Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Mai 2017 - 1 StR 164/17

bei uns veröffentlicht am23.05.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 164/17
vom
23. Mai 2017
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2017:230517B1STR164.17.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts am 23. Mai 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Ansbach vom 14. November 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und die Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung ausgesetzt. Die dagegen gerichtete Revision des Beschuldigten hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.


2
Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Beschuldigte unter einer bipolaren affektiven Störung (ICD-10: F.31.0). Am Tattag im März 2016 bat er den später Geschädigten darum, mit dessen Fotoapparat den Beschuldigten und seinen Hund zu fotografieren. Dem kam der Geschädigte nach, woraufhin sich der Beschuldigte zunächst entfernte. Nach einiger Zeit kehrte er zurück und verlangte von dem Geschädigten mehrfach erfolglos die Herausgabe von dessen Fotokamera. Auf die Weigerung des Geschädigten hin hielt der Beschuldigte diesem ein Messer an den Bauch, ohne den Geschädigten allerdings zu verletzten. Mit diesem Vorgehen wollte der Beschuldigte seinem Herausgabeverlangen Nachdruck verleihen. Anschließend schnitt der Beschuldigte den ledernen Riemen der vom Geschädigten um den Hals getragenen Fotokamera durch und nahm diese an sich, was der Geschädigte aus Sorge vor dem Einsatz des Messers gegen ihn geschehen ließ. Der Beschuldigte entnahm aus der Kamera die Speicherkarte und stach mehrfach mit dem Messer darauf ein, um diese unbrauchbar zu machen. Anschließend steckte er sich diese in den Mund und verließ den Ort des Geschehens.
3
Mit seinem Vorgehen wollte er verhindern, dass der Geschädigte, den der Beschuldigte für einen „Nazi“ oder einen „Paparazzo“ hielt, das Bild rechtsextremen Gruppen zugänglich machte. Von solchen Gruppen glaubt sich der Beschuldigte verfolgt. Das sachverständig beratene Landgericht hat angenommen , aufgrund der bei dem Beschuldigten bestehenden bipolaren affektiven Störung, die es dem Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung zugeordnet hat, sei dessen Steuerungsfähigkeit bei Begehung der Anlasstat aufgehoben gewesen. Aufgrund der überdauernden Erkrankung des Beschuldigten sei bei erneuten „manischen Entgleisungen“ wiederum mit psychotischen Symptomen wie Größen- und Verfolgungswahn zu rechnen. Ebenfalls in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen ist das Landgericht davon ausgegangen , dass dann ähnliche Straftaten wie die Anlasstat zu erwarten seien. Letztlich hänge es von situativen Faktoren ab, ob es bei einer Bedrohung anderer bleibe oder der Beschuldigte Körperverletzungs- oder – wenn auch ungewollt – Tötungsdelikte begehe (UA S. 9).

II.


4
Die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Voraussetzungen der Maßregel sind nicht tragfähig begründet.
5
1. Eine Unterbringung gemäß § 63 StGB kommt nur dann in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, also solche, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (Gefährlichkeitsprognose). Die Annahme einer gravierenden Störung des Rechtsfriedens setzt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung voraus, dass die zu erwartenden Delikte wenigstens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen, den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sind, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12; BGH, Beschlüsse vom 16. Juni 2014 – 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571 und vom 19. August 2014 – 3 StR 243/14; Urteil vom 28. Oktober 2015 – 1 StR 142/15, NStZ-RR 2016, 40; Beschlüsse vom 13. Oktober 2016 – 1 StR 445/16 Rn. 13 und vom 21. Dezember 2016 – 1 StR 594/16 Rn. 3; Urteil vom 21. Februar 2017 – 1 StR 618/16 Rn. 9 f.). Für die Anordnung der Maßregel reicht lediglich die Erwartung solcher rechtswidrigen Taten aus, durch die die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird (§ 63 Satz 1 StGB).
6
Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (BGH, Beschlüsse vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141; vom 1. Oktober 2013 – 3 StR 311/13; vom 2. September 2015 – 2 StR 239/15 und vom 3. Juni 2015 – 4 StR 167/15, StV 2016, 724; Urteil vom 13. Oktober 2016 – 1 StR 445/16 Rn. 15; Beschluss vom 15. März 2017 – 2 StR 557/16 Rn. 7) und hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche Taten von dem Beschuldigten infolge seines Zustands drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12; BGH, Beschluss vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZRR 2016, 306; Urteil vom 21. Februar 2017 – 1 StR 618/16 Rn. 10 mwN). In die Gefährlichkeitsprognose sind die konkrete Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung sowie die auf die Person des Beschuldigten bezogenen Risikofaktoren, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung von Straftaten jenseits der Anlasstat belegen können (BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2016 – 1 StR 594/16, NStZ-RR 2017, 76, 77 mwN), einzubeziehen. Dabei hat der Tatrichter die für die Entscheidung über die Unterbringung maßgeblichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzulegen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2017 – 1 StR 618/16 Rn. 10; Beschlüsse vom 21. Dezember 2016 – 1 StR 594/16 Rn. 3 aE, NStZ-RR 2017, 76; vom 12. Oktober 2016 – 4 StR 78/16 Rn. 9, NStZ-RR 2017, 74, 75; vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306 f. und vom 15. Januar 2015 – 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395; siehe auch Beschluss vom 10. November2015 – 1 StR 265/15, NStZ-RR 2016, 76 f. mwN).
7
2. Dem genügt das angefochtene Urteil nicht.
8
a) Der Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts liegt bereits nicht die gebotene umfassende Würdigung der Persönlichkeit des Beschuldigten und seines Vorlebens zugrunde. Es fehlen tragfähige Darlegungen dazu, seit wann die bipolare affektive Störung bei dem Beschuldigten bereits besteht und wie sich diese auf sein bisheriges Verhalten ausgewirkt hat. Aus dem Schweigen der Urteilsgründe zu den Beschuldigten betreffenden Eintragungen im Bundeszentralregister vermag der Senat noch zu entnehmen, dass der Beschuldigte offenbar mit der Anlasstat erstmalig strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Bislang fehlende Begehung von Straftaten bei Personen, die bereits über Jahre hinweg an einem psychischen Defekt leiden, wäre aber ein gewichtiges, gegen erhebliche zukünftige Gefährlichkeit sprechendes Indiz (st. Rspr.; siehe nur BGH, Urteile vom 10. Dezember 2014 – 2 StR 170/14, NStZ-RR 2015, 72, 73 und vom 8. Oktober 2015 – 4 StR 86/15 jeweils mwN; Beschluss vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306, 307). Die grundsätzlich vorhandene Bedeutung dieses Indizes wird vorliegend nicht dadurch entkräftet, dass das Landgericht keine Feststellungen dazu getroffen hat, seit wann der Beschuldigte vor der Begehung der Anlasstat an der vom Sachverständigen diagnostizierten bipolaren affektiven Störung litt. Um der erforderlichen Gesamtwürdigung als Grundlage der Gefährlichkeitsprognose zu genügen, bedurfte es vielmehr Feststellungen dazu. Solche sind auch nicht von vornherein ausgeschlossen. Nach den ebenfalls sehr knappen Feststellungen zu den allgemeinen persönlichen Verhältnissen steht der mittlerweile 34-jährige Beschuldigte unter Betreuung seiner Eltern. Das angefochtene Urteil verhält sich weder zu dem Anlass und dem Zeitpunkt der Anordnung der Betreuung noch zu dem Aufgabenbereich der Eltern als Betreuer, obwohl daraus typischerweise Erkenntnisse zu dem bisherigen Verlauf der Störung des Beschuldigten gewonnen werden können. Solche Erkenntnisse wären naheliegender Weise von indizieller Bedeutung für die Prognose, ob von dem Beschuldigten zukünftig die Begehung (weiterer ) erheblicher Straftaten droht.
9
b) Die Darlegungen des angefochtenen Urteils zur Gefährlichkeitsprognose lassen – auch unter Berücksichtigung seinesGesamtzusammenhangs – zudem die gebotene Auseinandersetzung mit den in der konkreten Lebenssitu- ation des Beschuldigten bestehenden Risikofaktoren für seine individuelle krankheitsbezogene Disposition zur Begehung erheblicher Straftaten vermissen.
10
Soweit die Wahrscheinlichkeit höheren Grades zukünftiger erheblicher Straffälligkeit mit dem erneuten Auftreten von psychotischen Symptomen wie Größen- und Verfolgungswahn bei wiederum eintretender manischer Phase begründet wird (UA S. 9), mangelt es an einer ausreichend tragfähig dargelegten Grundlage dafür. Größenwahnsymptome des Beschuldigten lassen sich dem Urteil nicht entnehmen. Bezüglich des Verfolgungswahns nennt das Landgericht an verschiedenen Stellen des Urteils unterschiedliche konkrete Ausprägungen dieses Wahns, die ohne nähere Ausführungen nicht ohne Weiteres miteinander vereinbar sind. So wird für die Situation der Anlasstat die krankheitsbedingte (Fehl)Vorstellung des Beschuldigten berichtet, der Geschädigte sei ein „‘Nazi‘ und/oder Paparazzo“, der das Foto des Beschuldigten rechtsext- remen Gruppen, die ihn verfolgten, zugänglich machen würde. Im Zusammenhang der Unterbringungsvoraussetzungen gibt das Landgericht ohne weitere Darlegungen die Einschätzung des Sachverständigen wieder, bei dem Beschuldigten habe sich spätestens bei der Anlasstat das Vollbild einer Manie mit „ausgeprägten psychotischen Symptomenmit Größenideen, Verfolgungsideen und einem ausgeprägten Wahnsystem, von der CIA und anderen Personen, wie z.B. Drogendealern, verfolgt zu werden“, gezeigt (UA S. 8). Die Sorge vor Verfolgung durch einen ausländischen Nachrichtendienst und „Drogendealer“ ist aber ausweislich der Ausführungen zur Anlasstat und ihres Motivs ohne jegliche Bedeutung dafür gewesen. Da das Landgericht, ebenfalls gestützt auf den Sachverständigen, die zukünftige Gefährlichkeit des Beschuldigten gerade auf Verfolgungswahn gründet, hätte es nachvollziehbarer und umfassender Darlegungen zu dem Wahnsystem des Beschuldigten bedurft.
11
c) Die Annahme, der Beschuldigte könne im Rahmen erneuter manischer Phasen und bei entsprechenden situativen Faktoren zukünftig Körperverletzungs - oder sogar Tötungsdelikte begehen, entbehrt ebenfalls einer tragfähigen Grundlage. Da das Landgericht keine ausreichenden Feststellungen zum bisherigen Krankheitsverlauf und zu dessen konkreten Ausprägungen – außerhalb der Anlasstat selbst – getroffen hat, lässt sich für den Senat nicht in der geforderten Weise nachvollziehen, aus welchen konkreten Umständen sich die Wahrscheinlichkeit für ein Umschlagen von einer mit (konkludenten) Drohungen verbundenen Straftat in Körperverletzungs- oder Tötungsdelikte ableiten lässt (vgl. bereits BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2016 – 1 StR 594/16, NStZ-RR 2017, 76, 77).
12
3. Auf den Darlegungsmängeln beruht das angefochtene Urteil. Auch wenn das Landgericht im Rahmen der Ausführungen zur Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung mit Cannabis- und Alkoholkonsum des Beschuldigten , ohne den Konsum und dessen Umfang allerdings näher zu belegen, grundsätzlich prognostisch ungünstige Umstände nennt, kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Landgericht bei Meidung der Rechtsfehler zu einer anderen Beurteilung der zukünftigen Gefährlichkeit des Beschuldigten gelangt wäre.
13
4. Allerdings lässt sich auch nicht ausschließen, dass bei umfassender Würdigung der Persönlichkeit des Beschuldigten, seiner Erkrankung und der Anlasstat die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus in Betracht kommt. Nach den Feststellungen zur Anlasstat kann es sich angesichts der konkludenten Drohung mit dem Einsatz des Messers gegen den Unterleib des Geschädigten um eine erhebliche rechtswidrige Tat im Sinne von § 63 Satz 1 StGB handeln (vgl. BGH, Urteil vom 29. September 2015 – 1 StR 287/15, NJW 2016, 341, 342 bzgl. Todesdrohungen).
14
5. Die Darlegungsmängel führen zur Aufhebung des Urteils einschließlich der Feststellungen. Davon sind auch diejenigen zur Anlasstat betroffen (§ 353 Abs. 2 StPO). Angesichts der unzureichenden Ausführungen zu dem konkreten Wahnsystem des Beschuldigten einerseits und des offenbar vorhandenen Alkohol- und zumindest Cannabiskonsum des Beschuldigten andererseits bedarf auch die Frage der Schuldfähigkeit neuer Aufklärung und Bewertung. Selbst die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können nicht aufrecht erhalten bleiben. Dem genauen Tatablauf und den Verhaltensweisen des Beschuldigten bei der Ausführung der Anlasstat kann Bedeutung sowohl für die Schuldfähigkeit als auch für die Anordnungsvoraussetzungen insgesamt zukommen.

III.


15
Im Hinblick auf das bislang nur unklar beschriebene konkrete Störungsbild des Beschuldigten kann sich die Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen anbieten. Der Senat erinnert daran, dass das Tatgericht sowohl die Schuldfähigkeit als auch die Voraussetzungen der Unterbringung gemäß § 63 StGB in eigener Verantwortung zu beurteilen hat. Schließt es sich den Ausführungen des Sachverständigen an, muss es sich grundsätzlich mit dem Gutachteninhalt auseinandersetzen und die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen des Sachverständigen in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise im Urteil mitteilen (st. Rspr.; siehe nur BGH, Beschluss vom 29. Juli 2015 – 4 StR 293/15, NStZ-RR 2015, 315 f. mwN).
Graf Cirener Radtke Ri'inBGH Dr. Fischer ist infolge RiBGH Dr. Bär ist infolge urlaubsbedingter Abwesenheit urlaubsbedingter Abwesenheit an der Unterschriftsleistung an der Unterschriftsleistung gehindert. gehindert. Graf Graf

