darlehen, das durch eine Leistung des Gesellschafters (etwa Bürgschaften oder Bestellung von Grundpfandrechten) abgesichert ist, soweit diese Leistung verlorenes Stammkapital ersetzt oder eine darüber hinausgehende Überschuldung abdeckt. Nach ständiger Rechtsprechung der Zivilsenate des Bundesgerichtshofs sind Rückzahlungen auf einen Kredit, die eine notleidende Gesellschaft an einen Fremdgläubiger geleistet hat, als Einlagenrückgewähr an den Gesellschafter zu betrachten, wenn dieser sich für den Kredit in einer Lage verbürgt hat, in der ein unmittelbar von ihm gewährtes Darlehen als Kapitalersatz zu behandeln gewesen wäre. Eine Kreditrückführung aus Mitteln des zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögens stellt in Höhe der Befreiung von der Bürgschaftsschuld eine Auszahlung an den bürgenden Gesellschafter im Sinne des § 30 Abs. 1 GmbHG dar (BGHZ 81, 252, 260; BGH GmbHR 2005, 540 f.; BGH NJW 1992, 1166; 1990, 2260, 2261; Hueck/Fastrich in Baumbach /Hueck, GmbHG 18. Aufl. § 32a Rdn. 95). Sofern der Gesellschafter in einem solchen Falle das Darlehen an den Fremdgläubiger nicht aus seinem privaten Vermögen zurückführt oder er der GmbH in Höhe seiner Befreiung weder eine gleichwertige Sicherheit stellt noch in sonstiger Weise einen Ausgleich schafft, kann die Rückzahlung seine Strafbarkeit wegen Untreue begründen (vgl. Hartung aaO S. 234; Maurer aaO S. 1555; Hachenburg /Kohlmann aaO vor § 82 Rdn. 190).
17
(2) Ob der Geschäftsführer durch die Darlehensrückzahlung in das Stammkapital eingegriffen oder sogar eine darüber hinaus bestehende Überschuldung vertieft hat, lässt sich hier – anders als in den Fällen einer „Aushöhlung“ der Gesellschaft (vgl. dazu BGHSt 35, 333, 338; BGH wistra 2006, 265) – nur anhand eines Überschuldungsstatus feststellen (vgl. zu dessen Inhalt BGHSt 15, 306, 309; BGH wistra 2003, 301, 302; 1987, 28; OLG Düsseldorf wistra 1998, 360, 361; 1997, 113; Richter GmbHR 1984, 137, 139; Müller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht 4. Aufl. § 76 Rdn. 7 ff.). Da das Landgericht keinen Überschuldungsstatus festgestellt hat, kann der Senat nicht nachprüfen, ob im Juni und Juli 2000 das – im angefochtenen Urteil der Höhe nach ebenfalls nicht bezifferte – Stammkapital der F. P. GmbH bereits aufgezehrt oder das Unternehmen sogar überschuldet und damit die vom Angeklagten B. K. gestellten Bürgschaften als eigenkapitalersetzend zu bewerten waren. In diesem Falle würde sich aus einem Überschuldungsstatus auch ergeben, dass es bezüglich der Frage eines Eingriffs in das Stammkapital nicht darauf ankommen kann, dass der Angeklagte B. K. mit den Überweisungen einen Teil der fälligen und durchsetzbaren Kontokorrentverbindlichkeiten tilgte. Denn die Erfüllung einer Verbindlichkeit ist für sich genommen nur eine gewinnneutrale Bilanzverkürzung durch Aktiv-/Passivminderung (vgl. Maurer aaO S. 1555; vgl. auch BGH bei Herlan GA 1971, 35; Gribbohm aaO S. 248). Im Überschuldungsstatus müsste der eigenkapitalersetzende Charakter der Bürgschaft wie folgt berücksichtigt werden:
18
(a) Zum Zeitpunkt vor den Darlehensgewährungen an die Vertrauenspersonen würden sich die drei Kontokorrentdarlehen in einem Überschuldungsstatus nicht zu Lasten des Stammkapitals auswirken. Denn in entsprechender Höhe stünde dem ein Freistellungsanspruch der F. P. GmbH gegen den Angeklagten B. K. gegenüber (vgl. dazu BGH NJW 1987, 1697, 1698; 1997, 3171, 3172).
19
Dieser Freistellungsanspruch wäre nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe auch nicht wertlos. Der Angeklagte war Eigentümer mehrerer Gründstücke (UA S. 4) und wollte – nach den bisherigen, vom Landgericht freilich nicht ausreichend gewürdigten Feststellungen (vgl. unten [c]) – die Kontokorrentkredite zunächst auch mit Privatmitteln tilgen.
20
(b) Zum Zeitpunkt der Darlehensgewährungen vor den Kaufpreiszahlungen an die beiden Banken würde sich ebenfalls unter Berücksichtigung der neu hinzutretenden Geschäftsvorfälle keine Auswirkung auf das Ergebnis eines Überschuldungsstatus ergeben. Die Darlehensgewährungen wären für sich genommen ein bloßer Aktivtausch: Zwar wären die Geldmittel um 650.000 DM gemindert. Dem stünden jedoch die zu aktivierenden Darlehensforderungen in Höhe von 500.000 DM und 150.000 DM gegenüber. Auf der Passivseite würden die Kontokorrentkredite unverändert bleiben.
21
(c) Zum Zeitpunkt der Kaufpreiszahlungen vor den Aufrechnungserklärungen würde sich weiterhin keine Auswirkung auf das Ergebnis eines Überschuldungsstatus ergeben. Die Aktivseite bliebe unverändert. Auf der Passivseite würden die Banken lediglich durch M. bzw. D. K. ersetzt (vgl. § 398 Sätze 1 und 2 BGB). Der Freistellungsanspruch gegen den Angeklagten B. K. bliebe von diesem Gläubigerwechsel noch unberührt.
22
Entgegen der Ansicht der Angeklagten wären die Schulden aus den Kontokorrentdarlehen gegenüber dem Mitangeklagten D. K. in Höhe von 685.863,65 DM und gegenüber M. in Höhe von 1.062.968,70 DM zu passivieren. Dem stünde nicht der Einwand des Verbots widersprüchlichen Verhaltens (§ 242 BGB) entgegen. Denn die Urteilsfeststellungen belegen , dass die Angeklagten und M. zumindest seit Ende Juni 2000 einen sofortigen Erlass der nunmehr ihnen gegenüber bestehenden Schulden aus den Kontokorrentdarlehen nicht ernsthaft beabsichtigten: Statt einen Erlassvertrag im Sinne des § 397 Abs. 1 BGB abzuschließen, erteilte der Angeklag- te B. K. den Zessionaren jeweils eine Saldenbestätigung. Die Angeklagten und M. ließen die neben den Bürgschaften übergegangenen Geschäftsforderungen als Sicherheiten bestehen, obwohl die Zessionare , wie vom Landgericht gewertet, „nur zum Schein als Käufer der Kreditforderungen auftraten“ (UA S. 26) und mangels eigener Aufwendungen kein Sicherungsbedürfnis hatten. Darüber hinaus ließ der Angeklagte B. K. (anstelle der „formalberechtigten“ Zessionare) später zu seinen eigenen Gunsten die auf die Geschäftsforderungen gezahlten Erlöse auf das Anderkonto einziehen und deren Herausgabe gegenüber der Insolvenzverwalterin verweigern. Nach der vom Landgericht nicht widerlegten Aussage des Rechtsanwalts S. sollen die auf M. und D. K. übergegangenen Kreditforderungen sogar im Insolvenzverfahren angemeldet worden sein (UA S. 25).
23
(d) Aufgrund der Aufrechnungserklärung würde sich jedoch eine Verringerung des Saldos zu Lasten der Aktiva ergeben: Die Darlehensforderungen gegen M. und D. K. wären auf Null zu stellen. Sie waren nach §§ 389, 387 f. BGB aufgrund der Aufrechnungserklärung erloschen. Zwar entsprächen dem auf der Passivseite um 650.000 DM verminderte Verbindlichkeiten aus den Kontokorrentdarlehen gegenüber den Zessionaren. Zugleich wäre aber der Freistellungsanspruch gegen den Angeklagten B. K. um 650.000 DM zu verringern. Mit der Abtretung der Forderungen der Banken waren auch die Kreditbürgschaften auf M. und D. K. übergegangen (§ 401 Abs. 1 BGB). Das Teilerlöschen der Verbindlichkeiten aus den Kontokorrentdarlehen bewirkte hier in gleicher Höhe auch das Erlöschen der Bürgschaftsschuld in Höhe von 500.000 DM bzw. 150.000 DM nach §§ 389, 387 f. BGB i.V.m. § 767 Abs. 1 Satz 1 BGB (vgl. dazu Sprau in Palandt, BGB 67. Aufl. § 765 Rdn. 29; Habersack in Münchener Kommentar zum BGB, 4. Aufl. § 767 Rdn. 3; Herrmann in Erman, BGB 12. Aufl. § 767 Rdn. 3; vgl. auch BGH WM 2002, 919, 922). Damit stünden zwei verringerten Passivposten drei verringerte Aktivposten gegenüber.
24
Zum gleichen Ergebnis würde man gelangen, wenn man den Angeklagten B. K. als eigentlichen (späteren) Neugläubiger der Forderungen aus dem Kontokorrentdarlehen ansähe. Dann würden die Bürgschaftsschulden infolge des Zusammenfallens von Gläubiger und Schuldner untergehen.
25
Der Angeklagte B. K. hätte jedoch von seinen Bürgschaftsschulden in Höhe von insgesamt 650.000 DM nicht befreit werden dürfen, wenn der Freistellungsanspruch in entsprechender Höhe verlorenes Stammkapital oder eine über diesen Verlust hinaus bestehende Überschuldung abdeckte. Der Angeklagte B. K. hätte also in diesem Fall die Kreditschulden aus seinem Vermögen tilgen oder zumindest der F. P. GmbH gleichzeitig mit der Aufrechnung neue werthaltige Mittel zuführen müssen (etwa durch eine rechtsverbindliche Erklärung, dass er ihr die verauslagten Mittel erstatten werde, vgl. dazu Muhler aaO S. 287 f.).
26
(e) Ein Erlass (§ 397 Abs. 1 BGB) der nach Aufrechnung noch bestehenden Darlehensschulden in Höhe von 1.097.932,35 DM könnte in einem Überschuldungsstatus deswegen nicht berücksichtigt werden, weil die Angeklagten und M. im Juli 2000 den Abschluss eines solchen Vertrags nicht ernsthaft beabsichtigten (siehe oben [c]). Aus dem gleichen Grund könnte die Verringerung der Aktiva entgegen der Auffassung der Angeklagten nicht durch die Aktivierung eines Erstattungsanspruchs der F. P. GmbH analog § 31 Abs. 1 GmbHG gegen den Angeklagten B. K. ausgeglichen werden. Denn derartige Ausgleichsansprüche (wie gegebenenfalls auch solche aus § 32b GmbHG) sind bei der Schadensbetrachtung – ähnlich den aus der Straftat entstandenen Schadensersatzansprüchen nach §§ 823 ff. BGB (vgl. dazu Fischer, StGB 55. Aufl. § 263 Rdn. 93 m.w.N.) – jedenfalls dann nicht zu berücksichtigen, wenn der Gesellschafter leistungsunwillig ist. Dies stünde der Werthaltigkeit eines Erstattungsanspruchs entgegen (Hartung NJW 1996, 229, 234; vgl. auch Ransiek in FS für Kohlmann 2003 S. 207, 214). Eine solche Leistungsunwilligkeit wird in derartigen Fällen der Rückführung von gesicherten Bankdarlehen in der Krise der GmbH auch regelmäßig nahe liegen: Mit der Rückführung des gesicherten Darlehens aus Gesellschaftsmitteln hat der Gesellschafter gerade gezeigt, dass er für das verlorene Stammkapital oder eine darüber hinaus bestehende Überschuldung nicht mit Privatmitteln einstehen will.
