Bundesgerichtshof Beschluss, 03. Juni 2015 - 4 StR 167/15
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. Die auf die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
I.
- 2
- 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde dem Angeklagten die Wohnung gekündigt, weil er regelmäßig Gegenstände aus dem Fenster geworfen und kochend heißes Wasser auf die Straße gegossen hatte. Er zog in einen Verschlag auf dem Dachboden bei seinen Eltern. Auch hier kam es mehrfach zu Polizeieinsätzen, weil er Müll aus dem Dachfenster auf die Straße warf und mit seinen Eltern in Streit geriet. Die Eltern erteilten ihm Hausverbot.
- 3
- Das Landgericht hat unter II.2. der Urteilsgründe folgende Taten festgestellt :
- 4
- a) Der Angeklagte hielt ihm im Rahmen der Führungsaufsicht auferlegte Gesprächstermine mit seinem Bewährungshelfer sowie einen Termin zur Suchtmittelkontrolle unentschuldigt nicht ein.
- 5
- b) Am 17. Juni 2013 kam es zu einer tätlichen Auseinandersetzung mit dem Vater, nachdem dieser dem Angeklagten den Zugang zur elterlichen Wohnung verweigert hatte, und anschließend zu einer Schlägerei mit seinem Bruder , der dem Vater zu Hilfe geeilt war.
- 6
- c) Am selben Tag verschaffte sich der Angeklagte trotz einer Wohnungsverweisung und eines Rückkehrverbots Zutritt zu dem Verschlag auf dem Dachboden. Gegen 22.25 Uhr begaben sich zwei Polizeibeamte zu dem Verschlag und forderten den Angeklagten auf, das Haus zu verlassen. Der Angeklagte willigte ein, wollte aber zunächst eine Zigarette rauchen. Als der Polizeibeamte G. R. dies ablehnte und nach der Tabaktüte des Angeklagten griff, riss dieser die Fäuste hoch und stürzte sich mit gesenktem Kopf auf den Polizeibeamten, so dass dieser rücklings auf den Flur fiel. Obwohl ihm der zweite Polizeibeamte, S. , zu Hilfe eilte, gelang es beiden zunächst nicht, den wild um sich schlagenden Angeklagten zu überwältigen. Beide Polizeibeamte wurden von Faustschlägen getroffen. Einem Beamten versetzte der Angeklagte zudem einen Kopfstoß. Bei der Fixierung des Angeklagten strengte sich der Beamte G. R. dermaßen an, dass er sich einen Brustwirbel ausrenkte. Mit der Hilfe von zwei weiteren Polizeibeamten wurde der Angeklagte schließlich in den Polizeigewahrsam gebracht.
- 7
- d) Am 25. Juni 2013 drückte der Angeklagte die Eingangstür zur Wohnung des Zeugen St. auf. Er entdeckte eine Plastiktüte mit Münzgeld,die er in einen Rucksack des St. packte, um sie mitzunehmen. Der Angeklagte glaubte nun, er befinde sich in seiner eigenen Wohnung, zog sich aus und duschte. Währenddessen kehrte St. in seine Wohnung zurück. Erforderte den Angeklagten auf, die Wohnung zu verlassen. Der Angeklagte wollte den Rucksack des St. mitnehmen, was dieser durch Festhalten verhinderte. Der Angeklagte verließ daraufhin die Wohnung.
- 8
- 2. Das Landgericht hat – dem Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen Dr. M. folgend – angenommen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten, der seit 2006 an einer schizoaffektiven Psychose (ICD-10 F25) leidet und bei dem eine dissoziale Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.2) sowie Cannabis- und Kokainmissbrauch (ICD-10 F12.1, F14.1) vorliegen, bei der Begehung der Taten aufgrund eines akuten affektpsychotischen Erlebens aufgehoben war. Von der Schuldunfähigkeit war es ebenso überzeugt wie von einer hohen Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Angeklagte zukünftig auch schwerwiegendere Taten aus dem Bereich der Gewaltkriminalität begehen wird.
II.
- 9
- Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Gefährlichkeitsprognose ist nicht tragfähig begründet (1.), dies führt zur Aufhebung des Urteils insgesamt. In den Fällen II.2.a und b der Urteilsgründe werden zudem weder die vom Landgericht angenommene Aufhebung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung dieser Taten noch der notwendige Zusammenhang zwischen der psychischen Erkrankung und der Tatbegehung hinreichend belegt (2.); schon das Vor- liegen einer rechtswidrigen Tat lässt sich anhand der Urteilsgründe jedenfalls im Fall II.2.a nicht nachvollziehen (3.).
- 10
- 1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB ist eine den Betroffenen außerordentlich beschwerende Maßnahme. Nur Störungen des Rechtsfriedens, die zumindest in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinragen, rechtfertigen eine Unterbringung gemäß § 63 StGB (vgl. BVerfGE 70, 297, 312; BGH, Urteil vom 17. August 1977 – 2 StR 300/77, BGHSt 27, 246, 248; BGH, Beschluss vom 21. März 1989, NJW 1989, 2959; st. Rspr.). Auch muss aufgrund einer umfassenden Würdigung von Tat und Täter eine höhere oder doch bestimmte, jedenfalls über die bloße Möglichkeit hinausreichende Wahrscheinlichkeit zu bejahen sein, dass der schuldunfähige Täter infolge seines Zustandes weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2013 – 2 StR 94/13 mwN).
