Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Feb. 2019 - 4 StR 419/18

bei uns veröffentlicht am27.02.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 419/18
vom
27. Februar 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
ECLI:DE:BGH:2019:270219B4STR419.18.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – und der Beschwerdeführerin am 27. Februar 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 15. Mai 2018 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt und ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich die Angeklagte mit ihrer auf die Rüge der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützten Revision. Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist nicht in zulässiger Weise erhoben, jedoch hat das Rechtsmittel mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen versetzte die bislang unbestrafte Angeklagte ihrer Mutter in der gemeinsam bewohnten Wohnung nach einem vorangegangenen Streit mit einer Schere einen tödlichen Stich in den Brustkorb. Anschließend stach sie mit der Schere mindestens achtmal auf den Kopf des Tatopfers ein. Sachverständig beraten ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit der Angeklagten, die im Tatzeitraum an einer subakuten, chronischen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis litt, bei Begehung der Tat erheblich vermindert im Sinne des § 21 StGB war.
3
2. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.
4
3. Hingegen unterliegt der Strafausspruch der Aufhebung.
5
a) Bereits die Strafrahmenwahl hält wegen rechtsfehlerhafter Strafschärfungserwägungen bei der Prüfung eines minder schweren Falls des Totschlags gemäß § 213 Var. 2 StGB rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
6
aa) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet zunächst die strafschärfende Erwägung, die Angeklagte habe nach der Tötung ihrer Mutter die Wohnung verlassen, ohne sich um den Leichnam zu kümmern, so dass dieser der Verwesung preisgegeben gewesen sei. Dieses Nachtatverhalten durfte die Schwurgerichtskammer nicht zu Ungunsten der Angeklagten berücksichtigen.
Denn die Angeklagte hat durch ihr Nachtatverhalten weder neues – über das vollendete Tötungsdelikt hinausgehendes – Unrecht geschaffen noch weitere Ziele verfolgt, die ein ungünstiges Licht auf sie werfen würden (vgl. BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 – 2 StR 493/10, NStZ 2011, 512, 513; Beschlüsse vom 18. Juli 2001 – 3 StR 234/01, juris; vom 9. Juli 1996 – 1 StR 338/96, NStZ-RR 1997, 99, 100); insbesondere stellt sich ihr Verhalten nicht als eine schimpfliche Behandlung der Leiche des Tatopfers dar (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 1987 – 1 StR 539/87, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Nachtatverhalten 11; Beschluss vom 11. August 1989 – 2 StR 366/89, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Nachtatverhalten 17; MüKo-StGB/Miebach/Maier, 3. Aufl., § 46 Rn. 248).
7
bb) Rechtlicher Nachprüfung hält ebenfalls nicht stand, dass das Landgericht ohne Einschränkung strafschärfend berücksichtigt hat, dass die Angeklagte nach dem tödlichen Stich in den Brustkorb des Tatopfers noch zumindest achtmal auf dessen Kopf einstach. Insoweit hat das Landgericht nicht erwogen, ob auch dieses Verhalten durch die psychische Erkrankung der Angeklagten mitverursacht wurde, was zur Folge hätte, dass es ihr dann jedenfalls nicht uneingeschränkt strafschärfend angelastet werden durfte (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 1961 – 4 StR 373/61, BGHSt 16, 360, 364; Beschlüsse vom 12. Oktober 2017 – 5 StR 364/17, juris Rn. 12; vom 25. Oktober 2012 – 5 StR 512/12, NStZ-RR 2013, 53; vom 9. Oktober 1996 – 3 StR 454/96, NStZ-RR 1997, 66).
8
cc) Rechtlichen Bedenken begegnen schließlich die Ausführungen des Landgerichts, es habe die „Erfüllung des subjektiven Tatbestandes des Totschlags für Zwecke der Strafzumessung dem oberen Bereich zugeordnet“ (UA S. 92). Denn zum einen lässt sich diese Erwägung nicht damit in Einklang bringen, dass es in der Beweiswürdigung zur inneren Tatseite ausgeführt hat, dass „die Angeklagte den Tod ihrer Mutter als Tatfolge auch jedenfalls im Sinne eines Hinnehmens des Todes wollte“ (UA S. 79), was für die Annahme lediglich bedingten Vorsatzes sprechen könnte. Zum anderen erschließt sich nicht, warum das Landgericht – innerhalb der Vorsatzstufen von Eventualvorsatz über unbedingten Vorsatz bis hin zur Absicht – hier den „oberen Bereich“ als gegeben angesehen hat, obwohl sie ein absichtliches Handeln der Angeklagten ausdrücklich verneint hat (UA S. 79; zur strafschärfenden Berücksichtigung von Tötungsabsicht vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2018 – 2 StR 150/15, BGHSt 63, 54 mwN).
9
b) Zwar ist die Schwurgerichtskammer letztlich vom Vorliegen eines minder schweren Falls des Totschlags gemäß § 213 Var. 2 StGB ausgegangen, dies aber nur unter zusätzlicher Berücksichtigung der verminderten Schuldfähigkeit der Angeklagten. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das Landgericht ohne die aufgezeigten Rechtsfehler bereits aufgrund der allgemeinen Strafzumessungserwägungen zur Annahme eines minder schweren Falls gekommen wäre; in diesem Fall hätte der vertypte Strafmilderungsgrund des § 21 StGB noch für eine mögliche Strafrahmenverschiebung gemäß § 49 Abs. 1 StGB zur Verfügung gestanden.
10
4. Die Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hat ebenfalls keinen Bestand, da die Gefährlichkeitsprognose nicht tragfähig begründet ist.
11
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnah- me, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Diese Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters , seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 2. September 2015 – 2 StR 239/15, juris; vom 3. Juni 2015 – 4 StR 167/15, StV 2016, 724; vom 1. Oktober 2013 – 3 StR 311/13) und hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten infolge seines Zustandes drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit, Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 – 2 BvR 2957/12 Rn. 27; BGH, Beschluss vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306).
12
b) Während die psychische Erkrankung der Angeklagten sowie deren hierauf beruhende erheblich verminderte Schuldfähigkeit bei der Tatbegehung ausreichend festgestellt und in der Beweiswürdigung belegt sind, hält die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts rechtlicher Überprüfung nicht stand.
13
aa) Es fehlt bereits an der gebotenen umfassenden Würdigung aller für die Beurteilung der Gefährlichkeit der Angeklagten relevanten Faktoren. Das Landgericht hat bei seiner Gefährlichkeitsprognose unberücksichtigt gelassen, dass die Angeklagte trotz ihrer langjährigen psychischen Erkrankung – hierzu ist festgestellt, dass sie spätestens in den Jahren nach einem Autounfall 1998/1999 eine Psychose entwickelte (UA S. 9) – strafrechtlich bislang nicht in Erscheinung getreten ist. Dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine Straftaten begangen hat oder – wie hier – gänzlich unbelastet ist, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Taten (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 1999 – 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27; Beschlüsse vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306; vom 11. März 2009 – 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198, 199). Angesichts der fehlenden Vorbelastung hätte das Landgericht erörtern müssen, warum die Angeklagte in der Vergangenheit nicht durch Aggressionsdelikte in Erscheinung getreten ist und welche prognoserelevanten Schlüsse hieraus zu ziehen sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Januar 2014 – 5 StR 602/13, StV 2015, 218, 219; vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, StV 2013, 206, 207); daran fehlt es hier.
14
bb) Darüber hinaus begegnen auch die Erwägungen des Landgerichts dazu, welche Personen durch die Angeklagte gefährdet seien, rechtlichen Bedenken. Soweit es insbesondere den früheren Mitbewohner der Angeklagten, den Zeugen H. , für den Fall als gefährdet angesehen hat, dass die Angeklagte erneut zu ihm ziehen sollte, weil auch zu ihm – wie zu ihrer Mutter – eine langjährige konfliktbelastete Beziehung bestehe, hat es sich nicht damit auseinander gesetzt, dass die Angeklagte bereits von 1999 bis 2014 und damit über einen Zeitraum von 15 Jahren bei dem Zeugen lebte, ohne dass es zu Aggressionsdelikten gegen ihn kam. Soweit das Landgericht schließlich angeführt hat, dass sich künftige Aggressionstaten der Angeklagten auch gegen „noch nicht näher zu bezeichnende Personen (Nachbarn, Ärzte, Behördenmitarbeiter )“ richten könnten, ist diese Annahme nicht näher belegt.
VRi‘inBGH Sost-Scheible befin- Roggenbuck Cierniak det sich im Urlaub und ist daher gehindert, zu unterschreiben. Roggenbuck
Bender Feilcke

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Feb. 2019 - 4 StR 419/18

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Feb. 2019 - 4 StR 419/18

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Feb. 2019 - 4 StR 419/18 zitiert 6 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 49 Besondere gesetzliche Milderungsgründe


(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes: 1. An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.2. Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf hö

Strafgesetzbuch - StGB | § 46 Grundsätze der Strafzumessung


(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen. (2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Um

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Feb. 2019 - 4 StR 419/18 zitiert oder wird zitiert von 10 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Feb. 2019 - 4 StR 419/18 zitiert 8 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Jan. 2014 - 5 StR 602/13

bei uns veröffentlicht am 08.01.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 5 StR 602/13 vom 8. Januar 2014 in dem Sicherungsverfahren gegen Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Januar 2014 beschlossen: Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom

Bundesgerichtshof Urteil, 27. Jan. 2011 - 2 StR 493/10

bei uns veröffentlicht am 27.01.2011

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 493/10 vom 27. Januar 2011 in der Strafsache gegen wegen Körperverletzung mit Todesfolge Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 26. Januar 2011 in der Sitzung am

Bundesgerichtshof Beschluss, 01. Okt. 2013 - 3 StR 311/13

bei uns veröffentlicht am 01.10.2013

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 311/13 vom 1. Oktober 2013 in dem Sicherungsverfahren gegen Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 1. Oktob

Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Sept. 2015 - 2 StR 239/15

bei uns veröffentlicht am 02.09.2015

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 S t R 2 3 9 / 1 5 vom 2. September 2015 in dem Sicherungsverfahren gegen Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschuldigten am 2. September 2015 gemäß § 349 Abs. 4

Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Juli 2012 - 4 StR 224/12

bei uns veröffentlicht am 04.07.2012

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 224/12 vom 4. Juli 2012 in dem Sicherungsverfahren gegen Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 4. Juli 2012 gemäß § 349 Abs. 4 St

Bundesgerichtshof Urteil, 10. Jan. 2018 - 2 StR 150/15

bei uns veröffentlicht am 10.01.2018

Nachträglicher Leitsatz Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja BGHR: ja Veröffentlichung: ja StGB § 46 Abs. 2 und 3 1. Der Umstand, dass der Täter mit Tötungsabsicht gehandelt hat, kann beim vorsätzlichen Tötungsdelikt strafschärfend berücksichtigt

Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Juni 2016 - 4 StR 79/16

bei uns veröffentlicht am 07.06.2016

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 79/16 vom 7. Juni 2016 in dem Sicherungsverfahren gegen ECLI:DE:BGH:2016:070616B4STR79.16.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 7. Juni

Bundesgerichtshof Beschluss, 03. Juni 2015 - 4 StR 167/15

bei uns veröffentlicht am 03.06.2015

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR167/15 vom 3. Juni 2015 in der Strafsache gegen wegen vorsätzlicher Körperverletzung u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 3. Juni 201
2 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Feb. 2019 - 4 StR 419/18.

Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Mai 2019 - 4 StR 135/19

bei uns veröffentlicht am 07.05.2019

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 135/19 vom 7. Mai 2019 in dem Sicherungsverfahren gegen ECLI:DE:BGH:2019:070519B4STR135.19.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 7. Mai

Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Aug. 2019 - 4 StR 342/19

bei uns veröffentlicht am 13.08.2019

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 342/19 vom 13. August 2019 in dem Sicherungsverfahren gegen wegen Gefährdung des Straßenverkehrs u.a. ECLI:DE:BGH:2019:130819B4STR342.19.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 493/10
vom
27. Januar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
26. Januar 2011 in der Sitzung am 27. Januar 2011, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Rissing-van Saan
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Prof. Dr. Schmitt,
Prof. Dr. Krehl,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin in der Verhandlung
als Verteidigerin,
Rechtsanwältin in der Verhandlung
als Nebenklägervertreterin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. a) Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 19. Februar 2010 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
b) Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die Revision der Nebenklägerin wird verworfen. 3. Die Nebenklägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die Revision der Nebenklägerin erstrebt eine Verurteilung des Angeklagten wegen eines Tötungsdelikts. Ihr bleibt der Erfolg versagt. Das vom Generalbundesanwalt ver- tretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, das allein auf die Aufhebung des Strafausspruches zielt, hat dagegen Erfolg.
2
1. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts lernte der Angeklagte, ein ghanaischer Staatsbürger, der im Jahre 2000 nach Deutschland gekommen war, im April 2003 die damals 20-jährige Nebenklägerin kennen. Aus der Beziehung ging im Juli 2004 das spätere Tatopfer, das gemeinsame Kind L. , hervor. Zwei Monate später heirateten der Angeklagte und die Nebenklägerin, im Jahre 2008 kam die zweite Tochter zur Welt.
3
L. wuchs seit Mai 2005 bei ihren Großeltern auf, um dem Angeklagten und der Nebenklägerin jeweils die Beendigung ihrer Ausbildung an anderen Orten zu ermöglichen. Zur Entlastung der Großeltern zog die Nebenklägerin, nachdem die Ausbildung beendet war, zu diesen nach Le. , bevor die Familie im Oktober 2006 schließlich in K. zusammenfand.
4
Der Angeklagte gewann in der Folgezeit den im Grundsatz auch von der Nebenklägerin geteilten Eindruck, dass seine Tochter bei ihren Großeltern zu sehr verwöhnt worden sei. Auf unerwünschtes Verhalten seines Kindes, etwa Einnässen, reagierte er streng; bei vier oder fünf Gelegenheiten fügte er ihr, so wie er es aus seiner Kindheit in Gh. gewohnt war, eine oder mehrere "erzieherische" Ohrfeigen zu. Durch schmerzhaft empfundene Schläge mit der flachen Hand sollte das Kind lernen, sich richtig zu verhalten. Die Nebenklägerin war mit diesem Verhalten des Angeklagten nicht einverstanden, weshalb es immer wieder zu Streitigkeiten zwischen den Eheleuten kam, in denen die Nebenklägerin wie auch noch andere Personen den Angeklagten darauf hinwies, dass Schlagen in Deutschland nicht als die richtige Erziehungsmethode angesehen werde. Mindestens in zwei Fällen verließ die Nebenklägerin den Angeklagten aufgrund dieser Meinungsverschiedenheiten, kam aber jedes Mal, nachdem der Angeklagte sich entschuldigt und um Verständnis gebeten hatte, nach einigen Tagen zu ihm zurück. Lediglich im Anschluss an einen Vorfall im Februar 2007, als der Angeklagte L. geschlagen und getreten hatte, blieb sie länger bei ihren Eltern, zog aber schließlich doch - im Mai 2007 - zu ihm nach K. zurück.
5
b) Am 13. Oktober 2007 hatte die Nebenklägerin, die am 1. Oktober 2007 die Betreuung eines Wachkomapatienten übernommen hatte, Wochenenddienst und überließ das Kind in dieser Zeit - wie schon einige Male zuvor - der alleinigen Aufsicht des Angeklagten. Dieser sah sich im Fernsehen eine Gospelmesse an, als L. aufwachte und alsbald zwischen Kinder- und Wohnzimmer hin- und herlief. Der Angeklagte fühlte sich hierdurch gestört und fuhr sie laut an, sie solle in ihrem Zimmer spielen. Das tat sie dann auch. Als der Angeklagte später nach ihr sah, stellte er jedoch fest, dass sie sich eingenässt hatte. Das ärgerte ihn, er war der Ansicht, das Kind müsse schon trocken sein.
6
Der Angeklagte packte L. daraufhin und brachte sie ins Badezimmer. Dort stellte er sie in die Badewanne und zog ihr den Schlafanzug aus, um sie zu säubern. Sie wollte das nicht und schrie. Der Angeklagte herrschte sie an, ruhig stehen zu bleiben, und schlug sie heftig mit der flachen Hand, so dass sie durch den Schlag Schmerzen verspürte. Infolgedessen verlor sie das Gleichgewicht, kam in der nassen Badewanne zu Fall und zog sich so eine Verletzung zu, die zu ihrem Tode führte.
7
Der Angeklagte entschloss sich, das tote Kind aus der Wohnung zu schaffen und es zu vergraben. Er zog ihm den Schlafanzug an, wickelte es in Folie und brachte es in einem Hartschalenkoffer in ein Waldstück, wo er es in eine von ihm ausgehobene Grube legte und anschließend mit Erde, Laub, Ästen und Sperrmüll bedeckte. Als am Abend die Nebenklägerin zurückkehrte und aufgeregt nach ihrer Tochter fragte, erklärte er ihr zur Verschleierung der Geschehnisse , er habe sie mit einem Bekannten nach Gh. geschickt, sie würden sie im Frühjahr 2008 dort wieder abholen. Kurz vor der anstehenden Reise nach Gh. im April 2008 teilte der Angeklagte seiner Ehefrau mit, das Kind sei an Malaria schwer erkrankt, schließlich daran verstorben und deshalb dort begraben worden. Nach dem Besuch eines Grabes in Gh. , das die Nebenklägerin für die letzte Ruhestätte ihres Kindes hielt, kehrten beide - mit vom Angeklagten besorgten gefälschten Krankenpapieren und einer gefälschten Sterbeurkunde - nach Deutschland zurück. Hier versuchte der Angeklagte, der befürchtete , dass die Echtheit der Dokumente in Deutschland angezweifelt werde, den Leichnam des Kindes wieder auszugraben, um ihn nach Gh. zu verschiffen und dort beerdigen zu lassen, konnte ihn aber nicht wieder finden.
8
c) Das Landgericht sah den Tatbestand des § 227 StGB als erwiesen an, an einer Verurteilung wegen Totschlages sah es sich jedoch gehindert, da dem Angeklagten ein Tötungsvorsatz nicht nachzuweisen sei.
9
d) Bei der Strafzumessung ist die Kammer im Rahmen einer Gesamtwürdigung vom Vorliegen eines minderschweren Falles gemäß § 227 Abs. 2 StGB ausgegangen. Ihr erschienen die zu Gunsten des Angeklagten zu wertenden Gesichtspunkte unter besonderer Berücksichtigung der allein feststellbaren Tathandlung so gewichtig, dass ein deutliches Übergewicht der für die Annahme eines minderschweren Falles sprechenden Gründe bejaht werden könne. Zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigte das Landgericht vor allem, dass nur ein einmaliges Schlagen mit der Hand als Tathandlung nachweisbar sei, der Angeklagte teilgeständig sei, weil er Anwendung körperlicher Gewalt gegenüber L. zugegeben habe, sowie zusätzlich den Umstand, dass er selbst als Kind in Gh. mit genau der Form von Gewalt erzogen worden sei, die er nunmehr gegenüber L. angewendet habe. Er habe trotz klarer Hinwei- se darauf, dass dies in Deutschland nicht akzeptiert sei, diese in Gh. übliche Form der Kindeserziehung seit frühester Kindheit als erlaubt verinnerlicht. Zu Lasten des Angeklagten wertete die Kammer, dass er das Kind aus nichtigem Anlass geschlagen habe, dieses ihm gegenüber wehrlos gewesen sei und der Angeklagte - wenn auch nicht einschlägig - vorbestraft sei.
10
2. Die Revision der Nebenklägerin, die Erörterungen zum Vorliegen eines Tötungsdelikts durch Unterlassen vermisst, bleibt ohne Erfolg.
11
Ein durchgreifender Erörterungsmangel - wie ihn die Revision in der Revisionshauptverhandlung geltend gemacht hat - liegt nicht vor. Dies gilt ohne Weiteres auf der Grundlage der vom Landgericht getroffenen Feststellungen zum Tathergang, die - rechtlich unangreifbar - keine Einzelheiten zur genauen Todesursache, zum Todeszeitpunkt oder zur Art der Verletzung enthalten (UA S. 10) und deshalb auch keinen Anknüpfungspunkt für ein strafrechtlich relevantes Unterlassen darstellen. Dies gilt letztlich aber auch, wenn man - wie die Revision es tut - die Einlassung des Angeklagten zum Ausgangspunkt einer Überprüfung macht. Zwar enthält die Schilderung des Angeklagten, der sich auf das Vorliegen eines Unglücksfalles beruft, auch nähere Einzelheiten zum Aufschlagen des Kopfes in der Badewanne und zu den dadurch hervorgerufenen körperlichen Beeinträchtigungen, insbesondere zum Erbrechen des Kindes, das "die ganze Zeit gebrabbelt" habe (vgl. UA S. 18). Diese Umstände könnten bei einem Angeklagten, der sowohl als Vater des Kindes wie auch unter dem Gesichtspunkt des pflichtwidrigen gefährdenden Vorverhaltens eine Garantenstellung zum Schutz des Kindes inne hatte, grundsätzlich auch Anlass für die Prüfung einer strafrechtlichen Verantwortung durch Unterlassen sein, indem er nach dem Vorfall in der Badewanne das erkennbar nicht unerheblich verletzte Kind sich selbst überlassen hat, ohne ärztliche Hilfe zu rufen. Es kann letztlich aber dahinstehen, ob die Kammer, die die auf ein Unfallgeschehen hinauslau- fende Einlassung des Angeklagten als widerlegt ansah und offenbar deshalb auch die weitere Schilderung der Ereignisse nach dem eigentlichen Sturz in der Badewanne außer Betracht gelassen hat, zu einer solchen Prüfung Veranlassung gehabt hätte. Dagegen könnte immerhin sprechen, dass der Angeklagte, dem die Kammer an anderer Stelle auch fürsorglichen Umfang mit seiner Tochter bescheinigte (UA S. 38), in seiner Einlassung auch angegeben hat, er habe gedacht, er könne sie (wohl ohne weitere Gefahren für ihre Gesundheit) im Bett schlafend alleine zurücklassen (UA S. 18). Jedenfalls schließt der Senat aus, dass im Fall einer neuen Hauptverhandlung Feststellungen getroffen werden könnten, die zur Annahme eines Tötungsdelikts durch Unterlassen führen könnten. Allein die bisherige Einlassung des Angeklagten, die wie dargelegt, auch gegen einen Tötungsvorsatz sprechende Umstände enthält, wäre hierfür nicht genügend. Weitere Erkenntnisquellen stehen nicht zur Verfügung. Zeugen des Tatgeschehens gibt es nicht; der Leichnam des Kindes, der Aufschluss über die Todesursache geben könnte, ist bislang nicht gefunden worden.
12
3. Dagegen hat die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft Erfolg. Mit Recht beanstandet die Revision die Annahme eines minderschweren Falls der Körperverletzung nach § 227 Abs. 2 StGB.
13
Auch unter Berücksichtigung des dem Tatgericht bei der Annahme oder Ablehnung eines minderschweren Falles eingeräumten weiten Beurteilungsspielraums erweist sich die Entscheidung des Landgerichts als rechtsfehlerhaft. Es hat zu Unrecht Umstände zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt und zudem wesentliche Umstände außer Betracht gelassen, die zu seinen Lasten in die erforderliche Gesamtwürdigung hätten einfließen müssen.
14
a) Das Landgericht durfte zwar strafmildernd berücksichtigen, dass der Angeklagte selbst als Kind mit der Gewalt erzogen wurde, die er L. gegenüber einsetzte, ohne sie schwer verletzen zu wollen. Es durfte der Strafzumessung allerdings nicht zu Gunsten des Angeklagten zugrunde legen, dass er diese in Gh. übliche Form der Kindeserziehung seit frühester Kindheit als erlaubt verinnerlicht und sie so auch bei seinem eigenen Kind angewendet habe (vgl. UA S. 43). Solche vermittelten Vorstellungen eines aus einer ausländischen Rechtsordnung stammenden Täters können zwar grundsätzlich strafmildernd zu Buche schlagen (vgl. BGH NStZ 1996, 80). Dies liegt allerdings bei einem Täter wie dem Angeklagten, der seit vielen Jahren in Deutschland lebt, zwei Studiengänge erfolgreich abgeschlossen hat, als Software-SystemEntwickler arbeitet und die deutsche Rechtsordnung kennt, nicht auf der Hand. Hinzu kommt, dass er nicht nur von seiner Ehefrau, die ihn deshalb sogar mehrfach kurzfristig verlassen hatte, sondern auch von zwei Landsleuten auf die abweichenden Vorstellungen von einer Kindererziehung in Deutschland hingewiesen worden ist. Es ist ohne Weiteres zu erwarten, dass ein in Deutschland seit vielen Jahren lebender ausländischer Mitbürger die Ge- und Verbote der hier geltenden und ihm bekannten Rechtsordnung akzeptiert und insoweit in der Lage ist, sich von abweichenden Vorstellungen und Erfahrungen in seinem Heimatland freizumachen.
15
Auch soweit das Landgericht ein (Teil-) Geständnis zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt hat, ist dies rechtsfehlerhaft. Der Angeklagte hat den eigentlichen Tatvorwurf bestritten. Soweit er die Gewaltanwendung gegenüber L. bei früheren Gelegenheiten eingeräumt hat, ist nicht zu sehen, inwiefern dies im konkreten Fall mildernd zu Buche schlagen könnte.
16
b) Dass das Landgericht das Nachtatverhalten des Angeklagten bei seiner Gesamtwürdigung nicht ausdrücklich berücksichtigt hat, stellt einen weiteren durchgreifenden Rechtsfehler dar.
17
Der Versuch, sich der Strafverfolgung zu entziehen, darf zwar nicht straferschwerend zu Lasten eines Angeklagten herangezogen werden (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Nachtatverhalten 13, 17). Dazu zählt auch die bloße Spurenbeseitigung, selbst wenn sie kaltblütig ist (vgl. BGH StV 1995, 131). Anders ist dies allerdings, wenn das Nachtatverhalten neues Unrecht schafft oder der Täter Ziele verfolgt, die ein ungünstiges Licht auf ihn werfen. So aber liegt der Fall hier.
18
Zwar kommt weder dem Beiseiteschaffen des Leichnams noch dem Bedecken der Grabstelle mit Erde, Laub, Ästen und Sperrmüll strafschärfende Bedeutung zu. Der Versuch des Angeklagten, den Leichnam des getöteten Kindes auszugraben und nach Gh. zu verschiffen, um den Behörden ein Versterben des Kindes in Gh. vorzutäuschen, geht aber genauso wie die Verschaffung gefälschter Papiere über noch zulässiges Verhalten eines Täters hinaus. Mit diesen der eigentlichen Tat nachfolgenden Handlungen hat sich der Angeklagte erneut über strafrechtliche Verbote hinweg gesetzt und seine rechtsfeindliche Einstellung dokumentiert. Das Landgericht hätte deshalb das Nachtatverhalten zu Lasten des Angeklagten in seiner Gesamtwürdigung berücksichtigen müssen.
19
c) Diese fehlerhaften bzw. unvollständigen Strafzumessungserwägungen führen zur Aufhebung des Strafausspruchs. Der Senat kann nicht ausschließen , dass die Kammer bei fehlerfreier Würdigung einen minderschweren Fall abgelehnt und im Rahmen der konkreten Strafzumessung zu einer höheren Strafe gelangt wäre. VR'inBGH Prof. Dr. Rissing-van Saan ist wegen Eintritts in den Ruhestand an der Unterschriftsleistung gehindert. Appl Appl Schmitt Krehl Ott

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,das Maß der Pflichtwidrigkeit,die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowiesein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.