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 S t R 243/ 1 4
vom
19. August 2014
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 19. August 2014 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 8. Januar 2014 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. Die auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Beschuldigten hat Erfolg.
2
1. Dem Urteil liegen folgende Feststellungen und Wertungen des Landgerichts zugrunde:
3
a) Der Beschuldigte ist seit Ende der 1980er Jahre an einer schizomanischen Störung (ICD-10 F 25.8) mit chronifiziertem Verlauf und schwerwiegendem Residualzustand erkrankt. Zusätzlich besteht bei ihm eine Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit (ICD-10 F 10.2 und 13.2). Er befand sich deshalb seit 1986 vielfach im Niedersächsischen Landeskrankenhaus Wunstorf, verlor 1995 seinen Arbeitsplatz und bezieht seit 1996 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit. Im Jahr 1998 drohte er in einer akut psychotischen Situation seiner Mutter und seiner damaligen Verlobten, er werde sie und auch sich selbst töten. Das Landgericht Hannover verhängte deshalb im Januar 2000 eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten und ordnete die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, die bis Juni 2005 vollstreckt, sodann zur Bewährung ausgesetzt und mit Wirkung vom 29. Juli 2008 für erledigt erklärt wurde. Auch nach der Entlassung aus dem Maßregelvollzug kam es zu einer Vielzahl von stationären Aufenthalten in psychiatrischen Kliniken, teilweise in geschlossenen Stationen, teilweise in Wohn- und Pflegeheimen des Klinikums Wahrendorff oder anderer Institutionen. In den Jahren nach der hier verfahrensgegenständlichen Tat befand sich der Beschuldigte erneut zahlreich, teilweise aufgrund des Unterbringungsrechts, zumeist aber auf freiwilliger Grundlage jeweils kurzzeitig in stationärer psychiatrischer Behandlung.
4
b) Am 1. April 2011 betrat der Beschuldigte eine Sparkassenfiliale und füllte am Serviceschalter einen Auszahlungsauftrag aus. Nachdem es aufgrund eines technischen Problems zu zeitlichen Verzögerungen bei der Bearbeitung gekommen war, drängte der Beschuldigte aufgebracht und lautstark gegenüber dem Mitarbeiter des Kreditinstituts auf umgehende Auszahlung. Er versuchte, einen Monitor, auf dem der Filialleiter die Ursache für die Verzögerung feststellen wollte, herumzudrehen und sich selbst einen Blick auf die Kontounterlagen zu verschaffen. Als der Filialleiter ihm dies aus Datenschutzgründen untersagte , wurde er von dem Beschuldigten mit den Worten "Dreck", "Pimmellecker" und "Schwanzlutscher" beschimpft und damit bedroht, der Beschuldigte werde ihm den "Schwanz" abschneiden und ihm in den Mund stecken. Nunmehr zerriss der Filialleiter den Auszahlungsauftrag und wies den Beschuldigten aus den Geschäftsräumen. Daraufhin ging der Beschuldigte zu seiner Sporttasche, die er beim Betreten der Filiale abgestellt und auf die er ein Samuraischwert gelegt hatte. Das Schwert hatte eine stumpfe Metallklinge mit einer Klingenlän- ge von 62 cm, die sich in einer Plastikscheide befand. Dieses Schwert nahm der Beschuldigte, hielt es mit beiden Händen in Richtung des Filialleiters und drohte diesem, er werde "ihm den Kopf abschneiden", "ihn aufschlitzen" und ihm "den Kopf abhacken". Der Filialleiter bekam Angst um sein und der anderen Beschäftigten körperliches Wohl und veranlasste, dass ein Mitarbeiter den Notruf betätigte. Kurz danach verließ der Beschuldigte - in der einen Hand seine Sporttasche, in der anderen das Schwert haltend - die Filiale. Von den alarmierten Polizeibeamten wurde der Beschuldigte einige Zeit später im Bereich der Innenstadt angetroffen und aufgefordert, das Schwert fallen zu lassen. Als er nur mit den Worten "Was willst Du?" reagierte, wurde er unter Einsatz eines Pfeffersprays überwältigt und zur Polizeidienststelle verbracht. Dabei beschimpfte er die Polizeibeamten unter anderem mit den Worten "Nazis" und "korrupte Schweine".
5
Neben dieser Anlasstat hat das Landgericht zwei weitere Geschehnisse festgestellt: Ende August 2011 betrat der Beschuldigte trotz eines gegen ihn bestehenden Hausverbots das psychiatrische Wohnheim "C. ", um seine dort lebende Freundin zu besuchen. Er wurde von Mitarbeiterinnen der Einrichtung aufgefordert, das Gebäude zu verlassen. Darauf beschimpfte er die Frauen mit den Worten "Nazisau" und "Nazihure" und drohte ihnen an, sie würden mit einem Bolzenschussgerät getötet, ihre Leichen würde man "auf der Müllkippe finden". Sodann beruhigte er sich und verließ das Wohnheim. Im Mai 2013 geriet der Beschuldigte am Zentralen Omnibusbahnhof mit einem Reiseleiter in einen Konflikt. Er simulierte in der Art eines Kampfkünstlers einen Tritt sowie einen Faustschlag gegen den Mann, ohne dadurch Verletzungen herbeizuführen. Die Ermittlungsverfahren wegen dieser Vorfälle hat die Staatsanwaltschaft im Hinblick auf das vorliegende Verfahren jeweils nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellt.

6
c) Das Landgericht hat - dem Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen folgend - nicht ausschließen können, dass die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten bei der Tatbegehung aufgehoben war. Ursächlich war die schizomanische Erkrankung des Beschuldigten, die zu groben Störungen der Selbststeuerung im Sinne von distanz- und schamlosem Verhalten führt, die Kritikfähigkeit nahezu aufhebt und den Beschuldigten Aggressionen nicht als eigene Affekte, sondern als gerechtfertigte Reaktionen auf das Tun anderer erleben lässt. Von der erheblichen Einschränkung der Schuldfähigkeit war die Strafkammer ebenso überzeugt wie von einer erhöhten Wahrscheinlichkeit dafür , dass der Beschuldigte zukünftig erneut gleichartige Taten sowie auch einfache Körperverletzungshandlungen geringeren Ausmaßes (UA S. 20, 21) begehen wird. Die begangene Bedrohung hat sie wegen der psychischen Auswirkungen auf die Mitarbeiter der Sparkasse als Tat der mittleren Kriminalität eingestuft und die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus auf die Gefahr der Wiederholung solcher Taten gestützt.
7
2. Die Anordnung der Unterbringung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
8
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht , dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat (en) zu entwickeln. Dabei sind an die Darlegungen umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt um einen Grenzfall handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2012 - 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338 mwN). Der Tatrichter muss die eine Unterbringung tragenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darstellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2013 - 3 StR 349/13, juris Rn. 5).
9
Darüber hinaus muss die Anordnung verhältnismäßig sein. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist mit Verfassungsrang ausgestattet. In § 62 StGB hat ihn der Gesetzgeber ausdrücklich nochmals einfachgesetzlich geregelt , um seine Bedeutung bei der Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung hervorzuheben. Er beherrscht auch die Anordnung und Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und gebietet, dass die Freiheit der Person nur beschränkt werden darf, soweit dies im öffentlichen Interesse unerlässlich ist (BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 - 2 BvR 789/13, NStZ-RR 2013, 360 (nur Ls)). Die Unterbringung darf nicht angeordnet werden, wenn die wegen ihrer unbestimmten Dauer sehr belastende Maßnahme außer Verhältnis zu der Bedeutung der begangenen und zu erwartenden Taten stehen würde (BGH, Beschluss vom 26. Juni 2007 - 5 StR 215/07, NStZRR 2007, 300, 301). Bei der gebotenen Abwägung zwischen den Sicherungsbelangen der Allgemeinheit und dem Freiheitsanspruch des Betroffenen ist auf die Besonderheiten des Falles einzugehen (vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Oktober 1985 - 2 BvR 1150/80 u.a., BVerfGE 70, 297, 313). Zu erwägen sind nicht nur der Zustand des Beschuldigten und die von ihm ausgehende Gefahr, sondern auch sein früheres Verhalten, seine aktuellen Lebensumstände, die ihn konkret treffenden Wirkungen einer Unterbringung nach § 63 StGB sowie die Möglichkeiten , ggf. durch andere Maßnahmen auf ihn einzuwirken (BGH, Urteil vom 31. Juli 2013 - 2 StR 220/13, NStZ-RR 2013, 339, 340).
10
b) Gemessen hieran hat die Strafkammer die Voraussetzungen der Unterbringung nicht ausreichend belegt.
11
Das Landgericht ist zwar im Ausgangspunkt ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die Bedrohung (§ 241 StGB) nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Straftat der mittleren Kriminalität darstellen kann, welche die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu rechtfertigen vermag, wenn die Bedrohung mit dem Tod geeignet ist, den Bedrohten nachhaltig und massiv in seinem elementaren Sicherheitsempfinden zu beeinträchtigen; dies ist insbesondere der Fall, wenn sie aus der Sicht des Betroffenen die nahe liegende Gefahr ihrer Verwirklichung in sich trägt (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202 mwN). Gleichwohl war nach den Feststellungen die Schwelle zur Erheblichkeit nur geringfügig überschritten. Den daraus resultierenden erhöhten Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit werden die Darlegungen im Urteil nicht gerecht.
12
Der Beschuldigte, dessen aggressiver Impulsdurchbruch in Form der Bedrohung auch dadurch verursacht war, dass der Filialleiter zuvor seinen Überweisungsauftrag zerrissen hatte, beruhigte sich nach Ausstoßen der Drohungen letztlich selbst wieder und verließ die Geschäftsräume ohne fremdes Zutun. Auch bei dem Geschehen, welches 1998 zu einer ersten Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus geführt hatte, war er über verbale Drohungen nicht hinausgegangen und hatte sich aufgrund des Zuredens eines Polizeibeamten zum Aufgeben entschlossen. Seit seiner Entlassung aus dem Maßregelvollzug im Jahr 2005 hatte die Krisenintervention überwiegend durch freiwillige Aufenthalte in Kliniken der Allgemeinpsychiatrie oder verschiedenen psychiatrischen Nachsorgeeinrichtungen stattgefunden. Es kommt hinzu, dass nach den Feststellungen des Landgerichts das Ziel der Unterbringung (vgl. dazu LK/Schöch, StGB, 12. Aufl., § 63 Rn. 2), die Heilung und deutliche Verbesserung des Zustandes des Beschuldigten, durch die Maßregel nicht mehr zu erwarten ist (UA S. 24). Somit geht es bei der Unterbringung ausschließlich um den Schutz der Allgemeinheit durch Freiheitsentziehung. Dies macht die Anordnung der Maßregel zwar nicht unzulässig (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 1989 - 4 StR 308/89, NStZ 1990, 122, 123), indes stellt die ungünstige Behandlungsprognose einen Umstand dar, der bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit Gewicht hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 - 2 BvR 708/12, juris Rn. 40 ff.; Beschluss vom 5. Juli 2013 - 2 BvR 789/13, NStZ-RR 2013, 360 (Ls)).
13
Diese Besonderheiten sind vom Landgericht in die Erwägungen nicht einbezogen worden. Es muss deshalb erneut entschieden werden, ob die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus unter diesen Umständen unerlässlich ist oder ob die Krisenintervention wie im bisher geschehenen Umfang ausreicht. Becker Pfister Hubert Schäfer Mayer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 S t R 1 4 2 / 1 5
vom
28. Oktober 2015
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. Oktober
2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Raum,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Jäger,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Cirener,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Mosbacher
und die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Fischer,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 11. November 2014 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Beschuldigten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

A.

2
I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Dem Beschuldigten war die Geschädigte bereits seit etwa 20 Jahren vom Sehen und von flüchtigen Gesprächen bekannt. Im Sommer 2013 kam es zum Ausbruch einer psychotischen Erkrankung beim Beschuldigten, in deren Zuge er einen auf die Geschädigte bezogenen Liebeswahn entwickelte. Im Sommer 2013 kam es zu einem Treffen zwischen dem Beschuldigten und der Geschädigten in einem Café, bei dem sie ihm erklärte, nichts mit ihm zu tun haben zu wollen. Dies konnte der Beschuldigte nicht akzeptieren. An einem Tag im September 2013 packte er die Geschädigte mit schmerzhaften Folgen am Handgelenk, um mit ihr reden zu können. In der Folgezeit passte er sie täglich an ihrer Arbeitsstelle – die in unmittelbarer Nähe zu seiner Wohnung lag – oder auf ihrem Nachhauseweg ab. Deswegen beantragte die Geschädigte im Februar 2014 den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 1 GewSchG, die am 10. Februar 2014 erging. Mit diesem dem Beschuldigten am 13. Februar 2014 zugestellten Beschluss des Amtsgerichts München wurde ihm untersagt, mit der Geschädigten Kontakt aufzunehmen.
4
Der Beschuldigte suchte in 14 Fällen zur Geschädigten Kontakt, indem er sie an ihrer Arbeitsstelle aufsuchte oder sie dort anzurufen versuchte. Zehn dieser Fälle ereigneten sich nach dem 13. Februar 2014, wobei er trotz Kenntnis des Beschlusses des Amtsgerichts München vom 10. Februar 2014 handelte. In dem letzten dieser Fälle versuchte er am 26. Februar 2014, sie „gewalt- sam aus der Praxis zu zerren“, in der sie als Arzthelferin arbeitete. Die Geschä- digte versetzte dem Beschuldigten eine Ohrfeige. Sie selber erlitt dabei Schmerzen.
5
Die Geschädigte ist aufgrund dieser Vorfälle psychisch stark angeschlagen. Sie leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung und Angstzuständen.
6
Der Beschuldigte litt zu den Tatzeitpunkten an einer paranoiden Schizophrenie , was zu einer krankheitsbedingten erheblichen Beeinträchtigung des Motivationsgefüges führte und die Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 20 StGB aufhob. Nachdem während der vorläufigen Unterbringung der Beschuldigte erstmals auf ein geeignetes Medikament eingestellt worden war, zeigte er sich behandlungseinsichtig und erschüttert über die Folgen seines Verhaltens.
7
II. 1. Das Landgericht hat die Taten als vorsätzliche Körperverletzung in Tatmehrheit mit 14 Fällen der Nachstellung, diese in zehn Fällen jeweils in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz, und in einem Fall weiter in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1, § 230 Abs. 1, § 238 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Abs. 4, §§ 52, 53 StGB, §§ 1, 4 GewSchG gewertet, die der Beschuldigte rechtswidrig, aber im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen hat.
8
2. Die Voraussetzungen des § 63 StGB zur Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus hat es nicht angenommen. Zwar gingen die Taten auf einen dauerhaften Zustand, nämlich die paranoide Schizophrenie , zurück. Jedoch ergebe die Gefahrenprognose, dass von dem Beschuldigten infolge dieser Erkrankung keine erheblichen rechtswidrigen Taten mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades zu erwarten seien. Hierzu hat es darauf abgestellt, dass der Beschuldigte zwar aufdringlich und lästig gehandelt habe, was zu erheblichen psychischen Folgen bei der Geschädigten geführt habe, jedoch habe er über das beharrliche Nachstellen hinaus keine gesteigerte kriminelle Energie aufgewandt und keine gesteigerte körperliche Aggressivität gezeigt. Die Schwelle zur Vollendung der Körperverletzungsdelikte sei nur deswegen überschritten worden, weil sich die Geschädigte nachvollziehbarerweise aus dem Griff des Beschuldigten herausgewunden und deswegen Schmerzen erlitten hätte. Selbst die Ohrfeige der Geschädigten habe zu keiner weiteren Gewaltanwendung durch ihn geführt. Unter Berücksichtigung auch weiterer Umstände aus seinem Vorleben könne aus seinem bisherigen Verhal- ten nicht auf die zukünftige Begehung solcher Taten geschlossen werden, die die Grenze zur Erheblichkeit überschreiten.

B.