- 11
- Die Strafkammer hat bei ihrer Gefährlichkeitsprognose hinsichtlich der Anlasstaten ausdrücklich nur auf die Tat im Fall II.2.c der Urteilsgründe abgestellt und eine erhöhte Gefahr bejaht, dass es wiederholt zu Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte und damit verbundenen Körperverletzungen wie bei den Beamten G. R. und S. kommen werde. Diese eine Tat reicht aber nicht, die für eine Unterbringung erforderliche Gefährlichkeit des Angeklagten zu belegen. Sie allein lässt nicht ausreichend erkennen, dass eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für Impulsdurchbrüche mit der Folge von Gewalttätigkeiten besteht. Zwar ist der Angeklagte auch bei der Exploration durch die Sachverständige im hiesigen Verfahren, bei einem Termin bei dem Psychiater Dr. D. und bei einer richterlichen Anhörung im Rahmen einer Unterbringung nach dem PsychKG in einen hochgradigen und nicht mehr kontrollierbaren Erregungszustand geraten. Zu Tätlichkeiten ist es in diesen Fällen aber nicht gekommen. Der Angeklagte erleidet auch nicht bei jedem Kontakt mit Polizeibeamten einen krankheitsbedingten gewalttätigen Impulsdurchbruch, wie sein unauffälliges Verhalten gegenüber den Polizisten im Fall II.2.b der Urteilsgründe zeigt. Hinzu kommt, dass er auch schon vor der Manifestation seiner Erkrankung – also nicht krankheitsbedingt – mehrfach wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung in Erscheinung getreten ist. Die Gefahrenprognose für die Unterbringung nach § 63 StGB kann aber nur auf solche zu erwartenden Taten gestützt werden, die gerade auf dem Zustand des Betroffenen beruhen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2012 – 2 StR 614/11).
- 12
- Soweit die Strafkammer auf das sonstige Verhalten des Angeklagten – Werfen von Gegenständen und Gießen von kochend heißem Wasser aus dem Fenster – abstellt, kann dies prinzipiell eine Gefährlichkeit gegenüber der Allgemeinheit begründen. Die Strafkammer hat aber diese Vorfälle nicht, was erforderlich gewesen wäre, im Einzelnen konkret dargelegt.
- 13
- Des Weiteren stellt die Strafkammer bei der Gefährlichkeitsprognose auf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchtende Raubdelikte zur Finanzierung des Betäubungsmittelkonsums des Angeklagten ab. Sollte sich in einer solchen Situation ein von ihm nicht mehr zu kontrollierender Affektsturm ergeben, sei mit der Anwendung unkontrollierter Gewalt mit hoher Gefahr für Leib und Leben der Opfer zu rechnen. Auch dies ist nicht mit Tatsachen belegt. Insoweit lässt das Urteil insbesondere eine Auseinandersetzung mit Tatbesonderheiten vermissen , die darin bestehen, dass der Angeklagte beim Diebstahlsversuch im Fall II.2.d der Urteilsgründe, als St. den Rucksack festhielt, die Wohnung widerstandslos ohne Beute verließ. Somit fehlt auch insoweit die notwendige umfassende Erörterung der krankheitsbedingten Gefährlichkeit unter Einschluss des bisherigen Lebens des Angeklagten.
- 14
- 2. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht.
- 15
- Für seine Annahme, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei im gesamten Tatzeitraum aufgehoben gewesen, beruft sich das Landgericht auf das Gutachten der Sachverständigen. Näher ausgeführt wird jedoch nur, wie die Gutachterin nunmehr sicher zu ihrer Diagnose einer schizoaffektiven Psychose gelangt ist, ohne im Einzelnen näher darzulegen, wie sich diese bei den einzelnen Taten bemerkbar gemacht hat. Während ein affektiver Impulsdurchbruch im Fall II.2.c der Urteilsgründe und damit die Ursächlichkeit der psychischen Erkrankung für die Widerstandshandlungen und die Körperverletzungen nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe belegt ist, lässt sich ein solcher Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der Tatbegehung bei den übrigen Taten dem Urteil nicht entnehmen. Inwieweit der Angeklagte aufgrund der Erkrankung nicht fähig war, Gespräche mit seinem Bewährungshelfer wahrzunehmen , ist für keinen der versäumten Termine im Fall II.2.a dargetan. Im Fall II.2.b der Urteilsgründe ist es zu Tätlichkeiten gekommen, die ausweislich der mitgeteilten Vorstrafen des Angeklagten bereits vor Manifestation der Erkrankung diesem nicht wesensfremd waren. Seit 1998 ist der Angeklagte mehrfach wegen Körperverletzung bzw. gefährlicher Körperverletzung verurteilt wor- den, 1999 hatte der Angeklagte bei einer Auseinandersetzung seinen Bruder lebensgefährlich verletzt. Auch wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung ist der Angeklagte bereits 2003 mehrfach in Erscheinung getreten. Die Erkrankung besteht aber erst seit 2006. Im Fall II.2.d war der Angeklagte in die fremde Wohnung eingedrungen und hatte das Münzgeld zum Abtransport bereit gelegt, bevor er sich dort als „Eigen- tümer“ zu fühlen und zu duschen begann. In den Fällen II.2.a, b und d ist deshalb fraglich, ob und in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Taten auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307). Allein die sichere Diagnose einer psychiatrischen Erkrankung besagt nichts über die Schuldfähigkeit bei der Tat.
