Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Juni 2016 - 4 StR 79/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:070616B4STR79.16.0
bei uns veröffentlicht am07.06.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 79/16
vom
7. Juni 2016
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2016:070616B4STR79.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 7. Juni 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 2. Oktober 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich seine auf die Sachrüge gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Der Unterbringungsanordnung liegen als von der Antragsschrift erfasste Anlasstaten eine gefährliche Körperverletzung sowie Bedrohungen zugrunde. Die gefährliche Körperverletzung beging der Beschuldigte nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen am Morgen des 25. Januar 2015 zum Nachteil eines Bediensteten der JVA D. , auf den er bei der Ausgabe des Frühstücks mit einer Porzellankaffeekanne einschlug. Drei der vom Landgericht als Bedrohungen eingeordneten Taten beging er ebenfalls zum Nachteil von JVA-Bediensteten, nachdem er im Anschluss an die gefährliche Körperverletzung in einen besonders gesicherten Haftraum (Drohung mit „Abstechen“) bzw. zur Versorgung eines nach dem Körperverletzungsgeschehen erlittenen Kiefer- bruchs in eine Klinik verbracht worden war („schlage ich euch mit dem Baseballschläger den Kopf ein“). Eine weitere Bedrohung „ggfs. auch weiterer Bediensteter der JVA“ (UA S. 41) nimmtdas Landgericht bezüglich eines Vorfalls vom 27. Januar 2015 gegenüber zwei Mitarbeiterinnen eines Justizvollzugskrankenhauses an, in das der Beschuldigte verlegt worden war. Ihnen gegenüber drohte der Beschuldigte, er werde ihnen „die Augen ausstechen und sie töten“.
3
Nach den weiteren Feststellungen der Strafkammer weist das Bundeszentralregister für den Beschuldigten für den Zeitraum von 1999 bis zum 18. Dezember 2014 insgesamt 23 Einträge auch wegen Körperverletzungsdelikten (2001, 2005, 2006, zweimal 2008, 2009, 2013), Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (2006, dreimal 2008) oder Bedrohung (2005, 2006) aus. In den Jahren 2011 bis März 2015 verbüßte er mehrere Freiheitsstrafen; 2009 war gegen ihn ferner – neben einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten – die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden , die bis März 2011 auch vollzogen wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen oder die Anwendung von §§ 20, 21 StGB erwähnt das Landgericht bei keiner dieser Taten bzw. Eintragungen. Zu der Maßregelanordnung im Jahr 2009 teilt das Urteil lediglich mit, dass die Sachverständige einen Hang des Beschuldigten , alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, und auch die weiteren Voraussetzungen des § 64 StGB bejaht habe. Aus dem Vollzug dieser Maßregel wird mitgeteilt, dass sein „dissoziales Verhalten ... kaum er- träglich erschien“ und bei ihm bei „kleinsten Belastungen oder Unklarheiten“ Wahn- und Verfolgungsideen festgestellt worden seien, die sich aber wieder legten, „wenn sich die Situation klärte“ (UA S. 14 f.).
4
Ferner teilt das Urteil mit, dass ein Sachverständiger in einem – in einem anderen Strafverfahren gegen den Beschuldigten – erstatteten Gutachten im März 2015 zu dem Ergebnis gekommen sei, dass es sich beim Beschuldigten „um einen voll schuldfähigen Menschen mit dissozialer Persönlichkeit handle“ (UA S. 23), während ein anderer Sachverständiger im selben Monat beim Beschuldigten eine paranoide Psychose sowie eine dissoziale Persönlichkeitsstörung festgestellt habe (UA S. 25). Die Strafkammer geht – dem in der Hauptverhandlung erstatteten Sachverständigengutachten folgend – dagegen davon aus, dass der Beschuldigte an einer paranoiden Schizophrenie leide und gelitten habe, aufgrund derer zu den Tatzeiten seine Einsichtsfähigkeit aufgehoben gewesen sei; es habe sich um „typische Impulstaten eines Psychotikers“ gehandelt. Der Beschuldigte sei schon „in früherer Zeit“ auffällig gewesen, wie insbesondere die strafrechtlichen Vorbelastungen zeigten (UA S. 37); paranoide Akzente zögen sich „bereits seit längerer Zeit durch das Leben des Beschuldig- ten“ (UA S. 37). Hinsichtlich der Unterbringung nach § 64 StGB sei anzuneh- men, dass sie „schlicht in die ‚falsche Richtung’ gegangen sei und damals schon das eigentlich bei dem Beschuldigten bestehende Problem verkannt worden sei“ (UA S. 39).
5
2. Die Unterbringungsanordnung hat keinen Bestand, da die Gefährlichkeitsprognose nicht tragfähig begründet ist.
6
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Diese Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 1. Oktober 2013 – 3 StR 311/13; vom 2. September 2015 – 2 StR 239/15; vom 3. Juni 2015 – 4 StR 167/15) und hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten infolge seines Zustandes drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit, Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 – 2 BvR 2957/12 Rn. 27).
7
Neben der sorgfältigen Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen ist der Tatrichter auch verpflichtet, die wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2013 – 3 StR 311/13). Denn auf eine ausreichende Begründung zukünftiger Gefährlichkeit des Beschuldigten für die Allgemeinheit kann nicht verzichtet werden, selbst wenn dessen Gesundheitszustand durch eine längerfristige Behandlung gebessert werden könnte, da nur die Belange der öffentlichen Sicherheit – nicht aber die Bemühungen um die Gesundheit des Patienten – es rechtfertigen können , einen Menschen mit den Mitteln des Strafrechts auf unbestimmte Zeit einer Freiheitsentziehung zu unterwerfen (BGH aaO).
8
b) An einer nachvollziehbaren Darlegung der zukünftigen krankheitsbedingten Gefährlichkeit des Beschuldigten mangelt es dem angefochtenen Urteil.
9
aa) Auch wenn sich die Feststellung einer durch den Hang bereits indizierten Gefährlichkeit bei § 66 StGB von der auf einem der in § 20 StGB aufgeführten Zustände beruhenden Gefährlichkeit bei § 63 StGB unterscheidet, sind – nicht anders als bei § 66 StGB (vgl. dazu etwa BGH, Urteil vom 13. März 2013 – 2 StR 392/12) – auch (und insbesondere) für die im Rahmen des § 63 StGB anzustellende Gefährlichkeitsprognose etwaige Vortaten von besonderer Bedeutung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Februar 2004 – 2 BvR 2029/01, NJW 2004, 739, 743; Boetticher u.a., NStZ 2006, 537, 538, 541). So ist einerseits als ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten anzusehen, dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine erheblichen Straftaten begangen hat (vgl. etwa BGH, Urteile vom 10. Dezember 2014 – 2 StR 170/14, NStZ-RR 2015, 72, 73; vom 8. Oktober 2015 – 4 StR 86/15 jeweils mwN). Andererseits kann sogar lange zurückliegenden Taten eine indizielle Bedeutung für die Gefährlichkeitsprognose zukommen, wenn sie in einem inneren Zusammenhang zu der festgestellten Erkrankung gestanden haben und deren Ursache nicht in anderen, nicht krankheitsbedingten Umständen zu finden ist (vgl. BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11). Maßgeblich sind insofern insbesondere die individuell bedeutsamen Bedingungsfaktoren für die bisherige Delinquenz, deren Fortbestand, ihre fehlende Kompensation durch protektive Umstände und das Gewicht dieser Faktoren in zukünftigen Risikosituationen (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 2009 – 5 StR 296/09, NJW 2010, 245).
10
Ausgehend hiervon hätte es näherer Darlegungen bei der Gefährlichkeitsprognose dazu bedurft, ob und inwiefern die früher abgeurteilten Taten in Zusammenhang mit der nunmehr festgestellten Erkrankung des Beschuldigten stehen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 15. Juli 2015 – 4 StR 277/15; Boetticher u.a., NStZ 2006, 537, 541, 543; sowie BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 2013 – 2 BvR 1690/13). Hierfür reicht nicht aus, dass der Sachverständige – undihm folgend die Strafkammer – diese als „auffällig“ bezeichnete und auf schon längere Zeit vorliegende „paranoide Akzente“ verwies. Ein Zusammen- hang zwischen den Vortaten und der Erkrankung des Beschuldigten ist damit (noch) nicht – wie erforderlich: sicher – festgestellt (vgl. BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11).
11
bb) Bleiben die früheren Taten außer Betracht, ist die Gefährlichkeitsprognose indes nicht hinreichend nachvollziehbar.
12
Insbesondere kann allein mit der im Allgemeinen erhöhten Kriminalitätsbelastung schizophren Erkrankter die Gefahrenprognose nicht begründet werden (BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11; vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15). Maßgeblich sind stattdessen die konkrete Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung (BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15) sowie die auf die Person des Beschuldigten und seine konkrete Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung von Delikten jenseits der Anlasstaten belegen können (BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11; zu situativen Risikofaktoren auch BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15).
13
Zur mit der Erkrankung des Beschuldigten in Verbindung stehenden Kriminalitätsentwicklung fehlen – wie ausgeführt – tragfähige Feststellungen. Soweit der Beschuldigte nach den Anlasstaten mehrmals in einen hochgradigen und nicht oder kaum mehr kontrollierbaren Erregungszustand geraten ist, ist es zu Tätlichkeiten nicht gekommen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 3. Juni 2015 – 4 StR 167/15). Auch waren die von ihm ausgesprochenen Bedrohungen nach den Feststellungen nicht geeignet, zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens zu führen (vgl. hierzu etwa BGH, Urteil vom 29. September 2015 – 1 StR 287/15, NJW 2016, 341, 342; Beschluss vom 18. Juli 2013 – 4 StR 168/13, NJW 2013, 3383, 3385: nahe liegende Gefahr der Verwirklichung).
14
Die Krankheitsgeschichte des Beschuldigten ist vom Landgericht – über die Unterbringung nach § 64 StGB hinaus – nur insoweit dargestellt worden, als ein Sachverständiger trotz einer dissozialen Persönlichkeitsstörung noch die „volle“ Schuldfähigkeit bejaht hat, einweiterer Sachverständiger – ebenfalls im März 2015 – dagegen eine paranoide Psychose und eine dissoziale Persönlichkeitsstörung angenommen hat, während der (dritte) in der Hauptverhandlung angehörte Sachverständige (nur) eine paranoide Psychose diagnostiziert hat. Angaben dazu, wann die Krankheit erstmals aufgefallen ist und wie sich die Symptomatik im Verlauf der Zeit entwickelt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15), fehlen. Da das Urteil abgesehen von dem Hinweis, dass sich für eine Persönlichkeitsstörung „keine Anhaltspunkte“ gefunden hätten (UA S. 39), zudem eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den früheren Gutachten ebenso vermissen lässt wie eine nähere Darstellung und Auseinandersetzung mit dem in Zusammenhang mit der Anordnung der Maß- regel nach § 64 StGB erstatteten Gutachten, ermöglicht das Urteil dem Senat nicht, die Entscheidung – wie erforderlich – nachzuvollziehen.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 311/13
vom
1. Oktober 2013
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
1. Oktober 2013 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 30. April 2013 aufgehoben; die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen bleiben aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. Die hiergegen gerichtete, auf Verfahrensrügen und sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Beschuldigten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Beschuldigte seit 1984 an einer hebephrenen Psychose, die sich seither in situationsinadäquatem Verhalten, Verwahrlosung und Desorganisation äußerte. Er stand seit dieser Zeit unter Betreuung, war beginnend mit dem Sommer 1989 im Wesentlichen obdachlos und entwickelte eine schwere Alkoholabhängigkeit und eine konstante Inkontinenz. Mehrfach befand er sich in stationärer psychiatrischer Behandlung. Bei den Klinikaufenthalten erholte er sich jeweils schnell, um alsbald das Krankenhaus wieder zu verlassen und erneut in den Alkoholmissbrauch und die Verwahrlosung abzugleiten. Er nächtigte, weil er wegen seiner Inkontinenz oft nicht in Obdachlosenunterkünften verbleiben konnte, häufig in den Foyers von Geldinstituten, die er entsprechend verschmutzte. Die zahlreichen gegen ihn deshalb wegen Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigung geführten Ermittlungsverfahren wurden wegen Schuldunfähigkeit eingestellt. Inzwischen zeigt sich bei ihm das Krankheitsbild einer langjährigen, chronifizierten paranoiden Schizophrenie mit illusionären Verkennungen und Wahnwahrnehmungen , die sich zu systematisierten Wahnideen verdichtet haben und die er als beeinträchtigend erlebt. In deren Zentrum steht eine imaginäre Person namens "Kerski", die ihn mit "Toyota-Erpresserkugeln" sowie mit Gummipuppen und Blechmenschen bedroht.
3
Seit Juni 2010 hielt sich der Beschuldigte häufig im Bereich einer Kirche auf. Da er bei schlechtem Wetter den Kircheninnenraum verunreinigte, musste ihm von dem Gemeindepfarrer H. Hausverbot erteilt werden, das, nachdem der Beschuldigte danach die Kirche von außen und den sie umgebenden Friedhof verschmutzt hatte, auf das gesamte Kirchengelände ausgedehnt wurde. Der Beschuldigte hielt sich häufig nicht daran. Pfarrer H. sah indessen aus Mitleid von Strafanzeigen ab. Wenn der Beschuldigte auf einer Bank vor dem Friedhof saß, führte er oft mit lautstarker Stimme schreiend Selbstgesprä- che, die den Pfarrer im Gemeindehaus bei der Arbeit störten. Am 16. Juni 2012 schrie der Beschuldigte wieder herum. Als Pfarrer H. - wie schon öfter im Verlauf der letzten Jahre - hinausging und den Beschuldigten aufforderte, sich zu entfernen, blieb der Beschuldigte entgegen bisheriger Gewohnheit auch dann noch vor Ort, als der Pfarrer ankündigte, die Polizei zu rufen, und sich zur Verstärkung seiner Drohung mit seinem Mobiltelefon beschäftigte und vorgab, eine Nummer zu wählen. Der Beschuldigte nahm an diesem Tag in wahnhafter Realitätsverkennung an, bei Pfarrer H. handele es sich um eine von "Kerski" erschaffene Gummipuppe. Er fühlte sich von dieser bedroht und schlug dem Pfarrer deshalb mit einer großen, eineinhalb Liter fassenden und noch zur Hälfte mit einem Getränk gefüllten Plastikflasche kräftig auf den Kopf. Der Schlag zerstörte die Brille des Pfarrers und verursachte eine dislozierte Jochbogenfraktur, was zu einer dauerhaften, unauffälligen aber wahrnehmbaren Delle im Jochbein geführt hat.
4
Sachverständig beraten hat das Landgericht angenommen, dass der Beschuldigte in psychotischer Verkennung der Realität und damit ohne Unrechtseinsicht gehandelt habe. Da der Beschuldigte eine notwendige Behandlung verweigere, sei mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Begehung von der Anlasstat vergleichbaren Taten zu rechnen.
5
2. Während die Verfahrensrügen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Beschuldigten aufzeigen, hält die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
6
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht , dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat (en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2013 - 2 StR 94/13 mwN). Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist der Tatrichter auch verpflichtet, die wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen.
7
b) Während die psychische Erkrankung des Beschuldigten sowie dessen hierauf beruhende Schuldunfähigkeit bei der Tatbegehung ausreichend festgestellt und in der Beweiswürdigung belegt sind, fehlt es an einer ausreichenden Darlegung einer zukünftigen Gefährlichkeit des Beschuldigten.
8
Das Landgericht hat sich dem gehörten Sachverständigen angeschlossen. Dieser hat aus einer Beurteilung in Anlehnung an das Verfahren HCR 20 (historical clinical risk management - zu Einzelheiten vgl. Dahle, Grundlagen und Methoden der Kriminalprognose in Kröber u.a.: Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 3, S. 1, 30 f.) das Risiko gewalttätigen Verhaltens des Beschuldigten als deutlich erhöht bezeichnet. Der von dem Beschuldigten erreichte Totalwert (25 von 40 Punkten) liege deutlich oberhalb der Mittelwertbereiche für zivilpsychiatrische Patienten und innerhalb der Mittelwertbereiche für forensisch-psychiatrische Patienten. Es sei deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Anlasstat vergleichbaren Taten zu rechnen (UA S. 14). Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht bei der Prognose zukünftigen Verhaltens einseitig das Ergebnis des vom Sachverständigen genutzten statistischen Prognoseinstruments in den Blick genommen und dabei außer Acht gelassen hat, dass solche Instrumente zwar Anhaltspunkte über die Ausprägung eines strukturellen Grundrisikos liefern, indes nicht in der Lage sind, eine fundierte Einzelbetrachtung zu ersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203, 204; Urteil vom 11. Mai 2010 - 1 StR 40/10, NStZ 2010, 504, 506; Beschluss vom 22. Juli 2010 - 3 StR 169/10, StraFo 2011, 62; Beschluss vom 24. April 2013 - 5 StR 83/13 - juris). Eine solche Einzelbetrachtung muss sich auch mit dem Umstand auseinandersetzen , dass der Beschuldigte - jedenfalls nach den bisherigen Feststellungen - trotz einer bereits seit fast 30 Jahren bestehenden Erkrankung erstmals mit einer in den Bereich der mittleren Kriminalität fallenden Straftat in Erscheinung getreten ist. Zwar teilt das Urteil mit, der Bundeszentralregisterauszug des Beschuldigten weise seit 1991 insgesamt 78 Eintragungen zu Ermittlungsverfahren auf, die wegen Schuldunfähigkeit des Beschuldigten eingestellt worden sind; es ist indes nicht festgestellt, welche Taten des Beschuldigten den Verfahren zugrunde lagen, insbesondere ob sich darunter solche von gewisser Erheblichkeit befanden. Angesichts der an anderer Stelle im Urteil getroffenen Feststellung über 11 Ermittlungsverfahren wegen der Übernachtungen in den Räumen von Kreditinstituten allein in den Jahren 2011/2012 (UA S. 5) liegt es nahe, dass es sich auch bei den anderen Verfahren um solche wegen Delikten minderer Intensität gehandelt hat. Wenn aber nach jahrzehntelanger Erkrankung eine vereinzelte Tat der gefährlichen Körperverletzung zum Anlass für eine Unterbringung nach § 63 StGB genommen wird, bedarf es eingehenderer Darlegungen, warum der Beschuldigte jetzt seine paranoiden Ängste erstmals auf diese Weise ausagiert hat und unter welchen Umständen zukünftig von ihm welche Taten zu erwarten sind.
9
Im Hinblick auf die Verbesserung der Lebenssituation, die der Beschuldigte im Rahmen seiner vorläufigen Unterbringung in der Klinik für forensische Psychiatrie des LVR Klinikums E. nach den Feststellungen des Landgerichts derzeit erlebt (UA S. 7 und 15), bemerkt der Senat ergänzend: Auf eine ausreichende Begründung zukünftiger Gefährlichkeit des Beschuldigten für die Allgemeinheit kann nicht verzichtet werden, selbst wenn dessen Gesundheitszustand durch eine längerfristige Behandlung in einem forensischpsychiatrischen Krankenhaus gebessert werden könnte, denn nur die Belange der öffentlichen Sicherheit - nicht aber die Bemühungen um die Gesundheit des Patienten - können es rechtfertigen, einen Menschen auf unbestimmte Zeit einer Freiheitsentziehung zu unterwerfen (vgl. LK/Schöch, StGB, 12. Aufl., § 63 Rn. 1 mwN).
10
c) Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sind rechtsfehlerfrei getroffen und können deshalb aufrechterhalten bleiben.
Becker Pfister RiBGH Mayer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Gericke Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 S t R 2 3 9 / 1 5
vom
2. September 2015
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschuldigten am 2. September 2015 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 19. Februar 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Beschuldigten. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Beschuldigte an einer schizoaffektiven Störung. Im Frühjahr 2014 befand er sich in einer manischen Phase. Er mietete am 15. Mai 2014 ein Hotelzimmer, wobei er die Hotelangestellte an der Rezeption fragte, ob sie mit ihm ausgehen wolle, was diese aber verneinte. Über die Zurückweisung ärgerte sich der Beschuldigte so sehr, dass er später ein Plisseerollo am Badezimmerfenster des Hotelzimmers aus der Verankerung riss, einen Vorhang in Brand setzte, den Inhalt eines Aschenbechers im Zimmer verstreute und das Bett verrückte. Den Brand am Vorhang löschte er alsbald.
3
Das Landgericht hat darin zwei rechtswidrige Taten der Sachbeschädigung gesehen, bei denen die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten aufgehoben gewesen war. Es hat ferner angenommen, weitere erhebliche rechtswidrige Taten des Beschuldigten seien zu erwarten. Kurz nach den genannten Handlungen habe der Beschuldigte am Flughafen in H. erneut mit einem Feuerzeug hantiert und einen Computermonitor in Brand gesetzt. Später habe er seinen Vater geschlagen und seine Mutter getreten. Der Beschuldigte werde immer dann gefährlich, wenn er unter wahnhaften Ängsten leide. Der gerichtliche Sachverständige habe unter Anwendung der HCR-20-Checkliste dargelegt, dass bei ihm ein mittelgradig erhöhtes Risiko für Gewalttaten bestehe. Vor diesem Hintergrund sei die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus auch verhältnismäßig, obwohl die Anlasstaten die Erheblichkeitsschwelle noch nicht überschritten hätten.

II.

4
Gegen diese Bewertung bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.
5
1. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie setzt zunächst voraus, dass zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defektes schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2015 - 4 StR 514/14, NStZ-RR 2015, 169 f.).
6
In den Urteilsgründen des Landgerichts bleibt schon unklar, weshalb die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten bei der Begehung der rechtswidrigen Taten aufgehoben gewesen sein soll. Immerhin löschte er den Brand am Vorhang "relativ schnell". Auch ist nicht erkennbar, dass den Handlungen im Hotelzimmer eine paranoide Symptomatik zu Grunde gelegen hat; sein Randalieren könnte auch eine noch normalpsychologisch erklärbare Reaktion auf die Zurückweisung durch die Hotelangestellte gewesen sein. Deren Eindruck vom Erscheinungsbild des Beschuldigten ist in den Urteilsgründen nicht mitgeteilt worden, sondern nur der "Eindruck, den sie von dem Hotelzimmer gehabt habe".
7
2. Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt auch nur in Betracht, wenn im Urteilszeitpunkt eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht , dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben.
8
a) Die vom Landgericht hervorgehobene Auswertung einer Checkliste durch den Sachverständigen besitzt dafür nur eine geringe Aussagekraft (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2013 - 3 StR 311/13, StV 2015, 216 f.), zumal deren Resultate nicht näher erläutert wurden.
9
b) Die Prüfung des Grades der Wahrscheinlichkeit weiterer Taten und ihrer Art ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln. Die hierauf bezogenen Betrachtungen des Landgerichts sind jedoch nicht erschöpfend.
10
Schizoaffektive Störungen verlaufen phasenhaft, wobei es auch zu Zeiten vollständiger Remission kommen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2015 - 4 StR 514/14, NStZ-RR 2015, 169, 170). Der vom Landgericht gehörte Sachverständige hat sechs Krankheitsschübe bei dem Beschuldigten im Zeitraum von 2006 bis Frühjahr 2014 unterschieden. In der ersten Phase war es zu einem Rückzugsverhalten gekommen, in der zweiten Phase zu beleidigendem Verhalten, in der dritten Phase wiederum zu einem Rückzug, in der vierten Phase zu einer versuchten Nötigung, in der fünften Phase war der Beschuldigte "streitlustig". Bei dem sechsten Schub war es anfänglich während eines Aufenthalts in P. nicht zu aggressivem Verhalten des Beschuldigten gekommen.
11
Nach den Anlasstaten des vorliegenden Verfahrens, die keine erheblichen Taten im Sinne des § 63 StGB darstellen, reagierte der Beschuldigte auf das Erscheinen seines Vaters vor seiner Wohnung damit, dass er mit einem Messer oder Schraubendreher durch die Tür stach. Im Rahmen der vorläufigen Unterbringung kam es zu aggressivem Verhalten gegenüber Mitarbeitern des psychiatrischen Krankenhauses, das allerdings auch unter dem Blickwinkel der besonderen Situation in der Freiheitsentziehung zu beurteilen ist. Danach zeigte sich der Beschuldigte ab Oktober 2014 unauffällig. In der Hauptverhandlung war er "orientiert und aufnahmefähig. Seine Einlassung war verständlich".
12
Bei dieser Sachlage liegt es jedenfalls nicht auf der Hand, dass in Zukunft mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades auch erhebliche rechtswidrige Taten des Beschuldigten zu erwarten sind. Dies wäre mit Blick auf die störungsfreien Phasen sowie diejenigen Krankheitsschübe, die nicht zu rechtswidrigen Taten oder allenfalls zu noch nicht erheblichen Taten geführt hatten, vom Landgericht näher zu erörtern gewesen. Die Art der mit höherer Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Taten wäre nach Möglichkeit zu konkretisieren. Aggres- sive Handlungen gegen Sachen stellen oftmals keine erheblichen Taten dar. Ob Drohungen als erhebliche rechtswidrige Taten anzusehen sind, hängt davon ab, wie wahrscheinlich mit der Realisierung der Drohungen zu rechnen ist und welches Gewicht die dann zu erwartenden Handlungen haben. Dies hat das Landgericht nicht vertieft. Dies wäre aber geboten gewesen, zumal die Anlasstaten selbst noch keine erheblichen rechtswidrigen Taten waren. Eschelbach Franke Ott Zeng Bartel

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR167/15
vom
3. Juni 2015
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlicher Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 3. Juni 2015 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 26. November 2014 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. Die auf die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde dem Angeklagten die Wohnung gekündigt, weil er regelmäßig Gegenstände aus dem Fenster geworfen und kochend heißes Wasser auf die Straße gegossen hatte. Er zog in einen Verschlag auf dem Dachboden bei seinen Eltern. Auch hier kam es mehrfach zu Polizeieinsätzen, weil er Müll aus dem Dachfenster auf die Straße warf und mit seinen Eltern in Streit geriet. Die Eltern erteilten ihm Hausverbot.
3
Das Landgericht hat unter II.2. der Urteilsgründe folgende Taten festgestellt :
4
a) Der Angeklagte hielt ihm im Rahmen der Führungsaufsicht auferlegte Gesprächstermine mit seinem Bewährungshelfer sowie einen Termin zur Suchtmittelkontrolle unentschuldigt nicht ein.
5
b) Am 17. Juni 2013 kam es zu einer tätlichen Auseinandersetzung mit dem Vater, nachdem dieser dem Angeklagten den Zugang zur elterlichen Wohnung verweigert hatte, und anschließend zu einer Schlägerei mit seinem Bruder , der dem Vater zu Hilfe geeilt war.
6
c) Am selben Tag verschaffte sich der Angeklagte trotz einer Wohnungsverweisung und eines Rückkehrverbots Zutritt zu dem Verschlag auf dem Dachboden. Gegen 22.25 Uhr begaben sich zwei Polizeibeamte zu dem Verschlag und forderten den Angeklagten auf, das Haus zu verlassen. Der Angeklagte willigte ein, wollte aber zunächst eine Zigarette rauchen. Als der Polizeibeamte G. R. dies ablehnte und nach der Tabaktüte des Angeklagten griff, riss dieser die Fäuste hoch und stürzte sich mit gesenktem Kopf auf den Polizeibeamten, so dass dieser rücklings auf den Flur fiel. Obwohl ihm der zweite Polizeibeamte, S. , zu Hilfe eilte, gelang es beiden zunächst nicht, den wild um sich schlagenden Angeklagten zu überwältigen. Beide Polizeibeamte wurden von Faustschlägen getroffen. Einem Beamten versetzte der Angeklagte zudem einen Kopfstoß. Bei der Fixierung des Angeklagten strengte sich der Beamte G. R. dermaßen an, dass er sich einen Brustwirbel ausrenkte. Mit der Hilfe von zwei weiteren Polizeibeamten wurde der Angeklagte schließlich in den Polizeigewahrsam gebracht.
7
d) Am 25. Juni 2013 drückte der Angeklagte die Eingangstür zur Wohnung des Zeugen St. auf. Er entdeckte eine Plastiktüte mit Münzgeld,die er in einen Rucksack des St. packte, um sie mitzunehmen. Der Angeklagte glaubte nun, er befinde sich in seiner eigenen Wohnung, zog sich aus und duschte. Währenddessen kehrte St. in seine Wohnung zurück. Erforderte den Angeklagten auf, die Wohnung zu verlassen. Der Angeklagte wollte den Rucksack des St. mitnehmen, was dieser durch Festhalten verhinderte. Der Angeklagte verließ daraufhin die Wohnung.
8
2. Das Landgericht hat – dem Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen Dr. M. folgend – angenommen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten, der seit 2006 an einer schizoaffektiven Psychose (ICD-10 F25) leidet und bei dem eine dissoziale Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.2) sowie Cannabis- und Kokainmissbrauch (ICD-10 F12.1, F14.1) vorliegen, bei der Begehung der Taten aufgrund eines akuten affektpsychotischen Erlebens aufgehoben war. Von der Schuldunfähigkeit war es ebenso überzeugt wie von einer hohen Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Angeklagte zukünftig auch schwerwiegendere Taten aus dem Bereich der Gewaltkriminalität begehen wird.