Nachträglicher Leitsatz
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
1. Der Umstand, dass der Täter mit Tötungsabsicht gehandelt hat, kann beim
vorsätzlichen Tötungsdelikt strafschärfend berücksichtigt werden. Hierin liegt
grundsätzlich kein Verstoß gegen das Verbot der Doppelverwertung von Tatbestandsmerkmalen
2. Die Entscheidung darüber, ob das Handeln des Täters mit Tötungsabsicht im
Einzelfall als ein Strafschärfungsgrund anzusehen ist, obliegt dem Tatgericht.
Es ist verpflichtet, bei seiner Entscheidung auch gegenläufig wirkende strafmildernde
Gesichtspunkte, die sich aus den Vorstellungen, Zielen und Absichten
des Täters ergeben können, zu berücksichtigen.
BGH, Urteil vom 10. Januar 2018 – 2 StR 150/15 - LG Köln
ECLI:DE:BGH:2018:100118U2STR150.15.1
IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 150/15 vom 10. Januar 2018 in der Strafsache gegen

wegen Totschlags

ECLI:DE:BGH:2018:100118U2STR150.15.0
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 6. Dezember 2017 in der Sitzung am 10. Januar 2018, an denen teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Krehl als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Eschelbach, Zeng, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Bartel, Richter am Bundesgerichtshof Schmidt,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt (in der Verhandlung) als Verteidiger,
Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 27. Oktober 2014 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf Verfahrensbeanstandungen und sachlich-rechtliche Einwendungen gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet.

A.

2
Nach den Feststellungen des Schwurgerichts beschloss der 74 Jahre alte Angeklagte R. am 22. Oktober 2013, seine erheblich jüngere und Trennungsabsichten hegende Ehefrau Rü. zu töten. In Ausführung dieses Tatentschlusses griff er sie auf der Kellertreppe des gemeinsamen Wohnanwesens an und schlug ihr einen Gegenstand gegen den Kopf, wodurch sie zu Fall kam und die Kellertreppe hinabstürzte. Nunmehr ergriff der Ange- klagte einen etwa 2,8 Kilogramm schweren Feuerlöscher und schlug damit in Tötungsabsicht mindestens fünf Mal wuchtig auf den Kopf seiner am Boden liegenden Ehefrau ein. Sie erlitt durch diese mehrfachen, massiven Gewalteinwirkungen multiple offene Schädel-Hirn-Verletzungen. Weitere stumpfe Gewalteinwirkungen gegen den Oberkörper des Tatopfers führten zu zahlreichen Rippenbrüchen , die zu einer mehrfachen Durchsetzung der Brusthöhle und zu Einblutungen in die Lunge führten. Die Ehefrau des Angeklagten verstarb aufgrund der erlittenen massiven Verletzungen innerhalb weniger Minuten.
3
Das Schwurgericht hat bei der Prüfung der Frage, ob die Tat als ein (sonst) minder schwerer Fall des Totschlags im Sinne des § 213 StGB anzusehen ist, zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass er „den Tod seiner Ehefrau absichtlich und zielgerichtet herbeiführen wollte“. Auch im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne hat das Schwurgericht neben der brutalen Tatausführung strafschärfend „die Tatsache“ berücksichtigt, dass der Angeklagte seine Ehefrau „absichtlich getötet hat“.

B.

4
Die Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg. Der Schuldspruch ist rechtlich nicht zu beanstanden. Auch der Strafausspruch ist frei von Rechtsfehlern. Die strafschärfende Berücksichtigung von Tötungsabsicht sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der konkreten Strafzumessung begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

I.

5
1. Nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wurde es überwiegend als ein Verstoß gegen das in § 46 Abs. 3 StGB verankerte Verbot der Doppelverwertung von Tatbestandsmerkmalen und damit als rechtsfehlerhaft angesehen, wenn der Tatrichter das subjektive Tatbestandsmerkmal direkten Tötungsvorsatzes strafschärfend berücksichtigt (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2015 – 1 StR 3/15, NStZ-RR 2015, 171 (Ls.); Senat, Beschlüsse vom 25. Juni 2015 – 2 StR 83/15, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 7, vom 21. Januar 2004 – 2 StR 449/03, vom 23. Oktober 1992 – 2 StR 483/92, StV 1993, 72 und vom 1. Dezember 1989 – 2 StR 555/89, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 3; BGH, Beschlüsse vom 5. Oktober 1977 – 3 StR 369/77, vom 8. Februar 1978 – 3 StR 425/77 und vom 13. Mai 1981 – 3 StR 126/81, NJW 1981, 2204; BGH, Urteil vom 28. Juni 1968 – 4 StR 226/68; Beschlüsse vom 16. September 1986 – 4 StR 457/86, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 1, vom 26. April 1988 – 4 StR 157/88, NStE Nr. 41 zu § 46 StGB, vom 30. Juli 1998 – 4 StR 346/98, NStZ 1999, 23, vom 3. Februar 2004 – 4 StR 403/03 und vom 14. Oktober 2015 – 5 StR 355/15, NStZ-RR 2016, 8). Der Tatbestand des Totschlags setze vorsätzliche Tatbegehung voraus, deren „Regelfall“ die Tötung mit direktem Vorsatz sei (Senat, Beschluss vom 1. Dezember 1989 – 2 StR 555/89, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 3; BGH, Beschluss vom 5. Oktober 1977 – 3 StR 369/77, juris Rn. 6; BGH, Urteil vom 14. August 2008 – 4 StR 223/08, NStZ 2008, 624). Dem Handeln mit direktem Tötungsvorsatz komme kein für sich genommen gesteigerter Unrechtsgehalt zu, während die Tötung mit bedingtem Tötungsvorsatz eine geringere Tatschwere aufweise (BGH, Beschluss vom 19. März 2009 – 4 StR 53/09, NStZ 2009, 564).
6
Abweichende Entscheidungen sind – soweit ersichtlich – vereinzelt geblieben. Der 3. Strafsenat hat jedoch in seinem Beschluss vom 17. September 1990 (3 StR 313/90, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 4) darauf hingewiesen , dass die strafschärfende Wertung direkten Vorsatzes im Zusammenhang mit den Vorstellungen und Zielen des Angeklagten sich nicht in jedem Fall als rechtsfehlerhaft erweisen müsse. Mit Beschluss vom 28. Juni 2012 (2 StR 61/12, NStZ 2012, 689) hat der Senat entschieden, dass es zwar „in der Regel“ gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB verstoße, wenn der Tatrichter das Vorliegen direkten Tötungsvorsatzes straferschwerend bewerte, dies jedoch nicht für die Tötungsabsicht gelte.
7
2. Diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die eine isolierte strafschärfende Berücksichtigung der Vorsatzform als rechtsfehlerhaft einstufte, hat überwiegend Zustimmung erfahren (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 618; LK StGB/Jähnke, 11. Aufl., § 212 Rn. 45; LK StGB/Theune, 12. Aufl. § 46 Rn. 77; ders. StV 1985, 205, 206; MüKoStGB/Miebach/Maier, 3. Aufl. § 46 Rn. 194; MüKoStGB/Schneider, 3. Aufl., § 212, Rn. 79; SK-StGB/Sinn, 9. Aufl., § 212 Rn. 71; Streng, in: Kindhäuser /Neumann/Paeffgen, 5. Aufl., StGB § 46 Rn. 55; ders., StV 2017, 526 ff. SSW/Momsen, 3. Aufl., § 212 Rn. 27; Matt/Renzikowski/Safferling § 212 Rn. 91; Saliger, ZStW 109 (1997), S. 302, 322 f.; Lackner/Kühl StGB, 28. Aufl. § 46 Rn. 33). Kritische Stimmen (vgl. Jescheck/Weigend Strafrecht AT, 5. Aufl. S. 887; SSW-StGB/Eschelbach, 2. Aufl. § 46 Rn. 93, 185; Frisch, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft, 2000, Band IV, S. 269, 290 f.; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, 1999, S. 260, 263; Grünewald , Das vorsätzliche Tötungsdelikt, 2010, S. 148 ff.; Foth, JR 1985, 397, 398; Bruns, JR 1981, 512, 513; Müller, NStZ 1985, 158, 161) haben darauf hingewiesen , dass die Auffassung, wonach die Vorsatzform als eine eigenständige Strafzumessungstatsache ausscheide, den aus dem besonderen Teil des Strafgesetzbuchs ersichtlichen gesetzgeberischen Wertungen widerspreche (vgl. Foth, JR 1985, 398; Fahl, Zur Bedeutung des Regeltatbildes bei der Bemessung der Strafe, Diss. 1996, S. 154). Ihr ist außerdem entgegen gehalten worden, dass der Tatbestand des § 212 StGB bereits bei Vorliegen bedingten Tötungsvorsatzes erfüllt sei und die Feststellung direkten Tötungsvorsatzes in Form von Tötungsabsicht deshalb als eine Schuldsteigerung anzusehen sei, welche die Tatschuld regelmäßig erhöhe (vgl. Bruns, JR 1981, 513; Fahl, aaO, S. 153 ff.; ders. JR 2017, 391, 393). Die strafschärfende Berücksichtigung der hierin liegenden Schuldsteigerung gerate weder mit dem in § 46 Abs. 3 StGB verankerten Doppelverwertungsverbot von Tatbestandsmerkmalen (SSWStGB /Eschelbach, aaO, § 46 Rn. 93, 185; von Heintschel-Heinegg, Streng-FS 2017 S. 229, 239) noch mit dem Gedanken in Konflikt, dass es sich um das Regeltatbild des Totschlags handele (Fahl, JR 2017, 391, 393; MüKo/Schneider, aaO, § 212 Rn. 82; Tomiak, HRRS 2017, 225 ff.).

II.