9
Die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.
10
Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, also solche, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben. Die Annahme einer gravierenden Störung des Rechtsfriedens setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass die zu erwartenden Delikte wenigstens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen , den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sind, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 16. Juni 2014 – 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571; vom 3. September 2015 – 1 StR 255/15). Ergibt sich die Erheblichkeit drohender Taten nicht aus dem Delikt selbst, wie etwa bei Verbrechen, kommt der zu befürchtenden konkreten Ausgestaltung der Taten maßgebliche Bedeutung zu (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juni 2014 – 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571 mwN; Urteil vom 29. September 2015 – 1 StR 287/15). Die sich hieraus ergebenden Darlegungserfordernisse hat das Landgericht eingehalten.
11
a) Zwar versäumt es, das Eingangsmerkmal des § 20 StGB für den Zustand des Beschuldigten ausdrücklich zu benennen, worauf grundsätzlich nicht verzichtet werden kann (BGH, Urteil vom 29. September 2015 – 1 StR 287/15). Jedoch ist neben der psychiatrischen Diagnose ausführlich dargelegt, dass bei dem Beschuldigten eine dauerhafte Erkrankung vorliegt, wie die daraus resultierenden psychischen Symptome sich auf die Schuldfähigkeit ausgewirkt haben und warum die Anlasstaten auf diesen Zustand zurückzuführen sind. Danach ist nicht nur hinreichend klar, dass das Landgericht vom Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung ausgegangen ist, sondern auch belegt, dass es für die Gefährlichkeitsprognose den Defektzustand des Beschuldigten mit dem angemessenen Gewicht eingestellt hat.
12
b) Das sachverständig beratene Landgericht hat die Gefährlichkeitsprognose auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten auf der Grundlage einer Gesamtschau der konkreten Tatumstände entwickelt (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 12. Juni 2008 – 4 StR 140/08, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 29; Beschluss vom 16. Juni 2014 – 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571). Hierbei hat es keine relevanten Aspekte außer Acht gelassen oder nur verkürzt in die Würdigung eingestellt.
13
So hat es den Umstand der nur losen Bekanntschaft zwischen Täter und Opfer in den Blick genommen, wie die Darstellung der Entwicklung der Bekanntschaft zwischen beiden belegt. Auch die zu befürchtende konkrete Ausgestaltung der Taten hat es ausreichend dargelegt und erwogen. Hierbei durfte es das konkrete Gewicht und die Besonderheiten der Entwicklung der begangenen Körperverletzungsdelikte berücksichtigen. Es hat dabei auch eine Verstärkung der zu erwartenden Aggressivität aufgrund des möglichen Opferver- haltens bedacht, aber im Hinblick auf die Reaktion des Beschuldigten auf die Ohrfeige der Geschädigten nicht für wahrscheinlich gehalten. Die erheblichen psychischen Auswirkungen hat es in die Abwägung eingestellt, die ausführlichen Darlegungen hierzu lassen nicht besorgen, dass es diese zu gering gewichtet haben könnte. Dass das Landgericht auf dieser Grundlage keine konkreten Anhaltspunkte für die Erwartung künftiger Taten in ihrer jeweils für ausreichend wahrscheinlich gehaltenen Handlungsmodalität gefunden hat (vgl. BGH, Beschluss vom 8. April 2003 – 3 StR 79/03, NStZ-RR 2003, 232; Beschluss vom 16. Juni 2014 – 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571), ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Raum Jäger Cirener Mosbacher Fischer
9
a) Wie das Landgericht im rechtlichen Ausgangspunkt nicht verkannt hat, kommt eine Unterbringung gemäß § 63 StGB nur dann in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, also solche, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben. Die Annahme einer gravierenden Störung des Rechtsfriedens setzt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung voraus, dass die zu erwartenden Delikte wenigstens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen, den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sind, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12; BGH, Beschlüsse vom 18. Juli 2013 – 4 StR 168/13, NJW 2013, 3383; vom 16. Juni2014 – 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571 und vom 19. August 2014 – 3 StR 243/14; Urteil vom 28. Oktober 2015 – 1 StR 142/15, NStZ-RR 2016, 40; Beschlüsse vom 13. Oktober 2016 – 1 StR 445/16 Rn. 13 und vom 21. Dezember 2016 – 1 StR 594/16 Rn. 3). Diese bereits durch die Rechtsprechung zu dem bis 31. Juli 2016 geltenden Recht herausgebildeten Anforderungen sind durch § 63 Satz 1 StGB in der geltenden Fassung dahingehend konkretisiert worden (vgl. BT-Drucks. 18/7244 S. 17 f.), dass nur die Erwartung solcher erheblichen rechtswidrigen Taten ausreicht , durch die die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 520/12
vom
16. Januar 2013
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 16. Januar 2013 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 12. Juli 2012 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist; jedoch bleiben die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten aufrechterhalten. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision des Beschuldigten wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und Maßregeln nach den §§ 69, 69a StGB getroffen. Mit seiner Revision rügt der Beschuldigte die Verletzung materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersicht- lichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Nach den Feststellungen beleidigte der allein im Haus seiner verstorbe- nen Eltern wohnende Beschuldigte zwei Nachbarinnen, indem er sie als „fette Sau“ (Fall II. 1 der Urteilsgründe) und „Fezerhure“ (Fall II. 2der Urteilsgründe) bezeichnete. Einen Tag nach dem letztgenannten Vorfall rannte er vor seinem Wohnanwesen brüllend auf den Postzusteller H. zu, als dieser ihm die Post bringen wollte. Dabei war der Beschuldigte mit einem Brotmesser (Klingenlänge 10 cm) „bewaffnet“. Der Zeuge H. ergriff aus Angst vor Verletzungen die Flucht. Als der Beschuldigte zu seinem Haus zurückging, blieb der Zeuge H. stehen und wartete einen Augenblick. Daraufhin setzte der Beschuldigte „erneut zum Angriff an“ und lief wieder brüllend auf den Zeugen H. zu. Dieser eilte nun endgültig davon und sah von einer Postzustellung bei dem Beschuldigten ab (Fall II. 3 der Urteilsgründe). Etwa 90 Minuten nach diesem Vorfall warf der Beschuldigte „einen festen Gegenstand ähnlich einem Kürbis“ gegen den Autoreifen eines fahrenden Fahrzeugs. Anschließend verfolgte er die mit ihrem Fahrrad vorbeifahrende 15-jährige Schülerin C. K. . Dabei schrie er: „Du Hure, ich bring dich um, wenn ich dich erwische“. C. K. hatte deshalb Angst um ihr Leben und beschleunigte ihre Fahrt. Als der Beschuldigte seinerseits von einem eingreifenden Nachbarn angeschrien wurde, ließ er von C. K. ab. C. K. war aufgrund dieses Vorfalls fünf Tage krankgeschrieben und litt noch zwei Wochen unter Schlafstörungen. Sie hat auch weiterhin mit Alpträumen zu kämpfen und befindet sich deshalb in psychologischer Behandlung (Fall II. 4 der Urteilsgründe). Etwa vier Wochen später befuhr der Beschuldigte mit seinem Pkw der Marke Opel Corsa die rechte Fahrspur der Bundesautobahn A 8. Als er einen vor ihm fahrenden Lkw unter Benutzung der Standspur rechts überholen wollte und dazu bereits auf die Standspur ausgeschert war, erkannte er ein hinter ihm fahrendes Polizeifahrzeug und ordnete sich wieder auf der rechten Fahrspur ein. Die Polizeibeamten wollten den Beschuldigten daraufhin einer Kontrolle unterziehen. Sie setzten sich deshalb mit ihrem Dienstfahrzeug vor den Pkw des Beschuldigten und forderten ihn mit dem Anhaltestab zum Anhalten auf. Dieser Aufforderung kam der Beschuldigte bewusst nicht nach und fuhr stattdessen über die mittlere auf die linke Fahrspur. Die Polizeibeamten setzten ihr Dienstfahrzeug nun erneut vor den Pkw des Beschuldigten und blendeten auf der Signalanlage die Anordnung „Bitte Folgen“ ein. Der Beschuldigte lenkte sein Fahrzeug nun „ruckartig“ nach rechts und hielt auf der Standspur an. Nachdem die Polizeibeamten ihr Dienstfahrzeug etwa 100 Meter vor dem Pkw des Beschuldigten zum Stehen gebracht hatten, setzten sie auf der Standspur zurück. Währenddessen fuhr der Beschuldigte unvermittelt los und scherte von der Standspur auf die rechte Fahrspur ein, ohne auf den herannahenden Verkehr zu achten. Dabei ging es ihm allein darum, sich der Kontrolle durch die Polizeibeamten zu entziehen. Der Fahrer eines auf der rechten Fahrspur herannahenden Sattelzuges konnte einen Unfall nur noch durch ein ruckartiges Ausweichmanöver auf die mittlere Fahrspur vermeiden, auf der sich zu diesem Zeitpunkt kein Fahrzeug befand. Anschließend fuhr der Beschuldigte mit 60 bis 70 km/h zur nächsten Tankstelle. Bei der dort durchgeführten Kontrolle musste er von den Polizeibeamten gefesselt werden, weil er aggressiv wurde und eine bedrohliche Haltung einnahm (Fall II. 5 der Urteilsgründe ).
3
Das Landgericht hat das Verhalten des Beschuldigten als Beleidigung in zwei Fällen (§ 185 StGB), Nötigung (§ 240 StGB), Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung (§§ 185, 241 StGB) und vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c Abs. 1 Nr. 2a StGB) gewertet. Bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit und der Einschätzung der Gefährlichkeitsprognose hat sich das Landgericht dem angehörten Sachverständigen Dr. M. angeschlossen. Danach leide der Beschuldigte an einer schizoaffektiven Störung mit manischen Zügen. Er sei nicht in der Lage, Situationen richtig einzuschätzen und sich anzupassen. Der Beschuldigte zeige einen gesteigerten Antrieb, sei umtriebig und leicht reizbar. Die paranoide Komponente seiner Erkrankung sei stets handlungsleitend. Bei ihm bestehe ein ausgeprägtes Misstrauen gegenüber sämtlichen Behörden und seiner Umgebungswelt. Nach seiner eigenen Wahrnehmung drangsaliere nicht er seine Nachbarschaft, sondern diese ihn. Es sei beabsichtigt , ihn aus seinem Haus zu vertreiben. Die Polizei ermittle stets zu seinem Nachteil. Die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten sei deshalb zur Tatzeit sicher erheblich eingeschränkt und möglicherweise sogar vollständig aufgehoben gewesen (UA 11). Da dem Beschuldigten die Krankheitseinsicht fehle, müsse damit gerechnet werden, dass er nach seiner Entlassung aus dem psy- chiatrischen Krankenhaus die Medikation absetzen und auf ein „Krankheitslevel“ wie zum Zeitpunkt der Anlasstaten zurücksinken werde. Es sei daher wahrscheinlich, dass der Beschuldigte aufgrund seiner Erkrankung auch in Zukunft den Anlasstaten ähnliche Taten begehen werde. Es bestehe daher die Gefahr der Fremdgefährdung, was nicht zuletzt im Fall der vorsätzlichen Straßenverkehrsgefährdung (Fall II. 5 der Urteilsgründe) ersichtlich geworden sei. Sowohl diese, als auch die mit einem Brotmesser zum Nachteil des Postzustellers begangene Tat (Fall II. 3 der Urteilsgründe) seien als erheblich einzustufen. Für die Gefährlichkeitsprognose spreche weiter, dass die überraschenden Angriffe des Beschuldigten neben den angeführten Fällen auch im Fall der Fahrradfahrerin C. K. (Fall II. 4 der Urteilsgründe) gegen Zufallsopfer gerichtet gewesen seien (UA 13). Auch hätten Zeugen in der Haupt- verhandlung über weitere – nie zur Anzeige gebrachte – Vorfälle mit erheblichem Gefahrenpotential (Werfen eines unbekannten Gegenstandes gegen einen Pkw, Werfen einer Flasche in Richtung einer Nachbarin) berichtet (UA 14). Eine Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung sei aufgrund der fehlenden Krankheitseinsicht des Beschuldigten und seiner sozialen Situation nicht möglich (UA 14 f).

II.


4
Die Voraussetzungen des § 63 StGB werden durch die Urteilsfeststellungen nicht belegt.
5
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defektes schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2009 – 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198; Beschluss vom 8. April 2003 – 3 StR 79/03, NStZ-RR 2003, 232). Dieser Zustand muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein (BGH, Beschluss vom 29. August 2012 – 4 StR 205/12, NStZ-RR 2012, 367; Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 40/86, BGHSt 34, 22, 27).
6
Das landgerichtliche Urteil enthält hierzu keine ausreichenden Feststellungen. Soweit das Landgericht im Anschluss an den Sachverständigen davon ausgeht, dass der Beschuldigte an einer schizoaffektiven Störung mit manischen Zügen leide, werden die diese Bewertung tragenden Anknüpfungs- und Befundtatsachen nicht in ausreichendem Umfang wiedergegeben (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12, Rn. 8; Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; Beschluss vom 14. September 2010 – 5 StR 229/10, Rn. 8). Die Urteilsgründe beschränken sich auf eine Mitteilung der Diagnose und knappe – allgemein gehaltene – Ausführungen über bei dem Beschuldigten beobachtete Auffälligkeiten. Dass es sich hierbei um zeitstabile Beeinträchtigungen seines psychischen Zustandes handelt, wird nicht aufgezeigt. Die mitgeteilte stationäre Unterbringung des Be- schuldigten wegen „psychischer Auffälligkeiten“ im Jahr 1993 (UA 3) ist insoweit ohne Aussagekraft, weil sich nach den bisher getroffenen Feststellungen ein Bezug zu der diagnostizierten schizoaffektiven Störung nicht herstellen lässt.
7
2. Auch die Gefährlichkeitsprognose begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
8
Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202). Ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, muss anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden werden (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Beschluss vom 26. April 2001 – 4 StR 538/00, StV 2002, 477 f.). Sind die zu erwartenden Delikte nicht wenigstens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen, ist die Annahme einer schweren Störung des Rechtsfriedens nur in Ausnahmefällen begründbar (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 18. März 2008 – 4 StR 6/08; Beschluss vom 18. Februar 1992 – 4 StR 27/92, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 16; Beschluss vom 28. Juni 2005 – 4 StR 223/05, NStZ-RR 2005, 303, 304). Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters , seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (BGH, Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12, Rn. 10; Urteil vom 17. November 1999 – 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27). An die Darlegungen sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt (BGH, Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12, Rn. 10; Beschluss vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, Rn. 8; Beschluss vom 8. November 2006 – 2 StR 465/06, NStZ-RR 2007, 73, 74).
9
Diesen Maßstäben werden die Erwägungen des Landgerichts nicht gerecht. Eine die Biographie des Beschuldigten und seine Krankheitsgeschichte in den Blick nehmende Gesamtwürdigung wurde nicht erkennbar vorgenommen. Dabei hätte Berücksichtigung finden müssen, dass der inzwischen 42 Jahre alte Beschuldigte nur in den Jahren 2002 und 2005 strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Eine zweijährige Bewährungszeit vermochte er durchzustehen und im Jahr 2007 einen Straferlass zu erreichen (UA 4). Der länger währenden Straffreiheit des Beschuldigten käme jedenfalls dann eine prognosegünstige Bedeutung zu, wenn bei ihm in diesen Zeiträumen bereits die diagnostizierte schizoaffektive Störung vorlag (vgl. BGH, Urteil vom 28. August 2012 – 5 StR 295/12, NStZ-RR 2012, 366, 367; Beschluss vom 11. März 2009 – 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198, 199). Ob dies der Fall gewesen ist, kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden. Auch wäre das Landgericht gehalten gewesen, näher auf die Schwere und den bisherigen Verlauf der angenommenen schizoaffektiven Störung einzugehen. Derartige Erkrankungen ver- laufen phasenhaft, wobei es zu Zeiten vollständiger Remission kommen kann, in denen keine psychischen Beeinträchtigungen zu beobachten sind (Hoff/Sass in: Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 2, S. 84 f.; Nedopil/Müller, Forensische Psychiatrie, 4. Aufl., S. 181 f.; MüllerIsberner /Venzlaff in: Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 5. Aufl., S. 181 f.). Es hätte daher näherer Darlegung bedurft, mit welcher Häufigkeit es in der Vergangenheit bei dem Beschuldigten zu Krankheitsphasen gekommen ist und welche prognoserelevanten Schlüsse daraus zu ziehen sind.

III.