II.


9
Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Gefährlichkeitsprognose ist nicht tragfähig begründet (1.), dies führt zur Aufhebung des Urteils insgesamt. In den Fällen II.2.a und b der Urteilsgründe werden zudem weder die vom Landgericht angenommene Aufhebung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung dieser Taten noch der notwendige Zusammenhang zwischen der psychischen Erkrankung und der Tatbegehung hinreichend belegt (2.); schon das Vor- liegen einer rechtswidrigen Tat lässt sich anhand der Urteilsgründe jedenfalls im Fall II.2.a nicht nachvollziehen (3.).
10
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB ist eine den Betroffenen außerordentlich beschwerende Maßnahme. Nur Störungen des Rechtsfriedens, die zumindest in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinragen, rechtfertigen eine Unterbringung gemäß § 63 StGB (vgl. BVerfGE 70, 297, 312; BGH, Urteil vom 17. August 1977 – 2 StR 300/77, BGHSt 27, 246, 248; BGH, Beschluss vom 21. März 1989, NJW 1989, 2959; st. Rspr.). Auch muss aufgrund einer umfassenden Würdigung von Tat und Täter eine höhere oder doch bestimmte, jedenfalls über die bloße Möglichkeit hinausreichende Wahrscheinlichkeit zu bejahen sein, dass der schuldunfähige Täter infolge seines Zustandes weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2013 – 2 StR 94/13 mwN).
11
Die Strafkammer hat bei ihrer Gefährlichkeitsprognose hinsichtlich der Anlasstaten ausdrücklich nur auf die Tat im Fall II.2.c der Urteilsgründe abgestellt und eine erhöhte Gefahr bejaht, dass es wiederholt zu Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte und damit verbundenen Körperverletzungen wie bei den Beamten G. R. und S. kommen werde. Diese eine Tat reicht aber nicht, die für eine Unterbringung erforderliche Gefährlichkeit des Angeklagten zu belegen. Sie allein lässt nicht ausreichend erkennen, dass eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für Impulsdurchbrüche mit der Folge von Gewalttätigkeiten besteht. Zwar ist der Angeklagte auch bei der Exploration durch die Sachverständige im hiesigen Verfahren, bei einem Termin bei dem Psychiater Dr. D. und bei einer richterlichen Anhörung im Rahmen einer Unterbringung nach dem PsychKG in einen hochgradigen und nicht mehr kontrollierbaren Erregungszustand geraten. Zu Tätlichkeiten ist es in diesen Fällen aber nicht gekommen. Der Angeklagte erleidet auch nicht bei jedem Kontakt mit Polizeibeamten einen krankheitsbedingten gewalttätigen Impulsdurchbruch, wie sein unauffälliges Verhalten gegenüber den Polizisten im Fall II.2.b der Urteilsgründe zeigt. Hinzu kommt, dass er auch schon vor der Manifestation seiner Erkrankung – also nicht krankheitsbedingt – mehrfach wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung in Erscheinung getreten ist. Die Gefahrenprognose für die Unterbringung nach § 63 StGB kann aber nur auf solche zu erwartenden Taten gestützt werden, die gerade auf dem Zustand des Betroffenen beruhen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2012 – 2 StR 614/11).
12
Soweit die Strafkammer auf das sonstige Verhalten des Angeklagten – Werfen von Gegenständen und Gießen von kochend heißem Wasser aus dem Fenster – abstellt, kann dies prinzipiell eine Gefährlichkeit gegenüber der Allgemeinheit begründen. Die Strafkammer hat aber diese Vorfälle nicht, was erforderlich gewesen wäre, im Einzelnen konkret dargelegt.
13
Des Weiteren stellt die Strafkammer bei der Gefährlichkeitsprognose auf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchtende Raubdelikte zur Finanzierung des Betäubungsmittelkonsums des Angeklagten ab. Sollte sich in einer solchen Situation ein von ihm nicht mehr zu kontrollierender Affektsturm ergeben, sei mit der Anwendung unkontrollierter Gewalt mit hoher Gefahr für Leib und Leben der Opfer zu rechnen. Auch dies ist nicht mit Tatsachen belegt. Insoweit lässt das Urteil insbesondere eine Auseinandersetzung mit Tatbesonderheiten vermissen , die darin bestehen, dass der Angeklagte beim Diebstahlsversuch im Fall II.2.d der Urteilsgründe, als St. den Rucksack festhielt, die Wohnung widerstandslos ohne Beute verließ. Somit fehlt auch insoweit die notwendige umfassende Erörterung der krankheitsbedingten Gefährlichkeit unter Einschluss des bisherigen Lebens des Angeklagten.
14
2. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht.
15
Für seine Annahme, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei im gesamten Tatzeitraum aufgehoben gewesen, beruft sich das Landgericht auf das Gutachten der Sachverständigen. Näher ausgeführt wird jedoch nur, wie die Gutachterin nunmehr sicher zu ihrer Diagnose einer schizoaffektiven Psychose gelangt ist, ohne im Einzelnen näher darzulegen, wie sich diese bei den einzelnen Taten bemerkbar gemacht hat. Während ein affektiver Impulsdurchbruch im Fall II.2.c der Urteilsgründe und damit die Ursächlichkeit der psychischen Erkrankung für die Widerstandshandlungen und die Körperverletzungen nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe belegt ist, lässt sich ein solcher Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der Tatbegehung bei den übrigen Taten dem Urteil nicht entnehmen. Inwieweit der Angeklagte aufgrund der Erkrankung nicht fähig war, Gespräche mit seinem Bewährungshelfer wahrzunehmen , ist für keinen der versäumten Termine im Fall II.2.a dargetan. Im Fall II.2.b der Urteilsgründe ist es zu Tätlichkeiten gekommen, die ausweislich der mitgeteilten Vorstrafen des Angeklagten bereits vor Manifestation der Erkrankung diesem nicht wesensfremd waren. Seit 1998 ist der Angeklagte mehrfach wegen Körperverletzung bzw. gefährlicher Körperverletzung verurteilt wor- den, 1999 hatte der Angeklagte bei einer Auseinandersetzung seinen Bruder lebensgefährlich verletzt. Auch wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung ist der Angeklagte bereits 2003 mehrfach in Erscheinung getreten. Die Erkrankung besteht aber erst seit 2006. Im Fall II.2.d war der Angeklagte in die fremde Wohnung eingedrungen und hatte das Münzgeld zum Abtransport bereit gelegt, bevor er sich dort als „Eigen- tümer“ zu fühlen und zu duschen begann. In den Fällen II.2.a, b und d ist deshalb fraglich, ob und in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Taten auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307). Allein die sichere Diagnose einer psychiatrischen Erkrankung besagt nichts über die Schuldfähigkeit bei der Tat.
16
3. Dem Angeklagten war durch Beschluss des Landgerichts Essen die Anweisung erteilt worden, jeden ersten Montag des Monats um 15.00 Uhr bei seinem Bewährungshelfer vorzusprechen. Angelastet wird ihm von der Strafkammer u.a., Gesprächstermine am 8. Oktober 2012 (2. Montag des Monats), 23. Oktober 2012 (Dienstag im selben Monat), 6. November 2012 (Dienstag) und 14. November 2012 (Mittwoch desselben Monats) schuldhaft versäumt zu haben. Inwieweit die Gesprächstermine wirksam verlegt worden sind, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, auch nicht, inwieweit der Bewährungshelfer – strafbewehrt – Terminezur Suchtmittelkontrolle vorgeben konnte. Zum Inhalt des entsprechenden Beschlusses des Landgerichts Essen vom 7. Mai 2012 ist nichts Näheres mitgeteilt. Darüber hinaus vermögen reine Formalverstöße gegen eine Weisung die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht zu begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Mai 2008 – 1 StR 243/08, NStZ-RR 2008, 277).
17
4. Die Sache bedarf deshalb insgesamt der neuen Verhandlung und Entscheidung. Der Senat sieht Anlass zu folgendem Hinweis:
18
Durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl. I S. 1327) wurde der frühere Rechtszustand dahin geändert, dass es gemäß § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO nunmehr möglich ist, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen, wenn sich herausstellt , dass der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war. Das Gericht bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung einer isoliert angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuordnen und zugleich erstmals Strafe zu verhängen (vgl. BT-Drucks. 16/1344, S. 17 f.; BGH, Beschlüsse vom 27. Oktober 2009 – 3 StR 369/09, juris Rn. 9; vom 14. September 2010 – 5 StR 229/10, StraFo 2011, 55).
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 311/13
vom
1. Oktober 2013
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
1. Oktober 2013 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 30. April 2013 aufgehoben; die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen bleiben aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. Die hiergegen gerichtete, auf Verfahrensrügen und sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Beschuldigten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Beschuldigte seit 1984 an einer hebephrenen Psychose, die sich seither in situationsinadäquatem Verhalten, Verwahrlosung und Desorganisation äußerte. Er stand seit dieser Zeit unter Betreuung, war beginnend mit dem Sommer 1989 im Wesentlichen obdachlos und entwickelte eine schwere Alkoholabhängigkeit und eine konstante Inkontinenz. Mehrfach befand er sich in stationärer psychiatrischer Behandlung. Bei den Klinikaufenthalten erholte er sich jeweils schnell, um alsbald das Krankenhaus wieder zu verlassen und erneut in den Alkoholmissbrauch und die Verwahrlosung abzugleiten. Er nächtigte, weil er wegen seiner Inkontinenz oft nicht in Obdachlosenunterkünften verbleiben konnte, häufig in den Foyers von Geldinstituten, die er entsprechend verschmutzte. Die zahlreichen gegen ihn deshalb wegen Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigung geführten Ermittlungsverfahren wurden wegen Schuldunfähigkeit eingestellt. Inzwischen zeigt sich bei ihm das Krankheitsbild einer langjährigen, chronifizierten paranoiden Schizophrenie mit illusionären Verkennungen und Wahnwahrnehmungen , die sich zu systematisierten Wahnideen verdichtet haben und die er als beeinträchtigend erlebt. In deren Zentrum steht eine imaginäre Person namens "Kerski", die ihn mit "Toyota-Erpresserkugeln" sowie mit Gummipuppen und Blechmenschen bedroht.
3
Seit Juni 2010 hielt sich der Beschuldigte häufig im Bereich einer Kirche auf. Da er bei schlechtem Wetter den Kircheninnenraum verunreinigte, musste ihm von dem Gemeindepfarrer H. Hausverbot erteilt werden, das, nachdem der Beschuldigte danach die Kirche von außen und den sie umgebenden Friedhof verschmutzt hatte, auf das gesamte Kirchengelände ausgedehnt wurde. Der Beschuldigte hielt sich häufig nicht daran. Pfarrer H. sah indessen aus Mitleid von Strafanzeigen ab. Wenn der Beschuldigte auf einer Bank vor dem Friedhof saß, führte er oft mit lautstarker Stimme schreiend Selbstgesprä- che, die den Pfarrer im Gemeindehaus bei der Arbeit störten. Am 16. Juni 2012 schrie der Beschuldigte wieder herum. Als Pfarrer H. - wie schon öfter im Verlauf der letzten Jahre - hinausging und den Beschuldigten aufforderte, sich zu entfernen, blieb der Beschuldigte entgegen bisheriger Gewohnheit auch dann noch vor Ort, als der Pfarrer ankündigte, die Polizei zu rufen, und sich zur Verstärkung seiner Drohung mit seinem Mobiltelefon beschäftigte und vorgab, eine Nummer zu wählen. Der Beschuldigte nahm an diesem Tag in wahnhafter Realitätsverkennung an, bei Pfarrer H. handele es sich um eine von "Kerski" erschaffene Gummipuppe. Er fühlte sich von dieser bedroht und schlug dem Pfarrer deshalb mit einer großen, eineinhalb Liter fassenden und noch zur Hälfte mit einem Getränk gefüllten Plastikflasche kräftig auf den Kopf. Der Schlag zerstörte die Brille des Pfarrers und verursachte eine dislozierte Jochbogenfraktur, was zu einer dauerhaften, unauffälligen aber wahrnehmbaren Delle im Jochbein geführt hat.
4
Sachverständig beraten hat das Landgericht angenommen, dass der Beschuldigte in psychotischer Verkennung der Realität und damit ohne Unrechtseinsicht gehandelt habe. Da der Beschuldigte eine notwendige Behandlung verweigere, sei mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Begehung von der Anlasstat vergleichbaren Taten zu rechnen.
5
2. Während die Verfahrensrügen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Beschuldigten aufzeigen, hält die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
6
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht , dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat (en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2013 - 2 StR 94/13 mwN). Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist der Tatrichter auch verpflichtet, die wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen.
7
b) Während die psychische Erkrankung des Beschuldigten sowie dessen hierauf beruhende Schuldunfähigkeit bei der Tatbegehung ausreichend festgestellt und in der Beweiswürdigung belegt sind, fehlt es an einer ausreichenden Darlegung einer zukünftigen Gefährlichkeit des Beschuldigten.
8
Das Landgericht hat sich dem gehörten Sachverständigen angeschlossen. Dieser hat aus einer Beurteilung in Anlehnung an das Verfahren HCR 20 (historical clinical risk management - zu Einzelheiten vgl. Dahle, Grundlagen und Methoden der Kriminalprognose in Kröber u.a.: Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 3, S. 1, 30 f.) das Risiko gewalttätigen Verhaltens des Beschuldigten als deutlich erhöht bezeichnet. Der von dem Beschuldigten erreichte Totalwert (25 von 40 Punkten) liege deutlich oberhalb der Mittelwertbereiche für zivilpsychiatrische Patienten und innerhalb der Mittelwertbereiche für forensisch-psychiatrische Patienten. Es sei deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Anlasstat vergleichbaren Taten zu rechnen (UA S. 14). Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht bei der Prognose zukünftigen Verhaltens einseitig das Ergebnis des vom Sachverständigen genutzten statistischen Prognoseinstruments in den Blick genommen und dabei außer Acht gelassen hat, dass solche Instrumente zwar Anhaltspunkte über die Ausprägung eines strukturellen Grundrisikos liefern, indes nicht in der Lage sind, eine fundierte Einzelbetrachtung zu ersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203, 204; Urteil vom 11. Mai 2010 - 1 StR 40/10, NStZ 2010, 504, 506; Beschluss vom 22. Juli 2010 - 3 StR 169/10, StraFo 2011, 62; Beschluss vom 24. April 2013 - 5 StR 83/13 - juris). Eine solche Einzelbetrachtung muss sich auch mit dem Umstand auseinandersetzen , dass der Beschuldigte - jedenfalls nach den bisherigen Feststellungen - trotz einer bereits seit fast 30 Jahren bestehenden Erkrankung erstmals mit einer in den Bereich der mittleren Kriminalität fallenden Straftat in Erscheinung getreten ist. Zwar teilt das Urteil mit, der Bundeszentralregisterauszug des Beschuldigten weise seit 1991 insgesamt 78 Eintragungen zu Ermittlungsverfahren auf, die wegen Schuldunfähigkeit des Beschuldigten eingestellt worden sind; es ist indes nicht festgestellt, welche Taten des Beschuldigten den Verfahren zugrunde lagen, insbesondere ob sich darunter solche von gewisser Erheblichkeit befanden. Angesichts der an anderer Stelle im Urteil getroffenen Feststellung über 11 Ermittlungsverfahren wegen der Übernachtungen in den Räumen von Kreditinstituten allein in den Jahren 2011/2012 (UA S. 5) liegt es nahe, dass es sich auch bei den anderen Verfahren um solche wegen Delikten minderer Intensität gehandelt hat. Wenn aber nach jahrzehntelanger Erkrankung eine vereinzelte Tat der gefährlichen Körperverletzung zum Anlass für eine Unterbringung nach § 63 StGB genommen wird, bedarf es eingehenderer Darlegungen, warum der Beschuldigte jetzt seine paranoiden Ängste erstmals auf diese Weise ausagiert hat und unter welchen Umständen zukünftig von ihm welche Taten zu erwarten sind.
9
Im Hinblick auf die Verbesserung der Lebenssituation, die der Beschuldigte im Rahmen seiner vorläufigen Unterbringung in der Klinik für forensische Psychiatrie des LVR Klinikums E. nach den Feststellungen des Landgerichts derzeit erlebt (UA S. 7 und 15), bemerkt der Senat ergänzend: Auf eine ausreichende Begründung zukünftiger Gefährlichkeit des Beschuldigten für die Allgemeinheit kann nicht verzichtet werden, selbst wenn dessen Gesundheitszustand durch eine längerfristige Behandlung in einem forensischpsychiatrischen Krankenhaus gebessert werden könnte, denn nur die Belange der öffentlichen Sicherheit - nicht aber die Bemühungen um die Gesundheit des Patienten - können es rechtfertigen, einen Menschen auf unbestimmte Zeit einer Freiheitsentziehung zu unterwerfen (vgl. LK/Schöch, StGB, 12. Aufl., § 63 Rn. 1 mwN).
10
c) Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sind rechtsfehlerfrei getroffen und können deshalb aufrechterhalten bleiben.
Becker Pfister RiBGH Mayer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Gericke Spaniol

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 392/12
vom
13. März 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Verbreitens kinderpornographischer Schriften u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 13. März
2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker
und die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
Dr. Appl,
Dr. Berger,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung und
bei der Verkündung,
Rechtsanwalt in der Verhandlung
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 29. Februar 2012 aufgehoben. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung entfällt. Der Angeklagte hat die Kosten der Revision zu tragen, jedoch wird die Gebühr um ein Drittel ermäßigt. Je ein Drittel der gerichtlichen Auslagen des ersten Revisionsverfahrens und der hier entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last, ebenso die gesamten gerichtlichen Auslagen der Neuverhandlung vor dem Landgericht und des zweiten Revisionsverfahrens sowie die gesamten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hatte den Angeklagten zunächst durch Urteil vom 29. März 2011 wegen Verbreitens kinderpornographischer Schriften in 22 Fällen und wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Auf die Revision des Angeklagten hatte der Senat dieses Urteil im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen und die weitergehende Revision als unbegründet verworfen (Beschluss vom 26. Oktober 2011 – 2 StR 328/11, StV 2012,

212).


2
Das Landgericht hat nunmehr auf der Grundlage des in Rechtskraft erwachsenen Schuld- und Strafausspruchs erneut die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dagegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

3
1. Nach den bindend gewordenen Feststellungen zu den Anlasstaten war der im Tatzeitraum 46jährige Angeklagte, der seit Geburt an einer schweren ConterganSchädigung an Armen, Händen und einem Fuß leidet, seit 2006 Nutzer eines sog. Filesharing-Netzwerks. Über dieses Netzwerk lud er Bild- und Videodateien aus dem Internet herunter, die sexuelle Handlungen an und mit Kindern wiedergaben. Spätestens seit Oktober 2008 verwandte er für das Herunterladen der Dateien und deren Speicherung auf seinem Computer eine Software, durch die von ihrem Nutzer in bestimmten Ordnern gespeicherte Dateien zum Herunterladen durch alle anderen Netzwerknutzer freigegeben wurden. Durch die Verwendung dieses Programms stellte der Angeklagte jeweils mit Zustandekommen der Internetverbindung seines Computers in der Zeit vom 14. Oktober bis zum 3. November 2008 an 21 Tagen allen bei dem Netzwerk angemeldeten Nutzern eine Videodatei zum Herunterladen zur Verfügung, die den sexuellen Missbrauch eines ca. acht- bis zehnjährigen Mädchens durch einen erwachsenen Mann zeigte. Am 20. Januar 2009 stellte er den Netzwerknutzern neben einer Reihe anderer Filmdateien mit kinderpornographischem Inhalt die Datei eines Videofilms zur Verfügung, auf dem ein ca. zehnjähriges Mädchen beim Oralverkehr mit einem erwachsenen Mann zu sehen war. Außerdem besaß der Angeklagte Bildund Filmmaterial mit kinderpornographischem Inhalt im Umfang von mehreren hunderttausend Dateien auf mehreren Speichermedien, die bei einer Durchsuchung am 20. Januar 2009 bei ihm sichergestellt wurden.
4
2. Das Landgericht hat neben den formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 StGB aF auch die materiellen Voraussetzungen gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF als erfüllt angesehen. Es hat einen auf der Pädophilie des Angeklagten beruhenden Hang zur Begehung von erheblichen Straftaten angenommen. Von dem Angeklagten sei auch in Zukunft ernsthaft die Begehung von Delikten zu erwarten, die in den Bereich des sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176 StGB) bzw. des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176a StGB) fielen. Bei der Gefährlichkeitsprognose hat das Landgericht zunächst die vier früheren Verurteilungen des Angeklagten wegen (teilweise auch schweren) sexuellen Missbrauchs von Kindern - erstmals 1979, zuletzt 1999 - und die danach erfolgte Verlagerung strafbaren Verhaltens in den Bereich des Besitzes und des Verbreitens von Kinderpornographie berücksichtigt, die als Abschwächung der Deliktsintensität zu sehen sei. Mit dem Sachverständigen ist das Landgericht hinsichtlich solcher Missbrauchsdelikte bei Tätern, die - wie der Angeklagte - bereits mit "hands-on-Delikten" aufgefallen seien und in der Folge Kinderpornographie konsumiert hätten, von einem mittelgradigen Rückfallrisiko von 40% bis 50% ausgegangen. Dieses Rückfallrisiko erfahre bei dem Angeklagten aufgrund seiner körperlichen Beschwerden eine gewisse Absenkung, die nicht zu beziffern sei. Neben dem Konsum von Kinderpornographie, der mit einer ständigen Konfrontation mit dem Thema Pädophilie verbunden und durch Entbehrung unmittelbaren sexuellen Kontakts gekennzeichnet sei, sei ausschlaggebend als risikoerhöhend zu werten, dass der Angeklagte in den vergangenen Jahren stets den Kontakt zu Kindern gesucht habe, den Kontakt zu Kindern als risikolos empfinde und weder Einsicht in die Notwendigkeit ihm angeratener Vermeidungsstrategien noch in die Schädigung von Kindern auch durch nicht gewaltsame sexuelle Übergriffe zeige.

II.

5
Der Maßregelausspruch hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand, da das Landgericht dem für die Gefährlichkeitsprognose anzuwendenden Maßstab nicht hinreichend Rechnung getragen hat.
6
1. Nach der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2365/09 u.a., BVerfGE 128, 326, 404 ff.) dürfen die - an sich verfassungswidrigen - gesetzlichen Regelungen zur Sicherungsverwahrung nur aufgrund einer "strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung" angewandt werden. Die Wahrscheinlichkeit der Begehung erheblicher Gewalt- oder Sexualdelikte muss "aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten" sein. Dies stellt gegenüber der früheren Rechtsanwendung höhere Anforderungen nicht nur an die Erheblichkeit der zu erwartenden weiteren Straftaten, sondern auch an die Wahrscheinlichkeit der künftigen Straffälligkeit des Angeklagten (vgl. BGH, Urteil vom 4. August 2011 – 3 StR 175/11, NStZ 2011, 692; Beschluss vom 13. September 2011 – 5 StR 189/11, StV 2012, 196; Beschluss vom 24. Juli 2012 – 1 StR 57/12; Senat, Beschluss vom26. Oktober 2011 – 2 StR 328/11, StV 2012, 212). Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte besonders strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung verlangt vom Tatrichter daher eine eingehende Prognoseentscheidung über das Vorliegen einer hohen Wahrscheinlichkeit der künftigen Begehung schwerer Gewalt- oder Sexualdelikte ohne die Maßregel. Dies erfordert eine auf die Umstände des Einzelfalls zugeschnittene, detaillierte Darlegung derjenigen Taten, die in Zukunft vom Täter zu erwarten sind (BGH, Beschluss vom 24. Januar 2012 – 4 StR 594/11, NStZ-RR 2012, 141; Senat, Urteil vom 18. Juli 2012 – 2 StR 605/11). Die für den Wahrscheinlichkeitsgrad zu benennenden Umstände ergeben sich dabei regelmäßig auch aus Anzahl, Frequenz und Tatbildern von Vorverurteilungen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Januar 2012 – 5 StR 535/11 u. vom 10. Januar 2013 – 1 StR 93/11).
7
2. Nach diesem Maßstab unterliegt es durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht zur Begründung der Gefährlichkeitsprognose eingangs von einem mittelgradigen Rückfallrisiko in Bezug auf sog. "hands-on-Delikte" ausgeht, ohne mit diesem wiederholt verwendeten Begriff schon die konkret zu erwartende Sexualdelinquenz näher zu beschreiben. Damit legt das Landgericht nicht dar, welche Straftaten aus der Bandbreite eines sexuellen Missbrauchs von Kindern mit welcher Wahrscheinlichkeit von dem Angeklagten zu erwarten sind, dessen letzte einschlägige Tat aus Dezember 1998 längere Zeit zurückliegt, dessen erhebliche körperliche Beeinträchtigungen aufgrund der Contergan-Schädigung weiter fortschreiten und dem der Sachverständige immerhin attestierte, dass die Strafandrohung für schwere Delikte des sexuellen Missbrauchs von Kindern bei ihm Wirkung zeige (UA S. 7). Neue Umstände , welche die Gefährlichkeitsprognose negativ beeinflussen könnten, hat das Landgericht nicht festgestellt.
8
3. Der Senat schließt nunmehr aus, dass ein neues Tatgericht noch Tatsachen feststellen könnte, die bei Beachtung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Anordnung der Sicherungsverwahrung rechtfertigen könnten. Er entscheidet deshalb selbst in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO dahin, dass die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung entfällt.
Becker Fischer Appl Berger Ott

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 1 7 0 / 1 4
vom
10. Dezember 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Diebstahls
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Dezember
2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Dr. Eschelbach,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
der Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Pflichtverteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 10. Dezember 2013 wird verworfen. 2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen. Die hiergegen gerichtete und auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft ist auf die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus beschränkt. Das - vom Generalbundesanwalt nicht vertretene - Rechtsmittel bleibt erfolglos.

I.

2
Das Landgericht hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der 36 Jahre alte Angeklagte leidet seit etwa 1996 an einer mittlerweile chronisch gewordenen schweren Psychose aus den schizophrenen Formen- kreis gemäß ICD-10 F 20.0. Typische Symptome seiner Erkrankung sind ein paranoides Wahnerleben und Störungen der Impulskontrolle.
4
a) Als Folge seines Wahnerlebens bedrohte er im Januar 2001 einen Mitbewohner im Obdachlosenheim mit dem Messer und trat im Februar 2001 einer Frau in der Straßenbahn gegen den Oberschenkel. Am 3. November 2010 wurde er wegen Raubs in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Dem lag zu Grunde, dass der Angeklagte im Sommer 2009 einer Frau unvermittelt eine Plastiktüte über den Kopf stülpte, ihr mit einer Hand den Mund zuhielt und mit der anderen die Schulter umklammerte. Nach einem Gerangel, bei dem beide einen Abhang hinunter stürzten, gelang es dem Angeklagten, wie von vornherein beabsichtigt, der Geschädigten die Tasche zu entreißen. Zwar konnte die gutachterlich beratene Strafkammer keine Anhaltspunkte für eine akute schizophrene Episode zur Tatzeit feststellen. Aufgrund der bestehenden schizophrenen Grunderkrankung des Angeklagten konnte sie aber auch nicht ausschließen, dass seine Fähigkeit , das "Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln", infolge seiner Erkrankung zur Tatzeit erheblich vermindert war.
5
Nach der Entlassung aus der Strafhaft im Dezember 2012 war der Angeklagte obdach- und mittellos. Am 8. sowie am 11. Februar 2013 entwendete er in einem Ladengeschäft einige geringwertige Lebensmittel. Von Mitarbeitern darauf angesprochen gab er an, bezahlt zu haben bzw. seine Firma habe bereits bezahlt. Er ließ sich durchsuchen und gab die Waren zurück, reagierte aber im Übrigen laut und aggressiv.
6
b) Zu den Anlasstaten hat die Strafkammer folgende Feststellungen getroffen :
7
Am 26. Februar 2013 betrat der Angeklagte ein Schuhgeschäft und gab an, er wolle ein für ihn hinterlegtes und bereits bezahltes Paar Schuhe abholen. Nachdem er daraufhin gewiesen wurde, dass für ihn nichts hinterlegt worden sei, sah er sich in dem Geschäft um. Er ließ sich schließlich ein Paar Schuhe zur Anprobe aushändigen, entfernte das Sicherungsetikett und zog sie an. Einem Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes, der ihn bat, die Schuhe wieder auszuziehen , begegnete der Angeklagte laut und aggressiv. Als der Mitarbeiter versuchte , ihm Handschellen anzulegen, kam es zu einem Gerangel, bei dem niemand verletzt wurde. Die hinzugerufenen Polizeibeamten beschimpfte der Angeklagte lautstark (Fall 1).
8
Am 5. März 2013 hatte der Angeklagte die Wahrnehmung, eine ihm unbekannte Frau A. habe ihm gegenüber erklärt, sie sei die Eigentümerin einer Filiale der Firma K. in M. und er könne sich dort nehmen, was er wolle. Der Angeklagte begab sich daraufhin in die Filiale und nahm ein Paar Sportschuhe an sich. Er verließ das Geschäft, ohne die Schuhe zu bezahlen. Gegenüber der Kassiererin gab er an, die Schuhe seien ihm von der Filialleiterin geschenkt worden (Fall 2).
9
Am 6. März 2013 betrat er die Filiale erneut und steckte verschiedene Waren im Gesamtwert von rund 50 Euro in eine von ihm mitgeführte Plastiktüte. Nachdem er den Kassenbereich durchschritten hatte, sprach ihn ein Mitarbeiter an. Der Angeklagte wies wiederum daraufhin hin, dass es sich um Geschenke der Filialleiterin handele. Im Rahmen der folgenden polizeilichen Maßnahmen reagierte der Angeklagte zeitweise aggressiv und schrie die Beamten an (Fall

3).

