Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Mai 2008 - 1 StR 243/08
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
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- 1. Das Landgericht hat den 1941 geborenen Angeklagten vom Vorwurf des Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht (§ 145a StGB) in zwei Fällen wegen krankheitsbedingt fehlender Einsichtsfähigkeit freigesprochen , jedoch seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg.
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- 2. Nach den Feststellungen verurteilte das Landgericht München I den im Übrigen unbestraften Angeklagten im Jahr 2001 wegen zweier Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer vierjährigen Gesamtfreiheitsstrafe. Dem lag zugrunde, dass der Angeklagte am 4. und 31. Mai 2000 im Rahmen des von ihm ausgeübten Fahrdienstes mit dem Finger für dieses schmerzhaft in die Scheide eines siebenjährigen , körperlich behinderten und retardierten Mädchens eingedrungen war und es bei der zweiten Tat zudem erfolglos aufgefordert hatte, den Oralverkehr auszuüben.
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- Nach vollständiger Verbüßung der Strafe trat die unbefristete Führungsaufsicht ein. Durch Beschluss der zuständigen Strafvollstreckungskammer wurde der Angeklagte u.a. angewiesen, „Kontakte mit minderjährigen Kindern zu unterlassen … sowie Orte, an denen sich erfahrungsgemäß Kinder aufhalten (z.B. Spiel- und Sportplätze, Schwimmbäder, Schul- und Kindergartenbereiche) zu meiden“. Dieser ihm unter Hinweis auf die Strafbarkeit eines Verstoßes bekannt gegebenen Weisung zuwider begab sich der Angeklagte am 28. und 30. Juli 2006 jeweils zu einem Spielplatz. Dort bot er im ersten Fall einem siebenjährigen Mädchen einen Kaugummi an, im zweiten Fall sprach er einen siebenjährigen Jungen mit „Hallo“ an. Beide Kinder liefen daraufhin sofort ängstlich davon. Sie waren von ihren Eltern angewiesen worden, dem Angeklagten, dessen Vorstrafe im Wohnviertel bekannt war, aus dem Weg zu gehen.
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- Der Angeklagte leidet - „sehr wahrscheinlich … seit der Straftat im Jahre 2000“ - an einer Demenz bei Morbus Pick (ICD 10 F 02.0). Die beim Angeklagten bereits chronifizierte, nicht heilbare Krankheit führt über die Beeinträchtigung emotionaler Impulse und des Sozialverhaltens, Persönlichkeitsveränderungen , Sprach- und Gedächtnisstörungen und das Vollbild der Demenz mit Muskelversteifung, Pflegebedürftigkeit und Inkontinenz schließlich nach durchschnittlich sechs bis acht Jahren zum Tod. Infolge der Erkrankung ist die Fähigkeit , das Unrecht verbotenen Tuns einzusehen, vergleichbar derjenigen bei Kleinkindern. Daher konnte der Angeklagte sein Verhalten gegenüber den Kindern nicht als untersagte Kontaktaufnahmen erkennen.
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- Als Reaktion auf die beiden Taten wurde der Angeklagte im August 2006 nach dem bayerischen Unterbringungsgesetz in das I. -Klinikum eingewiesen. Dort befindet er sich aufgrund des (nicht rechtskräftigen) Beschlusses des Amtsgerichts München - Vormundschaftsgericht - längstens bis 13. Dezember 2009. In der Klinik hat der Angeklagte wenigstens fünfmal versucht , ebenfalls erkrankte Patientinnen zu küssen, am Nacken und an den Beinen zu streicheln sowie mit ihnen Händchen zu halten. Seit 18. Dezember 2006 steht er unter Betreuung u.a. für den Bereich der Gesundheitsfürsorge. Seit Ende 2007 nimmt der Angeklagte - ohne insoweit einsichtig zu sein - das sexualdämpfende Medikament „Androcur“, das auch als Depot verabreicht werden kann.
