Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 318/18
vom
9. Oktober 2018
in der Strafsache
gegen
wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge
ECLI:DE:BGH:2018:091018B4STR318.18.1

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 9. Oktober 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 16. April 2018, soweit es den Angeklagten betrifft,
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmittel in nicht geringer Menge in zwei Fällen schuldig ist;
b) im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen unerlaubten Anbaus von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und zehn Monaten verurteilt und ein Grundstück des Angeklagten eingezogen. Des Weiteren hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt , dass ein Jahr und elf Monate der Gesamtfreiheitsstrafe vor der Maßregel zu vollstrecken sind. Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel führt zu einer Schuldspruchänderung und zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs; im Übrigen erweist es sich als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Nach den Feststellungen erfolgte die Aufzucht der Marihuanapflanzen in der Plantage jeweils zum Zwecke des späteren gewinnbringenden Absatzes der geernteten Pflanzen. Bei dieser Sachlage erfüllt der Anbau bereits den Tatbestand des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und geht als unselbständiger Teilakt in der Bewertungseinheit des Handeltreibens auf (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 20. Dezember 2012 – 3 StR 407/12, BGHSt 58, 99, 101; Weber, BtMG, 5. Aufl., § 29 Rn. 121 mwN). Der Angeklagte hat sich damit des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen schuldig gemacht. Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ; § 265 StPO steht nicht entgegen.
3
2. Der Strafausspruch und die Einziehungsentscheidung haben keinen Bestand, weil die Strafkammer die Wechselwirkung zwischen Strafe und Einziehung nicht bedacht hat.
4
Die Einziehung des zur Tatbegehung genutzten Grundstücks des Angeklagten hat das Landgericht rechtlich zutreffend auf § 74 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I, 872) gestützt. Eine Maßnahme nach dieser Vorschrift hat – ebenso wie nach alter Rechtslage – den Charakter einer Nebenstrafe und stellt damit eine Strafzumessungsentscheidung dar (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Mai 2018 – 3 StR 8/18, NStZ 2018, 526). Wird dem Täter auf diese Weise ein ihm zustehender Gegenstand von nicht unerheblichem Wert entzogen, so ist dies deshalb ein bestimmender Gesichtspunkt für die Bemessung der daneben zu verhängenden Strafe und insoweit im Wege einer Gesamtbetrachtung der den Täter treffenden Rechtsfolgen angemessen zu berücksichtigen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 26. April 1983 – 1 StR 28/83, NJW 1983, 2710; vom 3. Mai 2018 – 3 StR 8/18, aaO mwN). Das Landgericht hat den Wert des eingezogenen Grundstücks nicht festgestellt und die Einziehung bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer bei Beachtung der dargelegten Grundsätze zu milderen Strafen gelangt wäre. Infolge des inneren Zusammenhangs zwischen Strafausspruch und Einziehung unterliegt auch die Einziehungsentscheidung der Aufhebung.
5
3. Der Maßregelausspruch hält ebenfalls einer rechtlichen Prüfung nicht stand. In den Urteilsgründen wird weder das Vorliegen eines Hangs im Sinne des § 64 StGB noch der erforderliche symptomatische Zusammenhang zwischen dem angenommenen Hang und den abgeurteilten Taten tragfähig belegt.
6
Das Landgericht, das zum Konsumverhalten des Angeklagten lediglich festgestellt hat, dass der Angeklagte ab dem Alter von 15 Jahren bis heute regelmäßig Cannabis raucht und daneben in wechselnder Ausprägung Alkohol konsumiert, hat sich die Bewertung des Sachverständigen zu eigen gemacht, wonach beim Angeklagten ausweislich der umfangreich durchgeführten Drogenanamnese eine Alkohol- und Cannabisabhängigkeit gegeben sei. Zu den tatsächlichen Grundlagen dieser Einschätzung des Sachverständigen verhält sich das Urteil nicht. Beschränkt sich der Tatrichter – wie hier – darauf, sich ohne eigene Erwägungen einem Sachverständigengutachten anzuschließen, ist er aber aus Gründen sachlichen Rechts regelmäßig gehalten, die für die Schlussfolgerungen des Sachverständigen maßgeblichen Anknüpfungs- und Befundtatsachen insoweit in den Urteilsgründen mitzuteilen, als dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner gedanklichen Schlüssigkeit im Revisionsrechtszug erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 18. Dezember 1958 – 4 StR 399/58, BGHSt 12, 311, 314 f.; vom 23. September 1997 – 4 StR 433/97, NStZ 1998, 83; vom 30. Juli 2013 – 4 StR 275/13, NStZ 2014, 36, 37; Ott in KK-StPO, 7. Aufl., § 261 Rn. 32 mwN). Dem ist das Landgericht nicht gerecht geworden. Des Weiteren wird der für die Anordnung nach § 64 StGB erforderliche symptomatische Zusammenhang zwischen (angenommenem ) Hang und den abgeurteilten Taten in den Ausführungen des angefochtenen Urteils nicht tragfähig dargetan. Allein die von der Strafkammer übernommene Wertung des Sachverständigen, wonach es basierend auf dem Hang zu dem Tatgeschehen, welches gerade den Aufbau und Betrieb einer Cannabisplantage zum Inhalt gehabt habe, gekommen sei, reicht hierfür nicht ansatzweise aus.
7
4. Für die im Ermessen des neuen Tatrichters stehende Entscheidung über die Einziehung des zur Tatbegehung genutzten Grundstücks des Angeklagten verweist der Senat auf die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 31. März 2016 – 2 StR 243/15 (NStZ 2017, 89) und 2. April 2015 – 3 StR 197/14 (Rn. 22 ff., insoweit in NStZ 2015, 636 nicht abgedruckt).
Sost-Scheible Cierniak Franke
Bender Quentin

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 407/12
vom
20. Dezember 2012
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja (nur B. II. 2. der Urteilsgründe)
Veröffentlichung: ja
___________________________________
Bei einem auf spätere Veräußerung zielenden Anbau von Cannabispflanzen ist für
die Abgrenzung des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
BtMG) vom Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a
Abs. 1 Nr. 2 BtMG) die Menge maßgeblich, die mit der bereits begonnenen Aufzucht
der Pflanzen letztlich erzielt und gewinnbringend veräußert werden soll.
BGH, Urteil vom 20. Dezember 2012 - 3 StR 407/12 - LG Hannover
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
5.
wegen zu 1. und 3.: Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
zu 2., 4. und 5.: Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. Dezember
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Dr. Schäfer,
Mayer,
Gericke
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten P. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten T. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger der Angeklagten Sch. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwalt- schaft wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 27. Februar 2012 aufgehoben und das Verfahren eingestellt, soweit die Angeklagten jeweils hinsichtlich der sichergestellten letzten Anpflanzungen verurteilt worden sind; insoweit fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten der Staatskasse zur Last. 2. Soweit die Angeklagten im Übrigen verurteilt worden sind, wird das Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) auf die Revision der Staatsanwaltschaft,
b) auf die Revisionen der Angeklagten T. sowie P. insofern , als diese wegen der Taten 3. bis 8. verurteilt worden sind, und
c) auf die Revisionen der Angeklagten S. sowie Sch. in dem diese jeweils betreffenden Umfang. 3. Die weitergehenden Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Angeklagten T. , P. sowie Y. werden verworfen. 4. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat - nach der Entscheidungsformel seines Urteils - - die Angeklagten T. und P. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen und Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu Gesamtfreiheitsstrafen von jeweils drei Jahren und elf Monaten, - den Angeklagten S. wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen und Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, - den Angeklagten Y. wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten und - die Angeklagte Sch. wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechs Fällen und Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der gegen die Angeklagten S. , Y. und Sch. verhängten Strafen hat es ebenso zur Bewährung ausgesetzt wie die Vollstreckung der gegen den Angeklagten S. zudem angeordneten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. Ferner hat es gegen die Angeklagten T. und P. gesamtschuldnerisch den Verfall von Wertersatz in Höhe von 48.600 € angeordnet. Schließlich hat es die Angeklagten von weiteren Tatvorwürfen freigesprochen.
2
Die Staatsanwaltschaft stützt ihre zuungunsten der Angeklagten eingelegte Revision auf eine Verfahrensrüge und die Sachrüge. Sie wendet sich gegen die Freisprüche und beanstandet zudem vor allem, dass die Angeklagten P. , T. und S. nicht wegen bandenmäßiger Begehungsweise verurteilt wurden. Die gegen die Verurteilungen gerichteten Revisionen der Angeklagten rügen jeweils die Verletzung materiellen Rechts, die Angeklagten P. , T. und S. erheben zudem zwei identische Verfahrensrügen. Die Revisionen der Angeklagten Sch. und S. haben insgesamt Erfolg, die übrigen Revisionen jeweils nur in dem sich aus der Urteilsformel ergebenden Umfang.