8
Der Senat hat mit Beschluss vom 1. Juni 2016 (NStZ 2017, 216) ein Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 GVG eingeleitet, weil er von der bisherigen Rechtsprechung abzuweichen beabsichtigt. Er ist der Ansicht, dass beim vorsätzlichen Tötungsdelikt die Feststellung von Tötungsabsicht zu Lasten des Angeklagten strafschärfend berücksichtigt werden kann, und hat bei den anderen Strafsenaten angefragt, ob sie dem zustimmen oder an entgegenstehender Rechtsprechung festhalten.
9
1. Der Senat hat seine Rechtsauffassung, wonach die Tötungsabsicht zu Lasten des Angeklagten im Einzelfall strafschärfend berücksichtigt werden könne , in seinem Anfragebeschluss vom 1. Juni 2016 (zustimmend Fahl, JR 2017, 301 ff. und Tomiak, HRRS 2017, 225 ff.: ablehnend Streng StV 2017, 526 ff.) im Wesentlichen wie folgt begründet:
10
Gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 StGB sei die Schuld des Täters Grundlage für die Zumessung der Strafe. Zur Ermittlung der für die Straffrage maßgeblichen Strafzumessungsschuld seien alle Umstände heranzuziehen, die den Unrechtsund Schuldgehalt der Tat im Einzelfall kennzeichneten. § 46 Abs. 2 StGB benenne beispielhaft und nicht abschließend einige Bereiche derjenigen Umstände , die für die Strafzumessung aussagekräftig seien. Bewertungsrichtung und Gewicht dieser Strafzumessungstatsachen bestimmten in erster Linie das Tatgericht , dem hierbei von Rechts wegen ein weiter Entscheidungs- und Wertungsspielraum eröffnet sei.
11
Zu den Tatsachen, die für die Strafzumessung relevant sein könnten, zählten auch die „Beweggründe und die Ziele des Täters“. Der damit angesprochene subjektive Bereich, die innere Einstellung des Täters zu seiner Tat und die mit ihr verfolgten Absichten, seien damit grundsätzlich für die Strafzumessung bedeutsam.
12
a) Nach herrschender, terminologisch nicht in jeder Hinsicht einheitlicher Auffassung seien im Bereich des Vorsatzes drei Vorsatzformen zu unterscheiden , die vom bedingten Vorsatz über den „dolus directus 2. Grades“ bis zum „dolus directus 1. Grades“, also der Absicht, reichten. Darin komme eine Schuldschwereskala zum Ausdruck, die – wie der Senat in seinem Anfragebeschluss im Einzelnen dargelegt hat – grundsätzlich auch durch den Gesetzgeber anerkannt sei. Sie gelte auch und gerade im Bereich der Tötungsdelikte.
13
Der mit Tötungsabsicht handelnde Täter setze sich nicht nur über die durch § 212 StGB strafbewehrte Verhaltensnorm, Handlungen zu unterlassen, durch die eine andere Person zu Tode kommen kann, hinweg und nehme dabei den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges in Kauf. Es komme ihm vielmehr auf die Herbeiführung dieses tatbestandlichen Erfolges an. Sein Handeln ziele im Wortsinne auf die Herbeiführung des Todes einer anderen Person ab, diese sei nicht nur billigend in Kauf genommene oder wissentlich herbeigeführte Folge, sondern Ziel seines Handelns. Dieses Streben sei in besonderem Maße mit einem sozialen Unwerturteil belegt. Dass der auf die Rechtsgutsverletzung gerichtete Wille eine höhere Gefahr für das geschützte Rechtsgut darstelle, weil der mit dolus directus 1. Grades handelnde Täter sein Handlungsziel zielstrebig verfolge, liege auf der Hand.
14
Gleichwohl lasse sich nicht feststellen, dass ein Handeln mit direktem Tötungsvorsatz stets und schlechthin auf eine besonders verwerfliche Gesinnung oder auf eine besondere Stärke des verbrecherischen Willens eines Täters hindeute. Eine mit bedingtem Tötungsvorsatz begangene Tat könne – je nach den Umständen des Einzelfalls – sogar eine höhere Tatschuld aufweisen als eine mit direktem Tötungsvorsatz begangene Tat. Deshalb könne der (isolierte ) Hinweis auf die Vorsatzform im Einzelfall zur Beschreibung höherer Tatschuld zu kurz greifen.
15
b) Die strafschärfende Berücksichtigung von Tötungsabsicht verstoße nicht gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB.
16
Nach dem in § 46 Abs. 3 StGB verankerten „Doppelverwertungsverbot von Tatbestandsmerkmalen“ dürften Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestands sind, im Rahmen der Strafzumessung nicht noch einmal berücksichtigt werden. Das Doppelverwertungsverbot hindere den Tatrichter jedoch nicht daran, im Rahmen der Strafzumessung zugunsten oder zum Nachteil eines Angeklagten den Ausprägungsgrad oder die konkrete Modalität eines – objektiven oder subjektiven – Merkmals des gesetzlichen Tatbe- stands zu berücksichtigen. Seien Tatbestandmerkmale steigerungsfähig, so könne die Form ihrer Verwirklichung im Einzelfall im Rahmen der Strafzumessung (§ 46 Abs. 2 StGB) berücksichtigt werden. Darüber hinaus greife das Doppelverwertungsverbot auch dann nicht ein, wenn ein Straftatbestand zwei unterschiedlich schwer wiegende Alternativen zur Verfügung stelle.
17
Jedenfalls bei Tötungsabsicht handele es sich um gegenüber dem zur Tatbestandserfüllung hinreichenden bedingten Tötungsvorsatz um eine Steigerung der Vorsatzform, die den Unrechtsgehalt der Tat grundsätzlich erhöhen könne. Sie könne daher strafschärfend berücksichtigt werden. Es handele sich bei der Tötung eines Menschen mit dolus directus 1. Grades oder mit Absicht auch nicht um den normativen Regelfall des § 212 Abs. 1 StGB, der eine strafschärfende Berücksichtigung des zielgerichteten Vorgehens ausschlösse (vgl. zur Begründung im Einzelnen den Beschluss des Senats vom 1. Juni 2016 – 2 StR 150/15, NStZ 2017, 216).
18
2. Die Strafsenate des Bundesgerichtshofs haben in ihren Antwortbeschlüssen mitgeteilt, dass sie der durch den Senat formulierten Anfrage, dass beim vorsätzlichen Tötungsdelikt die Feststellung von Tötungsabsicht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt werden könne, grundsätzlich zustimmen und entgegenstehende eigene Rechtsprechung aufgeben.
19
a) Der 5. Strafsenat ist in seiner Antwort vom 23. Februar 2017 (5 ARs 57/16, JR 2017, 391) der Rechtsauffassung des anfragenden Senats beigetreten und hat eigene entgegenstehende Rechtsprechung aufgegeben.
20
b) Der 3. Strafsenat hat in seinem Beschluss vom 7. März 2017 (3 ARs 21/16, NStZ-RR 2017, 237) dem im Tenor des Anfragebeschlusses formulierten Rechtssatz unter Aufgabe eigener entgegenstehender Rechtsprechung zugestimmt. Er ist der Auffassung, dass Tötungsabsicht ein taugliches Kriterium für eine Strafschärfung sein könne, wobei dies der Bewertung des Tatgerichts unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Einzelfalls obliege. Die Festlegung, welche Bewertungsrichtung einzelnen Umständen zukomme , sei Teil der dem Tatgericht aufgegebenen Strafzumessung, die nur einer eingeschränkten revisionsgerichtlichen Kontrolle unterliege. Der Senat teile die Auffassung des anfragenden Senats, dass das unbedingte Streben nach der Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolges je nach den konkreten Umständen des Einzelfalls geeignet sei, die individuelle Tatschuld zu erhöhen. Nach der Wertentscheidung des Gesetzgebers, wie sie in den Straftatbeständen des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs sichtbar werde, komme den drei Vorsatzformen prinzipiell ein unterschiedlicher Schuldgehalt zu. Die Schuldschwere steigere sich im Grundsatz vom dolus eventualis über den dolus directus 2. Grades (Wissentlichkeit) hin zum dolus directus 1. Grades (Absicht). Die kriminelle Intensität des Täterwillens sei beim dolus directus 1. Grades in der Regel am stärksten ausgeprägt. Dem lasse sich nicht entgegenhalten, dass das außertatbestandliche Ziel des „nur“ wissentlich Tötenden ebenso verwerflich wie das tatbestandliche Ziel des absichtlich Tötenden sein könne. Nehme das Tatgericht einzelfallbezogen eine solche Verwerflichkeit an, so werde es das außertatbestandliche Ziel im Rahmen der Strafzumessung ohne weiteres zum Nachteil des wissentlich Tötenden werten; dadurch stünde dieser sogar schlechter als der absichtlich Tötende, wenn die Tötungsabsicht nicht strafschärfend berücksichtigt werden könne. Der Senat hat offen gelassen, ob die strafschärfende Berücksichtigung des dolus directus 2. Grades (Wissentlichkeit) unter dem Gesichtspunkt des „normativen Regelfalls“ gegen das Doppelverwertungsverbot gemäß § 46 Abs. 3 StGB verstoße.
21
c) Der 4. Strafsenat hat in seiner Antwort vom 7. Juni 2017 (4 ARs 22/16, NStZ-RR 2017, 238) mitgeteilt, dass er der Rechtsauffassung des 2. Strafsenats beitrete und seine frühere Rechtsprechung, wonach die straf- schärfende Berücksichtigung von Tötungsabsicht bei Verurteilung wegen Totschlags gegen das in § 46 Abs. 3 StGB verankerte Doppelverwertungsverbot von Tatbestandsmerkmalen verstoße, aufgebe.
22
Der 4. Strafsenat ist jedoch der Auffassung des vorlegenden Senats entgegengetreten , „dass im Bereich des subjektiven Tatbestands eine vom Gesetzgeber grundsätzlich anerkannte Schuldschwereskala“ gelte und „deshalb das Vorliegen von Tötungsabsicht schon für sich genommen regelmäßig einen Straferschwernisgrund“ darstelle. Es komme vielmehr jeweils auf die Umstände des Einzelfalls an. Die in § 46 Abs. 2 Satz 1 StGB genannten Beweggründe und Ziele des Täters seien „Leitpunkte für die Bestimmung des subjektiven Handlungsunrechts“. Die einzelnen Vorsatzformen träfen dazu – für sich genommen – keine unmittelbare Aussage und bedürften deshalb stets einer Würdigung im Zusammenhang mit den Vorstellungen und Zielen des Täters. Dies gelte auch für die Tötungsabsicht. Diese liege vor, wenn es dem Täter auf die Herbeiführung des Todes ankomme. Dabei sei es gleichgültig, ob die Erreichung des Todeserfolgs für sicher oder nur für möglich gehalten werde. Gleichgültig sei außerdem, ob die Herbeiführung des Todes dem Täter erwünscht sei oder von ihm bedauert werde. Mit Tötungsabsicht handele deshalb auch, wer den Tod eines anderen nicht um seiner selbst willen herbeiführen wolle, in ihm aber ein notwendiges Zwischenziel auf dem Weg zu dem eigentlich angestrebten Ziel sehe. Zwar spreche es für eine besonders starke Abweichung von den Maßstäben der Rechtsordnung, dass der Täter den Tod des Opfers als (Zwischen -) Ziel seiner Handlung anstrebe; dies belege jedoch für sich genommen noch nicht das Vorliegen einer besonders verwerflichen Gesinnung oder eine besondere Stärke des verbrecherischen Willens. Dies zeige sich beispielhaft in Fällen der Mitleidstötung. Wer einem moribunden Angehörigen das Leben nehme, um ihn von schwerem Leiden zu befreien, töte zwar absichtlich. Der Tod des Angehörigen werde aber nur deshalb angestrebt, um ein „fraglos strafmildernd zu bewertendes Handlungsziel“ – den Angehörigen von schwerem Leiden zu befreien – zu erreichen. Ähnlich liege es, wenn ein Täter – wie beispielsweise in den so genannten „Haustyrannen-Fällen“ – aus einer notstandsähnlichen Situation heraus absichtlich töte.
23
Eine isolierte Negativbewertung der Tötungsabsicht am Maßstab einer generellen Schuldschwereskala im Bereich des subjektiven Tatbestands bei gleichzeitiger Positivbewertung des nur durch eine Tötung erreichbaren Handlungszieles würde zu einer Aufspaltung der Bewertung des „an sich einheitlichen subjektiven Handlungsunrechts führen“. Es bestünde außerdem die Gefahr , dass es zu einer dem Strafzumessungsrecht wesensfremden Schematisierung komme.
24
Tötungsabsicht könne aber für sich genommen dann als ein selbstständiger Straferschwernisgrund herangezogen werden, wenn es dem Täter auf die Herbeiführung des Todes „um seiner selbst willen“ ankomme und keine weiteren relevanten Handlungsziele festzustellen seien. In Fällen der genannten Art nähere sich das subjektive Handlungsunrecht dem Mordmerkmal der Mordlust an.
25
d) Der 1. Strafsenat hat in seinem Antwortbeschluss vom 27. Juli 2017 (1 ARs 20/16) der Rechtsauffassung des anfragenden Senats grundsätzlich zugestimmt, jedoch darauf hingewiesen, dass entscheidend für eine strafschärfende Berücksichtigung der Tötungsabsicht sei, ob dem Täter angesichts seiner Handlungsweise eine höhere Tatschuld vorzuwerfen sei. Das Tatgericht habe sich daher in den Urteilsgründen stets mit den Vorstellungen und Zielen des Täters auseinander zu setzen und vor diesem Hintergrund zu bewerten, ob danach eine höhere Tatschuld gegeben sei. Sei dies der Fall, stünde § 46 Abs. 3 StGB einer strafschärfenden Berücksichtigung der Vorsatzform nicht entgegen.
Unter dieser Maßgabe hat der 1. Strafsenat etwa entgegenstehende eigene Rechtsprechung aufgegeben.
26
3. Nach dem Ergebnis des Anfrageverfahrens besteht unter den Strafsenaten des Bundesgerichtshofs Einigkeit darüber, dass der Tatrichter den Umstand , dass der Täter mit Tötungsabsicht gehandelt hat, strafschärfend berücksichtigen kann. Die früher vertretene Rechtsansicht, wonach in der strafschärfenden Berücksichtigung von Tötungsabsicht ungeachtet der konkreten Umstände des Einzelfalls regelmäßig ein Verstoß gegen das Verbot der Doppelverwertung von Tatbestandsmerkmalen (§ 46 Abs. 3 StGB) liegt, ist danach aufgegeben.
27
Keine vollständige Einigkeit wurde darüber erzielt, in welcher Weise der Tatrichter die Tötungsabsicht rechtsfehlerfrei berücksichtigen kann. Während der 3. und 5. Strafsenat mit dem anfragenden Senat ungeachtet des Umstands, dass der isolierte Hinweis auf die Vorsatzform im Einzelfall zur Beschreibung höherer Tatschuld auch zu kurz greifen könne, der Auffassung sind, dass eine vom Tatrichter vorgenommene isolierte Negativbewertung von Tötungsabsicht rechtlich unbedenklich sei, stehen der 1. und der 4. Strafsenat einer solchen isolierten Negativbewertung der Vorsatzform ablehnend gegenüber. Der 4. Strafsenat wendet sich gegen eine isolierte Negativbewertung am Maßstab einer generellen Schuldschwereskala im Bereich des subjektiven Tatbestands, weil dies zu einer Aufspaltung der Bewertung des an sich einheitlichen subjektiven Handlungsunrechts führe. Er hält daher eine Gesamtbewertung des subjektiven Handlungsunrechts unter strafschärfender Bewertung der Tötungsabsicht bei gleichzeitiger Einbeziehung der konkreten Handlungsmotive, der Beweggründe und der Ziele des Täters für erforderlich. Eine Ausnahme hiervon will der 4. Strafsenat in Fällen anerkennen, in denen es dem Täter auf die Herbeiführung des Todes des Opfers „um seiner selbst willen“ ankomme und keine weiteren relevanten Handlungsziele festgestellt werden könnten; in Fällen der genannten Art, in denen sich das subjektive Handlungsunrecht dem Mordmerkmal der Mordlust annähere, könne die Tötungsabsicht isoliert strafschärfend herangezogen werden. Nach Auffassung des 1. Strafsenats ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller das subjektive Handlungsunrecht kennzeichnenden Umstände darzulegen, dass und aus welchen Gründen der festgestellten Tötungsabsicht im konkreten Einzelfall ein die Tatschuld erhöhendes Gewicht beigemessen werde. Das Tatgericht hat sich daher in den Urteilsgründen mit den Vorstellungen und Zielen des Täters auseinanderzusetzen und zu bewerten , ob ihm wegen des Handelns mit Tötungsabsicht eine höhere Tatschuld vorzuwerfen ist.
28
Als Ergebnis des Anfrageverfahrens ist mithin – ungeachtet gewisser Unterschiede im Einzelnen – festzuhalten, dass die Tötungsabsicht nach Auffassung aller Strafsenate des Bundesgerichtshofs taugliches Kriterium für eine Strafschärfung sein kann. Die Frage, ob in der festgestellten Tötungsabsicht ein die Strafhöhe beeinflussender, bestimmender Strafschärfungsgrund zu sehen ist, kann aber nur unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls getroffen werden. Die Entscheidung hierüber obliegt dem Tatrichter, der hier – wie stets im Rahmen der Strafzumessung – gehalten ist, gegenläufig wirkende strafmildernde Umstände im konkreten Einzelfall zu berücksichtigen.
29
Während der 1. und der 4. Strafsenat annehmen, dass die Tötungsabsicht in den gesamten Bereich des subjektiven Handlungsunrechts eingeordnet werden müsse und eine strafschärfende Würdigung nur in Betracht komme, wenn den Vorstellungen, Zielen und Absichten des Täters unter Einschluss der Tötungsabsicht im Einzelfall ein negatives Gewicht beizumessen sei, ist der anfragende Senat mit dem 3. und dem 5. Strafsenat der Auffassung, dass eine isolierte Negativbewertung der Tötungsabsicht rechtlich unbedenklich sei, wenngleich dies nicht zu einer schematischen Betrachtungsweise führen dürfe; der Tatrichter habe deshalb je nach den Umständen des konkreten Einzelfalls auch die das Handlungsunrecht mildernden Umstände in den Blick zu nehmen.
30
Die strafschärfende Berücksichtigung von Tötungsabsicht verstößt damit grundsätzlich nicht gegen das Verbot der Doppelverwertung von Tatbestandsmerkmalen (§ 46 Abs. 3 StGB). Mit der Tötungsabsicht verbindet sich regelmäßig – ergibt sich nicht aus gegenläufig zu gewichtenden Umständen eine andere Beurteilung des Handlungsunrechts – eine erhöhte Tatschuld des absichtsvoll Tötenden.