- 16
- 3. Dem Angeklagten war durch Beschluss des Landgerichts Essen die Anweisung erteilt worden, jeden ersten Montag des Monats um 15.00 Uhr bei seinem Bewährungshelfer vorzusprechen. Angelastet wird ihm von der Strafkammer u.a., Gesprächstermine am 8. Oktober 2012 (2. Montag des Monats), 23. Oktober 2012 (Dienstag im selben Monat), 6. November 2012 (Dienstag) und 14. November 2012 (Mittwoch desselben Monats) schuldhaft versäumt zu haben. Inwieweit die Gesprächstermine wirksam verlegt worden sind, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, auch nicht, inwieweit der Bewährungshelfer – strafbewehrt – Terminezur Suchtmittelkontrolle vorgeben konnte. Zum Inhalt des entsprechenden Beschlusses des Landgerichts Essen vom 7. Mai 2012 ist nichts Näheres mitgeteilt. Darüber hinaus vermögen reine Formalverstöße gegen eine Weisung die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht zu begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Mai 2008 – 1 StR 243/08, NStZ-RR 2008, 277).
- 17
- 4. Die Sache bedarf deshalb insgesamt der neuen Verhandlung und Entscheidung. Der Senat sieht Anlass zu folgendem Hinweis:
- 18
- Durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl. I S. 1327) wurde der frühere Rechtszustand dahin geändert, dass es gemäß § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO nunmehr möglich ist, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen, wenn sich herausstellt , dass der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war. Das Gericht bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung einer isoliert angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuordnen und zugleich erstmals Strafe zu verhängen (vgl. BT-Drucks. 16/1344, S. 17 f.; BGH, Beschlüsse vom 27. Oktober 2009 – 3 StR 369/09, juris Rn. 9; vom 14. September 2010 – 5 StR 229/10, StraFo 2011, 55).
Mutzbauer Quentin
ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 03. Juni 2015 - 4 StR 167/15
Urteilsbesprechung schreiben0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 03. Juni 2015 - 4 StR 167/15
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile
Urteil einreichenBundesgerichtshof Beschluss, 03. Juni 2015 - 4 StR 167/15 zitiert oder wird zitiert von 15 Urteil(en).
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.
- 2
- 1. Nach den zur Anlasstat getroffenen Feststellungen traf der Angeklagte am Abend des 30. Mai 2011 die ihm flüchtig bekannte Zeugin T. und den Zeugen F. . Nachdem sie sich zu dritt zunächst unterhalten hatten, fasste der Angeklagte an die Brust der Zeugin T. , was diese zurückwies. Auf die Aufforderung des Zeugen F. , die Örtlichkeit zu verlassen, wurde der Angeklagte aggressiv und bedrohte den Zeugen damit, ihn fertig zu machen. Zunächst ohne weitere Auseinandersetzung entfernte sich der Angeklagte, der eine Blutalkoholkonzentration von 1,63 Promille hatte, und holte aus seiner nahe gelegenen Wohnung eine Schreckschusspistole. Damit kehrte er zum Geschehensort zurück, an dem sich die Zeugin T. und der Zeuge F. weiterhin aufhielten, und schoss aus einer Entfernung von einem Meter zweimal gezielt dem Zeugen F. ins Gesicht. Der Zeuge F. erlitt an der Wange eine Schürfwunde und hatte einige Tage Schmerzen im Gesicht.
- 3
- Die sachverständig beratene Strafkammer ist davon ausgegangen, der Angeklagte sei bei Tatbegehung vermindert schuldfähig gewesen (§ 21 StGB). Bei ihm sei nach der Anlasstat eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert worden. Diese Erkrankung habe, ohne dass Hinweise für eine akut psychotische Symptomatik zur Tatzeit vorlägen, die Handlungskompetenzen des Angeklagten mit hoher Wahrscheinlichkeit derart beeinträchtigt, dass die Voraussetzungen für eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit gegeben seien.
- 4
- 2. Der Maßregelausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Voraussetzungen für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus werden nicht hinreichend belegt.
- 5
- a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht , dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischenDefekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht (st. Rspr.; vgl. jeweils mwN BGH, Beschlüsse vom 11. März 2009 – 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198, und vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141). Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschlüsse vom 11. März 2009 – 2 StR 42/09, Rn. 10, NStZ-RR 2009, 198, und vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202). Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat (en) zu entwickeln (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 1999 – 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27; Beschluss vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12, aaO).
- 6
- b) Das landgerichtliche Urteil enthält schon zum Zustand des Angeklagten keine ausreichenden Feststellungen. Soweit das Landgericht im Anschluss an den Sachverständigen davon ausgeht, dass der Angeklagte an einer paranoiden Schizophrenie leide, werden die diese Bewertung tragenden Anknüpfungs - und Befundtatsachen nicht in ausreichendem Umfang wiedergegeben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12, vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307, und vom 14. September 2010 – 5 StR 229/10). Die Urteilsgründe beschränken sich insoweit im Wesentlichen auf eine Mitteilung der Diagnose. Zu einem symptomatischen Zusammenhang zwischen der psychischen Störung des Angeklagten und der Anlasstat lassen sich den Entscheidungsgründen keine näheren Ausführungen entnehmen.
- 7
- c) Auch die Gefährlichkeitsprognose begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Eine die Biographie des Angeklagten und seine Krankheitsge- schichte in den Blick nehmende Gesamtwürdigung wurde nicht erkennbar vorgenommen. Dabei hätte Berücksichtigung finden müssen, dass der 34 Jahre alte Angeklagte einschlägig offenbar nur einmal im Jahr 2006 strafrechtlich in Erscheinung trat und bei dieser vom Landgericht nicht weiter beschriebenen Vorverurteilung nur zu einer geringfügigen Geldstrafe verurteilt werden musste. Der länger währenden Straffreiheit des Angeklagten käme jedenfalls dann eine prognosegünstige Bedeutung zu, wenn bei ihm in diesen Zeiträumen bereits die diagnostizierte psychische Störung vorlag (vgl. BGH, Urteil vom 28. August 2012 – 5 StR 295/12, NStZ-RR 2012, 366, 367; Beschluss vom 11. März 2009 – 2StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198, 199). Ob dies der Fall gewesen ist, kann den Urteilsgründen ebenso wenig entnommen werden wie der weitere Verlauf der angenommenen schizophrenen Erkrankung nach der Anlasstat vom Mai 2011. Hierauf näher einzugehen wäre das Landgericht auch deshalb gehalten gewesen, weil im Rahmen der Darstellung des Sachverständigengutachtens von "aktuell positiv wirksamen therapeutischen Maßnahmen" die Rede ist (UA S. 13). Im Übrigen erschöpfen sich die Ausführungen des Landgerichts zur Gefährlichkeitsprognose in einem Zitat der Darlegungen des Sachverständigen, der seinerseits überwiegend statistische Prognoseelemente für seine Beurteilung herangezogen hat.
