Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Feb. 2019 - 4 StR 419/18
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – und der Beschwerdeführerin am 27. Februar 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt und ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich die Angeklagte mit ihrer auf die Rüge der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützten Revision. Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist nicht in zulässiger Weise erhoben, jedoch hat das Rechtsmittel mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
- 2
- 1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen versetzte die bislang unbestrafte Angeklagte ihrer Mutter in der gemeinsam bewohnten Wohnung nach einem vorangegangenen Streit mit einer Schere einen tödlichen Stich in den Brustkorb. Anschließend stach sie mit der Schere mindestens achtmal auf den Kopf des Tatopfers ein. Sachverständig beraten ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit der Angeklagten, die im Tatzeitraum an einer subakuten, chronischen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis litt, bei Begehung der Tat erheblich vermindert im Sinne des § 21 StGB war.
- 3
- 2. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.
- 4
- 3. Hingegen unterliegt der Strafausspruch der Aufhebung.
- 5
- a) Bereits die Strafrahmenwahl hält wegen rechtsfehlerhafter Strafschärfungserwägungen bei der Prüfung eines minder schweren Falls des Totschlags gemäß § 213 Var. 2 StGB rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
- 6
- aa) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet zunächst die strafschärfende Erwägung, die Angeklagte habe nach der Tötung ihrer Mutter die Wohnung verlassen, ohne sich um den Leichnam zu kümmern, so dass dieser der Verwesung preisgegeben gewesen sei. Dieses Nachtatverhalten durfte die Schwurgerichtskammer nicht zu Ungunsten der Angeklagten berücksichtigen.
- 7
- bb) Rechtlicher Nachprüfung hält ebenfalls nicht stand, dass das Landgericht ohne Einschränkung strafschärfend berücksichtigt hat, dass die Angeklagte nach dem tödlichen Stich in den Brustkorb des Tatopfers noch zumindest achtmal auf dessen Kopf einstach. Insoweit hat das Landgericht nicht erwogen, ob auch dieses Verhalten durch die psychische Erkrankung der Angeklagten mitverursacht wurde, was zur Folge hätte, dass es ihr dann jedenfalls nicht uneingeschränkt strafschärfend angelastet werden durfte (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 1961 – 4 StR 373/61, BGHSt 16, 360, 364; Beschlüsse vom 12. Oktober 2017 – 5 StR 364/17, juris Rn. 12; vom 25. Oktober 2012 – 5 StR 512/12, NStZ-RR 2013, 53; vom 9. Oktober 1996 – 3 StR 454/96, NStZ-RR 1997, 66).
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- cc) Rechtlichen Bedenken begegnen schließlich die Ausführungen des Landgerichts, es habe die „Erfüllung des subjektiven Tatbestandes des Totschlags für Zwecke der Strafzumessung dem oberen Bereich zugeordnet“ (UA S. 92). Denn zum einen lässt sich diese Erwägung nicht damit in Einklang bringen, dass es in der Beweiswürdigung zur inneren Tatseite ausgeführt hat, dass „die Angeklagte den Tod ihrer Mutter als Tatfolge auch jedenfalls im Sinne eines Hinnehmens des Todes wollte“ (UA S. 79), was für die Annahme lediglich bedingten Vorsatzes sprechen könnte. Zum anderen erschließt sich nicht, warum das Landgericht – innerhalb der Vorsatzstufen von Eventualvorsatz über unbedingten Vorsatz bis hin zur Absicht – hier den „oberen Bereich“ als gegeben angesehen hat, obwohl sie ein absichtliches Handeln der Angeklagten ausdrücklich verneint hat (UA S. 79; zur strafschärfenden Berücksichtigung von Tötungsabsicht vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2018 – 2 StR 150/15, BGHSt 63, 54 mwN).
- 9
- b) Zwar ist die Schwurgerichtskammer letztlich vom Vorliegen eines minder schweren Falls des Totschlags gemäß § 213 Var. 2 StGB ausgegangen, dies aber nur unter zusätzlicher Berücksichtigung der verminderten Schuldfähigkeit der Angeklagten. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das Landgericht ohne die aufgezeigten Rechtsfehler bereits aufgrund der allgemeinen Strafzumessungserwägungen zur Annahme eines minder schweren Falls gekommen wäre; in diesem Fall hätte der vertypte Strafmilderungsgrund des § 21 StGB noch für eine mögliche Strafrahmenverschiebung gemäß § 49 Abs. 1 StGB zur Verfügung gestanden.
- 10
- 4. Die Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hat ebenfalls keinen Bestand, da die Gefährlichkeitsprognose nicht tragfähig begründet ist.
- 11
- a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnah- me, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Diese Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters , seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 2. September 2015 – 2 StR 239/15, juris; vom 3. Juni 2015 – 4 StR 167/15, StV 2016, 724; vom 1. Oktober 2013 – 3 StR 311/13) und hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten infolge seines Zustandes drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit, Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 – 2 BvR 2957/12 Rn. 27; BGH, Beschluss vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306).
- 12
- b) Während die psychische Erkrankung der Angeklagten sowie deren hierauf beruhende erheblich verminderte Schuldfähigkeit bei der Tatbegehung ausreichend festgestellt und in der Beweiswürdigung belegt sind, hält die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts rechtlicher Überprüfung nicht stand.
- 13
- aa) Es fehlt bereits an der gebotenen umfassenden Würdigung aller für die Beurteilung der Gefährlichkeit der Angeklagten relevanten Faktoren. Das Landgericht hat bei seiner Gefährlichkeitsprognose unberücksichtigt gelassen, dass die Angeklagte trotz ihrer langjährigen psychischen Erkrankung – hierzu ist festgestellt, dass sie spätestens in den Jahren nach einem Autounfall 1998/1999 eine Psychose entwickelte (UA S. 9) – strafrechtlich bislang nicht in Erscheinung getreten ist. Dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine Straftaten begangen hat oder – wie hier – gänzlich unbelastet ist, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Taten (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 1999 – 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27; Beschlüsse vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306; vom 11. März 2009 – 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198, 199). Angesichts der fehlenden Vorbelastung hätte das Landgericht erörtern müssen, warum die Angeklagte in der Vergangenheit nicht durch Aggressionsdelikte in Erscheinung getreten ist und welche prognoserelevanten Schlüsse hieraus zu ziehen sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Januar 2014 – 5 StR 602/13, StV 2015, 218, 219; vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, StV 2013, 206, 207); daran fehlt es hier.
- 14
- bb) Darüber hinaus begegnen auch die Erwägungen des Landgerichts dazu, welche Personen durch die Angeklagte gefährdet seien, rechtlichen Bedenken. Soweit es insbesondere den früheren Mitbewohner der Angeklagten, den Zeugen H. , für den Fall als gefährdet angesehen hat, dass die Angeklagte erneut zu ihm ziehen sollte, weil auch zu ihm – wie zu ihrer Mutter – eine langjährige konfliktbelastete Beziehung bestehe, hat es sich nicht damit auseinander gesetzt, dass die Angeklagte bereits von 1999 bis 2014 und damit über einen Zeitraum von 15 Jahren bei dem Zeugen lebte, ohne dass es zu Aggressionsdelikten gegen ihn kam. Soweit das Landgericht schließlich angeführt hat, dass sich künftige Aggressionstaten der Angeklagten auch gegen „noch nicht näher zu bezeichnende Personen (Nachbarn, Ärzte, Behördenmitarbeiter )“ richten könnten, ist diese Annahme nicht näher belegt.
Bender Feilcke
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:
die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.