Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Feb. 2016 - 4 StR 493/15

bei uns veröffentlicht am04.02.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 493/15
vom
4. Februar 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:040216B4STR493.15.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 4. Februar 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 13. Mai 2015 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, zu der Jugendstrafe von einem Jahr verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die mit Verfahrensbeschwerden und der Sachrüge begründete Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Zum Schuldspruch hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Hinsichtlich der Rüge der Verletzung des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG ist ergänzend zum Verwerfungsantrag des Generalbundesanwalts anzumerken:
3
Bedenken bestehen bereits gegen die Zulässigkeit der Verfahrensrüge, weil sich die Revision nicht dazu verhält, welche zusätzlichen Ausführungen bei Schlussvorträgen in nicht öffentlicher Sitzung gemacht worden wären (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Dezember 2015 – 4 StR 401/15; vom 23. Juni 1998 – 5 StR 261/98, NStZ 1998, 586; Urteile vom 10. Oktober 1978 – 4 StR 445/78, bei Holtz, MDR 1979, 109; vom 17. Januar 1979 – 3 StR 450/78, bei Holtz, MDR 1979, 458). Die Rüge ist aber jedenfalls unbegründet, weil auszuschließen ist, dass die Entscheidung auf der ungesetzlichen Erweiterung der Öffentlichkeit beruht. Es ist vor dem Hintergrund, dass der Ausschluss der Öffentlichkeit bei der Vernehmung des Zeugen auf Antrag des Zeugen ausschließlich zu dessen Schutz angeordnet wurde, weder ersichtlich noch vorgetragen, dass die Schlussvorträge weitere den Angeklagten entlastende Gesichtspunkte erbracht hätten, wenn in nicht öffentlicher Sitzung plädiert worden wäre.
4
2. Dagegen hat der Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand, da eine tatrichterliche Entscheidung über das Absehen von der Verhängung einer Jugendstrafe nach § 5 Abs. 3, § 105 Abs. 1 JGG unterblieben ist.
5
Wird aus Anlass der Straftat eines nach Jugendstrafrecht zu beurteilenden Heranwachsenden gemäß § 63 StGB dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, ist grundsätzlich zu prüfen, ob die angeordnete Maßregel die Ahndung mit Jugendstrafe entbehrlich macht (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 15. Januar 2015 – 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395; vom 17. September 2013 – 1 StR 372/13, NStZ-RR 2014, 28). Eine entsprechende Prüfung und Entscheidung ist dem angefochtenen Urteil auch in seinem Gesamtzusammenhang nicht zu entnehmen. Dies führt wegen des Sachzusammenhangs zwischen Jugendstrafe und Unterbringungsanordnung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. September 2013 – 1 StR 372/13 aaO; vom 22. Juli 2009 – 2 StR 240/09) zur Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruches.
6
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
7
Ob eine vom Sachverständigen unter Heranziehung des Klassifikationssystems ICD-10 diagnostizierte Persönlichkeitsstörung die Voraussetzungen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB erfüllt, ist eine Rechtsfrage, die der Tatrichter wertend zu entscheiden hat. Dabei kommt es maßgeblich darauf an, ob die Störung in ihrem Gewicht einer krankhaften seelischen Störung gleichkommt und Symptome aufweist, die in ihrer Gesamtheit das Leben des Täters vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen stören, belasten oder einengen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 494/12, BGHR StGB § 20 Seelische Abartigkeit 6 mwN; vom 21. September 2004 – 3 StR 333/04, NStZ 2005, 326, 327). Der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter wird sich eingehender, als bisher geschehen , – gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen – mit dem Ausprägungsgrad der beim Angeklagten neben einer leichten Intelligenzstörung festgestellten sonstigen kombinierten Störung des Sozialver- haltens und der Emotionen (ICD-10 F92.8) und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Angeklagten zu befassen haben.
Sost-Scheible RinBGH Roggenbuck ist urlaubs- Cierniak bedingt abwesend und deshalb gehindert zu unterschreiben. Sost-Scheible
Franke Bender

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Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 5 Die Folgen der Jugendstraftat


(1) Aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden. (2) Die Straftat eines Jugendlichen wird mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe geahndet, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen. (3) Von Zuchtmitteln un

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden, soweit Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten, eines Zeugen oder eines durch eine rechtswidrige Tat (§ 11 Absatz 1 Nummer 5 des Strafgesetzbuchs) Verletzten zur Sprache kommen, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde. Das gilt nicht, soweit das Interesse an der öffentlichen Erörterung dieser Umstände überwiegt. Die besonderen Belastungen, die für Kinder und Jugendliche mit einer öffentlichen Hauptverhandlung verbunden sein können, sind dabei zu berücksichtigen. Entsprechendes gilt bei volljährigen Personen, die als Kinder oder Jugendliche durch die Straftat verletzt worden sind.

(2) Die Öffentlichkeit soll ausgeschlossen werden, soweit in Verfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184k des Strafgesetzbuchs) oder gegen das Leben (§§ 211 bis 222 des Strafgesetzbuchs), wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 des Strafgesetzbuchs) oder wegen Straftaten gegen die persönliche Freiheit nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuchs ein Zeuge unter 18 Jahren vernommen wird. Absatz 1 Satz 4 gilt entsprechend.

(3) Die Öffentlichkeit ist auszuschließen, wenn die Voraussetzungen der Absätze 1 oder 2 vorliegen und der Ausschluss von der Person, deren Lebensbereich betroffen ist, beantragt wird. Für die Schlussanträge in Verfahren wegen der in Absatz 2 genannten Straftaten ist die Öffentlichkeit auszuschließen, ohne dass es eines hierauf gerichteten Antrags bedarf, wenn die Verhandlung unter den Voraussetzungen der Absätze 1 oder 2 oder des § 172 Nummer 4 ganz oder zum Teil unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat.

(4) Abweichend von den Absätzen 1 und 2 darf die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen werden, soweit die Personen, deren Lebensbereiche betroffen sind, dem Ausschluss der Öffentlichkeit widersprechen.