- 8
- d) Die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus muss daher – wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) – aufgrund neu zu treffender Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) nochmals geprüft und entschieden werden.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Sachbeschädigung und des Diebstahls wegen Schuldunfähigkeit bei der Tatbegehung (§ 20 StGB) freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB). Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Maßregelausspruch.
- 2
- 1. Bei dem jetzt 31 Jahre alten Angeklagten, der von 1995 bis 2004 vielfach u.a. wegen Körperverletzungsdelikten und räuberischer Erpressung verurteilt wurde, besteht eine dissoziale Persönlichkeitsstörung. Daneben leidet er an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie, derentwegen er seit 2008 mehrfach in psychiatrischen Krankenhäusern behandelt wurde. Nach den zu der Anlasstat getroffenen Feststellungen durchschlug der Angeklagte am Tattag in den frühen Morgenstunden alkoholisiert die Glasscheibe der Eingangstür eines Mehrfamilienhauses. Im weiteren Verlauf öffnete er die beschädigte Tür, wobei er sich Schnittverletzungen zuzog, und begab sich ins Treppenhaus. An einer Wohnungstür entdeckte der Angeklagte einen von außen im Türschloss stecken gelassenen Wohnungsschlüssel und nahm ihn an sich. Nachdem die Wohnungsinhaberin wenig später ihre Wohnung verlassen hatte, drang der Angeklagte mit dem zuvor entwendeten Schlüssel in die Wohnung ein. Dort entwendete er diverse Gegenstände, die er am nächsten Tag ins Haus zurückbrachte und in einem Kellerraum abstellte, wo sie sichergestellt werden konnten. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass sich der Angeklagte infolge seiner schizophrenen Erkrankung zur Tatzeit im Zustand der Schuldunfähigkeit befand.
- 3
- 2. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Zwar begegnet die Annahme der Schuldunfähigkeit rechtlich keinen Bedenken. Der Maßregelausspruch kann gleichwohl nicht bestehen bleiben, weil die Strafkammer die für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vorausgesetzte Gefährlichkeitsprognose nicht ausreichend begründet hat.
- 4
- Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Deshalb darf sie nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, dass der Täter infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde. § 63 StGB setzt hierfür voraus, dass die Gefährlichkeit des Täters aus demjenigen Zustand folgt, der die Einschränkung seiner Schuldfähigkeit bei der Anlasstat begründet. Insoweit muss es sich um dieselbe Defektquelle handeln. Nötig ist mithin ein symptomatischer Zusammenhang dergestalt, dass die Tatbegehung durch die (nicht nur vorübergehende) psychische Störung zumindest mitausgelöst worden ist und dass auch die für die Zukunft zu erwartenden Taten sich als Folgewirkung dieses Zustandes darstellen (st. Rspr., vgl. BGHSt 34, 22, 27; BGH NStZ 1991, 528; NJW 1998, 2986, 2987; Fischer, StGB 59. Aufl. § 63 Rn. 14 mwN).
- 5
- Inwieweit vom Angeklagten erhebliche Taten zu erwarten sind als Folge derselben psychischen Störung, auf welche die Anlasstat zurückzuführen ist, lässt sich den Ausführungen des Landgerichts nicht klar entnehmen. Nach den Urteilsgründen ist das Landgericht, dem Sachverständigen folgend, davon ausgegangen , dass die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund einer akuten Phase seiner schizophrenen Erkrankung bei Tatbegehung aufgehoben war (UA S. 8, 12, 13). Demgegenüber stellt das Landgericht für die Gefährlichkeitsprognose ausschlaggebend auch auf die dissoziale Persönlichkeitsstörung des Angeklagten ab (UA S. 15, 16). Aufgrund dieser Störung habe er bereits vor seiner Erkrankung an einer Schizophrenie, die bei ihm das Delinquenzrisiko steigere, über eine hohe kriminelle Energie verfügt und zahlreiche Straftaten verübt. Bei seiner prognostischen Beurteilung der Gefährlichkeit des Angeklagten hat das Landgericht weiter berücksichtigt, dass im Rahmen einer psychiatrischen Behandlung der Schizophrenie zwar eine Remission dieser Erkrankung zu erwarten sei, die dissoziale Persönlichkeitsstörung jedoch bis auf weiteres bestehen bleiben werde, sodass für die Zukunft allein schon aufgrund dieser Persönlichkeitsanteile des Angeklagten weitere erhebliche strafrechtlich relevante Verhaltensweisen als sehr wahrscheinlich anzusehen seien. Mit dieser Begründung seiner Gefährlichkeitsprognose stützt sich das Landgericht maßgeblich auf die dissoziale Persönlichkeitsstörung des Angeklagten, die in der Anlasstat nach den Feststellungen indes keinen Ausdruck gefunden hat.