III.

31
Gemessen hieran begegnen die tatrichterlichen Ausführungen zur strafschärfenden Berücksichtigung der Tötungsabsicht weder unter Berücksichtigung der Auffassung des 2., 3. und 5. Strafsenats noch unter Berücksichtigung des – abweichenden – Maßstabs des 1. und des 4. Strafsenats durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Schwurgericht hat im Rahmen der Prüfung, ob sich die Tat als ein sonst minder schwerer Fall des Totschlags im Sinne des § 213 StGB darstellt, zwar zu Lasten des Angeklagten eingestellt, dass „die Tat mit erheblicher Brutalität begangen wurde und der Angeklagte den Tod seiner Ehefrau absichtlich und zielgerichtet herbeiführen wollte“. Auch hat es im Rahmen der Strafzumessung strafschärfend berücksichtigt, dass der Angeklagte den Tod seiner Ehefrau „absichtlich und zielgerichtet herbeigeführt hat“. Das Tatgericht hat sich jedoch im Rahmen der Beweiswürdigung sowie der rechtlichen Würdigung bei Abhandlung der Mordmerkmale (Habgier, Heimtücke, niedrige Beweggründe) ausführlich mit den Vorstellungen, Zielen sowie den handlungsleitenden Motiven des Angeklagten auseinandergesetzt. Dabei hat es zwar Anhaltspunkte dafür gesehen, dass der Angeklagte, der gegenüber seiner Ehefrau – nicht zuletzt aufgrund seiner narzisstischen Persönlichkeitszüge – eine abwertende Haltung eingenommen habe, über ihre Trennungsabsichten frustriert und zornig gewesen sei und Motive der Rache für die erlittene Kränkung bei der Tat eine Rolle gespielt haben könnten. Sichere Feststellungen zur eigentlichen Tatmotivation hat das Schwurgericht aber nicht zu treffen vermocht. Anhaltspunkte, die das Handeln des Angeklagten, in einem milderen Licht erscheinen lassen könnten, sind insgesamt nicht zutage getreten. Das Schwurgericht hat im Übrigen nicht übersehen, dass beim Angeklagten zum Zeitpunkt der Tat eine „große Enttäuschung, Frustration und Wut“ angesichts der Trennungsabsicht entstanden war.
32
Vor diesem Hintergrund ist nicht zu besorgen, dass das Tatgericht der Vorsatzform isoliert und undifferenziert strafschärfende Wirkung beigemessen und das subjektive Handlungsunrecht nicht – wie dies nach Auffassung des 1. und des 4. Strafsenats regelmäßig erforderlich und in den Urteilsgründen auch darzulegen ist – insgesamt in den Blick genommen hat.
33
Die tatgerichtliche Wertung, dass der rechtsfehlerfrei festgestellten Tötungsabsicht strafschärfendes Gewicht beizumessen sei, hält sich sonach im Rahmen des tatrichterlichen Wertungsspielraums und ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden.

IV.

34
Anlass für eine Kompensationsentscheidung bestand nicht.
35
Zwar hat das Revisionsverfahren, das am 5. Juni 2015 beim Bundesgerichtshof eingegangen ist, lange gedauert. Die Verfahrensdauer ist jedoch dem Umstand geschuldet, dass die Revisionshauptverhandlung am 1. Juni 2016 zur Durchführung des Anfrageverfahrens ausgesetzt worden ist. Nach Eingang der letzten Antwort auf den Anfragebeschluss am 8. August 2017 wurde mit Verfügung vom 10. August 2017 neuer Hauptverhandlungstermin auf den 6. Dezember 2017 bestimmt. Eine frühere Terminierung war in Ansehung der Terminslage des Senats nicht möglich.
Krehl Eschelbach Zeng Bartel Schmidt

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 S t R 2 3 9 / 1 5
vom
2. September 2015
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschuldigten am 2. September 2015 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 19. Februar 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Beschuldigten. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Beschuldigte an einer schizoaffektiven Störung. Im Frühjahr 2014 befand er sich in einer manischen Phase. Er mietete am 15. Mai 2014 ein Hotelzimmer, wobei er die Hotelangestellte an der Rezeption fragte, ob sie mit ihm ausgehen wolle, was diese aber verneinte. Über die Zurückweisung ärgerte sich der Beschuldigte so sehr, dass er später ein Plisseerollo am Badezimmerfenster des Hotelzimmers aus der Verankerung riss, einen Vorhang in Brand setzte, den Inhalt eines Aschenbechers im Zimmer verstreute und das Bett verrückte. Den Brand am Vorhang löschte er alsbald.
3
Das Landgericht hat darin zwei rechtswidrige Taten der Sachbeschädigung gesehen, bei denen die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten aufgehoben gewesen war. Es hat ferner angenommen, weitere erhebliche rechtswidrige Taten des Beschuldigten seien zu erwarten. Kurz nach den genannten Handlungen habe der Beschuldigte am Flughafen in H. erneut mit einem Feuerzeug hantiert und einen Computermonitor in Brand gesetzt. Später habe er seinen Vater geschlagen und seine Mutter getreten. Der Beschuldigte werde immer dann gefährlich, wenn er unter wahnhaften Ängsten leide. Der gerichtliche Sachverständige habe unter Anwendung der HCR-20-Checkliste dargelegt, dass bei ihm ein mittelgradig erhöhtes Risiko für Gewalttaten bestehe. Vor diesem Hintergrund sei die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus auch verhältnismäßig, obwohl die Anlasstaten die Erheblichkeitsschwelle noch nicht überschritten hätten.

II.

4
Gegen diese Bewertung bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.
5
1. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie setzt zunächst voraus, dass zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defektes schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2015 - 4 StR 514/14, NStZ-RR 2015, 169 f.).
6
In den Urteilsgründen des Landgerichts bleibt schon unklar, weshalb die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten bei der Begehung der rechtswidrigen Taten aufgehoben gewesen sein soll. Immerhin löschte er den Brand am Vorhang "relativ schnell". Auch ist nicht erkennbar, dass den Handlungen im Hotelzimmer eine paranoide Symptomatik zu Grunde gelegen hat; sein Randalieren könnte auch eine noch normalpsychologisch erklärbare Reaktion auf die Zurückweisung durch die Hotelangestellte gewesen sein. Deren Eindruck vom Erscheinungsbild des Beschuldigten ist in den Urteilsgründen nicht mitgeteilt worden, sondern nur der "Eindruck, den sie von dem Hotelzimmer gehabt habe".
7
2. Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt auch nur in Betracht, wenn im Urteilszeitpunkt eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht , dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben.
8
a) Die vom Landgericht hervorgehobene Auswertung einer Checkliste durch den Sachverständigen besitzt dafür nur eine geringe Aussagekraft (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2013 - 3 StR 311/13, StV 2015, 216 f.), zumal deren Resultate nicht näher erläutert wurden.
9
b) Die Prüfung des Grades der Wahrscheinlichkeit weiterer Taten und ihrer Art ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln. Die hierauf bezogenen Betrachtungen des Landgerichts sind jedoch nicht erschöpfend.
10
Schizoaffektive Störungen verlaufen phasenhaft, wobei es auch zu Zeiten vollständiger Remission kommen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2015 - 4 StR 514/14, NStZ-RR 2015, 169, 170). Der vom Landgericht gehörte Sachverständige hat sechs Krankheitsschübe bei dem Beschuldigten im Zeitraum von 2006 bis Frühjahr 2014 unterschieden. In der ersten Phase war es zu einem Rückzugsverhalten gekommen, in der zweiten Phase zu beleidigendem Verhalten, in der dritten Phase wiederum zu einem Rückzug, in der vierten Phase zu einer versuchten Nötigung, in der fünften Phase war der Beschuldigte "streitlustig". Bei dem sechsten Schub war es anfänglich während eines Aufenthalts in P. nicht zu aggressivem Verhalten des Beschuldigten gekommen.
11
Nach den Anlasstaten des vorliegenden Verfahrens, die keine erheblichen Taten im Sinne des § 63 StGB darstellen, reagierte der Beschuldigte auf das Erscheinen seines Vaters vor seiner Wohnung damit, dass er mit einem Messer oder Schraubendreher durch die Tür stach. Im Rahmen der vorläufigen Unterbringung kam es zu aggressivem Verhalten gegenüber Mitarbeitern des psychiatrischen Krankenhauses, das allerdings auch unter dem Blickwinkel der besonderen Situation in der Freiheitsentziehung zu beurteilen ist. Danach zeigte sich der Beschuldigte ab Oktober 2014 unauffällig. In der Hauptverhandlung war er "orientiert und aufnahmefähig. Seine Einlassung war verständlich".
12
Bei dieser Sachlage liegt es jedenfalls nicht auf der Hand, dass in Zukunft mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades auch erhebliche rechtswidrige Taten des Beschuldigten zu erwarten sind. Dies wäre mit Blick auf die störungsfreien Phasen sowie diejenigen Krankheitsschübe, die nicht zu rechtswidrigen Taten oder allenfalls zu noch nicht erheblichen Taten geführt hatten, vom Landgericht näher zu erörtern gewesen. Die Art der mit höherer Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Taten wäre nach Möglichkeit zu konkretisieren. Aggres- sive Handlungen gegen Sachen stellen oftmals keine erheblichen Taten dar. Ob Drohungen als erhebliche rechtswidrige Taten anzusehen sind, hängt davon ab, wie wahrscheinlich mit der Realisierung der Drohungen zu rechnen ist und welches Gewicht die dann zu erwartenden Handlungen haben. Dies hat das Landgericht nicht vertieft. Dies wäre aber geboten gewesen, zumal die Anlasstaten selbst noch keine erheblichen rechtswidrigen Taten waren. Eschelbach Franke Ott Zeng Bartel

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR167/15
vom
3. Juni 2015
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlicher Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 3. Juni 2015 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 26. November 2014 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. Die auf die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde dem Angeklagten die Wohnung gekündigt, weil er regelmäßig Gegenstände aus dem Fenster geworfen und kochend heißes Wasser auf die Straße gegossen hatte. Er zog in einen Verschlag auf dem Dachboden bei seinen Eltern. Auch hier kam es mehrfach zu Polizeieinsätzen, weil er Müll aus dem Dachfenster auf die Straße warf und mit seinen Eltern in Streit geriet. Die Eltern erteilten ihm Hausverbot.
3
Das Landgericht hat unter II.2. der Urteilsgründe folgende Taten festgestellt :
4
a) Der Angeklagte hielt ihm im Rahmen der Führungsaufsicht auferlegte Gesprächstermine mit seinem Bewährungshelfer sowie einen Termin zur Suchtmittelkontrolle unentschuldigt nicht ein.
5
b) Am 17. Juni 2013 kam es zu einer tätlichen Auseinandersetzung mit dem Vater, nachdem dieser dem Angeklagten den Zugang zur elterlichen Wohnung verweigert hatte, und anschließend zu einer Schlägerei mit seinem Bruder , der dem Vater zu Hilfe geeilt war.
6
c) Am selben Tag verschaffte sich der Angeklagte trotz einer Wohnungsverweisung und eines Rückkehrverbots Zutritt zu dem Verschlag auf dem Dachboden. Gegen 22.25 Uhr begaben sich zwei Polizeibeamte zu dem Verschlag und forderten den Angeklagten auf, das Haus zu verlassen. Der Angeklagte willigte ein, wollte aber zunächst eine Zigarette rauchen. Als der Polizeibeamte G. R. dies ablehnte und nach der Tabaktüte des Angeklagten griff, riss dieser die Fäuste hoch und stürzte sich mit gesenktem Kopf auf den Polizeibeamten, so dass dieser rücklings auf den Flur fiel. Obwohl ihm der zweite Polizeibeamte, S. , zu Hilfe eilte, gelang es beiden zunächst nicht, den wild um sich schlagenden Angeklagten zu überwältigen. Beide Polizeibeamte wurden von Faustschlägen getroffen. Einem Beamten versetzte der Angeklagte zudem einen Kopfstoß. Bei der Fixierung des Angeklagten strengte sich der Beamte G. R. dermaßen an, dass er sich einen Brustwirbel ausrenkte. Mit der Hilfe von zwei weiteren Polizeibeamten wurde der Angeklagte schließlich in den Polizeigewahrsam gebracht.
7
d) Am 25. Juni 2013 drückte der Angeklagte die Eingangstür zur Wohnung des Zeugen St. auf. Er entdeckte eine Plastiktüte mit Münzgeld,die er in einen Rucksack des St. packte, um sie mitzunehmen. Der Angeklagte glaubte nun, er befinde sich in seiner eigenen Wohnung, zog sich aus und duschte. Währenddessen kehrte St. in seine Wohnung zurück. Erforderte den Angeklagten auf, die Wohnung zu verlassen. Der Angeklagte wollte den Rucksack des St. mitnehmen, was dieser durch Festhalten verhinderte. Der Angeklagte verließ daraufhin die Wohnung.
8
2. Das Landgericht hat – dem Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen Dr. M. folgend – angenommen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten, der seit 2006 an einer schizoaffektiven Psychose (ICD-10 F25) leidet und bei dem eine dissoziale Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.2) sowie Cannabis- und Kokainmissbrauch (ICD-10 F12.1, F14.1) vorliegen, bei der Begehung der Taten aufgrund eines akuten affektpsychotischen Erlebens aufgehoben war. Von der Schuldunfähigkeit war es ebenso überzeugt wie von einer hohen Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Angeklagte zukünftig auch schwerwiegendere Taten aus dem Bereich der Gewaltkriminalität begehen wird.