10
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den Anlasstaten und die Maßregel nach den §§ 69, 69a StGB können bestehen bleiben. Sollte der neue Tatrichter – was nahe liegt – wieder zu der Annahme gelangen, dass der Beschuldigte bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines andauernden psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Begehung dieser Taten auf dem angenommenen Defekt beruhte, wird bei der Prüfung der Gefährlichkeit auch die Todesdrohung (§ 241 StGB) zum Nachteil der Zeugin C. K. (Fall II. 4 der Urteilsgründe) als erhebliche rechtswidrige Tat im Sinne des § 63 StGB gewertet werden können (vgl.
BGH, Beschluss vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338; Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 271).
Roggenbuck Cierniak Franke
Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 311/13
vom
1. Oktober 2013
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
1. Oktober 2013 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 30. April 2013 aufgehoben; die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen bleiben aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. Die hiergegen gerichtete, auf Verfahrensrügen und sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Beschuldigten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Beschuldigte seit 1984 an einer hebephrenen Psychose, die sich seither in situationsinadäquatem Verhalten, Verwahrlosung und Desorganisation äußerte. Er stand seit dieser Zeit unter Betreuung, war beginnend mit dem Sommer 1989 im Wesentlichen obdachlos und entwickelte eine schwere Alkoholabhängigkeit und eine konstante Inkontinenz. Mehrfach befand er sich in stationärer psychiatrischer Behandlung. Bei den Klinikaufenthalten erholte er sich jeweils schnell, um alsbald das Krankenhaus wieder zu verlassen und erneut in den Alkoholmissbrauch und die Verwahrlosung abzugleiten. Er nächtigte, weil er wegen seiner Inkontinenz oft nicht in Obdachlosenunterkünften verbleiben konnte, häufig in den Foyers von Geldinstituten, die er entsprechend verschmutzte. Die zahlreichen gegen ihn deshalb wegen Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigung geführten Ermittlungsverfahren wurden wegen Schuldunfähigkeit eingestellt. Inzwischen zeigt sich bei ihm das Krankheitsbild einer langjährigen, chronifizierten paranoiden Schizophrenie mit illusionären Verkennungen und Wahnwahrnehmungen , die sich zu systematisierten Wahnideen verdichtet haben und die er als beeinträchtigend erlebt. In deren Zentrum steht eine imaginäre Person namens "Kerski", die ihn mit "Toyota-Erpresserkugeln" sowie mit Gummipuppen und Blechmenschen bedroht.
3
Seit Juni 2010 hielt sich der Beschuldigte häufig im Bereich einer Kirche auf. Da er bei schlechtem Wetter den Kircheninnenraum verunreinigte, musste ihm von dem Gemeindepfarrer H. Hausverbot erteilt werden, das, nachdem der Beschuldigte danach die Kirche von außen und den sie umgebenden Friedhof verschmutzt hatte, auf das gesamte Kirchengelände ausgedehnt wurde. Der Beschuldigte hielt sich häufig nicht daran. Pfarrer H. sah indessen aus Mitleid von Strafanzeigen ab. Wenn der Beschuldigte auf einer Bank vor dem Friedhof saß, führte er oft mit lautstarker Stimme schreiend Selbstgesprä- che, die den Pfarrer im Gemeindehaus bei der Arbeit störten. Am 16. Juni 2012 schrie der Beschuldigte wieder herum. Als Pfarrer H. - wie schon öfter im Verlauf der letzten Jahre - hinausging und den Beschuldigten aufforderte, sich zu entfernen, blieb der Beschuldigte entgegen bisheriger Gewohnheit auch dann noch vor Ort, als der Pfarrer ankündigte, die Polizei zu rufen, und sich zur Verstärkung seiner Drohung mit seinem Mobiltelefon beschäftigte und vorgab, eine Nummer zu wählen. Der Beschuldigte nahm an diesem Tag in wahnhafter Realitätsverkennung an, bei Pfarrer H. handele es sich um eine von "Kerski" erschaffene Gummipuppe. Er fühlte sich von dieser bedroht und schlug dem Pfarrer deshalb mit einer großen, eineinhalb Liter fassenden und noch zur Hälfte mit einem Getränk gefüllten Plastikflasche kräftig auf den Kopf. Der Schlag zerstörte die Brille des Pfarrers und verursachte eine dislozierte Jochbogenfraktur, was zu einer dauerhaften, unauffälligen aber wahrnehmbaren Delle im Jochbein geführt hat.
4
Sachverständig beraten hat das Landgericht angenommen, dass der Beschuldigte in psychotischer Verkennung der Realität und damit ohne Unrechtseinsicht gehandelt habe. Da der Beschuldigte eine notwendige Behandlung verweigere, sei mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Begehung von der Anlasstat vergleichbaren Taten zu rechnen.
5
2. Während die Verfahrensrügen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Beschuldigten aufzeigen, hält die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
6
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht , dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat (en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2013 - 2 StR 94/13 mwN). Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist der Tatrichter auch verpflichtet, die wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen.
7
b) Während die psychische Erkrankung des Beschuldigten sowie dessen hierauf beruhende Schuldunfähigkeit bei der Tatbegehung ausreichend festgestellt und in der Beweiswürdigung belegt sind, fehlt es an einer ausreichenden Darlegung einer zukünftigen Gefährlichkeit des Beschuldigten.
8
Das Landgericht hat sich dem gehörten Sachverständigen angeschlossen. Dieser hat aus einer Beurteilung in Anlehnung an das Verfahren HCR 20 (historical clinical risk management - zu Einzelheiten vgl. Dahle, Grundlagen und Methoden der Kriminalprognose in Kröber u.a.: Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 3, S. 1, 30 f.) das Risiko gewalttätigen Verhaltens des Beschuldigten als deutlich erhöht bezeichnet. Der von dem Beschuldigten erreichte Totalwert (25 von 40 Punkten) liege deutlich oberhalb der Mittelwertbereiche für zivilpsychiatrische Patienten und innerhalb der Mittelwertbereiche für forensisch-psychiatrische Patienten. Es sei deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Anlasstat vergleichbaren Taten zu rechnen (UA S. 14). Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht bei der Prognose zukünftigen Verhaltens einseitig das Ergebnis des vom Sachverständigen genutzten statistischen Prognoseinstruments in den Blick genommen und dabei außer Acht gelassen hat, dass solche Instrumente zwar Anhaltspunkte über die Ausprägung eines strukturellen Grundrisikos liefern, indes nicht in der Lage sind, eine fundierte Einzelbetrachtung zu ersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203, 204; Urteil vom 11. Mai 2010 - 1 StR 40/10, NStZ 2010, 504, 506; Beschluss vom 22. Juli 2010 - 3 StR 169/10, StraFo 2011, 62; Beschluss vom 24. April 2013 - 5 StR 83/13 - juris). Eine solche Einzelbetrachtung muss sich auch mit dem Umstand auseinandersetzen , dass der Beschuldigte - jedenfalls nach den bisherigen Feststellungen - trotz einer bereits seit fast 30 Jahren bestehenden Erkrankung erstmals mit einer in den Bereich der mittleren Kriminalität fallenden Straftat in Erscheinung getreten ist. Zwar teilt das Urteil mit, der Bundeszentralregisterauszug des Beschuldigten weise seit 1991 insgesamt 78 Eintragungen zu Ermittlungsverfahren auf, die wegen Schuldunfähigkeit des Beschuldigten eingestellt worden sind; es ist indes nicht festgestellt, welche Taten des Beschuldigten den Verfahren zugrunde lagen, insbesondere ob sich darunter solche von gewisser Erheblichkeit befanden. Angesichts der an anderer Stelle im Urteil getroffenen Feststellung über 11 Ermittlungsverfahren wegen der Übernachtungen in den Räumen von Kreditinstituten allein in den Jahren 2011/2012 (UA S. 5) liegt es nahe, dass es sich auch bei den anderen Verfahren um solche wegen Delikten minderer Intensität gehandelt hat. Wenn aber nach jahrzehntelanger Erkrankung eine vereinzelte Tat der gefährlichen Körperverletzung zum Anlass für eine Unterbringung nach § 63 StGB genommen wird, bedarf es eingehenderer Darlegungen, warum der Beschuldigte jetzt seine paranoiden Ängste erstmals auf diese Weise ausagiert hat und unter welchen Umständen zukünftig von ihm welche Taten zu erwarten sind.
9
Im Hinblick auf die Verbesserung der Lebenssituation, die der Beschuldigte im Rahmen seiner vorläufigen Unterbringung in der Klinik für forensische Psychiatrie des LVR Klinikums E. nach den Feststellungen des Landgerichts derzeit erlebt (UA S. 7 und 15), bemerkt der Senat ergänzend: Auf eine ausreichende Begründung zukünftiger Gefährlichkeit des Beschuldigten für die Allgemeinheit kann nicht verzichtet werden, selbst wenn dessen Gesundheitszustand durch eine längerfristige Behandlung in einem forensischpsychiatrischen Krankenhaus gebessert werden könnte, denn nur die Belange der öffentlichen Sicherheit - nicht aber die Bemühungen um die Gesundheit des Patienten - können es rechtfertigen, einen Menschen auf unbestimmte Zeit einer Freiheitsentziehung zu unterwerfen (vgl. LK/Schöch, StGB, 12. Aufl., § 63 Rn. 1 mwN).
10
c) Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sind rechtsfehlerfrei getroffen und können deshalb aufrechterhalten bleiben.
Becker Pfister RiBGH Mayer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Gericke Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 S t R 2 3 9 / 1 5
vom
2. September 2015
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschuldigten am 2. September 2015 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 19. Februar 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Beschuldigten. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Beschuldigte an einer schizoaffektiven Störung. Im Frühjahr 2014 befand er sich in einer manischen Phase. Er mietete am 15. Mai 2014 ein Hotelzimmer, wobei er die Hotelangestellte an der Rezeption fragte, ob sie mit ihm ausgehen wolle, was diese aber verneinte. Über die Zurückweisung ärgerte sich der Beschuldigte so sehr, dass er später ein Plisseerollo am Badezimmerfenster des Hotelzimmers aus der Verankerung riss, einen Vorhang in Brand setzte, den Inhalt eines Aschenbechers im Zimmer verstreute und das Bett verrückte. Den Brand am Vorhang löschte er alsbald.
3
Das Landgericht hat darin zwei rechtswidrige Taten der Sachbeschädigung gesehen, bei denen die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten aufgehoben gewesen war. Es hat ferner angenommen, weitere erhebliche rechtswidrige Taten des Beschuldigten seien zu erwarten. Kurz nach den genannten Handlungen habe der Beschuldigte am Flughafen in H. erneut mit einem Feuerzeug hantiert und einen Computermonitor in Brand gesetzt. Später habe er seinen Vater geschlagen und seine Mutter getreten. Der Beschuldigte werde immer dann gefährlich, wenn er unter wahnhaften Ängsten leide. Der gerichtliche Sachverständige habe unter Anwendung der HCR-20-Checkliste dargelegt, dass bei ihm ein mittelgradig erhöhtes Risiko für Gewalttaten bestehe. Vor diesem Hintergrund sei die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus auch verhältnismäßig, obwohl die Anlasstaten die Erheblichkeitsschwelle noch nicht überschritten hätten.

II.

4
Gegen diese Bewertung bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.
5
1. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie setzt zunächst voraus, dass zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defektes schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2015 - 4 StR 514/14, NStZ-RR 2015, 169 f.).
6
In den Urteilsgründen des Landgerichts bleibt schon unklar, weshalb die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten bei der Begehung der rechtswidrigen Taten aufgehoben gewesen sein soll. Immerhin löschte er den Brand am Vorhang "relativ schnell". Auch ist nicht erkennbar, dass den Handlungen im Hotelzimmer eine paranoide Symptomatik zu Grunde gelegen hat; sein Randalieren könnte auch eine noch normalpsychologisch erklärbare Reaktion auf die Zurückweisung durch die Hotelangestellte gewesen sein. Deren Eindruck vom Erscheinungsbild des Beschuldigten ist in den Urteilsgründen nicht mitgeteilt worden, sondern nur der "Eindruck, den sie von dem Hotelzimmer gehabt habe".
7
2. Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt auch nur in Betracht, wenn im Urteilszeitpunkt eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht , dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben.
8
a) Die vom Landgericht hervorgehobene Auswertung einer Checkliste durch den Sachverständigen besitzt dafür nur eine geringe Aussagekraft (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2013 - 3 StR 311/13, StV 2015, 216 f.), zumal deren Resultate nicht näher erläutert wurden.
9
b) Die Prüfung des Grades der Wahrscheinlichkeit weiterer Taten und ihrer Art ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln. Die hierauf bezogenen Betrachtungen des Landgerichts sind jedoch nicht erschöpfend.
10
Schizoaffektive Störungen verlaufen phasenhaft, wobei es auch zu Zeiten vollständiger Remission kommen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2015 - 4 StR 514/14, NStZ-RR 2015, 169, 170). Der vom Landgericht gehörte Sachverständige hat sechs Krankheitsschübe bei dem Beschuldigten im Zeitraum von 2006 bis Frühjahr 2014 unterschieden. In der ersten Phase war es zu einem Rückzugsverhalten gekommen, in der zweiten Phase zu beleidigendem Verhalten, in der dritten Phase wiederum zu einem Rückzug, in der vierten Phase zu einer versuchten Nötigung, in der fünften Phase war der Beschuldigte "streitlustig". Bei dem sechsten Schub war es anfänglich während eines Aufenthalts in P. nicht zu aggressivem Verhalten des Beschuldigten gekommen.
11
Nach den Anlasstaten des vorliegenden Verfahrens, die keine erheblichen Taten im Sinne des § 63 StGB darstellen, reagierte der Beschuldigte auf das Erscheinen seines Vaters vor seiner Wohnung damit, dass er mit einem Messer oder Schraubendreher durch die Tür stach. Im Rahmen der vorläufigen Unterbringung kam es zu aggressivem Verhalten gegenüber Mitarbeitern des psychiatrischen Krankenhauses, das allerdings auch unter dem Blickwinkel der besonderen Situation in der Freiheitsentziehung zu beurteilen ist. Danach zeigte sich der Beschuldigte ab Oktober 2014 unauffällig. In der Hauptverhandlung war er "orientiert und aufnahmefähig. Seine Einlassung war verständlich".
12
Bei dieser Sachlage liegt es jedenfalls nicht auf der Hand, dass in Zukunft mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades auch erhebliche rechtswidrige Taten des Beschuldigten zu erwarten sind. Dies wäre mit Blick auf die störungsfreien Phasen sowie diejenigen Krankheitsschübe, die nicht zu rechtswidrigen Taten oder allenfalls zu noch nicht erheblichen Taten geführt hatten, vom Landgericht näher zu erörtern gewesen. Die Art der mit höherer Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Taten wäre nach Möglichkeit zu konkretisieren. Aggres- sive Handlungen gegen Sachen stellen oftmals keine erheblichen Taten dar. Ob Drohungen als erhebliche rechtswidrige Taten anzusehen sind, hängt davon ab, wie wahrscheinlich mit der Realisierung der Drohungen zu rechnen ist und welches Gewicht die dann zu erwartenden Handlungen haben. Dies hat das Landgericht nicht vertieft. Dies wäre aber geboten gewesen, zumal die Anlasstaten selbst noch keine erheblichen rechtswidrigen Taten waren. Eschelbach Franke Ott Zeng Bartel