27
(3) Der Umstand, dass der Angeklagte B. K. die Kreditbürgschaften ersichtlich nicht erst im Juni 2000 stellte, sondern dies wohl auf banküblichem Verhalten möglicherweise aus Zeiten vor der Krise beruhte, vermag den Angeklagten für den Fall eines aufgezehrten Stammkapitals oder einer darüber hinausgehenden Überschuldung nach den bisherigen Feststellungen nicht zu entlasten.
28
Nach der Rechtsprechung der Zivilsenate des Bundesgerichtshofs ist zur Umqualifizierung einer bei Eintritt der Krise „stehengelassenen“ Kredithilfe erforderlich, dass der Gesellschafter objektiv in der Lage ist, auf den Eintritt der Krise durch Abzug der Mittel oder Liquidation der Gesellschaft zu reagieren (BGHZ 121, 31, 35 ff.; 127, 1, 6; 133, 298, 302; BGH NJW 1995, 658 f.; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG 18. Aufl. § 32a Rdn. 45 m.w.N.) und darüber hinaus „wenigstens die Möglichkeit gehabt haben muss, die Krise der Gesellschaft bei Wahrnehmung seiner Verantwortung für eine ordnungsgemäße Finanzierung der Gesellschaft zu erkennen“ (BGHZ 127, 336, 344; BGH BB 1995, 60, 62). Demnach kann es den Gesellschafter – wie es regelmäßig bei gegenüber Banken eingegangenen Bürgschaftsverpflichtungen der Fall sein wird – nicht bereits entlasten, dass er seine Sicherheitsleistung nach dem zivilrechtlichen Vertrag und schuldrechtlichen Regeln nicht abziehen kann. Führt der Gesellschafter die ohne Eigenkapitalzuführung liquidationsreife Gesellschaft fort, statt diese unter Entzug der ihr gestellten Mittel zu liquidieren, wird er an dieser „Finanzierungsentscheidung“ festgehalten. Dabei hat er diese Entscheidung binnen angemessener Frist zu treffen, wobei die in § 64 Abs. 1 GmbHG niedergelegten Maßstäbe zu beach- ten sind (vgl. BGHR GmbHG § 30 u. § 31 Finanzierungsentscheidung 1 = NJW 1998, 3200, 3201; Hueck/Fastrich aaO Rdn. 41).
29
Eine derartige, auch in strafrechtlicher Hinsicht relevante (vgl. Maurer aaO S. 1554 f.; Hartung aaO S. 233) Finanzierungsentscheidung könnte hier in dem im Juni 2000 gefassten Entschluss des Angeklagten B. K. liegen, mit den Banken Vergleichsverhandlungen zu führen, um diese vom Vorgehen aus den Bürgschaften abzuhalten und darüber hinaus sogar die Bürgschaften zum Erlöschen zu bringen. Er hätte statt dieser Verhandlungen auch sogleich Insolvenzantrag (freilich mit der Gefahr eines anschließenden Privatinsolvenzverfahrens) stellen können.
30
(4) Dass der Angeklagte B. K. angesichts des Umstands, dass er fällige und durchsetzbare Kredite tilgte, ohne Tatvorsatz hinsichtlich des normativen Tatbestandsmerkmals der „Pflichtwidrigkeit“ gehandelt hat, liegt nicht auf der Hand. Vielmehr ging es dem Angeklagten nach den bisherigen Feststellungen gerade auch um die Abwendung des Privatinsolvenzverfahrens und damit um das Freiwerden von den Bürgschaftsschulden mit Mitteln und auf Kosten der F. P. GmbH. Insbesondere das Einziehen der von der GmbH still abgetretenen Geschäftsforderungen zum eigenen Vorteil und die Weigerung, die Guthaben vom Anderkonto herauszugeben , lassen Rückschlüsse auf die subjektive Seite im Juni und Juli 2000 zu (vgl. auch Hartung aaO S. 234, 236).
31
bb) Eine Untreue zu Lasten der F. P. GmbH unter dem Gesichtspunkt des Eingriffs in das Stammkapital oder der Herbeiführung bzw. Vertiefung einer Überschuldung könnte sich über das Vorstehende hinaus auch daraus ergeben, dass der Angeklagte B. K. über seine Mittelsmänner dem Unternehmen Geschäftsforderungen in Höhe von 1.747.932,35 DM entzog.
32
(1) Diese Geschäftsforderungen standen der F. P. GmbH zu, nicht etwa den „Strohmännern“ D. K. und M. oder dem Angeklagten B. K. .
33
Die F. P. GmbH war zur Einziehung dieser Geschäftsforderungen trotz der Abtretungen an die Banken befugt. Denn bei diesen Abtretungen handelte es sich um Sicherungsabtretungen (vgl. BGH NJW 2002, 1568, 1569 m.w.N.). Demgemäß hatte die F. P. GmbH als Sicherungsgeberin diese Ansprüche in ihrem Firmenvermögen zu bilanzieren (§ 246 Abs. 1 Satz 2 HGB und dazu Merkt in Baumbach/Hopt, HGB 32. Aufl. § 246 Rdn. 12; Budde/Karig in Beck’scher Bilanz-Kommentar 3. Aufl. § 246 Rdn. 15).
34
Nach Übergang dieser Forderungen hätte der Angeklagte B. K. die Sicherungsrechte an den Ansprüchen zugunsten der F. P. GmbH bereits deswegen freigeben und diese damit rückabtreten müssen, weil er die gesicherten Bankdarlehen mit Firmenmitteln beglichen und daher von vornherein keinerlei Sicherungsbedürfnis hatte. Im Falle der Krise der GmbH hätte er diese Geschäftsforderungen nicht einmal dann zu eigenen Gunsten geltend machen dürfen, wenn er die Bankdarlehen mit Privatmitteln zurückgeführt hätte. Stattdessen machte der Angeklagte B. K. die der F. P. GmbH zustehenden Ansprüche in eigenem Interesse und auf eigene Rechnung geltend. Durch dieses Entziehen der Geschäftsforderungen könnte er nach alledem ebenfalls in das Stammkapital der F. P. GmbH eingegriffen bzw. eine Überschuldung herbeigeführt oder vertieft haben (vgl. Hartung aaO S. 236).
35
(2) Zum gleichen Ergebnis würde man gelangen, wenn man – abweichend von der nach den bisherigen Feststellungen nahe liegenden Würdigung – von einer fortbestehenden Gläubigerstellung des Mitangeklagten D. K. ausgehen würde. Denn auch insoweit könnte wegen der Leistung an einen nahen Familienangehörigen die Sperre des § 30 Abs. 1 GmbHG bestehen (vgl. BGHZ 81, 365, 368 f.; Hueck/Fastrich aaO § 30 Rdn. 18 m.w.N.; Maurer aaO S. 1552).
36
(3) Der Übergang der Geschäftsforderungen war in beiden Anklagefällen Teil des Forderungskaufs und ist damit von der Anklage umfasst.
37
cc) Der Freispruch kann im Hinblick auf die im Zeitraum August bis Oktober 2000 überwiesenen Beträge in Höhe von insgesamt rund 450.000 DM, die im Anklagesatz ausdrücklich erwähnt sind, auch deswegen keinen Bestand haben, weil die dem zugrunde liegende Beweiswürdigung durchgreifenden Bedenken begegnet. Denn das Landgericht hätte in seine Beweiswürdigung die nachfolgende Einziehung der Geschäftsforderungen zum Vorteil des Angeklagten B. K. und die Weigerung der Herausgabe der auf dem Anderkonto befindlichen Guthaben einbeziehen müssen. Dieser Sachverhalt war dem Landgericht mit der einleitenden Formulierung im Anklagesatz unterbreitet, dass die Angeklagten angesichts der Kreditkündigungen und der bereits vorher bestehenden Zahlungsschwierigkeiten im bewussten und gewollten Zusammenwirken der zahlungsunfähigen GmbH soviel wie möglich an noch vorhandenen Vermögenswerten entziehen und der Insolvenzmasse vorenthalten wollten. Im Zusammenhang mit den teilweise zeitgleich zur Stellung des Eigeninsolvenzantrags und sogar noch danach erfolgten Überweisungen ist nicht nur das Geschehen bis zum Eingang der Firmengelder auf dem Rechtsanwaltsanderkonto, sondern darüber hinaus bezogen auf das Verbleiben dieser Guthaben auf diesem Konto angeklagt.
38
b) Der Freispruch vom Vorwurf der Insolvenzverschleppung (§ 64 Abs. 1, § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG) hat ebenfalls keinen Bestand.
39
aa) Bereits die Darstellung der Liquiditätslage der F. P. GmbH zu drei ausgewählten Stichtagen begegnet durchgreifenden Bedenken. Denn das Landgericht beschränkt sich auf die Mitteilung der Summen aus dem Liquiditätsstatus. Damit ist dem Senat die Überprüfung verwehrt, ob der vom Landgericht jeweils zugrunde gelegte Liquiditätsstatus alle relevanten kurzfristig fälligen Verbindlichkeiten und die zu ihrer Tilgung vorhandenen oder herbeizuschaffenden Mittel (also die flüssigen Mittel und kurzfristig einziehbaren Forderungen sowie gegebenenfalls die kurzfristig liquidierbaren Vermögensgegenstände) enthält (vgl. § 17 Abs. 2 InsO und BGH wistra 2007, 312; 2001, 306, 307; Müller-Gugenberger/Bieneck aaO § 76 Rdn. 57 ff.). Die lückenhaften Feststellungen zum Inhalt der „Stillhalteabkommen“ lassen auch nicht die Nachprüfung zu, ob das Landgericht die drei Kontokorrentdarlehen im Liquiditätsstatus unberücksichtigt lassen durfte. Den Urteilsgründen ist bereits nicht zu entnehmen, ob die Banken gegenüber dem Angeklagten B. K. in rechtsverbindlicher Weise erklärten, von der Geltendmachung der Kreditforderungen vorübergehend abzusehen (vgl. Schaal in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze § 84 GmbHG Rdn. 14a). Erst recht belegen die Feststellungen weder genaue Zeitpunkte etwaiger Fristen noch gar die Stundung der Kreditforderungen (vgl. MüllerGugenberger /Bieneck aaO § 76 Rdn. 57, 62; vgl. auch BGH wistra 2007,