A.

3
Das Landgericht hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
Die Angeklagten T. und P. mieteten unter fremden Namen von der Angeklagten Sch. in H. eine Wohnung (Nr. 106) an, um darin Cannabispflanzen anzubauen und das geerntete Cannabis zur Aufbesserung ihrer finanziellen Lage zu verkaufen. An der Vermietung war der Angeklagte Y. , der damalige Lebensgefährte der Angeklagten Sch. , beteiligt; er hatte auch Kenntnis von der geplanten Nutzung der Wohnung. Von Mitte April 2009 bis Anfang Dezember 2009 pflanzten die Angeklagten T. und P. zweimal achtzig Cannabissetzlinge, ernteten zumindest einmal die Pflanzen und erzielten dabei 2 kg Marihuana mit einem Wirkstoffanteil von zehn Prozent Tetrahydrocannabinol (THC), das sie - wie von Beginn an geplant - verkauften. Die zweite Anpflanzung ging ein und erbrachte keinen Ertrag. Der Angeklagte Y. war an der Pflege der Pflanzen beteiligt. Im Herbst 2009 erfuhr die An- geklagte Sch. , zu welchem Zweck und von wem die Wohnung genutzt wurde , tolerierte jedoch den Anbau, da sie sich auf die Mietzahlungen angewiesen fühlte.
5
Im November 2009 mieteten die Angeklagten T. und P. eine weitere Wohnung (Nr. 127) im selben Haus von der Angeklagten Sch. , um dort ebenfalls eine Cannabisplantage zu errichten. Etwa Anfang 2010 pflanzten die Angeklagten P. und T. zeitgleich in den beiden Wohnungen Cannabispflanzen an. Während der Angeklagte Y. weiterhin lediglich die Plantage in der zuerst angemieteten Wohnung mit betreute, half der Angeklagte S. im Jahr 2010 in beiden Wohnungen. Im April 2010 sowie August 2010 kam es jeweils zu Aberntungen und - nach vollständigem Verkauf - zu Neuanpflanzungen. Als am 19. September 2010 die beiden Plantagen entdeckt und die Pflanzen sichergestellt wurden, waren demnach seit Jahresbeginn in beiden Wohnungen jeweils zwei erfolgreiche Ernten durchgeführt worden. Der Ertrag betrug stets in der einen Wohnung 2 kg und in der anderen Wohnung 2,4 kg cannabishaltigen Materials mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 10 Prozent THC. Die in beiden Wohnungen sichergestellten Cannabissetzlinge wiesen eine Wirkstoffmenge von insgesamt 4,3 g THC auf.
6
Das Landgericht ist in den schriftlichen Urteilsgründen - abweichend von der Urteilsformel - davon ausgegangen, dass sich die Angeklagten P. und T. in den insgesamt fünf Fällen einer erfolgreichen Ernte des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und in den anderen drei Fällen, also hinsichtlich der im Jahr 2009 verkümmerten sowie der im September 2010 in beiden Wohnungen sichergestellten Pflanzen, des (gewerbsmäßigen ) Handeltreibens mit Betäubungsmitteln schuldig gemacht hätten. Die Beiträge des Angeklagten S. seien (hinsichtlich der erfolgreichen Ernten im Jahr 2010) als Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht gerin- ger Menge in vier Fällen und (hinsichtlich der sichergestellten Pflanzen) als Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu werten, die Beiträge des Angeklagten Y. entsprechend als Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen und als Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen. Die Angeklagte Sch. habe sich wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen und Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in drei Fällen strafbar gemacht. Da sie ab Herbst 2009 von der Anpflanzung in der zuerst vermieteten Wohnung gewusst habe, habe sie sich insoweit durch Unterlassen strafbar gemacht, weil sie als "Wohnungsinhaberin" verpflichtet gewesen sei, gegen die zweckentfremdete Nutzung einzuschreiten.
7
Im Übrigen wurden die Angeklagten freigesprochen, soweit ihnen im Hinblick auf einen zunächst angenommenen kürzeren Erntezyklus weitere Anpflanzungen in den beiden von der Angeklagten Sch. vermieteten Wohnungen zur Last gelegt worden waren.
8
Darüber hinaus hat das Landgericht die Angeklagten P. , T. und S. von dem Vorwurf freigesprochen, sie hätten von Oktober 2009 bis September 2010 in einem anderen Haus eine weitere Indoor-Plantage betrieben und dort vier Mal Cannabis geerntet.
B. Revision der Staatsanwaltschaft
9
I. Das Verfahren ist gemäß § 354 Abs. 1, § 260 Abs. 3 StPO einzustellen , soweit das Landgericht die Angeklagten wegen der letzten beiden Anpflanzungen , die nicht mehr abgeerntet, sondern sichergestellt wurden, verurteilt hat (nach den Urteilsgründen die Angeklagten P. und T. wegen Handeltrei- bens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen, die Angeklagten S. und Sch. wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen sowie den Angeklagten Y. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln). Insofern besteht ein Verfahrenshindernis, weil die Taten nicht Gegenstand der Anklage sind und eine Nachtragsanklage (§ 266 StPO) nicht erhoben worden ist.
10
1. Die Urteilsfindung hat die Tat im verfahrensrechtlichen Sinne zum Gegenstand (§ 264 Abs. 1 StPO). Diese bestimmt sich nach dem von der zugelassenen Anklage umschriebenen geschichtlichen Vorgang, innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll. Sie erstreckt sich auf das gesamte Verhalten des Täters, das nach natürlicher Auffassung ein mit diesem geschichtlichen Vorgang einheitliches Geschehen bildet (vgl. BGH, Beschluss vom 27. November 2011 - 3 StR 255/11, NStZ 2012, 168, 169). Liegen nach dieser Maßgabe verschiedene Lebenssachverhalte und mithin mehrere selbständige prozessuale Taten vor, so sind diese nur dann vollumfänglich Gegenstand der Urteilsfindung, wenn sich nach dem aus der Anklageschrift erkennbaren Willen der Staatsanwaltschaft ergibt, dass sie sämtlich einer Aburteilung zugeführt werden sollen (vgl. BGH, Urteil vom 15. Mai 1997 - 1 StR 233/96, BGHSt 43, 96, 99 ff.).
11
2. Die insoweit unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage hat in Bezug auf die beiden Wohnungen, welche die Angeklagte Sch. vermietete , insgesamt neun Cannabis-Ernten zum Gegenstand, nämlich sechs Ernten in der ersten und drei Ernten in der zweiten Wohnung. Den Angeklagten P. , T. und S. ist zur Last gelegt worden, ab Mitte März 2009 alle drei Monate eine Ernte von mindestens 2,5 kg Marihuana erzielt zu haben, wozu die Angeklagte Sch. in allen neun Fällen und der Angeklagte Y. in sechs Fällen Beihilfe geleistet haben sollen. Die letzten Anpflanzungen von nicht geernteten und später sichergestellten Cannabissetzlingen werden im Anklagesatz nicht aufgeführt. Lediglich im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen wird zur Erläuterung der erzielten Erntemengen mitgeteilt, dass sich zum Zeitpunkt der Durchsuchungen eine bestimmte Anzahl von Setzlingen in den Wohnungen befunden habe.
12
Danach stellt die jeweils letzte Anpflanzung in den beiden Wohnungen weder eine einheitliche prozessuale Tat mit den vorangegangenen Anpflanzungen dar noch wird deutlich, dass sich der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft hierauf erstreckte. Vielmehr richtete er sich lediglich auf diejenigen Anbauvorgänge im Tatzeitraum, die der letzten, sodann sichergestellten Anpflanzung vorausgingen.
13
a) Das konkrete Vorkommnis, auf das sich die Urteilsfindung bezieht, ist danach jeweils der Anbau und die drei Monate später durchgeführte Ernte von Cannabispflanzen, die in der einen Wohnung Mitte März 2009 und in der anderen Wohnung im Dezember 2009 begannen. Allein dadurch, dass Anbau und Ernte in denselben Wohnungen mehrfach hintereinander stattgefunden haben sollen, ergibt sich noch kein einheitlicher Vorgang. Da die jeweiligen Anpflanzungen mit der Ernte ihr Ende fanden und es danach zu Neuanpflanzungen kam, stellt sich die getrennte Betrachtung der verschiedenen Anpflanzungen gerade nicht als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juli 1987 - 3 StR 36/87, BGHSt 35, 14, 17), sondern als sachlich naheliegend dar.
14
Dies entspricht auch der Beurteilung in materiellrechtlicher Hinsicht. So sind gesonderte Anbauvorgänge, die auf gewinnbringende Veräußerung der dadurch erzeugten Betäubungsmittel abzielen, grundsätzlich als für sich selbständige , zueinander in Tatmehrheit stehende Taten des Handeltreibens zu bewerten (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juni 2011 - 3 StR 485/10, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Konkurrenzen 11 mwN).
15
b) Daraus, dass die Anklageschrift im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen die Anzahl der in den Wohnungen aufgefundenen Setzlinge mitteilt, ergibt sich noch kein Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft. Da diese letzten Anpflanzungen weder in abstrakter noch in konkreter Weise Eingang in den Anklagesatz gefunden haben, ist angesichts der näheren Umstände davon auszugehen, dass sie lediglich zur Schilderung der Tathintergründe in das Ermittlungsergebnis aufgenommen wurden, ohne dass die Staatsanwaltschaft sie zur Anklage bringen wollte.
16