- 6
- Soweit das Landgericht im Hinblick auf die schizophrene Erkrankung des Angeklagten als Beleg für die hierdurch bedingte Gefährlichkeit auf in den vergangenen Jahren wiederkehrende psychotische Dekompensationen verweist, die mit aggressivem straftatrelevanten Verhalten einhergegangen seien, entbehren die Ausführungen einer hinreichenden Konkretisierung. In den Urteilsgründen finden sich hierzu Hinweise lediglich für die Zeit der Unterbringung des Angeklagten in der psychiatrischen Klinik ab April 2011 (UA S. 11). Insofern können krankheitstypische Taten, die im Rahmen einer Unterbringung gegen Angehörige des Pflegepersonals begangen werden, allerdings ohnehin nur eingeschränkt Anlass für die Anordnung einer strafrechtlichen Unterbringung nach § 63 StGB sein (BGH NStZ 1998, 405; 1999, 611, 612; NStZ-RR 2011, 202, 203).
- 7
- 3. Die Anordnung der Unterbringung kann danach keinen Bestand haben. Der aufgezeigte Rechtsfehler berührt die fehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen jedoch nicht, sodass sie bestehen bleiben können (§ 353 Abs. 2 StPO).
Ernemann Fischer Berger Krehl Eschelbach
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung in sieben Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, sowie des versuchten Diebstahls freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
- 2
- 1. Nach Überzeugung der sachverständig beratenen Strafkammer befand sich der Angeklagte aufgrund einer chronifizierten und zur Tatzeit akuten schizophrenen Psychose bei Begehung der Körperverletzungsdelikte und des in zwei Fällen tateinheitlich begangenen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in einem Zustand, in dem sowohl seine Einsichts- als auch seine Steue- rungsfähigkeit auf motivationaler Ebene vollständig aufgehoben waren (§ 20 StGB), während er sich bei Begehung des versuchten Diebstahls in einem Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit befand, wobei eine völlige Aufhebung nicht ausgeschlossen werden konnte. Infolge seines Zustandes und des dadurch bedingten Wahnerlebens seien auch in Zukunft erhebliche Straftaten , auch im Bereich von Gewalttaten, zu erwarten. Eine psychiatrische Behandlung des Angeklagten könne nur unter den geschützten Bedingungen des Maßregelvollzuges erfolgen.
- 3
- 2. Die Voraussetzungen des § 63 StGB werden durch die Urteilsfeststellungen nicht hinreichend belegt.
- 4
- Das Landgericht hat bereits nicht hinreichend dargelegt, dass der Angeklagte bei Begehung der Anlasstaten sicher schuldunfähig bzw. erheblich vermindert schuldfähig war. Dabei ist noch nicht ausschlaggebend, dass die Strafkammer bei Begehung der Körperverletzungsdelikte und des tateinheitlich begangenen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte einen Ausschluss der Einsichts- und der Steuerungsfähigkeit angenommen hat (BGHR StGB § 63 Schuldfähigkeit 1; Fischer StGB 59. Aufl. § 21 Rn. 5; vgl. aber auch BGH NStZRR 2006, 167, 168). Es fehlt jedenfalls an einer tatsächlichen Grundlage für die Annahme eines jeweils akuten Schubs der Erkrankung und insbesondere auch eines spezifischen Zusammenhangs zwischen der Erkrankung und den einzelnen Taten.
- 5
- Allein die Diagnose einer schizophrenen Psychose führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten Beeinträchtigung bzw. Aufhebung der Schuldfähigkeit (vgl. BGH, NStZ-RR 2008, 39). Erforderlich ist vielmehr stets die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Taten auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH, StraFo 2004, 390 mwN). Die Strafkammer schließt sich insoweit der Beurteilung des Sachverständigen an, ohne dessen dafür wesentlichen Anknüpfungs - und Befundtatsachen im Urteil so wiederzugeben, wie es zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2010 - 5 StR 123/10 mwN). Soweit der Sachverständige und ihm folgend die Kammer darauf abgestellt haben, der Angeklagte habe aufgrund eines zum jeweiligen Tatzeitpunkt bestehenden "Wahnerlebens" (UA S. 18) bzw. er habe auf eine "subjektiv empfundene, gegebenenfalls auch wahnhaft wahrgenommene, Provokation hin" sein Verhalten nicht mehr "steuern" können, bzw. projiziere seine eigenen Aggressionen "in (vermeintlich) feindselige Handlungsformen anderer Personen" (UA S. 19), wird dies in den Urteilsgründen nicht belegt. Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergeben sich insoweit keine hinreichenden Anhaltpunkte. Die festgestellten Taten des Angeklagten richteten sich gegen seine vormalige Freundin, die ihm eine gewünschte Aussprache verweigerte, gegen einen Passanten , der ihr beistehen wollte, gegen zwei Schüler, die zuvor Steinchen gegen das Auto des Angeklagten geworfen bzw. ihm Zigarettenrauch ins Gesicht geblasen hatten, sowie gegen zwei Polizeibeamte, die in zwei Fällen hinzu kamen und den Angeklagten festnehmen wollten. Lediglich im Fall des versuchten Diebstahls lassen die Feststellungen erkennen, dass der Angeklagte offenkundig davon ausging, dass er ein Fahrzeug, das nicht erkennbar gebraucht werde, mitnehmen dürfe; auch dies weist entgegen der Annahme der Kammer aber nicht auf eine Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit hin.
- 6
- 3. Die Sache bedarf daher insgesamt der neuen Verhandlung und Entscheidung. Der Senat war durch den Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, auch den Freispruch aufzuheben (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. BGH StraFo 2011, 55 mwN).
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- 1. Das Landgericht hat den 1941 geborenen Angeklagten vom Vorwurf des Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht (§ 145a StGB) in zwei Fällen wegen krankheitsbedingt fehlender Einsichtsfähigkeit freigesprochen , jedoch seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg.