10
2. Das Landgericht hat die Taten als Diebstahl (Fälle 2 und 3) bzw. versuchten Diebstahl (Fall 1) gewertet. Es hat angenommen, der Angeklagte habe bei Tatbegehung jeweils im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) gehandelt , da seine Einsichtsfähigkeit infolge seiner Erkrankung aufgehoben gewesen sei.
11
3. Eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hat das Landgericht abgelehnt. Gestützt auf das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen ist das Gericht zu der Einschätzung gelangt, dass bei dem dauerhaft an einer schizophrenen Psychose erkrankten Angeklagten eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für die Begehung erheblicher rechtswidriger Taten nicht bestehe.
12
Zwar seien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weitere Diebstahlstaten wie die festgestellten zu erwarten. Diese seien jedoch nicht als erheblich im Sinne des § 63 StGB einzustufen.
13
Für darüber hinaus gehende erhebliche Taten, insbesondere Gewalttaten , könne dagegen die erforderliche Gefahrenprognose nicht gestellt werden. Zwar sei der Angeklagte krankheitsbedingt im Jahr 2001 mit Gewalttaten in Erscheinung getreten. Seit nunmehr über zwölf Jahren seien aber keine weiteren vergleichbaren Übergriffe erfolgt. In Hinblick auf den Handtaschenraub im Jahr 2009 sei nicht festzustellen, dass die psychische Erkrankung des Angeklagten für die - auch normalpsychologisch erklärbare - Tat (mit-)ursächlich geworden wäre. Zudem sei die Fähigkeit des Angeklagten zu derart komplexen Tathandlungen inzwischen krankheitsbedingt sehr eingeschränkt und Anhaltspunkte für eine Gefahrensteigerung durch eine Verschärfung der Gedankenwelt bei dem Angeklagten seien nicht ersichtlich. Zwar habe der Angeklagte in den letzten Jahren lange Zeit in eng strukturierten und gesicherten Verhältnissen gelebt. Der Angeklagte sei aber auch außerhalb solcher geschützter Verhältnisse und unter psychotischem Erleben - selbst in sehr konfliktbeladenen Situationen - lediglich verbal aggressiv geworden bzw. habe laut geschrien. Zu zielgerichteten Tätlichkeiten gegen eine Person sei es nicht gekommen.

II.


14
Die Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg.
15
1. Die Staatsanwaltschaft hat den Freispruch des Angeklagten von dem Revisionsangriff ausgenommen. Die Beschränkung des Rechtsmittels ist im vorliegenden Fall zulässig (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juni 2008 - 4 StR 140/08, juris Rn. 14 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 318 Rn. 24).
16
2. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine die Unterbringung nach § 63 StGB rechtfertigende Gefährlichkeitsprognose verneint hat, halten rechtlicher Überprüfung stand.
17
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht , dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat (en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 5. Juni 2013 - 2 StR 94/13; BGH, Beschluss vom 29. April 2014 - 3 StR 171/14, jeweils mwN). An die Darlegungen sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt (BGH, Beschluss vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12, juris Rn. 10; Beschluss vom 4. Juli 2012 - 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338; Senat, Beschluss vom 8. November 2006 - 2 StR 465/06, NStZ-RR 2007, 73, 74).
18
b) Diese Grundsätze hat das Landgericht bei seiner Entscheidung beachtet.
19
Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob der Auffassung des Landgerichts zu folgen ist, der Tritt gegen den Oberschenkel im Jahre 2001 sei für sich genommen nicht als Tat zumindest mittlerer Kriminalität zu bewerten (UA S. 48). Denn das Landgericht ist mit rechtsfehlerfreien Erwägungen davon ausgegangen , dass bei dem Angeklagten keine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für die künftige Begehung vergleichbarer Gewaltdelikte besteht.
20
Dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine erheblichen Straftaten begangen hat, ist ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger solcher Straftaten (vgl. Senat, Beschluss vom 11. März 2009 - 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198, 199; Urteil vom 17. November1999 - 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27; BGH, Beschluss vom 4. Juli 2012 - 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338). Da der Angeklagte wiederholt auch in sehr problematischen Verhältnissen wie etwa in Obdachlosenheimen oder in Notschlafstellen gelebt und auch in konfliktbeladenen Situationen (wie nach Entdecken seiner Diebstahlstaten) keine Person gezielt körperlich angegriffen hat, ist es nicht zu beanstanden, dass das Gericht unter Abwägung aller Umstände davon ausgegangen ist, dass krankheitsbedingte tätliche Übergriffe seitens des Angeklagten künftig lediglich "möglich" seien. Damit feh- len Feststellungen zum Vorliegen einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades, denn eine lediglich latente Gefahr reicht für die Annahme einer Wahrscheinlichkeit (höheren Grades) nicht aus (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145, 147; Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 547/10; Senat, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241).
21
Soweit das Landgericht die von dem Angeklagten mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades zu erwartenden Eigentumsdelikte für nicht ausreichend erachtet hat, um eine Unterbringungsanordnung zu rechtfertigen, ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Fischer Appl Eschelbach Ott Zeng

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 86/15
vom
8. Oktober 2015
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. Oktober
2015, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Bender
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 18. November 2014 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Feststellungen zu der der Maßregelanordnung zugrundeliegenden rechtswidrigen Tat bleiben jedoch aufrechterhalten.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Beschuldigten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit sachlich-rechtlichen Beanstandungen. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen leidet die zur Tatzeit 53 Jahre alte Beschuldigte seit vielen Jahren an einer „paranoiden-halluzinatorischen Psychose“. Nach ihrem Erleben wurde sie 1985 in den Niederlanden vergewaltigt. Ob diese Vergewaltigung tatsächlich stattgefunden hat, konnte aus psychiatrischer Sicht nicht geklärt werden. „Der Vergewaltiger“ prägt ihr Krankheitsbild; sie hört seine Stimme, sieht ihn und findet Zeichen von ihm auf der Straße. Im Jahr 1993 hielt sie sich erstmals freiwillig in der psychiatrischen Abteilung der E.
Kliniken in G. auf. 1995 wurde sie dort erneut behandelt, nachdem sie ihre Medikamente abgesetzt und eine Tasse nach ihrer Mutter geworfen hatte. 2005 begab sie sich in das El. -Krankenhaus in G. , als sie nach dem Absetzen ihrer Medikamente spürte, dass sie kurz davor stand, das Mobiliar zu zertrümmern. 2011 war sie wiederum in den E. Kliniken in stationärer Behandlung.
3
Die Beschuldigte bewohnte zur Tatzeit bereits seit 20 Jahren eine eigene Wohnung in einem Mehrfamilienhaus in der Gr. straße in G. . Ihren Nachbarn ist sie in dieser Zeit nicht durch Besonderheiten aufgefallen. Zwei bis drei Monate vor der Tat hatte die Beschuldigte ihre Medikamente abgesetzt , weil diese zu einem Tremor im Arm geführt hatten.
4
Am Abend des 10. Juni 2014 sah die Beschuldigte fern. Die Geräusche aus dem Fernseher nahm sie als Stimmen wahr, die ihr Befehle gaben. Sie wurde aggressiv und bekam Angst. An ein Ausschalten des Fernsehers dachte sie nicht; vielmehr nahm sie einen Hammer und schlug ein Loch in den Bild- schirm. Sie beschloss, dass entweder sie oder „der Vergewaltiger“ „draufgehe“. Sie verschüttete einen Liter Terpentinersatz in ihrer Wohnung und zündete diesen an. Dann verließ sie die Wohnung mit ein paar Sachen und ihrem Meerschweinchen , die sie zuvor in eine Tasche gepackt hatte. Dass andere Menschen durch den Brand zu Schaden kommen könnten, war ihr egal. Hausbewohner alarmierten die Polizei und die Feuerwehr, die den Brand löschte. Im Schlafzimmer der Beschuldigten war die Matratze verbrannt, das Bett beschädigt. In allen Räumen hatte sich Ruß niedergeschlagen; wegen der notwendigen Renovierungsarbeiten war die Wohnung für mehrere Tage nicht bewohnbar.
5
Das Landgericht hat die Tat als vollendete schwere Brandstiftung gemäß § 306a Abs. 1 Nr. 1 2. Alternative StGB gewertet. Durch die starke Verrußung sei die Wohnung für eine beträchtliche Zeit unbewohnbar gewesen, so dass ein teilweises Zerstören eines für das Wohnen von Menschen bestimmten Gebäudeteils vorliege. Die Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB lägen nicht vor. Zwar sei davon auszugehen, dass die Einsichts- und die Steuerungsfähigkeit der Beschuldigten bei der Begehung der Anlasstat aufgrund einer akuten Phase der bei ihr seit vielen Jahren bestehenden und zuletzt medikamentös unbehandel- ten „paranoiden-halluzinatorischen Psychose“ aufgehoben gewesen sei, doch könne ihr die für eine Unterbringung erforderliche Gefahrenprognose nicht gestellt werden.
6
2. Das Urteil hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
7
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf allerdings nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für neuerliche schwere Störungen des Rechtsfriedens besteht. Dass der Täter trotz bestehenden Defekts lange Zeit keine Straftaten begangen hat, ist regelmäßig ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Straftaten. Andererseits kann aber auch schon eine erste Straftat belegen, dass der Täter für die Allgemeinheit gefährlich ist. Ob dies der Fall ist, muss aufgrund einer umfassenden Würdigung der Person des Täters, seines Vorlebens und der Symptomtat unter Ausschöpfung der erreichbaren Beweismittel geprüft werden (BGH, Urteil vom 17. November 1999 – 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
8
a) Das Urteil ist in einem wichtigen Punkt lückenhaft. Das Landgericht ist den beiden Sachverständigen bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit der Beschuldigten in vollem Umfang gefolgt. Bei der Prüfung der Gefährlichkeit der Beschuldigten sind die Sachverständigen, die eine Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung befürwortet haben, davon ausgegangen, dass die Beschuldigte aufgrund des Wahnerlebens sich zukünftig aggressiv verhalten wer- de. Ob die Sachverständigen unter „aggressivem Verhalten“ Handlungsweisen wie die früher aufgetretenen – das Werfen einer Tasse nach einem Menschen oder die Zerstörung von (eigenem) Mobiliar – verstehen oder ob sie darüber hinausgehende Handlungsweisen – wie im vorliegenden Fall eine schwere Brandstiftung – erwarten und ob das Landgericht ihnen auch insoweit folgt, ist in diesem Zusammenhang nicht erläutert worden. Der Tatrichter, der in einer schwierigen Frage den Rat eines Sachverständigen in Anspruch genommen hat und der diese Frage im Widerspruch zu dem Gutachten lösen will, muss aber die Darlegungen des Sachverständigen im Einzelnen wiedergeben, insbesondere dessen Stellungnahme zu den Gesichtspunkten, auf welche das Gericht seine abweichende Auffassung stützt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 20. März 2008 – 4 StR 5/08 Rn. 6 und vom 16. Dezember 1992 – 2 StR 440/92, BGHR StPO § 261 Sachverständiger 5 jeweils mwN).
9
b) Zum anderen lässt das Landgericht bei seiner Würdigung, die Annahme der Sachverständigen könne die Gefährlichkeitsprognose nicht tragen, außer Acht, dass der Sachverständige Prof. Dr. L. – dem es sich angeschlossen hat – der Ansicht war, die Beschuldigte werde bei Nichteinnahme der Medikamente wieder wahnhaft agieren. Unter diesen Umständen begegnet die Annahme des Landgerichts, es gebe keine Anhaltspunkte für eine erneute produktiv -psychotische Episode und damit einhergehende schwerwiegende Straftaten , durchgreifenden Bedenken. Dies gilt auch für die Einschätzung der Straf- kammer, dass eine „Steigerung in Form von aggressivem Verhalten oder sonstigen Ausfällen“ nicht bestehe. Eine solche Steigerung liegt offensichtlich mit der Anlasstat vor.
10
3. Über die Unterbringung und deren Vollstreckung muss deshalb erneut entschieden werden. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu der der Maßregelanordnung zugrundeliegenden schweren Brandstiftung können jedoch aufrechterhalten bleiben.
Mutzbauer Roggenbuck Cierniak
Franke Bender

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 267/11
vom
11. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Diebstahls u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. August
2011, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 30. November 2010 wird als unbegründet verworfen.
2. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls und versuchten Diebstahls in zwei Fällen zu einer nicht zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Von seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat es abgesehen. Die Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB wurde nicht erörtert. Die von der Staatsanwaltschaft zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision ist auf das Unterbleiben von Maßregelanordnungen nach den §§ 63, 64 StGB beschränkt.

I.


2
Das sachverständig beratene Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
1. Der Angeklagte leidet spätestens seit dem Jahr 2001 an einer "schizophrenen Psychose mit akustischen und Leibhalluzinationen sowie angedeutetem Wahnerleben". Wegen dieser Erkrankung befand er sich mehrfach in stationärer Behandlung. Zuletzt wurde er am 18. Juli 2008 aus einer psychiatrischen Fachklink entlassen. Seitdem wird er von seiner Hausärztin behandelt, die ihm Neuroleptika verschreibt. Der Angeklagte nimmt gelegentlich Amphetamin sowie seit zehn Jahren alle zwei bis drei Tage 0,5 Gramm Heroinzubereitung zu sich, um auf diese Weise die Halluzinationenzu „verringern“. Mitte des Jahres 2009 setzte er zum wiederholten Male eigenmächtig die ihm verordneten Medikamente ab.
4
Der Angeklagte ist in der Vergangenheit mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten. Im Jahr 2001 verurteilte ihn das Amtsgericht Hamm wegen räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten und setzte deren Vollstreckung zur Bewährung aus. Die Strafe wurde nach dem Ablauf der Bewährungszeit erlassen. In den Jahren 2006 bis 2008 wurde er zweimal wegen Diebstahls und einmal wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz zu Geldstrafen verurteilt. Zuletzt verurteilte ihn das Amtsgericht Hamm am 30. Januar 2009 wegen eines erneuten Diebstahls rechtskräftig zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von drei Monaten. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt. Dass die abgeurteilten Taten in einem Zusammenhang mit der psychotischen Erkrankung des Angeklagten gestanden haben, vermochte das Landgericht nicht festzustellen.
5
2. Am 2. Januar 2010 brach der Angeklagte zusammen mit einem Begleiter in einem öffentlich zugänglichen Gebäude einen Schrank auf, um darin verwahrte Gegenstände (ein Fernsehgerät und verschiedene Flaschen) zu entwenden. Noch bevor sie etwas wegnehmen konnten, wurden beide gestellt und der Polizei übergeben. Am 11. Februar 2010 entwendete der Angeklagte in einem Drogeriemarkt ein Parfüm im Wert von 15 Euro. Bei der Tat wurde er beobachtet. Noch am selben Tage drang er in die Umkleidekabine einer Sporthalle ein und durchsuchte die dort abgelegte Kleidung einer Jugendfußballmannschaft nach stehlenswerten Gegenständen. Als er ein Mobiltelefon in einem Wert von 150 Euro an sich nehmen wollte, wurde er von einem Betreuer überrascht. Der Angeklagte legte daraufhin das Mobiltelefon zurück und wartete mit dem Betreuer auf die herbeigerufene Polizei. Am 25. März 2010 stach der Angeklagte mit einem Schraubendreher in die Gummiabdichtung der Beifahrertür eines auf einem Firmengelände abgestellten Pkw, um diese aufzubrechen und das Fahrzeug nach stehlenswerten Gegenständen zu durchsuchen. Noch bevor er in das Wageninnere gelangen konnte, wurde er gestellt. Der Tat war ein Streit mit seinen Eltern vorausgegangen, der bei ihm zu einer psychischen Destabilisierung geführt hatte. In allen Fällen verfolgte der Angeklagte die Absicht, das Diebesgut zu verkaufen, um Geld für den Ankauf weiteren Heroins beizubringen.
6
3. Das Landgericht hat die Tat vom 2. Januar 2010 als versuchten Diebstahl gemäß §§ 242, 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 3, §§ 22, 23 StGB gewertet. In der Entwendung des Parfums hat es einen vollendeten Diebstahl (§ 242 Abs. 1 StGB) und in dem Vorfall in der Sporthalle einen versuchten Diebstahl gemäß §§ 242, 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, §§ 22, 23 StGB gesehen. Das Geschehen vom 25. März 2010 erfüllt aus Sicht des Landgerichts die Voraussetzungen eines versuchten Diebstahls gemäß §§ 242, 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3, §§ 22, 23 StGB.
7
Bei den Taten vom 2. Januar und 11. Februar 2010 hat das Landgericht angenommen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten auf Grund einer krankhaften seelischen Störung i.S.d. §§ 20, 21 StGB erheblich vermindert war und verhängte gegen den Angeklagten Freiheitsstrafen von zweimal fünf und einmal zwei Monaten; die daraus gebildete Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten hat es nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt. Hinsichtlich der Tat vom 25. März 2010 ist das Landgericht von einer vollständig aufgehobenen Steuerungsfähigkeit ausgegangen, weil der vorangegangene Streit mit den Eltern die bestehende Psychose verstärkt hat. Insoweit wurde der Angeklagte freigesprochen.
8
4. Eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hat das Landgericht abgelehnt und zur Begründung ausgeführt , dass entgegen der angehörten Sachverständigen nicht festgestellt werden könne, dass der Angeklagte infolge seines Zustands für die Allgemeinheit gefährlich sei. Die begangenen Taten seien nicht von einem erheblichen Gewicht. Auf die Vorverurteilungen könne die Gefahrenprognose nicht gestützt werden, weil ein Zusammenhang mit der Psychose des Angeklagten nicht feststellbar gewesen sei. Die allgemein leicht erhöhte Gefährlichkeit schizophren Erkrankter lasse keinen sicheren Schluss auf die individuelle Gefährlichkeit des Angeklagten zu. Der Angeklagte habe trotz der bestehenden Erkrankung in den Jahren 2001 bis 2006 keine Straftaten begangen. Bei den festgestellten Taten habe er sich der drohenden Festnahme nie entgegengestellt und keinen Widerstand geleistet. Auch wenn angenommen werde, dass der Angeklagte in Zukunft Taten begeht, die den festgestellten Taten vergleichbar sind, stünde seine Unterbringung außer Verhältnis zu deren Bedeutung und dem Grad seiner Gefährlichkeit (§ 62 StGB).

II.


9
Die wirksam auf den unterbliebenen Maßregelausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat in der Sache keinen Erfolg.
10
1. Die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung stand.
11
a) Hat jemand - wie vorliegend der Angeklagte - rechtswidrige Taten im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) begangen, ordnet das Gericht nach § 63 StGB die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn eineGesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Dabei kommt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 62 StGB) sowohl bei der Bestimmung des Grades der Wahrscheinlichkeit neuer Straftaten , als auch bei der Entscheidung der Frage, ob diese als erheblich einzustufen sind, eine maßstabsetzende Bedeutung zu (BVerfG, NStZ 1986, 185). Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist auf Grund ihrer zeitlichen Unbegrenztheit eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Sie kann daher nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Urteil vom 7. Januar 1997 – 5 StR 508/96, NStZ-RR 1997, 230).
12
b) Das Landgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass von dem Angeklagten in Zukunft allenfalls Straftaten zu erwarten sind, die in Art und Schwere den festgestellten Anlasstaten entsprechen.
13
Das Landgericht hat weder den Vorverurteilungen, noch den Ausführungen der angehörten Sachverständigen zu entnehmen vermocht, dass die frühe- ren Straftaten des Angeklagten und damit auch die im Jahr 2001 abgeurteilte versuchte räuberische Erpressung in einem Zusammenhang mit seiner psychotischen Erkrankung standen. Es hat deshalb zu Recht für die Beurteilung der krankheitsbedingten Gefährlichkeit des Angeklagten die Anlasstaten zum Maßstab genommen. Mit ihrem hiergegen erhobenen Einwand, dass Zusammenhänge zwischen der bereits seit 2001 bestehenden Erkrankung und den Vortaten naheliegend seien und entsprechende Feststellungen mit sachverständiger Hilfe in der Hauptverhandlung noch zu treffen gewesen wären, kann die Staatsanwaltschaft nicht durchdringen, da sie eine entsprechende Aufklärungsrüge nicht in zulässiger Form erhoben hat.
14
Auch war das Landgericht nicht gehalten, die Hintergründe der zurückliegenden Taten mitzuteilen. Zwar kann – wie die Revision zutreffend ausführt – auch lange zurückliegenden Taten eine indizielle Bedeutung für die Gefährlichkeitsprognose zukommen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juni 2008 – 4 StR 140/08, BeckRS 2008, 13076), doch wird dies regelmäßig nur bei Taten der Fall sein, die in einem inneren Zusammenhang zu der festgestellten Erkrankung gestanden haben und deren Ursache nicht in anderen, nicht krankheitsbedingten Umständen zu finden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2001 – 4 StR 540/01, BeckRS 2001, 30228853). Einen Zusammenhang zwischen den Vortaten und der Erkrankung des Angeklagten vermochte das Landgericht jedoch gerade nicht festzustellen.
15
Allein mit der im Allgemeinen erhöhten Kriminalitätsbelastung schizophren Erkrankter (vgl. Kröber/Lau in Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 2, S. 313 ff.; Nedopil, Prognosen in der Forensischen Psychiatrie, S. 153 ff.) kann eine weitergehende Gefahrenprognose nicht begründet werden. Auf die Person des Angeklagten und seine konkrete Le- benssituation bezogene Risikofaktoren, die eine individuelle Disposition zur Begehung von Delikten jenseits der Anlasstaten belegen könnten, lassen sich den getroffenen Feststellungen nicht entnehmen.
16
c) Die Bewertung der Strafkammer, die von dem Angeklagten weiterhin zu erwartenden Diebstahlstaten führen nicht zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens und können deshalb seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht rechtfertigen, weist keinen Rechtsfehler auf.
17
aa) Da das Gesetz keine Beschränkung auf bestimmte Tatbestände vorgenommen hat, kann die Frage, ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, grundsätzlich nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Beschluss vom 26. April 2001 – 4 StR 538/00, StV 2002, 477f.). Dabei können sich nähere Darlegungen erübrigen, wenn sich – wie in aller Regel bei Verbrechen oder Gewalt- und Aggressionsdelikten – eine schwere Störung des Rechtsfriedens bereits aus dem Gewicht des Straftatbestandes ergibt, mit dessen Verwirklichung gerechnet werden muss (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZRR 2011, 202; Urteil vom 12. Juni 2008 – 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564; Beschluss vom 24. November 2004 – 1 StR 493/04, NStZ-RR 2005, 72, 73). Dagegen wird die Annahme einer schweren Störung des Rechtsfriedens nur in Ausnahmefällen zu bejahen sein, wenn die zu erwartenden Delikte nicht zumindest den Bereich der mittleren Kriminalität erreichen (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 18. März 2008 – 4 StR 6/08, R & P 2008, 226, 227; Beschluss vom 18. Februar 1992 – 4 StR 27/92, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 16; Beschluss vom 28. Juni 2005 – 4 StR 223/05, NStZ-RR 2005, 303, 304; SSW-StGB/Schöch, § 63 Rn. 25 mwN.). Wichtige Gesichtspunkte bei der Einzelfallerörterung sind die vermutliche Häufigkeit neuerlicher Delikte und die Intensität der zu erwartenden Rechtsgutsbeeinträchtigungen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Hanack JR 1977, 170, 171).
18
bb) Danach hat das Landgericht die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 63 StGB rechtsfehlerfrei für nicht gegeben erachtet.
19
Diebstahlstaten, die Regelbeispiele des besonders schweren Falles gem. § 243 Abs. 1 Satz 2 StGB erfüllen, sind - wie die Revision zutreffend geltend macht - dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen und damit grundsätzlich geeignet, eine Maßregelanordnung nach § 63 StGB zu rechtfertigen (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 1989 - 2 StR 271/89 Tz. 8; Urteil vom 23. Juni 1976 – 3 StR 99/76, NJW 1976, 1949; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 63 Rn. 17; Münch- KommStGB/van Gemmeren § 63 Rn. 34 mwN).
20
Bei der gebotenen Einzelfallbewertung hat die Strafkammer jedoch zu Recht berücksichtigt, dass der Angeklagte bei drei der vier Anlasstaten gestellt werden konnte und seine Festnahme jeweils widerstandslos duldete (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Januar 1997 – 5 StR 508/96, NStZ-RR 1997, 230). Wenig erfolgversprechend angelegte und deshalb leicht zu vereitelnde Versuche stellen zudem nur eine eingeschränkte Bedrohung für die betroffenen Rechtsgüter dar. Soweit der Angeklagte seine Diebstahlstaten überhaupt vollenden konnte, war der angerichtete Schaden gering. Die vom Landgericht festgestellte Gewerbsmäßigkeit (§ 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB) bezieht sich vorrangig auf die Tatmotivation. Auf den äußeren Zuschnitt der einzelnen Taten und deren Gefährlichkeit hat sie keinen prägenden Einfluss (BGH, Beschluss vom 7. Januar 1997 – 5 StR 508/96, NStZ-RR 1997, 230).
21
Vor diesem Hintergrund weist die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten durch die Strafkammer keinen Rechtsfehler auf. Dies gilt umso mehr, wenn – wie vorliegend der Angeklagte – der Täter nur vermindert schuldfähig ist, sodass gegen ihn eine Strafe verhängt werden kann und sein rechtswidriges Verhalten deshalb nicht sanktionslos bleibt (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Februar 1992 – 4 StR 27/92, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 16; Urteil vom 23. Juni 1976 – 3 StR 99/76, NJW 1976, 1949).
22
d) Die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus ist auch nicht deshalb rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht der abschließenden Bewertung der Sachverständigen zur Gefährlichkeit des Angeklagten nicht gefolgt ist, ohne die gutachterlichen Ausführungen der Sachverständigen in allen Einzelheiten mitzuteilen. Denn die Ablehnung der Maßregelanordnung hat die Strafkammer (auch) auf Verhältnismäßigkeitserwägungen gestützt. Ob zu erwartende Straftaten erheblich sind und die Anordnung einer Unterbringung den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahrt, ist eine Rechtsfrage , die der Tatrichter zu entscheiden hat (vgl. BVerfG, NStZ 1986, 185).
23
2. Schließlich stellt auch der Umstand, dass das Landgericht eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB nicht erörtert hat, keinen durchgreifenden Rechtsfehler dar.
24
Nach § 267 Abs. 6 Satz 1 StPO müssen die Gründe für die Nichtanordnung einer Maßregel nur dann angegeben werden, wenn eine Anordnung dieser Maßregel in der Hauptverhandlung beantragt worden ist. Die Revision hat nicht vorgetragen, dass ein Antrag auf Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gestellt worden wäre. Darüber hinaus ist die Nichtanordnung einer Maßregel in den schriftlichen Urteilsgründen nur dann zu erörtern, wenn die Umstände des Einzelfalls dazu drängen (BGH, Urteil vom 9. Juni 1999 – 3 StR 89/99, NJW 1999, 2606). Dies war hier in Bezug auf § 64 StGB nicht der Fall. An einer Psychose leidende Täter, bei denen sich – wie bei dem Angeklagten – eine sekundäre Abhängigkeit von Alkohol oder Betäubungsmitteln ausgebildet hat, sind in aller Regel in einer Entziehungsanstalt nicht erfolgreich behandelbar (vgl. BVerfGE 91, 1, 22; Schöch in LK-StGB, 12. Aufl., § 64 Rn. 140; MünchKommStGB/van Gemmeren § 64 Rn. 58; Heilmann/Scherbaum in Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 4, S. 570; Penners, Zum Begriff der „Aussichtslosigkeit“ einer Entziehungskur nach § 64 StGB, 1985, S. 139 f.). Dass bei dem Angeklagten Umstände vorliegen, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten, kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden und wird auch von der Revision nicht geltend gemacht.
25
3. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels und die Überbürdung der notwendigen Auslagen des Angeklagten folgt § 473 Abs. 1 und 2 StPO.
Mutzbauer Roggenbuck Franke
RiBGH Bender ist infolge Urlaubs ortsabwesend und daher an der Unterschriftsleistung gehindert. Mutzbauer Quentin
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : nein
Veröffentlichung : ja
Zur Anwendbarkeit der Vorschrift des § 66b Abs. 1 Satz 2
StGB (im Anschluss an BGHSt 52, 205).
BGH, Urteil vom 27. Oktober 2009 – 5 StR 296/09
LG Berlin –