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR167/15
vom
3. Juni 2015
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlicher Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 3. Juni 2015 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 26. November 2014 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. Die auf die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde dem Angeklagten die Wohnung gekündigt, weil er regelmäßig Gegenstände aus dem Fenster geworfen und kochend heißes Wasser auf die Straße gegossen hatte. Er zog in einen Verschlag auf dem Dachboden bei seinen Eltern. Auch hier kam es mehrfach zu Polizeieinsätzen, weil er Müll aus dem Dachfenster auf die Straße warf und mit seinen Eltern in Streit geriet. Die Eltern erteilten ihm Hausverbot.
3
Das Landgericht hat unter II.2. der Urteilsgründe folgende Taten festgestellt :
4
a) Der Angeklagte hielt ihm im Rahmen der Führungsaufsicht auferlegte Gesprächstermine mit seinem Bewährungshelfer sowie einen Termin zur Suchtmittelkontrolle unentschuldigt nicht ein.
5
b) Am 17. Juni 2013 kam es zu einer tätlichen Auseinandersetzung mit dem Vater, nachdem dieser dem Angeklagten den Zugang zur elterlichen Wohnung verweigert hatte, und anschließend zu einer Schlägerei mit seinem Bruder , der dem Vater zu Hilfe geeilt war.
6
c) Am selben Tag verschaffte sich der Angeklagte trotz einer Wohnungsverweisung und eines Rückkehrverbots Zutritt zu dem Verschlag auf dem Dachboden. Gegen 22.25 Uhr begaben sich zwei Polizeibeamte zu dem Verschlag und forderten den Angeklagten auf, das Haus zu verlassen. Der Angeklagte willigte ein, wollte aber zunächst eine Zigarette rauchen. Als der Polizeibeamte G. R. dies ablehnte und nach der Tabaktüte des Angeklagten griff, riss dieser die Fäuste hoch und stürzte sich mit gesenktem Kopf auf den Polizeibeamten, so dass dieser rücklings auf den Flur fiel. Obwohl ihm der zweite Polizeibeamte, S. , zu Hilfe eilte, gelang es beiden zunächst nicht, den wild um sich schlagenden Angeklagten zu überwältigen. Beide Polizeibeamte wurden von Faustschlägen getroffen. Einem Beamten versetzte der Angeklagte zudem einen Kopfstoß. Bei der Fixierung des Angeklagten strengte sich der Beamte G. R. dermaßen an, dass er sich einen Brustwirbel ausrenkte. Mit der Hilfe von zwei weiteren Polizeibeamten wurde der Angeklagte schließlich in den Polizeigewahrsam gebracht.
7
d) Am 25. Juni 2013 drückte der Angeklagte die Eingangstür zur Wohnung des Zeugen St. auf. Er entdeckte eine Plastiktüte mit Münzgeld,die er in einen Rucksack des St. packte, um sie mitzunehmen. Der Angeklagte glaubte nun, er befinde sich in seiner eigenen Wohnung, zog sich aus und duschte. Währenddessen kehrte St. in seine Wohnung zurück. Erforderte den Angeklagten auf, die Wohnung zu verlassen. Der Angeklagte wollte den Rucksack des St. mitnehmen, was dieser durch Festhalten verhinderte. Der Angeklagte verließ daraufhin die Wohnung.
8
2. Das Landgericht hat – dem Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen Dr. M. folgend – angenommen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten, der seit 2006 an einer schizoaffektiven Psychose (ICD-10 F25) leidet und bei dem eine dissoziale Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.2) sowie Cannabis- und Kokainmissbrauch (ICD-10 F12.1, F14.1) vorliegen, bei der Begehung der Taten aufgrund eines akuten affektpsychotischen Erlebens aufgehoben war. Von der Schuldunfähigkeit war es ebenso überzeugt wie von einer hohen Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Angeklagte zukünftig auch schwerwiegendere Taten aus dem Bereich der Gewaltkriminalität begehen wird.

II.


9
Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Gefährlichkeitsprognose ist nicht tragfähig begründet (1.), dies führt zur Aufhebung des Urteils insgesamt. In den Fällen II.2.a und b der Urteilsgründe werden zudem weder die vom Landgericht angenommene Aufhebung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung dieser Taten noch der notwendige Zusammenhang zwischen der psychischen Erkrankung und der Tatbegehung hinreichend belegt (2.); schon das Vor- liegen einer rechtswidrigen Tat lässt sich anhand der Urteilsgründe jedenfalls im Fall II.2.a nicht nachvollziehen (3.).
10
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB ist eine den Betroffenen außerordentlich beschwerende Maßnahme. Nur Störungen des Rechtsfriedens, die zumindest in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinragen, rechtfertigen eine Unterbringung gemäß § 63 StGB (vgl. BVerfGE 70, 297, 312; BGH, Urteil vom 17. August 1977 – 2 StR 300/77, BGHSt 27, 246, 248; BGH, Beschluss vom 21. März 1989, NJW 1989, 2959; st. Rspr.). Auch muss aufgrund einer umfassenden Würdigung von Tat und Täter eine höhere oder doch bestimmte, jedenfalls über die bloße Möglichkeit hinausreichende Wahrscheinlichkeit zu bejahen sein, dass der schuldunfähige Täter infolge seines Zustandes weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2013 – 2 StR 94/13 mwN).
11
Die Strafkammer hat bei ihrer Gefährlichkeitsprognose hinsichtlich der Anlasstaten ausdrücklich nur auf die Tat im Fall II.2.c der Urteilsgründe abgestellt und eine erhöhte Gefahr bejaht, dass es wiederholt zu Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte und damit verbundenen Körperverletzungen wie bei den Beamten G. R. und S. kommen werde. Diese eine Tat reicht aber nicht, die für eine Unterbringung erforderliche Gefährlichkeit des Angeklagten zu belegen. Sie allein lässt nicht ausreichend erkennen, dass eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für Impulsdurchbrüche mit der Folge von Gewalttätigkeiten besteht. Zwar ist der Angeklagte auch bei der Exploration durch die Sachverständige im hiesigen Verfahren, bei einem Termin bei dem Psychiater Dr. D. und bei einer richterlichen Anhörung im Rahmen einer Unterbringung nach dem PsychKG in einen hochgradigen und nicht mehr kontrollierbaren Erregungszustand geraten. Zu Tätlichkeiten ist es in diesen Fällen aber nicht gekommen. Der Angeklagte erleidet auch nicht bei jedem Kontakt mit Polizeibeamten einen krankheitsbedingten gewalttätigen Impulsdurchbruch, wie sein unauffälliges Verhalten gegenüber den Polizisten im Fall II.2.b der Urteilsgründe zeigt. Hinzu kommt, dass er auch schon vor der Manifestation seiner Erkrankung – also nicht krankheitsbedingt – mehrfach wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung in Erscheinung getreten ist. Die Gefahrenprognose für die Unterbringung nach § 63 StGB kann aber nur auf solche zu erwartenden Taten gestützt werden, die gerade auf dem Zustand des Betroffenen beruhen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2012 – 2 StR 614/11).
12
Soweit die Strafkammer auf das sonstige Verhalten des Angeklagten – Werfen von Gegenständen und Gießen von kochend heißem Wasser aus dem Fenster – abstellt, kann dies prinzipiell eine Gefährlichkeit gegenüber der Allgemeinheit begründen. Die Strafkammer hat aber diese Vorfälle nicht, was erforderlich gewesen wäre, im Einzelnen konkret dargelegt.
13
Des Weiteren stellt die Strafkammer bei der Gefährlichkeitsprognose auf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchtende Raubdelikte zur Finanzierung des Betäubungsmittelkonsums des Angeklagten ab. Sollte sich in einer solchen Situation ein von ihm nicht mehr zu kontrollierender Affektsturm ergeben, sei mit der Anwendung unkontrollierter Gewalt mit hoher Gefahr für Leib und Leben der Opfer zu rechnen. Auch dies ist nicht mit Tatsachen belegt. Insoweit lässt das Urteil insbesondere eine Auseinandersetzung mit Tatbesonderheiten vermissen , die darin bestehen, dass der Angeklagte beim Diebstahlsversuch im Fall II.2.d der Urteilsgründe, als St. den Rucksack festhielt, die Wohnung widerstandslos ohne Beute verließ. Somit fehlt auch insoweit die notwendige umfassende Erörterung der krankheitsbedingten Gefährlichkeit unter Einschluss des bisherigen Lebens des Angeklagten.
14
2. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht.
15
Für seine Annahme, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei im gesamten Tatzeitraum aufgehoben gewesen, beruft sich das Landgericht auf das Gutachten der Sachverständigen. Näher ausgeführt wird jedoch nur, wie die Gutachterin nunmehr sicher zu ihrer Diagnose einer schizoaffektiven Psychose gelangt ist, ohne im Einzelnen näher darzulegen, wie sich diese bei den einzelnen Taten bemerkbar gemacht hat. Während ein affektiver Impulsdurchbruch im Fall II.2.c der Urteilsgründe und damit die Ursächlichkeit der psychischen Erkrankung für die Widerstandshandlungen und die Körperverletzungen nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe belegt ist, lässt sich ein solcher Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der Tatbegehung bei den übrigen Taten dem Urteil nicht entnehmen. Inwieweit der Angeklagte aufgrund der Erkrankung nicht fähig war, Gespräche mit seinem Bewährungshelfer wahrzunehmen , ist für keinen der versäumten Termine im Fall II.2.a dargetan. Im Fall II.2.b der Urteilsgründe ist es zu Tätlichkeiten gekommen, die ausweislich der mitgeteilten Vorstrafen des Angeklagten bereits vor Manifestation der Erkrankung diesem nicht wesensfremd waren. Seit 1998 ist der Angeklagte mehrfach wegen Körperverletzung bzw. gefährlicher Körperverletzung verurteilt wor- den, 1999 hatte der Angeklagte bei einer Auseinandersetzung seinen Bruder lebensgefährlich verletzt. Auch wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung ist der Angeklagte bereits 2003 mehrfach in Erscheinung getreten. Die Erkrankung besteht aber erst seit 2006. Im Fall II.2.d war der Angeklagte in die fremde Wohnung eingedrungen und hatte das Münzgeld zum Abtransport bereit gelegt, bevor er sich dort als „Eigen- tümer“ zu fühlen und zu duschen begann. In den Fällen II.2.a, b und d ist deshalb fraglich, ob und in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Taten auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307). Allein die sichere Diagnose einer psychiatrischen Erkrankung besagt nichts über die Schuldfähigkeit bei der Tat.
16
3. Dem Angeklagten war durch Beschluss des Landgerichts Essen die Anweisung erteilt worden, jeden ersten Montag des Monats um 15.00 Uhr bei seinem Bewährungshelfer vorzusprechen. Angelastet wird ihm von der Strafkammer u.a., Gesprächstermine am 8. Oktober 2012 (2. Montag des Monats), 23. Oktober 2012 (Dienstag im selben Monat), 6. November 2012 (Dienstag) und 14. November 2012 (Mittwoch desselben Monats) schuldhaft versäumt zu haben. Inwieweit die Gesprächstermine wirksam verlegt worden sind, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, auch nicht, inwieweit der Bewährungshelfer – strafbewehrt – Terminezur Suchtmittelkontrolle vorgeben konnte. Zum Inhalt des entsprechenden Beschlusses des Landgerichts Essen vom 7. Mai 2012 ist nichts Näheres mitgeteilt. Darüber hinaus vermögen reine Formalverstöße gegen eine Weisung die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht zu begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Mai 2008 – 1 StR 243/08, NStZ-RR 2008, 277).
17
4. Die Sache bedarf deshalb insgesamt der neuen Verhandlung und Entscheidung. Der Senat sieht Anlass zu folgendem Hinweis:
18
Durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl. I S. 1327) wurde der frühere Rechtszustand dahin geändert, dass es gemäß § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO nunmehr möglich ist, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen, wenn sich herausstellt , dass der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war. Das Gericht bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung einer isoliert angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuordnen und zugleich erstmals Strafe zu verhängen (vgl. BT-Drucks. 16/1344, S. 17 f.; BGH, Beschlüsse vom 27. Oktober 2009 – 3 StR 369/09, juris Rn. 9; vom 14. September 2010 – 5 StR 229/10, StraFo 2011, 55).
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin
7
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnah- me. Sie setzt neben der sicheren Feststellung mindestens einer im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder der erheblich verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) begangenen Anlasstat voraus, dass der Täter infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, die schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die dazu notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat (en) zu entwickeln. Dabei sind an die Darlegungen umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt um einen Grenzfall handelt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Mai 2016 - 4 StR 185/16, StV 2016, 719, 720 und vom 28. Januar 2016 - 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 79/16
vom
7. Juni 2016
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2016:070616B4STR79.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 7. Juni 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 2. Oktober 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich seine auf die Sachrüge gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Der Unterbringungsanordnung liegen als von der Antragsschrift erfasste Anlasstaten eine gefährliche Körperverletzung sowie Bedrohungen zugrunde. Die gefährliche Körperverletzung beging der Beschuldigte nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen am Morgen des 25. Januar 2015 zum Nachteil eines Bediensteten der JVA D. , auf den er bei der Ausgabe des Frühstücks mit einer Porzellankaffeekanne einschlug. Drei der vom Landgericht als Bedrohungen eingeordneten Taten beging er ebenfalls zum Nachteil von JVA-Bediensteten, nachdem er im Anschluss an die gefährliche Körperverletzung in einen besonders gesicherten Haftraum (Drohung mit „Abstechen“) bzw. zur Versorgung eines nach dem Körperverletzungsgeschehen erlittenen Kiefer- bruchs in eine Klinik verbracht worden war („schlage ich euch mit dem Baseballschläger den Kopf ein“). Eine weitere Bedrohung „ggfs. auch weiterer Bediensteter der JVA“ (UA S. 41) nimmtdas Landgericht bezüglich eines Vorfalls vom 27. Januar 2015 gegenüber zwei Mitarbeiterinnen eines Justizvollzugskrankenhauses an, in das der Beschuldigte verlegt worden war. Ihnen gegenüber drohte der Beschuldigte, er werde ihnen „die Augen ausstechen und sie töten“.
3
Nach den weiteren Feststellungen der Strafkammer weist das Bundeszentralregister für den Beschuldigten für den Zeitraum von 1999 bis zum 18. Dezember 2014 insgesamt 23 Einträge auch wegen Körperverletzungsdelikten (2001, 2005, 2006, zweimal 2008, 2009, 2013), Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (2006, dreimal 2008) oder Bedrohung (2005, 2006) aus. In den Jahren 2011 bis März 2015 verbüßte er mehrere Freiheitsstrafen; 2009 war gegen ihn ferner – neben einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten – die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden , die bis März 2011 auch vollzogen wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen oder die Anwendung von §§ 20, 21 StGB erwähnt das Landgericht bei keiner dieser Taten bzw. Eintragungen. Zu der Maßregelanordnung im Jahr 2009 teilt das Urteil lediglich mit, dass die Sachverständige einen Hang des Beschuldigten , alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, und auch die weiteren Voraussetzungen des § 64 StGB bejaht habe. Aus dem Vollzug dieser Maßregel wird mitgeteilt, dass sein „dissoziales Verhalten ... kaum er- träglich erschien“ und bei ihm bei „kleinsten Belastungen oder Unklarheiten“ Wahn- und Verfolgungsideen festgestellt worden seien, die sich aber wieder legten, „wenn sich die Situation klärte“ (UA S. 14 f.).
4
Ferner teilt das Urteil mit, dass ein Sachverständiger in einem – in einem anderen Strafverfahren gegen den Beschuldigten – erstatteten Gutachten im März 2015 zu dem Ergebnis gekommen sei, dass es sich beim Beschuldigten „um einen voll schuldfähigen Menschen mit dissozialer Persönlichkeit handle“ (UA S. 23), während ein anderer Sachverständiger im selben Monat beim Beschuldigten eine paranoide Psychose sowie eine dissoziale Persönlichkeitsstörung festgestellt habe (UA S. 25). Die Strafkammer geht – dem in der Hauptverhandlung erstatteten Sachverständigengutachten folgend – dagegen davon aus, dass der Beschuldigte an einer paranoiden Schizophrenie leide und gelitten habe, aufgrund derer zu den Tatzeiten seine Einsichtsfähigkeit aufgehoben gewesen sei; es habe sich um „typische Impulstaten eines Psychotikers“ gehandelt. Der Beschuldigte sei schon „in früherer Zeit“ auffällig gewesen, wie insbesondere die strafrechtlichen Vorbelastungen zeigten (UA S. 37); paranoide Akzente zögen sich „bereits seit längerer Zeit durch das Leben des Beschuldig- ten“ (UA S. 37). Hinsichtlich der Unterbringung nach § 64 StGB sei anzuneh- men, dass sie „schlicht in die ‚falsche Richtung’ gegangen sei und damals schon das eigentlich bei dem Beschuldigten bestehende Problem verkannt worden sei“ (UA S. 39).
5
2. Die Unterbringungsanordnung hat keinen Bestand, da die Gefährlichkeitsprognose nicht tragfähig begründet ist.
6
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Diese Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 1. Oktober 2013 – 3 StR 311/13; vom 2. September 2015 – 2 StR 239/15; vom 3. Juni 2015 – 4 StR 167/15) und hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten infolge seines Zustandes drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit, Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 – 2 BvR 2957/12 Rn. 27).
7
Neben der sorgfältigen Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen ist der Tatrichter auch verpflichtet, die wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2013 – 3 StR 311/13). Denn auf eine ausreichende Begründung zukünftiger Gefährlichkeit des Beschuldigten für die Allgemeinheit kann nicht verzichtet werden, selbst wenn dessen Gesundheitszustand durch eine längerfristige Behandlung gebessert werden könnte, da nur die Belange der öffentlichen Sicherheit – nicht aber die Bemühungen um die Gesundheit des Patienten – es rechtfertigen können , einen Menschen mit den Mitteln des Strafrechts auf unbestimmte Zeit einer Freiheitsentziehung zu unterwerfen (BGH aaO).
8
b) An einer nachvollziehbaren Darlegung der zukünftigen krankheitsbedingten Gefährlichkeit des Beschuldigten mangelt es dem angefochtenen Urteil.
9
aa) Auch wenn sich die Feststellung einer durch den Hang bereits indizierten Gefährlichkeit bei § 66 StGB von der auf einem der in § 20 StGB aufgeführten Zustände beruhenden Gefährlichkeit bei § 63 StGB unterscheidet, sind – nicht anders als bei § 66 StGB (vgl. dazu etwa BGH, Urteil vom 13. März 2013 – 2 StR 392/12) – auch (und insbesondere) für die im Rahmen des § 63 StGB anzustellende Gefährlichkeitsprognose etwaige Vortaten von besonderer Bedeutung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Februar 2004 – 2 BvR 2029/01, NJW 2004, 739, 743; Boetticher u.a., NStZ 2006, 537, 538, 541). So ist einerseits als ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten anzusehen, dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine erheblichen Straftaten begangen hat (vgl. etwa BGH, Urteile vom 10. Dezember 2014 – 2 StR 170/14, NStZ-RR 2015, 72, 73; vom 8. Oktober 2015 – 4 StR 86/15 jeweils mwN). Andererseits kann sogar lange zurückliegenden Taten eine indizielle Bedeutung für die Gefährlichkeitsprognose zukommen, wenn sie in einem inneren Zusammenhang zu der festgestellten Erkrankung gestanden haben und deren Ursache nicht in anderen, nicht krankheitsbedingten Umständen zu finden ist (vgl. BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11). Maßgeblich sind insofern insbesondere die individuell bedeutsamen Bedingungsfaktoren für die bisherige Delinquenz, deren Fortbestand, ihre fehlende Kompensation durch protektive Umstände und das Gewicht dieser Faktoren in zukünftigen Risikosituationen (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 2009 – 5 StR 296/09, NJW 2010, 245).
10
Ausgehend hiervon hätte es näherer Darlegungen bei der Gefährlichkeitsprognose dazu bedurft, ob und inwiefern die früher abgeurteilten Taten in Zusammenhang mit der nunmehr festgestellten Erkrankung des Beschuldigten stehen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 15. Juli 2015 – 4 StR 277/15; Boetticher u.a., NStZ 2006, 537, 541, 543; sowie BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 2013 – 2 BvR 1690/13). Hierfür reicht nicht aus, dass der Sachverständige – undihm folgend die Strafkammer – diese als „auffällig“ bezeichnete und auf schon längere Zeit vorliegende „paranoide Akzente“ verwies. Ein Zusammen- hang zwischen den Vortaten und der Erkrankung des Beschuldigten ist damit (noch) nicht – wie erforderlich: sicher – festgestellt (vgl. BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11).
11
bb) Bleiben die früheren Taten außer Betracht, ist die Gefährlichkeitsprognose indes nicht hinreichend nachvollziehbar.
12
Insbesondere kann allein mit der im Allgemeinen erhöhten Kriminalitätsbelastung schizophren Erkrankter die Gefahrenprognose nicht begründet werden (BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11; vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15). Maßgeblich sind stattdessen die konkrete Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung (BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15) sowie die auf die Person des Beschuldigten und seine konkrete Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung von Delikten jenseits der Anlasstaten belegen können (BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11; zu situativen Risikofaktoren auch BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15).
13
Zur mit der Erkrankung des Beschuldigten in Verbindung stehenden Kriminalitätsentwicklung fehlen – wie ausgeführt – tragfähige Feststellungen. Soweit der Beschuldigte nach den Anlasstaten mehrmals in einen hochgradigen und nicht oder kaum mehr kontrollierbaren Erregungszustand geraten ist, ist es zu Tätlichkeiten nicht gekommen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 3. Juni 2015 – 4 StR 167/15). Auch waren die von ihm ausgesprochenen Bedrohungen nach den Feststellungen nicht geeignet, zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens zu führen (vgl. hierzu etwa BGH, Urteil vom 29. September 2015 – 1 StR 287/15, NJW 2016, 341, 342; Beschluss vom 18. Juli 2013 – 4 StR 168/13, NJW 2013, 3383, 3385: nahe liegende Gefahr der Verwirklichung).
14
Die Krankheitsgeschichte des Beschuldigten ist vom Landgericht – über die Unterbringung nach § 64 StGB hinaus – nur insoweit dargestellt worden, als ein Sachverständiger trotz einer dissozialen Persönlichkeitsstörung noch die „volle“ Schuldfähigkeit bejaht hat, einweiterer Sachverständiger – ebenfalls im März 2015 – dagegen eine paranoide Psychose und eine dissoziale Persönlichkeitsstörung angenommen hat, während der (dritte) in der Hauptverhandlung angehörte Sachverständige (nur) eine paranoide Psychose diagnostiziert hat. Angaben dazu, wann die Krankheit erstmals aufgefallen ist und wie sich die Symptomatik im Verlauf der Zeit entwickelt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15), fehlen. Da das Urteil abgesehen von dem Hinweis, dass sich für eine Persönlichkeitsstörung „keine Anhaltspunkte“ gefunden hätten (UA S. 39), zudem eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den früheren Gutachten ebenso vermissen lässt wie eine nähere Darstellung und Auseinandersetzung mit dem in Zusammenhang mit der Anordnung der Maß- regel nach § 64 StGB erstatteten Gutachten, ermöglicht das Urteil dem Senat nicht, die Entscheidung – wie erforderlich – nachzuvollziehen.
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Mutzbauer Quentin
9
a) Wie das Landgericht im rechtlichen Ausgangspunkt nicht verkannt hat, kommt eine Unterbringung gemäß § 63 StGB nur dann in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, also solche, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben. Die Annahme einer gravierenden Störung des Rechtsfriedens setzt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung voraus, dass die zu erwartenden Delikte wenigstens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen, den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sind, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12; BGH, Beschlüsse vom 18. Juli 2013 – 4 StR 168/13, NJW 2013, 3383; vom 16. Juni2014 – 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571 und vom 19. August 2014 – 3 StR 243/14; Urteil vom 28. Oktober 2015 – 1 StR 142/15, NStZ-RR 2016, 40; Beschlüsse vom 13. Oktober 2016 – 1 StR 445/16 Rn. 13 und vom 21. Dezember 2016 – 1 StR 594/16 Rn. 3). Diese bereits durch die Rechtsprechung zu dem bis 31. Juli 2016 geltenden Recht herausgebildeten Anforderungen sind durch § 63 Satz 1 StGB in der geltenden Fassung dahingehend konkretisiert worden (vgl. BT-Drucks. 18/7244 S. 17 f.), dass nur die Erwartung solcher erheblichen rechtswidrigen Taten ausreicht , durch die die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 594/16
vom
21. Dezember 2016
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2016:211216B1STR594.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts am 21. Dezember 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 19. August 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen zwei jeweils als Bedrohung (§ 241 StGB) gewerteter , im Zustand aufgehobener Einsichtsfähigkeit begangener Anlasstaten angeordnet. Die auf eine ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Beschuldigten hat Erfolg.