- 2
- 2. Nach den Feststellungen verurteilte das Landgericht München I den im Übrigen unbestraften Angeklagten im Jahr 2001 wegen zweier Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer vierjährigen Gesamtfreiheitsstrafe. Dem lag zugrunde, dass der Angeklagte am 4. und 31. Mai 2000 im Rahmen des von ihm ausgeübten Fahrdienstes mit dem Finger für dieses schmerzhaft in die Scheide eines siebenjährigen , körperlich behinderten und retardierten Mädchens eingedrungen war und es bei der zweiten Tat zudem erfolglos aufgefordert hatte, den Oralverkehr auszuüben.
- 3
- Nach vollständiger Verbüßung der Strafe trat die unbefristete Führungsaufsicht ein. Durch Beschluss der zuständigen Strafvollstreckungskammer wurde der Angeklagte u.a. angewiesen, „Kontakte mit minderjährigen Kindern zu unterlassen … sowie Orte, an denen sich erfahrungsgemäß Kinder aufhalten (z.B. Spiel- und Sportplätze, Schwimmbäder, Schul- und Kindergartenbereiche) zu meiden“. Dieser ihm unter Hinweis auf die Strafbarkeit eines Verstoßes bekannt gegebenen Weisung zuwider begab sich der Angeklagte am 28. und 30. Juli 2006 jeweils zu einem Spielplatz. Dort bot er im ersten Fall einem siebenjährigen Mädchen einen Kaugummi an, im zweiten Fall sprach er einen siebenjährigen Jungen mit „Hallo“ an. Beide Kinder liefen daraufhin sofort ängstlich davon. Sie waren von ihren Eltern angewiesen worden, dem Angeklagten, dessen Vorstrafe im Wohnviertel bekannt war, aus dem Weg zu gehen.
- 4
- Der Angeklagte leidet - „sehr wahrscheinlich … seit der Straftat im Jahre 2000“ - an einer Demenz bei Morbus Pick (ICD 10 F 02.0). Die beim Angeklagten bereits chronifizierte, nicht heilbare Krankheit führt über die Beeinträchtigung emotionaler Impulse und des Sozialverhaltens, Persönlichkeitsveränderungen , Sprach- und Gedächtnisstörungen und das Vollbild der Demenz mit Muskelversteifung, Pflegebedürftigkeit und Inkontinenz schließlich nach durchschnittlich sechs bis acht Jahren zum Tod. Infolge der Erkrankung ist die Fähigkeit , das Unrecht verbotenen Tuns einzusehen, vergleichbar derjenigen bei Kleinkindern. Daher konnte der Angeklagte sein Verhalten gegenüber den Kindern nicht als untersagte Kontaktaufnahmen erkennen.
- 5
- Als Reaktion auf die beiden Taten wurde der Angeklagte im August 2006 nach dem bayerischen Unterbringungsgesetz in das I. -Klinikum eingewiesen. Dort befindet er sich aufgrund des (nicht rechtskräftigen) Beschlusses des Amtsgerichts München - Vormundschaftsgericht - längstens bis 13. Dezember 2009. In der Klinik hat der Angeklagte wenigstens fünfmal versucht , ebenfalls erkrankte Patientinnen zu küssen, am Nacken und an den Beinen zu streicheln sowie mit ihnen Händchen zu halten. Seit 18. Dezember 2006 steht er unter Betreuung u.a. für den Bereich der Gesundheitsfürsorge. Seit Ende 2007 nimmt der Angeklagte - ohne insoweit einsichtig zu sein - das sexualdämpfende Medikament „Androcur“, das auch als Depot verabreicht werden kann.
- 6
- 3. Danach hat das Landgericht die Demenz bei Morbus Pick zutreffend als krankhafte seelische Störung (§ 20 StGB) angesehen und den Angeklagten von den strafrechtlichen Vorwürfen freigesprochen. Dagegen ermöglichen die zum Tatgeschehen getroffenen Feststellungen keine abschließende Überprüfung der im Rahmen des § 63 StGB vorgenommenen Gefährlichkeitsprognose.
- 7
- a) Zwar hat der Angeklagte durch sein Verhalten gegen Weisungen i.S.d. § 145a StGB verstoßen. Nicht jede derartige Zuwiderhandlung vermag aber die Annahme zukünftiger Gefährlichkeit zu begründen, welche für die außerordentlich beschwerende Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus Voraussetzung ist. Auch mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) wird etwa die Nichterfüllung der Weisung, sich zu bestimmten Zeiten bei der Aufsichtsstelle oder einem Bewährungshelfer zu melden (§ 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StGB), grundsätzlich nicht geeignet sein, eine zukünftige Gefährlichkeit für die Allgemeinheit zu prognostizieren.
- 8
- b) Ob es sich bei den vom Angeklagten gezeigten Verhaltensweisen um solche lediglich formalen Gehorsamsverstöße gehandelt hat, lässt sich anhand der knappen Darstellung in den Urteilsgründen nicht abschließend beurteilen. Insbesondere bleibt offen, mit welcher Motivation der Angeklagte sich an die beiden Kinder gewandt hat. Zwar mag unter Berücksichtigung der Vorstrafe und dem in der Klinik gegenüber Mitpatientinnen gezeigten Verhalten die Annahme nicht fern liegen, dass er zu ihnen in näheren, möglicherweise sexuellen Kontakt kommen wollte. Das Landgericht hat aber eine derartige - sich auch nicht von selbst verstehende - sexuelle Intention nicht festgestellt. Diese lässt sich auch dem Urteil insgesamt nicht zweifelsfrei entnehmen. Deshalb bedarf die Sache neuer Verhandlung.