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 27. Oktober 2009
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. Oktober
2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richter Prof. Dr. König
alsbeisitzendeRichter,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof
alsVertreterderBundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt Sch. ,
Rechtsanwalt R.
alsVerteidiger,
Justizhauptsekretärin
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Verurteilten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 24. Februar 2009 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat die nachträgliche Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB angeordnet. Der Verurteilte hat gegen dieses Urteil Revision eingelegt, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
3
1. Der Verurteilte ist schon mehrfach bestraft worden.
4
a) Erstmals wurde er 1978 in der DDR wegen „Rowdytums“ zu einer achtmonatigen Haftstrafe verurteilt. Drei Wochen nach vollständiger Verbüßung dieser Strafe wurde er wiederum wegen „Rowdytums“ zu „17 Monaten Haft“ verurteilt. Es folgte am 27. November 1981 eine Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit versuchtem Betrug. Nach Erlass dieser Strafe kam es am 25. August 1983 zu einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr wegen Hehlerei, die der Verurteilte bis Dezember 1984 verbüßte.
5
b) Am 5. Oktober 1987 verurteilte ihn das Stadtgericht Berlin wegen eines am 26. Dezember 1986 begangenen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren. Dem lag folgendes Geschehen zugrunde:
6
Der Verurteilte geriet mit einem Arbeitskollegen im Aufenthaltsraum in einen Streit, wobei er von seinem Kontrahenten geohrfeigt wurde. Hierüber wütend geworden zog er sich in den angrenzenden Heizungskeller zurück, wo er zunächst seine Tätigkeit als Heizer aufnahm. Nicht mehr konkret feststellbare Zeit später kehrte er jedoch mit einer auf 600 bis 800 Grad Celsius erhitzten Schürstange in den Aufenthaltsraum zurück und durchbohrte damit den in einem Sessel sitzenden Kollegen im linken Unterbauch.
7
Nach Verbüßung von zwei Dritteln der erkannten Strafe ist der Verurteilte am 21. Dezember 1994 unter Reststrafaussetzung zur Bewährung entlassen worden.
8
c) Am 13. Dezember 1996 tötete der Verurteilte seine Ehefrau. Der Tat war eine mehrjährige äußerst spannungsreich geführte Beziehung vorausgegangen. Nach einer Trennung war der Verurteilte Anfang Dezember 1996 auf Betreiben seiner Ehefrau wieder bei dieser eingezogen. Schon nach wenigen Tagen verschlechterte sich die Stimmung zwischen beiden erneut. Am Tattag wurde der Verurteilte von seiner Ehefrau aufgefordert, aus der Wohnung zu „verschwinden“. Hierauf und auf ihre Beschimpfungen reagierte er „gereizt und verzweifelt“. Nach kurzzeitiger Versöhnung und einverständlichem Geschlechtsverkehr geriet die Ehefrau wiederum in Wut über den Verurteilten und verlangte abermals von ihm, die Wohnung zu verlassen. Nun konnte der Verurteilte den ständigen Wechsel von Zuwendung und Ab- lehnung nicht mehr ertragen. Er schubste seine Frau so heftig, dass sie zu Boden fiel. Dann setzte er sich auf sie und fixierte ihre Arme. Als sie lachte und ihn weiter beschimpfte, würgte er sie mit beiden Händen so kraftvoll, dass schon nach wenigen Sekunden Bewusstlosigkeit und schließlich der Tod eintraten. Der Verurteilte hielt das Opfer fünf Minuten im Würgegriff, um es „seinen Schmerz fühlen zu lassen“.
9
Aufgrund dieser Tat ist er am 4. Juli 1997 durch das Landgericht Berlin zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren wegen Totschlags verurteilt worden.
10
d) Seit seiner Selbststellung am 15. Dezember 1996 befand sich der Verurteilte ununterbrochen in Haft. Therapeutische Maßnahmen erfolgten während des Strafvollzugs im Wesentlichen deshalb nicht, weil er entsprechende Angebote nicht wahrnahm.
11
Im Strafvollzug wurden gegen den Verurteilten disziplinarische Maßnahmen infolge dort „üblicher Beleidigungen gegen Bedienstete der Justizvollzugsanstalt oder geringfügigerer körperlicher Auseinandersetzungen mit Mitgefangenen“ getroffen. Jeweils wegen vorsätzlicher Körperverletzung zum Nachteil von Mitgefangenen wurde er im Jahr 2003 zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten und im Jahr 2008 zu einer Geldstrafe verurteilt.
12
2. Das Landgericht ist sachverständig beraten zu der Überzeugung gelangt, dass der Verurteilte gefährlich sei, da er eine intensive Neigung zu Gewalttaten aufweise. Die von ihm ausgehende Gefahr sei zwar schon in dem 1997 geführten Verfahren erkennbar gewesen. Damals sei die Anordnung der Sicherungsverwahrung aber rechtlich nicht möglich gewesen, weil die Vorschrift des § 66 Abs. 3 StGB noch nicht gegolten habe.

II.


13
Die Verfahrensrügen versagen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts. Die Maßregelanordnung gemäß § 66b Abs. 1 Satz 1, 2 StGB hält auch der sachlichrechtlichen Überprüfung stand.
14
1. Das Landgericht hat die formellen Voraussetzungen des § 66b Abs. 1 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB zu Recht bejaht. In Übereinstimmung mit § 66b Abs. 1 Satz 1 StGB n.F. hat es dabei hinsichtlich der Voraussetzungen des § 66 StGB allein auf die zum Zeitpunkt seiner Entscheidung geltende Rechtslage abgestellt (vgl. BGHSt 52, 205, 207). Der Verurteilte ist wegen Totschlags und damit wegen einer Tat im Sinne des § 66b Abs. 1 Satz 1 StGB zu einer zwei Jahre übersteigenden Freiheitsstrafe verurteilt. 1987 war er durch ein Gericht der DDR bereits wegen einer Katalogtat – versuchter Mord – zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt worden. Angesichts des zugrunde liegenden Lebenssachverhalts und der hierzu mitgeteilten Verfahrenstatsachen ist diese Verurteilung ohne Weiteres berücksichtigungsfähig (vgl. Fischer, StGB 56. Aufl. § 66 Rdn. 22). Von der Strafe verbüßte der Verurteilte acht Jahre, ohne dass er sich im Zeitraum zwischen dieser Tat und der Anlasstat für einen Zeitraum von fünf Jahren auf freiem Fuß befand.
15
2. Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht einen Hang des Verurteilten zur Begehung schwerer Straftaten sowie seine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit festgestellt. Die Gefährlichkeitsprognose hat es auf eine umfassende Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Verurteilten unter besonderer Berücksichtigung seiner Vorverurteilungen gestützt. Dabei hat es sich an den individuell bedeutsamen Bedingungsfaktoren für die bisherige Delinquenz, deren Fortbestand, der fehlenden Kompensation durch protektive Umstände und dem Gewicht dieser Faktoren in zukünftigen Risikosituationen ausgerichtet. Die bei der Darstellung der Gutachten der beiden Sachverständigen erörterten Ergebnisse der operationalisierten Prognoseinstrumente (PCL-R und HCR 20) hat es ersichtlich nur zur vollständigen Erfassung der Beurteilungsaspekte verwandt, ohne dass es dem hierdurch erlangten empirischen Wissen bzw. dem statistischen Rückfallrisiko gegenüber den individuell bedeutsamen Faktoren zu viel Bedeutung beigemessen hätte (vgl. BVerfG – Kammer – NJW 2009, 980, 982; BGHSt 50, 121, 130 f.; BGH StV 2008, 300; 301; NStZ 2009, 323; NStZ-RR 2009, 75; Boetticher/Dittmann/Nedopil/Nowara /Wolf NStZ 2009, 478).
16
Auf der Grundlage der Gutachten der beiden Sachverständigen hat das Landgericht nachvollziehbar ausgeführt, dass der Hang des Verurteilten zur Begehung schwerwiegender Taten aus seiner dissozialen Persönlichkeitsstörung erwachse. Er erlebe vermehrt Wut- und Zornausbrüche, die in Verbindung mit einem Mangel an Affektsteuerung, Selbstreflexion und Empathie sowie der fehlenden Kompetenz zum Umgang mit sozialen Konflikten auch für die Zukunft erwarten ließen, dass sich bei Auseinandersetzungen ein aggressiver Impuls ungehemmt Bahn breche. Sowohl bei der zum Nachteil seiner Ehefrau begangenen Anlasstat – die zwar auch einige Züge einer Affekttat getragen habe, aber elementar von den in seiner Persönlichkeitsstruktur wurzelnden Reaktionsmustern bestimmt gewesen sei – als auch bei dem im Jahr 1987 verübten versuchten Mord seien diese Mechanismen wirksam geworden. Die Taten seien daher symptomatisch für den festgestellten Hang. Auch die Entwicklung während des Strafvollzugs hat das Landgericht in hinreichender Weise – keine Behandlung während des Vollzugs, aktuelle Sicht auf die eigene Delinquenz und ihre Ursachen, fehlender Veränderungswille – in die Gesamtbewertung der Gefährlichkeit einbezogen.
17
Eine Neigung zu Eigentums- oder Vermögensdelikten hat es hingegen nicht festgestellt.
18
3. Die Anordnung ist auch im Übrigen durch § 66b Abs. 1 StGB gedeckt.
19
Das Landgericht hat freilich neue Tatsachen im Sinne des § 66b Abs. 1 Satz 1 StGB, das heißt solche, die erst nach der Anlassverurteilung entstanden sind oder vom Richter des Ausgangsverfahrens nicht erkannt werden konnten und auf eine erhebliche Gefährlichkeit hinweisen (BGHSt 50, 180, 187; 275, 278; 373, 378; 52, 213, 215 ff.; BGHR StGB § 66b Neue Tatsachen 5), nicht feststellen können. Denn das strafrechtlich relevante Fehlverhalten während des Vollzugs sei jedenfalls Ausfluss des schon bei der Anlassverurteilung zutage getretenen Gefährdungspotenzials des Verurteilten. Von den Vorgutachtern in den Verfahren wegen der beiden Kapitalverbrechen sei zwar nicht die Diagnose einer dissozialen Persönlichkeitsstörung gestellt, aber das entsprechende Persönlichkeitsbild klar beschrieben worden.
20
Das Landgericht hat seine Entscheidung auf § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB gestützt. Danach kann materieller Anlass für die nachträgliche Anordnung der Maßregel auch sein, dass die vom Verurteilten ausgehende Gefahr zur Zeit der Verurteilung zwar schon erkennbar gewesen ist, Sicherungsverwahrung seinerzeit aber aus rechtlichen Gründen nicht angeordnet werden konnte. Die Entscheidung ist nach den konkreten Umständen des Einzelfalls revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
21
a) Die sachlichen Voraussetzungen des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB hat das Landgericht zutreffend angenommen. Gegen den Verurteilten konnte bei der Verurteilung vom 4. Juli 1997 aus rechtlichen Gründen keine Sicherungsverwahrung angeordnet werden. Denn die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1, 2 StGB waren nicht erfüllt. Mit fehlerfreien Erwägungen ist das Landgericht davon ausgegangen, dass es zur Zeit der Anlassverurteilung der nach § 66 Abs. 1 StGB erforderlichen zweiten Vorverurteilung mit Symptomcharakter (vgl. BGH StV 2007, 633; NStZ 2008, 453) ermangelte. Erst der durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl I S. 160) mit Wirkung zum 31. Januar 1998 – und damit nach der Anlassverurteilung – eingeführte § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB schuf die Möglichkeit der Anordnung der Maßregel bei der Begehung von nur zwei Symptomtaten (vgl. BGH NJW 2006, 3154).
22
Die Verurteilung vom 25. August 1983 zu Freiheitsstrafe von einem Jahr wegen Hehlerei konnte zur Begründung der formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 StGB nicht herangezogen werden. Denn ihr wohnt kein Symptomcharakter für den Hang des Verurteilten zur Begehung schwerer Gewaltdelikte inne.
23
Die zweite Verurteilung wegen Rowdytums zu „17 Monaten Haft“ schied als relevante Vorverurteilung schon aus formalen Gründen aus. Denn zwischen der zugrunde liegenden Tat und dem versuchten Mord als nächster Symptomtat war „Rückfallverjährung“ (§ 66 Abs. 4 Satz 3 und 4 StGB) eingetreten. Das erschließt sich letztlich aus dem Gesamtzusammenhang des angefochtenen Urteils, das sonst hinsichtlich der Bezeichnung maßgeblicher Fristen sehr genau abgefasst, danach auch in diesem Punkt nicht als lückenhaft anzusehen ist. Daher bedarf die Frage keiner weiteren Vertiefung, ob – was fern liegt – eine derartige Vorverurteilung mit ihrem Strafmaß – ungeachtet der Frage ihrer Verwertbarkeit gemäß § 64a Abs. 3 Satz 2, § 51 BZRG – überhaupt als Symptomtat für die Anordnung von Sicherungsverwahrung herangezogen werden durfte.
24
Die Verurteilung erfolgte spätestens im Jahr 1979, die Verbüßung war danach, wie die Revision selbst einräumt, schon etwa Mitte 1980 erledigt. Anschließend befand sich der Verurteilte, unterbrochen nur von der einjährigen Strafvollstreckung aufgrund der Verurteilung wegen Hehlerei, bis zur ersten entscheidenden Tatbegehung am 26. Dezember 1986 mehr als fünf Jahre auf freiem Fuß (§ 66 Abs. 4 Satz 4 StGB). Die zwischenzeitlich begangenen Taten der Urkundenfälschung (in Tateinheit mit versuchtem Betrug) und Hehlerei, derentwegen er in den Jahren 1981 und 1983 verurteilt worden ist, unterbrechen den Lauf der Frist nach § 66 Abs. 4 Satz 3 StGB nicht, weil es sich bei ihnen nicht um Symptomtaten handelt und hinsichtlich der Verur- teilung aus dem Jahr 1981 die Strafgrenze von einem Jahr nicht erreicht ist (vgl. BGH, Urteil vom 13. September 1989 – 3 StR 150/89, insoweit in BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 4 nicht abgedruckt; Fischer aaO § 66 Rdn. 20).
25
b) Die – verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende (BVerfG – Kammer – NJW 2009, 980, 981; BGHSt 52, 205, 209 ff. mit Anm. Peglau NJW 2008, 1634) – Regelung des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB beansprucht zunächst Gültigkeit für solche sogenannten „Altfälle“, in denen bis zum 29. Juli 2004 aufgrund fehlender bzw. eingeschränkter Anwendbarkeit des Rechts der Sicherungsverwahrung auf im Beitrittsgebiet begangene Taten Sicherungsverwahrung nicht angeordnet werden konnte (zur historischen Entwicklung BVerfG – Kammer – NJW 2009, 980, 982). Ferner erfasst sie ohne weitere Einschränkung Taten, die die Voraussetzungen des mit Wirkung zum 31. Januar 1998 (BGBl I S. 160) in Kraft gesetzten § 66 Abs. 3 StGB erfüllten, aber vor dessen Inkrafttreten begangen bzw. vor der mit Wirkung zum 29. Juli 2004 erfolgten Streichung des Art. 1a Abs. 2 EGStGB durch das Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung (BGBl I S. 1838) abgeurteilt wurden.
26
Vorliegend wurden die Taten vor dem Inkrafttreten des § 66 Abs. 3 StGB begangen und abgeurteilt. Sie bilden damit einen Teilkomplex der letztgenannten Fallgruppe. Es besteht kein Anlass, § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB in dem Sinne einengend zu interpretieren, dass die Vorschrift lediglich Fälle erfasst, in denen die Norm, welche die Anordnung von Sicherungsverwahrung gestattet, bei Aburteilung prinzipiell schon in Kraft war und lediglich aufgrund räumlicher und/oder zeitlicher Begrenzung auf den Verurteilten nicht anzuwenden war (so möglicherweise Rissing-van Saan/Peglau in LK 12. Aufl. § 66b Rdn. 125, 127; wie hier Jehle in Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB 2009 § 66b Rdn. 19).
27
(1) Eine derartige Einschränkung ist dem Wortlaut des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB nicht zu entnehmen. Sie würde dem Willen des Gesetzgebers und den von ihm verfolgten Schutzzwecken widersprechen. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien eindeutig ergibt (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses – BTDrucks. 16/4740 S. 22 f.), wollte der Gesetzgeber gerade auch diese Fallgruppe erfassen. Der auf eine engere Gesetzesfassung abzielende Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (BT-Drucks. 16/4740 S. 18) vermochte sich im Gesetzgebungsverfahren nicht durchzusetzen.
28
(2) Sachgründe für eine unterschiedliche Behandlung der in Frage stehenden Gruppen von „Altfällen“ sind nicht vorhanden. Namentlich ist eine einengende Interpretation im bezeichneten Sinn nicht unter dem Aspekt des Vertrauensschutzes geboten, sondern würde im Gegenteil – auch von Verfassungs wegen – nicht zu rechtfertigende Widersprüche bewirken. Denn das Vertrauen auf den Nichtbestand einer § 66 Abs. 3 StGB entsprechenden Regelung verdient jedenfalls keinen höheren Schutz als das Vertrauen in den anderen „Altfällen“. So war im Einigungsvertrag für im Beitrittsgebiet begangene „Alttaten“ ein Vertrauenstatbestand in Bezug auf den Ausschluss der Sicherungsverwahrung geschaffen und in der Folge durch den Gesetzgeber mehrfach bestätigt worden. Trotz des hierdurch begründeten schutzwürdigen Vertrauens „der höchsten Stufe“ (BVerfG – Kammer – NJW 2009, 980, 982, im Anschluss an Peglau NJW 2008, 1634) ist der durch § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB eingeräumte Vorrang des Schutzes der Rechtsgemeinschaft vor einzelnen besonders gefährlichen Tätern als überragendes Gemeinwohlinteresse verfassungsrechtlich anerkannt worden (BVerfG aaO; BGHSt 52, 205, 211 f.; zur Abwägung vgl. auch BVerfGE 109, 133, 186; 109, 190, 236; BVerfG – Kammer – NJW 2006, 3483, 3484). Die Abwägung kann in Fällen wie dem hier zu beurteilenden nicht abweichend ausfallen.
29
(3) Die Anwendbarkeit des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB auf die vorliegende Fallkonstellation lässt sich zudem bereits eindeutig aus der Grundsatzentscheidung des Senats zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Norm entnehmen (BGHSt 52, 205, 209). Die Entscheidung betraf zwar einen im Beitrittsgebiet abgeurteilten „Altfall“, der indes vor Inkrafttreten der allein die Sicherungsverwahrung ermöglichenden Vorschrift des § 66 Abs. 3 StGB abgeurteilt worden war. Wollte man die Norm nur auf Fälle besonderer räumlicher und zeitlicher Ausnahmen von der generell gegebenen Möglichkeit der Verhängung von Sicherungsverwahrung beschränken, hätte nachträgliche Sicherungsverwahrung gegen den damals betroffenen Verurteilten genauso wenig angeordnet werden dürfen wie gegen einen zur selben Zeit in den alten Ländern Abgeurteilten.
30
c) Zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist der Anwendungsbereich des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB – noch über die für die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung generell bestehenden engen Grenzen hinaus – besonders stark einzuschränken. Die notwendige Beschränkung ist innerhalb des Kreises derjenigen Verurteilten, die die sachlichen Voraussetzungen für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung i.V.m. § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB erfüllen, nach Gefährlichkeitsaspekten (zur Abgrenzung vgl. BGHR StGB § 66b Abs. 1 Satz 2 Voraussetzungen 2; BGH StraFo 2008, 435, 436) vorzunehmen. Danach kann die Regelung nur in besonderen Ausnahmefällen einiger weniger hochgefährlicher Täter angewendet werden (BVerfG – Kammer – NJW 2009, 980, 982 m.w.N.). Der verfassungsrechtlich zwingend erforderlichen restriktiven Handhabung der Vorschrift des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB ist dabei schon durch eine entsprechende Prüfung der Antragstellung durch die Staatsanwaltschaften Rechnung zu tragen.
31
Die genannten einschränkenden Voraussetzungen sind indes im vorliegenden Fall zweier schwerer Kapitalverbrechen fraglos erfüllt.
Basdorf Raum Brause Schaal König

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR277/15
vom
15. Juli 2015
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 15. Juli 2015 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 12. März 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsmittels – an eine andere Strafkammer zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine hiergegen eingelegte Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
Der Beschuldigte – ein Asylbewerber aus Burkina Faso – litt bereits vor seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im August 2014 an optischen und akustischen Halluzinationen. Er glaubte von Wesen verfolgt zu wer- den, die er als „Partisanen“ bezeichnete und die ihn in Gestalt verschiedener Menschen immer wieder aufsuchen und ansprechen. In seiner Wahrnehmung wollten ihn diese Erscheinungen durch ihre Anwesenheit und durch direkte Aufforderung zu bestimmten Verhaltensweisen bringen. Insbesondere fühlte er sich dahingehend unter Druck gesetzt, dass ihn diese Wesen in die Homosexualität treiben wollten. Nach seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland wurde er in der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber in Halberstadt untergebracht. Dort setzten sich seine Halluzinationen fort. Er wurde deshalb von seinen Mit- bewohnern ausgegrenzt, gehänselt und als „verrückt“ bezeichnet. Dies führte dazu, dass sich der Beschuldigte zunehmend isolierte und auch erstmals Suizidgedanken hegte, weil er sich von seiner Umwelt nicht verstanden fühlte.
4
Am 19. August 2014 entfachte der Beschuldigte auf dem Fußboden seines Zimmers in der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber unter Zuhilfenahme von verschiedenen leicht brennbaren Textilien ein Feuer, um dadurch einen Brand des Gebäudes herbeizuführen und in dem Feuer zu sterben. Zu diesem Zeitpunkt hielten sich in dem Gebäude über 100 Personen auf. Durch das Feuer wurde der mit dem Betonboden fest verklebte Kunststoffbodenbelag auf einer Fläche von einem Meter mal 60 Zentimeter in Brand gesetzt, wobei sich das Feuer selbstständig ausbreiten konnte. Der durch einen Rauchmelder alarmierte Leiter der Einrichtung konnte die bereits ca. 80 Zentimeter hohen Flammen mit einem Feuerlöscher löschen.
5
Die sachverständig beratene Strafkammer hat angenommen, der Beschuldigte sei bei der Begehung der als schwere Brandstiftung gemäß § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB zu bewertenden Anlasstat infolge einer krankhaften seelischen Störung schuldunfähig gewesen (§ 20 StGB). Er habe im Zustand einer akuten psychotischen Störung (paranoid-halluzinatorischen Psychose) mit deut- licher Störung des Realitätsbezuges gehandelt. Deshalb habe ihm die Fähigkeit zur Einsicht in das Unrecht seines Handelns gefehlt (UA 5, 7).
6
2. Die Unterbringungsentscheidung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil die zugrunde liegende Annahme, die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten sei bei der Begehung der Anlasstat aufgehoben und er deshalb gemäß § 20 StGB schuldunfähig gewesen, nicht tragfähig begründet ist.
7
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht (BGH, Urteil vom 10. Dezember 2014 – 2 StR 170/14, NStZ-RR 2015, 72, 73 mwN). Wegen fehlender Einsichtsfähigkeit ist schuldunfähig, wer infolge der bei ihm festgestellten Störung im konkreten Fall die äußeren Umstände seines Tuns oder deren ihre Strafwürdigkeit begründenden Bedeutungsgehalt nicht erkannt hat (vgl. BGH, Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 40/86, BGHSt 34, 22, 25; SSW-StGB/Kaspar, 2. Aufl., § 20 Rn. 6 mwN). Dies ist im Einzelnen darzulegen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. November 2012 – 1 StR 504/12, NJW 2013, 246 mwN).
8
b) Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die Urteilsgründe belegen nicht, dass der Beschuldigte die Anlasstat aufgrund der bei ihm festgestellten psychischen Erkrankung ohne Unrechtseinsicht begangen hat. Soweit das Landgericht im Rahmen der Beweiswürdigung dazu ausführt, es sei mit dem Sachverständigen davon auszugehen, dass der Beschuldigte zur Tatzeit und „mutmaßlich“ während eines insgesamt wesentlich größeren Zeitraumes massive Störungen von Aufmerksamkeit, Konzentration und Auffassung gezeigt habe, sodass ihm eine adäquate Realitätsprüfung seines Erlebens nicht mehr möglich gewesen sei (UA 7), wird damit nur das allgemein vorhandene Störungsbild aufgezeigt. Dass es ihm im Zeitpunkt der Anlasstat unmöglich war, das Unrecht einer Brandlegung zu erkennen und er deshalb tatsächlich ohne Unrechtseinsicht gehandelt hat, wird damit nicht belegt. Das festgestellte Wahnerleben lässt keinen unmittelbaren Bezug – etwa im Sinne entsprechender imperativer Stimmen – zu der Entscheidung für die Brandlegung am 19. August 2014 erkennen. Die für den Entschluss zur Anlasstat maßgebliche Suizidbereitschaft findet zwar ihre Ursache in der durch die psychische Erkrankung ausgelösten sozialen Isolation. Für eine fehlende Unrechtseinsicht bietet sie keinen tragfähigen Anknüpfungspunkt.
9
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:
10
Die für eine Unterbringung nach § 63 StGB erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist nur dann gegeben, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, dass der Täter infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde (BGH, Urteil vom 10. Dezember 2014 – 2 StR 170/14, NStZ-RR 2015, 72, 73 mwN). Dabei kann auch zurückliegenden Taten eine indizielle Bedeutung für die Gefährlichkeitsprognose zukommen , doch wird dies regelmäßig nur bei Taten der Fall sein, die in einem inneren Zusammenhang zu der festgestellten Erkrankung gestanden haben und deren Ursache nicht in anderen, nicht krankheitsbedingten Umständen zu finden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338; Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11, Rn. 14). Dazubedarf es konkreter Darlegungen. Allein die Feststellung, dass der Beschuldigte „auch in Italien durch Brandstiftung auffällig geworden war“ (UA 8) reicht dafür nicht aus.
VRinBGH Sost-Scheible ist Roggenbuck RiBGH Franke ist infolge infolge Urlaubsabwesenheit Urlaubsabwesenheit an der an der Unterschriftsleistung Unterschriftsleistung gehingehindert. dert. Roggenbuck Roggenbuck
Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 267/11
vom
11. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Diebstahls u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. August
2011, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 30. November 2010 wird als unbegründet verworfen.
2. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls und versuchten Diebstahls in zwei Fällen zu einer nicht zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Von seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat es abgesehen. Die Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB wurde nicht erörtert. Die von der Staatsanwaltschaft zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision ist auf das Unterbleiben von Maßregelanordnungen nach den §§ 63, 64 StGB beschränkt.

I.