(5) Die Entscheidungen nach den Absätzen 1 bis 4 sind unanfechtbar.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 401/15
vom
15. Dezember 2015
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen erpresserischen Menschenraubes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 15. Dezember 2015 einstimmig beschlossen
:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Hagen vom 17. März 2015 werden als unbegründet verworfen, da die
Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen keinen
Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2
Der Beschwerdeführer S. hat die Kosten seines Rechtsmittels und
die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen. Es wird davon abgesehen, dem Angeklagten
E. die Kosten und Auslagen des Revisionsverfahrens aufzuerlegen
ECLI:DE:BGH:2015:151215B4STR401.15.0

Zu der von beiden Angeklagten erhobenen Rüge der Verletzung von § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG i.V.m. § 337 StPO durch Nichtausschluss der Öffentlichkeit während der zweiten Vernehmung der geschädigten Zeugin K. und während der Schlussvorträge bemerkt der Senat ergänzend:
Es ist zweifelhaft, ob der Ansicht des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 3. September 2015 zu folgen ist, wonach ein revisibler Rechtsfehler im Sinne von § 337 StPO schon deshalb nicht vorliegt, weil auch die unterbliebene Entscheidung über einen Ausschluss der Öffentlichkeit gemäß § 171b Abs. 5 GVG unanfechtbar und damit gemäß § 336 Satz 2 StPO der revisionsgerichtlichen Prüfung entzogen sei (vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 2014 – 1 StR 212/14, StV 2015, 79, Tz. 26). Dies kann jedoch offen bleiben. Denn die Verfahrensrüge ist bereits unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juni 1998 – 5 StR 261/98, NStZ 1998, 586). Unbeschadet dessen ist sie auch unbegründet, weil auszuschließen ist, dass die Entscheidung auf einer ungesetzlichen Erweiterung der Öffentlichkeit beruht. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, zu welchen weiter gehenden Erkenntnissen die Hauptverhandlung geführt hätte, wenn die Öffentlichkeit auch während der zweiten Vernehmung der Zeugin und während der Schlussvorträge ausgeschlossen worden wäre, zumal der Beschluss über die Ausschließung der Öffentlichkeit vor der ersten Vernehmung der 19 Jahre alten Zeugin auf ihren Antrag ausschließlich zu deren Schutz ergangen ist und die Zeugin in ihrer
zweiten Vernehmung zur Sache auch in öffentlicher Hauptverhandlung ausgesagt hat.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Bender

(1) Aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden.

(2) Die Straftat eines Jugendlichen wird mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe geahndet, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen.

(3) Von Zuchtmitteln und Jugendstrafe wird abgesehen, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt die Ahndung durch den Richter entbehrlich macht.

(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, wenn

1.
die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, oder
2.
es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.

(2) § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ist auch dann anzuwenden, wenn der Heranwachsende wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig nach allgemeinem Strafrecht verurteilt worden ist.