- 9
- 4. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen werden durch den Rechtsfehler nicht berührt und können daher bestehen bleiben. Ergänzende, hierzu nicht in Widerspruch stehende Feststellungen sind zulässig.
- 10
- 5. Das neue Tatgericht wird Gelegenheit haben, bei seiner Gefährlichkeitsprognose - und ggf. bei der Frage, ob die Vollstreckung einer erneut angeordneten Unterbringung des Angeklagten im psychiatrischen Krankenhaus zur Bewährung ausgesetzt werden kann - insbesondere zu berücksichtigen, welchen Verlauf die Erkrankung des bald 67 Jahre alten Angeklagten genommen hat, ob und für voraussichtlich welchen Zeitraum dieser weiterhin auf landesgesetzlicher Grundlage untergebracht ist (vgl. BGH NStZ 2007, 465), ob und in welcher Ausgestaltung das Betreuungsverhältnis fortbesteht sowie ob und mit welcher Wirkung die sexualdämpfende Medikation fortgesetzt wird.
(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung und des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
- 2
- 1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
- 3
- a) Bei dem zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 53 Jahre alten, nicht vorbestraften Angeklagten besteht seit vielen Jahren ein wahnhaftes paranoides Zustandsbild, das durch Wahninhalte im Sinne eines Verfolgungsund Bedrohungserlebens geprägt ist. Infolge seiner wahnhaften Erkrankung fühlte er sich zunehmend von Anderen verfolgt. Unter anderem trug er öfter ein Küchenmesser bei sich, wenn er seine Wohnung verließ, um sich gegen vermeintliche Angreifer verteidigen zu können.
- 4
- Der Angeklagte lebte mit seiner Lebensgefährtin, der 72-jährigen Zeugin K. , in einem Mehrfamilienhaus in Berlin. Am Abend des 28. Juni 2008 bemerkten Gäste der später geschädigten 20-jährigen Zeugin M. , einer Mitbewohnerin des Mehrfamilienhauses, dass aus der gemeinsamen Wohnung des Angeklagten und seiner Lebensgefährtin große Mengen Wasser flossen. Die jungen Leute gelangten zu der Vermutung, dass „die alte Frau Hilfe brauche“; den Angeklagten hatten sie bislang nicht als Mitmieter wahrgenommen. Sie begaben sich zu der verschlossenen Tür des Laubenganges, der zu der Wohnung führt, riefen und klingelten. Tatsächlich benötigte die Lebensgefährtin des Angeklagten keine Hilfe. Vielmehr hatte sie sich darüber geärgert, dass es in dem Hausflur vermeintlich nach Urin rieche und hatte mehrere Eimer Wasser in das Treppenhaus gegossen. Da keine Reaktion der Zeugin K. erfolgte, wurden die Zeugen in ihrer Annahme bestärkt, dass ein Unglücksfall vorliege. Sie traten daraufhin die Tür des Laubengangs ein und begaben sich zur Wohnungstür, die offen stand. Nach nochmaligem Klingeln und Rufen betraten die jungen Leute, voran der Zeuge W. , die Wohnung. Plötzlich stand der Angeklagte vor ihm, der die Situation verkannte und die vor der Wohnungstür stehenden Zeugen für Angreifer hielt. Der Angeklagte ergriff sein im Flur bereit liegendes Küchenmesser und stach damit mehrmals in Richtung des Zeugen W. , der reflexartig nach hinten auswich. Dadurch geriet die unmittelbar hinter ihm stehende Zeugin M. ins Straucheln und fiel zu Boden. Der Angeklagte stach viermal von oben auf sie ein und fügte ihr Stichverletzungen am linken Oberschenkel und linken Oberarm sowie an der linken Schulter zu.
- 5
- Danach rannte er hinter den übrigen flüchtenden Zeugen in das Treppenhaus , wo er auf die bislang unbeteiligte Zeugin T. traf, die gerade das Haus verlassen wollte. Der Angeklagte erblickte die Zeugin, als sie angesichts der rasch an ihr vorbei laufenden jungen Leute verängstigt an die Wand des Treppenhauses gedrückt stand. Mit dem Messer stach er mindestens zweimal auf die Zeugin T. ein, die er zur Gruppe der vermeintlichen Angreifer zählte. Er traf sie im Bereich des Brustkorbes und des Bauches; sie erlitt eine erhebliche Nierenverletzung. Als zwei Polizeibeamte den Angeklagten kurz nach der Tat in seiner Wohnung festnehmen wollten, hielt er auch die beiden Beamten für Angreifer und widersetzte sich seiner Festnahme , indem er um sich schlug und trat.
- 6
- b) Nach Überzeugung der sachverständig beratenen Strafkammer befand sich der Angeklagte aufgrund seiner paranoiden Erkrankung bei diesen Taten in einem Zustand, in dem bei ihm „sowohl die Einsichts- wie auch die Steuerungsfähigkeit“ aufgehoben war. Infolge seines Zustandes seien weitere erhebliche rechtswidrige Taten „wie die verfahrensgegenständlichen“ zu erwarten. Eine psychiatrische Behandlung des Angeklagten könne nur unter den geschützten Bedingungen des Krankenhauses des Maßregelvollzuges erfolgen.
- 7
- 2. Die Voraussetzungen des § 63 StGB werden durch die Urteilsfeststellungen nicht hinreichend belegt. Die Anordnung nach § 63 StGB setzt insbesondere die positive Feststellung eines länger dauernden, nicht nur vorübergehenden Zustandes voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB sicher begründet (st. Rspr.; vgl. BGHSt 34, 22, 27). Sie bedarf einer besonders sorgfältigen Begründung, weil sie eine schwerwiegende und gegebenenfalls langfristig in das Leben des Betroffenen eingreifende Maßnahme darstellt. Den danach zu stellenden Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht.