2
Das sachverständig beratene Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
1. Der Angeklagte leidet spätestens seit dem Jahr 2001 an einer "schizophrenen Psychose mit akustischen und Leibhalluzinationen sowie angedeutetem Wahnerleben". Wegen dieser Erkrankung befand er sich mehrfach in stationärer Behandlung. Zuletzt wurde er am 18. Juli 2008 aus einer psychiatrischen Fachklink entlassen. Seitdem wird er von seiner Hausärztin behandelt, die ihm Neuroleptika verschreibt. Der Angeklagte nimmt gelegentlich Amphetamin sowie seit zehn Jahren alle zwei bis drei Tage 0,5 Gramm Heroinzubereitung zu sich, um auf diese Weise die Halluzinationenzu „verringern“. Mitte des Jahres 2009 setzte er zum wiederholten Male eigenmächtig die ihm verordneten Medikamente ab.
4
Der Angeklagte ist in der Vergangenheit mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten. Im Jahr 2001 verurteilte ihn das Amtsgericht Hamm wegen räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten und setzte deren Vollstreckung zur Bewährung aus. Die Strafe wurde nach dem Ablauf der Bewährungszeit erlassen. In den Jahren 2006 bis 2008 wurde er zweimal wegen Diebstahls und einmal wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz zu Geldstrafen verurteilt. Zuletzt verurteilte ihn das Amtsgericht Hamm am 30. Januar 2009 wegen eines erneuten Diebstahls rechtskräftig zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von drei Monaten. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt. Dass die abgeurteilten Taten in einem Zusammenhang mit der psychotischen Erkrankung des Angeklagten gestanden haben, vermochte das Landgericht nicht festzustellen.
5
2. Am 2. Januar 2010 brach der Angeklagte zusammen mit einem Begleiter in einem öffentlich zugänglichen Gebäude einen Schrank auf, um darin verwahrte Gegenstände (ein Fernsehgerät und verschiedene Flaschen) zu entwenden. Noch bevor sie etwas wegnehmen konnten, wurden beide gestellt und der Polizei übergeben. Am 11. Februar 2010 entwendete der Angeklagte in einem Drogeriemarkt ein Parfüm im Wert von 15 Euro. Bei der Tat wurde er beobachtet. Noch am selben Tage drang er in die Umkleidekabine einer Sporthalle ein und durchsuchte die dort abgelegte Kleidung einer Jugendfußballmannschaft nach stehlenswerten Gegenständen. Als er ein Mobiltelefon in einem Wert von 150 Euro an sich nehmen wollte, wurde er von einem Betreuer überrascht. Der Angeklagte legte daraufhin das Mobiltelefon zurück und wartete mit dem Betreuer auf die herbeigerufene Polizei. Am 25. März 2010 stach der Angeklagte mit einem Schraubendreher in die Gummiabdichtung der Beifahrertür eines auf einem Firmengelände abgestellten Pkw, um diese aufzubrechen und das Fahrzeug nach stehlenswerten Gegenständen zu durchsuchen. Noch bevor er in das Wageninnere gelangen konnte, wurde er gestellt. Der Tat war ein Streit mit seinen Eltern vorausgegangen, der bei ihm zu einer psychischen Destabilisierung geführt hatte. In allen Fällen verfolgte der Angeklagte die Absicht, das Diebesgut zu verkaufen, um Geld für den Ankauf weiteren Heroins beizubringen.
6
3. Das Landgericht hat die Tat vom 2. Januar 2010 als versuchten Diebstahl gemäß §§ 242, 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 3, §§ 22, 23 StGB gewertet. In der Entwendung des Parfums hat es einen vollendeten Diebstahl (§ 242 Abs. 1 StGB) und in dem Vorfall in der Sporthalle einen versuchten Diebstahl gemäß §§ 242, 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, §§ 22, 23 StGB gesehen. Das Geschehen vom 25. März 2010 erfüllt aus Sicht des Landgerichts die Voraussetzungen eines versuchten Diebstahls gemäß §§ 242, 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3, §§ 22, 23 StGB.
7
Bei den Taten vom 2. Januar und 11. Februar 2010 hat das Landgericht angenommen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten auf Grund einer krankhaften seelischen Störung i.S.d. §§ 20, 21 StGB erheblich vermindert war und verhängte gegen den Angeklagten Freiheitsstrafen von zweimal fünf und einmal zwei Monaten; die daraus gebildete Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten hat es nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt. Hinsichtlich der Tat vom 25. März 2010 ist das Landgericht von einer vollständig aufgehobenen Steuerungsfähigkeit ausgegangen, weil der vorangegangene Streit mit den Eltern die bestehende Psychose verstärkt hat. Insoweit wurde der Angeklagte freigesprochen.
8
4. Eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hat das Landgericht abgelehnt und zur Begründung ausgeführt , dass entgegen der angehörten Sachverständigen nicht festgestellt werden könne, dass der Angeklagte infolge seines Zustands für die Allgemeinheit gefährlich sei. Die begangenen Taten seien nicht von einem erheblichen Gewicht. Auf die Vorverurteilungen könne die Gefahrenprognose nicht gestützt werden, weil ein Zusammenhang mit der Psychose des Angeklagten nicht feststellbar gewesen sei. Die allgemein leicht erhöhte Gefährlichkeit schizophren Erkrankter lasse keinen sicheren Schluss auf die individuelle Gefährlichkeit des Angeklagten zu. Der Angeklagte habe trotz der bestehenden Erkrankung in den Jahren 2001 bis 2006 keine Straftaten begangen. Bei den festgestellten Taten habe er sich der drohenden Festnahme nie entgegengestellt und keinen Widerstand geleistet. Auch wenn angenommen werde, dass der Angeklagte in Zukunft Taten begeht, die den festgestellten Taten vergleichbar sind, stünde seine Unterbringung außer Verhältnis zu deren Bedeutung und dem Grad seiner Gefährlichkeit (§ 62 StGB).

II.


9
Die wirksam auf den unterbliebenen Maßregelausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat in der Sache keinen Erfolg.
10
1. Die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung stand.
11
a) Hat jemand - wie vorliegend der Angeklagte - rechtswidrige Taten im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) begangen, ordnet das Gericht nach § 63 StGB die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn eineGesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Dabei kommt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 62 StGB) sowohl bei der Bestimmung des Grades der Wahrscheinlichkeit neuer Straftaten , als auch bei der Entscheidung der Frage, ob diese als erheblich einzustufen sind, eine maßstabsetzende Bedeutung zu (BVerfG, NStZ 1986, 185). Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist auf Grund ihrer zeitlichen Unbegrenztheit eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Sie kann daher nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Urteil vom 7. Januar 1997 – 5 StR 508/96, NStZ-RR 1997, 230).
12
b) Das Landgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass von dem Angeklagten in Zukunft allenfalls Straftaten zu erwarten sind, die in Art und Schwere den festgestellten Anlasstaten entsprechen.
13
Das Landgericht hat weder den Vorverurteilungen, noch den Ausführungen der angehörten Sachverständigen zu entnehmen vermocht, dass die frühe- ren Straftaten des Angeklagten und damit auch die im Jahr 2001 abgeurteilte versuchte räuberische Erpressung in einem Zusammenhang mit seiner psychotischen Erkrankung standen. Es hat deshalb zu Recht für die Beurteilung der krankheitsbedingten Gefährlichkeit des Angeklagten die Anlasstaten zum Maßstab genommen. Mit ihrem hiergegen erhobenen Einwand, dass Zusammenhänge zwischen der bereits seit 2001 bestehenden Erkrankung und den Vortaten naheliegend seien und entsprechende Feststellungen mit sachverständiger Hilfe in der Hauptverhandlung noch zu treffen gewesen wären, kann die Staatsanwaltschaft nicht durchdringen, da sie eine entsprechende Aufklärungsrüge nicht in zulässiger Form erhoben hat.
14
Auch war das Landgericht nicht gehalten, die Hintergründe der zurückliegenden Taten mitzuteilen. Zwar kann – wie die Revision zutreffend ausführt – auch lange zurückliegenden Taten eine indizielle Bedeutung für die Gefährlichkeitsprognose zukommen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juni 2008 – 4 StR 140/08, BeckRS 2008, 13076), doch wird dies regelmäßig nur bei Taten der Fall sein, die in einem inneren Zusammenhang zu der festgestellten Erkrankung gestanden haben und deren Ursache nicht in anderen, nicht krankheitsbedingten Umständen zu finden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2001 – 4 StR 540/01, BeckRS 2001, 30228853). Einen Zusammenhang zwischen den Vortaten und der Erkrankung des Angeklagten vermochte das Landgericht jedoch gerade nicht festzustellen.
15
Allein mit der im Allgemeinen erhöhten Kriminalitätsbelastung schizophren Erkrankter (vgl. Kröber/Lau in Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 2, S. 313 ff.; Nedopil, Prognosen in der Forensischen Psychiatrie, S. 153 ff.) kann eine weitergehende Gefahrenprognose nicht begründet werden. Auf die Person des Angeklagten und seine konkrete Le- benssituation bezogene Risikofaktoren, die eine individuelle Disposition zur Begehung von Delikten jenseits der Anlasstaten belegen könnten, lassen sich den getroffenen Feststellungen nicht entnehmen.
16
c) Die Bewertung der Strafkammer, die von dem Angeklagten weiterhin zu erwartenden Diebstahlstaten führen nicht zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens und können deshalb seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht rechtfertigen, weist keinen Rechtsfehler auf.
17
aa) Da das Gesetz keine Beschränkung auf bestimmte Tatbestände vorgenommen hat, kann die Frage, ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, grundsätzlich nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Beschluss vom 26. April 2001 – 4 StR 538/00, StV 2002, 477f.). Dabei können sich nähere Darlegungen erübrigen, wenn sich – wie in aller Regel bei Verbrechen oder Gewalt- und Aggressionsdelikten – eine schwere Störung des Rechtsfriedens bereits aus dem Gewicht des Straftatbestandes ergibt, mit dessen Verwirklichung gerechnet werden muss (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZRR 2011, 202; Urteil vom 12. Juni 2008 – 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564; Beschluss vom 24. November 2004 – 1 StR 493/04, NStZ-RR 2005, 72, 73). Dagegen wird die Annahme einer schweren Störung des Rechtsfriedens nur in Ausnahmefällen zu bejahen sein, wenn die zu erwartenden Delikte nicht zumindest den Bereich der mittleren Kriminalität erreichen (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 18. März 2008 – 4 StR 6/08, R & P 2008, 226, 227; Beschluss vom 18. Februar 1992 – 4 StR 27/92, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 16; Beschluss vom 28. Juni 2005 – 4 StR 223/05, NStZ-RR 2005, 303, 304; SSW-StGB/Schöch, § 63 Rn. 25 mwN.). Wichtige Gesichtspunkte bei der Einzelfallerörterung sind die vermutliche Häufigkeit neuerlicher Delikte und die Intensität der zu erwartenden Rechtsgutsbeeinträchtigungen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Hanack JR 1977, 170, 171).
18
bb) Danach hat das Landgericht die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 63 StGB rechtsfehlerfrei für nicht gegeben erachtet.
19
Diebstahlstaten, die Regelbeispiele des besonders schweren Falles gem. § 243 Abs. 1 Satz 2 StGB erfüllen, sind - wie die Revision zutreffend geltend macht - dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen und damit grundsätzlich geeignet, eine Maßregelanordnung nach § 63 StGB zu rechtfertigen (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 1989 - 2 StR 271/89 Tz. 8; Urteil vom 23. Juni 1976 – 3 StR 99/76, NJW 1976, 1949; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 63 Rn. 17; Münch- KommStGB/van Gemmeren § 63 Rn. 34 mwN).
20
Bei der gebotenen Einzelfallbewertung hat die Strafkammer jedoch zu Recht berücksichtigt, dass der Angeklagte bei drei der vier Anlasstaten gestellt werden konnte und seine Festnahme jeweils widerstandslos duldete (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Januar 1997 – 5 StR 508/96, NStZ-RR 1997, 230). Wenig erfolgversprechend angelegte und deshalb leicht zu vereitelnde Versuche stellen zudem nur eine eingeschränkte Bedrohung für die betroffenen Rechtsgüter dar. Soweit der Angeklagte seine Diebstahlstaten überhaupt vollenden konnte, war der angerichtete Schaden gering. Die vom Landgericht festgestellte Gewerbsmäßigkeit (§ 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB) bezieht sich vorrangig auf die Tatmotivation. Auf den äußeren Zuschnitt der einzelnen Taten und deren Gefährlichkeit hat sie keinen prägenden Einfluss (BGH, Beschluss vom 7. Januar 1997 – 5 StR 508/96, NStZ-RR 1997, 230).
21
Vor diesem Hintergrund weist die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten durch die Strafkammer keinen Rechtsfehler auf. Dies gilt umso mehr, wenn – wie vorliegend der Angeklagte – der Täter nur vermindert schuldfähig ist, sodass gegen ihn eine Strafe verhängt werden kann und sein rechtswidriges Verhalten deshalb nicht sanktionslos bleibt (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Februar 1992 – 4 StR 27/92, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 16; Urteil vom 23. Juni 1976 – 3 StR 99/76, NJW 1976, 1949).
22
d) Die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus ist auch nicht deshalb rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht der abschließenden Bewertung der Sachverständigen zur Gefährlichkeit des Angeklagten nicht gefolgt ist, ohne die gutachterlichen Ausführungen der Sachverständigen in allen Einzelheiten mitzuteilen. Denn die Ablehnung der Maßregelanordnung hat die Strafkammer (auch) auf Verhältnismäßigkeitserwägungen gestützt. Ob zu erwartende Straftaten erheblich sind und die Anordnung einer Unterbringung den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahrt, ist eine Rechtsfrage , die der Tatrichter zu entscheiden hat (vgl. BVerfG, NStZ 1986, 185).
23
2. Schließlich stellt auch der Umstand, dass das Landgericht eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB nicht erörtert hat, keinen durchgreifenden Rechtsfehler dar.
24
Nach § 267 Abs. 6 Satz 1 StPO müssen die Gründe für die Nichtanordnung einer Maßregel nur dann angegeben werden, wenn eine Anordnung dieser Maßregel in der Hauptverhandlung beantragt worden ist. Die Revision hat nicht vorgetragen, dass ein Antrag auf Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gestellt worden wäre. Darüber hinaus ist die Nichtanordnung einer Maßregel in den schriftlichen Urteilsgründen nur dann zu erörtern, wenn die Umstände des Einzelfalls dazu drängen (BGH, Urteil vom 9. Juni 1999 – 3 StR 89/99, NJW 1999, 2606). Dies war hier in Bezug auf § 64 StGB nicht der Fall. An einer Psychose leidende Täter, bei denen sich – wie bei dem Angeklagten – eine sekundäre Abhängigkeit von Alkohol oder Betäubungsmitteln ausgebildet hat, sind in aller Regel in einer Entziehungsanstalt nicht erfolgreich behandelbar (vgl. BVerfGE 91, 1, 22; Schöch in LK-StGB, 12. Aufl., § 64 Rn. 140; MünchKommStGB/van Gemmeren § 64 Rn. 58; Heilmann/Scherbaum in Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 4, S. 570; Penners, Zum Begriff der „Aussichtslosigkeit“ einer Entziehungskur nach § 64 StGB, 1985, S. 139 f.). Dass bei dem Angeklagten Umstände vorliegen, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten, kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden und wird auch von der Revision nicht geltend gemacht.
25
3. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels und die Überbürdung der notwendigen Auslagen des Angeklagten folgt § 473 Abs. 1 und 2 StPO.
Mutzbauer Roggenbuck Franke
RiBGH Bender ist infolge Urlaubs ortsabwesend und daher an der Unterschriftsleistung gehindert. Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 545/15
vom
17. Februar 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts der besonders schweren räuberischen Erpressung
ECLI:DE:BGH:2016:170216B2STR545.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 17. Februar 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 2. September 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich seine auf die Sachrüge gestützte Revision, mit der er „eine angemessene Verurteilung wegen der Tat und Aufhebung der Einweisung in ein psychiatri- sches Krankenhaus“ erstrebt. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Angeklagte an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis. Nach der Zwangsversteigerung und Räumung seines Elternhauses zog er sich zurück und lebte in ei- nem Zelt in den Dünen am Strand zwischen K. und T. . Er verfügte weder über Geld noch über Lebensmittel und hatte zwei Tage lang nichts gegessen, als er am 16. April 2015 beschloss, die Urlauberinnen H. und S. , die am Strand spazieren gingen, mit Gewalt zur Herausgabe von Bargeld zu zwingen. Er ergriff einen Ast und näherte sich den beiden Frauen von hinten. Um ihren Widerstand von vornherein auszuschalten, schlug er den beiden Frauen nacheinander mit dem Ast auf den Kopf, sodass sie zu Boden gingen. Dabei rief er „Geld, Portemonnaie, Handy her!“ Nacheinem vergeblichen Versuch den Angeklagten zu vertreiben, händigte die Geschädigte S. ihm ihr Portemonnaie und ihr Mobiltelefon aus. Der Angeklagte stellte fest, dass sich zehn Euro in dem Portemonnaie befanden, nahm diese Beute mit und warf das Mobiltelefon in die Ostsee. Von dem Geld kaufte er sich Nahrungsmittel.
3
Das sachverständig beratene Landgericht hat angenommen, dass die Handlung den Tatbestand der besonders schweren räuberischen Erpressung erfülle. Jedoch habe der Angeklagte ohne Schuld gehandelt. Bei ihm liege eine „kontinuierliche Schizophrenie“ vor, die in einem Wahnsystem mit Verfolgungs- erlebnissen zum Ausdruck komme. Der Angeklagte wirke teilweise zerfahren, zeige einen hohen Redefluss und Empathieverlust. Er besitze keine Krankheitseinsicht. Seine Wahrnehmung der Realität sei verzerrt. Zur Tatzeit habe er aus seiner Sicht nur die Wahl gehabt zu verhungern oder die Tat zu begehen. Er sei nicht zu einer realistischen Einschätzung seiner Situation in der Lage gewesen. In der Hauptverhandlung sei er nicht in der Lage gewesen, sich mit seiner Tat auseinanderzusetzen. Er habe erklärt, er könne die Geschädigten nicht als Opfer „annehmen“.
4
Die Strafkammer ist dem Sachverständigen darin gefolgt, dass bei Gewaltdelikten generell bereits eine über 50 % liegende Wiederholungsgefahr be- stehe; dieses sei im Fall der Schizophrenie „siebenfach erhöht“. Es sei negativ zu bewerten, dass der Angeklagte über keinerlei soziale Bindungen mehr verfüge. Er akzeptiere keine Unterstützung durch einen Betreuer. Nachteilig wirke sich der Empathieverlust aus. Aufgrund seines Wahnsystems könne es jederzeit zu Situationen kommen, in denen er sich zur Anwendung von Gewalt als Mittel zur eigenen Rettung entschließen werde.

II.

5
Die Revision des Angeklagten ist begründet. Das Landgericht hat die Voraussetzungen für die Annahme der Schuldunfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit und die Erforderlichkeit seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht rechtsfehlerfrei dargelegt.
6
1. a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie setzt zunächst voraus, dass zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. Hierfür muss vom Tatrichter im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte, einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der konkreten Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstat auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2015 – 1 StR 265/15, NStZ-RR 2016, 76 mwN).
7
Schließt sich der Tatrichter bei der Frage der Schuldfähigkeit der Beurteilung des Sachverständigen an, muss er dessen wesentliche Anknüpfungspunk- te und Darlegungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist. Dies gilt auch in Fällen einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie; denn die Diagnose einer solchen Erkrankung führt für sich genommen noch nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit. Erforderlich ist vielmehr die Feststellung eines akuten Schubs der Erkrankung sowie die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (BGH, Beschluss vom 17. Juni 2014 - 4 StR 171/14, NStZRR 2014, 305, 306).
8
b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
9
Das Landgericht ist offenbar davon ausgegangen, dass der Angeklagte zur Tatzeit ohne Einsicht in das Unrecht seiner Tat gehandelt hat. Dies hat es darauf gestützt, dass der Angeklagte aus seiner Sicht ausschließlich die Wahl zwischen den Alternativen des Verhungerns oder des Überfalls auf die Urlauberinnen gehabt habe. Deshalb habe er seine Handlung als gerechtfertigt angesehen. Der Sache nach hat das Landgericht die Tatsache, dass der Angeklagte es nicht in Betracht gezogen hat, sich an seinen Betreuer oder an die Sozialbehörden zu wenden, als Hinweis auf fehlende Unrechtseinsicht gewertet. Damit hat es eine verkürzte Betrachtung zu Grunde gelegt.
10
Die allgemein festgestellte Wahnvorstellung des Angeklagten, dass er Opfer einer Verschwörung geworden sei, „an der die P. AG maßgeblich beteiligt war“ und die zur Zwangsversteigerung und Räumung seines Eltern- hauses geführt hatte, hat sich nicht auf die Geschädigten seiner Tat bezogen.
Der Entschluss des Angeklagten in der konkreten Tatsituation am Strand einen Überfall zu begehen, um Geld zu erlangen, das er wegen seines Hungers für die Beschaffung von Nahrungsmitteln verwenden wollte, erscheint rational nachvollziehbar. Inwieweit die Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis sich auf die Unrechtseinsicht oder das Hemmungsvermögen des Angeklagten ausgewirkt hat, wurde vom Landgericht nicht geprüft. Seine Annahme, dass es sich bei der Erkrankung des Angeklagten um eine „kontinuierliche Schizophrenie“ handele und nicht – wie es sonst bei paranoiden Psychosen aus dem schi- zophrenen Formenkreis regelmäßig der Fall ist – um eine schubweise auftretende Erkrankung, ist nicht durch Tatsachen belegt.
11
Möglicherweise hat sich der Angeklagte zur Tatzeit nicht in einer Phase eines akuten Schubs der paranoiden Psychose befunden, der in der Regel zum Ausschluss der Unrechtseinsicht führt (vgl. Kröber/Lau in Kröber/Dölling/ Leygraf/Sass, Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 2, 2010, S. 312, 327 ff.). In subakuten Zuständen wird man dagegen allenfalls eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit belegen können (vgl. Müller-Isberner/ Eusterschulte in Venzlaff/Foerster/Dreßing/Habermeyer, Psychiatrische Begutachtung , 6. Aufl., S. 227, 236).
12
2. a) Voraussetzung der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist weiter eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades, dass der Täter infolge seines fortdauernden Zustandes zukünftig erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, die schwerwiegende Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens sowie der von ihm begangenen Anlasstat zu treffen. Das Tatgericht ist dabei auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise in den Urteilsgründen darzustellen (BGH, Beschluss vom 16. September 2014 – 3 StR 372/14).
13
b) Diesem Maßstab werden die Erwägungen des Landgerichts bisher ebenfalls nicht gerecht.
14
Die Behauptungen der vom Landgericht gehörten Sachverständigen, bei Gewaltdelikten bestehe grundsätzlich bereits eine über 50 % liegende Wiederholungsgefahr und diese sei bei der Schizophrenie siebenfach erhöht (vgl. Kröber/Lau in Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch der Forensischen Psychiatrie , Bd. 2, 2010, S. 312, 314 ff.), werden nicht erläutert. Statistische Werte sind bei der individuellen Gefahrenprognose im Rahmen der Maßregelprüfung auch allenfalls am Rande von Bedeutung. Der Zusammenhang zwischen Schizophrenie und Gewalt ist zudem empirisch umstritten (krit. Schanda in Lammel/ Sutarski/Lau/Bauer, Wahn und Schizophrenie, S. 67 ff.). Maßgeblich ist stattdessen die konkrete Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung. Der Angeklagte ist „bisher nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten“. Seine Krankheitsge- schichte ist vom Landgericht nur insoweit dargestellt worden, als sein – vergleichsweise kurzer – Aufenthalt in einem Krankenhaus und die Anordnung der Betreuung im Urteil erwähnt sind. Es fehlen Angaben dazu, wann die Krankheit erstmals aufgefallen ist, welche Symptome sie im Einzelnen gezeigt hat und wie sich die Symptomatik im Verlauf der Zeit entwickelt hat. Situative Risikofaktoren sind bei der Prognosebeurteilung ebenfalls zu berücksichtigen (Kröber/Lau aaO S. 312, 325 f.). Insoweit ist die Prognose des Landgerichts, es könne wegen der „kontinuierlichen Schizophrenie“ jederzeit zu Situationen kommen, in denen der Angeklagte die Anwendung von Gewalt als letztes Mittel zur eigenen Rettung ansehe, nicht ausreichend belegt. Fischer Appl Eschelbach Zeng Bartel

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 267/11
vom
11. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Diebstahls u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. August
2011, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 30. November 2010 wird als unbegründet verworfen.
2. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls und versuchten Diebstahls in zwei Fällen zu einer nicht zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Von seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat es abgesehen. Die Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB wurde nicht erörtert. Die von der Staatsanwaltschaft zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision ist auf das Unterbleiben von Maßregelanordnungen nach den §§ 63, 64 StGB beschränkt.

I.


2
Das sachverständig beratene Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
1. Der Angeklagte leidet spätestens seit dem Jahr 2001 an einer "schizophrenen Psychose mit akustischen und Leibhalluzinationen sowie angedeutetem Wahnerleben". Wegen dieser Erkrankung befand er sich mehrfach in stationärer Behandlung. Zuletzt wurde er am 18. Juli 2008 aus einer psychiatrischen Fachklink entlassen. Seitdem wird er von seiner Hausärztin behandelt, die ihm Neuroleptika verschreibt. Der Angeklagte nimmt gelegentlich Amphetamin sowie seit zehn Jahren alle zwei bis drei Tage 0,5 Gramm Heroinzubereitung zu sich, um auf diese Weise die Halluzinationenzu „verringern“. Mitte des Jahres 2009 setzte er zum wiederholten Male eigenmächtig die ihm verordneten Medikamente ab.
4
Der Angeklagte ist in der Vergangenheit mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten. Im Jahr 2001 verurteilte ihn das Amtsgericht Hamm wegen räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten und setzte deren Vollstreckung zur Bewährung aus. Die Strafe wurde nach dem Ablauf der Bewährungszeit erlassen. In den Jahren 2006 bis 2008 wurde er zweimal wegen Diebstahls und einmal wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz zu Geldstrafen verurteilt. Zuletzt verurteilte ihn das Amtsgericht Hamm am 30. Januar 2009 wegen eines erneuten Diebstahls rechtskräftig zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von drei Monaten. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt. Dass die abgeurteilten Taten in einem Zusammenhang mit der psychotischen Erkrankung des Angeklagten gestanden haben, vermochte das Landgericht nicht festzustellen.
5
2. Am 2. Januar 2010 brach der Angeklagte zusammen mit einem Begleiter in einem öffentlich zugänglichen Gebäude einen Schrank auf, um darin verwahrte Gegenstände (ein Fernsehgerät und verschiedene Flaschen) zu entwenden. Noch bevor sie etwas wegnehmen konnten, wurden beide gestellt und der Polizei übergeben. Am 11. Februar 2010 entwendete der Angeklagte in einem Drogeriemarkt ein Parfüm im Wert von 15 Euro. Bei der Tat wurde er beobachtet. Noch am selben Tage drang er in die Umkleidekabine einer Sporthalle ein und durchsuchte die dort abgelegte Kleidung einer Jugendfußballmannschaft nach stehlenswerten Gegenständen. Als er ein Mobiltelefon in einem Wert von 150 Euro an sich nehmen wollte, wurde er von einem Betreuer überrascht. Der Angeklagte legte daraufhin das Mobiltelefon zurück und wartete mit dem Betreuer auf die herbeigerufene Polizei. Am 25. März 2010 stach der Angeklagte mit einem Schraubendreher in die Gummiabdichtung der Beifahrertür eines auf einem Firmengelände abgestellten Pkw, um diese aufzubrechen und das Fahrzeug nach stehlenswerten Gegenständen zu durchsuchen. Noch bevor er in das Wageninnere gelangen konnte, wurde er gestellt. Der Tat war ein Streit mit seinen Eltern vorausgegangen, der bei ihm zu einer psychischen Destabilisierung geführt hatte. In allen Fällen verfolgte der Angeklagte die Absicht, das Diebesgut zu verkaufen, um Geld für den Ankauf weiteren Heroins beizubringen.
6
3. Das Landgericht hat die Tat vom 2. Januar 2010 als versuchten Diebstahl gemäß §§ 242, 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 3, §§ 22, 23 StGB gewertet. In der Entwendung des Parfums hat es einen vollendeten Diebstahl (§ 242 Abs. 1 StGB) und in dem Vorfall in der Sporthalle einen versuchten Diebstahl gemäß §§ 242, 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, §§ 22, 23 StGB gesehen. Das Geschehen vom 25. März 2010 erfüllt aus Sicht des Landgerichts die Voraussetzungen eines versuchten Diebstahls gemäß §§ 242, 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3, §§ 22, 23 StGB.
7
Bei den Taten vom 2. Januar und 11. Februar 2010 hat das Landgericht angenommen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten auf Grund einer krankhaften seelischen Störung i.S.d. §§ 20, 21 StGB erheblich vermindert war und verhängte gegen den Angeklagten Freiheitsstrafen von zweimal fünf und einmal zwei Monaten; die daraus gebildete Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten hat es nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt. Hinsichtlich der Tat vom 25. März 2010 ist das Landgericht von einer vollständig aufgehobenen Steuerungsfähigkeit ausgegangen, weil der vorangegangene Streit mit den Eltern die bestehende Psychose verstärkt hat. Insoweit wurde der Angeklagte freigesprochen.
8
4. Eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hat das Landgericht abgelehnt und zur Begründung ausgeführt , dass entgegen der angehörten Sachverständigen nicht festgestellt werden könne, dass der Angeklagte infolge seines Zustands für die Allgemeinheit gefährlich sei. Die begangenen Taten seien nicht von einem erheblichen Gewicht. Auf die Vorverurteilungen könne die Gefahrenprognose nicht gestützt werden, weil ein Zusammenhang mit der Psychose des Angeklagten nicht feststellbar gewesen sei. Die allgemein leicht erhöhte Gefährlichkeit schizophren Erkrankter lasse keinen sicheren Schluss auf die individuelle Gefährlichkeit des Angeklagten zu. Der Angeklagte habe trotz der bestehenden Erkrankung in den Jahren 2001 bis 2006 keine Straftaten begangen. Bei den festgestellten Taten habe er sich der drohenden Festnahme nie entgegengestellt und keinen Widerstand geleistet. Auch wenn angenommen werde, dass der Angeklagte in Zukunft Taten begeht, die den festgestellten Taten vergleichbar sind, stünde seine Unterbringung außer Verhältnis zu deren Bedeutung und dem Grad seiner Gefährlichkeit (§ 62 StGB).