(3) Das Höchstmaß der Jugendstrafe für Heranwachsende beträgt zehn Jahre. Handelt es sich bei der Tat um Mord und reicht das Höchstmaß nach Satz 1 wegen der besonderen Schwere der Schuld nicht aus, so ist das Höchstmaß 15 Jahre.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR419/14
vom
15. Januar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 15. Januar 2015 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 2. Dezember 2013, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist, mit den zugehörigen Feststellungen
a) hinsichtlich der Verurteilung im Fall II. 8 der Urteilsgründe und
b) im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz in vier Fällen, Bedrohung in sechs Fällen und Beleidigung in zwei Fällen zu der Jugendstrafe von acht Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf eine Verfahrensbeanstandung und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Das Landgericht hat die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen :
3
Der zu den Tatzeiten 18 und 19 Jahre alt gewesene, nicht vorbestrafte Angeklagte leidet an einer leichten Intelligenzminderung (Intelligenzquotient von 50) sowie an einer kombinierten Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen , die insbesondere in einer gestörten Empathiefähigkeit ihren Ausdruck findet. Er steht unter u.a. die Aufgabenbereiche Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge , Wohnungs-, Vermögens- und Behördenangelegenheiten umfassender Betreuung und lebte seit Mai 2012 bis zu seiner auf landesrechtlicher Grundlage erfolgten Unterbringung am 11. Januar 2013 in einer Einrichtung der evangelischen Stiftung U. in B. , wo es von Beginn an zu Konflikten zwischen dem Angeklagten und anderen Bewohnern der Einrichtung kam, die im Vergleich zu auch in früheren Wohngruppen des Angeklagten vorkommenden Konflikten von größerer Intensität waren.
4
Am 6., 11. und 17. Mai 2012 sandte der Angeklagte u.a. fünf SMS-Nachrichten an seinen leiblichen Vater, von denen eine Nachricht eine beleidigende Äußerung enthielt und vier Nachrichten Tötungsdrohungen zum Gegenstand hatten, die sich gegen den Vater des Angeklagten oder dessen Mutter richteten (II. 1 der Urteilsgründe). Zwischen dem 21. und 23. September 2012 begab sich der Angeklagte in den auf dem Gelände der Stiftung befindlichen Pferdestall und brachte einem dort untergebrachten Pferd mittels eines kleinen Butterflymessers mit 4 cm langer Klinge am Oberschenkel des linken Vorderbeins eine 4 cm tiefe Stichverletzung bei, deren Stichkanal bis zum Knochen reichte (II. 2 der Urteilsgründe). Im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Übergriff auf das Pferd wurde der Angeklagte auf einen Igel aufmerksam, auf den er mit seinem Butterflymesser einstach. Anschließend verpackte er den blutenden Igel in eine Plastiktüte und legte ihn im Pferdestall der Einrichtung ab (II. 3 der Urteilsgründe ). Bei anderer Gelegenheit, vermutlich Ende September 2012, bemerkten der Angeklagte und drei andere auf dem Gelände der Einrichtung einen Igel, den sie gemeinsam u.a. durch Schläge mit einer Krücke so schwer verletzten, dass er verendete. Der Angeklagte beteiligte sich an dem Geschehen, indem er mindestens einmal auf den Igel trat (II. 4 der Urteilsgründe). Am 13. Oktober 2012 bezeichnete der Angeklagte einen an ihm vorbeigehenden Bewohner der Einrichtung ohne erkennbaren Anlass als „Arschloch“ und erklärte, er habe seine Mutter und seine Freundin „gefickt“ (II. 5der Urteilsgründe). Nachdem es am Vortag auf Nachfrage seines Bezugsbetreuers zu einer Erörterung über die Herkunft eines beim Angeklagten aufgefallenen ungewöhnlich hohen Bargeldbetrages gekommen war und der Angeklagte das Thema unmittelbar nach dem Aufstehen am Morgen des 6. Januar 2013 gegenüber dem Betreuer im sehr aufgeregten Zustand wieder angesprochen hatte, kam der Angeklagte dem Betreuer kurze Zeit später mit einem Tafelmesser in der Hand entgegen und er- klärte sinngemäß „ich stech dich ab, ich bring mich um“. Im weiteren Verlauf legte der Angeklagte auf Aufforderung des Betreuers das Messer mit dem Griff in dessen Richtung auf den Boden. Um sich gleich wieder mit dem Betreuer zu versöhnen, kam der Angeklagte auf diesen zu und wollte ihn umarmen (II. 6 der Urteilsgründe). Am selben Tag begab sich der Angeklagte zusammen mit einem anderen auf dem Gelände der Stiftung zu dem von ihm bereits zuvor verletzten Pferd. Mit einem von seinem Begleiter übergebenen Messer brachte er dem Pferd eine ca. 4 cm lange oberflächliche Schnittverletzung an der Außenseite des rechten Oberschenkels bei (II. 7 der Urteilsgründe).
5
Schließlich sollte der Bezugsbetreuer des Angeklagten diesen am 11. Januar 2013 zur neuen medikamentösen Einstellung des Angeklagten zu einer Psychiaterin nach B. bringen. Der Angeklagte, der frei entscheiden konnte, ob er zur Psychiaterin fahren wollte oder nicht, lehnte die ihm bereits am Vorabend angekündigte Fahrt zunächst ab, entschied sich dann aber anders und erklärte, doch fahren zu wollen. Im Laufe der anschließenden Autofahrt änderte der Angeklagte noch mehrfach seine Meinung. Zum Teil gab er an, wenn man bei der Ärztin ankomme, werde er nicht aussteigen. Da es dem Angeklagten freistand, die Psychiaterin aufzusuchen oder nicht, ging der Betreuer jedes Mal, wenn der Angeklagte angab, nicht fahren zu wollen, darauf ein und erklärte umzudrehen, woraufhin sich der Angeklagte wieder anders entschied. Obwohl der Betreuer jedes Mal auf die Meinungsänderung des Angeklagten reagierte, war dieser während der Fahrt sehr aufgebracht und bedrohte und beleidigte den Betreuer. Er erklärte, er wolle nicht zur Psychiaterin und bräuchte auch nicht dorthin zu fahren, wenn er das müsse, dann würde er die Psychiaterin und den Betreuer abstechen. Auch gab er an, sich selbst umzubringen. Nachdem er darüber hinaus geäußert hatte, er werde dem Betreuer ins Lenkrad fassen, und sich auch in diese Richtung bewegt hatte, brach der Betreuer die Fahrt ab und fuhr zur Einrichtung zurück (II. 8 der Urteilsgründe).
6
Aufgrund der beim Angeklagten vorliegenden Intelligenzminderung und der kombinierten Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Tat am 13. Oktober 2012 nicht ausschließbar, bei den übrigen Taten sicher erheblich herabgesetzt.
7
Die Annahme, dass vom Angeklagten infolge seines Zustands mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades gewalttätige Übergriffe auf beliebige Menschen ggf. unter Zuhilfenahme von Werkzeugen oder Waffen zu erwarten sind, stützt die Jugendkammer – dem psychiatrischen Sachverständigen folgend – maßgeblich darauf, dass der Angeklagte zwei wesentliche Hemmschwellen überschritten habe. Zum einen liege mit der Verletzung von Pferden und Igeln ein wichtiger Prädiktor für Gewaltdelikte gegen Menschen vor. Darüber hinaus habe der Angeklagte mit seinen Selbstverletzungen auch die Grenze zur Verletzung von Menschen überschritten. Hierzu bedürfe es keines Angriffs auf eine andere Person. Bereits eine Selbstverletzung bedeute ein hohes Risiko, dass der Angeklagte diese Schwelle zur Verletzung von Menschen erneut – und dann auch durch Verletzung anderer Personen – überschreite.

II.


