Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Feb. 2016 - 4 StR 493/15
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 4. Februar 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, zu der Jugendstrafe von einem Jahr verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die mit Verfahrensbeschwerden und der Sachrüge begründete Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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- 1. Zum Schuldspruch hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Hinsichtlich der Rüge der Verletzung des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG ist ergänzend zum Verwerfungsantrag des Generalbundesanwalts anzumerken:
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- Bedenken bestehen bereits gegen die Zulässigkeit der Verfahrensrüge, weil sich die Revision nicht dazu verhält, welche zusätzlichen Ausführungen bei Schlussvorträgen in nicht öffentlicher Sitzung gemacht worden wären (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Dezember 2015 – 4 StR 401/15; vom 23. Juni 1998 – 5 StR 261/98, NStZ 1998, 586; Urteile vom 10. Oktober 1978 – 4 StR 445/78, bei Holtz, MDR 1979, 109; vom 17. Januar 1979 – 3 StR 450/78, bei Holtz, MDR 1979, 458). Die Rüge ist aber jedenfalls unbegründet, weil auszuschließen ist, dass die Entscheidung auf der ungesetzlichen Erweiterung der Öffentlichkeit beruht. Es ist vor dem Hintergrund, dass der Ausschluss der Öffentlichkeit bei der Vernehmung des Zeugen auf Antrag des Zeugen ausschließlich zu dessen Schutz angeordnet wurde, weder ersichtlich noch vorgetragen, dass die Schlussvorträge weitere den Angeklagten entlastende Gesichtspunkte erbracht hätten, wenn in nicht öffentlicher Sitzung plädiert worden wäre.
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- 2. Dagegen hat der Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand, da eine tatrichterliche Entscheidung über das Absehen von der Verhängung einer Jugendstrafe nach § 5 Abs. 3, § 105 Abs. 1 JGG unterblieben ist.
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- Wird aus Anlass der Straftat eines nach Jugendstrafrecht zu beurteilenden Heranwachsenden gemäß § 63 StGB dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, ist grundsätzlich zu prüfen, ob die angeordnete Maßregel die Ahndung mit Jugendstrafe entbehrlich macht (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 15. Januar 2015 – 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395; vom 17. September 2013 – 1 StR 372/13, NStZ-RR 2014, 28). Eine entsprechende Prüfung und Entscheidung ist dem angefochtenen Urteil auch in seinem Gesamtzusammenhang nicht zu entnehmen. Dies führt wegen des Sachzusammenhangs zwischen Jugendstrafe und Unterbringungsanordnung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. September 2013 – 1 StR 372/13 aaO; vom 22. Juli 2009 – 2 StR 240/09) zur Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruches.
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- 3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
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- Ob eine vom Sachverständigen unter Heranziehung des Klassifikationssystems ICD-10 diagnostizierte Persönlichkeitsstörung die Voraussetzungen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB erfüllt, ist eine Rechtsfrage, die der Tatrichter wertend zu entscheiden hat. Dabei kommt es maßgeblich darauf an, ob die Störung in ihrem Gewicht einer krankhaften seelischen Störung gleichkommt und Symptome aufweist, die in ihrer Gesamtheit das Leben des Täters vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen stören, belasten oder einengen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 494/12, BGHR StGB § 20 Seelische Abartigkeit 6 mwN; vom 21. September 2004 – 3 StR 333/04, NStZ 2005, 326, 327). Der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter wird sich eingehender, als bisher geschehen , – gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen – mit dem Ausprägungsgrad der beim Angeklagten neben einer leichten Intelligenzstörung festgestellten sonstigen kombinierten Störung des Sozialver- haltens und der Emotionen (ICD-10 F92.8) und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Angeklagten zu befassen haben.
Franke Bender
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden, soweit Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten, eines Zeugen oder eines durch eine rechtswidrige Tat (§ 11 Absatz 1 Nummer 5 des Strafgesetzbuchs) Verletzten zur Sprache kommen, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde. Das gilt nicht, soweit das Interesse an der öffentlichen Erörterung dieser Umstände überwiegt. Die besonderen Belastungen, die für Kinder und Jugendliche mit einer öffentlichen Hauptverhandlung verbunden sein können, sind dabei zu berücksichtigen. Entsprechendes gilt bei volljährigen Personen, die als Kinder oder Jugendliche durch die Straftat verletzt worden sind.
(2) Die Öffentlichkeit soll ausgeschlossen werden, soweit in Verfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184k des Strafgesetzbuchs) oder gegen das Leben (§§ 211 bis 222 des Strafgesetzbuchs), wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 des Strafgesetzbuchs) oder wegen Straftaten gegen die persönliche Freiheit nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuchs ein Zeuge unter 18 Jahren vernommen wird. Absatz 1 Satz 4 gilt entsprechend.
(3) Die Öffentlichkeit ist auszuschließen, wenn die Voraussetzungen der Absätze 1 oder 2 vorliegen und der Ausschluss von der Person, deren Lebensbereich betroffen ist, beantragt wird. Für die Schlussanträge in Verfahren wegen der in Absatz 2 genannten Straftaten ist die Öffentlichkeit auszuschließen, ohne dass es eines hierauf gerichteten Antrags bedarf, wenn die Verhandlung unter den Voraussetzungen der Absätze 1 oder 2 oder des § 172 Nummer 4 ganz oder zum Teil unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat.
(4) Abweichend von den Absätzen 1 und 2 darf die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen werden, soweit die Personen, deren Lebensbereiche betroffen sind, dem Ausschluss der Öffentlichkeit widersprechen.
(5) Die Entscheidungen nach den Absätzen 1 bis 4 sind unanfechtbar.
(1) Aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden.
(2) Die Straftat eines Jugendlichen wird mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe geahndet, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen.
(3) Von Zuchtmitteln und Jugendstrafe wird abgesehen, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt die Ahndung durch den Richter entbehrlich macht.
(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, wenn
- 1.
die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, oder - 2.
es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.
(2) § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ist auch dann anzuwenden, wenn der Heranwachsende wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig nach allgemeinem Strafrecht verurteilt worden ist.
(3) Das Höchstmaß der Jugendstrafe für Heranwachsende beträgt zehn Jahre. Handelt es sich bei der Tat um Mord und reicht das Höchstmaß nach Satz 1 wegen der besonderen Schwere der Schuld nicht aus, so ist das Höchstmaß 15 Jahre.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.