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- 3. Danach hat das Landgericht die Demenz bei Morbus Pick zutreffend als krankhafte seelische Störung (§ 20 StGB) angesehen und den Angeklagten von den strafrechtlichen Vorwürfen freigesprochen. Dagegen ermöglichen die zum Tatgeschehen getroffenen Feststellungen keine abschließende Überprüfung der im Rahmen des § 63 StGB vorgenommenen Gefährlichkeitsprognose.
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- a) Zwar hat der Angeklagte durch sein Verhalten gegen Weisungen i.S.d. § 145a StGB verstoßen. Nicht jede derartige Zuwiderhandlung vermag aber die Annahme zukünftiger Gefährlichkeit zu begründen, welche für die außerordentlich beschwerende Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus Voraussetzung ist. Auch mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) wird etwa die Nichterfüllung der Weisung, sich zu bestimmten Zeiten bei der Aufsichtsstelle oder einem Bewährungshelfer zu melden (§ 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StGB), grundsätzlich nicht geeignet sein, eine zukünftige Gefährlichkeit für die Allgemeinheit zu prognostizieren.
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- b) Ob es sich bei den vom Angeklagten gezeigten Verhaltensweisen um solche lediglich formalen Gehorsamsverstöße gehandelt hat, lässt sich anhand der knappen Darstellung in den Urteilsgründen nicht abschließend beurteilen. Insbesondere bleibt offen, mit welcher Motivation der Angeklagte sich an die beiden Kinder gewandt hat. Zwar mag unter Berücksichtigung der Vorstrafe und dem in der Klinik gegenüber Mitpatientinnen gezeigten Verhalten die Annahme nicht fern liegen, dass er zu ihnen in näheren, möglicherweise sexuellen Kontakt kommen wollte. Das Landgericht hat aber eine derartige - sich auch nicht von selbst verstehende - sexuelle Intention nicht festgestellt. Diese lässt sich auch dem Urteil insgesamt nicht zweifelsfrei entnehmen. Deshalb bedarf die Sache neuer Verhandlung.
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- 4. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen werden durch den Rechtsfehler nicht berührt und können daher bestehen bleiben. Ergänzende, hierzu nicht in Widerspruch stehende Feststellungen sind zulässig.
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- 5. Das neue Tatgericht wird Gelegenheit haben, bei seiner Gefährlichkeitsprognose - und ggf. bei der Frage, ob die Vollstreckung einer erneut angeordneten Unterbringung des Angeklagten im psychiatrischen Krankenhaus zur Bewährung ausgesetzt werden kann - insbesondere zu berücksichtigen, welchen Verlauf die Erkrankung des bald 67 Jahre alten Angeklagten genommen hat, ob und für voraussichtlich welchen Zeitraum dieser weiterhin auf landesgesetzlicher Grundlage untergebracht ist (vgl. BGH NStZ 2007, 465), ob und in welcher Ausgestaltung das Betreuungsverhältnis fortbesteht sowie ob und mit welcher Wirkung die sexualdämpfende Medikation fortgesetzt wird.
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Wer während der Führungsaufsicht gegen eine bestimmte Weisung der in § 68b Abs. 1 bezeichneten Art verstößt und dadurch den Zweck der Maßregel gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Die Tat wird nur auf Antrag der Aufsichtsstelle (§ 68a) verfolgt.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Wer während der Führungsaufsicht gegen eine bestimmte Weisung der in § 68b Abs. 1 bezeichneten Art verstößt und dadurch den Zweck der Maßregel gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Die Tat wird nur auf Antrag der Aufsichtsstelle (§ 68a) verfolgt.
Eine Maßregel der Besserung und Sicherung darf nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht.