8
1. Die Verurteilung wegen Bedrohung im Fall II. 8 der Urteilsgründe hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand, weil die Wertung des Landgerichts, bei der Äußerung des Angeklagten gegenüber seinem Betreuer habe es sich um eine objektiv ernstzunehmende Drohung gehandelt, auf einer unvollständigen tatrichterlichen Wertung beruht.
9
Der Tatbestand der Bedrohung in § 241 Abs. 1 StGB, der in erster Linie dem Schutz des Rechtsfriedens des Einzelnen dient (vgl. BVerfG, NJW 1995, 2776, 2777; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 241 Rn. 2), setzt das ausdrücklich erklärte oder konkludent zum Ausdruck gebrachte Inaussichtstellen der Begehung eines Verbrechens gegen den Drohungsadressaten oder eine ihm nahestehende Person voraus, das seinem Erklärungsgehalt nach objektiv geeignet erscheint , den Eindruck der Ernstlichkeit zu erwecken (vgl. BVerfG aaO; OLG Naumburg, StV 2013, 637; OLG Koblenz, NStZ-RR 2007, 175; Sinn in MükoStGB, 2. Aufl., § 241 Rn. 2, 4; Eser/Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 241 Rn. 2, 4). Ob einer Erklärung oder einem schlüssigen Verhalten die objektive Eignung zur Störung des individuellen Rechtsfriedens zukommt, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls aus Sicht eines durchschnittlich empfindenden Beobachters, wobei auch Begleitumstände der Tatsituation Bedeutung erlangen können (vgl. Träger/Schluckebier in LK-StGB, 11. Aufl., § 241 Rn. 10; Sinn aaO Rn. 5; Eser/Eisele aaO).
10
Zwar kann eine Bedrohung auch in der Weise erfolgen, dass die Begehung des Verbrechens vom künftigen Eintritt oder Nichteintritt eines weiteren Umstands abhängen soll (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 1961 – 1 StR 288/61, BGHSt 16, 386, 387), so dass die Verknüpfung der Todesdrohung des Angeklagten mit einem zwangsweisen Verbringen zu seiner Psychiaterin grundsätzlich der Erfüllung des Tatbestands des § 241 Abs. 1 StGB nicht entgegensteht. Im vorliegenden Fall sollte nach den Feststellungen jedoch gerade kein Arztbesuch gegen den Willen des Angeklagten durchgesetzt werden. Vielmehr konnte der Angeklagte den in seinem Belieben stehenden Arztbesuch jederzeit ablehnen, was er während der Fahrt auch wiederholt tat. Der Betreuer ging auch jeweils auf die entsprechenden Willensäußerungen ein und erklärte umzudrehen. Es stand daher schon bei der Äußerung des Angeklagten fest, dass der Umstand, von dem die Tötungsdrohung nach dem Wortlaut der Äußerung abhängen sollte, nicht eintreten würde. Diesen für die Bestimmung des Erklärungsgehalts der Äußerung bedeutsamen situativen Kontext hat das Landgericht erkennbar nicht bedacht.
11
2. Der Strafausspruch hat keinen Bestand, da eine tatrichterliche Entscheidung über das Absehen von der Verhängung der Jugendstrafe nach § 5 Abs. 3, § 105 Abs. 1 JGG unterblieben ist.
12
Wird aus Anlass der Straftat eines nach Jugendstrafrecht zu beurteilenden Heranwachsenden gemäß § 63 StGB dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, ist grundsätzlich zu prüfen, ob die angeordnete Maßregel die Ahndung mit Jugendstrafe entbehrlich macht (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 17. September 2013 – 1 StR 372/13, NStZ-RR 2014, 28). Eine entsprechende Prüfung und Entscheidung ist dem angefochtenen Urteil auch in seinem Gesamtzusammenhang nicht zu entnehmen.
13
3. Schließlich begegnet auch der Maßregelausspruch durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat die Gefährlichkeit des Angeklagten im Sinne des § 63 StGB nicht tragfähig begründet.
14
Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juli 2013 – 4 StR 275/13, NStZ 2014, 36, 37 mwN).Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. April 2014 – 3 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 243, 244; vom 30. Juli 2014 – 4 StR 183/14 Rn. 5).
15
Diesen Anforderungen werden die Ausführungen im angefochtenen Urteil zur Gefährlichkeitsprognose nicht gerecht. Soweit die Jugendkammer die Gefährlichkeit des Angeklagten maßgeblich damit begründet, dass er mit seinen Selbstverletzungen auch die Grenze zur Verletzung von Menschen überschritten habe, entbehren die Erwägungen einer tragfähigen Tatsachengrundlage. Das Urteil gibt insoweit lediglich die Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen wieder, wonach aufgrund der ansonsten widersprüchlichen Angaben des Angeklagten im Rahmen der Exploration, die aber hinsichtlich der Schilderung von Schnitten in den Unterarm wegen der am Unterarm zu erkennenden Narbenbildung stimmig gewesen seien, von einem Impuls zur Selbstverletzung beim Angeklagten auszugehen sei. Konkrete Feststellungen zu Selbstverletzungen des Angeklagten inder Vergangenheit hat das Landgericht aber nicht getroffen. Die Urteilsgründe verhalten sich weder zu Zeitpunkt, Ausmaß und Häufigkeit von selbstverletzenden Handlungen des Angeklagten noch dazu, inwieweit ein Zusammenhang zwischen Selbstverletzungen und dem psychischen Defektzustand des Angeklagten besteht. Entsprechende Feststellungen wären aber erforderlich gewesen, um beurteilen zu können, ob einem entsprechenden Verhalten des Angeklagten indizielle Bedeutung für die Gefährlichkeitsprognose beigemessen werden kann.
16
Die Unterbringungsanordnung bedarf daher einer neuen tatrichterlichen Verhandlung und Entscheidung. Angesichts der eher geringfügigen Anlasstaten , die während des Tatzeitraums keine Steigerung der Deliktschwere erkennen lassen, wird der neue Tatrichter im Rahmen derGefährlichkeitsprognose – eingehender, als bisher geschehen, – die vom Angeklagten in verschiedenen Einrichtungen gezeigten aggressiven Verhaltensweisen in den Blick zu nehmen und sich mit der im angefochtenen Urteil offen gebliebenen Frage zu befassen haben, inwieweit dieses Verhalten des Angeklagten bereits zu tätlichen Übergriffen auf andere Personen geführt hat. Der Senat weist ferner darauf hin, dass zulässiges Verteidigungsverhalten nicht zur Begründung der Gefährlichkeit des Angeklagten herangezogen werden darf (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2004 – 4 StR 452/04). Schließlich wird angesichts der besonders gelagerten Sachlage die Hinzuziehung eines weiteren psychiatrischen Sachverständigen zu erwägen sein.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Bender