3. Das Verfahren ist daher insoweit auf Kosten der Staatskasse (§ 467 Abs. 1 StPO) einzustellen. Die zulasten der Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft wirkt sich insoweit zu deren Gunsten aus (§ 301 StPO). Die Einstellung steht einer Anklageerhebung hinsichtlich der bislang nicht angeklagten Taten (und einer etwaigen Verbindung mit dem hiesigen Verfahren) nicht entgegen.
17
II. Soweit das Landgericht die Angeklagten verurteilt hat und das Verfahren nicht eingestellt ist, ist das Urteil bereits deshalb aufzuheben, weil das Landgericht ein Handeln der Angeklagten als Bandenmitglieder nicht rechtsfehlerfrei verneint hat (unten zu 1.). Zudem hat es nicht bedacht, dass bei dem auf den späteren Weiterverkauf gerichteten Cannabisanbau ein Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Umständen bereits vorliegen kann, bevor die Wirkstoffmenge der aufgezogenen Pflanzen den Grenzwert der nicht geringen Menge erreicht (zu 2.). Ferner tragen die Feststellungen nicht die konkurrenzrechtliche Bewertung, dass die Tatbeiträge der Angeklagten P. , T. , S. und Sch. in Bezug auf jeweils parallele Anbauvorgänge in zwei Wohnungen als Tatmehrheit zu werten seien (zu 3.). Schließlich sind die die Angeklagte Sch. betreffenden Schuldsprüche auch deshalb nicht hinreichend belegt, weil - soweit eine Strafbarkeit wegen Unterlassens angenommen wurde - eine Garantenstellung nicht dargetan ist und - soweit ihr Tatbeitrag im Übrigen in der Vermietung einer weiteren Wohnung lag - jeweils einzelne, die verschiedenen Haupttaten fördernde Handlungen fehlen, die für die Annahme einer tatmehrheitlichen Beihilfe erforderlich wären (zu 4.).
18
1. Die Begründung, mit der das Landgericht das Vorliegen einer Bande oder möglicherweise mehrerer Banden abgelehnt hat, ist nicht tragfähig.
19
a) Da die Staatsanwaltschaft die Sachrüge ausdrücklich "umfassend erhoben" hat, hat der Senat nicht allein die von der Revision der Staatsanwaltschaft ausdrücklich erörterte bandenmäßige Begehungsweise durch die Angeklagten T. , P. und S. , sondern auch eine etwaige Bandenmitgliedschaft der weiteren Angeklagten Sch. und Y. zu prüfen.
20
b) Eine Bande im Sinne von § 30 Abs. 1 Nr. 1, § 30a Abs. 1 BtMG setzt den Zusammenschluss von mindestens drei Personen voraus, die sich mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbständige, im Einzelnen noch ungewisse der im Gesetz genannten Betäubungsmitteldelikte zu begehen. Dabei kann Mitglied einer Bande auch derjenige Tatbeteiligte sein, dem nach der Bandenabrede nur Aufgaben zufallen, die sich bei wertender Betrachtung als Gehilfentätigkeit darstellen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2002 - 4 StR 499/01, BGHSt 47, 214; Urteil vom 23. April 2009 - 3 StR 83/09, BGHR BtMG § 30 Abs. 1 Nr. 1 Bande 9).
21
Daher sind die von der Kammer herangezogenen Umstände, dass die Angeklagten S. und Y. lediglich Hilfsarbeiten erbrachten, keinen bestimmenden Einfluss auf die Aufzucht der Pflanzen sowie den An- und Ver- kauf hatten, sich ihr Interesse allein auf cannabishaltiges Material zum Eigenkonsum erstreckte und sie keinen Gewinnanteil erhielten, für das Vorliegen einer Bande nicht maßgeblich und schließen eine solche nicht aus. Vielmehr kann insbesondere das wiederholte deliktische Zusammenwirken - wenn auch nicht ohne Weiteres - für eine zumindest stillschweigende Bandenabrede sprechen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Januar 2002 - 4 StR 499/01, BGHSt 47, 214, 220; vom 10. November 2011 - 3 StR 355/11, NStZ 2012, 518; Urteil vom 23. April 2009 - 3 StR 83/09, BGHR BtMG § 30 Abs. 1 Nr. 1 Bande 9). Dass sämtliche Angeklagte sich untereinander kennen und gemeinsam an der Abrede beteiligt waren, ist dafür nicht erforderlich (s. BGH, Urteil vom 23. April 2009 - 3 StR 83/09 aaO).
22
Da das Landgericht somit bei der Prüfung der Bande rechtlich unzutreffende Maßstäbe zugrunde gelegt hat und nicht auszuschließen ist, dass sich die Voraussetzungen einer Bande feststellen lassen, ist das Urteil aufzuheben, soweit das Landgericht die Angeklagten verurteilt hat und das Verfahren nicht einzustellen war. Dies betrifft sämtliche Angeklagte, auch die Angeklagte Sch. . Zwar hat diese nach den bisherigen Feststellungen lediglich einmal die weitere Wohnung zum Cannabisanbau zur Verfügung gestellt, so dass eine Bandenmitgliedschaft weniger naheliegt als bei den anderen Angeklagten. Indes kann der Senat nicht mit Sicherheit ausschließen, dass sich eine Bandenmitgliedschaft belegen lassen könnte, wenn das Landgericht in diesem Zusammenhang von den zutreffenden rechtlichen Maßstäben ausgeht.
23
2. Ein Rechtsfehler ist ferner darin zu sehen, dass das Landgericht im Falle der Missernte nicht von einem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (oder gegebenenfalls einer Beihilfe dazu) ausgegangen ist.
24
a) Das Landgericht hat im Ansatz zutreffend gesehen, dass es für ein vollendetes Handeltreiben ausreichen kann, dass Cannabissetzlinge mit dem Ziel einer späteren Ernte und des gewinnbringenden Weiterverkaufs angepflanzt werden, auch wenn es dazu letztlich nicht mehr kommt. Der Begriff des Handeltreibens ist umfassend dahin zu verstehen, dass er jede eigennützige auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit umfasst, soweit es sich nicht lediglich um typische Vorbereitungen handelt, die weit im Vorfeld des beabsichtigten Güterumsatzes liegen (BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2005 - GSSt 1/05, BGHSt 50, 252, 256, 265 f.). Demgemäß geht der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass bereits die Aufzucht von Cannabispflanzen den Tatbestand des Handeltreibens erfüllen kann, wenn der Anbau - wie hier - auf die gewinnbringende Veräußerung der herzustellenden Betäubungsmittel zielt (vgl. BGH, Beschluss vom 3. August 2011 - 2 StR 228/11, NStZ 2012, 43 mwN; Weber, BtMG, 3. Aufl., § 29 Rn. 109; Körner /Patzak, BtMG, 7. Aufl., § 29 Rn. 98; MüKoStGB/Rahlf, 1. Aufl., § 29 BtMG Rn. 92).
25
b) Stellt bereits die Aufzucht ein Handeltreiben dar, kommt es konsequenterweise für die Beurteilung der Handelsmenge wie auch sonst nicht entscheidend darauf an, welchen Wirkstoffgehalt die angebauten Pflanzen konkret haben, sondern auf welchen geplanten Umsatz die Aufzucht gerichtet ist.
26
aa) Der Bundesgerichtshof hat bereits mehrfach entschieden, dass bei einem auf spätere Veräußerung zielenden Anbau von Cannabispflanzen bis in das Stadium, in dem sie eine nicht geringe Menge THC enthalten, ein unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Betracht kommen kann (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juli 2005 - 2 StR 192/05, NStZ 2006, 578, 579; Beschluss vom 12. Januar 2005 - 1 StR 476/04, BGHR BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 2 Handeltreiben 4). Auch wenn die dort gewählten Formulierungen sich dahin verstehen lassen können, Voraussetzung einer solchen Strafbarkeit sei stets, dass die Pflanzen bereits eine nicht geringe Menge THC aufweisen, verhalten sich die Entscheidungen dazu nicht näher. Diese Frage war für die Entscheidungen unerheblich, da die Pflanzen dort jeweils einen den Grenzwert der nicht geringen Menge übersteigenden Wirkstoffgehalt enthielten.
27
Der Senat folgt für die hier in Rede stehende Fallkonstellation seiner in einer früheren Entscheidung (Beschluss vom 28. Oktober 2008 - 3 StR 409/08, BGHR BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 2 Handeltreiben 5) bereits angedeuteten Ansicht, dass für die Abgrenzung des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG vom Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) die Menge maßgeblich ist, die mit der bereits begonnenen Aufzucht der Pflanzen letztlich erzielt und gewinnbringend veräußert werden soll.
28
bb) Für ein solches Ergebnis spricht die Definition des Handeltreibens, nach der es nicht auf ein tatsächlich erfolgreiches Umsatzgeschäft, sondern auf ein Verhalten ankommt, das auf ein solches gerichtet ist. Dementsprechend ist anerkannt, dass ein als bindend gewollter Abschluss eines Erwerbsgeschäfts ein vollendetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln unabhängig davon darstellt , ob das zu liefernde Rauschgift überhaupt bereitsteht oder vorhanden ist (vgl. BGH, Urteil vom 14. April 1999 - 3 StR 22/99, NJW 1999, 2683, 2684 mwN; Beschluss vom 21. April 2009 - 3 StR 107/09, StraFo 2009, 344). Ähnlich war nach den Feststellungen auch hier die bereits begonnene Pflanzenaufzucht darauf gerichtet, letztlich mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel zu treiben.
29
cc) Durch die begonnene Aufzucht bestand zudem eine spezifische Gefährdungslage für das durch die §§ 29 ff. BtMG geschützte Rechtsgut (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 18. September 2006 - 2 BvR 2126/05, NJW 2007, 1193, 1194). Bei planmäßigem Verlauf wäre es - anders als in Fällen, in denen überhaupt noch keine Anpflanzung vorgenommen wurde (dazu etwa BGH, Urteil vom 15. März 2012 - 5 StR 559/11, NStZ 2012, 514 mit abl. Anm. Patzak) - ohne besondere weitere Zwischenschritte zur Ernte und zum Verkauf von Cannabis in nicht geringer Menge gekommen. Hinge in der vorliegenden Fallkonstellation die Strafbarkeit wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge davon ab, dass der Wirkstoffgehalt in den Pflanzen tatsächlich den Grenzwert bereits übersteigt, würde die besondere Gefährdung, die sich schon durch den auf die Weiterveräußerung nicht geringer Mengen gerichteten Anbau ergibt, nicht in ihrem ganzen Umfang erfasst.