II.


9
Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Gefährlichkeitsprognose ist nicht tragfähig begründet (1.), dies führt zur Aufhebung des Urteils insgesamt. In den Fällen II.2.a und b der Urteilsgründe werden zudem weder die vom Landgericht angenommene Aufhebung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung dieser Taten noch der notwendige Zusammenhang zwischen der psychischen Erkrankung und der Tatbegehung hinreichend belegt (2.); schon das Vor- liegen einer rechtswidrigen Tat lässt sich anhand der Urteilsgründe jedenfalls im Fall II.2.a nicht nachvollziehen (3.).
10
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB ist eine den Betroffenen außerordentlich beschwerende Maßnahme. Nur Störungen des Rechtsfriedens, die zumindest in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinragen, rechtfertigen eine Unterbringung gemäß § 63 StGB (vgl. BVerfGE 70, 297, 312; BGH, Urteil vom 17. August 1977 – 2 StR 300/77, BGHSt 27, 246, 248; BGH, Beschluss vom 21. März 1989, NJW 1989, 2959; st. Rspr.). Auch muss aufgrund einer umfassenden Würdigung von Tat und Täter eine höhere oder doch bestimmte, jedenfalls über die bloße Möglichkeit hinausreichende Wahrscheinlichkeit zu bejahen sein, dass der schuldunfähige Täter infolge seines Zustandes weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2013 – 2 StR 94/13 mwN).
11
Die Strafkammer hat bei ihrer Gefährlichkeitsprognose hinsichtlich der Anlasstaten ausdrücklich nur auf die Tat im Fall II.2.c der Urteilsgründe abgestellt und eine erhöhte Gefahr bejaht, dass es wiederholt zu Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte und damit verbundenen Körperverletzungen wie bei den Beamten G. R. und S. kommen werde. Diese eine Tat reicht aber nicht, die für eine Unterbringung erforderliche Gefährlichkeit des Angeklagten zu belegen. Sie allein lässt nicht ausreichend erkennen, dass eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für Impulsdurchbrüche mit der Folge von Gewalttätigkeiten besteht. Zwar ist der Angeklagte auch bei der Exploration durch die Sachverständige im hiesigen Verfahren, bei einem Termin bei dem Psychiater Dr. D. und bei einer richterlichen Anhörung im Rahmen einer Unterbringung nach dem PsychKG in einen hochgradigen und nicht mehr kontrollierbaren Erregungszustand geraten. Zu Tätlichkeiten ist es in diesen Fällen aber nicht gekommen. Der Angeklagte erleidet auch nicht bei jedem Kontakt mit Polizeibeamten einen krankheitsbedingten gewalttätigen Impulsdurchbruch, wie sein unauffälliges Verhalten gegenüber den Polizisten im Fall II.2.b der Urteilsgründe zeigt. Hinzu kommt, dass er auch schon vor der Manifestation seiner Erkrankung – also nicht krankheitsbedingt – mehrfach wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung in Erscheinung getreten ist. Die Gefahrenprognose für die Unterbringung nach § 63 StGB kann aber nur auf solche zu erwartenden Taten gestützt werden, die gerade auf dem Zustand des Betroffenen beruhen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2012 – 2 StR 614/11).
12
Soweit die Strafkammer auf das sonstige Verhalten des Angeklagten – Werfen von Gegenständen und Gießen von kochend heißem Wasser aus dem Fenster – abstellt, kann dies prinzipiell eine Gefährlichkeit gegenüber der Allgemeinheit begründen. Die Strafkammer hat aber diese Vorfälle nicht, was erforderlich gewesen wäre, im Einzelnen konkret dargelegt.
13
Des Weiteren stellt die Strafkammer bei der Gefährlichkeitsprognose auf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchtende Raubdelikte zur Finanzierung des Betäubungsmittelkonsums des Angeklagten ab. Sollte sich in einer solchen Situation ein von ihm nicht mehr zu kontrollierender Affektsturm ergeben, sei mit der Anwendung unkontrollierter Gewalt mit hoher Gefahr für Leib und Leben der Opfer zu rechnen. Auch dies ist nicht mit Tatsachen belegt. Insoweit lässt das Urteil insbesondere eine Auseinandersetzung mit Tatbesonderheiten vermissen , die darin bestehen, dass der Angeklagte beim Diebstahlsversuch im Fall II.2.d der Urteilsgründe, als St. den Rucksack festhielt, die Wohnung widerstandslos ohne Beute verließ. Somit fehlt auch insoweit die notwendige umfassende Erörterung der krankheitsbedingten Gefährlichkeit unter Einschluss des bisherigen Lebens des Angeklagten.
14
2. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht.
15
Für seine Annahme, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei im gesamten Tatzeitraum aufgehoben gewesen, beruft sich das Landgericht auf das Gutachten der Sachverständigen. Näher ausgeführt wird jedoch nur, wie die Gutachterin nunmehr sicher zu ihrer Diagnose einer schizoaffektiven Psychose gelangt ist, ohne im Einzelnen näher darzulegen, wie sich diese bei den einzelnen Taten bemerkbar gemacht hat. Während ein affektiver Impulsdurchbruch im Fall II.2.c der Urteilsgründe und damit die Ursächlichkeit der psychischen Erkrankung für die Widerstandshandlungen und die Körperverletzungen nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe belegt ist, lässt sich ein solcher Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der Tatbegehung bei den übrigen Taten dem Urteil nicht entnehmen. Inwieweit der Angeklagte aufgrund der Erkrankung nicht fähig war, Gespräche mit seinem Bewährungshelfer wahrzunehmen , ist für keinen der versäumten Termine im Fall II.2.a dargetan. Im Fall II.2.b der Urteilsgründe ist es zu Tätlichkeiten gekommen, die ausweislich der mitgeteilten Vorstrafen des Angeklagten bereits vor Manifestation der Erkrankung diesem nicht wesensfremd waren. Seit 1998 ist der Angeklagte mehrfach wegen Körperverletzung bzw. gefährlicher Körperverletzung verurteilt wor- den, 1999 hatte der Angeklagte bei einer Auseinandersetzung seinen Bruder lebensgefährlich verletzt. Auch wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung ist der Angeklagte bereits 2003 mehrfach in Erscheinung getreten. Die Erkrankung besteht aber erst seit 2006. Im Fall II.2.d war der Angeklagte in die fremde Wohnung eingedrungen und hatte das Münzgeld zum Abtransport bereit gelegt, bevor er sich dort als „Eigen- tümer“ zu fühlen und zu duschen begann. In den Fällen II.2.a, b und d ist deshalb fraglich, ob und in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Taten auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307). Allein die sichere Diagnose einer psychiatrischen Erkrankung besagt nichts über die Schuldfähigkeit bei der Tat.
16
3. Dem Angeklagten war durch Beschluss des Landgerichts Essen die Anweisung erteilt worden, jeden ersten Montag des Monats um 15.00 Uhr bei seinem Bewährungshelfer vorzusprechen. Angelastet wird ihm von der Strafkammer u.a., Gesprächstermine am 8. Oktober 2012 (2. Montag des Monats), 23. Oktober 2012 (Dienstag im selben Monat), 6. November 2012 (Dienstag) und 14. November 2012 (Mittwoch desselben Monats) schuldhaft versäumt zu haben. Inwieweit die Gesprächstermine wirksam verlegt worden sind, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, auch nicht, inwieweit der Bewährungshelfer – strafbewehrt – Terminezur Suchtmittelkontrolle vorgeben konnte. Zum Inhalt des entsprechenden Beschlusses des Landgerichts Essen vom 7. Mai 2012 ist nichts Näheres mitgeteilt. Darüber hinaus vermögen reine Formalverstöße gegen eine Weisung die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht zu begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Mai 2008 – 1 StR 243/08, NStZ-RR 2008, 277).
17
4. Die Sache bedarf deshalb insgesamt der neuen Verhandlung und Entscheidung. Der Senat sieht Anlass zu folgendem Hinweis:
18
Durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl. I S. 1327) wurde der frühere Rechtszustand dahin geändert, dass es gemäß § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO nunmehr möglich ist, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen, wenn sich herausstellt , dass der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war. Das Gericht bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung einer isoliert angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuordnen und zugleich erstmals Strafe zu verhängen (vgl. BT-Drucks. 16/1344, S. 17 f.; BGH, Beschlüsse vom 27. Oktober 2009 – 3 StR 369/09, juris Rn. 9; vom 14. September 2010 – 5 StR 229/10, StraFo 2011, 55).
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 311/13
vom
1. Oktober 2013
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
1. Oktober 2013 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 30. April 2013 aufgehoben; die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen bleiben aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. Die hiergegen gerichtete, auf Verfahrensrügen und sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Beschuldigten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Beschuldigte seit 1984 an einer hebephrenen Psychose, die sich seither in situationsinadäquatem Verhalten, Verwahrlosung und Desorganisation äußerte. Er stand seit dieser Zeit unter Betreuung, war beginnend mit dem Sommer 1989 im Wesentlichen obdachlos und entwickelte eine schwere Alkoholabhängigkeit und eine konstante Inkontinenz. Mehrfach befand er sich in stationärer psychiatrischer Behandlung. Bei den Klinikaufenthalten erholte er sich jeweils schnell, um alsbald das Krankenhaus wieder zu verlassen und erneut in den Alkoholmissbrauch und die Verwahrlosung abzugleiten. Er nächtigte, weil er wegen seiner Inkontinenz oft nicht in Obdachlosenunterkünften verbleiben konnte, häufig in den Foyers von Geldinstituten, die er entsprechend verschmutzte. Die zahlreichen gegen ihn deshalb wegen Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigung geführten Ermittlungsverfahren wurden wegen Schuldunfähigkeit eingestellt. Inzwischen zeigt sich bei ihm das Krankheitsbild einer langjährigen, chronifizierten paranoiden Schizophrenie mit illusionären Verkennungen und Wahnwahrnehmungen , die sich zu systematisierten Wahnideen verdichtet haben und die er als beeinträchtigend erlebt. In deren Zentrum steht eine imaginäre Person namens "Kerski", die ihn mit "Toyota-Erpresserkugeln" sowie mit Gummipuppen und Blechmenschen bedroht.
3
Seit Juni 2010 hielt sich der Beschuldigte häufig im Bereich einer Kirche auf. Da er bei schlechtem Wetter den Kircheninnenraum verunreinigte, musste ihm von dem Gemeindepfarrer H. Hausverbot erteilt werden, das, nachdem der Beschuldigte danach die Kirche von außen und den sie umgebenden Friedhof verschmutzt hatte, auf das gesamte Kirchengelände ausgedehnt wurde. Der Beschuldigte hielt sich häufig nicht daran. Pfarrer H. sah indessen aus Mitleid von Strafanzeigen ab. Wenn der Beschuldigte auf einer Bank vor dem Friedhof saß, führte er oft mit lautstarker Stimme schreiend Selbstgesprä- che, die den Pfarrer im Gemeindehaus bei der Arbeit störten. Am 16. Juni 2012 schrie der Beschuldigte wieder herum. Als Pfarrer H. - wie schon öfter im Verlauf der letzten Jahre - hinausging und den Beschuldigten aufforderte, sich zu entfernen, blieb der Beschuldigte entgegen bisheriger Gewohnheit auch dann noch vor Ort, als der Pfarrer ankündigte, die Polizei zu rufen, und sich zur Verstärkung seiner Drohung mit seinem Mobiltelefon beschäftigte und vorgab, eine Nummer zu wählen. Der Beschuldigte nahm an diesem Tag in wahnhafter Realitätsverkennung an, bei Pfarrer H. handele es sich um eine von "Kerski" erschaffene Gummipuppe. Er fühlte sich von dieser bedroht und schlug dem Pfarrer deshalb mit einer großen, eineinhalb Liter fassenden und noch zur Hälfte mit einem Getränk gefüllten Plastikflasche kräftig auf den Kopf. Der Schlag zerstörte die Brille des Pfarrers und verursachte eine dislozierte Jochbogenfraktur, was zu einer dauerhaften, unauffälligen aber wahrnehmbaren Delle im Jochbein geführt hat.
4
Sachverständig beraten hat das Landgericht angenommen, dass der Beschuldigte in psychotischer Verkennung der Realität und damit ohne Unrechtseinsicht gehandelt habe. Da der Beschuldigte eine notwendige Behandlung verweigere, sei mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Begehung von der Anlasstat vergleichbaren Taten zu rechnen.
5
2. Während die Verfahrensrügen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Beschuldigten aufzeigen, hält die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
6
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht , dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat (en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2013 - 2 StR 94/13 mwN). Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist der Tatrichter auch verpflichtet, die wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen.
7
b) Während die psychische Erkrankung des Beschuldigten sowie dessen hierauf beruhende Schuldunfähigkeit bei der Tatbegehung ausreichend festgestellt und in der Beweiswürdigung belegt sind, fehlt es an einer ausreichenden Darlegung einer zukünftigen Gefährlichkeit des Beschuldigten.
8
Das Landgericht hat sich dem gehörten Sachverständigen angeschlossen. Dieser hat aus einer Beurteilung in Anlehnung an das Verfahren HCR 20 (historical clinical risk management - zu Einzelheiten vgl. Dahle, Grundlagen und Methoden der Kriminalprognose in Kröber u.a.: Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 3, S. 1, 30 f.) das Risiko gewalttätigen Verhaltens des Beschuldigten als deutlich erhöht bezeichnet. Der von dem Beschuldigten erreichte Totalwert (25 von 40 Punkten) liege deutlich oberhalb der Mittelwertbereiche für zivilpsychiatrische Patienten und innerhalb der Mittelwertbereiche für forensisch-psychiatrische Patienten. Es sei deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Anlasstat vergleichbaren Taten zu rechnen (UA S. 14). Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht bei der Prognose zukünftigen Verhaltens einseitig das Ergebnis des vom Sachverständigen genutzten statistischen Prognoseinstruments in den Blick genommen und dabei außer Acht gelassen hat, dass solche Instrumente zwar Anhaltspunkte über die Ausprägung eines strukturellen Grundrisikos liefern, indes nicht in der Lage sind, eine fundierte Einzelbetrachtung zu ersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203, 204; Urteil vom 11. Mai 2010 - 1 StR 40/10, NStZ 2010, 504, 506; Beschluss vom 22. Juli 2010 - 3 StR 169/10, StraFo 2011, 62; Beschluss vom 24. April 2013 - 5 StR 83/13 - juris). Eine solche Einzelbetrachtung muss sich auch mit dem Umstand auseinandersetzen , dass der Beschuldigte - jedenfalls nach den bisherigen Feststellungen - trotz einer bereits seit fast 30 Jahren bestehenden Erkrankung erstmals mit einer in den Bereich der mittleren Kriminalität fallenden Straftat in Erscheinung getreten ist. Zwar teilt das Urteil mit, der Bundeszentralregisterauszug des Beschuldigten weise seit 1991 insgesamt 78 Eintragungen zu Ermittlungsverfahren auf, die wegen Schuldunfähigkeit des Beschuldigten eingestellt worden sind; es ist indes nicht festgestellt, welche Taten des Beschuldigten den Verfahren zugrunde lagen, insbesondere ob sich darunter solche von gewisser Erheblichkeit befanden. Angesichts der an anderer Stelle im Urteil getroffenen Feststellung über 11 Ermittlungsverfahren wegen der Übernachtungen in den Räumen von Kreditinstituten allein in den Jahren 2011/2012 (UA S. 5) liegt es nahe, dass es sich auch bei den anderen Verfahren um solche wegen Delikten minderer Intensität gehandelt hat. Wenn aber nach jahrzehntelanger Erkrankung eine vereinzelte Tat der gefährlichen Körperverletzung zum Anlass für eine Unterbringung nach § 63 StGB genommen wird, bedarf es eingehenderer Darlegungen, warum der Beschuldigte jetzt seine paranoiden Ängste erstmals auf diese Weise ausagiert hat und unter welchen Umständen zukünftig von ihm welche Taten zu erwarten sind.
9
Im Hinblick auf die Verbesserung der Lebenssituation, die der Beschuldigte im Rahmen seiner vorläufigen Unterbringung in der Klinik für forensische Psychiatrie des LVR Klinikums E. nach den Feststellungen des Landgerichts derzeit erlebt (UA S. 7 und 15), bemerkt der Senat ergänzend: Auf eine ausreichende Begründung zukünftiger Gefährlichkeit des Beschuldigten für die Allgemeinheit kann nicht verzichtet werden, selbst wenn dessen Gesundheitszustand durch eine längerfristige Behandlung in einem forensischpsychiatrischen Krankenhaus gebessert werden könnte, denn nur die Belange der öffentlichen Sicherheit - nicht aber die Bemühungen um die Gesundheit des Patienten - können es rechtfertigen, einen Menschen auf unbestimmte Zeit einer Freiheitsentziehung zu unterwerfen (vgl. LK/Schöch, StGB, 12. Aufl., § 63 Rn. 1 mwN).
10
c) Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sind rechtsfehlerfrei getroffen und können deshalb aufrechterhalten bleiben.
Becker Pfister RiBGH Mayer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Gericke Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 79/16
vom
7. Juni 2016
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2016:070616B4STR79.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 7. Juni 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 2. Oktober 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich seine auf die Sachrüge gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Der Unterbringungsanordnung liegen als von der Antragsschrift erfasste Anlasstaten eine gefährliche Körperverletzung sowie Bedrohungen zugrunde. Die gefährliche Körperverletzung beging der Beschuldigte nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen am Morgen des 25. Januar 2015 zum Nachteil eines Bediensteten der JVA D. , auf den er bei der Ausgabe des Frühstücks mit einer Porzellankaffeekanne einschlug. Drei der vom Landgericht als Bedrohungen eingeordneten Taten beging er ebenfalls zum Nachteil von JVA-Bediensteten, nachdem er im Anschluss an die gefährliche Körperverletzung in einen besonders gesicherten Haftraum (Drohung mit „Abstechen“) bzw. zur Versorgung eines nach dem Körperverletzungsgeschehen erlittenen Kiefer- bruchs in eine Klinik verbracht worden war („schlage ich euch mit dem Baseballschläger den Kopf ein“). Eine weitere Bedrohung „ggfs. auch weiterer Bediensteter der JVA“ (UA S. 41) nimmtdas Landgericht bezüglich eines Vorfalls vom 27. Januar 2015 gegenüber zwei Mitarbeiterinnen eines Justizvollzugskrankenhauses an, in das der Beschuldigte verlegt worden war. Ihnen gegenüber drohte der Beschuldigte, er werde ihnen „die Augen ausstechen und sie töten“.
3
Nach den weiteren Feststellungen der Strafkammer weist das Bundeszentralregister für den Beschuldigten für den Zeitraum von 1999 bis zum 18. Dezember 2014 insgesamt 23 Einträge auch wegen Körperverletzungsdelikten (2001, 2005, 2006, zweimal 2008, 2009, 2013), Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (2006, dreimal 2008) oder Bedrohung (2005, 2006) aus. In den Jahren 2011 bis März 2015 verbüßte er mehrere Freiheitsstrafen; 2009 war gegen ihn ferner – neben einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten – die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden , die bis März 2011 auch vollzogen wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen oder die Anwendung von §§ 20, 21 StGB erwähnt das Landgericht bei keiner dieser Taten bzw. Eintragungen. Zu der Maßregelanordnung im Jahr 2009 teilt das Urteil lediglich mit, dass die Sachverständige einen Hang des Beschuldigten , alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, und auch die weiteren Voraussetzungen des § 64 StGB bejaht habe. Aus dem Vollzug dieser Maßregel wird mitgeteilt, dass sein „dissoziales Verhalten ... kaum er- träglich erschien“ und bei ihm bei „kleinsten Belastungen oder Unklarheiten“ Wahn- und Verfolgungsideen festgestellt worden seien, die sich aber wieder legten, „wenn sich die Situation klärte“ (UA S. 14 f.).