(1) Das Gericht kann die verurteilte Person für die Dauer der Führungsaufsicht oder für eine kürzere Zeit anweisen,
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den Wohn- oder Aufenthaltsort oder einen bestimmten Bereich nicht ohne Erlaubnis der Aufsichtsstelle zu verlassen, - 2.
sich nicht an bestimmten Orten aufzuhalten, die ihr Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können, - 3.
zu der verletzten Person oder bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe, die ihr Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können, keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen, - 4.
bestimmte Tätigkeiten nicht auszuüben, die sie nach den Umständen zu Straftaten missbrauchen kann, - 5.
bestimmte Gegenstände, die ihr Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können, nicht zu besitzen, bei sich zu führen oder verwahren zu lassen, - 6.
Kraftfahrzeuge oder bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen oder von anderen Fahrzeugen nicht zu halten oder zu führen, die sie nach den Umständen zu Straftaten missbrauchen kann, - 7.
sich zu bestimmten Zeiten bei der Aufsichtsstelle, einer bestimmten Dienststelle oder der Bewährungshelferin oder dem Bewährungshelfer zu melden, - 8.
jeden Wechsel der Wohnung oder des Arbeitsplatzes unverzüglich der Aufsichtsstelle zu melden, - 9.
sich im Fall der Erwerbslosigkeit bei der zuständigen Agentur für Arbeit oder einer anderen zur Arbeitsvermittlung zugelassenen Stelle zu melden, - 10.
keine alkoholischen Getränke oder andere berauschende Mittel zu sich zu nehmen, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen Gründe für die Annahme bestehen, dass der Konsum solcher Mittel zur Begehung weiterer Straftaten beitragen wird, und sich Alkohol- oder Suchtmittelkontrollen zu unterziehen, die nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden sind, - 11.
sich zu bestimmten Zeiten oder in bestimmten Abständen bei einer Ärztin oder einem Arzt, einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeuten oder einer forensischen Ambulanz vorzustellen oder - 12.
die für eine elektronische Überwachung ihres Aufenthaltsortes erforderlichen technischen Mittel ständig in betriebsbereitem Zustand bei sich zu führen und deren Funktionsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen.
- 1.
die Führungsaufsicht auf Grund der vollständigen Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens drei Jahren oder auf Grund einer erledigten Maßregel eingetreten ist, - 2.
die Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe oder die Unterbringung wegen einer oder mehrerer Straftaten der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Art verhängt oder angeordnet wurde, - 3.
die Gefahr besteht, dass die verurteilte Person weitere Straftaten der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Art begehen wird, und - 4.
die Weisung erforderlich erscheint, um die verurteilte Person durch die Möglichkeit der Datenverwendung nach § 463a Absatz 4 Satz 2 der Strafprozessordnung, insbesondere durch die Überwachung der Erfüllung einer nach Satz 1 Nummer 1 oder 2 auferlegten Weisung, von der Begehung weiterer Straftaten der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Art abzuhalten.
(2) Das Gericht kann der verurteilten Person für die Dauer der Führungsaufsicht oder für eine kürzere Zeit weitere Weisungen erteilen, insbesondere solche, die sich auf Ausbildung, Arbeit, Freizeit, die Ordnung der wirtschaftlichen Verhältnisse oder die Erfüllung von Unterhaltspflichten beziehen. Das Gericht kann die verurteilte Person insbesondere anweisen, sich psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen (Therapieweisung). Die Betreuung und Behandlung kann durch eine forensische Ambulanz erfolgen. § 56c Abs. 3 gilt entsprechend, auch für die Weisung, sich Alkohol- oder Suchtmittelkontrollen zu unterziehen, die mit körperlichen Eingriffen verbunden sind.
(3) Bei den Weisungen dürfen an die Lebensführung der verurteilten Person keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden.
(4) Wenn mit Eintritt der Führungsaufsicht eine bereits bestehende Führungsaufsicht nach § 68e Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 endet, muss das Gericht auch die Weisungen in seine Entscheidung einbeziehen, die im Rahmen der früheren Führungsaufsicht erteilt worden sind.
(5) Soweit die Betreuung der verurteilten Person in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 11 oder ihre Behandlung in den Fällen des Absatzes 2 nicht durch eine forensische Ambulanz erfolgt, gilt § 68a Abs. 8 entsprechend.