312).


40
Ob ein Anspruch der F. P. GmbH gegen Rechtsanwalt S. aus einem Treuhandverhältnis auf Rückzahlung der auf dem Anderkonto befindlichen Guthaben zu aktivieren war, bedurfte ebenfalls angesichts des Einzugs der Geschäftsforderungen zugunsten des Angeklagten B. K. und des Verhaltens gegenüber der Insolvenzverwalterin der eingehenden Würdigung. Insoweit fehlt eine Auseinandersetzung damit, ob der Rechtsanwalt die Guthaben treuhänderisch für den Angeklagten B. K. und nicht etwa für die F. P. GmbH verwahrte.
41
bb) Rechtsfehlerhaft ist der Freispruch zudem deswegen, weil sich das Urteil nicht zum Insolvenzgrund der Überschuldung verhält (§ 19 Abs. 1 und Abs. 2 InsO).
42
c) Die lückenhaften Feststellungen zu den mit den Banken in zeitlicher Nähe zu den Kreditkündigungen geführten Vergleichsverhandlungen bedingen auch die Aufhebung der Verurteilung wegen vorsätzlichen Bankrotts (§ 283 Abs. 1 Nr. 7b, Abs. 6 StGB) im Fall 3 der Anklage.
43
aa) Dies gilt zunächst zugunsten des Angeklagten B. K. (§ 301 StPO). Sollten die Banken die Kreditforderungen tatsächlich gestundet oder zumindest in rechtsverbindlicher Weise von der Geltendmachung abgesehen haben, hätte dies auch Auswirkungen auf die drohende Zahlungsunfähigkeit , die das Landgericht vor allem mit Blick auf die Kreditkündigungen angenommen hat. Diese Begründung der drohenden Zahlungsunfähigkeit widerspricht dem vom Landgericht zum 30. Juni 2000 aufgestellten Liquiditätsstatus, in dem es, wie ausgeführt, die drei Kreditverbindlichkeiten nicht passiviert hat (vgl. UA S. 27). Es ist zugunsten des Angeklagten B. K. nicht auszuschließen, dass er gegebenenfalls mit den Banken noch vor dem 30. Juni 2000 Stundungen oder zumindest ernsthafte Stillhalteabkommen vereinbaren konnte. Jedenfalls der Forderungskaufvertrag mit der HypoVereinsbank AG wurde noch im Juni 2000 abgeschlossen. Damit könnten vor Strafbewehrung des Verstoßes gegen die Aufstellungspflicht aus § 264 Abs. 1, § 267 Abs. 1 HGB mit Ablauf des 30. Juni 2000 die für die Annahme drohender Zahlungsunfähigkeit nach Ansicht des Landgerichts ausschlaggebenden Zahlungspflichten infolge einer Stundung nicht fällig gewesen sein (vgl. § 18 Abs. 2 InsO und dazu Müller-Gugenberger/Bieneck aaO § 76 Rdn. 75). Diese Verbindlichkeiten könnten dann eine drohende Zahlungsunfähigkeit zum Zeitpunkt des Ablaufs des 30. Juni 2000 nicht begründen. Auch die vom Landgericht für die Monate April und Mai 2000 ebenfalls nur kursorisch mitgeteilten Zahlungsrückstände vermögen für sich genommen eine drohende Zahlungsunfähigkeit zum Ablauf des 30. Juni 2000 nicht zu belegen, zumal der Angeklagte B. K. am 1. Juli 2000 die Löhne zahlen konnte. Im Übrigen hat das Landgericht die von Firmenlieferanten zur Beitreibung von Forderungen ergriffenen Maßnahmen als nicht ernsthaft gewertet (UA S. 20). Dass gleichwohl auf der Grundlage der bisher getroffe- nen Feststellungen jedenfalls ein Schuldspruch nach § 283b Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3b StGB erfolgen müsste (vgl. dazu BGH wistra 1998, 105 mit Anmerkung Doster wistra 1998, 326, 327), ändert nichts an der Notwendigkeit einer umfassenden neuen Prüfung.
44
bb) Mit der Aufhebung der Verurteilung nebst Feststellungen wird dem neuen Tatrichter zudem eine umfassende und widerspruchsfreie Aufklärung und Bewertung des Gesamtgeschehens ermöglicht. Insoweit hat das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft auch zu Lasten des Angeklagten B. K. Erfolg, weil sich der Schuldumfang des Bankrotts bei Annahme eines Eingriffs in das Stammkapital und Herbeiführung eines Insolvenzgrundes erhöhen könnte.
45
2. Mit der Strafbarkeit eines vom Mitangeklagten D. K. geleisteten Gehilfenbeitrags, der hier in dem Erwerb der Kreditforderung nebst Bürgschaften und Geschäftsforderungen für den Angeklagten B. K. und dem Zurverfügungstellen seines Namens bei Geltendmachung der Geschäftsforderungen bestehen könnte, hat sich das Landgericht bereits deswegen nicht auseinandergesetzt, weil es keine Haupttat angenommen hat. Auch insoweit bedarf die Sache neuer Aufklärung und Bewertung. Auch wenn der Anklage schwerlich zu entnehmen ist, warum der Angeklagte D. K. Gehilfe einer Untreue im Fall des Forderungserwerbs durch M. sein soll, kommt angesichts der engen tatsächlichen Verzahnung des Gesamtgeschehens um die Forderungsverkäufe der Banken eine Teilverwerfung der D. K. betreffenden Revision nicht in Betracht.

III.


46
Der Senat hat von der Vorschrift des § 354 Abs. 2 Satz 1 zweite Variante StPO Gebrauch gemacht und die Sache an das Landgericht Dresden zurückverwiesen. Für die neue Hauptverhandlung weist er auf Folgendes hin:
47
Im angefochtenen Urteil ist eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung festgestellt worden, deren Ausmaß allerdings – trotz Angabe maßgeblicher Anknüpfungstatsachen, freilich bis auf die erstmalige Kenntnis der Angeklagten vom Beginn der Ermittlungen – nicht ausgewertet und bestimmt ist. Für den Fall einer Verurteilung wird der neue Tatrichter nochmals die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 MRK zu prüfen und gegebenenfalls eine Kompensation zu erwägen haben (BGH, Großer Senat, Beschluss vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07, NJW 2008, 860, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen). Insbesondere hinsichtlich des Angeklagten D. K. wird gegebenenfalls eine Verfahrenserledigung nach §§ 153a, 153 StPO (vgl. dazu BGH aaO S. 866) auch mit Rücksicht auf den nach Erlass des angefochtenen Urteils verstrichenen Zeitraum zu erwägen sein.
Basdorf Brause Schaal Schäfer Sander

(1) Wer die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, mißbraucht oder die ihm kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder eines Treueverhältnisses obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteil zufügt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) § 243 Abs. 2 und die §§ 247, 248a und 263 Abs. 3 gelten entsprechend.

(1) Gegen einen ausgebliebenen Angeklagten findet eine Hauptverhandlung nicht statt.

(2) Ist das Ausbleiben des Angeklagten nicht genügend entschuldigt, so ist die Vorführung anzuordnen oder ein Haftbefehl zu erlassen, soweit dies zur Durchführung der Hauptverhandlung geboten ist.

Findet die Hauptverhandlung gegen mehrere Angeklagte statt, so kann durch Gerichtsbeschluß einzelnen Angeklagten, im Falle der notwendigen Verteidigung auch ihren Verteidigern, auf Antrag gestattet werden, sich während einzelner Teile der Verhandlung zu entfernen, wenn sie von diesen Verhandlungsteilen nicht betroffen sind. In dem Beschluß sind die Verhandlungsteile zu bezeichnen, für die die Erlaubnis gilt. Die Erlaubnis kann jederzeit widerrufen werden.

(1) Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt vor, wenn

1.
zu erwarten ist, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht, dem Landgericht oder dem Schöffengericht stattfindet;
2.
dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird;
3.
das Verfahren zu einem Berufsverbot führen kann;
4.
der Beschuldigte nach den §§ 115, 115a, 128 Absatz 1 oder § 129 einem Gericht zur Entscheidung über Haft oder einstweilige Unterbringung vorzuführen ist;
5.
der Beschuldigte sich auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befindet;
6.
zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand des Beschuldigten seine Unterbringung nach § 81 in Frage kommt;
7.
zu erwarten ist, dass ein Sicherungsverfahren durchgeführt wird;
8.
der bisherige Verteidiger durch eine Entscheidung von der Mitwirkung in dem Verfahren ausgeschlossen ist;
9.
dem Verletzten nach den §§ 397a und 406h Absatz 3 und 4 ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist;
10.
bei einer richterlichen Vernehmung die Mitwirkung eines Verteidigers auf Grund der Bedeutung der Vernehmung zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten geboten erscheint;
11.
ein seh-, hör- oder sprachbehinderter Beschuldigter die Bestellung beantragt.

(2) Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt auch vor, wenn wegen der Schwere der Tat, der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.

(3) (weggefallen)

Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, wenn
a)
das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit nach § 222b Absatz 2 Satz 2 oder Absatz 3 Satz 4 festgestellt worden ist, oder
b)
das Rechtsmittelgericht nicht nach § 222b Absatz 3 entschieden hat und
aa)
die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind,
bb)
der rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist oder
cc)
die Besetzung nach § 222b Absatz 1 Satz 1 nicht mindestens eine Woche geprüft werden konnte, obwohl ein Antrag nach § 222a Absatz 2 gestellt wurde;
2.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war;
3.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch entweder für begründet erklärt war oder mit Unrecht verworfen worden ist;
4.
wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat;
5.
wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat;
6.
wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
7.
wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind;
8.
wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.

Als Anstifter wird gleich einem Täter bestraft, wer vorsätzlich einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt hat.

(1) Fehlen besondere persönliche Merkmale (§ 14 Abs. 1), welche die Strafbarkeit des Täters begründen, beim Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfe), so ist dessen Strafe nach § 49 Abs. 1 zu mildern.

(2) Bestimmt das Gesetz, daß besondere persönliche Merkmale die Strafe schärfen, mildern oder ausschließen, so gilt das nur für den Beteiligten (Täter oder Teilnehmer), bei dem sie vorliegen.

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
GSSt 1/07
vom
17. Januar 2008
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________________
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1
Ist der Abschluss eines Strafverfahrens rechtsstaatswidrig derart verzögert
worden, dass dies bei der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs unter
näherer Bestimmung des Ausmaßes berücksichtigt werden muss, so ist anstelle
der bisher gewährten Strafminderung in der Urteilsformel auszusprechen,
dass zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer ein bezifferter Teil
der verhängten Strafe als vollstreckt gilt.
BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07 - Landgericht Oldenburg
wegen besonders schwerer Brandstiftung u. a.
Der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs hat durch den Präsidenten
des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Hirsch, die Vorsitzende Richterin am
Bundesgerichtshof Dr. Rissing-van Saan, den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof
Basdorf, die Richter am Bundesgerichtshof Maatz, Dr. Miebach,
Dr. Wahl, Dr. Bode, Prof. Dr. Kuckein, die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Gerhardt sowie die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Kolz und Becker am
17. Januar 2008 beschlossen:
Ist der Abschluss eines Strafverfahrens rechtsstaatswidrig derart verzögert worden, dass dies bei der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs unter näherer Bestimmung des Ausmaßes berücksichtigt werden muss, so ist anstelle der bisher gewährten Strafminderung in der Urteilsformel auszusprechen, dass zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer ein bezifferter Teil der verhängten Strafe als vollstreckt gilt.

Gründe:


I.