30
3. Im Übrigen ergibt die Revision der Staatsanwaltschaft (zugunsten der Angeklagten T. , P. , S. und Sch. ), dass die Annahme von jeweils tatmehrheitlichem Handeltreiben hinsichtlich der zeitgleichen Aufzucht in verschiedenen Wohnungen durch die Feststellungen bislang nicht hinreichend belegt ist.
31
In rechtlicher Hinsicht ist davon auszugehen, dass gesonderte Anbauvorgänge , die auf die gewinnbringende Veräußerung der erzeugten Betäubungsmittel abzielen, grundsätzlich als für sich selbständige, zueinander in Tatmehrheit stehende Taten des Handeltreibens zu bewerten sind. Soweit der Täter allerdings mehrere der durch die einzelnen Anbauvorgänge erzielten Erträge in einem einheitlichen Umsatzgeschäft veräußert, führt dies zu einer Teilidentität der Ausführungshandlungen und verknüpft die Fälle des Handeltreibens zur Tateinheit (BGH, Beschluss vom 28. Juni 2011 - 3 StR 485/10, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Konkurrenzen 11).
32
Nach den Feststellungen des Landgerichts ist bereits zweifelhaft, ob überhaupt gesonderte Anbauvorgänge vorliegen, da die Setzlinge in zwei im selben Haus gelegenen Appartements jeweils zeitgleich angepflanzt wurden. Ein solcher paralleler Anbau in örtlicher Nähe kann - je nach den näheren Umständen des Einzelfalles - als ein einheitlicher Anbauvorgang zu bewerten sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Ausführungshandlungen teilweise identisch sind. So kann beispielsweise auch der einheitliche Einkauf von Setzlingen oder sonstigem Pflanzmaterial dafür sprechen, die gleichzeitigen Pflanzungen als einheitlichen Vorgang zu bewerten. Zu diesen nach der Sachlage naheliegenden Möglichkeiten sind bisher indes keine näheren Feststellungen getroffen.
33
Überdies hat die Kammer nicht in den Blick genommen, ob das gleichzeitig abgeerntete sowie in größeren Einzelmengen ab etwa 500 Gramm an unbekannt gebliebene Dritte veräußerte Cannabismaterial möglicherweise für den Verkauf zusammengeführt wurde und zumindest unter diesem Gesichtspunkt jeweils ein einziger Fall des Handeltreibens vorliegt.
34
Somit bedarf die Sache auch insofern neuer Verhandlung und Entscheidung , als die Kammer hinsichtlich der jeweils parallelen Anpflanzungen in den beiden im selben Haus gelegenen Wohnungen von Tatmehrheit ausgegangen ist.
35
4. Unabhängig davon ist der Schuldspruch zu Lasten der Angeklagten Sch. auch aus anderen Gründen nicht frei von Rechtsfehlern.
36
a) Das Landgericht ist davon ausgegangen, die Angeklagte Sch. habe sich hinsichtlich des in der zunächst vermieteten Wohnung gepflanzten Cannabis wegen Beihilfe durch Unterlassen strafbar gemacht, weil sie nicht gegen die Nutzung der Wohnung zum Anbau von Cannabispflanzen eingeschritten sei, nachdem sie von dieser erfahren habe. Jedoch ergibt sich nicht, wieso die Angeklagte zum Einschreiten rechtlich im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB verpflichtet war. Allein aus der Stellung als Wohnungsinhaber oder Vermieter folgt eine solche Pflicht im Allgemeinen nicht (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 17. November 2011 - 2 StR 348/11, NStZ-RR 2012, 58 f.; vom 12. Februar 2009 - 3 StR 12/09, NStZ-RR 2009, 184; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 13 Rn. 62; Weber, BtMG, 3. Aufl., § 29 Rn. 51 ff., 85 f.). Das angefochtene Urteil legt nicht näher dar, auf welcher rechtlichen Grundlage sich eine solche Pflicht in dem Fall ergeben soll, dass eine Wohnung "völlig zweckentfremdet" und nicht mehr zu Wohnzwecken genutzt wird. Soweit die Angeklagte nach öffentlichem Recht (etwa § 61 NBauO) für den Zustand der Wohnung verantwortlich sein könnte, ergibt sich daraus nicht ohne Weiteres, dass sie damit zugleich auch für die Abwendung des straftatbestandlichen Erfolges des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln einzustehen hat.
37
Soweit eine Strafbarkeit der Angeklagten Sch. wegen eines Betäubungsmitteldelikts ausscheidet, ist eine etwaige Strafbarkeit wegen Geldwäsche (§ 261 Abs. 2 StGB) in Bedacht zu nehmen, weil die Angeklagte - so die bisherigen Feststellungen - nach Kenntnis vom Cannabisanbau weiterhin Miete erhielt (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., § 261 Rn. 39) und das Geld aus dem Verkaufserlös der ersten Ernte stammen könnte.
38
b) Da die Angeklagte Sch. die weitere Wohnung in Kenntnis des beabsichtigten Verwendungszwecks vermietete, kann dies zwar grundsätzlich für eine Strafbarkeit wegen Beihilfe durch aktives Tun ausreichen, ohne dass es auf eine Garantenpflicht ankommt. Auf Bedenken stößt insofern aber die konkurrenzrechtliche Bewertung.
39
Bei einer Deliktserie unter Beteiligung mehrerer Personen ist die Frage, ob die einzelnen Taten tateinheitlich oder tatmehrheitlich zusammentreffen, für jeden einzelnen Beteiligten gesondert zu prüfen und dabei auf seinen individuellen Tatbeitrag abzustellen. Erbringt ein Gehilfe Tatbeiträge, durch die alle oder mehrere Taten der Haupttäter gleichzeitig gefördert werden, so sind ihm die gleichzeitig geförderten einzelnen Straftaten als tateinheitlich begangen zuzurechnen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juni 2004 - 3 StR 344/03, NJW 2004, 2840, 2841 mwN).
40
Nach diesen Maßstäben ergeben die Feststellungen nicht, dass die Angeklagte Sch. im Zusammenhang mit der später vermieteten Wohnung je individuelle, tatmehrheitliche Unterstützungshandlungen für jede aus dieser Wohnung gewonnene Ernte und damit zu den einzelnen Fällen des Handeltreibens geleistet hätte. Die Angeklagte vermietete lediglich die Wohnung in Kenntnis der Tatsache, dass diese zur Aufzucht und zum dauerhaften Betrieb einer Indoor-Plantage genutzt werden sollte. Dass sie im Folgenden Tatbeiträge in Bezug auf die verschiedenen einzelnen Anpflanzungen erbrachte, ist nicht ersichtlich. Es liegt somit nur eine Beihilfehandlung vor (Fischer, StGB, 60. Aufl., § 27 Rn. 31 mwN).
41
5. Weil das Urteil aus den dargelegten Gründen auf die Revision der Staatsanwaltschaft insgesamt aufzuheben war, soweit die Angeklagten verurteilt worden sind, bedarf keiner näheren Erörterung, dass die rechtliche Würdigung in den Gründen des angefochtenen Urteils nicht mit den in der Urteilsformel aufgeführten Schuldsprüchen übereinstimmt.
42
III. Soweit die Angeklagten hinsichtlich weiterer ihnen zur Last gelegter Anpflanzungen in den beiden von der Angeklagten Sch. vermieteten Wohnungen freigesprochen worden sind, ist dies rechtsfehlerfrei. Das Landgericht hat hinreichend dargelegt, aus welchen Gründen es im Tatzeitraum nicht zu über die festgestellte Aufzucht hinausgehenden Anpflanzungen gekommen und eine Beteiligung der Angeklagten S. sowie Sch. an den ersten Taten nicht festzustellen ist.
43
IV. Die von der Staatsanwaltschaft erhobenen verfahrensrechtlichen und materiellrechtlichen Beanstandungen, mit denen sie sich gegen den - eine Plantage in einer dritten Wohnung betreffenden - Teilfreispruch der Angeklagten P. , T. und S. wendet, haben keinen Erfolg.
44
1. Mit der Verfahrensrüge beanstandet die Revision vergeblich, dass das Landgericht einen Antrag auf Inaugenscheinnahme überwachter Telefongespräche aus tatsächlichen Gründen als für die Entscheidung bedeutungslos abgelehnt hat (§ 244 Abs. 3 Satz 2 Var. 2 StPO). Die Rüge ist jedenfalls unbegründet.
45
Der Beschluss, mit dem das Landgericht die begehrte Inaugenscheinnahme abgelehnt hat, genügt den an diesen zu stellenden Anforderungen: Er führt die Erwägungen auf, aus denen das Tatgericht den unter Beweis gestellten Gesprächen keine Bedeutung für den Schuldspruch beimisst, und wahrt dabei die zu beachtenden Darlegungserfordernisse, die grundsätzlich denjenigen bei der Würdigung von durch die Beweisaufnahme gewonnenen Indiztatsachen in den Urteilsgründen entsprechen (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 22. November 2007 - 3 StR 430/07, NStZ 2008, 299 mwN).
46
Das Landgericht hat im Hinblick auf die weitere Beweislage dargelegt, aus welchen Gründen es von einer Plantage in der in einem anderen Haus gelegenen dritten Wohnung auch dann nicht überzeugt wäre, wenn sich die Angeklagten P. , S. und T. über die Räumung der Wohnung sowie die Entsorgung von "Kartons mit Töpfen" unterhalten hätten.
47
2. Der Teilfreispruch hält auch auf die Sachrüge revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denk- oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn das Tatgericht zu hohe Anforderungen an die Überzeugungsbildung stellt. Sind Rechtsfehler nicht gegeben, hat das Revisionsgericht die vom Tatrichter vorgenommene Würdigung hinzunehmen, auch wenn ein anderes Ergebnis ebenso möglich oder gar näherliegend gewesen wäre (st. Rspr.; z.B. BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326).