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 372/13
vom
17. September 2013
in der Strafsache
gegen
wegen räuberischer Erpressung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. September 2013 beschlossen
:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Coburg vom 11. März 2013 im Rechtsfolgenausspruch mit
den Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an
eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
1. Der wegen einer Vielzahl von Einbrüchen, Körperverletzungen und weiterer Delikte vorgeahndete Angeklagte wurde wegen einer Reihe wiederholt in alkoholisiertem Zustand begangener Straftaten wie etwa - räuberischer Erpressung, versuchter räuberischer Erpressung und versuchter Nötigung (begangen etwa z. N. eines Zechgenossen oder eines Bekannten aus dem Obdachlosenmilieu); - Widerstandshandlungen, Körperverletzung, Beleidigung im Rahmen der häufig von ihm verursachten polizeilichen Einsätze; - Sachbeschädigung (er zertrümmerte die Tür der von ihm gemieteten Wohnung, weil er den Schlüssel vergessen hatte); - Verstößen gegen Weisungen der Führungsaufsicht zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zugleich wurde er gemäß § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Bei allen Taten war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten erheblich i.S.d. § 21 StGB vermindert. Wie näher dargelegt ist, liegt bei ihm eine schwergradig ausgeprägte kombinierte Persönlichkeitsstörung vor, die durch eine Intel- ligenzminderung und Alkoholabhängigkeit „erheblich kompliziert“ werde, sodass hier insgesamt von einer schweren (anderen) seelischen Abartigkeit i.S.d. § 20 StGB auszugehen sei. Nachdem er inzwischen anders als früher auch Personen bedroht, um sich Vermögensvorteile zu verschaffen, seien von ihm weitere, i.S.d. § 63 StGB gefährliche Straftaten zu erwarten. Diese Taten seien „geeignet , den Rechtsfrieden der Allgemeinheit … zu stören, da sich die Taten in der Vergangenheit nicht gegen bestimmte Personen richteten und ihre Ursache allein in dem konkreten persönlichen Verhältnis des Beschuldigten (gemeint: Angeklagten) zu diesen Personen hatten, sondern wahllos und situationsbe- dingt begangen wurden“.
2
2. Während der Schuldspruch ohne den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler ist (§ 349 Abs. 2 StPO), kann der Rechtsfolgenausspruch nicht bestehen bleiben (§ 349 Abs. 4 StPO):
3
a) Dem Urteil ist weder ausdrücklich noch in seinem Gesamtzusammenhang zu entnehmen, dass die Jugendkammer die gemäß § 5 Abs. 3, § 105 Abs. 1 JGG gebotene Prüfung vorgenommen hätte, ob von Jugendstrafe wegen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus abgesehen werden kann.
4
b) Der Senat hat geprüft, ob sich gleichwohl ohne weiteres aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe von selbst versteht, dass eine Anwendung von § 5 Abs. 3 JGG ausscheidet (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juli 2009 - 2 StR 240/09).
5
Dies war zu verneinen:
6
Die Jugendkammer folgt dem Sachverständigen, wonach der Angeklagte ein „seltener Ausnahmefall“ sei, bei dem „die Zuordnung einer Persönlichkeitsstörung zum vierten Eingangsmerkmal des § 20 StGB … gerechtfertigt“ sei. Auch wenn bei ihm „keine zusätzliche psychotische Symptomatik“ vorliege, bewirke die Persönlichkeitsstörung Einbußen, wie sie vor allem bei „Schizophrenien und Demenzen auftreten könnten“. Angesichts dieser Besonderheiten liegt die Entscheidung darüber, ob hier neben der Unterbringungsanordnung Jugendstrafe zu verhängen ist, nicht offenkundig auf der Hand. Daher kann der Senat nicht selbst abschließend hierüber entscheiden, da er das insoweit von der Jugendkammer auszuübende, aber nicht ausgeübte Ermessen nicht durch eigenes Ermessen ersetzen kann (vgl. allgemein zu dieser Konstellation BGH, Urteil vom 4. Juni 2013 - 1 StR 32/13 Rn. 86 mwN).
7
c) Schon angesichts des Sachzusammenhangs zwischen Jugendstrafe und Unterbringung kann auch die Unterbringungsanordnung keinen Bestand haben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. Juli 2009 - 2 StR 240/09 und vom 27. Mai 2008 - 3 StR 131/08 mwN).
8
d) Darüber hinaus bemerkt der Senat, dass die im Rahmen der Prüfung von § 63 StGB angestellten Erwägungen der Jugendkammer nicht widerspruchsfrei erscheinen (1) und darüber hinaus - dies würde für sich genommen hier den Angeklagten nicht beschweren - keinen zutreffenden Maßstab anlegen (2):
9
(1) Die Bewertung der zurückliegenden Taten (vgl. oben 1. am Ende) als wahllos und ohne Zusammenhang mit Beziehungen zu den Opfern begangen, stimmt jedenfalls auf die hier als wesentlich angesehenen Taten - räuberische Erpressung und versuchte räuberische Erpressung - bezogen, nicht mit den Feststellungen überein. Opfer der räuberischen Erpressung war ein Nachbar des Angeklagten. Diesen hatte er zunächst zum gemeinsamen Zechen in seine Wohnung geholt, mit ihm die dort vorhandenen Alkoholvorräte ausgetrunken und dann von ihm gewaltsam Geld für weiteren Alkohol und Zigaretten erpresst. Auch mit dem Geschädigten der versuchten räuberischen Erpressung hatte der Angeklagte offenbar schon länger Kontakt. Jedenfalls hatte sich der Angeklagte , so ein Zeuge über Bekundungen des inzwischen verstorbenen Geschädigten , häufiger in der Wohnung des Geschädigten aufgehalten und von diesem dort Geld verlangt.
10
(2) Andererseits besteht eine Gefahr für die Allgemeinheit aber nicht nur, wenn eine unbestimmte Vielzahl noch nicht näher individualisierter Personen betroffen ist. Vielmehr ist jeder als Einzelner Mitglied der Allgemeinheit, wenn ihm schwerer Schaden droht. Dementsprechend genügt es für eine Gefährlichkeit i.S.d. § 63 StGB, wenn vom Täter erhebliche rechtswidrige Taten nur gegen einen begrenzten Personenkreis oder sogar nur gegen eine Einzelperson zu erwarten sind (vgl. BGH, Urteil vom 6. April 1976 - 1 StR 847/75, BGHSt 26, 321; BGH, Urteil vom 10. Januar 2007 - 1 StR 530/06 mwN zum hinsichtlich des Begriffs der Allgemeinheit gleich zu behandelnden Fall des § 66 StGB).
Raum Wahl Rothfuß
Jäger Cirener