1
Die Vorlage des 3. Strafsenats betrifft die Frage, in welcher Weise es im Rechtsfolgenausspruch zu berücksichtigen ist, wenn Strafverfolgungsbehörden das Verfahren gegen den Angeklagten in rechtsstaatswidriger Weise verzögert haben.
2
1. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Strafsache gegen F. (3 StR 50/07) über die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Re- vision der Staatsanwaltschaft zu entscheiden. Mit ihrem Rechtsmittel beanstandet es die Revisionsführerin als sachlichrechtlichen Mangel, dass das Landgericht zum Ausgleich für eine von ihm zu verantwortende Verzögerung des Verfahrens gegen den Angeklagten auf eine Strafe erkannt hat, die das gesetzliche Mindestmaß unterschreitet.
3
Der Angeklagte hatte einen im Eigentum seiner Mutter stehenden, aber maßgeblich von ihm geleiteten Landgasthof in Brand gesetzt, um Leistungen aus der von seiner Mutter für den Betrieb abgeschlossenen Gebäude-, Inventar - und Ertragsausfallversicherung zu erlangen. Er hatte den Schadensfall der Versicherung gemeldet, diese hatte jedoch keine Zahlungen geleistet.
4
Wegen dieses Sachverhalts hat das Landgericht Oldenburg den Angeklagten der besonders schweren Brandstiftung (§ 306 b Abs. 2 Nr. 2 StGB) und des versuchten Betruges (§ 263 Abs. 1 und 2, §§ 22, 23 StGB) schuldig gesprochen und auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren erkannt. Im Rahmen des Rechtsfolgenausspruchs hat das Landgericht zunächst festgestellt, dass das Verfahren in einer mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht zu vereinbarenden Weise verzögert worden sei, weil zwischen dem Eingang der Anklageschrift am 5. Oktober 2004 und dem Erlass des Eröffnungsbeschlusses am 24. Mai 2006 ein unvertretbar langer Zeitraum gelegen habe. Es hat sodann dargelegt, dass ohne Berücksichtigung dieser Verfahrensverzögerung zur Ahndung der besonders schweren Brandstiftung die in § 306 b Abs. 2 StGB vorgesehene Mindeststrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe angemessen sei. Da § 306 b StGB keinen Sonderstrafrahmen für minder schwere Fälle vorsehe, sei ein Ausgleich für die Verfahrensverzögerung innerhalb des gesetzlich eröffneten Strafrahmens nicht möglich. Daher sei, um dem Angeklagten die verfassungsrechtlich gebotene Kompensation für die Verletzung des Beschleunigungsgebots zu gewähren, eine Strafrahmenverschiebung in entsprechender Anwendung des § 49 Abs. 1 StGB vorzunehmen. Das Landgericht hat demgemäß den Strafrahmen des § 306 b Abs. 2 StGB nach den Maßstäben des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1, Nr. 3 StGB gemildert und sodann zur Kompensation der Verfahrensverzögerung statt der an sich verwirkten Einzelfreiheitsstrafe von fünf Jahren eine solche von drei Jahren und zehn Monaten festgesetzt.
5
Für den versuchten Betrug hat es an sich eine Freiheitsstrafe von einem Jahr für angemessen erachtet, wegen der überlangen Verfahrensdauer jedoch auf eine solche von sechs Monaten erkannt. Unter Erhöhung der Einsatzstrafe von drei Jahren und zehn Monaten hat es sodann eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verhängt; ohne die jeweiligen Strafabschläge hätte es eine solche von fünf Jahren und sechs Monaten gebildet.
6
2. Diese Strafzumessung hält der 3. Strafsenat für rechtsfehlerhaft. Er beabsichtigt, auf die Revision der Staatsanwaltschaft das angefochtene Urteil im gesamten Strafausspruch aufzuheben.
7
a) Hierbei will er es allerdings im Ausgangspunkt nicht beanstanden, dass das Landgericht im Hinblick auf die zwischen der Anklageerhebung und dem Eröffnungsbeschluss verstrichene Zeit einen von der Justiz zu verantwortenden Verstoß gegen das Gebot der Verfahrensbeschleunigung angenommen und die sich hieraus ergebende Verzögerung des Verfahrens - wenn auch nicht ausdrücklich ziffernmäßig, so doch nach dem Gesamtzusammenhang seiner Ausführungen - auf etwa ein Jahr und sechs Monate bemessen hat. Auch sieht er keinen Verstoß gegen Grundsätze der bisherigen Rechtsprechung dadurch begründet, dass das Landgericht als Ausgleich für diese Verfahrensverzögerung die für den versuchten Betrug eigentlich als angemessen erachtete Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr um die Hälfte reduziert und auf sechs Monate festgesetzt hat. Ebensowenig liege ein revisibler Bewertungsfehler des Landge- richts darin, dass dieses für das Brandstiftungsdelikt ohne Berücksichtigung der Verzögerung auf die Mindeststrafe von fünf Jahren erkannt hätte.
8
Als berechtigt erachtet der 3. Strafsenat dagegen die Rüge der Revision, das Landgericht habe zur Gewährleistung eines Ausgleichs für die eingetretene Verfahrensverzögerung nicht das gesetzliche Mindestmaß der für das Brandstiftungsdelikt angedrohten Freiheitsstrafe unterschreiten dürfen. Die vom Landgericht vorgenommene entsprechende Anwendung des § 49 Abs. 1 StGB hält er für rechtlich nicht zulässig. Er vertritt die Auffassung, die gebotene Kompensation für den Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot sei insoweit vielmehr in entsprechender Anwendung des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB in der Weise vorzunehmen , dass auf die Mindeststrafe als angemessene Strafe zu erkennen und in der Urteilsformel gleichzeitig auszusprechen sei, dass ein bestimmter Teil der Strafe, der dem gebotenen Ausmaß der Kompensation entspricht, als vollstreckt gilt (Vollstreckungslösung).
9
b) Hinsichtlich der Einzelstrafe für die besonders schwere Brandstiftung in dieser Weise zu entscheiden, sieht sich der 3. Strafsenat weder durch Rechtsprechung anderer Strafsenate des Bundesgerichtshofs noch durch die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts gehindert. Ob es möglich wäre, aus der reduzierten Einzelstrafe für den versuchten Betrug und einer teilweise für vollstreckt erklärten Einzelstrafe für das Brandstiftungsdelikt in stimmiger Weise eine Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden, hat der 3. Strafsenat offen gelassen. Denn er ist der Auffassung, dass die durch vorliegende Sonderkonstellation aufgeworfenen Rechtsfragen und das von ihm zu deren Lösung befürwortete Modell Anlass zu einer generellen Überprüfung der bisherigen Rechtsprechung geben. Diese Prüfung ergebe, dass sich die Vollstreckungslösung allgemein stimmiger in das Rechtsfolgensystem des Strafgesetzbuchs einfüge und der an sich angemessenen Strafe die Funktion belasse, die ihr in daran anknüpfenden Folge- regelungen inner- und außerhalb des Strafrechts zukomme. Er möchte daher dieses Modell generell anwenden und demgemäß auch den Einzelstrafausspruch wegen des versuchten Betruges aufheben. Daher beabsichtigt er zu entscheiden: Ist der Abschluss eines Strafverfahrens rechtsstaatswidrig derart verzögert worden, dass dies bei der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs unter näherer Bestimmung des Ausmaßes berücksichtigt werden muss, so ist der Angeklagte gleichwohl zu der nach § 46 StGB angemessenen Strafe zu verurteilen; zugleich ist in der Urteilsformel auszusprechen, dass zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer ein bezifferter Teil der verhängten Strafe als vollstreckt gilt.
10
Da hiermit eine Abkehr von einer bisher einhelligen Rechtsprechung verbunden wäre, hat er dem Großen Senat für Strafsachen die Rechtsfrage wegen grundsätzlicher Bedeutung zur Fortbildung des Rechts zur Entscheidung vorgelegt (BGH NJW 2007, 3294).
11
3. Der Generalbundesanwalt hat sich der Rechtsauffassung des vorlegenden Senats angeschlossen.

II.

12
Die Vorlegungsvoraussetzungen gemäß § 132 Abs. 4 GVG sind gegeben.
13
Die vorgelegte Rechtsfrage ist entscheidungserheblich. Die Ansicht des 3. Strafsenats, es sei rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht es für erforderlich erachtet habe, die Verzögerung des Verfahrens zwischen Anklageerhebung und Eröffnungsbeschluss auf der Rechtsfolgenseite zugunsten des Angeklagten auszugleichen, und hierfür hinsichtlich des Brandstiftungsdelikts innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens keine hinreichende Möglichkeit gesehen habe, ist vertretbar. Auf dieser Grundlage hängt die Revisionsentscheidung davon ab, wie die vorgelegte Rechtsfrage zu beantworten ist. Diese hat auch grundsätzliche Bedeutung. Verstöße der Strafverfolgungsorgane gegen das Gebot zügiger Verfahrenserledigung sind in zunehmendem Maße festzustellen ; die Gründe hierfür hat der Große Senat an dieser Stelle nicht zu erörtern. Die Frage, welche Folgen aus derartigen Verstößen zu ziehen sind, ist regelmäßig Gegenstand tatrichterlicher und revisionsgerichtlicher Entscheidungen. Eine einheitliche Handhabung durch entsprechende Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist daher geboten. Vor diesem Hintergrund erstrebt die Vorlage eine Fortbildung des Rechts; denn sie zielt auf die Festlegung neuer Auslegungsgrundsätze, als deren Folge sich ein von der bisherigen Handhabung abweichendes rechtliches Modell für die Kompensation von Verstößen gegen das Beschleunigungsgebot im Rahmen des Rechtsfolgenausspruchs ergäbe.

III.