II.


9
Die wirksam auf den unterbliebenen Maßregelausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat in der Sache keinen Erfolg.
10
1. Die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung stand.
11
a) Hat jemand - wie vorliegend der Angeklagte - rechtswidrige Taten im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) begangen, ordnet das Gericht nach § 63 StGB die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn eineGesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Dabei kommt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 62 StGB) sowohl bei der Bestimmung des Grades der Wahrscheinlichkeit neuer Straftaten , als auch bei der Entscheidung der Frage, ob diese als erheblich einzustufen sind, eine maßstabsetzende Bedeutung zu (BVerfG, NStZ 1986, 185). Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist auf Grund ihrer zeitlichen Unbegrenztheit eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Sie kann daher nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Urteil vom 7. Januar 1997 – 5 StR 508/96, NStZ-RR 1997, 230).
12
b) Das Landgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass von dem Angeklagten in Zukunft allenfalls Straftaten zu erwarten sind, die in Art und Schwere den festgestellten Anlasstaten entsprechen.
13
Das Landgericht hat weder den Vorverurteilungen, noch den Ausführungen der angehörten Sachverständigen zu entnehmen vermocht, dass die frühe- ren Straftaten des Angeklagten und damit auch die im Jahr 2001 abgeurteilte versuchte räuberische Erpressung in einem Zusammenhang mit seiner psychotischen Erkrankung standen. Es hat deshalb zu Recht für die Beurteilung der krankheitsbedingten Gefährlichkeit des Angeklagten die Anlasstaten zum Maßstab genommen. Mit ihrem hiergegen erhobenen Einwand, dass Zusammenhänge zwischen der bereits seit 2001 bestehenden Erkrankung und den Vortaten naheliegend seien und entsprechende Feststellungen mit sachverständiger Hilfe in der Hauptverhandlung noch zu treffen gewesen wären, kann die Staatsanwaltschaft nicht durchdringen, da sie eine entsprechende Aufklärungsrüge nicht in zulässiger Form erhoben hat.
14
Auch war das Landgericht nicht gehalten, die Hintergründe der zurückliegenden Taten mitzuteilen. Zwar kann – wie die Revision zutreffend ausführt – auch lange zurückliegenden Taten eine indizielle Bedeutung für die Gefährlichkeitsprognose zukommen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juni 2008 – 4 StR 140/08, BeckRS 2008, 13076), doch wird dies regelmäßig nur bei Taten der Fall sein, die in einem inneren Zusammenhang zu der festgestellten Erkrankung gestanden haben und deren Ursache nicht in anderen, nicht krankheitsbedingten Umständen zu finden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2001 – 4 StR 540/01, BeckRS 2001, 30228853). Einen Zusammenhang zwischen den Vortaten und der Erkrankung des Angeklagten vermochte das Landgericht jedoch gerade nicht festzustellen.
15
Allein mit der im Allgemeinen erhöhten Kriminalitätsbelastung schizophren Erkrankter (vgl. Kröber/Lau in Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 2, S. 313 ff.; Nedopil, Prognosen in der Forensischen Psychiatrie, S. 153 ff.) kann eine weitergehende Gefahrenprognose nicht begründet werden. Auf die Person des Angeklagten und seine konkrete Le- benssituation bezogene Risikofaktoren, die eine individuelle Disposition zur Begehung von Delikten jenseits der Anlasstaten belegen könnten, lassen sich den getroffenen Feststellungen nicht entnehmen.
16
c) Die Bewertung der Strafkammer, die von dem Angeklagten weiterhin zu erwartenden Diebstahlstaten führen nicht zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens und können deshalb seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht rechtfertigen, weist keinen Rechtsfehler auf.
17
aa) Da das Gesetz keine Beschränkung auf bestimmte Tatbestände vorgenommen hat, kann die Frage, ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, grundsätzlich nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Beschluss vom 26. April 2001 – 4 StR 538/00, StV 2002, 477f.). Dabei können sich nähere Darlegungen erübrigen, wenn sich – wie in aller Regel bei Verbrechen oder Gewalt- und Aggressionsdelikten – eine schwere Störung des Rechtsfriedens bereits aus dem Gewicht des Straftatbestandes ergibt, mit dessen Verwirklichung gerechnet werden muss (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZRR 2011, 202; Urteil vom 12. Juni 2008 – 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564; Beschluss vom 24. November 2004 – 1 StR 493/04, NStZ-RR 2005, 72, 73). Dagegen wird die Annahme einer schweren Störung des Rechtsfriedens nur in Ausnahmefällen zu bejahen sein, wenn die zu erwartenden Delikte nicht zumindest den Bereich der mittleren Kriminalität erreichen (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 18. März 2008 – 4 StR 6/08, R & P 2008, 226, 227; Beschluss vom 18. Februar 1992 – 4 StR 27/92, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 16; Beschluss vom 28. Juni 2005 – 4 StR 223/05, NStZ-RR 2005, 303, 304; SSW-StGB/Schöch, § 63 Rn. 25 mwN.). Wichtige Gesichtspunkte bei der Einzelfallerörterung sind die vermutliche Häufigkeit neuerlicher Delikte und die Intensität der zu erwartenden Rechtsgutsbeeinträchtigungen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Hanack JR 1977, 170, 171).
18
bb) Danach hat das Landgericht die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 63 StGB rechtsfehlerfrei für nicht gegeben erachtet.
19
Diebstahlstaten, die Regelbeispiele des besonders schweren Falles gem. § 243 Abs. 1 Satz 2 StGB erfüllen, sind - wie die Revision zutreffend geltend macht - dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen und damit grundsätzlich geeignet, eine Maßregelanordnung nach § 63 StGB zu rechtfertigen (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 1989 - 2 StR 271/89 Tz. 8; Urteil vom 23. Juni 1976 – 3 StR 99/76, NJW 1976, 1949; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 63 Rn. 17; Münch- KommStGB/van Gemmeren § 63 Rn. 34 mwN).
20
Bei der gebotenen Einzelfallbewertung hat die Strafkammer jedoch zu Recht berücksichtigt, dass der Angeklagte bei drei der vier Anlasstaten gestellt werden konnte und seine Festnahme jeweils widerstandslos duldete (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Januar 1997 – 5 StR 508/96, NStZ-RR 1997, 230). Wenig erfolgversprechend angelegte und deshalb leicht zu vereitelnde Versuche stellen zudem nur eine eingeschränkte Bedrohung für die betroffenen Rechtsgüter dar. Soweit der Angeklagte seine Diebstahlstaten überhaupt vollenden konnte, war der angerichtete Schaden gering. Die vom Landgericht festgestellte Gewerbsmäßigkeit (§ 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB) bezieht sich vorrangig auf die Tatmotivation. Auf den äußeren Zuschnitt der einzelnen Taten und deren Gefährlichkeit hat sie keinen prägenden Einfluss (BGH, Beschluss vom 7. Januar 1997 – 5 StR 508/96, NStZ-RR 1997, 230).
21
Vor diesem Hintergrund weist die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten durch die Strafkammer keinen Rechtsfehler auf. Dies gilt umso mehr, wenn – wie vorliegend der Angeklagte – der Täter nur vermindert schuldfähig ist, sodass gegen ihn eine Strafe verhängt werden kann und sein rechtswidriges Verhalten deshalb nicht sanktionslos bleibt (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Februar 1992 – 4 StR 27/92, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 16; Urteil vom 23. Juni 1976 – 3 StR 99/76, NJW 1976, 1949).
22
d) Die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus ist auch nicht deshalb rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht der abschließenden Bewertung der Sachverständigen zur Gefährlichkeit des Angeklagten nicht gefolgt ist, ohne die gutachterlichen Ausführungen der Sachverständigen in allen Einzelheiten mitzuteilen. Denn die Ablehnung der Maßregelanordnung hat die Strafkammer (auch) auf Verhältnismäßigkeitserwägungen gestützt. Ob zu erwartende Straftaten erheblich sind und die Anordnung einer Unterbringung den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahrt, ist eine Rechtsfrage , die der Tatrichter zu entscheiden hat (vgl. BVerfG, NStZ 1986, 185).
23
2. Schließlich stellt auch der Umstand, dass das Landgericht eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB nicht erörtert hat, keinen durchgreifenden Rechtsfehler dar.
24
Nach § 267 Abs. 6 Satz 1 StPO müssen die Gründe für die Nichtanordnung einer Maßregel nur dann angegeben werden, wenn eine Anordnung dieser Maßregel in der Hauptverhandlung beantragt worden ist. Die Revision hat nicht vorgetragen, dass ein Antrag auf Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gestellt worden wäre. Darüber hinaus ist die Nichtanordnung einer Maßregel in den schriftlichen Urteilsgründen nur dann zu erörtern, wenn die Umstände des Einzelfalls dazu drängen (BGH, Urteil vom 9. Juni 1999 – 3 StR 89/99, NJW 1999, 2606). Dies war hier in Bezug auf § 64 StGB nicht der Fall. An einer Psychose leidende Täter, bei denen sich – wie bei dem Angeklagten – eine sekundäre Abhängigkeit von Alkohol oder Betäubungsmitteln ausgebildet hat, sind in aller Regel in einer Entziehungsanstalt nicht erfolgreich behandelbar (vgl. BVerfGE 91, 1, 22; Schöch in LK-StGB, 12. Aufl., § 64 Rn. 140; MünchKommStGB/van Gemmeren § 64 Rn. 58; Heilmann/Scherbaum in Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 4, S. 570; Penners, Zum Begriff der „Aussichtslosigkeit“ einer Entziehungskur nach § 64 StGB, 1985, S. 139 f.). Dass bei dem Angeklagten Umstände vorliegen, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten, kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden und wird auch von der Revision nicht geltend gemacht.
25
3. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels und die Überbürdung der notwendigen Auslagen des Angeklagten folgt § 473 Abs. 1 und 2 StPO.
Mutzbauer Roggenbuck Franke
RiBGH Bender ist infolge Urlaubs ortsabwesend und daher an der Unterschriftsleistung gehindert. Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 545/15
vom
17. Februar 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts der besonders schweren räuberischen Erpressung
ECLI:DE:BGH:2016:170216B2STR545.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 17. Februar 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 2. September 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich seine auf die Sachrüge gestützte Revision, mit der er „eine angemessene Verurteilung wegen der Tat und Aufhebung der Einweisung in ein psychiatri- sches Krankenhaus“ erstrebt. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Angeklagte an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis. Nach der Zwangsversteigerung und Räumung seines Elternhauses zog er sich zurück und lebte in ei- nem Zelt in den Dünen am Strand zwischen K. und T. . Er verfügte weder über Geld noch über Lebensmittel und hatte zwei Tage lang nichts gegessen, als er am 16. April 2015 beschloss, die Urlauberinnen H. und S. , die am Strand spazieren gingen, mit Gewalt zur Herausgabe von Bargeld zu zwingen. Er ergriff einen Ast und näherte sich den beiden Frauen von hinten. Um ihren Widerstand von vornherein auszuschalten, schlug er den beiden Frauen nacheinander mit dem Ast auf den Kopf, sodass sie zu Boden gingen. Dabei rief er „Geld, Portemonnaie, Handy her!“ Nacheinem vergeblichen Versuch den Angeklagten zu vertreiben, händigte die Geschädigte S. ihm ihr Portemonnaie und ihr Mobiltelefon aus. Der Angeklagte stellte fest, dass sich zehn Euro in dem Portemonnaie befanden, nahm diese Beute mit und warf das Mobiltelefon in die Ostsee. Von dem Geld kaufte er sich Nahrungsmittel.
3
Das sachverständig beratene Landgericht hat angenommen, dass die Handlung den Tatbestand der besonders schweren räuberischen Erpressung erfülle. Jedoch habe der Angeklagte ohne Schuld gehandelt. Bei ihm liege eine „kontinuierliche Schizophrenie“ vor, die in einem Wahnsystem mit Verfolgungs- erlebnissen zum Ausdruck komme. Der Angeklagte wirke teilweise zerfahren, zeige einen hohen Redefluss und Empathieverlust. Er besitze keine Krankheitseinsicht. Seine Wahrnehmung der Realität sei verzerrt. Zur Tatzeit habe er aus seiner Sicht nur die Wahl gehabt zu verhungern oder die Tat zu begehen. Er sei nicht zu einer realistischen Einschätzung seiner Situation in der Lage gewesen. In der Hauptverhandlung sei er nicht in der Lage gewesen, sich mit seiner Tat auseinanderzusetzen. Er habe erklärt, er könne die Geschädigten nicht als Opfer „annehmen“.
4
Die Strafkammer ist dem Sachverständigen darin gefolgt, dass bei Gewaltdelikten generell bereits eine über 50 % liegende Wiederholungsgefahr be- stehe; dieses sei im Fall der Schizophrenie „siebenfach erhöht“. Es sei negativ zu bewerten, dass der Angeklagte über keinerlei soziale Bindungen mehr verfüge. Er akzeptiere keine Unterstützung durch einen Betreuer. Nachteilig wirke sich der Empathieverlust aus. Aufgrund seines Wahnsystems könne es jederzeit zu Situationen kommen, in denen er sich zur Anwendung von Gewalt als Mittel zur eigenen Rettung entschließen werde.

II.

5
Die Revision des Angeklagten ist begründet. Das Landgericht hat die Voraussetzungen für die Annahme der Schuldunfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit und die Erforderlichkeit seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht rechtsfehlerfrei dargelegt.
6
1. a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie setzt zunächst voraus, dass zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. Hierfür muss vom Tatrichter im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte, einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der konkreten Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstat auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2015 – 1 StR 265/15, NStZ-RR 2016, 76 mwN).
7
Schließt sich der Tatrichter bei der Frage der Schuldfähigkeit der Beurteilung des Sachverständigen an, muss er dessen wesentliche Anknüpfungspunk- te und Darlegungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist. Dies gilt auch in Fällen einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie; denn die Diagnose einer solchen Erkrankung führt für sich genommen noch nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit. Erforderlich ist vielmehr die Feststellung eines akuten Schubs der Erkrankung sowie die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (BGH, Beschluss vom 17. Juni 2014 - 4 StR 171/14, NStZRR 2014, 305, 306).
8
b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
9
Das Landgericht ist offenbar davon ausgegangen, dass der Angeklagte zur Tatzeit ohne Einsicht in das Unrecht seiner Tat gehandelt hat. Dies hat es darauf gestützt, dass der Angeklagte aus seiner Sicht ausschließlich die Wahl zwischen den Alternativen des Verhungerns oder des Überfalls auf die Urlauberinnen gehabt habe. Deshalb habe er seine Handlung als gerechtfertigt angesehen. Der Sache nach hat das Landgericht die Tatsache, dass der Angeklagte es nicht in Betracht gezogen hat, sich an seinen Betreuer oder an die Sozialbehörden zu wenden, als Hinweis auf fehlende Unrechtseinsicht gewertet. Damit hat es eine verkürzte Betrachtung zu Grunde gelegt.
10
Die allgemein festgestellte Wahnvorstellung des Angeklagten, dass er Opfer einer Verschwörung geworden sei, „an der die P. AG maßgeblich beteiligt war“ und die zur Zwangsversteigerung und Räumung seines Eltern- hauses geführt hatte, hat sich nicht auf die Geschädigten seiner Tat bezogen.
Der Entschluss des Angeklagten in der konkreten Tatsituation am Strand einen Überfall zu begehen, um Geld zu erlangen, das er wegen seines Hungers für die Beschaffung von Nahrungsmitteln verwenden wollte, erscheint rational nachvollziehbar. Inwieweit die Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis sich auf die Unrechtseinsicht oder das Hemmungsvermögen des Angeklagten ausgewirkt hat, wurde vom Landgericht nicht geprüft. Seine Annahme, dass es sich bei der Erkrankung des Angeklagten um eine „kontinuierliche Schizophrenie“ handele und nicht – wie es sonst bei paranoiden Psychosen aus dem schi- zophrenen Formenkreis regelmäßig der Fall ist – um eine schubweise auftretende Erkrankung, ist nicht durch Tatsachen belegt.
11
Möglicherweise hat sich der Angeklagte zur Tatzeit nicht in einer Phase eines akuten Schubs der paranoiden Psychose befunden, der in der Regel zum Ausschluss der Unrechtseinsicht führt (vgl. Kröber/Lau in Kröber/Dölling/ Leygraf/Sass, Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 2, 2010, S. 312, 327 ff.). In subakuten Zuständen wird man dagegen allenfalls eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit belegen können (vgl. Müller-Isberner/ Eusterschulte in Venzlaff/Foerster/Dreßing/Habermeyer, Psychiatrische Begutachtung , 6. Aufl., S. 227, 236).
12
2. a) Voraussetzung der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist weiter eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades, dass der Täter infolge seines fortdauernden Zustandes zukünftig erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, die schwerwiegende Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens sowie der von ihm begangenen Anlasstat zu treffen. Das Tatgericht ist dabei auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise in den Urteilsgründen darzustellen (BGH, Beschluss vom 16. September 2014 – 3 StR 372/14).
13
b) Diesem Maßstab werden die Erwägungen des Landgerichts bisher ebenfalls nicht gerecht.
14
Die Behauptungen der vom Landgericht gehörten Sachverständigen, bei Gewaltdelikten bestehe grundsätzlich bereits eine über 50 % liegende Wiederholungsgefahr und diese sei bei der Schizophrenie siebenfach erhöht (vgl. Kröber/Lau in Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch der Forensischen Psychiatrie , Bd. 2, 2010, S. 312, 314 ff.), werden nicht erläutert. Statistische Werte sind bei der individuellen Gefahrenprognose im Rahmen der Maßregelprüfung auch allenfalls am Rande von Bedeutung. Der Zusammenhang zwischen Schizophrenie und Gewalt ist zudem empirisch umstritten (krit. Schanda in Lammel/ Sutarski/Lau/Bauer, Wahn und Schizophrenie, S. 67 ff.). Maßgeblich ist stattdessen die konkrete Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung. Der Angeklagte ist „bisher nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten“. Seine Krankheitsge- schichte ist vom Landgericht nur insoweit dargestellt worden, als sein – vergleichsweise kurzer – Aufenthalt in einem Krankenhaus und die Anordnung der Betreuung im Urteil erwähnt sind. Es fehlen Angaben dazu, wann die Krankheit erstmals aufgefallen ist, welche Symptome sie im Einzelnen gezeigt hat und wie sich die Symptomatik im Verlauf der Zeit entwickelt hat. Situative Risikofaktoren sind bei der Prognosebeurteilung ebenfalls zu berücksichtigen (Kröber/Lau aaO S. 312, 325 f.). Insoweit ist die Prognose des Landgerichts, es könne wegen der „kontinuierlichen Schizophrenie“ jederzeit zu Situationen kommen, in denen der Angeklagte die Anwendung von Gewalt als letztes Mittel zur eigenen Rettung ansehe, nicht ausreichend belegt. Fischer Appl Eschelbach Zeng Bartel

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR167/15
vom
3. Juni 2015
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlicher Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 3. Juni 2015 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 26. November 2014 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. Die auf die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde dem Angeklagten die Wohnung gekündigt, weil er regelmäßig Gegenstände aus dem Fenster geworfen und kochend heißes Wasser auf die Straße gegossen hatte. Er zog in einen Verschlag auf dem Dachboden bei seinen Eltern. Auch hier kam es mehrfach zu Polizeieinsätzen, weil er Müll aus dem Dachfenster auf die Straße warf und mit seinen Eltern in Streit geriet. Die Eltern erteilten ihm Hausverbot.
3
Das Landgericht hat unter II.2. der Urteilsgründe folgende Taten festgestellt :
4
a) Der Angeklagte hielt ihm im Rahmen der Führungsaufsicht auferlegte Gesprächstermine mit seinem Bewährungshelfer sowie einen Termin zur Suchtmittelkontrolle unentschuldigt nicht ein.
5
b) Am 17. Juni 2013 kam es zu einer tätlichen Auseinandersetzung mit dem Vater, nachdem dieser dem Angeklagten den Zugang zur elterlichen Wohnung verweigert hatte, und anschließend zu einer Schlägerei mit seinem Bruder , der dem Vater zu Hilfe geeilt war.
6
c) Am selben Tag verschaffte sich der Angeklagte trotz einer Wohnungsverweisung und eines Rückkehrverbots Zutritt zu dem Verschlag auf dem Dachboden. Gegen 22.25 Uhr begaben sich zwei Polizeibeamte zu dem Verschlag und forderten den Angeklagten auf, das Haus zu verlassen. Der Angeklagte willigte ein, wollte aber zunächst eine Zigarette rauchen. Als der Polizeibeamte G. R. dies ablehnte und nach der Tabaktüte des Angeklagten griff, riss dieser die Fäuste hoch und stürzte sich mit gesenktem Kopf auf den Polizeibeamten, so dass dieser rücklings auf den Flur fiel. Obwohl ihm der zweite Polizeibeamte, S. , zu Hilfe eilte, gelang es beiden zunächst nicht, den wild um sich schlagenden Angeklagten zu überwältigen. Beide Polizeibeamte wurden von Faustschlägen getroffen. Einem Beamten versetzte der Angeklagte zudem einen Kopfstoß. Bei der Fixierung des Angeklagten strengte sich der Beamte G. R. dermaßen an, dass er sich einen Brustwirbel ausrenkte. Mit der Hilfe von zwei weiteren Polizeibeamten wurde der Angeklagte schließlich in den Polizeigewahrsam gebracht.
7
d) Am 25. Juni 2013 drückte der Angeklagte die Eingangstür zur Wohnung des Zeugen St. auf. Er entdeckte eine Plastiktüte mit Münzgeld,die er in einen Rucksack des St. packte, um sie mitzunehmen. Der Angeklagte glaubte nun, er befinde sich in seiner eigenen Wohnung, zog sich aus und duschte. Währenddessen kehrte St. in seine Wohnung zurück. Erforderte den Angeklagten auf, die Wohnung zu verlassen. Der Angeklagte wollte den Rucksack des St. mitnehmen, was dieser durch Festhalten verhinderte. Der Angeklagte verließ daraufhin die Wohnung.
8
2. Das Landgericht hat – dem Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen Dr. M. folgend – angenommen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten, der seit 2006 an einer schizoaffektiven Psychose (ICD-10 F25) leidet und bei dem eine dissoziale Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.2) sowie Cannabis- und Kokainmissbrauch (ICD-10 F12.1, F14.1) vorliegen, bei der Begehung der Taten aufgrund eines akuten affektpsychotischen Erlebens aufgehoben war. Von der Schuldunfähigkeit war es ebenso überzeugt wie von einer hohen Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Angeklagte zukünftig auch schwerwiegendere Taten aus dem Bereich der Gewaltkriminalität begehen wird.

II.


9
Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Gefährlichkeitsprognose ist nicht tragfähig begründet (1.), dies führt zur Aufhebung des Urteils insgesamt. In den Fällen II.2.a und b der Urteilsgründe werden zudem weder die vom Landgericht angenommene Aufhebung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung dieser Taten noch der notwendige Zusammenhang zwischen der psychischen Erkrankung und der Tatbegehung hinreichend belegt (2.); schon das Vor- liegen einer rechtswidrigen Tat lässt sich anhand der Urteilsgründe jedenfalls im Fall II.2.a nicht nachvollziehen (3.).
10
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB ist eine den Betroffenen außerordentlich beschwerende Maßnahme. Nur Störungen des Rechtsfriedens, die zumindest in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinragen, rechtfertigen eine Unterbringung gemäß § 63 StGB (vgl. BVerfGE 70, 297, 312; BGH, Urteil vom 17. August 1977 – 2 StR 300/77, BGHSt 27, 246, 248; BGH, Beschluss vom 21. März 1989, NJW 1989, 2959; st. Rspr.). Auch muss aufgrund einer umfassenden Würdigung von Tat und Täter eine höhere oder doch bestimmte, jedenfalls über die bloße Möglichkeit hinausreichende Wahrscheinlichkeit zu bejahen sein, dass der schuldunfähige Täter infolge seines Zustandes weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2013 – 2 StR 94/13 mwN).
11
Die Strafkammer hat bei ihrer Gefährlichkeitsprognose hinsichtlich der Anlasstaten ausdrücklich nur auf die Tat im Fall II.2.c der Urteilsgründe abgestellt und eine erhöhte Gefahr bejaht, dass es wiederholt zu Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte und damit verbundenen Körperverletzungen wie bei den Beamten G. R. und S. kommen werde. Diese eine Tat reicht aber nicht, die für eine Unterbringung erforderliche Gefährlichkeit des Angeklagten zu belegen. Sie allein lässt nicht ausreichend erkennen, dass eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für Impulsdurchbrüche mit der Folge von Gewalttätigkeiten besteht. Zwar ist der Angeklagte auch bei der Exploration durch die Sachverständige im hiesigen Verfahren, bei einem Termin bei dem Psychiater Dr. D. und bei einer richterlichen Anhörung im Rahmen einer Unterbringung nach dem PsychKG in einen hochgradigen und nicht mehr kontrollierbaren Erregungszustand geraten. Zu Tätlichkeiten ist es in diesen Fällen aber nicht gekommen. Der Angeklagte erleidet auch nicht bei jedem Kontakt mit Polizeibeamten einen krankheitsbedingten gewalttätigen Impulsdurchbruch, wie sein unauffälliges Verhalten gegenüber den Polizisten im Fall II.2.b der Urteilsgründe zeigt. Hinzu kommt, dass er auch schon vor der Manifestation seiner Erkrankung – also nicht krankheitsbedingt – mehrfach wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung in Erscheinung getreten ist. Die Gefahrenprognose für die Unterbringung nach § 63 StGB kann aber nur auf solche zu erwartenden Taten gestützt werden, die gerade auf dem Zustand des Betroffenen beruhen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2012 – 2 StR 614/11).
12
Soweit die Strafkammer auf das sonstige Verhalten des Angeklagten – Werfen von Gegenständen und Gießen von kochend heißem Wasser aus dem Fenster – abstellt, kann dies prinzipiell eine Gefährlichkeit gegenüber der Allgemeinheit begründen. Die Strafkammer hat aber diese Vorfälle nicht, was erforderlich gewesen wäre, im Einzelnen konkret dargelegt.
13
Des Weiteren stellt die Strafkammer bei der Gefährlichkeitsprognose auf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchtende Raubdelikte zur Finanzierung des Betäubungsmittelkonsums des Angeklagten ab. Sollte sich in einer solchen Situation ein von ihm nicht mehr zu kontrollierender Affektsturm ergeben, sei mit der Anwendung unkontrollierter Gewalt mit hoher Gefahr für Leib und Leben der Opfer zu rechnen. Auch dies ist nicht mit Tatsachen belegt. Insoweit lässt das Urteil insbesondere eine Auseinandersetzung mit Tatbesonderheiten vermissen , die darin bestehen, dass der Angeklagte beim Diebstahlsversuch im Fall II.2.d der Urteilsgründe, als St. den Rucksack festhielt, die Wohnung widerstandslos ohne Beute verließ. Somit fehlt auch insoweit die notwendige umfassende Erörterung der krankheitsbedingten Gefährlichkeit unter Einschluss des bisherigen Lebens des Angeklagten.
14
2. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht.
15
Für seine Annahme, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei im gesamten Tatzeitraum aufgehoben gewesen, beruft sich das Landgericht auf das Gutachten der Sachverständigen. Näher ausgeführt wird jedoch nur, wie die Gutachterin nunmehr sicher zu ihrer Diagnose einer schizoaffektiven Psychose gelangt ist, ohne im Einzelnen näher darzulegen, wie sich diese bei den einzelnen Taten bemerkbar gemacht hat. Während ein affektiver Impulsdurchbruch im Fall II.2.c der Urteilsgründe und damit die Ursächlichkeit der psychischen Erkrankung für die Widerstandshandlungen und die Körperverletzungen nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe belegt ist, lässt sich ein solcher Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der Tatbegehung bei den übrigen Taten dem Urteil nicht entnehmen. Inwieweit der Angeklagte aufgrund der Erkrankung nicht fähig war, Gespräche mit seinem Bewährungshelfer wahrzunehmen , ist für keinen der versäumten Termine im Fall II.2.a dargetan. Im Fall II.2.b der Urteilsgründe ist es zu Tätlichkeiten gekommen, die ausweislich der mitgeteilten Vorstrafen des Angeklagten bereits vor Manifestation der Erkrankung diesem nicht wesensfremd waren. Seit 1998 ist der Angeklagte mehrfach wegen Körperverletzung bzw. gefährlicher Körperverletzung verurteilt wor- den, 1999 hatte der Angeklagte bei einer Auseinandersetzung seinen Bruder lebensgefährlich verletzt. Auch wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung ist der Angeklagte bereits 2003 mehrfach in Erscheinung getreten. Die Erkrankung besteht aber erst seit 2006. Im Fall II.2.d war der Angeklagte in die fremde Wohnung eingedrungen und hatte das Münzgeld zum Abtransport bereit gelegt, bevor er sich dort als „Eigen- tümer“ zu fühlen und zu duschen begann. In den Fällen II.2.a, b und d ist deshalb fraglich, ob und in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Taten auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307). Allein die sichere Diagnose einer psychiatrischen Erkrankung besagt nichts über die Schuldfähigkeit bei der Tat.
16
3. Dem Angeklagten war durch Beschluss des Landgerichts Essen die Anweisung erteilt worden, jeden ersten Montag des Monats um 15.00 Uhr bei seinem Bewährungshelfer vorzusprechen. Angelastet wird ihm von der Strafkammer u.a., Gesprächstermine am 8. Oktober 2012 (2. Montag des Monats), 23. Oktober 2012 (Dienstag im selben Monat), 6. November 2012 (Dienstag) und 14. November 2012 (Mittwoch desselben Monats) schuldhaft versäumt zu haben. Inwieweit die Gesprächstermine wirksam verlegt worden sind, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, auch nicht, inwieweit der Bewährungshelfer – strafbewehrt – Terminezur Suchtmittelkontrolle vorgeben konnte. Zum Inhalt des entsprechenden Beschlusses des Landgerichts Essen vom 7. Mai 2012 ist nichts Näheres mitgeteilt. Darüber hinaus vermögen reine Formalverstöße gegen eine Weisung die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht zu begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Mai 2008 – 1 StR 243/08, NStZ-RR 2008, 277).
17
4. Die Sache bedarf deshalb insgesamt der neuen Verhandlung und Entscheidung. Der Senat sieht Anlass zu folgendem Hinweis:
18
Durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl. I S. 1327) wurde der frühere Rechtszustand dahin geändert, dass es gemäß § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO nunmehr möglich ist, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen, wenn sich herausstellt , dass der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war. Das Gericht bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung einer isoliert angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuordnen und zugleich erstmals Strafe zu verhängen (vgl. BT-Drucks. 16/1344, S. 17 f.; BGH, Beschlüsse vom 27. Oktober 2009 – 3 StR 369/09, juris Rn. 9; vom 14. September 2010 – 5 StR 229/10, StraFo 2011, 55).
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 S t R 2 8 7 / 1 5
vom
29. September 2015
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. September
2015, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß
als Vorsitzender,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Jäger,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Cirener,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Radtke
und die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Fischer,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 2. Februar 2015 mit den Feststellungen aufgehoben; die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen bleiben jedoch aufrechterhalten.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB angeordnet. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer unbeschränkten Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, insgesamt die Verletzung materiellen Rechts, wobei sie die Anordnung der vom Landgericht abgelehnten Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB anstrebt.
2
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat weitgehend Erfolg.