48
So liegt es hier. Das Landgericht hat sich mit den für und gegen einen Cannabisanbau sprechenden Indizien im Einzelnen auseinandergesetzt. Es hat die von der Revision hervorgehobenen Gesichtspunkte gesehen, ihnen aber insgesamt ein geringeres Gewicht beigemessen.
C. Revisionen der Angeklagten
49
I. Die Revisionen der Angeklagten T. sowie P. haben mit der Sachrüge teilweise Erfolg und führen zur Aufhebung des Urteils, soweit diese Angeklagten wegen der gleichzeitig in den beiden Wohnungen vorgenommenen Anpflanzungen verurteilt worden sind (Taten 3. bis 8. unter II. 4. der Urteilsgründe ). Im Übrigen ist ihre Revision (hinsichtlich der verbleibenden Taten 1. und 2. unter II. 2.) unbegründet. Insofern liegen weder die von beiden Angeklagten geltend gemachten Verfahrensfehler noch die Angeklagten beschwerende sachlichrechtliche Mängel vor. Hierzu im Einzelnen:
50
1. Die Schuldsprüche zu den letzten sechs Taten, welche die jeweils gleichzeitige Cannabisaufzucht in den beiden von der Angeklagten Sch. angemieteten Wohnungen betrafen, können aus den bereits dargelegten Gründen nicht bestehen bleiben: Für die letzten beiden Taten, die der Verurteilung zugrundeliegen, fehlt es an einer Anklageerhebung als erforderliche Verfahrensvoraussetzung. Bei den anderen vier Taten ist die Annahme von Tatmehrheit nicht rechtsfehlerfrei dargetan, weil es sich bei den gleichzeitigen Anpflanzungen jeweils um eine Tat im materiellrechtlichen Sinne handeln kann und somit lediglich zwei statt vier selbständige Taten vorliegen können.
51
2. Die Verurteilungen der Angeklagten T. und P. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, weil sie im Jahr 2009 in der ersten angemieteten Wohnung einmal erfolgreich und einmal letztlich erfolglos Cannabispflanzen mit dem Ziel des gewinnbringenden Weiterverkaufs aufzogen, enthalten keine diese beschwerenden Rechtsfehler. Dass das Landgericht - wie bereits dargelegt - ein bandenmäßiges Handeln und bei dem fehlgeschlagenen Anbau ein Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nicht rechtsfehlerfrei abgelehnt hat, wirkt sich nicht zulasten der Angeklagten aus. Die beiden von ihnen in gleicher Weise erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.
52
a) Die Angeklagten beanstanden, dass das mit zwei Berufsrichtern besetzte Landgericht nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen sei, da nach Umfang und Schwierigkeit der Sache die Mitwirkung eines dritten Richters notwendig gewesen sei (§ 338 Nr. 1 StPO, § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG aF). Diese Rüge ist zulässig, aber unbegründet.
53
aa) Beide Angeklagten haben die mit Beschluss vom 7. September 2009 festgelegte Gerichtsbesetzung bereits vor der Vernehmung des ersten Ange- klagten zur Sache beanstandet und diese Beanstandung näher ausgeführt (§ 338 Nr. 1 Buchst. b, § 222b Abs. 1 StPO).
54
bb) Die Rüge, die Gerichtsbesetzung verstoße gegen § 76 Abs. 2 GVG aF, hat keinen Erfolg. Denn dazu wäre erforderlich, dass die Entscheidung der Strafkammer objektiv willkürlich ist, weil diese den ihr zustehenden Beurteilungsspielraum in unvertretbarer Weise überschritten hat (BGH, Urteil vom 23. Dezember 1998 - 3 StR 343/98, BGHSt 44, 328, 333; Beschluss vom 14. August 2003 - 3 StR 199/03, NJW 2003, 3644, 3645). Das ist nicht der Fall.
55
Wie sich insbesondere aus dem die Besetzungseinwände zurückweisenden Beschluss der Kammer ergibt, ist diese von den zutreffenden Maßstäben bei der Beantwortung der Frage ausgegangen, ob die Hinzuziehung eines dritten Richters notwendig erscheint. Dabei hat sie die Anzahl von fünf Angeklagten und zehn Verteidigern, der insgesamt 13 Delikte sowie der 22 Zeugen bedacht. Zudem hat sie berücksichtigt, dass die Anklagevorwürfe gegen die Angeklagten weitgehend gleichgelagert waren, die Hinzuziehung von Dolmetschern entbehrlich war, die Akten vier Bände nebst einigen Sonderheften umfassten , sich zwei Angeklagte im Ermittlungsverfahren umfangreich eingelassen hatten und zwei gegebenenfalls einzuholende Sachverständigengutachten keinen besonderen Umfang erwarten ließen. Demnach hat sich die Kammer weder auf sachfremde Erwägungen gestützt noch den ihr eingeräumten Beurteilungsspielraum in unvertretbarer Weise überschritten. Dass gegebenenfalls auch eine andere Beurteilung möglich gewesen wäre oder sogar näher gelegen haben könnte und die Hauptverhandlung schließlich an 17 Tagen stattfand, lässt es nicht zu, die ursprüngliche Besetzungsentscheidung als objektiv willkürlich zu bewerten.
56
b) Ebenso wenig hat die Rüge Erfolg, der Verwertung der aus Wohnungsdurchsuchungen stammenden Erkenntnisse stehe entgegen, dass der Richtervorbehalt nicht beachtet worden sei (§ 105 Abs. 1 Satz 1 StPO, Art. 13 Abs. 2 GG).
57
aa) Der Rüge liegt im Wesentlichen der folgende Verfahrensgang zugrunde :
58
Am Abend des 19. September 2010, einem Sonntag, nahmen Polizeibeamte aus einer der beiden zur Cannabisaufzucht genutzten Wohnungen (Nr. 127) starken Marihuanageruch war. Sie setzten davon einen Staatsanwalt in Kenntnis, der gegen 19.20 Uhr telefonisch die Durchsuchung der Wohnung anordnete, da ein Ermittlungsrichter erst am nächsten Tag erreichbar gewesen wäre. Während die Wohnung sodann durchsucht wurde, informierte ein Hausbewohner die Beamten über Hinweise auf Marihuanageruch auch aus einer anderen Wohnung. Aufgrund verschiedener Anhaltspunkte durchsuchten die Beamten schließlich auch die zweite zur Aufzucht genutzte Wohnung (Nr. 106). Die Verteidigung hat in der Hauptverhandlung der Verwertung der im Rahmen der Durchsuchungen gewonnenen Beweismittel widersprochen.
59
bb) Die Rüge hat bereits deshalb keinen Erfolg, weil sie nicht zulässig erhoben ist. Die Revisionsbegründungen geben die den angeblichen Mangel begründenden Tatsachen nicht hinreichend an (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Nach gefestigter Rechtsprechung muss der Revisionsführer, der eine Verletzung des Verfahrensrechts geltend machen will, die den Mangel enthaltenden Tatsachen so vollständig und so genau angeben, dass das Revisionsgericht allein auf Grund der Rechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorläge, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen wären (BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2005 - 2 BvR 656/99 u.a., NJW 2005, 1999, 2001 mwN). Dem genügt das Revisionsvorbringen nicht, da nicht deutlich wird, von welchem tatsächlichen Geschehensablauf der Durchsuchungen die Revisionen ausgehen. Anstatt die tatsächlichen Umstände der Durchsuchungen selbst geschlossen mit Bestimmtheit darzulegen, geben die Revisionsbegründungen lediglich den Verfahrensgang in der Hauptverhandlung wieder, der die Verwertbarkeit der Durchsuchungsergebnisse betrifft. Damit bleibt beispielsweise unklar, ob die Revisionen davon ausgehen, dass - wie in der Widerspruchsbegründung vom 24. Oktober 2011 vorgetragen - eine Ermittlungsrichterin bis 19.30 Uhr erreichbar gewesen ist, oder davon, dass - wie die von der Kammer eingeholte Mitteilung des Präsidenten des Amtsgerichts Hannover nahelegt - der Bereitschaftsdienst um 14.40 Uhr beendet war und danach die Richterin telefonisch nicht mehr zur Verfügung stand.
60
II. Die Revision des Angeklagten S. hat mit der Sachrüge insgesamt Erfolg. Einer näheren Erörterung der erhobenen Verfahrensrügen, die den durch die Angeklagten T. und P. erhobenen Rügen entsprechen, bedarf es daher nicht.
61
Zum einen fehlt es hinsichtlich der letzten beiden Taten an einer Anklageerhebung. Zum anderen ist die Wertung des Landgerichts, auch bei den parallelen Anpflanzungen sei jeweils von einer selbständigen Tat auszugehen, nicht rechtsfehlerfrei. Wegen der Einzelheiten wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen.
62
III. Die von der Angeklagten Sch. erhobene Sachrüge ist ebenfalls insgesamt erfolgreich aus den Gründen, die bereits im Rahmen der Revision der Staatsanwaltschaft erörtert worden sind.
63
IV. Die Revision des Angeklagten Y. ist lediglich insofern erfolgreich, als die letzte Tat, wegen derer er verurteilt worden ist, nicht Gegenstand der Anklage war. Ansonsten hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund seiner Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil erbracht. Zwar lassen die Urteilsgründe nicht erkennen, dass das Landgericht auch bedacht hat, ob ein minder schwerer Fall nach § 29a Abs. 2 BtMG dann in Betracht kommt, wenn in die gebotene Gesamtwürdigung neben den allgemeinen Strafzumessungserwägungen zusätzlich einer oder beide der hier gegebenen vertypten Strafmilderungsgründe einbezogen wird (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011 - 2 StR 218/11, NStZ 2012, 271, 272). Allerdings kann der Senat ausschließen , dass die Strafe darauf beruht; denn das Landgericht hat in den Fällen des § 29a BtMG letztlich dieselben Strafen verhängt wie in den Fällen des § 29 BtMG.