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 494/12
vom
19. Dezember 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Raubes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 19. Dezember 2012 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 24. Juli 2012 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte im Fall II. 3 der Urteilsgründe wegen Raubes verurteilt worden ist,
b) im gesamten Rechtsfolgenausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Raub (Fall II. 6 der Urteilsgründe), in einem weiteren Fall in Tateinheit mit Diebstahl (Fall II. 1 der Urteilsgründe), in einem weiteren Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung (Fall II. 2 der Urteilsgründe), wegen Raubes in drei Fällen (Fälle II. 3, 4 und 7 der Urteils- gründe) und wegen versuchter Nötigung in zwei Fällen (Fälle II. 5 und 8 der Urteilsgründe) schuldig gesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Von der Verhängung einer Jugendstrafe hat es nach § 5 Abs. 3 JGG abgesehen. Mit seiner hiergegen eingelegten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Nach den Feststellungen hatte der bei den jeweiligen Taten 17 Jahre alte Angeklagte den Wunsch, sich Designerkleidung kaufen zu können, um nicht hinter seinen Freunden zurückstehen zu müssen. Da er nicht über die hierfür erforderlichen Geldmittel verfügte, entschloss er sich, Frauen, die in den späten Nachmittags- oder Abendstunden allein unterwegs waren, bis zu ihren Wohnungen zu verfolgen und dort zu überfallen, um Bargeld oder sonstige Wertgegenstände an sich zu bringen. Von einem Überfall der Frauen in ihren Wohnungen versprach er sich größere Beute, weil er dort über die in den Handtaschen mitgeführten Bargeldbeträge und Wertsachen hinaus weiteres Bargeld und weitere Wertgegenstände vermutete. In Ausführung dieses Entschlusses verfolgte und überfiel der Angeklagte in der Zeit vom 25. September 2011 bis zum 28. Dezember 2011 acht Frauen. Im ersten Fall versuchte der Angeklagte aufgrund eines spontan gefassten Entschlusses die 39 Jahre alte P. G. , der er zuvor bis in ihre Wohnung gefolgt war, gewaltsam zurDuldung des vaginalen Geschlechtsverkehrs zu zwingen. Nachdem er mit seinem Vorhaben gescheitert war, ejakulierte er auf ihren nackten Körper und entwendete 100 Euro (Fall II. 1 der Urteilsgründe). Im zweiten Fall griff der Angeklagte die Verlagskauffrau S. B. im Treppenhaus eines Mehrfamilienhauses an und nahm sie in einen Würgegriff. Dabei betastete er sein Opfer über der Kleidung an den Brüsten und im Schambereich. Durch den Angriff erlitt S. B. eine blutende Wunde im Nasenbereich (Fall II. 2 der Urteilsgründe). Im dritten Fall versuchte der Angeklagte die zuvor von ihm verfolgte 59 Jahre alte Kunstlehrerin B. K. in ihre Wohnung zu drücken, als sie deren Tür aufschließen wollte. Bei dem anschließenden Gerangel im Treppenhaus entriss der Angeklagte B. K. „mit Gewalt“ deren Tasche, in der er Bargeld vermutete und flüchtete. In der Tasche befanden sich eine Blockflöte, BallerinaSchuhe , ein Ringbuch, Textmarker und eine Schachtel mit Aufklebern. Vier Tage nach diesem Vorfall entriss der Angeklagte der 73 Jahre alten Rentnerin I. Ka. deren Einkaufstasche, nachdem er sie bis in das Treppenhaus eines Mehrfamilienhauses verfolgt hatte. In der Tasche befanden sich Bargeld, ein Handy und diverse Ausweise (Fall II. 4 der Urteilsgründe). Weitere vier Tage später verschaffte sich der Angeklagte unter einem Vorwand Zutritt zur Wohnung der 84 Jahre alten Pensionärin M. U. . Aufgrund eines spontanen Entschlusses riss er M. U. die Kleidung vom Körper und warf sie auf ihr Bett. Anschließend setzte er sich mit erigiertem Penis rittlings auf sie und versuchte mit ihr gewaltsam den vaginalen Geschlechtsverkehr zu vollziehen. Nachdem ihm dies nicht gelungen war, weil M. U. zwei künstliche Hüftgelenke hatte und deshalb ihre Beine nicht spreizen konnte, verlangte der Angeklagte erfolglos die Ausübung des Handverkehrs. Schließlich entwendete er aus der Wohnung 75 Euro, wobei er die Angst seines Opfers vor weiteren Gewalttätigkeiten für sich ausnutzte (Fall II. 6 der Urteilsgründe). Nachdem der Angeklagte am 4. Dezember 2012 bei der Verfolgung einer älteren Frau von Polizeibeamten gestellt, erkennungsdienstlich behandelt und als Beschuldigter vernommen worden war, stieß er am 20. Dezember 2012 die zuvor von ihm verfolgte 68 Jahre alte Rentnerin M.
Sch. in den Flur ihrer Wohnung, als sie deren Tür öffnete. Anschließend entriss er ihr die Handtasche, in der sich 290 Euro, eine Kreditkarte und ein Mobiltelefon befanden (Fall II. 7 der Urteilsgründe). In zwei weiteren Fällen scheiterte der Angeklagte bei dem Versuch, gewaltsam in die Wohnungen zuvor verfolgter Frauen einzudringen (Fälle II. 5 und 8 der Urteilsgründe).

II.


3
Die Verurteilung wegen vollendeten Raubes (§ 249 Abs. 1 StGB) im Fall II. 3 der Urteilsgründe wird von den Feststellungen nicht getragen.
4
Ein vollendeter Raub gemäß § 249 Abs. 1 StGB läge nur dann vor, wenn sich der Angeklagte die seinem Opfer entrissene Tasche und die darin befindlichen Sachen zueignen wollte. Nimmt der Täter – wie hier der Angeklagte – ein Behältnis nur deshalb an sich, weil er darin Bargeld vermutet, das er für sich behalten will, eignet er sich das Behältnis nicht zu (BGH, Beschluss vom 17. November 2009 – 3 StR 425/09, NStZ-RR 2010, 75; Beschluss vom 8. September 2009 – 4 StR 354/09, NStZ-RR 2010, 48; Urteil vom 14. Juni 2006 – 2 StR 65/06, NStZ 2006, 686, 687; Beschluss vom 31. Oktober 1986 – 3 StR 470/86, StV 1987, 245). Befinden sich in dem Behältnis anstatt des erwarteten Bargeldes andere Gegenstände, die der Täter aufgrund eines neuen Entschlusses für sich behält, liegt darin lediglich eine Unterschlagung (§ 246 StGB), die neben den auch weiterhin nur versuchten Raub tritt (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., § 242 Rn. 41b). Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass noch weitere zur Annahme eines vollendeten Raubes oder einer Unterschlagung führende Feststellungen getroffen werden können, hat der Senat den Schuldspruch im Fall II. 3 der Urteilsgründe nicht auf versuchten Raub abgeändert , sondern insgesamt aufgehoben.

III.