14
Der Große Senat für Strafsachen beantwortet die ihm unterbreitete Rechtsfrage im Ergebnis im Sinne des Vorlegungsbeschlusses.
15
Zwar führt das bisher in der Rechtsprechung praktizierte Modell, dem Angeklagten als Ausgleich für einen rechtsstaatswidrigen Verstoß gegen das Gebot zügiger Verfahrenserledigung einen bezifferten Abschlag auf die an sich verwirkte Strafe zu gewähren, im Regelfall zu einer Kompensation dieses Verstoßes , die nicht nur mit den Vorgaben des Grundgesetzes und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (MRK), sondern auch mit dem nationalen deutschen Straf- und Strafprozess- recht in Einklang steht. Jedoch stößt dieses Modell in besonders gelagerten Fällen an gesetzliche Grenzen. Wie der vorliegende Fall zeigt, kann die Gewährung der verfassungs- und konventionsrechtlich gebotenen Kompensation durch Strafabschlag zu Ergebnissen führen, die den einfachgesetzlichen Rahmen des Strafzumessungsrechts sprengen. Hierdurch wird jedoch die Gesetzesbindung der Gerichte (Art. 20 Abs. 3 GG) berührt, die durch das StGB vorgegebene Grenzen der Strafenfindung zu achten haben. Deren Überschreitung könnte aus übergeordneten rechtlichen Gesichtspunkten nur dann gerechtfertigt werden, wenn keine andere Möglichkeit der Kompensation zur Verfügung stünde , die die Grundsätze des Strafzumessungsrechts des StGB unberührt lässt. Eine solche liegt mit der Vollstreckungslösung indes vor. Der Große Senat hält daher einen Wechsel zu diesem Modell für geboten. Dies gilt auch deshalb, weil diese Form der Entschädigung gemäß den Vorgaben der MRK, wie sie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) präzisiert worden sind, im Gegensatz zur bisherigen Verfahrensweise in allen Fällen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung eine Kompensation ermöglicht. Die Vollstreckungslösung genügt auch den verfassungsrechtlichen Vorgaben.
16
Unabhängig hiervon hat die Vollstreckungslösung gegenüber dem Strafabschlagsmodell weitere Vorzüge, die für die Kompensation rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen einen Systemwechsel angezeigt erscheinen lassen. Durch die Trennung von Strafzumessung und Entschädigung belässt sie der unrechts- und schuldangemessenen Strafe die ihr in strafrechtlichen und außerstrafrechtlichen Folgebestimmungen beigelegte Funktion. Darüber hinaus vereinfacht sie die Rechtsfolgenbestimmung.
17
Im Einzelnen:
18
1. Weder die Strafprozessordnung noch das Strafgesetzbuch enthalten Regelungen dazu, welche Rechtsfolgen es nach sich zieht, wenn ein Strafverfahren aus Gründen verzögert wird, die im Verantwortungsbereich des Staates liegen. Dies beruht auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers. Nach dessen Auffassung war eine gesetzliche Verankerung des Beschleunigungsgebots in der Strafprozessordnung entbehrlich, weil bereits Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK die Strafverfolgungsorgane hinreichend zu einer zügigen Durchführung von Ermittlungs- und Strafverfahren verpflichte. Der Beschleunigungsgrundsatz sei daher dem deutschen Strafverfahrensrecht auch ohne ausdrückliche Regelung immanent. Das in Art. 20 GG verankerte Rechtsstaatsprinzip sowie die Pflicht zur Achtung der Menschenwürde ließen es ebenfalls nicht zu, den Beschuldigten länger als unvermeidbar in der Drucksituation des Strafverfahrens zu belassen. Wie der Grundsatz zügiger Verfahrenserledigung inhaltlich näher zu präzisieren sei und welche Folgen an seine Verletzung anzuknüpfen seien, müsse der Klärung durch Wissenschaft und Rechtsprechung überlassen werden (vgl. den Entwurf der Bundesregierung vom 2. Mai 1973 für das 1. StVRG, BT-Drucks. 7/551 S. 36 f.).
19
Gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK hat jede Person ein Recht darauf, dass über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Hinzu tritt Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 MRK, wonach jede Person, die aus Anlass eines gegen sie geführten Strafverfahrens von Festnahme oder Freiheitsentziehung betroffen ist, Anspruch auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist hat; wird dieser Anspruch verletzt, so kann sie verlangen, während des Verfahrens (aus der Haft) entlassen zu werden. Regelungen darüber , welche sonstigen Konsequenzen aus einer Verletzung des Rechts auf Verhandlung und Urteil innerhalb angemessener Frist zu ziehen sind, enthält die MRK nicht. Jedoch bestimmt Art. 13 MRK, dass jede Person, die in ihren in der Konvention anerkannten Rechten oder Freiheiten verletzt worden ist, das Recht hat, bei einer innerstaatlichen Instanz eine wirksame Beschwerde zu erheben , auch wenn die Verletzung von Personen begangen worden ist, die in amtlicher Eigenschaft gehandelt haben.
20
2. Vor diesem Hintergrund hat der Bundesgerichtshof zunächst die Auffassung vertreten, die Verletzung des Anspruchs des Angeklagten aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK auf zügige Durchführung des gegen ihn gerichteten Strafverfahrens begründe zwar kein Verfahrenshindernis, sei jedoch bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Der Spielraum, den das Gesetz insoweit gewähre , reiche aus, um den Belastungen, denen der Angeklagte durch das unangemessen zögerlich geführte Verfahren ausgesetzt gewesen sei, in hinreichender Weise Rechnung zu tragen (BGHSt 24, 239, 242; 27, 274, 275 f.; BGH NStZ 1982, 291, 292 m. w. N.). Dies könne in den gesetzlich vorgesehenen Fällen bis zum Absehen von Strafe, bei Verfahren wegen Vergehen aber auch zur deren Einstellung gemäß § 153 StPO führen; auch ein Gnadenerweis sei in Betracht zu ziehen (BGHSt 24, 239, 242 f.).
21
Danach war es ausreichend, den Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK als bestimmenden Strafzumessungsgrund (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) bei der Abwägung der sonstigen strafmildernden und -schärfenden Aspekte selbständig , auch neben dem schon für sich mildernden Umstand eines langen Zeitraums zwischen Tat und Urteil, zu berücksichtigen (vgl. BGH NStZ 1983, 167; 1986, 217, 218; 1987, 232 f.; 1988, 552; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 2).
22
Diese Grundsätze hat der Bundesgerichtshof später im Hinblick auf die Rechtsprechung des EGMR und des Bundesverfassungsgerichts modifiziert.
23
a) Der EGMR hat in seinem Urteil vom 15. Juli 1982 (E. ./. Bundesrepublik Deutschland - EuGRZ 1983, 371 ff. m. Anm. Kühne) in zwei gegen die dortigen Beschwerdeführer durchgeführten Strafverfahren eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK durch die deutschen Strafverfolgungsbehörden festgestellt. Hieran anknüpfend hat er es in dem einen der beanstandeten Verfahren nicht als hinreichenden Ausgleich zugunsten der Beschwerdeführer erachtet , dass diesen die Verzögerungen bei der Strafzumessung des landgerichtlichen Urteils ausdrücklich strafmildernd zugute gehalten worden waren; dies sei nicht geeignet, den Beschwerdeführern ihre Opfereigenschaft im Sinne des Art. 25 MRK aF (= Art. 34 MRK nF) zu nehmen, da das Urteil keine hinreichenden Hinweise enthalte, die eine Überprüfung der Berücksichtigung der Verfahrensdauer unter dem Gesichtspunkt der Konvention erlaubten (EGMR EuGRZ 1983, 371, 381). In dem anderen Verfahren gelte das Gleiche, soweit dieses schließlich gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden sei; denn der Einstellungsbeschluss enthalte keinen Hinweis auf eine Berücksichtigung der Verfahrensverzögerungen (aaO S. 382). Zu der Frage, wie die vermissten "Hinweise" hätten ausgestaltet sein müssen und welche inhaltlichen Anforderungen an die den Beschwerdeführern zu gewährende Kompensation zu stellen gewesen wären, um den Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK noch im Rahmen des nationalen Rechts auszugleichen, äußert sich die Entscheidung nicht.
24
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verletzt eine von den Justizbehörden zu verantwortende erhebliche Verzögerung des Strafverfahrens den Beschuldigten auch in seinem verfassungsmäßigen Recht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG sowie - wenn sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft befindet - in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Ein Strafverfahren von überlanger Dauer könne den Beschuldigten - insbesondere dann, wenn die Dauer durch vermeidbare Verzögerungen seitens der Justizorgane bedingt sei - zusätzlichen fühlbaren Belastungen aussetzen, die in ihren Auswirkungen der Sanktion selbst gleich kämen. Mit zunehmender Verzögerung des Verfahrens gerieten sie in Widerstreit zu dem aus dem Rechtsstaatsgebot abgeleiteten Grundsatz, dass die Strafe verhältnismäßig sein und in einem gerechten Verhältnis zum Verschulden des Täters stehen müsse (BVerfG - Kammer - NJW 1993, 3254, 3255; 1995, 1277 f.; NStZ 2006, 680, 681 = JR 2007, 251 m. Anm. Gaede; vgl. auch BVerfG - Kammer - NJW 1992, 2472, 2473 für das Ordnungswidrigkeitenverfahren). So, wie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz allgemein dazu anhalte, in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen, ob die eingesetzten Mittel der Strafverfolgung und der Bestrafung unter Berücksichtigung der davon ausgehenden Grundrechtsbeschränkungen für den Betroffenen noch in einem angemessenen Verhältnis zu dem dadurch erreichbaren Rechtsgüterschutz stehen, verpflichte er im Falle eines mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht in Einklang stehenden überlangen Verfahrens zur Prüfung, ob und mit welchen Mitteln der Staat gegen den Betroffenen (noch) strafrechtlich vorgehen kann (BVerfG - Kammer - NJW 2003, 2225; 2003, 2897; BVerfGK 2, 239, 247; vgl. BVerfG - Kammer - NJW 2005, 3485 zum weiteren Vollzug der Untersuchungshaft).
25
Solange es an einer gesetzlichen Regelung fehle, seien die verfassungsrechtlich gebotenen Konsequenzen zunächst in Anwendung des Straf- und Strafverfahrensrechts zu ziehen. Komme eine angemessene Reaktion auf solche Verfahrensverzögerungen mit vorhandenen prozessualen Mitteln (§§ 153, 153 a, 154, 154 a StPO) nicht in Frage, so sei eine sachgerechte, angemessene Berücksichtigung im Rechtsfolgenausspruch, in den gesetzlich vorgesehenen Fällen möglicherweise durch Absehen von Strafe oder Verwarnung mit Strafvorbehalt, jenseits davon bei der Strafzumessung wie auch gegebenenfalls bei der Strafaussetzung zur Bewährung und bei der Frage der Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung regelmäßig verfassungsrechtlich gefordert , aber auch ausreichend (BVerfG - Vorprüfungsausschuss - NJW 1984, 967). Die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung müsse sich bei der Strafzumessung auswirken, wenn sie nicht im Extrembereich zum Vorliegen eines unmittelbar aus dem Rechtsstaatsgebot herzuleitenden Verfahrenshindernisses führe. Dabei liege es schon im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK und dessen Auslegung durch den EGMR nahe, erscheine aber auch mit Blick auf die Bedeutung der vom Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes geforderten Verfahrensbeschleunigung angezeigt, dass die Fachgerichte der Strafgerichtsbarkeit, wenn sie die gebotenen Folgen aus einer Verfahrensverzögerung ziehen, dabei die Verletzung des Beschleunigungsgebots ausdrücklich feststellen und das Ausmaß der Berücksichtigung dieses Umstands näher bestimmen (BVerfG - Vorprüfungsausschuss - NJW 1984, 967; BVerfG - Kammer - 1993, 3254, 3255; 1995, 1277 f.; 2003, 2225 f.; 2003, 2897; BVerfGK 2, 239, 247 f.).
26
Diese Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht dahin präzisiert , dass es nicht genüge, die Verletzung des Beschleunigungsgebots als eigenständigen Strafmilderungsgrund festzustellen und zu berücksichtigen. Vielmehr sei das Ausmaß der vorgenommenen Herabsetzung der Strafe durch Vergleich mit der ohne Berücksichtigung der Verzögerung angemessenen Strafe exakt zu bestimmen (BVerfG - Kammer - NStZ 1997, 591).
27
c) An diese Rechtsprechung des EGMR und des Bundesverfassungsgerichts anknüpfend haben die Strafsenate des Bundesgerichtshofs ihre ursprüngliche Spruchpraxis geändert: Ist ein Strafverfahren unter Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK und rechtsstaatliche Grundsätze durch die Strafverfolgungsorgane verzögert worden, so hat der Tatrichter nach der neueren Rechtsprechung zunächst stets Art und Ausmaß der Verzögerung sowie ihre Ursache konkret festzustellen und - falls dies zum Ausgleich der vom Beschuldigten erlittenen Belastungen nicht ausreichend ist und andere rechtliche Folgen (Verfahrenseinstellung aus Opportunitätsgründen oder wegen eines Verfahrenshindernisses ) nicht in Betracht kommen - in einem zweiten Schritt das Maß der Kompensation durch Vergleich der an sich verwirkten mit der tatsächlich verhängten Strafe ausdrücklich und konkret zu bestimmen (s. etwa BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 7, 12; BGH NJW 1999, 1198, 1199; NStZ-RR 2000, 343; StV 1998, 377; 2002, 598; wistra 1997, 347; 2001, 177; 2002, 420; StraFo 2003, 247). Dies gilt bei der Bildung einer Gesamtstrafe (§ 54 Abs. 1 StGB) nicht nur für diese, sondern auch für alle zugrunde liegenden Einzelstrafen, soweit das Verfahren hinsichtlich der entsprechenden Taten verzögert worden ist (vgl. BGH NStZ 2002, 589). Der Tatrichter hat somit in den Urteilsgründen für jede Einzeltat zwei Strafen auszuweisen, was sich aus Gründen der Klarheit auch für die Gesamtstrafe empfiehlt (vgl. BGH NStZ 2003, 601). In die Urteilsformel ist allein die reduzierte Strafe aufzunehmen. In welchem Umfang sich dabei der Konventionsverstoß auf das Verfahrensergebnis auswirken muss, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, namentlich auch nach dem - durch die Belastungen des verzögerten Verfahrens geminderten - Maß der Schuld des Angeklagten (vgl. BGHSt 46, 159, 174; s. auch BGH NStZ 1996, 506; 1997, 543, 544; StV 2002, 598).