- 8
- a) Das Landgericht hat bereits nicht hinreichend dargelegt, dass der Angeklagte bei Begehung der Anlasstat schuldunfähig war. Dabei ist noch nicht ausschlaggebend, dass die Strafkammer in rechtsfehlerhafter Weise einen Ausschluss sowohl der Einsichts- als auch der Steuerungsfähigkeit annimmt (vgl. Fischer, StGB 57. Aufl. § 21 Rdn. 5). Die Strafkammer schließt sich bei der Beurteilung der Frage der Schuldfähigkeit dem Sachverständigen an, ohne dessen wesentliche Anknüpfungs- und Befundtatsachen im Urteil so wiederzugeben, wie es zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2010 – 5 StR 123/10 m.w.N.). Aus der Schilderung der Biografie des Angeklagten wird nicht nachvollziehbar, dass er „seit vielen Jahren“ an einem wahnhaft paranoiden Zustandsbild leidet. Der Angeklagte hat ein Philosophiestudium abgeschlossen und in der DDR als Fachbibliothekar, später als Büroangestellter gearbeitet und absolvierte erfolgreich eine Fortbildung im Bereich der Buchführung und des Rechnungswesens. Seine beruflichen Tätigkeiten beendete er 2001, da er sich überqualifiziert fühlte. In dem Mehrfamilienhaus wohnte er mit seiner Lebensgefährtin „seit vielen Jahren“, ohne dass er von einigen der ebenfalls dort wohnenden Zeugen überhaupt als Mitmieter wahrgenommen worden war. Die Feststellungen zur Biografie des Angeklagten ergeben keine Hinweise auf etwaige frühere Manifestationen seiner psychischen Erkrankung oder krankheitsbedingte Verhaltensauffälligkeiten ; zu der bisherigen Entwicklung der angenommenen psychischen Erkrankung des Angeklagten verhält sich das Urteil nicht.
- 9
- Dem Zusammenhang der Feststellungen ist zu entnehmen, dass sich der Angeklagte nach der Tat über ein Jahr lang auf freiem Fuß befand, bevor er durch das Amtsgericht Lichtenberg in Berlin am 25. August 2009 gemäß § 8 PsychKG i.V.m. § 70 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 70h FGG untergebracht wurde. Zum Grund seiner Unterbringung trifft das Urteil keine Feststellungen. Es wird lediglich mitgeteilt, dass der Sachverständige im vorliegenden Verfahren den Angeklagten im Mai 2009 in dessen Wohnung untersucht hat, da dieser seine Wohnung aus Angst nicht verlassen wollte. Dabei hat der Sachverständige in der Wohnung „besondere Vorrichtungen“ bemerkt, die der Angeklagte aufgrund seiner Wahnvorstellungen zum Schutz vor Lausch- und Spähangriffen installiert hatte (Laufenlassen eines Zimmerspringbrunnens; Bekleben der Zimmerdecke mit Klebezetteln). Als Beleg dafür, dass sich der Angeklagte bei Begehung der Anlasstat in einem die Schuldfähigkeit ausschließenden Zustand befand, reicht dies indes nicht aus. http://www.juris.de/jportal/portal/t/3vd1/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR006290950BJNE047603301&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/3vd1/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR001270871BJNE008702307&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 6 -
- 10
- b) Darüber hinaus begegnet auch die Gefährlichkeitsprognose rechtlichen Bedenken. Angesichts des erheblichen Eingriffs, der mit der Unterbringung nach § 63 StGB verbunden ist, hat das Landgericht seine Überzeugung von der zukünftigen Gefährlichkeit des Beschuldigten nicht hinreichend begründet. Insoweit hat es lediglich ausgeführt, die Gesamtwürdigung des Angeklagten und seiner Taten ergebe, dass von ihm infolge seines Zustandes weitere erhebliche rechtswidrige Taten „wie die verfahrensgegenständlichen“ zu erwarten seien. Dabei werden die maßgeblichen Darlegungen des Sachverständigen nicht mitgeteilt. Nicht bedacht wird auch, dass es zu der Tat durch eine Verkettung von Umständen gekommen ist, die der Angeklagte nicht zu vertreten hatte und die nicht nur ihn, sondern auch seine Lebensgefährtin zu der irrigen Annahme veranlassten, die jungen Leute wollten sie beide angreifen (UA S. 6).
- 11
- 3. Die Sache bedarf insgesamt der neuen Verhandlung und Entscheidung. Der Senat war durch den Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, auch den Freispruch aufzuheben; denn nach § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO ist es möglich, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen. Dies bedeutet, dass auf die Revision des Angeklagten in Fällen wie dem vorliegenden ein Freispruch aufgehoben werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2009 – 3 StR 369/09; Kuckein in KK 6. Aufl. § 358 Rdn. 24a). Die Aufhebung (auch) des Freispruchs entspricht im vorliegenden Fall dem Ziel des Gesetzgebers, durch die Neuregelung zu vermeiden, dass nach einer erfolgreichen Revision eines Angeklagten gegen die alleinige Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen angenommener Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB die Tat ohne strafrechtliche Sanktion bleibt, wenn sich in der neuen Hauptverhandlung herausstellt, dass der An- http://www.juris.de/jportal/portal/t/3vd1/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=DRS-BT-16_1344&doc.part=D&doc.price=0.0#focuspoint - 7 - geklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war. Das Gericht bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung einer isoliert angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuordnen und zugleich erstmals Strafe zu verhängen (vgl. BT-Drucks 16/1344 S. 17 f.).
Schneider Bellay