I.

3
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
Der Beschuldigte, der bereits sieben Mal strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, davon auch zweimal wegen Körperverletzungsdelikten und zweimal wegen Bedrohung, wobei eine der Bedrohungen mit einem gefährlichen Gegenstand vorgenommen wurde, leidet an einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung des impulsiven Typs (ICD-10: F60.30) und erheblichem Alkoholmissbrauch.
5
Am 3. Juni 2014 konsumierte er nach einem für ihn enttäuschenden Gang zum Arbeitsamt unbekannte Mengen an Bier und Schnaps. Als seine Ehefrau ihm gegen 16.00 Uhr begegnete, beschimpfte der erheblich alkoholi- sierte Beschuldigte sie als „Schlampe“ und dass sie mit anderen Männern schlafe, und folgte ihr auf ihrem Weg zur Bank. Hierbei passierte er den Biergarten eines Spielcenters, in dem sich die Gäste unterhielten und lachten. Der Beschuldigte war der Ansicht, die besagten Biergartengäste würden über ihn lachen, und ging nach Hause, um ein Samuraischwert (Gesamtlänge 98,5 cm, Klingenlänge 69,5 cm) und eine Machete (Gesamtlänge 49 cm, Klingenlänge 36,5 cm) zu holen. Hiermit fuchtelnd stellte er sich gegen 17.00 Uhr vor den Biergarten und rief den circa fünf bis sieben Metern entfernten Biergartengäs- ten, die seines Erachtens zuvor über ihn gelacht hatten, zu: „Dein Kopf gehört mir“ sowie „Rufts die Polizei“. Der Beschuldigte wollte sichmit dieser Drohung rächen, jedoch niemandem wirklich den Kopf abschlagen. Die Geschädigten verließen hierauf den Biergarten und riefen um 17.02 Uhr die Polizei, während der Beschuldigte in seine benachbarte Wohnung zurückkehrte und eine Langwaffe , Modell Carcano 1891, 6,5 mm Kaliber, bei der das Patronenlager ver- schlossen war, so dass die Waffe nicht mehr zum Verschießen von Munition geeignet war, holte.
6
Wieder am Biergarten angekommen richtete der Beschuldigte die Waffe auf die dort ermittelnden Polizeibeamten, PHM R. , PK W. und POK S. , und rief diesen zu, dass es sich um eine scharfe Waffe handele , die geladen sei, und er auch mit dieser umgehen könne. Daraufhin gingen die Polizeibeamten in Deckung und konnten ihre Ermittlungen nicht fortsetzen. Der Beschuldigte legte die Langwaffe ab und nahm erneut das Samuraischwert und die Machete zur Hand, ging mit diesen zur nächsten Kreuzung und forderte mit dem Samuraischwert und der Machete fuchtelnd wiederholt die Polizeibeamten auf, ihn zu erschießen. Dabei ging er zunächst aggressiv auf PHM R. zu, der rückwärts wich und den Beschuldigten aufforderte, die Messer wegzulegen. Als der Beschuldigte sich kurzzeitig neben dem Polizeibus niederkniete , erweckte er den Eindruck, er würde aufgeben, stand dann jedoch wieder auf und ging - erneut mit Samuraischwert und Machete in der Hand - diesmal auf POK S. mit der Forderung zu, ihn zu erschießen. POK S. wich circa 15 Meter mit gezückter Waffe zurück, aber der Beschuldigte schloss immer weiter auf. Auch PHM R. , PHM A. und PK W. hatten jeweils die Dienstwaffe gezückt und waren schussbereit. Als der Beschuldigte nur noch circa zwei Meter von POK S. entfernt war, feuerte PHM R. auf den Beschuldigten. Das Projektil ging durch den rechten Oberschenkel des Beschuldigten und schlug letztlich im linken Knie ein. Da der Beschuldigte nicht direkt zu Boden ging, folgten zwei weitere Schüsse, bis der Beschuldigte überwältigt werden konnte.
7
Der Beschuldigte hatte nach den Feststellungen des Landgerichts nicht vor, einen der Polizeibeamten zu verletzen und erachtete dies, da er die Messer zuletzt nach unten gerichtet hielt, auch nicht für möglich. Er wollte mit sei- nem Vorgehen ausschließlich die vier Polizeibeamten zur Schussabgabe auf ihn zwingen. Eine Blutprobe des Beschuldigten ergab im Wege der Rückrechnung eine maximale BAK von 2,6 Promille zum Tatzeitpunkt. Die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten war bei der Tat aufgrund einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung mit dissozialen Zügen sowie eines leicht- bis mittelgradigen Rauschzustands mit kognitiven Funktionseinbußen wie Stimmungslabilität und deutlichen Aufmerksamkeitsstörungen sicher erheblich vermindert (§ 21 StGB) und nicht ausschließbar aufgehoben (§ 20 StGB).
8
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB angeordnet. Die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB hat das Landgericht abgelehnt.

II.

9
Das Urteil hält materiell-rechtlicher Nachprüfung weitgehend nicht stand.
10
1. Die Ablehnung der Maßregelanordnung nach § 63 StGB weist durchgreifende Rechtsfehler auf.
11
a) Das sachverständig beratene Landgericht hat festgestellt, dass die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten bei den am 3. Juni 2014 begangenen Taten in Folge einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung mit dissozialen Zügen sowie eines leicht- bis mittelgradigen Rauschzustands mit kognitiven Funktionseinbußen wie Stimmungslabilität und deutlichen Aufmerksamkeitsstörungen sicher erheblich vermindert im Sinne des § 21 StGB und nicht ausschließbar sogar aufgehoben im Sinne des § 20 StGB war. Hierbei teilt das landgerichtliche Urteil jedoch nicht mit (wie aber erforderlich, vgl. u.a. BGH, Be- schluss vom 21. Juli 2015 - 2 StR 163/15), welches Eingangsmerkmal der §§ 20, 21 StGB vorliegend erfüllt ist und ob es sich dabei nur um eine vorübergehende Störung oder einen länger andauernden Defektzustand gehandelt hat. Dabei muss vom Tatgericht im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte , einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 18.November 2013 - 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 75, 76 mwN). Dies kann schon deshalb nicht offen bleiben, weil die im Rahmen des § 63 StGB zu erstellende Gefährlichkeitsprognose maßgeblich an den Zustand des Betroffenen anknüpft (BGH, Beschluss vom 18. November 2013 - 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 75, 77) und eine Unterbringung nach § 63 StGB nur in Betracht kommt, wenn eine länger andauernde Beeinträchtigung der geistigen oder seelischen Gesundheit vorliegt. Vorübergehende Defekte genügen nicht (BGH, Urteil vom 10. August 2005 - 2 StR 209/05, NStZ-RR 2005, 370, 371; van Gemmeren in MüKoStGB, 2. Aufl., § 63 Rn. 31; Schöch in Leipziger Kommentar, 12. Aufl., § 63 Rn. 8). Auch bei Zusammenwirken von Persönlichkeitsstörung und Alkoholkonsum kann eine Unterbringung nach § 63 StGB angebracht sein, wenn der Beschuldigte an einer krankhaften Alkoholsucht leidet, in krankhafter Weise alkoholüberempfindlich ist oder an einer länger andauernden geistig-seelischen Störung leidet, bei der bereits geringer Alkoholkonsum oder andere alltägliche Ereignisse die erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auslösen können und dies getan haben (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 1. April 2014 - 2 StR 602/13, NStZ-RR 2014, 207). Die Ausführungen des Landgerichts hierzu ermöglichen jedoch keine abschließende Beurteilung, ob ein solcher Fall hier gegeben ist.
12
b) Bei der Prüfung der Maßregelanordnung führt das Landgericht weiter aus, der Beschuldigte habe zwar im Zustand sicher verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) rechtswidrige Taten begangen, nämlich Bedrohungen, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Nötigung und versuchte Nötigungen, und es müsse bei dem Beschuldigten auch künftig mit vergleichbaren Taten gerechnet werden. Gleichwohl lehnt es die Maßregelanordnung ab, weil es - sich dem Sachverständigen diesbezüglich anschließend - keine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür erkenne, dass der Beschuldigte künftig eine versuchte oder vollendete Körperverletzung begehen werde. Unter Berücksichtigung der Vorstrafen des Beschuldigten und der hiesigen Tatbegehung, die ebenfalls nicht auf eine Körperverletzung, sondern nur auf Bedrohungs-, Nötigungs- und Widerstandshandlungen abzielte, sei auch für die Zukunft mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades nur mit Bedrohungs- und Nötigungsdelikten zu rechnen.
13
Zutreffend hat das Landgericht zwar erkannt, dass die Anlasstat selber nicht erheblich im Sinne des § 63 StGB sein muss. Maßgeblich ist vielmehr, welche Taten künftig von dem Täter infolge seines Zustands zu erwarten sind und ob diese erheblich sind (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 15. August 2013 - 4 StR 179/13). Die Ausführungen des Landgerichts zur Gefährlichkeitsprognose lassen jedoch besorgen, dass es einen zu strengen Maßstab angelegt und verkannt hat, dass es nicht zwingend einer Körperverletzung als künftig zu erwartender Straftat bedarf. Bereits der erneut zu erwartende Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, bei dem jedenfalls von einem unbenannten besonders schweren Fall gemäß § 113 Abs. 2 Satz 1 StGB auszugehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 9. August 1972 - 2 StR 264/72), kann als mittlere Kriminalität gewertet werden. Ohnehin müssen die zu erwartenden Taten zwar grundsätzlich im Bereich mittlerer Kriminalität liegen, jedoch ist eine Unterbringung nach § 63 StGB auch unter dieser Schwelle nicht völlig ausgeschlossen. Dann ist allerdings eine besonders sorgfältige Darlegung der Gefährlichkeitsprognose und der konkreten Ausgestaltung der Taten erforderlich (BGH, Beschlüsse vom 16. Juni 2014 - 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571, 573; vom 18. November 2013 - 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 75 und vom 6. März 2013 - 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304 f.). Auch Todesdrohungen können eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Rechtsfriedens darstellen, insbesondere wenn diese unter Einsatz gefährlicher Gegenstände ausgesprochen werden (vgl. auch BGH, Beschluss vom 18. November 2013 - 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 75, 77) und den Bedrohten nachhaltig und massiv in seinem elementaren Sicherheitsempfinden beeinträchtigen , da die Bedrohung aus Sicht des Betroffenen die nahe liegende Gefahr ihrer Verwirklichung in sich trägt (BGH, Urteil vom 21. Mai 2014 - 1 StR 116/14; Beschlüsse vom 4. Juli 2012 - 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338; vom 22. Februar 2011 - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 271, 272 und vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08, StraFo 2008, 300, 301).
14
Vorliegend hat sich das Landgericht weder mit der Tatsache, dass sich der Beschuldigte mit einem Samuraischwert und einer Machete bis auf zwei Meter POK S. näherte und mit diesen Gegenständen bereits zuvor die Gäste des Biergartens mit einem derart massiven Auftreten bedroht hatte, dass diese sich ins Gebäude in Sicherheit brachten, noch mit dem Umstand, dass der Beschuldigte zwischenzeitlich eine für die Betroffenen nicht erkennbar funktionsunfähige Langwaffe zur Unterstreichung seiner Drohungen verwendete , auseinandergesetzt. Auch die Vorstrafen des Beschuldigten, unter anderem wegen Körperverletzungsdelikten und Bedrohungen mit gefährlichen Gegenständen , bleiben in diesem Zusammenhang unerörtert. Dies genügt nicht den Anforderungen an eine rechtsfehlerfreie Ablehnung der Unterbringung nach § 63 StGB.
15
Das Übermaßverbot nach § 62 StGB würde hier einer Anordnung gemäß § 63 StGB nicht grundsätzlich entgegenstehen. Bei einer Abwägung der Gefahr für die Allgemeinheit aufgrund der vom Beschuldigten begangenen und zu erwartenden Taten gegenüber willkürlichen Opfern und des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht der von der Maßregel nach § 63 StGB Betroffenen stünde dieser Eingriff nicht von vorneherein außer Verhältnis (vgl. auch BGH, Urteil vom 30. November 2011 - 1 StR 341/11).
16
Die Ablehnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB ist auch nicht deshalb hinzunehmen, weil eine Unterbringung nach § 64 StGB angeordnet worden ist. Da das Landgericht sich nicht dazu verhält, ob in erster Linie die Behandlung der Persönlichkeitsstörung oder des Alkoholmissbrauchs oder beider Phänomene erforderlich ist, können die Voraussetzungen des § 72 StGB ebenfalls nicht überprüft werden.
17
2. Die Anordnung der Unterbringung in einer Enziehungsanstalt nach § 64 StGB ist ohnehin nicht frei von Rechtsfehlern. Die Bejahung einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht im Sinne des § 64 Satz 2 StGB begegnet rechtlichen Bedenken. Das Landgericht setzt sich insoweit über den Sachver- ständigen hinweg, der „Zweifel geäussert (hat), ob der Beschuldigte kognitiv und intellektuell in der Lage sei, eine Entziehungsbehandlung erfolgreich durchzustehen“ (UA S. 15). Genauere Ausführungen zu den wesentlichen An- knüpfungspunkten und Ausführungen des Sachverständigen lässt das landgerichtliche Urteil jedoch vermissen und verhält sich auch nicht zu der vom Sachverständigen für erforderlich gehaltenen testpsychologischen Zusatzuntersuchung. Zwar darf das Landgericht von der Einschätzung des Sachverständigen abweichen, doch hätte es sich dafür erschöpfend mit dessen Ausführungen auseinandersetzen und diese im Einzelnen darlegen müssen, da andernfalls dem Revisionsgericht eine Prüfung nicht möglich ist, ob der Tatrichter das Gut- achten zutreffend gewürdigt und aus ihm rechtlich zulässige Schlüsse gezogen hat sowie woher sich sein besseres Fachwissen ergibt, nachdem er zuvor glaubte, sachverständiger Beratung zu bedürfen (BGH, Urteile vom 12. Juni 2001 - 1 StR 190/01 und vom 10. Dezember 2009 - 4 StR 435/09, NStZ-RR 2010, 105, 106; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 1 StR 579/05, NStZ-RR 2006, 242, 243). Dem genügt der bloße Verweis auf die Ernüchterung des Beschuldigten durch die eigenen Verletzungen als Tatfolgen und die dadurch bedingte Therapiebereitschaft nicht.
18
Ohne eine Bestimmung des Eingangsmerkmals im Sinne der §§ 20, 21 StGB einerseits und nähere Ausführungen zur Therapierbarkeit der Persönlichkeitsstörung und des Alkoholmissbrauchs andererseits ist die erforderliche Grundlage für die Beurteilung der hinreichend konkreten Erfolgsaussicht nicht gegeben (vgl. z.B. auch BGH, Urteil vom 11. August 2011 - 4 StR 267/11).
19
3. Das angefochtene Urteil war daher (sowohl als die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet als auch die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt worden war) aufzuheben.
20
Die Sache war zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass erneut eine Unterbringung des Beschuldigten angeordnet wird.
21
4. Von der Aufhebung nicht betroffen sind jedoch die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen, die deshalb bestehen bleiben. Denn die diesen Feststellungen zugrundeliegende Beweiswürdigung weist keinen Rechtsfehler auf (§ 353 Abs. 2 StPO). Insoweit war die Revision zu verwerfen. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen. Rothfuß Jäger Cirener Radtke Fischer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 168/13
vom
18. Juli 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 18. Juli 2013 gemäß § 349 Abs. 4,
§ 126 Abs. 3 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 22. November 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückverwiesen.
3. Der Haftbefehl des Amtsgerichts Dortmund vom 23. Dezember 2011 (Az. 703 Gs – 110 Js 720/11 – 1552/11) in der Fassung des Haftfortdauerbeschlusses des Landgerichts Dortmund vom 22. November 2012 wird aufgehoben. Der Angeklagte ist unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "Nachstellung zum Nachteil der Zeugin V. S. in Tateinheit mit versuchter Nötigung zum Nachteil der Zeugin V. S. in 11 Fällen und mit Bedrohung zum Nachteil des Zeugen A. S. in 5 Fällen und mit Bedrohung zum Nachteil der Zeugin P. S. in 6 Fällen und mit Bedrohung zum Nachteil des Zeugen T. in 4 Fällen und wegen vorsätzlicher Körperverletzung zum Nachteil der Zeugin V. S. und mit vorsätzlicher Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen A. S. und mit vorsätzlicher Körperverletzung zum Nachteil der Zeugin P. S. und mit vorsätzlicher Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen T. und mit Sachbeschädigung" zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.


2
Die Strafkammer hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
3
Im August 2010 lernte der in Berlin lebende, damals 24-jährige Angeklagte im Urlaub die 22-jährige V. S. kennen. In der Folgezeit hielten sie zwar Kontakt zueinander, zu einer Liebesbeziehung oder regelmäßigen Treffen kam es jedoch nicht. Ende des Jahres 2010 fühlte sich V. S. vom Angeklagten vereinnahmt und zunehmend eingeengt, weshalb sie eine geplante gemeinsame Silvesterfeier zum Jahreswechsel absagte. Zum 1. Februar 2011 trat V. S. eine Stelle als Flugbegleiterin in Frankfurt an, wohin sie auch ihren Wohnsitz verlegte. In diesem Zusammenhang teilte sie dem Angeklagten mit, dass sie keine Beziehung wünsche, zumal ihr die Entfernung zwischen Berlin und Frankfurt zu weit sei. In der Folgezeit löschte sie den Angeklagten von ihrer sog. Freundesliste bei Facebook.
4
In der Zeit zwischen dem 24. Februar 2011 und der Festnahme des Angeklagten am 15. März 2012 kam es zu zahlreichen Kontaktversuchen des Angeklagten über die Internetplattform Facebook, die zum Teil an V. S. gerichtet waren, zu einem anderen Teil an deren Freundinnen, da V. S. zwischenzeitlich ihr Profil bei Facebook gelöscht hatte und deshalb für den Angeklagten nicht mehr erreichbar war. Ferner schrieb der Angeklagte ihr und ihren Eltern Briefe; in einem Fall wandte sich der Angeklagte mittels einer Facebook-Nachricht an den damaligen Lebensgefährten von V. S. , den Zeugen T. .
5
V. S. hatte den Angeklagten – ebenso wie ihre Eltern und der Zeuge T. – zu einem nicht näher festgestellten Zeitpunkt aufgefordert, sie in Ruhe zu lassen und ihm mitgeteilt, sie wolle keinen Kontakt mehr zu ihm haben. Hierüber setzte der Angeklagte sich jedoch hinweg. In einer Vielzahl von Nachrichten und Briefen forderte er V. S. unter anderem dazu auf, ihn erneut ihrer Freundesliste in ihrem Facebook-Profil hinzuzufügen, sich bei ihm zu entschuldigen, ihm ein Armband, das er ihr zum Geburtstag geschenkt hatte, zurückzugeben und sich von dem Zeugen T. zu trennen. Diese Forderungen unterstrich er mit Drohungen für den Fall, dass sie seine Forderungen nicht erfüllen sollte.
6
Bei V. S. trat durch das Verhalten des Angeklagten eine „kur- ze reaktive depressive Erkrankung aufgrund äußerer Belastung“ ein.Diese äu- ßerte sich darin, dass sie sich hilflos und kraftlos fühlte und unter Schlafstörungen sowie Leistungseinbußen litt. Sie ging nicht mehr so häufig aus wie zuvor und achtete auf der Straße darauf, ob ihr jemand folgt. Zeitweise fühlte sie sich psychisch nicht mehr im Stande, ihrer Arbeit als Flugbegleiterin nachzugehen, da der Angeklagte ihr u.a. angekündigt hatte, sie auf einem Flug „fertig zu ma- chen“. Nachdem sie im August von ihrer Mutter telefonisch davon in Kenntnis gesetzt worden war, dass es an ihrem Elternhaus zu einer Sachbeschädigung durch den Angeklagten gekommen war, meldete sie sich aus Angst, der Angeklagte könne ihr, ihrem Freund oder ihren Eltern etwas antun, krank. Insgesamt kam es von April bis September 2011 zu 30 Fehltagen, die „größtenteils“ auf „psychische Probleme“ zurückzuführen waren, die sie „in Folge des Verhaltens des Angeklagten hatte“. Ferner litt sie „ab April/Mai 2011 unter Migräneanfällen“ , während sie zuvor nur „normale“ Kopfschmerzen hatte. Sie hatte „während des Tatzeitraumes“ häufig Weinkrämpfe mit Herzrasen und begab sich in „psy- chologische Behandlung“, wo Symptome einer „Anpassungsstörung mit emotionaler Symptomatik“ diagnostiziert wurden und eine Gesprächstherapie geplant wurde. Eine Übernahme in ein festes Anstellungsverhältnis erfolgte nicht; V. S. wechselte den Beruf und zog in eine andere Stadt. Treffen mit Freunden sagte sie ab, weil der Angeklagte hiervon Kenntnis erlangt haben konnte; aus sozialen Netzwerken wie Facebook zog sie sich zurück oder trat dort nur noch unter Fantasienamen auf.
7
Bei T. trat „kurzfristig aufgrund der psychischen Belastung durch Somatisierung eine erhebliche Beeinträchtigung der Gesundheit“ ein. Er litt „während des Tatzeitraums zeitweise unter Schlafstörungen und temporär unter Schwindelzuständen“. Ferner hatte er Albträume und zeigte Nervosität sowie eine erhöhte Reizbarkeit. In „bestimmten Situationen“, die durch ein je- weiliges Verhalten des Angeklagten hervorgerufen wurden, hyperventilierte er.
8
A. S. , der Vater von V. S. , litt unter „konkreten Ängsten als zeitlich begrenzte Reaktion, die sodann wieder abklangen“. Er konnte aufgrund der Belastungssituation zunächst nicht mehr seiner Arbeit im Schichtdienst nachgehen und wurde am 21. Oktober 2011 für eine Woche krankgeschrieben. Zudem litt er unter Schlafstörungen. Bei P. S. kam es zu einer „deutlich längerfristigen Anpassungsstörung“, die allerdings nicht allein durch die Aktivitäten des Angeklagten hervorgerufen wurde. Die Zeugin befand sich schon vor den Vorfällen in psychiatrischer Behandlung. Jedoch „verstärkten sich die Probleme und wurden immer schlimmer“. Sie hatte Angst, das Haus zu verlassen und litt zudem unter Schlafstörungen und Albträumen.
9
Die durch sein Verhalten verursachten Auswirkungen auf das körperliche Wohlbefinden bzw. die körperliche Unversehrtheit der Zeugen hat der Angeklagte zumindest billigend in Kauf genommen.
10
Die sachverständig beratene Strafkammer nimmt bei dem Angeklagten eine narzisstische Persönlichkeitsstörung mit emotionaler und konsekutiver Verhaltensinstabilität bzw. auf der Ebene emotionaler/persönlicher Labilität vom Typ Borderline an. Seine Steuerungsfähigkeit sei daher im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert, nicht aber aufgehoben gewesen. Es bestehe „eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades", dass „der Angeklagte in Zukunft seine Tat fortführt oder/und die Tat sich in ähnlicher Weise wiederholen könnte“ (UA S. 132).

II.