28
3. An dieser Rechtsprechung wird nicht festgehalten.
29
a) Der Bundesgerichtshof hat im Hinblick auf die Gesetzesbindung der Gerichte (Art. 20 Abs. 3 GG) stets - ausdrücklich oder jedenfalls der Sache nach - daran festgehalten, dass die Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung mit den Mitteln vorzunehmen ist, die das Straf- oder Strafverfahrensrecht dem Rechtsanwender zur Verfügung stellen. So kommt beispielsweise die Verfahrenseinstellung nach §§ 153, 153 a StPO nur in Betracht , wenn sich der Angeklagte keines Verbrechens schuldig gemacht hat (vgl. BGHSt 24, 239, 242). Ebenso ist ein Ausgleich für die Verfahrensverzögerung durch Strafreduzierung, Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 StGB) oder Absehen von Strafe (§ 60 StGB) nur in den Grenzen zulässig, die das Strafgesetzbuch insoweit jeweils setzt (s. BGHSt 27, 274 zu § 59 StGB). Von der ge- setzlich vorgeschriebenen Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe kann aus Kompensationsgründen nicht abgesehen werden (BGH NJW 2006, 1529, 1535; ob hiervon in extremen Fällen Ausnahmen denkbar sind, ist dort offen gelassen worden). All dies begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BVerfG - Vorprüfungsausschuss - NJW 1984, 967; BVerfG - Kammer - 1993, 3254, 3256; 2003, 2897, 2899; NStZ 2006, 680, 681).
30
In Fällen, in denen eine Kompensation nur durch eine Unterschreitung der gesetzlichen Mindeststrafen möglich wäre, gerät die bisher von der Rechtsprechung angewandte Strafabschlagslösung jedoch an ihre Grenzen und läuft Gefahr, das Rechtsfolgensystem des StGB in Frage zu stellen. Dieser Konflikt zwischen Straf- und Strafprozessrecht auf der einen und verfassungs- sowie konventionsrechtlichen Vorgaben auf der anderen Seite muss in einer Weise aufgelöst werden, welche die Bindung der Gerichte an die einfachgesetzlichen Bestimmungen des Strafgesetzbuchs und der Strafprozessordnung so weit wie möglich respektiert. Im Bereich der Strafzumessung bedeutet dies, dass die gesetzliche Untergrenze der angedrohten Strafe nur dann unterschritten werden darf, wenn keine andere Möglichkeit zur Verfügung steht, das vom Angeklagten erlittene Verfahrensunrecht in einer nach den Maßstäben des Grundgesetzes und der MRK hinreichenden Weise auszugleichen.
31
Diese Möglichkeit ist mit dem Vollstreckungsmodell jedoch vorhanden, das seine rechtlichen Grundlagen in den Bestimmungen der MRK und deren Entschädigungsprinzip findet sowie den Rechtsgedanken des § 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 2 StGB fruchtbar macht (s. unten). Indem es die Kompensation für die von staatlichen Stellen verursachten Verfahrensverzögerungen in einem gesonderten Schritt nach der eigentlichen Strafzumessung vornimmt, respektiert es im Ausgangspunkt die im Gesetz vorgegebenen Mindeststrafen, die nach der Bewertung des Gesetzgebers auch im denkbar mildesten Fall noch einen angemessenen Schuldausgleich gewährleisten (vgl. Kutzner StV 2002, 277, 278). Gleichzeitig eröffnet es die Möglichkeit, die gebotene Entschädigung des Angeklagten für das von ihm erlittene Verfahrensunrecht dennoch zu leisten. Dies gilt selbst im Falle einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Sollte hier ausnahmsweise eine Kompensation einmal geboten sein (vgl. BGH NJW 2006, 1529, 1535), so könnte sie durch Anrechnung auf die Mindestverbüßungsdauer im Sinne des § 57a Abs. 1 Nr. 1 StGB vorgenommen werden. Die Vollstreckungslösung erübrigt damit von vornherein Überlegungen, ob für besondere Ausnahmefälle ein Unterschreiten der gesetzlichen Mindeststrafe oder gar ein Absehen von der gesetzlich vorgeschriebenen lebenslangen Freiheitsstrafe (vgl. BGH StV 2002, 598; NJW 2006, 1529, 1535) in Betracht gezogen werden muss, sei es in der Form eines „Härteausgleichs“ (s. für den Fall der nicht - mehr - möglichen Gesamtstrafenbildung BGHSt 31, 102, 104 m. Anm. Loos NStZ 1983, 260; vgl. auch BGHSt 36, 270, 275 f.), sei es durch eine Strafrahmenverschiebung in analoger Anwendung des § 49 Abs. 1 oder 2 StGB (s. Krehl ZIS 2006, 168, 178 f.; StV 2006, 408, 412; Hoffmann-Holland ZIS 2006, 539 f.), wie dies der Bundesgerichtshof in Ausnahmefällen für zulässig erachtet hat, wenn die Verhängung der von § 211 StGB vorgeschriebenen lebenslangen Freiheitsstrafe aus anderen Gründen mit dem Übermaßverbot in Widerstreit gerät (vgl. BGHSt 30, 105).
32
b) Die bisher praktizierte Strafabschlagslösung ist aber auch deshalb durch das Vollstreckungsmodell zu ersetzen, weil dieses sich inhaltlich in vollem Umfang an den Kriterien ausrichtet, die nach der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Art. 13, 34 MRK für den Ausgleich rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen maßgeblich sind.
33
aa) Die MRK ist durch das Zustimmungsgesetz (Art. 59 Abs. 2 GG) vom 7. August 1952 (BGBl II 685; ber. 953) unmittelbar geltendes nationales Recht im Range eines einfachen Bundesgesetzes geworden (vgl. etwa BVerfGE 74, 358, 370; 111, 307, 323 f.; BGHSt 45, 321, 329; 46, 178, 186). Ihre Gewährleistungen sind daher durch die deutschen Gerichte wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden (BVerfGE 111, 307, 323). Hierbei ist auch das Verständnis zu berücksichtigen , das sie in der Rechtsprechung des EGMR gefunden haben. Auf dieser Grundlage ist das nationale Recht unabhängig von dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens nach Möglichkeit im Einklang mit der MRK zu interpretieren (vgl. BVerfGE 74, 358, 370; 111, 307, 324).
34
Nach welchen Kriterien, in welcher Weise und in welchem Umfang eine Verletzung des Anspruchs auf zügige Verfahrenserledigung aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK zu kompensieren ist, um dem Betroffenen seine Opferstellung im Sinne des Art. 34 MRK zu nehmen und damit den jeweiligen Vertragsstaat vor einer Verurteilung zu bewahren, ist in der MRK nicht geregelt und daher vom EGMR den nationalen Fachgerichten nach Maßgabe der jeweiligen Rechtsordnung zur Entscheidung überlassen worden (vgl. EGMR EuGRZ 1983, 371, 382 m. Anm. Kühne; NJW 2001, 2694, 2700, Zf. 159; Pfeiffer in Festschrift Baumann S. 329, 338; Trurnit/Schroth StraFo 2005, 358, 361). Jedoch hat die Rechtsprechung des EGMR hierzu konkretisierende Maßstäbe entwickelt; ihr lassen sich auch deutliche Hinweise dazu entnehmen, welche Formen der Kompensation im Einzelfall eine hinreichende Wiedergutmachung des Konventionsverstoßes bewirken können.
35
Nach dem Konzept der MRK - in der Auslegung des EGMR - dient die Kompensation für eine konventionswidrige Verfahrensverzögerung allein dem Ausgleich eines durch die Verletzung eines Menschenrechts entstandenen objektiven Verfahrensunrechts (Demko HRRS 2005, 283, 295; Krehl ZIS 2006, 168, 178; StV 2006, 408, 412; vgl. Gaede wistra 2004, 166, 168; JR 2007, 254 f.). Sie ist Wiedergutmachung und soll eine Verurteilung des jeweiligen Vertragsstaates wegen der Verletzung des Rechts aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verhindern (Krehl ZIS 2006, 168, 178; s. auch BGH NStZ 1988, 552). Auf diese Wiedergutmachung hat der Betroffene gemäß Art. 13 MRK Anspruch, wenn die Konventionsverletzung nicht präventiv hat verhindert werden können (vgl. EGMR NJW 2001, 2694, 2698 ff., insbes. Zf. 159; Demko HRRS 2005, 403 ff.; Gaede wistra 2004, 166, 171; JR 2007, 254; Meyer-Ladewig MRK 2. Aufl. Art. 13 Rdn. 10, 22). Ist sie geleistet, so entfällt die Opfereigenschaft des Betroffenen im Sinne des Art. 34 MRK (vgl. EGMR StV 2006, 474, 477 f., Zf. 83). Das Gewicht der Tat und das Maß der Schuld sind dabei als solche weder für die Frage relevant, ob das Verfahren rechtsstaatswidrig verzögert worden ist (zu den maßgeblichen Kriterien in der Rechtsprechung des EGMR s. Kühne StV 2001, 529, 530 f. m. Nachw.; Demko HRRS 2005, 283, 289 ff.), noch spielen diese Umstände für Art und Umfang der zu gewährenden Kompensation eine Rolle (Demko HRRS 2005, 283, 294 f.; Krehl ZIS 2006, 168, 178; StV 2006, 408, 412; vgl. auch Kutzner StV 2002, 277, 283). Diese ist vielmehr allein an der Intensität der Beeinträchtigung des subjektiven Rechts des Betroffenen aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK auszurichten. Durch die Kompensation wird danach eine Art Staatshaftungsanspruch erfüllt, der dem von einem überlangen Strafverfahren betroffenen Angeklagten in gleicher Weise erwachsen kann wie der Partei eines vom Gericht schleppend geführten Zivilprozesses oder einem Bürger , der an einem verzögerten Verwaltungsrechtsstreit beteiligt ist. Dieser Anspruch entsteht auch dann, wenn der Angeklagte freigesprochen wird. Ein unmittelbarer Bezug zu dem vom Angeklagten schuldhaft verwirklichten Unrecht oder sonstigen Strafzumessungskriterien besteht daher nicht.
36
Die Kompensation durch Gewährung eines bezifferten Abschlags auf die an sich verwirkte Strafe knüpft somit nach den Maßstäben der MRK im Ausgangspunkt an ein eher sachfernes Bewertungskriterium an, mag sie auch im Großteil der Fälle dazu führen, dass der gebotene Ausgleich geschaffen wird und damit die Opferstellung des Angeklagten entfällt. Demgegenüber koppelt das Vollstreckungsmodell den Ausgleich für das erlittene Verfahrensunrecht von vornherein von Fragen des Unrechts, der Schuld und der Strafhöhe ab. Damit entspricht es nicht nur den Vorgaben der MRK, sondern es vermeidet gleichzeitig die Komplikationen, die sich für die Strafabschlagslösung aus der Bindung des Gerichts an die gesetzlich vorgegebenen Strafuntergrenzen ergeben (s. oben a).
37
bb) Die Vollstreckungslösung genügt auch den inhaltlichen und formellen Anforderungen, die die Art. 13, 34 MRK an eine hinreichende Kompensation stellen.
38
Nach der Rechtsprechung des EGMR verlangt ein angemessener Ausgleich zumindest die ausdrückliche oder jedenfalls sinngemäße Anerkennung des Konventionsverstoßes. Diese kann je nach den Umständen als Kompensation hinreichen; denn der EGMR hat in etlichen Fällen, in denen erst er selbst den Verstoß eines Mitgliedstaats gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK ausdrücklich festgestellt hat, diese Feststellung als Ausgleich genügen lassen und dem Betroffenen keine Geldentschädigung nach Art. 41 MRK für immaterielle Einbußen zugesprochen (vgl. EGMR NJW 1984, 2749, 2751 - Ver-waltungsrechtsstreit; 2001, 213, 214 - Zivilrechtsstreit; StV 2005, 475, 477 m. Anm. Pauly - Strafverfahren ). Dies legt es nahe, dass aus der Sicht des EGMR insoweit - das heißt ohne Berücksichtigung etwaiger materieller Schäden - die Opferstellung des Betroffenen bereits durch die nationalen Gerichte aufgehoben worden wäre, wenn sie die entsprechende Feststellung selbst getroffen hätten.
39
Der EGMR hat weiterhin deutlich gemacht, dass die "innerstaatlichen Behörden" durch eine eindeutige und messbare Minderung der Strafe angemessene Wiedergutmachung leisten können (s. - je m. w. Nachw. - EGMR StV 2006, 474, 479 m. Anm. Pauly; Urteil vom 26. Oktober 2006 - Nr. 65655/01, Zf. 24, juris). Dies gelte auch, soweit eine Verletzung des Art. 5 Abs. 3 MRK auszugleichen sei; jedoch müsse dieser Verstoß gesondert anerkannt werden und zu einer selbständigen messbaren Strafmilderung führen (vgl. EGMR StV 2006, 474, 478 m. Anm. Pauly).
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Zu Weiterem verhält sich der EGMR nicht näher. Nach den in seinen Entscheidungen entwickelten Maßstäben sind aber auch die in der deutschen Rechtsprechung neben der Strafreduktion in Betracht gezogenen Konsequenzen (Annahme eines Verfahrenshindernisses, Strafaussetzung zur Bewährung, Absehen von Maßregeln der Besserung und Sicherung, völlige oder teilweise Verfahrenseinstellung nach strafprozessualen Opportunitätsgrundsätzen) je nach den Umständen erkennbar als hinreichende Wiedergutmachung tauglich. Notwendig ist lediglich der ausdrückliche Hinweis, dass die jeweilige Maßnahme des materiellen oder prozessualen Rechts gerade zur Kompensation des Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot getroffen worden ist (vgl. zu § 154 StPO: EGMR EuGRZ 1983, 371, 382).
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Nicht ausgeschlossen ist nach den Vorgaben des EGMR auch eine Wiedergutmachung durch Zahlung einer Geldentschädigung (s. dazu etwa Kühne EuGRZ 1983, 392, 383; Scheffler, Die überlange Dauer von Strafverfahren S. 267 ff.; Wohlers JR 1994, 138, 142 f.; Kraatz JR 2006, 403, 407 ff.). Die Rechtsordnungen anderer Vertragsstaaten der MRK enthalten hierzu ausdrückliche Regelungen (etwa Spanien: s. näher Paeffgen StV 2007, 487, 494; Italien: s. näher Ress in Festschrift Müller-Dietz S. 627, 628; Frankreich: s. Kraatz JR 2006, 2003, 2006). Mit den einschlägigen Vorschriften des französischen Rechts hat der EGMR sich bereits mit Blick auf Art. 13 MRK befasst. Er hat dabei eine derartige Form der Wiedergutmachung nicht generell für unzureichend erachtet. Er hat es vielmehr nur nicht für hinreichend belegt angesehen, dass die Bestimmungen nach ihrer inhaltlichen Ausgestaltung und ihrer konkreten Handhabung in dem zu beurteilenden Fall ein wirksames innerstaatliches Rechtsmittel im Sinne des Art. 13 MRK zur Erlangung einer angemessenen Entschädigung darstellen (Entscheidung vom 26. März 2002, Nr. 48215/99, Zf. 20; s. Kraatz aaO). Das deutsche Recht enthält demgegenüber keine Regelungen , die es den Strafgerichten ermöglichten, eine Geldentschädigung zuzuerkennen. Die Bestimmungen des StrEG können nicht entsprechend herangezogen werden; sie haben abschließenden Charakter. Eine entsprechende Anwendung des § 465 Abs. 2 StPO gäbe keinen ausreichenden Entscheidungsspielraum. Es wäre Sache des Gesetzgebers, eine eindeutige rechtliche Grundlage zu schaffen.