4
Ferner teilt das Urteil mit, dass ein Sachverständiger in einem – in einem anderen Strafverfahren gegen den Beschuldigten – erstatteten Gutachten im März 2015 zu dem Ergebnis gekommen sei, dass es sich beim Beschuldigten „um einen voll schuldfähigen Menschen mit dissozialer Persönlichkeit handle“ (UA S. 23), während ein anderer Sachverständiger im selben Monat beim Beschuldigten eine paranoide Psychose sowie eine dissoziale Persönlichkeitsstörung festgestellt habe (UA S. 25). Die Strafkammer geht – dem in der Hauptverhandlung erstatteten Sachverständigengutachten folgend – dagegen davon aus, dass der Beschuldigte an einer paranoiden Schizophrenie leide und gelitten habe, aufgrund derer zu den Tatzeiten seine Einsichtsfähigkeit aufgehoben gewesen sei; es habe sich um „typische Impulstaten eines Psychotikers“ gehandelt. Der Beschuldigte sei schon „in früherer Zeit“ auffällig gewesen, wie insbesondere die strafrechtlichen Vorbelastungen zeigten (UA S. 37); paranoide Akzente zögen sich „bereits seit längerer Zeit durch das Leben des Beschuldig- ten“ (UA S. 37). Hinsichtlich der Unterbringung nach § 64 StGB sei anzuneh- men, dass sie „schlicht in die ‚falsche Richtung’ gegangen sei und damals schon das eigentlich bei dem Beschuldigten bestehende Problem verkannt worden sei“ (UA S. 39).
5
2. Die Unterbringungsanordnung hat keinen Bestand, da die Gefährlichkeitsprognose nicht tragfähig begründet ist.
6
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Diese Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 1. Oktober 2013 – 3 StR 311/13; vom 2. September 2015 – 2 StR 239/15; vom 3. Juni 2015 – 4 StR 167/15) und hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten infolge seines Zustandes drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit, Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 – 2 BvR 2957/12 Rn. 27).
7
Neben der sorgfältigen Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen ist der Tatrichter auch verpflichtet, die wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2013 – 3 StR 311/13). Denn auf eine ausreichende Begründung zukünftiger Gefährlichkeit des Beschuldigten für die Allgemeinheit kann nicht verzichtet werden, selbst wenn dessen Gesundheitszustand durch eine längerfristige Behandlung gebessert werden könnte, da nur die Belange der öffentlichen Sicherheit – nicht aber die Bemühungen um die Gesundheit des Patienten – es rechtfertigen können , einen Menschen mit den Mitteln des Strafrechts auf unbestimmte Zeit einer Freiheitsentziehung zu unterwerfen (BGH aaO).
8
b) An einer nachvollziehbaren Darlegung der zukünftigen krankheitsbedingten Gefährlichkeit des Beschuldigten mangelt es dem angefochtenen Urteil.
9
aa) Auch wenn sich die Feststellung einer durch den Hang bereits indizierten Gefährlichkeit bei § 66 StGB von der auf einem der in § 20 StGB aufgeführten Zustände beruhenden Gefährlichkeit bei § 63 StGB unterscheidet, sind – nicht anders als bei § 66 StGB (vgl. dazu etwa BGH, Urteil vom 13. März 2013 – 2 StR 392/12) – auch (und insbesondere) für die im Rahmen des § 63 StGB anzustellende Gefährlichkeitsprognose etwaige Vortaten von besonderer Bedeutung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Februar 2004 – 2 BvR 2029/01, NJW 2004, 739, 743; Boetticher u.a., NStZ 2006, 537, 538, 541). So ist einerseits als ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten anzusehen, dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine erheblichen Straftaten begangen hat (vgl. etwa BGH, Urteile vom 10. Dezember 2014 – 2 StR 170/14, NStZ-RR 2015, 72, 73; vom 8. Oktober 2015 – 4 StR 86/15 jeweils mwN). Andererseits kann sogar lange zurückliegenden Taten eine indizielle Bedeutung für die Gefährlichkeitsprognose zukommen, wenn sie in einem inneren Zusammenhang zu der festgestellten Erkrankung gestanden haben und deren Ursache nicht in anderen, nicht krankheitsbedingten Umständen zu finden ist (vgl. BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11). Maßgeblich sind insofern insbesondere die individuell bedeutsamen Bedingungsfaktoren für die bisherige Delinquenz, deren Fortbestand, ihre fehlende Kompensation durch protektive Umstände und das Gewicht dieser Faktoren in zukünftigen Risikosituationen (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 2009 – 5 StR 296/09, NJW 2010, 245).
10
Ausgehend hiervon hätte es näherer Darlegungen bei der Gefährlichkeitsprognose dazu bedurft, ob und inwiefern die früher abgeurteilten Taten in Zusammenhang mit der nunmehr festgestellten Erkrankung des Beschuldigten stehen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 15. Juli 2015 – 4 StR 277/15; Boetticher u.a., NStZ 2006, 537, 541, 543; sowie BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 2013 – 2 BvR 1690/13). Hierfür reicht nicht aus, dass der Sachverständige – undihm folgend die Strafkammer – diese als „auffällig“ bezeichnete und auf schon längere Zeit vorliegende „paranoide Akzente“ verwies. Ein Zusammen- hang zwischen den Vortaten und der Erkrankung des Beschuldigten ist damit (noch) nicht – wie erforderlich: sicher – festgestellt (vgl. BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11).
11
bb) Bleiben die früheren Taten außer Betracht, ist die Gefährlichkeitsprognose indes nicht hinreichend nachvollziehbar.
12
Insbesondere kann allein mit der im Allgemeinen erhöhten Kriminalitätsbelastung schizophren Erkrankter die Gefahrenprognose nicht begründet werden (BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11; vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15). Maßgeblich sind stattdessen die konkrete Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung (BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15) sowie die auf die Person des Beschuldigten und seine konkrete Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung von Delikten jenseits der Anlasstaten belegen können (BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11; zu situativen Risikofaktoren auch BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15).
13
Zur mit der Erkrankung des Beschuldigten in Verbindung stehenden Kriminalitätsentwicklung fehlen – wie ausgeführt – tragfähige Feststellungen. Soweit der Beschuldigte nach den Anlasstaten mehrmals in einen hochgradigen und nicht oder kaum mehr kontrollierbaren Erregungszustand geraten ist, ist es zu Tätlichkeiten nicht gekommen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 3. Juni 2015 – 4 StR 167/15). Auch waren die von ihm ausgesprochenen Bedrohungen nach den Feststellungen nicht geeignet, zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens zu führen (vgl. hierzu etwa BGH, Urteil vom 29. September 2015 – 1 StR 287/15, NJW 2016, 341, 342; Beschluss vom 18. Juli 2013 – 4 StR 168/13, NJW 2013, 3383, 3385: nahe liegende Gefahr der Verwirklichung).
14
Die Krankheitsgeschichte des Beschuldigten ist vom Landgericht – über die Unterbringung nach § 64 StGB hinaus – nur insoweit dargestellt worden, als ein Sachverständiger trotz einer dissozialen Persönlichkeitsstörung noch die „volle“ Schuldfähigkeit bejaht hat, einweiterer Sachverständiger – ebenfalls im März 2015 – dagegen eine paranoide Psychose und eine dissoziale Persönlichkeitsstörung angenommen hat, während der (dritte) in der Hauptverhandlung angehörte Sachverständige (nur) eine paranoide Psychose diagnostiziert hat. Angaben dazu, wann die Krankheit erstmals aufgefallen ist und wie sich die Symptomatik im Verlauf der Zeit entwickelt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15), fehlen. Da das Urteil abgesehen von dem Hinweis, dass sich für eine Persönlichkeitsstörung „keine Anhaltspunkte“ gefunden hätten (UA S. 39), zudem eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den früheren Gutachten ebenso vermissen lässt wie eine nähere Darstellung und Auseinandersetzung mit dem in Zusammenhang mit der Anordnung der Maß- regel nach § 64 StGB erstatteten Gutachten, ermöglicht das Urteil dem Senat nicht, die Entscheidung – wie erforderlich – nachzuvollziehen.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 602/13
vom
8. Januar 2014
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Januar 2014 beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 10. September 2013 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB). Mit seiner Revision rügt der Beschuldigte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts suchte der spätestens seit 2002 an einer schizophrenen Psychose leidende, bislang unbestrafte Beschuldigte am Tattag um eine Aufnahme in einer psychiatrischen Einrichtung nach, wobei er sich in einem akut psychotischen Zustand befand. Im Zuge seiner Aufnahmebemühungen stürzte er sich auf einen Arzt, brachte ihn zu Boden und würgte ihn. Er war wahnhaft bedingt davon überzeugt, dass dieser Arzt gegen ihn sowie seine Freundin intrigiere und dafür verantwortlich sei, dass sein Kind in einer Pflegefamilie untergebracht sei. Erst durch mehrere kräftige Faustschläge einer Ärztin konnte er dazu gebracht werden, von seinem Opfer abzulassen.
3
Dem Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen folgend hat das Landgericht angenommen, es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass der Beschuldigte auch zukünftig wenigstens gleichgewichtige Taten begehen werde.
4
2. Die Feststellungen des Landgerichts belegen nicht hinreichend, dass von dem Beschuldigten aufgrund seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Die für die Maßregelanordnung erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (vgl. BGH, Urteile vom 17. August 1977 – 2 StR 300/77, BGHSt 27, 246, 248 f., und vom 17. November 1999 – 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27). Dabei sind an die Darlegungen umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt – wie hier – unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 8. November 2006 – 2 StR 465/06, NStZ-RR 2007, 73, 74). Nach diesen Maßstäben hat die Strafkammer die Unterbringungsanordnung nicht tragfähig begründet.
5
Die getroffene Gefährlichkeitsprognose beruht auf der Erwägung, bei aufgrund fehlender Krankheitseinsicht abzusehendem Behandlungsabbruch oder unzureichender Medikation sei – ungeachtet des Umstands, dass die hier erfolgte Verurteilung seine erste sei – hochwahrscheinlich mit erneuten psychotischen Exazerbationen und damit einhergehend mit der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten durch den Beschuldigten zu rechnen. Angesichts bislang fehlender Vorbelastung hätte es das Landgericht indessen nicht bei diesem knappen Hinweis belassen dürfen, sondern eingehend erörtern müssen, warum der Beschuldigte in der Vergangenheit nicht durch Aggressionsdelikte in Er- scheinung getreten ist und welche prognoserelevanten Schlüsse hieraus zu ziehen sind. Dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine Straftaten begangen hat oder wie hier gänzlich unbelastet ist, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Taten (BGH, Beschlüsse vom 11. März 2009 – 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198, 199; vom 13. Dezember 2011 – 5 StR 422/11, StV 2012, 209 Rn. 6, vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, StV 2013, 206 Rn. 11, jeweils mwN).
6
Auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe kann der Senat nicht die notwendigen Darlegungen entnehmen. Zu in der Vergangenheit häufi- gen „fremdaggressiven Verhaltensweisen“ fehlt jegliche Erläuterung; das Glei- che gilt für den Umstand, dass der Beschuldigte 2012 „ins Wasser sprang, wo- bei ein Suizidversuch nicht ausgeschlossen werden“ konnte (UA S. 3).
7
3. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Eine abschließende Bewertung vermochte der Senat nicht zu treffen, weil nicht gänzlich ausgeschlossen erscheint, dass noch Feststellungen getroffen werden können, die eine Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB rechtfertigen. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die als Grundlage für die Gefährlichkeitsprognose heranzuziehende, vom Landgericht lediglich als (einfache) vorsätzliche Körperverletzung gewertete Anlasstat nicht allzu schwer wiegt und zudem gegenüber einem Betreuer begangen wurde, weswegen sie auch nicht mit vollem Gewicht als Beleg für die allgemeine Gefährlichkeit des Beschuldigten herangezogen werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2011 – 5 StR 422/11, aaO Rn. 7 mwN).
Basdorf Dölp König
Berger Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 224/12
vom
4. Juli 2012
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 4. Juli 2012 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 16. März 2012 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Mit seiner Revision rügt der Beschuldigte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen trat der obdachlose Beschuldigte am 16. November 2010 in der Innenstadt von P. gegen einen Stromkasten. Als er deshalb von den Zeugen A. und H. He. zur Rede gestellt wurde, reagierte er mit den Worten: „Halt's Maul, sonst steche ich euch ab“. Anschließend entfernte er sich. Als ihm die beiden Zeugen und zwei weitere Personen nachliefen, blieb der Beschuldigte stehen, zog mit der rechten Hand ein Messer und richtete es auf seine Verfolger. Dabei rief er: „Haut ab, oder ich steche euch alle ab“ und fuchtelte mit dem Messer hin und her. Kurze Zeit später erschien die zwischenzeitlich alarmierte Polizei. Der Aufforderung, das Messer fallenzulassen , kam der Beschuldigte nicht nach, sodass schließlich gegen ihn Pfefferspray eingesetzt und zu seiner Entwaffnung körperliche Gewalt angewendet werden musste (Fall II. 1). Am 7. Dezember 2010 bezeichnete der Beschuldigte während einer gemeinsamen Zugfahrt die Zeugin S. ohne jeden Anlassals „Hure“ und „Schlampe“. Zugleich trat er ihr mit dem Fuß gegen den rechten Unterschenkel, wobei er schwere, massive Stiefel trug. Als ihn die Zeugin auf sein Verhalten ansprach, äußerte er „Ich bringe dich um“ und „Ich mache dich kalt“. Die Zeugin erlitt durch den Tritt mehrere Tage andauernde, nicht unerheb- liche Schmerzen und einen Schock. Auf der von der Polizei begleiteten Weiterfahrt kam es bei ihr mehrfach zu Weinkrämpfen (Fall II. 2). Am 23. März 2011 versetzte der Beschuldigte in F. auf offener Straße einer ihm unbekannten Schülerin, die sich mit zwei Mitschülerinnen auf dem Nachhauseweg befand, einen massiven Tritt in den Rücken. Dabei trug er erneut schwere Schnürstiefel. Da der Tritt durch den Schulranzen gedämmt wurde, kam es nicht zu länger andauernden Schmerzen. Die Schülerin erlitt einen Weinkrampf und war – wie ihre beiden Begleiterinnen – von dem Verhalten des Beschuldigten geschockt (Fall II. 3). Am 26. Oktober 2011 zeigte der Beschuldigte in der P. Innenstadt einem Polizeibeamten den ausgestreckten Mittelfinger und bezeich- nete ihn bei der anschließenden Personalienfeststellung als „Arschloch“ (Fall II. 4). Das Landgericht hat die festgestellten Vorfälle als Bedrohung (Fall II. 1), vorsätzliche Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung und Bedrohung (Fall II. 2), vorsätzliche Körperverletzung (Fall II. 3) und Beleidigung (Fall II. 4) gewertet.
3
Dem Gutachten des angehörten Sachverständigen folgend geht das Landgericht davon aus, dass der Beschuldigte „seit vielen Jahren“ an einer paranoiden Schizophrenie mit chronischem Residuum leidet. Aufgrund der Erkrankung treten bei ihm unterschiedlich akzentuierte Symptome wahnhafter Überzeugtheit auf. Die dadurch generierten Impulse werden von ihm, dem Grundmuster der festgestellten Taten entsprechend, in aggressiv feindseliger Weise umgesetzt. Stationären Aufenthalten in psychiatrischen Krankenhäusern in den Jahren 1987, 1994 und 1995 gingen jeweils „massive aggressive Übergriffe auf Dritte“ voraus, insbesondere auf Waldwegen, zumTeil mit Messern, durch Schubsen oder Fußtritte sowie Bedrohungen. Ein gegen den Beschuldigten im Jahr 1994 wegen des Verdachts der Körperverletzung geführtes Ermittlungsverfahren wurde wegen Schuldunfähigkeit eingestellt. Aufgrund dieser Erkrankung war die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten bei sämtlichen Taten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erheblich beeinträchtigt (§ 21 StGB) und nicht ausschließbar aufgehoben (§ 20 StGB).
4
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB angeordnet, weil die unter II. 1 bis II. 3 festgestellten Taten dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen seien und davon auszugehen sei, dass der Angeklagte ohne Intervention auch in Zukunft ähnlich gelagerte Taten begehen werde.
5
2. Diese Feststellungen belegen nicht hinreichend, dass von dem Beschuldigten aufgrund seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist (§ 63 StGB).
6
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist aufgrund ihrer zeitlichen Unbegrenztheit eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Sie darf deshalb nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Urteil vom 7. Januar 1997 – 5 StR 508/96, NStZ-RR 1997, 230).
7
Ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Beschluss vom 26. April 2001 – 4 StR 538/00, StV 2002, 477 f.). Dabei kann sich – wie in aller Regel bei Verbrechen oder Gewalt- und Aggressionsdelikten – eine schwere Störung des Rechtsfriedens bereits allein aus dem Gewicht des Straftatbestandes ergeben, mit dessen Verwirklichung gerechnet werden muss (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Urteil vom 12. Juni 2008 – 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564; Beschluss vom 24. November 2004 – 1 StR 493/04, NStZ-RR 2005, 72, 73). Sind die zu erwartenden Delikte nicht wenigstens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen, ist die Annahme einer schweren Störung des Rechtsfriedens dagegen nur in Ausnahmefällen begründbar (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 18. März 2008 – 4 StR 6/08; Beschluss vom 18. Februar 1992 – 4 StR 27/92, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 16; Beschluss vom 28. Juni 2005 – 4 StR 223/05, NStZ-RR 2005, 303, 304).
8
Die für die Maßregelanordnung erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters , seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (BGH, Urteil vom 17. August 1977 – 2 StR 300/77, BGHSt 27, 246, 248 f.; Urteil vom 17. November 1999 – 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27). Dabei sind an die Darlegungen umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 8. November 2006 – 2 StR 465/06, NStZ-RR 2007, 73,