I.


2
Die Anordnung der Maßregel hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
3
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unter- zubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, um die notwendige Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein. Prognostisch muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird (§ 63 Satz 1 StGB). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; etwa BGH, Beschlüsse vom 12. Oktober 2016 – 4 StR 78/16 Rn. 9; vom 15. Januar 2015 – 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395 und vom 10. November 2015 – 1 StR 265/15, NStZ-RR 2016, 76 f. mwN; siehe Beschluss vom 13. Oktober 2016 – 1 StR 445/16 Rn. 16).
4
2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
5
a) Bereits die Voraussetzungen einer aufgrund aufgehobener Einsichtsfähigkeit ausgeschlossenen Schuldfähigkeit (§ 20 StGB) des Beschuldigten bei Begehung der beiden Anlasstaten werden nicht in für den Senat nachvollziehbarer Weise dargestellt und beweiswürdigend belegt. Erforderlich ist auf der Ebene der Darlegungsanforderungen stets eine konkretisierende Darstellung, in welcher Weise sich die näher festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten bzw. Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; etwa BGH, Beschlüsse vom 12. Oktober 2016 – 4 StR 78/16 Rn. 11; vom 17. Juni 2014 – 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306 und vom 23. August 2012 – 1 StR 389/12, NStZ 2013, 98). Daran fehlt es bezüglich beider Anlasstaten.
6
aa) Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Beschuldigte an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, aufgrund dessen er „oftmals die Realität (verkennt) und nach seinen objektiv falschen Vorstellungen (handelt)“ (UA S. 7, siehe auch UA S. 10). Im Rahmen der Beweiswürdigung ordnet das Landgericht, dem Sachverständigen folgend, den psychischen Zustand des Beschuldigten als akute polymorphe psychotische Störung (ICD-10 F.23.1.) ein. Beide Anlasstaten würden auf dieser Störung beruhen, weil sich die krankheitsbedingt wahnhaften Vorstellungen des Beschuldigten über einen Zeitraum erstreckt hätten, der beide Tatzeiten umfasse (UA S. 15).
7
bb) Die Ausführungen im angefochtenen Urteil zu der konkreten Ausprägung der psychotischen Störung beschränken sich auf die Beschreibung, der Beschuldigte leide unter der wahnhaften Vorstellung, bereits mehrfach gelebt zu haben und in einem seiner früheren Leben mit der Zeugin S. verlobt gewesen und auch aktuell noch mit ihr verlobt zu sein. Wie sich die „psychotisch intendierte(n) wahnhaft geprägte(n) Psychopathologie“ konkret auf die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten bezüglich der Anlasstaten ausgewirkt haben soll, wird in dem angefochtenen Urteil nicht näher ausgeführt. Die Einschätzung des Sachverständigen, der sich das Tatgericht anschließt, erschöpft sich in der Aussage, die Kritikfähigkeit des Beschuldigten sei derart tiefgreifend verändert gewesen, dass die Einsichtsfähigkeit in das Unrecht seines Handelns sowie in den Realcharakter der Situationen als aufgehoben bewertet werden müsse (UA S. 16). Das lässt eine Darstellung der auf den Beschuldigten bezogenen konkreten Auswirkungen seiner allein konkret benannten wahnhaften Vorstellung mehrfacher Wiedergeburt und des (vermeintlichen) Verlöbnisses mit S. auf die Unrechtseinsichtsfähigkeit bei den beiden Anlasstaten nahezu vollständig vermissen. Näherer Ausführungen sowohl zum psychischen Zustand des Beschuldigten und der Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit bei Begehung der Anlasstaten hätte es aber auch deshalb bedurft, weil sich das Krankheitsbild seit der ersten festgestellten stationären Behandlung des Beschuldigten im November 2008 bis zu den Taten im September 2015 bzw. Januar 2016 verändert hat und im Verlaufe seiner mehrfachen stationären Aufenthalte wechselnde Diagnosen seitens der behandelnden Ärzte gestellt worden sind (UA S. 4 und 5).
8
cc) Hinsichtlich der Anlasstat zum Nachteil des früheren Betreuers des Beschuldigten, Rechtsanwalt Sc. , (Tat B.1. der Urteilsgründe) erweisen sich die Feststellungen und die zugehörige Beweiswürdigung zudem als in sich widersprüchlich. Das Landgericht hat festgestellt, der Beschuldigte sei bezüglich des an den Betreuer gerichteten Drohbriefs infolge seiner psychischen Erkrankung der Auffassung gewesen, Rechtsanwalt Sc. sei für die erfolgte Kürzung von Sozialleistungen verantwortlich (UA S. 7). Ein Zusammenhang mit dem dargestellten Störungsbild wahnhafter Annahme mehrfacher Wiedergeburt und eines Verlöbnisses mit der Zeugin S. ist insoweit nicht zu erkennen. Die referierte Einlassung des Beschuldigten, er habe durch den Brief den Wechsel seines Betreuers erreichen wollen (UA S. 10 unten), lässt sich mit der Feststellung krankheitsbedingter Fehlwahrnehmung jedenfalls nicht in Einklang bringen , wenn das Störungsbild ausschließlich als eines beschrieben wird, das sich allein auf die Wiedergeburt und das Verhältnis zur Zeugin S. bezieht. Soweit das Landgericht in der Beweiswürdigung zum symptomatischen Zusammenhang zwischen der psychotischen Störung und der Anlasstat zum Nachteil von Rechtsanwalt Sc. ausführt, der Beschuldigte habe – nach Begehung der Tat – gegenüber ihn behandelnden Ärzten im Bezirkskrankenhaus L. angegeben, sein Betreuer sei in seine Wohnung gegangen und habe seine Freundin geschwängert (UA S. 16), ist dies mit der Feststellung, die Verantwortungszuschreibung an den Betreuer für die erfolgte Kürzung der ALG II-Leistungen sei der auslösende Grund für den Drohbrief an den Betreuer gewesen (UA S. 7), ohne nähere Darlegungen kaum zu vereinbaren. Die Widersprüchlichkeiten zwischen Feststellungen und Beweiswürdigung können sich auf die Annahme der Unterbringungsvoraussetzungen ausgewirkt haben. Sowohl für die Beurteilung des symptomatischen Zusammenhangs zwischen der diagnostizierten Störung und der Anlasstat als auch für die Gefährlichkeitsprognose kommt dem Motiv der Tat zum Nachteil des früheren Betreuers Bedeutung zu.
9
b) Auch die Gefährlichkeitsprognose ist nicht tragfähig begründet.
10
aa) Die für die Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB erforderliche Wahrscheinlichkeit höheren Grades, der Täter werde infolge seines fortdauernden psychischen Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 2. September 2015 – 2StR 239/15; vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306 f. und vom 13. Oktober 2016 – 1 StR 445/16 Rn. 15 mwN); die Prognose muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (BGH, Beschluss vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306 f.; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 – 2 BvR 2957/12 Rn. 27 sowie BT-Drucks. 18/7244 S. 23). Einzustellen in die Gefährlichkeitsprognose ist die konkrete Krankheitsund Kriminalitätsentwicklung sowie die auf die Person des Beschuldigten und seine konkrete Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung von Straftaten jenseits der Anlasstaten belegen können (BGH aaO mwN).
11
bb) Dem genügt das angefochtene Urteil nicht, obwohl das Landgericht den zutreffenden rechtlichen Ausgangspunkt einer auf einer umfassenden Gesamtwürdigung aufbauenden Prognose erkannt hat. Es beschränkt sich jedoch darauf, dem Sachverständigen in dessen Einschätzung zu folgen, dass im Fall einer erneuten Zuspitzung des psychotischen Geschehens die „Wahninhalte des Beschuldigten impulshaft und handlungsleitend umgesetzt werden“. In sol- chen Situationen sei die Begehung von Aggressions- und Gewaltdelikten bis hin zu Tötungsdelikten sehr wahrscheinlich (UA S. 20). Anknüpfungstatsachen, die die Prognose derartiger zukünftiger Straftaten stützen, führt das angefochtene Urteil nicht auf. Die benannten Umstände der Wiederaufnahme von Alkohol - und Betäubungsmittelkonsum durch den Beschuldigten sowie das Fehlen von Krankheitseinsicht und eines sozialen Empfangsraums stellen zwar allgemein prognostisch ungünstige Umstände dar. Angesichts seit 2008 bestehender – wenn auch bei sich im Verlaufe der Zeit veränderndem Krankheitsbild – psychischer Auffälligkeit, bislang weitgehend ausgebliebener Delinquenz sowie des bisherigen Fehlens von Gewaltdelikten können die genannten Aspekte allein aber nicht tragfähig begründen, warum nunmehr Gewaltdelikte bis hin zu Tötungsdelikten von dem Beschuldigten zu erwarten sein sollen. Konkrete Umstände , die ein Umschlagen von Drohungen hin zu deren Realisierung prognostizieren lassen, benennt das Landgericht nicht. Aus der Art der psychischen Erkrankung als psychische Störung aus dem Formenkreis der Schizophrenie folgt nichts anderes. Zwar kann bei einer derartigen Störung der Tatrichter auch in Bezug auf einen Täter, der zuvor noch nicht oder kaum mit „gewalttätigen Aggressionsdelikten“ aufgefallen ist, die Überzeugunggewinnen, dieser werde mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades zukünftig erhebliche Straftaten, wie etwa Körperverletzungsdelikte, begehen (BGH, Beschluss vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240 f.; vgl. BT-Drucks. 18/7244 S. 23). Dazu bedarf es aber gerade der sorgfältigen Darlegung derjenigen Umstände, die die entsprechende tatrichterliche Überzeugung tragen (BGH aaO; siehe auch BT-Drucks. 18/7244 S. 23). Gerade diese Darlegung enthält das angefochtene Urteil aber aus den genannten Gründen nicht.