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Es kann nicht zweifelhaft sein, dass nach den genannten Kriterien auch das Modell, einen angemessenen Teil der Strafe als vollstreckt anzurechnen, den Anforderungen an eine ausreichende Entschädigung gerecht wird. Es zieht neben dem Entschädigungsprinzip der MRK auch den Rechtsgedanken des § 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 2 StGB heran; denn ähnlich wie bei der Untersuchungshaft handelt es sich bei den Belastungen, denen der Angeklagte durch die rechtsstaatswidrige Verzögerung des Verfahrens ausgesetzt ist, in erster Linie um immaterielle Nachteile, die allein in der Durchführung des Verfahrens wurzeln. Dies rechtfertigt es, diese Nachteile ähnlich wie die Auswirkungen der Untersuchungshaft durch Anrechnung auf die Strafe auszugleichen (vgl. Kraatz JR 2006, 204, 206; s. auch Theune in LK 12. Aufl. § 46 Rdn. 244; zu § 60 StGB: Jeschek/Weigend, StGB AT 5. Aufl. S. 863; dazu auch Scheffler, Die überlange Dauer von Strafverfahren, S. 224 ff.). Die Kompensation ist jedoch auch nach dem Vollstreckungsmodell bereits im Erkenntnisverfahren vorzu- nehmen. Sie kann nicht den Strafvollstreckungsbehörden überlassen werden; denn da die Entschädigung nicht durch schematische Anrechnung der jeweiligen Verzögerungsdauer auf die Strafe vorzunehmen, sondern aufgrund einer wertenden Betrachtung der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu bemessen ist (s. unten IV. 1.), muss sie dem Tatrichter vorbehalten bleiben, dem schon die Feststellung dieser Umstände obliegt (vgl. § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB).
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4. Neben all dem sprechen weitere gewichtige Gründe für einen Übergang vom Strafabschlags- auf das Vollstreckungsmodell.
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a) Da die im Wege der Anrechnung vorgenommene Kompensation einen an dem Entschädigungsgedanken orientierten eigenen rechtlichen Weg neben der Strafzumessung im engeren Sinn darstellt, behält die nach den Maßstäben des § 46 StGB zugemessene und im Urteilstenor auszusprechende Strafe die Funktion, die ihr in anderen strafrechtlichen Bestimmungen, aber auch in außerstrafrechtlichen Regelungen zugewiesen ist. So bleibt - wie nach der gesetzlichen Konzeption des StGB vorgesehen - die dem Unrecht und der Schuld angemessene und nicht eine aus Entschädigungsgründen reduzierte Strafe maßgeblich etwa für die Fragen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann (§ 56 Abs. 1 bis 3 StGB), ob die formellen Voraussetzungen für die Verhängung der Sicherungsverwahrung (§ 66 Abs. 1 bis 3 StGB), deren Vorbehalt (§ 66 a Abs. 1 StGB) oder deren nachträgliche Anordnung (§ 66 b StGB) erfüllt sind, ob der Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des Stimmrechts eintritt (§ 45 StGB), ob Führungsaufsicht angeordnet werden kann (§ 68 Abs. 1 StGB), ob Verwarnung mit Strafvorbehalt in Betracht kommt (§ 59 Abs. 1 StGB) oder ob von Strafe abgesehen werden kann (§ 60 StGB) und wann Vollstreckungsverjährung eintritt (§ 79 StGB). Darüber hinaus behält sie die Bedeutung, die ihr in beamtenrechtlichen (§ 24 BRRG; für Richter s. § 24 DRiG) und ausländerrechtlichen (§§ 53, 54 AufenthG) Folgeregelungen beigelegt wird, sowie auch für die Tilgungsfristen nach dem BZRG (s. etwa § 46 BZRG) oder die Eintragungsvoraussetzungen in das Gewerbezentralregister (§ 149 Abs. 2 Nr. 4 GewO).
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Hierdurch wird der überlangen Verfahrensdauer andererseits jedoch nicht ihre Bedeutung als Strafzumessungsgrund genommen. Sie bleibt als solcher zunächst bedeutsam deswegen, weil allein schon durch einen besonders langen Zeitraum, der zwischen der Tat und dem Urteil liegt, das Strafbedürfnis allgemein abnimmt. Sie behält - unbeschadet der insoweit zutreffenden dogmatischen Einordnung (zum Meinungsstreit s. Paeffgen StV 2007, 487, 490 Fn. 27) - ihre Relevanz aber gerade auch wegen der konkreten Belastungen, die für den Angeklagten mit dem gegen ihn geführten Verfahren verbunden sind und die sich generell um so stärker mildernd auswirken, je mehr Zeit zwischen dem Zeitpunkt, in dem er von den gegen ihn laufenden Ermittlungen erfährt, und dem Verfahrensabschluss verstreicht; diese sind bei der Straffindung unabhängig davon zu berücksichtigen, ob die Verfahrensdauer durch eine rechtsstaatswidrige Verzögerung mitbedingt ist (vgl. BGH NJW 1999, 1198; NStZ 1988, 552; 1992, 229, 230; NStZ-RR 1998, 108). Lediglich der hiermit zwar faktisch eng verschränkte, rechtlich jedoch gesondert zu bewertende und zu entschädigende Gesichtspunkt, dass eine überlange Verfahrensdauer (teilweise) auf einem konventions- und rechtsstaatswidrigen Verhalten der Strafverfolgungsbehörden beruht, wird aus dem Vorgang der Strafzumessung, dem er wesensfremd ist, herausgelöst und durch die bezifferte Anrechnung auf die im Sinne des § 46 StGB angemessene Strafe gesondert ausgeglichen.
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b) Durch den Übergang zur Vollstreckungslösung wird die Strafenbildung von der Notwendigkeit befreit, einen einzelnen Zumessungsaspekt in mathematisierender Weise durch bezifferten Strafabschlag - gegebenenfalls gesondert für Einzelstrafen und Gesamtstrafe - auszuweisen. Gerade diese rechnerische Vorgehensweise ist zu Recht kritisiert worden (Schäfer, Praxis der Strafzumessung 3. Aufl. Rdn. 443; ders. in Festschrift Tondorf S. 351, 357 f.; s. auch Gaede JR 2007, 254, 256). Selbst in Entscheidungen des Bundesgerichtshofs ist sie als Fremdkörper in der Strafzumessung (BGH NStZ-RR 2006, 201, 202) sowie systemwidrig (BGH NStZ 2005, 465, 466) bezeichnet und es ist für wünschenswert erachtet worden, diese - ansonsten als rechtlich verfehlt erachtete (BGH NStZ-RR 1999, 101, 102; 2000, 43; 2006, 270, 271; NStZ 2007, 28) - Mathematisierung der Strafenfindung zu überdenken (BGH, Beschl. v. 23. Juni 2006 - 1 ARs 5/04; BGH wistra 2004, 470).
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Zwar kann die durch Anrechung vorgenommene Kompensation den Rechtsfolgenausspruch - schon wegen der entsprechenden Vorgaben des EGMR und des Bundesverfassungsgerichts - nicht von jeder Mathematisierung freihalten. Jedoch verlagert sie durch ihre Anlehnung an § 51 StGB die Bezifferung der Entschädigung zumindest in einen Bereich, der schon nach der gesetzlichen Konzeption derartigen Berechnungen offen steht und in diesem Rahmen auch eine zahlenmäßige Bewertung verfahrensbedingt erlittener Nachteile kennt (vgl. § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB). Die eigentliche Strafzumessung wird demgegenüber nicht mehr mit ihr wesensfremden Anforderungen belastet. Dies ist insbesondere auch deswegen bedeutsam, weil es nach der neueren Rechtsprechung des EGMR (StV 2006, 474, 478 m. Anm. Pauly) notwendig werden kann, künftig den durch eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung bewirkten Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 MRK neben demjenigen gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK gesondert zu kompensieren; dies würde nach dem Strafabschlagsmodell in letzter Konsequenz dazu führen, dass die Strafzumessung mit zwei Rechenwerken befrachtet werden müßte, im Falle einer Gesamtstrafenbildung auch noch gesondert für jede Einzelstrafe und - unter Vermeidung einer Doppelkompensation - für die Gesamtstrafe.
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Demgegenüber knüpft das Vollstreckungsmodell die Kompensation ausschließlich an die - für die Vollstreckung allein relevante - Gesamtstrafe an und vereinfacht hierdurch die Rechtsfolgenentscheidung erheblich.
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5. Die Kompensation durch Anrechnung steht nicht in Widerspruch zu verfassungsrechtlichen Vorgaben. Allerdings findet sich auch in Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Aussage, dass die Belastungen, denen der Angeklagte durch eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung ausgesetzt ist, den aus der Verwirklichung des Straftatbestandes abzuleitenden Unrechtsgehalt abmilderten, der dem Angeklagten als Tatschuld angelastet werde, und daher „grundsätzlich“ als Strafmilderungsgrund bei der Strafzumessung zu berücksichtigen seien (s. insb. BVerfG - Kammer - NStZ 2006, 680, 681; vgl. auch BVerfGK 2, 239, 247). Dem kann jedoch nicht entnommen werden, dass die nach der Rechtsprechung des EGMR gebotene Entschädigung des Angeklagten nach den Vorgaben des Grundgesetzes ausschließlich in der Form einer - zusätzlichen - bezifferten Strafmilderung zulässig wäre (vgl. dagegen I. Roxin StV 2008, 14, 16). Anliegen des Bundesverfassungsgerichts ist es nicht, eine bestimmte dogmatische Sichtweise des einfachgesetzlichen Rechts über die unrechts- und schuldmildernde Wirkung rechtsstaatswidrig verursachter Verfahrenshärten als verfassungsrechtlich allein zulässige festzuschreiben. Ebensowenig will es ersichtlich ein bestimmtes Modell der konventionsrechtlich geforderten Kompensation zum verfassungsrechtlich allein statthaften erklären. Vielmehr geht es dem Bundesverfassungsgericht, wie sich seinen einschlägigen Entscheidungen deutlich entnehmen lässt, allein um die Beachtung des in der Verfassung verankerten Übermaßverbots. In welcher Form die Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs durch die Fachgerichte in Anwendung des Straf- oder Strafprozessrechts gewährleistet wird, ist demgegenüber in der Verfassung nicht vorgegeben. Anders wäre es auch kaum erklärbar, dass das Bundesverfassungs- gericht eine kompensierende Berücksichtigung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung auch bei der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung oder die Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung für möglich erachtet. Wird dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs in der Weise Rechnung getragen, dass die Belastungen, denen der Angeklagte durch das überlange Verfahren ausgesetzt war, zunächst allgemein mildernd in die Strafzumessung einfließen und sodann der besondere Aspekt, dass sie (teilweise) auf rechtsstaatswidrige Verzögerungen seitens der Strafverfolgungsbehörden zurückzuführen sind, im Urteil dadurch Berücksichtigung findet, dass als Entschädigung hierfür ein Teil der Strafe als bereits vollstreckt gilt, so ist damit in gleicher Weise dem verfassungsrechtlichen Übermaßverbot Genüge getan wie durch die bezifferte Reduzierung der Strafe.
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6. Die Vollstreckungslösung kann nicht nur - sachgerechte - gesetzliche Folgen haben, die sich im Vergleich zur Strafabschlagslösung zum Nachteil des Angeklagten auswirken (s. 4. a), sondern auch solche, die ihm zum Vorteil gereichen ; denn durch die Anrechnung werden bei der Strafzeitberechnung die Halbstrafe und der Zwei-Drittel-Zeitpunkt regelmäßig schneller erreicht, so dass es früher als bisher möglich ist, einen Strafrest zur Bewährung auszusetzen (§ 57 Abs. 1, 2 und 4 StGB). Auch dies ist eine systemgerechte Konsequenz des neuen Modells.
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Wird die Freiheitsstrafe, die zur Wiedergutmachung teilweise als vollstreckt erklärt wird, von vornherein zur Bewährung ausgesetzt, so ergeben sich keine grundsätzlichen Unterschiede zur bisherigen Rechtslage. Nach beiden Kompensationsmodellen wird die Entschädigung faktisch erst dann wirksam, wenn die Strafe nach einem Bewährungswiderruf vollstreckt werden muss. Allerdings ist es nicht ausgeschlossen, die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzö- gerung neben der Anrechnung auf die Strafe aktuell wirksam auch dadurch auszugleichen, dass im Bewährungsbeschluss ausdrücklich auf Auflagen im Sinne des § 56b Abs. 2 Nr. 2 bis 4 StGB verzichtet wird.
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Auch sonst ergeben sich durch die Vollstreckungslösung keine bedeutsamen Unterschiede: Kommt nur die Verhängung einer Geldstrafe in Betracht, so ist diese wegen der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung nicht mehr um einen bezifferten Abschlag zu ermäßigen, sondern die schuldangemessene Geldstrafe in der Urteilsformel auszusprechen und zugleich festzusetzen, dass ein bezifferter Teil der zugemessenen Tagessätze als bereits vollstreckt gilt. In Fällen, in denen das gebotene Maß der Kompensation die schuldangemessene (Einzel-)Strafe erreicht oder übersteigt, ist - wie bisher - die Anwendung der §§ 59, 60 StGB oder die (teilweise) Einstellung des Verfahrens nach Opportunitätsgrundsätzen zu erwägen (§§ 153, 153a, 154, 154a StPO); gegebenenfalls ist zu prüfen, ob ein aus der Verfassung abzuleitendes Verfahrenshindernis der Fortsetzung des Verfahrens entgegensteht.
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Die im Bereich des Jugendstrafrechts bestehenden besonderen Probleme werden durch das Vollstreckungsmodell weder beseitigt noch verstärkt. Während sich bisher die Frage stellte, ob von der aus Erziehungsgründen erforderlichen Strafe zur Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung ein bezifferter Abschlag vorgenommen werden darf (vgl. BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 15), ist nunmehr danach zu fragen, ob es dem Erziehungsgedanken widerstreitet, einen Teil der Strafe als Entschädigung für vollstreckt zu erklären (s. § 52a JGG, ferner § 88 JGG mit größerer Flexibilität für die Reststrafenaussetzung).