74).


9
b) Gemessen an diesen Maßstäben hat das Landgericht seine Überzeugung von der zukünftigen Gefährlichkeit des Beschuldigten nicht tragfähig begründet.
10
Im Grundsatz zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass die gewalttätigen Übergriffe des Beschuldigten in den Fällen II. 2 und II. 3 der Urteilsgründe von erheblichem Gewicht sind. Dass auch eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Beschuldigte künftig diesen Anlasstaten gleich gelagerte Straftaten begehen wird, hat es jedoch nicht hinreichend dargelegt.
11
Die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts beruht auf der Erwägung, dass es sich bei den für die Anlasstaten ursächlichen psychotischen Impulsen um ein Symptom der bei dem Beschuldigten schon seit 1987 bestehenden Grunderkrankung handelt, das aufgrund seines regelhaften Auftretens auch in Zukunft immer wieder zu gleich gelagerten Taten führen wird (UA 7). Bei dieser Sachlage hätte es näherer Erörterung bedurft, warum der Beschuldigte in der Vergangenheit nicht häufiger durch Aggressionsdelikte in Erscheinung getreten ist und welche prognoserelevanten Schlüsse hieraus zu ziehen sind. Dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine Straftaten begangen hat, ist ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Straftaten (BGH, Beschluss vom 11. März 2009 – 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198, 199; Urteil vom 17. November 1999 – 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit

27).


12
Die Feststellung, dass den stationären Aufenthalten des Beschuldigten in den Jahren 1987, 1994 und 1995 „massive aggressive Übergriffe auf Dritte“ vorausgegangen sind, ist ohne Aussagekraft, weil es an einer nachvollziehbaren Darstellung einzelner Vorfälle und ihrer Genese fehlt. Gleiches gilt für den Vorgang, der dem wegen Körperverletzung geführten Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Straubing aus dem Jahr 1994 zugrunde lag, das wegen Schuldunfähigkeit eingestellt worden ist. Grundsätzlich kann auch lange zurückliegenden Taten eine indizielle Bedeutung für die Gefährlichkeitsprognose zukommen (BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11, Rn. 14; vgl.BGH, Urteil vom 12. Juni 2008 – 4 StR 140/08, BeckRS 2008, 13076, insoweit in NStZ 2008, 563 nicht abgedruckt), doch setzt dies regelmäßig voraus, dass diese Taten in einem inneren Zusammenhang zu der festgestellten Erkrankung gestanden haben und ihre Ursache nicht vornehmlich in anderen nicht krankheitsbedingten Umständen zu finden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2001 – 4 StR 540/01, BeckRS 2001, 30228853). Dies ist in den Urteilsgründen darzustellen und mit Tatsachen zu belegen.
13
Soweit das Landgericht auch die Todesdrohungen zum Nachteil der Zeugen He. (Fall II. 1) der mittleren Kriminalität zugeordnet hat, wird dies von den Feststellungen nicht belegt. Todesdrohungen gehören nur dann zu den erheblichen Straftaten, wenn sie geeignet sind, den Bedrohten nachhaltig und massiv in seinem elementaren Sicherheitsempfinden zu beeinträchtigen; dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sie aus der Sicht des Betroffenen die nahe liegende Gefahr ihrer Verwirklichung in sich tragen (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202, 203; Urteil vom 12. Juni 2008 – 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564). Dass die bedrohten Zeugen mit tödlichen Messerstichen gerechnet haben, lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen. Die Tatsache, dass sie nach der ersten Drohung die Verfolgung des Beschuldigten aufnahmen, spricht eher für das Gegenteil.
14
Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Eine abschließende Entscheidung vermochte der Senat nicht zu treffen, weil es nicht fernliegend ist, dass weitere Feststellungen getroffen werden können , die eine Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB rechtfertigen.
Mutzbauer Roggenbuck Schmitt
Bender Quentin