D.

64
Der Senat weist für das weitere Verfahren darauf hin, dass die Kammer nunmehr erneut über ihre Besetzung entscheiden kann (§ 76 GVG).
Becker Pfister Schäfer Mayer RiBGH Gericke befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.

(1) Gegenstände, die durch eine vorsätzliche Tat hervorgebracht (Tatprodukte) oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind (Tatmittel), können eingezogen werden.

(2) Gegenstände, auf die sich eine Straftat bezieht (Tatobjekte), unterliegen der Einziehung nach der Maßgabe besonderer Vorschriften.

(3) Die Einziehung ist nur zulässig, wenn die Gegenstände zur Zeit der Entscheidung dem Täter oder Teilnehmer gehören oder zustehen. Das gilt auch für die Einziehung, die durch eine besondere Vorschrift über Absatz 1 hinaus vorgeschrieben oder zugelassen ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 8/18
vom
3. Mai 2018
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:030518B3STR8.18.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 3. Mai 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 24. August 2017 im Strafausspruch und im Ausspruch über die Einziehung des Kraftfahrzeugs VW Passat aufgehoben; die zugehörigen Feststellungen bleiben jedoch aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie die Einziehung des Wertes von Taterträgen und seines Fahrzeugs angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen erweist sie sich als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Der Strafausspruch hat keinen Bestand; dies führt zur Aufhebung auch der Entscheidung über die Einziehung des Kraftfahrzeugs.
3
Die Einziehung des zur Tatbegehung gebrauchten PKW des Angeklagten hat das Landgericht rechtlich zutreffend auf § 74 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 StGB nF gestützt. Eine Maßnahme nach dieser Vorschrift hat indes den Charakter einer Nebenstrafe und stellt damit eine Strafzumessungsentscheidung dar (BGH, Beschluss vom 26. April 1983 - 1 StR 28/83, NJW 1983, 2710). Wird dem Täter auf diese Weise ein ihm zustehender Gegenstand von nicht unerheblichem Wert entzogen, so ist dies deshalb ein bestimmender Gesichtspunkt für die Bemessung der daneben zu verhängenden Strafe und insoweit im Wege einer Gesamtbetrachtung der den Täter treffenden Rechtsfolgen angemessen zu berücksichtigen (BGH, Beschlüsse vom 16. Februar 2012 - 3 StR 470/11, NStZ-RR 2012, 169 f.; vom 27. Mai 2014 - 3 StR 137/14, StV 2015, 633, jew. mwN). Daran ist auch nach der Änderung des § 74 StGB durch das Gesetz vom 13. April 2017 (BGBl. I, S. 872) festzuhalten.
4
Dies hat das Landgericht nicht bedacht. Den Wert des Fahrzeugs hat es nicht festgestellt. Der Senat kann deshalb nicht ausschließen, dass das Landgericht , hätte es die oben dargelegten Grundsätze beachtet, die von dem Angeklagten verwirkte Strafe milder bemessen hätte.
5
Der Wegfall des Strafausspruchs führt auch zur Aufhebung der an sich rechtsfehlerfreien Einziehungsentscheidung, denn diese steht mit der Bemessung der Strafe wie beschrieben in einem untrennbaren inneren Zusammenhang (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Februar 2012 - 3 StR 470/11, NStZ-RR 2012, 169, 170).
6
Die den aufgehobenen Aussprüchen jeweils zu Grunde liegenden Feststellungen werden von dem Rechtsfehler nicht berührt und können bestehen bleiben. Der neue Tatrichter wird lediglich ergänzende Feststellungen zum Wert des Kraftfahrzeugs sowie gegebenenfalls sonstige zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen zu treffen und auf dieser Grundlage eine neue Strafzumessung vorzunehmen haben.
Becker Gericke Spaniol Berg Hoch