5
Der Rechtsfolgenausspruch hat keinen Bestand, weil das Landgericht die Voraussetzungen für die Anordnung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB nicht rechtsfehlerfrei dargelegt hat. Dadurch verliert auch die auf § 5 Abs. 3 JGG gestützte Entscheidung zum Absehen von der Verhängung einer Jugendstrafe ihre Grundlage.
6
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12, Tz. 6; Beschluss vom 25. September 2003 – 4 StR 316/03, NStZ-RR 2004, 38; Beschluss vom 8. April 2003 – 3 StR 79/03, NStZ-RR 2003, 232). Davon ist das Landgericht zwar ausgegangen. Seine Erwägungen zum Vorliegen einer anderen schweren seelischen Abartigkeit im Sinne von § 20 StGB und einer daraus resultierenden erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) weisen jedoch durchgreifende Rechtsfehler auf.
7
a) Der vom Landgericht angehörte psychiatrische Sachverständige hat ausgeführt, bei dem durchschnittlich intelligenten und nicht an einer krankhaften seelischen Störung leidenden Angeklagten liege eine schizoide Persönlich- keitsstörung mit Krankheitswert (ICD-10 F 60.1) vor. Diese Störung äußere sich bei den Betroffenen in massiven Auffälligkeiten in der Emotionalität und im zwischenmenschlichen Kontakt. Der Angeklagte erfülle wesentliche Kriterien die- ses Krankheitsbildes, weil er „Anteile“ von Distanziertheit, emotionaler Kühle und flacher Affektivität aufweise und nur über geringe empathische Fähigkeiten verfüge. Bei ihm bestehe ein Mangel, warme oder zärtliche Gefühle, aber auch Ärger gegenüber anderen zu zeigen, wenn er sich nicht unter einen entsprechenden emotionalen Druck gesetzt fühle (UA 25). Auch könne es zu „raptus- artigen“ Impulsdurchbrüchen kommen, wie sich insbesondere bei den Taten zum Nachteil der Geschädigten G. und U. (Fälle II. 1 und 6 der Urteilsgründe ) gezeigt habe. Bei dem Angeklagten handele es sich um einen distanzierten und in sich gekehrten Menschen, dem diese Seite seiner Persönlichkeit krankheitsbedingt nicht bewusst sei (UA 26). Bei ihm müsse deshalb von einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB ausgegangen werden, die in den jeweiligen Tatsituationen zu einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit bei gleichzeitig vorhandener Einsichtsfähigkeit geführt habe (§ 21 StGB). Dem hat sich das Landgericht angeschlossen (UA 28).
8
b) Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht mit dem Sachverständigen rechtsfehlerhaft davon ausgegangen ist, dass die Diagnose einer schizoiden Persönlichkeitsstörung mit Krankheitswert gemäß ICD-10 F 60.1 ohne weitere wertende Erwägungen zur Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit gemäß § 20 StGB führt. Zudem fehlt es an der erforderlichen tatbezogenen Beurteilung der durch die festgestellte Störung hervorgerufenen Verminderung der Steuerungsfähigkeit.
9
aa) Die in den gebräuchlichen Klassifikationssystemen DSM-IV und ICD-10 zusammengefassten diagnostischen Kategorien sind keine psychiatrischen Äquivalente zu den Eingangsmerkmalen des § 20 StGB. Sie erfassen lediglich die klinischen Attribute des Zustandsbildes des Betroffenen und sind eine Richtlinie zur Unterstützung des daran anknüpfenden – dem Sachverständigen obliegenden – klinischen Urteils (Saß/Wittichen/Zaudich/Houben, Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen – Textrevision – DSM-IV-TR, 2003, S. 980 ff.). Auch wenn sich die gelisteten Kategorien bestimmten gesetzlichen Merkmalen zuordnen lassen (vgl. Rasch, Forensische Psychiatrie, 3. Aufl., S. 52 ff.), sagt daher die Vergabe einer entsprechenden Diagnose durch den psychiatrischen Sachverständigen noch nichts über die forensische Bewertung des psychischen Zustands des Betroffenen aus (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Januar 2005 – 4 StR 532/04, NStZ-RR 2005, 137, 138; Urteil vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 52; Beschluss vom 14. Juli 1999 – 3 StR 160/99, BGHR StGB § 63 Zustand 34; Nedopil, Forensische Psychiatrie, 4. Aufl., S. 127; Maatz, FPPK 2007, 147, 149; Winkler/Förster, NStZ 1999, 126, 127; Kröber/Dannhorn, NStZ 1998, 80, 81; Scholz/Schmidt, Schuldfähigkeit bei schwerer anderer seelischer Abartigkeit , S. 13). Ihr kann lediglich entnommen werden, dass es sich um eine nicht ganz geringfügige Beeinträchtigung handelt, mit der sich der Tatrichter bei der Schuldfähigkeitsbeurteilung im Hinblick auf ihren Schweregrad und ihre Tatrelevanz auseinandersetzen muss (BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 54; Beschluss vom 19. März 1992 – 4 StR 43/92, NStZ 1992, 380; Boetticher/Nedopil/Bosinski/Saß, NStZ 2005, 57, 58).
10
Ob eine von dem Sachverständigen diagnostizierte schizoide Persönlichkeitsstörung gemäß ICD-10 F 60.1 und DSM-IV 301.20 die Voraussetzun- gen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB erfüllt, ist eine Rechtsfrage, die der Tatrichter wertend zu entscheiden hat (BGH, Urteil vom 14. April 1999 – 3 StR 45/99, NStZ 1999, 395). Dabei kommt es maßgebend auf den Ausprägungsgrad der Störung und ihren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Betroffenen an. Hierfür ist die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit (etwa hinsichtlich der Wahrnehmung der eigenen und dritter Personen, der emotionalen Reaktionen, der Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen und der Impulskontrolle) durch die festgestellten Verhaltensmuster zu untersuchen und mit den Folgen von psychotischen oder ähnlichen pathologischen Zuständen zu vergleichen, die als krankhafte seelische Störung anerkannt sind (BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 52 f.; vgl. Beschluss vom 18. Januar 2005 – 4 StR 532/04, NStZ-RR 2005, 137, 138; Beschluss vom 21. September 2004 – 3 StR 333/04, NStZ 2005, 326, 327; Beschluss vom 26. Juli 2000 – 2 StR 278/00, BGHR StGB § 21 Seelische Abartigkeit 35; Beschluss vom 14. Juli 1999 – 3 StR 160/99, BGHR StGB § 63 Zustand 34; Scholz/Schmidt, Schuldfähigkeit bei schwerer anderer seelischer Abartigkeit, S. 44). In diesem Zusammenhang ist es von wesentlicher Bedeutung, ob es infolge der die Persönlichkeitsstörung begründenden Verhaltens- und Erlebnisbesonderheiten auch im Alltag außerhalb der angeklagten Delikte zu Einschränkungen des beruflichen und sozialen Handlungsvermögens gekommen ist. Erst wenn sich das Muster des Denkens, Fühlens oder Verhaltens, das gewöhnlich im frühen Erwachsenenalter in Erscheinung tritt, im Zeitverlauf als stabil erwiesen hat, können die psychiatrischen Voraussetzungen vorliegen, die rechtlich als „schwere andere seelische Abartigkeit“ angesehen werden (BGH,Urteil vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 52 f.).