II.


12
Der Senat hebt die getroffenen Feststellungen insgesamt auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatrichter sowohl zu den für die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten bei Begehung der Anlasstaten bedeutsamen Umstände als auch zu sämtlichen prognoserelevanten Aspekten umfassende und in sich widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.
Raum Radtke Mosbacher Fischer Bär
9
a) Wie das Landgericht im rechtlichen Ausgangspunkt nicht verkannt hat, kommt eine Unterbringung gemäß § 63 StGB nur dann in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, also solche, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben. Die Annahme einer gravierenden Störung des Rechtsfriedens setzt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung voraus, dass die zu erwartenden Delikte wenigstens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen, den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sind, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12; BGH, Beschlüsse vom 18. Juli 2013 – 4 StR 168/13, NJW 2013, 3383; vom 16. Juni2014 – 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571 und vom 19. August 2014 – 3 StR 243/14; Urteil vom 28. Oktober 2015 – 1 StR 142/15, NStZ-RR 2016, 40; Beschlüsse vom 13. Oktober 2016 – 1 StR 445/16 Rn. 13 und vom 21. Dezember 2016 – 1 StR 594/16 Rn. 3). Diese bereits durch die Rechtsprechung zu dem bis 31. Juli 2016 geltenden Recht herausgebildeten Anforderungen sind durch § 63 Satz 1 StGB in der geltenden Fassung dahingehend konkretisiert worden (vgl. BT-Drucks. 18/7244 S. 17 f.), dass nur die Erwartung solcher erheblichen rechtswidrigen Taten ausreicht , durch die die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 1 7 0 / 1 4
vom
10. Dezember 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Diebstahls
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Dezember
2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Dr. Eschelbach,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
der Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Pflichtverteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 10. Dezember 2013 wird verworfen. 2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen. Die hiergegen gerichtete und auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft ist auf die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus beschränkt. Das - vom Generalbundesanwalt nicht vertretene - Rechtsmittel bleibt erfolglos.

I.

2
Das Landgericht hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der 36 Jahre alte Angeklagte leidet seit etwa 1996 an einer mittlerweile chronisch gewordenen schweren Psychose aus den schizophrenen Formen- kreis gemäß ICD-10 F 20.0. Typische Symptome seiner Erkrankung sind ein paranoides Wahnerleben und Störungen der Impulskontrolle.
4
a) Als Folge seines Wahnerlebens bedrohte er im Januar 2001 einen Mitbewohner im Obdachlosenheim mit dem Messer und trat im Februar 2001 einer Frau in der Straßenbahn gegen den Oberschenkel. Am 3. November 2010 wurde er wegen Raubs in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Dem lag zu Grunde, dass der Angeklagte im Sommer 2009 einer Frau unvermittelt eine Plastiktüte über den Kopf stülpte, ihr mit einer Hand den Mund zuhielt und mit der anderen die Schulter umklammerte. Nach einem Gerangel, bei dem beide einen Abhang hinunter stürzten, gelang es dem Angeklagten, wie von vornherein beabsichtigt, der Geschädigten die Tasche zu entreißen. Zwar konnte die gutachterlich beratene Strafkammer keine Anhaltspunkte für eine akute schizophrene Episode zur Tatzeit feststellen. Aufgrund der bestehenden schizophrenen Grunderkrankung des Angeklagten konnte sie aber auch nicht ausschließen, dass seine Fähigkeit , das "Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln", infolge seiner Erkrankung zur Tatzeit erheblich vermindert war.
5
Nach der Entlassung aus der Strafhaft im Dezember 2012 war der Angeklagte obdach- und mittellos. Am 8. sowie am 11. Februar 2013 entwendete er in einem Ladengeschäft einige geringwertige Lebensmittel. Von Mitarbeitern darauf angesprochen gab er an, bezahlt zu haben bzw. seine Firma habe bereits bezahlt. Er ließ sich durchsuchen und gab die Waren zurück, reagierte aber im Übrigen laut und aggressiv.
6
b) Zu den Anlasstaten hat die Strafkammer folgende Feststellungen getroffen :
7
Am 26. Februar 2013 betrat der Angeklagte ein Schuhgeschäft und gab an, er wolle ein für ihn hinterlegtes und bereits bezahltes Paar Schuhe abholen. Nachdem er daraufhin gewiesen wurde, dass für ihn nichts hinterlegt worden sei, sah er sich in dem Geschäft um. Er ließ sich schließlich ein Paar Schuhe zur Anprobe aushändigen, entfernte das Sicherungsetikett und zog sie an. Einem Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes, der ihn bat, die Schuhe wieder auszuziehen , begegnete der Angeklagte laut und aggressiv. Als der Mitarbeiter versuchte , ihm Handschellen anzulegen, kam es zu einem Gerangel, bei dem niemand verletzt wurde. Die hinzugerufenen Polizeibeamten beschimpfte der Angeklagte lautstark (Fall 1).
8
Am 5. März 2013 hatte der Angeklagte die Wahrnehmung, eine ihm unbekannte Frau A. habe ihm gegenüber erklärt, sie sei die Eigentümerin einer Filiale der Firma K. in M. und er könne sich dort nehmen, was er wolle. Der Angeklagte begab sich daraufhin in die Filiale und nahm ein Paar Sportschuhe an sich. Er verließ das Geschäft, ohne die Schuhe zu bezahlen. Gegenüber der Kassiererin gab er an, die Schuhe seien ihm von der Filialleiterin geschenkt worden (Fall 2).
9
Am 6. März 2013 betrat er die Filiale erneut und steckte verschiedene Waren im Gesamtwert von rund 50 Euro in eine von ihm mitgeführte Plastiktüte. Nachdem er den Kassenbereich durchschritten hatte, sprach ihn ein Mitarbeiter an. Der Angeklagte wies wiederum daraufhin hin, dass es sich um Geschenke der Filialleiterin handele. Im Rahmen der folgenden polizeilichen Maßnahmen reagierte der Angeklagte zeitweise aggressiv und schrie die Beamten an (Fall

3).

10
2. Das Landgericht hat die Taten als Diebstahl (Fälle 2 und 3) bzw. versuchten Diebstahl (Fall 1) gewertet. Es hat angenommen, der Angeklagte habe bei Tatbegehung jeweils im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) gehandelt , da seine Einsichtsfähigkeit infolge seiner Erkrankung aufgehoben gewesen sei.
11
3. Eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hat das Landgericht abgelehnt. Gestützt auf das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen ist das Gericht zu der Einschätzung gelangt, dass bei dem dauerhaft an einer schizophrenen Psychose erkrankten Angeklagten eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für die Begehung erheblicher rechtswidriger Taten nicht bestehe.
12
Zwar seien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weitere Diebstahlstaten wie die festgestellten zu erwarten. Diese seien jedoch nicht als erheblich im Sinne des § 63 StGB einzustufen.
13
Für darüber hinaus gehende erhebliche Taten, insbesondere Gewalttaten , könne dagegen die erforderliche Gefahrenprognose nicht gestellt werden. Zwar sei der Angeklagte krankheitsbedingt im Jahr 2001 mit Gewalttaten in Erscheinung getreten. Seit nunmehr über zwölf Jahren seien aber keine weiteren vergleichbaren Übergriffe erfolgt. In Hinblick auf den Handtaschenraub im Jahr 2009 sei nicht festzustellen, dass die psychische Erkrankung des Angeklagten für die - auch normalpsychologisch erklärbare - Tat (mit-)ursächlich geworden wäre. Zudem sei die Fähigkeit des Angeklagten zu derart komplexen Tathandlungen inzwischen krankheitsbedingt sehr eingeschränkt und Anhaltspunkte für eine Gefahrensteigerung durch eine Verschärfung der Gedankenwelt bei dem Angeklagten seien nicht ersichtlich. Zwar habe der Angeklagte in den letzten Jahren lange Zeit in eng strukturierten und gesicherten Verhältnissen gelebt. Der Angeklagte sei aber auch außerhalb solcher geschützter Verhältnisse und unter psychotischem Erleben - selbst in sehr konfliktbeladenen Situationen - lediglich verbal aggressiv geworden bzw. habe laut geschrien. Zu zielgerichteten Tätlichkeiten gegen eine Person sei es nicht gekommen.

II.


14
Die Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg.
15
1. Die Staatsanwaltschaft hat den Freispruch des Angeklagten von dem Revisionsangriff ausgenommen. Die Beschränkung des Rechtsmittels ist im vorliegenden Fall zulässig (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juni 2008 - 4 StR 140/08, juris Rn. 14 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 318 Rn. 24).
16
2. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine die Unterbringung nach § 63 StGB rechtfertigende Gefährlichkeitsprognose verneint hat, halten rechtlicher Überprüfung stand.
17
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht , dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat (en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 5. Juni 2013 - 2 StR 94/13; BGH, Beschluss vom 29. April 2014 - 3 StR 171/14, jeweils mwN). An die Darlegungen sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt (BGH, Beschluss vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12, juris Rn. 10; Beschluss vom 4. Juli 2012 - 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338; Senat, Beschluss vom 8. November 2006 - 2 StR 465/06, NStZ-RR 2007, 73, 74).
18
b) Diese Grundsätze hat das Landgericht bei seiner Entscheidung beachtet.
19
Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob der Auffassung des Landgerichts zu folgen ist, der Tritt gegen den Oberschenkel im Jahre 2001 sei für sich genommen nicht als Tat zumindest mittlerer Kriminalität zu bewerten (UA S. 48). Denn das Landgericht ist mit rechtsfehlerfreien Erwägungen davon ausgegangen , dass bei dem Angeklagten keine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für die künftige Begehung vergleichbarer Gewaltdelikte besteht.
20
Dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine erheblichen Straftaten begangen hat, ist ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger solcher Straftaten (vgl. Senat, Beschluss vom 11. März 2009 - 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198, 199; Urteil vom 17. November1999 - 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27; BGH, Beschluss vom 4. Juli 2012 - 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338). Da der Angeklagte wiederholt auch in sehr problematischen Verhältnissen wie etwa in Obdachlosenheimen oder in Notschlafstellen gelebt und auch in konfliktbeladenen Situationen (wie nach Entdecken seiner Diebstahlstaten) keine Person gezielt körperlich angegriffen hat, ist es nicht zu beanstanden, dass das Gericht unter Abwägung aller Umstände davon ausgegangen ist, dass krankheitsbedingte tätliche Übergriffe seitens des Angeklagten künftig lediglich "möglich" seien. Damit feh- len Feststellungen zum Vorliegen einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades, denn eine lediglich latente Gefahr reicht für die Annahme einer Wahrscheinlichkeit (höheren Grades) nicht aus (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145, 147; Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 547/10; Senat, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241).
21
Soweit das Landgericht die von dem Angeklagten mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades zu erwartenden Eigentumsdelikte für nicht ausreichend erachtet hat, um eine Unterbringungsanordnung zu rechtfertigen, ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Fischer Appl Eschelbach Ott Zeng