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 275/13
vom
30. Juli 2013
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Beschwerdeführerin am 30. Juli 2013 gemäß § 206a StPO
und § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankenthal vom 15. März 2013 wird 1. das Verfahren im Fall II. 5 der Urteilsgründe eingestellt; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten der Staatskasse zur Last; 2. das vorbezeichnete Urteil im Übrigen mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels – an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagte freigesprochen, ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und Maßregeln nach den §§ 69, 69a StGB verhängt. Hiergegen richtet sich ihre auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision. Das Verfahren ist hinsichtlich einer Tat einzustellen , weil es an einer Verfahrensvoraussetzung fehlt. Das Rechtsmittel hat auch im Übrigen Erfolg. Die Unterbringungsentscheidung ist nicht tragfähig begründet.

I.


2
Nach den Feststellungen des sachverständig beratenen Landgerichts leidet die Angeklagte an einer schizoaffektiven Psychose gemäß ICD 10, F 25.0. Im Jahr 2006 wurde sie erstmalig im Pfalzklinikum für Psychiatrie in Klingenmünster stationär aufgenommen. Danach kam es zu weiteren Aufenthalten u.a. wegen Ängsten vor ihrem Vater und Verfolgungsideen.
3
Am 24. Januar 2011 bezeichnete die Angeklagte die Zeugin H. anlässlich eines Gerichtstermins im Sorgerechtsverfahren über ihre Kinder als „Schlampe“ und versetzteihr eine Ohrfeige (Fall II. 10 der Urteilsgründe). Am 12. März 2011 entwendete sie in einem Drogeriemarkt einen Duftanhänger. Als sie deshalb von der Zeugin W. ins Büro gebeten wurde, bezeichnete sie diese als „blöde Fotze“ und entfernte sich. Kurze Zeitdarauf kehrte sie zurück und beleidigte die Zeugin W. erneut. Als sie die Filialleiterin daraufhin aus dem Geschäft verwies, schlug ihr die Angeklagte zweimal in das Gesicht und zerrte ihr an den Haaren. Dem eingreifenden Zeugen A. zerriss sie das Polo-Shirt, kratzte ihn und beschimpfte ihn als „Kanaken“ (Fall II. 11 der Urteilsgründe). Am 29. Juli 2011 trat die Angeklagte ihrer Schwester im Rahmen einer verbalen Auseinandersetzung auf den Fuß. Als sie von ihrer Schwester „in den Schwitzkasten“ genommen wurde, biss sie ihr in den linken Oberarm und in die linke Brust. Von dem Biss in die Brust konnte die Geschädigte nur mit Hilfe von Familienmitgliedern gelöst werden. Im weiteren Verlauf warf die Angeklagte ihrer Schwester einen Schlüssel in den Rücken und riss von hinten mit aller Kraft an ihrem Pullover. Infolgedessen konnte die Geschä- digte zwar noch atmen, aber nicht mehr richtig sprechen (Fall II. 1 der Urteilsgründe ). Im Verlauf des 13. November 2011 und am 18. November 2011 schickte die Angeklagte der Zeugin T. vier beleidigende Kurznachrichten (Fälle II. 2 bis 5 der Urteilsgründe) und zerkratzte am 25. November 2011 die Motorhaube des Pkw des Zeugen F. , wodurch ein Schaden in Höhe von ca. 500 Euro entstand (Fall II. 6 der Urteilsgründe). Am Nachmittag des 26. November 2011 bezeichnete die Angeklagte die jugendlichen Zeitungsausträger D. und A. K. , die auf der Straße mit ihren Fahrrädern un- terwegs waren, als „Juden“ und „Schwarzarbeiter“ und warf ihnen vor, zu „stinken“ und Menschen zu „killen“. Anschließend fuhr sie mit ihrem Pkw hinter den mit ihren Fahrrädern wegfahrenden Zeugen her. Als D. K. deshalb aus Angst in eine Seitenstraße abbog, folgte ihm die Angeklagte nach. Nachdem D. K. hinter einem Stromkasten Schutz gesucht hatte, fuhr die Angeklagte in einem Abstand von nur etwa 30 cm an ihm vorbei. D. K. kehrte daraufhin sogleich zu seinem Bruder A. zurück und warnte ihn vor der Angeklagten. Als beide mit ihren Fahrrädern nebeneinander auf der Straße und dem angrenzenden Gehweg fuhren, fuhr die Angeklagte mit ihrem Pkw zielgerichtet auf den Zeugen A. K. auf, der dadurch von seinem Fahrrad stürzte. A. K. spürte sofort Schmerzen am Rücken und hatte Schwierigkeiten beim Atmen. An seinem Fahrrad entstand ein Schaden in Höhe von ca. 100 Euro. Die Angeklagte beschleunigte ihr Fahrzeug und entfernte sich ohne anzuhalten (Fälle II. 7 bis 9 der Urteilsgründe).
4
Das Landgericht hat die Taten der Angeklagten ohne nähere Zuordnung als Beleidigung in neun Fällen, Sachbeschädigung in zwei Fällen, Diebstahl, unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr nach § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB und Körperverletzung in sechs Fällen gewertet , wobei es sich in einem Fall um eine gefährliche Körperverletzung ge- mäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB und in einem Fall um eine versuchte gefährliche Körperverletzung gehandelt haben soll (UA S. 15). Bei den Taten am 12. März 2011 (Fall II. 11 der Urteilsgründe), 29. Juli 2011 (Fall II. 1 der Urteilsgründe) und 26. November 2011 (Fälle II. 7 bis 9 der Urteilsgründe) sei die Schuldfähigkeit der Angeklagten infolge der bestehenden schizoaffektiven Psychose sicher aufgehoben gewesen. Bezüglich der weiteren Taten könne dies nicht ausgeschlossen werden (UA S. 16 f.). Die Angeklagte sei deshalb von allen Vorwürfen freizusprechen. Ihre Unterbringung nach § 63 StGB habe angeordnet werden müssen, weil von ihr in Folge ihres Krankheitsbildes auch in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien. Dabei könne es insbesondere auch zu erneuten Tätlichkeiten wie zum Nachteil der ZeugenK. kommen. Die Angeklagte sei deshalb für die Allgemeinheit gefährlich (UA S. 17).

II.


5
Im Fall II. 5 der Urteilsgründe ist das Verfahren gemäß § 206a StPO einzustellen , weil es insoweit an dem gemäß § 194 Abs. 1 Satz 1 StGB erforderlichen schriftlichen (§ 158 Abs. 2 StPO) Strafantrag der von der beleidigenden Äußerung betroffenen Zeugin T. fehlt. Bei den Akten befindet sich lediglich ein Strafantrag dieser Zeugin vom 14. November 2011 (Fallakte III. Bl. 6), der sich nur auf die Vorfälle unter II. 2 bis 4 der Urteilsgründe bezieht.

III.