11
Eine diesen Vorgaben entsprechende Bewertung der „Schwere“ der an- genommenen schizoiden Persönlichkeitsstörung hat das Landgericht nicht erkennbar vorgenommen. Die von dem Sachverständigen übernommene und auf eine Äquivalenz mit krankhaften seelischen Störungen hindeutende formelhafte Wendung „mit Krankheitswert“ ist ohne Aussagekraft (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., § 20 Rn. 38), weil die zugrunde liegenden Wertungen nicht offengelegt werden. Sie kann die an dieser Stelle erforderliche umfassende Darlegung daher nicht ersetzen. Soweit davon die Rede ist, dass die Persönlichkeit des Angeklagten „Anteile“ von Distanziertheit, emotionaler Kühle und flacher Affektivität aufweise und er nur über geringe empathische Fähigkeiten verfüge, fehlt es an der gebotenen Darstellung der hiermit verbundenen Auswirkungen auf das alltägliche Leben und den Werdegang des Angeklagten. Gleiches gilt für die pauschale Beschreibung des Angeklagten als distanzierten und in sich gekehrten Menschen. Ob es infolge der festgestellten Auffälligkeiten bei dem Angeklagten zu zeitlich stabilen und gewichtigen Beeinträchtigungen der sozialen Kompetenz gekommen ist, kann den Urteilsgründen auch im Übrigen nicht entnommen werden. Die getroffenen Feststellungen zur Person des Angeklagten (Schulbesuch, gute Einbindung in eine große Familie mit übernommener Vorbildfunktion für jüngere Geschwister, eine geringfügige Vorahndung wegen Diebstahls, intensiver Mannschaftssport, Freundeskreis etc.) geben keine Hinweise auf eine gravierende Einschränkung der sozialen Anpassungsfähigkeit.
12
bb) Auch die Frage, ob die Steuerungsfähigkeit bei der Tat infolge der festgestellten „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert war, hat der Tatrichter ohne Bindung an die Äußerungen des Sachverständigen wertend zu beantworten (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2009 – 2 StR 383/09, NStZ-RR 2010, 73, 74; Urteil vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 53; Urteil vom 26. April 1955 – 5 StR 86/55, BGHSt 8, 113, 124; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 21 Rn. 7 mwN) und in den Urteilsgründen darzulegen. Wird die Annahme einer anderen schweren seelischen Abartigkeit aus dem Vorliegen einer schizoiden Persönlichkeitsstörung hergeleitet, bedarf es dabei einer erkennbaren Abgrenzung gegenüber Verhaltensweisen, die sich noch innerhalb der Bandbreite menschlichen Verhaltens bewegen und Ursache für strafbares Tun sein können, ohne dass sie die Schuldfähigkeit „erheblich“ im Sinne des § 21 StGB berühren (BGH, Beschluss vom 25. September 2003 – 4 StR 316/03, NStZ-RR 2004, 38, 39). Auch insoweit fehlt es an ausreichenden Darlegungen. Nach den Feststellungen beging der Angeklagte sämtliche Taten, um sich Geld für den Kauf von Designerbekleidung zu verschaffen. Warum sich in dieser Tatmotivation die geschilderten Auffälligkeiten widerspiegeln, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen.
13
2. Die Aufhebung des Maßregelausspruchs hat aufgrund des bestehenden inneren Zusammenhangs (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Dezember 1997 – 4 StR 581/97, StV 1998, 342, 343) auch die Aufhebung der Entscheidung nach § 5 Abs. 3 JGG zur Folge.
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Der Umstand, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht dem nicht entgegen. Wird die Anordnung einer Unterbringung nach § 63 StGB allein auf eine Revision des Angeklagten hin aufgehoben, hindert das Schlechterstellungsverbot den neuen Tatrichter nicht daran, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO). Dies gilt nach § 2 Abs. 2 JGG auch im Jugendverfahren (Diemer/Schatz/Sonnen,JGG, 6. Aufl., § 55 Rn. 50). Hat der erste Tatrichter wegen der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 5 Abs. 3 JGG von der Verhängung einer Jugendstrafe abgesehen, ist dem neuen Tatrichter die Verhängung einer an die Stelle der Unterbringungsanordnung tretenden Jugendstrafe aber nur dann möglich, wenn auf die Revision des Angeklagten mit dem rechtsfehlerhaften Maßregelausspruch auch die Entscheidung nach § 5 Abs. 3 JGG in Wegfall kommt. Die Rechtslage unterscheidet sich hier nicht durchgreifend von den bereits mehrfach entschiedenen Fällen, in denen auf die erfolgreiche Revision eines wegen Schuldunfähigkeit freigesprochenen, aber nach § 63 StGB untergebrachten Angeklagten auch der Freispruch aufzuheben ist, um dem neuen Tatrichter die durch § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO eröffnete Möglichkeit einer Bestrafung zu erhalten, wenn sich nunmehr die Schuldfähigkeit des Angeklagten herausstellen sollte (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12, Tz. 13; Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; Beschluss vom 14. September 2010 – 5 StR 229/10, Tz. 11; Beschluss vom 27. Oktober 2009 – 3 StR 369/09, Tz. 9). Der Umstand, dass der Gesetzgeber bei der Einführung des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO nur die letztgenannte Fallkonstellation vor Augen hatte (vgl. BT-Drs. 16/1344, S. 17; Schneider, NStZ 2008, 68, 73), stellt eine Anwendung dieser Vorschrift nicht in Frage. Erklärtes Ziel der Regelung des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO ist es, die nicht hinnehmbare Konsequenz zu vermeiden, dass eine Straftat nur deshalb ohne strafrechtliche Sanktion bleibt, weil nach dem durch eine erfolgreiche Revision des Angeklagten bewirkten Wegfall der alleinigen Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus die Art der Rechtsfolgen aufgrund des Verschlechterungsverbots (§ 358 Abs. 1 Satz 1 StPO) nicht mehr zum Nachteil des Angeklagten verändert werden darf (vgl. BT-Drs. 16/1344, S. 17). Dem entspricht auch der hier zu entscheidende Fall.
RiBGH Dr. Mutzbauer ist Roggenbuck Franke urlaubsabwesend und daher an der Unterschrift gehindert. Roggenbuck
Quentin Reiter

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.