11
1. Die Verurteilung wegen Körperverletzung zum Nachteil der P. S. , des A. S. , des T. und der V. S. wegen versuchter Nötigung im Fall der Tat vom September 2011 sowie die Verurteilung wegen Bedrohung der P. S. in drei Fällen, des A. S. in zwei Fällen und des T. in drei Fällen begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
12
a) Die Verurteilung wegen der Körperverletzungen wird von den Feststellungen des Landgerichts nicht getragen.
13
aa) Als Gesundheitsbeschädigung im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB ist jedes Hervorrufen oder Steigern eines vom Normalzustand der körperlichen Funktionen des Opfers nachteilig abweichenden Zustandes anzusehen. Dabei kommt es nicht darauf an, auf welche Art und Weise die Beeinträchtigung erfolgt ist (BGH, Urteil vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 6; Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 223 Rn. 5 mwN). Rein psychische Empfindungen genügen bei keiner Handlungsalternative, um einen Körperverletzungserfolg gemäß § 223 Abs. 1 StGB zu begründen (BGH, Urteil vom 9. Oktober 2002 – 5 StR 42/02, BGHSt 48, 34, 36; vgl. ferner BGH, Beschluss vom 11. Juli 2012 – 2 StR 60/12, NStZ-RR 2012, 340 f.; OLG Düsseldorf, NJW 2002, 2118; Mey- er, ZStW 115 (2003), 249, 261). Wirkt der Täter auf sein Opfer lediglich psychisch ein, liegt eine Körperverletzung daher erst dann vor, wenn ein pathologischer , somatisch-objektivierbarer Zustand hervorgerufen worden ist, der vom Normalzustand nachteilig abweicht (BGH aaO S. 36 f.; Urteil vom 31. Oktober 1995 – 1 StR 527/95, BGHR StGB § 223 Abs. 1 Gesundheitsbeschädigung 2). Bloß emotionale Reaktionen auf Aufregungen, wie etwa starke Gemütsbewegungen oder andere Erregungszustände, aber auch latente Angstzustände, stellen keinen pathologischen Zustand und damit keine Gesundheitsbeschädigung im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB dar (Senatsbeschluss vom 5. November 1996 – 4 StR 490/96, NStZ 1997, 123).
14
bb) Daran gemessen genügt für die Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung zum Nachteil der P. S. nicht, dass es bei ihr „aufgrund der ständigen Bedrohung durch den Angeklagten … zu einer deutlich länger- fristigen Anpassungsstörung“ kam, die „nicht allein durch die Aktivitäten des Angeklagten hervorgerufen, jedoch wesentlich gesteigert“ wurde (UA S. 119). Insofern hätte es vielmehr näherer Darlegungen dazu bedurft, worin die Anpassungsstörung konkret bestanden und wie sie sich geäußert haben soll; hinsicht- lich der „Steigerung“ der Störung waren vor dem Hintergrund, dass sich die Zeugin bereits in psychiatrischer Behandlung befand (UA S. 97), Ausführungen dazu geboten, ob hierhin ein eigenständiger Erfolg im Sinne des § 223 StGB liegt. Auch die von der Strafkammer an anderer Stelle herangezogenen „Schlafstörungen und Albträume“ der Zeugin (UA S. 97) lassen nicht erkennen, ob es sich hierbei um Beeinträchtigungen erheblichen Ausmaßes handelte, etwa weil sich das Schlafverhalten dauerhaft geändert hat (vgl. Senatsbeschluss vom 5. November 1996 – 4 StR 490/96, NStZ 1997, 123; Urteil vom 31. Oktober 1995 – 1 StR 527/95, NStZ 1996, 131, 132).
15
Zudem hätte es – wie auch bei den anderen Opfern – einer tragfähigen, sich nicht auf die Wiedergabe der Umschreibung des bedingten Vorsatzes beschränkenden Begründung des Wissens und Wollens des Körperverletzungserfolges bedurft (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juli 2012 – 2 StR 60/12, NStZ-RR 2012, 340 f.; Senatsbeschluss vom 5. November 1996 – 4 StR 490/96, NStZ 1997, 123; Beschluss vom 22. November 2006 – 2 StR 382/06, bei Miebach, NStZ-RR 2007, 65).
16
cc) Auch die Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung zum Nachteil des A. S. hat danach keinen Bestand.
17
Insofern führt das Landgericht zur Begründung seiner rechtlichen Würdigung lediglich aus, die Gesundheit des A. S. sei „kurzfristig … erheb- lich beeinträchtigt“ worden; er habe „infolge der akuten Belastungssituation durch das Verhalten des Angeklagten unter konkreten Ängsten als zeitlich be- grenzte Reaktion“ gelitten (UA S. 119). Angst als solche stellt jedoch – insbe- sondere wenn die Reaktion „zeitlich begrenzt“ bzw. „kurzfristig“ auftritt – lediglich eine Beeinträchtigung des seelischen Wohlbefindens und eine normale Reaktion auf Bedrohungen, nicht aber einen pathologischen Zustand dar (Senatsbeschluss vom 5. November 1996 – 4 StR 490/96, NStZ 1997, 123; vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juli 2012 – 2 StR 60/12, NStZ-RR 2012, 340 f.; OLG Köln, NJW 1997, 2191, 2192; NK-StGB/Paeffgen, 4. Aufl., § 223 Rn. 11a).
18
Auch der Umstand, dass A. S. „aufgrund der Belastungssituation … für eine Woche krankgeschrieben“ wurde (UA S. 96), ermöglicht keine revisionsgerichtliche Nachprüfung der Annahme einer Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit. Gleiches gilt aus den vorgenannten Gründen für nicht näher konkretisierte „Schlafstörungen“.
19
dd) Die Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen T. begegnet ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
20
Die insoweit im Rahmen der rechtlichen Würdigung allein herangezogene „psychische Belastung durch Somatisierung“ (UA S. 118 f.) stellt keine tragfähige Begründung für den Eintritt eines Körperverletzungserfolges dar (vgl. zur Erforderlichkeit eines pathologischen, somatisch objektivierbaren Zustandes: Senatsbeschluss vom 5. November 1996 – 4 StR 490/96, NStZ 1997, 123; OLG Düsseldorf, NJW 2002, 2118). Die an anderer Stelle in dem Urteil erwähnten Schlafstörungen, temporären Schwindelzustände, Albträume, Nervosität und erhöhte Reizbarkeit reichen – wie oben ausgeführt – mangels näherer Konkretisierung ebenfalls nicht aus, um eine tatbestandsmäßige Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit zu begründen (vgl. auch OLG Köln, NJW 1997, 2191, 2192).
21
ee) Schließlich hält auch die Verurteilung wegen Körperverletzung zum Nachteil der V. S. einer Überprüfung nicht stand.
22
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann zwar eine „massive“ depressive Verstimmung bei Hinzutreten weiterer Umstände den Körperverletzungstatbestand erfüllen (BGH, Beschluss vom 15. September 1999 – 1 StR 452/99, NStZ 2000, 25). Die vom Landgericht im Rahmen der rechtlichen Würdigung allein herangezogene „kurze reaktive depressive Erkrankung aufgrund äußerer Belastung“ (UA S. 118) erfüllt diese Voraussetzun- gen jedoch nicht.
23
Soweit die Strafkammer an anderer Stelle dargelegt hat, dass die Zeugin sich hilflos und kraftlos sowie psychisch nicht dazu in der Lage fühlte zu arbeiten (UA S. 93 f.), fehlt es an einem objektivierbaren Körperverletzungserfolg (vgl. Senatsbeschluss vom 5. November 1996 – 4 StR 490/96, NStZ 1997, 123; BGH, Urteil vom 9. Oktober 2002 – 5 StR 42/02, BGHSt 48, 34, 36 f.; OLG Düsseldorf, NJW 2002, 2118 mit Anm. Pollähne, StV 2003, 563, 564; OLG Köln, NJW 1997, 2191, 2192). Gleiches gilt für die nicht näher konkretisierten „Migräneanfälle“, zu denen sich die bereits vor dem Verhalten des Angeklagten vorhandenen „normalen Kopfschmerzen“ gesteigert haben sollen (UA S. 94; vgl. Pollähne, aaO). Weinkrämpfe und Herzrasen können ebenfalls eine normale körperliche Reaktion auf die mit einer Bedrohungssituation verbundenen Aufregungen unterhalb der Erheblichkeitsschwelle des § 223 StGB darstellen (zur fehlenden Tatbestandsmäßigkeit von „Herzklopfen“ bzw. „Herzrasen“ vgl. OLG Köln, NJW 1997, 2191, 2192; NK-StGB/Paeffgen, § 223 Rn. 11a; Smischek, Stalking, 2006, S. 215). Schließlich ergibt sich auch aus dem Umstand, dass die Zeugin sich in psychologische Behandlung begeben hat und „in der nahen Zukunft“ eine Gesprächstherapie geplant sei (UA S. 95),nicht in einer für das Revisionsgericht überprüfbaren Weise, dass im maßgeblichen Zeitpunkt ein Körperverletzungserfolg vorgelegen hat; ebenso wenig aus der nicht aussage- kräftigen Feststellung, dass „zu diesem Zeitpunkt“ eine „Anpassungsstörung mit emotionaler Symptomatik“ vorgelegen habe (UA S. 95).
24
b) Auch die Verurteilung des Angeklagten wegen Bedrohung hält nicht in allen Fällen rechtlicher Überprüfung stand.
25
aa) Der Tatbestand der Bedrohung setzt voraus, dass die Ankündigung des Verbrechens den Bedrohungsadressaten erreicht. Dies kann auch über Dritte erfolgen, wenn die Weitergabe der Drohung an den Adressaten vom Vorsatz des Täters umfasst ist (SSW-StGB/Schluckebier, § 241 Rn. 5, 7).
26
bb) Gemessen daran tragen die Feststellungen des Landgerichts eine Verurteilung wegen Bedrohung der P. und des A. S. in den Fällen der Facebook-Nachrichtan L. Sch. vom 23. August 2011 (UA S. 49), des Briefes, der ihnen am 6. Dezember 2011 zugegangen ist (UA S. 73), und der Facebook-Nachricht an Schl. von Anfang Dezember 2011 (UA S. 72) nicht. Im Fall der Nachricht vom 23. August 2011 fehlt es an der Feststellung , dass die an L. Sch. gerichtete Facebook-Nachricht die Bedrohungsadressaten mit dem Willen des Angeklagten erreicht hat. Ein solcher Vorsatz versteht sich bei einer über Facebook an eine Freundin der Tochter gerichtete Nachricht auch nicht von selbst, zumal der Angeklagte in derselben Nachricht ankündigt, an die Eltern der V. S. ein gesondertes Schreiben richten zu wollen (UA S. 51). Der am 6. Dezember 2011 eingegangene Brief ist an die Zeugin V. S. gerichtet („V. : …“). Auch insoweit ist ein Vorsatz des Angeklagten dahingehend, dass die Bedrohung die Eltern der Angesprochenen erreichen sollte, nicht festgestellt. Die Facebook-Nachricht von Anfang Dezember 2011 an Schl. ist wiederum an eine dritte Person gerichtet , ohne dass festgestellt ist, dass diese Nachricht P. S. erreicht hat und erreichen sollte.
27
cc) Hinsichtlich der Taten zum Nachteil von T. tragen die Feststellungen des Landgerichts aus den vorgenannten Gründen die Verurteilung jeweils wegen Bedrohung in den Fällen der Facebook-Nachrichten an L. Sch. vom 22. Juli 2011, an Schl. vom 23. Juli 2011 sowie im Fall des Briefes an die Eheleute S. , der am 22. Oktober 2011 bei ihnen eingegangen ist, nicht. In keinem der genannten Fälle ist festgestellt, dass die Nachrichten den Geschädigten erreicht haben und dass dies vom Vorsatz des Angeklagten umfasst war.
28
c) Soweit das Landgericht das Versenden des Schreibens, welches die Eltern der V. S. im September 2011 erreichte, als versuchte Nötigung bewertet, hat dies schon deshalb keinen Bestand, weil die Strafkammer es versäumt hat, einen den Einsatz eines Nötigungsmittels im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB (Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel) umfassenden Tatentschluss festzustellen.
29
2. Die aufgezeigten Mängel zwingen zur Aufhebung der weiteren tateinheitlichen Verurteilungen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2013 – 1 StR 105/13). Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:
30
a) Im Hinblick auf die Verurteilung wegen versuchter Nötigung durch Versenden einer Facebook-Nachricht an T. am 3. März 2012 bestehen Zweifel daran, ob diese Tat von der Anklage und von dem Eröffnungsbeschluss umfasst ist. Das in der Anklageschrift umschriebene Geschehen endet in zeitlicher Hinsicht mit dem Versenden einer Facebook-Nachricht an N. Sch. am 25. Januar 2012.
31
b) Soweit das Landgericht eine Bedrohung der P. und des A. S. im Versenden des Briefes vom 5. Januar 2012 sieht, begegnet dies Bedenken , weil sich der Ankündigung, der Zeugin V. S. und ihrer Fami- lie werde „ansonsten Schlimmeres passieren“ (UA S. 77), Verbrechensmerk- male nicht ohne Weiteres entnehmen lassen (vgl. OLG Köln, StV 1994, 245, 246). Sollte eine Verurteilung wegen Bedrohung darauf gestützt werden, dass in dem Schreiben V. S. als den Eltern nahestehende Person mit dem Tod bedroht wird, so bedarf es insoweit der Feststellung der objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer Bedrohung der Eltern durch dieses Verhalten.
32
c) Bedenken bestehen auch, soweit das Landgericht elf selbständige Fälle der versuchten Nötigung angenommen hat.
33
In Fällen, in denen der Täter mehrfach zur Vollendung einer Nötigung ansetzt, um einen bestimmten Erfolg zu erreichen, liegt nur eine Tat im Rechtssinne vor, solange der Versuch nicht fehlgeschlagen ist, der Täter also von dem Misslingen des vorgestellten Ablaufs noch nichts erfahren hat oder nicht zu der Annahme gelangt ist, er könne die Tat nicht mehr ohne zeitliche Zäsur mit den bereits eingesetzten und anderen bereitliegenden Mitteln vollenden (BGH, Urteil vom 30. November 1995 – 5 StR 465/95, NJW 1996, 936, 937). Danach wird das Landgericht zu prüfen haben, ob in den Fällen zeitlich eng zusam- menhängender Handlungen des Angeklagten – etwa der Handlungen vom 23. August 2011 (Facebook-Nachricht an L. Sch. und Brief an die Eheleute S. , den diese an diesem Tag erhielten) oder im Fall der FacebookNachricht an Schl. aus dem Dezember 2011 sowie des Briefes, den die Eheleute S. am 6. Dezember 2011 erhielten – eine odermehrere Taten der versuchten Nötigung vorliegen.
34
d) Die Verurteilung des Angeklagten wegen Nachstellung gemäß § 238 Abs. 1 Nrn. 2 und 4 StGB begegnet auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen keinen Bedenken. Es kann deshalb dahinstehen, ob die Tatbestandsva- riante der „anderen vergleichbaren Handlung“ (§ 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB) eben- falls verwirklicht ist und ob die insoweit in Rechtsprechung und Schrifttum geäußerten Bedenken (zum Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG) durchgreifen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 19. November 2009 – 3 StR 244/09, NJW 2010, 1680, 1681, Tz. 16; hinreichende Bestimmtheit verneinend Fischer, StGB, 60. Aufl., § 238 Rn. 17c; Gazeas, JR 2007, 497, 501, jeweils mwN; kritisch auch Eisele in Schönke/Schröder, StGB, § 238 Rn. 23; aA Mosbacher, NStZ 2007, 665, 668; offen gelassen bei SSW-StGB/Schluckebier, § 238 Rn. 12).
35
Soweit das Landgericht lediglich eine Tat der Nachstellung gemäß § 238 StGB angenommen hat, weist der Senat darauf hin, dass mehrere tatbestandliche Verhaltensweisen dann nur eine Tat im Sinne des § 238 StGB bilden, wenn sie denselben tatbestandlichen Erfolg betreffen. Führt der Täter dagegen nach Eintritt eines Erfolges, etwa eines Umzuges (vgl. UA S. 95), weitere Tathandlungen aus, so kann Tatmehrheit vorliegen (Eisele in Schönke/Schröder aaO, § 238 Rn. 39).
36
3. Zum Straf- und Maßregelausspruch weist der Senat ergänzend auf Folgendes hin:
37
a) Soweit das Landgericht im Rahmen der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten die „gesundheitlichen Folgen der Tat für die Geschädigten“ berücksichtigt (UA S. 121), lässt dies besorgen, dass mit dem Erfolg der Körperverletzung ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes zu seinem Nachteil in Ansatz gebracht worden ist (§ 46 Abs. 3 StGB). Etwas anderes kann sich nur dann ergeben, wenn quantitative oder qualitative Besonderheiten der Körperverletzung zum Anlass von entsprechenden Strafzumessungserwägungen genommen werden (Theune in LK, StGB, 12. Aufl., § 46 Rn. 146).
38
b) Die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer wird ferner zu prüfen haben, ob eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB im Hinblick auf die Sanktionen aus den Strafbefehlen des Amtsgerichts Tiergarten vom 3. Februar 2012 (Az. 263b Cs – 3033 Js 364/12 – 22/12) – insoweit gegebenenfalls unter Berücksichtigung der zeitlichen Tatkonkretisierung in der Anklage (vgl. oben II. 2. a)) – und vom 4. April 2012 (Az. 263b Cs – 232 Js 5682/11 – 17/12) in Betracht kommt.
39
c) Hinsichtlich der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) weist der Senat auf Folgendes hin:
40
aa) Die Diagnose einer „Borderline-Persönlichkeitsstörung“ stellt – was die Strafkammer nicht übersehen hat – nicht ohne Weiteres eine hinreichende Grundlage für die Annahme einer relevanten Verminderung der Schuldfähigkeit des Täters dar (Senatsbeschluss vom 6. Februar 1997 – 4 StR 672/96, BGHSt 42, 385 ff.; BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2001 – 3 StR 373/01, NStZ 2002, 142; Beschluss vom 1. August 1989 – 1 StR 290/89, BGHR StGB § 21 seeli- sche Abartigkeit 13) und rechtfertigt nur bei Vorliegen weiterer – vom Landgericht nicht fehlerfrei bejahter – Umstände die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (BGH aaO; Senatsbeschluss vom 25. Februar 2003 – 4 StR 30/03, NStZ-RR 2003, 165, 166; Beschluss vom 13. Oktober 2005 – 5 StR 349/05, NStZ-RR 2006, 38, 39 mwN).
41
bb) Ist die erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit auf das Zusammenwirken von Persönlichkeitsstörung und Betäubungsmittelkonsum zurückzuführen , so ist regelmäßig erforderlich, dass der Täter an einer krankhaften Betäubungsmittelabhängigkeit leidet, in krankhafter Weise betäubungsmittelüberempfindlich ist oder eine länger andauernde geistig-seelische Störung hat, bei der bereits geringer Betäubungsmittelkonsum oder andere alltägliche Ereignisse die erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auslösen können und dies getan haben (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juli 2011 – 3 StR 173/11, NStZ 2012, 209; Beschluss vom 6. Oktober 2009 – 3 StR 376/09, NStZ-RR 2010, 42).
42
cc) Besonderes Augenmerk wird die zur neuen Entscheidung berufene Strafkammer zudem auf die Gefährlichkeitsprognose zu richten haben.
43
Die prognostizierte Gefährlichkeit muss sich auf Taten beziehen, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben. Für Straftaten nach § 238 StGB ist dies nicht ohne Weiteres zu bejahen (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145, 147; BGH, Beschluss vom 22. Juli 2010 – 5 StR 256/10, NStZ-RR 2011, 12, 13). Eine Straftat von erheblicher Bedeutung liegt vor, wenn sie mindestens der mittleren Kriminalität zuzurechnen ist, den Rechtsfrieden empfindlich stört und geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Straftaten , die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind, sind daher nicht mehr ohne Weiteres dem Bereich der Straftaten von erheblicher Bedeutung zuzurechnen. Hierzu gehören beispielsweise das unerlaubte Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB), die Beleidigung, die üble Nachrede und die nichtöffentliche Verleumdung (§§ 185 bis 187 StGB), das Ausspähen von Daten (§ 202a StGB), die fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB), die Nötigung (§ 240 StGB) sowie die Verbreitung pornographischer Schriften einschließlich gewalt- oder tierpornographischer Schriften (§§ 184 und 184a StGB). Gleiches gilt für die Nachstellung gemäß § 238 Abs. 1 StGB. Da auch insoweit das Höchstmaß der Freiheitsstrafe drei Jahre beträgt, kann auch die Nachstellung, wenn sie nicht mit aggressiven Übergriffen einhergeht, nicht generell als Straftat von erheblicher Bedeutung angesehen werden (BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12 [juris Rn. 21, 28]). Entsprechendes gilt für eine Bedrohung, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Senatsbeschluss vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338 mwN) allenfalls dann zur Rechtfertigung einer Unterbringungsanordnung herangezogen werden kann, wenn sie in ihrer konkreten Ausgestaltung aus der Sicht des Betroffenen die nahe liegende Gefahr ihrer Verwirklichung in sich trägt. Der bloße Besitz des in der Wohnung des Angeklagten aufgefundenen Schlagrings begründet eine solche Gefahr für sich genommen noch nicht (vgl. BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241). Erforderlich ist insoweit eine umfassende Auseinandersetzung des Tatgerichts auch mit Umständen , die gegen eine wirkliche Gewaltbereitschaft sprechen könnten (BGH aaO), insbesondere dass der Angeklagte bisher mit Gewaltdelikten nicht auffällig geworden ist.
44
Die Gefährlichkeitsprognose selbst ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (Senatsbeschluss vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145, 147). An die Darlegungen und die vorzunehmende Abwägung sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt (BGH, Beschluss vom 30. Juli 2013 – 4 StR 275/13 mwN).
45
dd) Im Falle der erneuten Anordnung der Maßregel wird ferner zu berücksichtigen sein, dass mit deren Aussetzung zur Bewährung die Weisung erteilt werden kann, sich einer Therapie zu unterziehen (vgl. dazu Senatsurteil vom 23. Mai 2013 – 4 StR 70/13, Tz. 2; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 67b Rn. 4). Dem kann schon deshalb besondere Bedeutung zukommen, weil der Angeklagte sich selbst um eine ambulante Therapie bemüht hat, zu der es lediglich aufgrund der Untersuchungshaft nicht gekommen sei (UA S. 123).
46
d) Zur Fassung eines Urteilstenors verweist der Senat auf die Kommentierung bei Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 260 Rn. 21 ff.; insbesondere ist die (namentliche) Benennung der Opfer einer Straftat im Schuldspruch nicht geboten, bei gleichartiger Tateinheit ist lediglich anzugeben, wie oft der Straftatbestand verwirklicht wurde.

III.


47
Der Haftbefehl in der Fassung des Haftfortdauerbeschlusses war gemäß § 126 Abs. 3 StPO aufzuheben, weil der Senat das angefochtene Urteil aufhebt und sich bei dieser Entscheidung ohne Weiteres ergibt, dass die weitere Untersuchungshaft zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis stehen würde (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Mutzbauer Roggenbuck Franke Bender Quentin

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 545/15
vom
17. Februar 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts der besonders schweren räuberischen Erpressung
ECLI:DE:BGH:2016:170216B2STR545.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 17. Februar 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 2. September 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich seine auf die Sachrüge gestützte Revision, mit der er „eine angemessene Verurteilung wegen der Tat und Aufhebung der Einweisung in ein psychiatri- sches Krankenhaus“ erstrebt. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Angeklagte an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis. Nach der Zwangsversteigerung und Räumung seines Elternhauses zog er sich zurück und lebte in ei- nem Zelt in den Dünen am Strand zwischen K. und T. . Er verfügte weder über Geld noch über Lebensmittel und hatte zwei Tage lang nichts gegessen, als er am 16. April 2015 beschloss, die Urlauberinnen H. und S. , die am Strand spazieren gingen, mit Gewalt zur Herausgabe von Bargeld zu zwingen. Er ergriff einen Ast und näherte sich den beiden Frauen von hinten. Um ihren Widerstand von vornherein auszuschalten, schlug er den beiden Frauen nacheinander mit dem Ast auf den Kopf, sodass sie zu Boden gingen. Dabei rief er „Geld, Portemonnaie, Handy her!“ Nacheinem vergeblichen Versuch den Angeklagten zu vertreiben, händigte die Geschädigte S. ihm ihr Portemonnaie und ihr Mobiltelefon aus. Der Angeklagte stellte fest, dass sich zehn Euro in dem Portemonnaie befanden, nahm diese Beute mit und warf das Mobiltelefon in die Ostsee. Von dem Geld kaufte er sich Nahrungsmittel.
3
Das sachverständig beratene Landgericht hat angenommen, dass die Handlung den Tatbestand der besonders schweren räuberischen Erpressung erfülle. Jedoch habe der Angeklagte ohne Schuld gehandelt. Bei ihm liege eine „kontinuierliche Schizophrenie“ vor, die in einem Wahnsystem mit Verfolgungs- erlebnissen zum Ausdruck komme. Der Angeklagte wirke teilweise zerfahren, zeige einen hohen Redefluss und Empathieverlust. Er besitze keine Krankheitseinsicht. Seine Wahrnehmung der Realität sei verzerrt. Zur Tatzeit habe er aus seiner Sicht nur die Wahl gehabt zu verhungern oder die Tat zu begehen. Er sei nicht zu einer realistischen Einschätzung seiner Situation in der Lage gewesen. In der Hauptverhandlung sei er nicht in der Lage gewesen, sich mit seiner Tat auseinanderzusetzen. Er habe erklärt, er könne die Geschädigten nicht als Opfer „annehmen“.
4
Die Strafkammer ist dem Sachverständigen darin gefolgt, dass bei Gewaltdelikten generell bereits eine über 50 % liegende Wiederholungsgefahr be- stehe; dieses sei im Fall der Schizophrenie „siebenfach erhöht“. Es sei negativ zu bewerten, dass der Angeklagte über keinerlei soziale Bindungen mehr verfüge. Er akzeptiere keine Unterstützung durch einen Betreuer. Nachteilig wirke sich der Empathieverlust aus. Aufgrund seines Wahnsystems könne es jederzeit zu Situationen kommen, in denen er sich zur Anwendung von Gewalt als Mittel zur eigenen Rettung entschließen werde.

II.

5
Die Revision des Angeklagten ist begründet. Das Landgericht hat die Voraussetzungen für die Annahme der Schuldunfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit und die Erforderlichkeit seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht rechtsfehlerfrei dargelegt.
6
1. a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie setzt zunächst voraus, dass zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. Hierfür muss vom Tatrichter im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte, einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der konkreten Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstat auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2015 – 1 StR 265/15, NStZ-RR 2016, 76 mwN).
7
Schließt sich der Tatrichter bei der Frage der Schuldfähigkeit der Beurteilung des Sachverständigen an, muss er dessen wesentliche Anknüpfungspunk- te und Darlegungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist. Dies gilt auch in Fällen einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie; denn die Diagnose einer solchen Erkrankung führt für sich genommen noch nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit. Erforderlich ist vielmehr die Feststellung eines akuten Schubs der Erkrankung sowie die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (BGH, Beschluss vom 17. Juni 2014 - 4 StR 171/14, NStZRR 2014, 305, 306).
8
b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
9
Das Landgericht ist offenbar davon ausgegangen, dass der Angeklagte zur Tatzeit ohne Einsicht in das Unrecht seiner Tat gehandelt hat. Dies hat es darauf gestützt, dass der Angeklagte aus seiner Sicht ausschließlich die Wahl zwischen den Alternativen des Verhungerns oder des Überfalls auf die Urlauberinnen gehabt habe. Deshalb habe er seine Handlung als gerechtfertigt angesehen. Der Sache nach hat das Landgericht die Tatsache, dass der Angeklagte es nicht in Betracht gezogen hat, sich an seinen Betreuer oder an die Sozialbehörden zu wenden, als Hinweis auf fehlende Unrechtseinsicht gewertet. Damit hat es eine verkürzte Betrachtung zu Grunde gelegt.
10
Die allgemein festgestellte Wahnvorstellung des Angeklagten, dass er Opfer einer Verschwörung geworden sei, „an der die P. AG maßgeblich beteiligt war“ und die zur Zwangsversteigerung und Räumung seines Eltern- hauses geführt hatte, hat sich nicht auf die Geschädigten seiner Tat bezogen.
Der Entschluss des Angeklagten in der konkreten Tatsituation am Strand einen Überfall zu begehen, um Geld zu erlangen, das er wegen seines Hungers für die Beschaffung von Nahrungsmitteln verwenden wollte, erscheint rational nachvollziehbar. Inwieweit die Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis sich auf die Unrechtseinsicht oder das Hemmungsvermögen des Angeklagten ausgewirkt hat, wurde vom Landgericht nicht geprüft. Seine Annahme, dass es sich bei der Erkrankung des Angeklagten um eine „kontinuierliche Schizophrenie“ handele und nicht – wie es sonst bei paranoiden Psychosen aus dem schi- zophrenen Formenkreis regelmäßig der Fall ist – um eine schubweise auftretende Erkrankung, ist nicht durch Tatsachen belegt.
11
Möglicherweise hat sich der Angeklagte zur Tatzeit nicht in einer Phase eines akuten Schubs der paranoiden Psychose befunden, der in der Regel zum Ausschluss der Unrechtseinsicht führt (vgl. Kröber/Lau in Kröber/Dölling/ Leygraf/Sass, Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 2, 2010, S. 312, 327 ff.). In subakuten Zuständen wird man dagegen allenfalls eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit belegen können (vgl. Müller-Isberner/ Eusterschulte in Venzlaff/Foerster/Dreßing/Habermeyer, Psychiatrische Begutachtung , 6. Aufl., S. 227, 236).
12
2. a) Voraussetzung der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist weiter eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades, dass der Täter infolge seines fortdauernden Zustandes zukünftig erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, die schwerwiegende Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens sowie der von ihm begangenen Anlasstat zu treffen. Das Tatgericht ist dabei auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise in den Urteilsgründen darzustellen (BGH, Beschluss vom 16. September 2014 – 3 StR 372/14).
13
b) Diesem Maßstab werden die Erwägungen des Landgerichts bisher ebenfalls nicht gerecht.
14
Die Behauptungen der vom Landgericht gehörten Sachverständigen, bei Gewaltdelikten bestehe grundsätzlich bereits eine über 50 % liegende Wiederholungsgefahr und diese sei bei der Schizophrenie siebenfach erhöht (vgl. Kröber/Lau in Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch der Forensischen Psychiatrie , Bd. 2, 2010, S. 312, 314 ff.), werden nicht erläutert. Statistische Werte sind bei der individuellen Gefahrenprognose im Rahmen der Maßregelprüfung auch allenfalls am Rande von Bedeutung. Der Zusammenhang zwischen Schizophrenie und Gewalt ist zudem empirisch umstritten (krit. Schanda in Lammel/ Sutarski/Lau/Bauer, Wahn und Schizophrenie, S. 67 ff.). Maßgeblich ist stattdessen die konkrete Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung. Der Angeklagte ist „bisher nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten“. Seine Krankheitsge- schichte ist vom Landgericht nur insoweit dargestellt worden, als sein – vergleichsweise kurzer – Aufenthalt in einem Krankenhaus und die Anordnung der Betreuung im Urteil erwähnt sind. Es fehlen Angaben dazu, wann die Krankheit erstmals aufgefallen ist, welche Symptome sie im Einzelnen gezeigt hat und wie sich die Symptomatik im Verlauf der Zeit entwickelt hat. Situative Risikofaktoren sind bei der Prognosebeurteilung ebenfalls zu berücksichtigen (Kröber/Lau aaO S. 312, 325 f.). Insoweit ist die Prognose des Landgerichts, es könne wegen der „kontinuierlichen Schizophrenie“ jederzeit zu Situationen kommen, in denen der Angeklagte die Anwendung von Gewalt als letztes Mittel zur eigenen Rettung ansehe, nicht ausreichend belegt. Fischer Appl Eschelbach Zeng Bartel

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.