6
Die Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
7
1. Die zu den Anlasstaten und dem psychischen Zustand der Angeklagten getroffenen Feststellungen und Wertungen sind lückenhaft und unklar.
8
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der den Anlass für die Unterbringung bildenden rechtswidrigen Taten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141; Beschluss vom 11. März 2009 – 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198; Beschluss vom 8. April 2003 – 3 StR 79/03, NStZ-RR 2003, 232). Hierzu enthält das angefochtene Urteil keine ausreichenden Feststellungen.
9
aa) Soweit das Landgericht im Anschluss an die Sachverständige davon ausgeht, dass die Angeklagte an einer schizoaffektiven Psychose gemäß ICD 10, F 25.0 erkrankt ist, werden die diese Bewertung tragenden Anknüpfungs - und Befundtatsachen nicht in ausreichendem Umfang wiedergegeben (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12 Rn. 8, NStZ 2013, 424 [insoweit nicht abgedruckt]; Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; Beschluss vom 14. September 2010 – 5 StR 229/10 Rn. 8). Die Urteilsgründe beschränken sich auf eine Mitteilung der Diagnose und knappe – allgemein gehaltene – Ausführungen zu dem bei der Angeklagten seit dem Jahr 2006 bestehenden Krankheitserleben (UA S. 16). Zu den konkreten Auswirkungen der Erkrankung verhält sich das Urteil nicht, sodass weder die Diagnose noch der symptomatische Zusammenhang zwischen der Erkrankung der Angeklagten und ihren Taten nachvollzogen werden kann.
10
bb) Eine Schuldunfähigkeit der Angeklagten wird nur hinsichtlich der Taten vom 29. Juli 2011 (Fall II. 1 der Urteilsgründe), 12. März 2011 (Fall II. 11 der Urteilsgründe) und 26. November 2011 (Fälle II. 7 und 8 der Urteilsgründe) zweifelsfrei festgestellt (UA S. 16). Hinsichtlich der übrigen Taten vermochte das Landgericht lediglich nicht auszuschließen, dass die Angeklagte im Zeitpunkt der Tatbegehung schuldunfähig war (UA S. 17). Da es für diese Taten daneben an einer eindeutigen Bejahung der Voraussetzungen des § 21 StGB fehlt, konnten sie nicht als Anlasstaten herangezogen werden.
11
b) Die Wertung des Landgerichts, die Angeklagte habe alsAnlasstaten unter anderem eine vollendete und eine versuchte gefährliche Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) begangen (UA S. 15), findet im Urteil keine Grundlage. Da das Landgericht auf eine Darlegung der rechtlichen Subsumtion verzichtet hat, bleibt unklar, welche der geschilderten Vorfälle diese Bewertung tragen sollen.
12
Das Auffahren mit dem Pkw auf das Fahrrad des ZeugenA. K. und dessen anschließender – zu Rückenschmerzen und Atemnot führender – Sturz (Fall II. 8 der Urteilsgründe) können die Annahme einer vollendeten gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht rechtfertigen. Eine gefährliche Körperverletzung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB begeht, wer seinem Opfer durch ein von außen unmittelbar auf den Körper einwirkendes gefährliches Tatmittel eine Körperverletzung im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB beibringt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2012 – 4 StR 292/12 Rn. 10, StV 2013, 438 f.; Beschluss vom 30. Juni 2011 – 4 StR 266/11 Tz. 5). Wird – wie hier – eine Person durch ein gezieltes Anfah- ren mit einem Kraftfahrzeug zu Fall gebracht, setzt die Annahme einer gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB voraus, dass bereits durch den Anstoß eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens und damit eine körperliche Misshandlung gemäß § 223 Abs. 1 StGB ausgelöst worden ist. Erst infolge des anschließenden Sturzes erlittene Verletzungen, die nicht auf den unmittelbaren Kontakt zwischen Kraftfahrzeug und Körper zurückzuführen sind, können für sich allein die Beurteilung als gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht tragen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2012 – 4 StR 292/12 Rn. 10 aaO; Beschluss vom 30. Juni 2011 – 4 StR 266/11 Tz. 5; Beschluss vom 16. Januar 2007 – 4 StR 524/06, NStZ 2007, 405).
13
Die Feststellungen zu dem Wurf mit dem Schlüssel (Fall II. 1 der Urteilsgründe ) lassen eine Bewertung als gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht zu, weil schon nicht zu ersehen ist, ob hierdurch überhaupt eine Gesundheitsschädigung hervorgerufen wurde.
14
Auch das Vorliegen einer versuchten gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB) wird nicht ausreichend mit Tatsachen belegt. Soweit die Angeklagte an dem hinter einem Stromkasten Schutz suchenden Zeugen D. K. mit ihrem Pkw in einem Abstand von 30 cm vorbeigefahren ist (Fall II. 8 der Urteilsgründe), bleibt offen, welches Ziel sie dabei verfolgte. Der für die Annahme einer Versuchsstrafbarkeit erforderliche Tatentschluss ist damit nicht dargetan.
15
2. Die Gefährlichkeitsprognose begegnet ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
16
a) Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202). Ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, muss anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden werden (BGH, Beschluss vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12 aaO; Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Beschluss vom 26. April 2001 – 4 StR 538/00, StV 2002, 477 f.). Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (BGH, Beschluss vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12 aaO; Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12 aaO; Urteil vom 17. November 1999 – 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27). An die Darlegungen und die vorzunehmende Abwägung sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt (BGH, Beschluss vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12 aaO; Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12 aaO; Beschluss vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12 Rn. 8; Beschluss vom 8. November 2006 – 2 StR 465/06, NStZ-RR 2007, 73, 74).
17
b) Diesen Maßstäben werden die Erwägungen des Landgerichts nicht gerecht. Eine die Biographie der Angeklagten und ihre Krankheitsgeschichte in den Blick nehmende Gesamtwürdigung wurde nicht erkennbar vorgenommen. Vor dem Hintergrund der eher dem unteren Kriminalitätsbereich zuzuordnenden verfahrensgegenständlichen Taten, wäre es insbesondere erforderlich gewesen , die früheren Straftaten der Angeklagten, die im Jahr 2007 wegen gefährlicher Körperverletzung, im Jahr 2009 wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung, Sachbeschädigung und versuchtem Diebstahl und im Jahr 2010 wegen Diebstahl, Betrug, Körperverletzung und Beleidigung jeweils zu Bewährungsstrafen verurteilt werden musste, näher zu erörtern und darzulegen, welche Schlüsse aus diesen Taten für das bei der Angeklagten bestehende individuelle Delinquenzrisiko zu ziehen sind (vgl. Boetticher/Kröber/ Müller-Isberner/Böhm/Müller-Metz/Wolf, NStZ 2006, 537, 543). Dies gilt umso mehr, als die 2010 abgeurteilten Taten „jeweils im Zustand verminderter Schuldfähigkeit“ (UA S. 5) begangen wurden und sich deshalb ein Bezug zur Krankheitsgeschichte der Angeklagten aufdrängt. Schließlich hätte auch erkennbar Berücksichtigung finden müssen, dass die Angeklagte im Oktober 2012 freiwillig das Pfalzklinikum zur Behandlung aufsuchte, nachdem sie im Sommer 2012 wieder verstärkt unter Verfolgungsideen litt (UA S. 3).
18
3. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat war durch den Umstand, dass allein die Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, auch den Freispruch aufzuheben. Wird die Anordnung einer Unterbringung nach § 63 StGB auf eine Revision des Angeklagten hin aufgehoben, hindert das Schlechterstellungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO den neuen Tatrichter nicht daran, an Stelle einer Unterbringung nunmehr eine Strafe zu verhängen (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO). Dadurch soll vermieden werden, dass die erfolgreiche Revision eines Angeklagten gegen die alleinige Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus dazu führt, dass eine Tat, die wegen angenommener Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB nicht zu einer Bestrafung geführt hat, ohne strafrechtliche Sanktion bleibt, wenn sich in der neuen Hauptverhandlung herausstellt, dass der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war (BT-Drucks. 16/1344, S. 17). Dieses gesetzgeberische Ziel kann nur erreicht werden, wenn das Revisionsgericht in diesen Fällen nicht nur die auf rechtsfehlerhaften Feststellungen zur Schuldfähigkeit beruhende Maßregelanordnung, sondern auch den hierauf gestützten Freispruch aufhebt (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12 aaO; Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; Beschluss vom 14. September 2010 – 5 StR 229/10, NStZ-RR 2011, 320; Beschluss vom 27. Oktober 2009 – 3 StR 369/09 Rn. 9).
Sost-Scheible Roggenbuck Mutzbauer
Bender Quentin

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.