IV.

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Die Strafgerichte haben die erforderliche Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung nach dem Vollstreckungsmodell somit an folgenden Grundsätzen auszurichten:
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1. Wie bisher sind zunächst Art und Ausmaß der Verzögerung sowie ihre Ursachen zu ermitteln und im Urteil konkret festzustellen. Diese Feststellung dient zunächst als Grundlage für die Strafzumessung. Der Tatrichter hat insofern in wertender Betrachtung zu entscheiden, ob und in welchem Umfang der zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil sowie die besonderen Belastungen, denen der Angeklagte wegen der überlangen Verfahrensdauer ausgesetzt war, bei der Straffestsetzung in den Grenzen des gesetzlich eröffneten Strafrahmens mildernd zu berücksichtigen sind. Die entsprechenden Erörterungen sind als bestimmende Zumessungsfaktoren in den Urteilsgründen kenntlich zu machen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO); einer Bezifferung des Maßes der Strafmilderung bedarf es nicht.
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Hieran anschließend ist zu prüfen, ob vor diesem Hintergrund zur Kompensation die ausdrückliche Feststellung der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung genügt; ist dies der Fall, so muss diese Feststellung in den Urteilsgründen klar hervortreten. Reicht sie dagegen als Entschädigung nicht aus, so hat das Gericht festzulegen, welcher bezifferte Teil der Strafe zur Kompensation der Verzögerung als vollstreckt gilt. Allgemeine Kriterien für diese Festlegung lassen sich nicht aufstellen; entscheidend sind stets die Umstände des Einzelfalls, wie der Umfang der staatlich zu verantwortenden Verzögerung, das Maß des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane sowie die Auswirkungen all dessen auf den Angeklagten. Jedoch muss es stets im Auge behalten werden, wenn die Verfahrensdauer als solche sowie die hiermit verbundenen Belastun- gen des Angeklagten bereits mildernd in die Strafbemessung eingeflossen sind und es daher in diesem Punkt der Rechtsfolgenbestimmung nur noch um einen Ausgleich für die rechtsstaatswidrige Verursachung dieser Umstände geht. Dies schließt es aus, etwa den Anrechnungsmaßstab des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB heranzuziehen und das Maß der Anrechnung mit dem Umfang der Verzögerung gleichzusetzen; vielmehr wird sich die Anrechnung häufig auf einen eher geringen Bruchteil der Strafe zu beschränken haben.
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In die Urteilsformel ist die nach den Kriterien des § 46 StGB zugemessene Strafe aufzunehmen; gleichzeitig ist dort auszusprechen, welcher bezifferte Teil dieser Strafe als Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer als vollstreckt gilt.
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2. Stehen mehrere Straftaten des Angeklagten zur Aburteilung an, so ist - wie bisher - zunächst zu prüfen, ob und in welchem Umfang das Verfahren bei der Verfolgung aller dieser Delikte rechtsstaatswidrig verzögert worden ist; gegebenenfalls sind insoweit differenzierte Feststellungen zu treffen und der Abstand zwischen Tatzeitpunkt und Urteil sowie die Belastungen des Angeklagten durch die Verfahrensdauer nur bei einigen der festzusetzenden Einzelstrafen mildernd zu berücksichtigen. Allein auf die durch Zusammenfassung der Einzelstrafen gebildete und in der Urteilsformel ausgesprochene Gesamtstrafe ist die Anrechnung vorzunehmen, indem ein bezifferter Teil hiervon im Wege der Kompensation für vollstreckt erklärt wird; denn allein die Gesamtstrafe ist Grundlage der Vollstreckung.
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Wird die Gesamtstrafe nachträglich aufgelöst, so hat das Gericht, das unter Einbeziehung der dieser zugrunde liegenden Einzelstrafen eine neue Gesamtstrafe zu bilden hat, auch festzusetzen, welcher bezifferte Teil dieser neuen Gesamtstrafe aus Kompensationsgründen als vollstreckt anzurechnen ist.
Hierdurch darf der, wie rechtskräftig festgestellt, von einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung betroffene Verurteilte nicht nachträglich schlechter gestellt werden (vgl. § 51 Abs. 2 StGB). Dies gilt entsprechend, wenn die Einzelstrafen des ursprünglichen Urteils in mehrere neu zu bildende Gesamtstrafen einzubeziehen sind. Das zur Entscheidung berufene Gericht hat dann festzulegen , in welchem Umfang die neu auszusprechenden Gesamtstrafen anteilig als vollstreckt gelten. Dabei hat es sich daran zu orientieren, in welchem Umfang in die jeweilige neue Gesamtstrafe Einzelstrafen einfließen, die ursprünglich nach einem rechtsstaatswidrig verzögerten Verfahren festgesetzt worden waren. In der Summe dürfen die für vollstreckt erklärten Teile der neuen Gesamtstrafen nicht hinter der ursprünglich ausgesprochenen Anrechnung zurückbleiben. Hirsch Rissing-vanSaan Basdorf Maatz Miebach Wahl Bode Kuckein Gerhardt Kolz Becker