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 86/15
vom
8. Oktober 2015
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. Oktober
2015, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Bender
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 18. November 2014 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Feststellungen zu der der Maßregelanordnung zugrundeliegenden rechtswidrigen Tat bleiben jedoch aufrechterhalten.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Beschuldigten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit sachlich-rechtlichen Beanstandungen. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen leidet die zur Tatzeit 53 Jahre alte Beschuldigte seit vielen Jahren an einer „paranoiden-halluzinatorischen Psychose“. Nach ihrem Erleben wurde sie 1985 in den Niederlanden vergewaltigt. Ob diese Vergewaltigung tatsächlich stattgefunden hat, konnte aus psychiatrischer Sicht nicht geklärt werden. „Der Vergewaltiger“ prägt ihr Krankheitsbild; sie hört seine Stimme, sieht ihn und findet Zeichen von ihm auf der Straße. Im Jahr 1993 hielt sie sich erstmals freiwillig in der psychiatrischen Abteilung der E.
Kliniken in G. auf. 1995 wurde sie dort erneut behandelt, nachdem sie ihre Medikamente abgesetzt und eine Tasse nach ihrer Mutter geworfen hatte. 2005 begab sie sich in das El. -Krankenhaus in G. , als sie nach dem Absetzen ihrer Medikamente spürte, dass sie kurz davor stand, das Mobiliar zu zertrümmern. 2011 war sie wiederum in den E. Kliniken in stationärer Behandlung.
3
Die Beschuldigte bewohnte zur Tatzeit bereits seit 20 Jahren eine eigene Wohnung in einem Mehrfamilienhaus in der Gr. straße in G. . Ihren Nachbarn ist sie in dieser Zeit nicht durch Besonderheiten aufgefallen. Zwei bis drei Monate vor der Tat hatte die Beschuldigte ihre Medikamente abgesetzt , weil diese zu einem Tremor im Arm geführt hatten.
4
Am Abend des 10. Juni 2014 sah die Beschuldigte fern. Die Geräusche aus dem Fernseher nahm sie als Stimmen wahr, die ihr Befehle gaben. Sie wurde aggressiv und bekam Angst. An ein Ausschalten des Fernsehers dachte sie nicht; vielmehr nahm sie einen Hammer und schlug ein Loch in den Bild- schirm. Sie beschloss, dass entweder sie oder „der Vergewaltiger“ „draufgehe“. Sie verschüttete einen Liter Terpentinersatz in ihrer Wohnung und zündete diesen an. Dann verließ sie die Wohnung mit ein paar Sachen und ihrem Meerschweinchen , die sie zuvor in eine Tasche gepackt hatte. Dass andere Menschen durch den Brand zu Schaden kommen könnten, war ihr egal. Hausbewohner alarmierten die Polizei und die Feuerwehr, die den Brand löschte. Im Schlafzimmer der Beschuldigten war die Matratze verbrannt, das Bett beschädigt. In allen Räumen hatte sich Ruß niedergeschlagen; wegen der notwendigen Renovierungsarbeiten war die Wohnung für mehrere Tage nicht bewohnbar.
5
Das Landgericht hat die Tat als vollendete schwere Brandstiftung gemäß § 306a Abs. 1 Nr. 1 2. Alternative StGB gewertet. Durch die starke Verrußung sei die Wohnung für eine beträchtliche Zeit unbewohnbar gewesen, so dass ein teilweises Zerstören eines für das Wohnen von Menschen bestimmten Gebäudeteils vorliege. Die Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB lägen nicht vor. Zwar sei davon auszugehen, dass die Einsichts- und die Steuerungsfähigkeit der Beschuldigten bei der Begehung der Anlasstat aufgrund einer akuten Phase der bei ihr seit vielen Jahren bestehenden und zuletzt medikamentös unbehandel- ten „paranoiden-halluzinatorischen Psychose“ aufgehoben gewesen sei, doch könne ihr die für eine Unterbringung erforderliche Gefahrenprognose nicht gestellt werden.
6
2. Das Urteil hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
7
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf allerdings nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für neuerliche schwere Störungen des Rechtsfriedens besteht. Dass der Täter trotz bestehenden Defekts lange Zeit keine Straftaten begangen hat, ist regelmäßig ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Straftaten. Andererseits kann aber auch schon eine erste Straftat belegen, dass der Täter für die Allgemeinheit gefährlich ist. Ob dies der Fall ist, muss aufgrund einer umfassenden Würdigung der Person des Täters, seines Vorlebens und der Symptomtat unter Ausschöpfung der erreichbaren Beweismittel geprüft werden (BGH, Urteil vom 17. November 1999 – 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
8
a) Das Urteil ist in einem wichtigen Punkt lückenhaft. Das Landgericht ist den beiden Sachverständigen bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit der Beschuldigten in vollem Umfang gefolgt. Bei der Prüfung der Gefährlichkeit der Beschuldigten sind die Sachverständigen, die eine Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung befürwortet haben, davon ausgegangen, dass die Beschuldigte aufgrund des Wahnerlebens sich zukünftig aggressiv verhalten wer- de. Ob die Sachverständigen unter „aggressivem Verhalten“ Handlungsweisen wie die früher aufgetretenen – das Werfen einer Tasse nach einem Menschen oder die Zerstörung von (eigenem) Mobiliar – verstehen oder ob sie darüber hinausgehende Handlungsweisen – wie im vorliegenden Fall eine schwere Brandstiftung – erwarten und ob das Landgericht ihnen auch insoweit folgt, ist in diesem Zusammenhang nicht erläutert worden. Der Tatrichter, der in einer schwierigen Frage den Rat eines Sachverständigen in Anspruch genommen hat und der diese Frage im Widerspruch zu dem Gutachten lösen will, muss aber die Darlegungen des Sachverständigen im Einzelnen wiedergeben, insbesondere dessen Stellungnahme zu den Gesichtspunkten, auf welche das Gericht seine abweichende Auffassung stützt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 20. März 2008 – 4 StR 5/08 Rn. 6 und vom 16. Dezember 1992 – 2 StR 440/92, BGHR StPO § 261 Sachverständiger 5 jeweils mwN).
9
b) Zum anderen lässt das Landgericht bei seiner Würdigung, die Annahme der Sachverständigen könne die Gefährlichkeitsprognose nicht tragen, außer Acht, dass der Sachverständige Prof. Dr. L. – dem es sich angeschlossen hat – der Ansicht war, die Beschuldigte werde bei Nichteinnahme der Medikamente wieder wahnhaft agieren. Unter diesen Umständen begegnet die Annahme des Landgerichts, es gebe keine Anhaltspunkte für eine erneute produktiv -psychotische Episode und damit einhergehende schwerwiegende Straftaten , durchgreifenden Bedenken. Dies gilt auch für die Einschätzung der Straf- kammer, dass eine „Steigerung in Form von aggressivem Verhalten oder sonstigen Ausfällen“ nicht bestehe. Eine solche Steigerung liegt offensichtlich mit der Anlasstat vor.
10
3. Über die Unterbringung und deren Vollstreckung muss deshalb erneut entschieden werden. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu der der Maßregelanordnung zugrundeliegenden schweren Brandstiftung können jedoch aufrechterhalten bleiben.
Mutzbauer Roggenbuck Cierniak
Franke Bender

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 79/16
vom
7. Juni 2016
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2016:070616B4STR79.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 7. Juni 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 2. Oktober 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich seine auf die Sachrüge gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Der Unterbringungsanordnung liegen als von der Antragsschrift erfasste Anlasstaten eine gefährliche Körperverletzung sowie Bedrohungen zugrunde. Die gefährliche Körperverletzung beging der Beschuldigte nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen am Morgen des 25. Januar 2015 zum Nachteil eines Bediensteten der JVA D. , auf den er bei der Ausgabe des Frühstücks mit einer Porzellankaffeekanne einschlug. Drei der vom Landgericht als Bedrohungen eingeordneten Taten beging er ebenfalls zum Nachteil von JVA-Bediensteten, nachdem er im Anschluss an die gefährliche Körperverletzung in einen besonders gesicherten Haftraum (Drohung mit „Abstechen“) bzw. zur Versorgung eines nach dem Körperverletzungsgeschehen erlittenen Kiefer- bruchs in eine Klinik verbracht worden war („schlage ich euch mit dem Baseballschläger den Kopf ein“). Eine weitere Bedrohung „ggfs. auch weiterer Bediensteter der JVA“ (UA S. 41) nimmtdas Landgericht bezüglich eines Vorfalls vom 27. Januar 2015 gegenüber zwei Mitarbeiterinnen eines Justizvollzugskrankenhauses an, in das der Beschuldigte verlegt worden war. Ihnen gegenüber drohte der Beschuldigte, er werde ihnen „die Augen ausstechen und sie töten“.
3
Nach den weiteren Feststellungen der Strafkammer weist das Bundeszentralregister für den Beschuldigten für den Zeitraum von 1999 bis zum 18. Dezember 2014 insgesamt 23 Einträge auch wegen Körperverletzungsdelikten (2001, 2005, 2006, zweimal 2008, 2009, 2013), Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (2006, dreimal 2008) oder Bedrohung (2005, 2006) aus. In den Jahren 2011 bis März 2015 verbüßte er mehrere Freiheitsstrafen; 2009 war gegen ihn ferner – neben einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten – die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden , die bis März 2011 auch vollzogen wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen oder die Anwendung von §§ 20, 21 StGB erwähnt das Landgericht bei keiner dieser Taten bzw. Eintragungen. Zu der Maßregelanordnung im Jahr 2009 teilt das Urteil lediglich mit, dass die Sachverständige einen Hang des Beschuldigten , alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, und auch die weiteren Voraussetzungen des § 64 StGB bejaht habe. Aus dem Vollzug dieser Maßregel wird mitgeteilt, dass sein „dissoziales Verhalten ... kaum er- träglich erschien“ und bei ihm bei „kleinsten Belastungen oder Unklarheiten“ Wahn- und Verfolgungsideen festgestellt worden seien, die sich aber wieder legten, „wenn sich die Situation klärte“ (UA S. 14 f.).
4
Ferner teilt das Urteil mit, dass ein Sachverständiger in einem – in einem anderen Strafverfahren gegen den Beschuldigten – erstatteten Gutachten im März 2015 zu dem Ergebnis gekommen sei, dass es sich beim Beschuldigten „um einen voll schuldfähigen Menschen mit dissozialer Persönlichkeit handle“ (UA S. 23), während ein anderer Sachverständiger im selben Monat beim Beschuldigten eine paranoide Psychose sowie eine dissoziale Persönlichkeitsstörung festgestellt habe (UA S. 25). Die Strafkammer geht – dem in der Hauptverhandlung erstatteten Sachverständigengutachten folgend – dagegen davon aus, dass der Beschuldigte an einer paranoiden Schizophrenie leide und gelitten habe, aufgrund derer zu den Tatzeiten seine Einsichtsfähigkeit aufgehoben gewesen sei; es habe sich um „typische Impulstaten eines Psychotikers“ gehandelt. Der Beschuldigte sei schon „in früherer Zeit“ auffällig gewesen, wie insbesondere die strafrechtlichen Vorbelastungen zeigten (UA S. 37); paranoide Akzente zögen sich „bereits seit längerer Zeit durch das Leben des Beschuldig- ten“ (UA S. 37). Hinsichtlich der Unterbringung nach § 64 StGB sei anzuneh- men, dass sie „schlicht in die ‚falsche Richtung’ gegangen sei und damals schon das eigentlich bei dem Beschuldigten bestehende Problem verkannt worden sei“ (UA S. 39).
5
2. Die Unterbringungsanordnung hat keinen Bestand, da die Gefährlichkeitsprognose nicht tragfähig begründet ist.
6
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Diese Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 1. Oktober 2013 – 3 StR 311/13; vom 2. September 2015 – 2 StR 239/15; vom 3. Juni 2015 – 4 StR 167/15) und hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten infolge seines Zustandes drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit, Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 – 2 BvR 2957/12 Rn. 27).
7
Neben der sorgfältigen Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen ist der Tatrichter auch verpflichtet, die wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2013 – 3 StR 311/13). Denn auf eine ausreichende Begründung zukünftiger Gefährlichkeit des Beschuldigten für die Allgemeinheit kann nicht verzichtet werden, selbst wenn dessen Gesundheitszustand durch eine längerfristige Behandlung gebessert werden könnte, da nur die Belange der öffentlichen Sicherheit – nicht aber die Bemühungen um die Gesundheit des Patienten – es rechtfertigen können , einen Menschen mit den Mitteln des Strafrechts auf unbestimmte Zeit einer Freiheitsentziehung zu unterwerfen (BGH aaO).
8
b) An einer nachvollziehbaren Darlegung der zukünftigen krankheitsbedingten Gefährlichkeit des Beschuldigten mangelt es dem angefochtenen Urteil.
9
aa) Auch wenn sich die Feststellung einer durch den Hang bereits indizierten Gefährlichkeit bei § 66 StGB von der auf einem der in § 20 StGB aufgeführten Zustände beruhenden Gefährlichkeit bei § 63 StGB unterscheidet, sind – nicht anders als bei § 66 StGB (vgl. dazu etwa BGH, Urteil vom 13. März 2013 – 2 StR 392/12) – auch (und insbesondere) für die im Rahmen des § 63 StGB anzustellende Gefährlichkeitsprognose etwaige Vortaten von besonderer Bedeutung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Februar 2004 – 2 BvR 2029/01, NJW 2004, 739, 743; Boetticher u.a., NStZ 2006, 537, 538, 541). So ist einerseits als ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten anzusehen, dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine erheblichen Straftaten begangen hat (vgl. etwa BGH, Urteile vom 10. Dezember 2014 – 2 StR 170/14, NStZ-RR 2015, 72, 73; vom 8. Oktober 2015 – 4 StR 86/15 jeweils mwN). Andererseits kann sogar lange zurückliegenden Taten eine indizielle Bedeutung für die Gefährlichkeitsprognose zukommen, wenn sie in einem inneren Zusammenhang zu der festgestellten Erkrankung gestanden haben und deren Ursache nicht in anderen, nicht krankheitsbedingten Umständen zu finden ist (vgl. BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11). Maßgeblich sind insofern insbesondere die individuell bedeutsamen Bedingungsfaktoren für die bisherige Delinquenz, deren Fortbestand, ihre fehlende Kompensation durch protektive Umstände und das Gewicht dieser Faktoren in zukünftigen Risikosituationen (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 2009 – 5 StR 296/09, NJW 2010, 245).
10
Ausgehend hiervon hätte es näherer Darlegungen bei der Gefährlichkeitsprognose dazu bedurft, ob und inwiefern die früher abgeurteilten Taten in Zusammenhang mit der nunmehr festgestellten Erkrankung des Beschuldigten stehen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 15. Juli 2015 – 4 StR 277/15; Boetticher u.a., NStZ 2006, 537, 541, 543; sowie BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 2013 – 2 BvR 1690/13). Hierfür reicht nicht aus, dass der Sachverständige – undihm folgend die Strafkammer – diese als „auffällig“ bezeichnete und auf schon längere Zeit vorliegende „paranoide Akzente“ verwies. Ein Zusammen- hang zwischen den Vortaten und der Erkrankung des Beschuldigten ist damit (noch) nicht – wie erforderlich: sicher – festgestellt (vgl. BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11).
11
bb) Bleiben die früheren Taten außer Betracht, ist die Gefährlichkeitsprognose indes nicht hinreichend nachvollziehbar.
12
Insbesondere kann allein mit der im Allgemeinen erhöhten Kriminalitätsbelastung schizophren Erkrankter die Gefahrenprognose nicht begründet werden (BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11; vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15). Maßgeblich sind stattdessen die konkrete Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung (BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15) sowie die auf die Person des Beschuldigten und seine konkrete Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung von Delikten jenseits der Anlasstaten belegen können (BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11; zu situativen Risikofaktoren auch BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15).
13
Zur mit der Erkrankung des Beschuldigten in Verbindung stehenden Kriminalitätsentwicklung fehlen – wie ausgeführt – tragfähige Feststellungen. Soweit der Beschuldigte nach den Anlasstaten mehrmals in einen hochgradigen und nicht oder kaum mehr kontrollierbaren Erregungszustand geraten ist, ist es zu Tätlichkeiten nicht gekommen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 3. Juni 2015 – 4 StR 167/15). Auch waren die von ihm ausgesprochenen Bedrohungen nach den Feststellungen nicht geeignet, zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens zu führen (vgl. hierzu etwa BGH, Urteil vom 29. September 2015 – 1 StR 287/15, NJW 2016, 341, 342; Beschluss vom 18. Juli 2013 – 4 StR 168/13, NJW 2013, 3383, 3385: nahe liegende Gefahr der Verwirklichung).
14
Die Krankheitsgeschichte des Beschuldigten ist vom Landgericht – über die Unterbringung nach § 64 StGB hinaus – nur insoweit dargestellt worden, als ein Sachverständiger trotz einer dissozialen Persönlichkeitsstörung noch die „volle“ Schuldfähigkeit bejaht hat, einweiterer Sachverständiger – ebenfalls im März 2015 – dagegen eine paranoide Psychose und eine dissoziale Persönlichkeitsstörung angenommen hat, während der (dritte) in der Hauptverhandlung angehörte Sachverständige (nur) eine paranoide Psychose diagnostiziert hat. Angaben dazu, wann die Krankheit erstmals aufgefallen ist und wie sich die Symptomatik im Verlauf der Zeit entwickelt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15), fehlen. Da das Urteil abgesehen von dem Hinweis, dass sich für eine Persönlichkeitsstörung „keine Anhaltspunkte“ gefunden hätten (UA S. 39), zudem eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den früheren Gutachten ebenso vermissen lässt wie eine nähere Darstellung und Auseinandersetzung mit dem in Zusammenhang mit der Anordnung der Maß- regel nach § 64 StGB erstatteten Gutachten, ermöglicht das Urteil dem Senat nicht, die Entscheidung – wie erforderlich – nachzuvollziehen.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 594/16
vom
21. Dezember 2016
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2016:211216B1STR594.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts am 21. Dezember 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 19. August 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen zwei jeweils als Bedrohung (§ 241 StGB) gewerteter , im Zustand aufgehobener Einsichtsfähigkeit begangener Anlasstaten angeordnet. Die auf eine ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Beschuldigten hat Erfolg.

I.


2
Die Anordnung der Maßregel hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
3
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unter- zubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, um die notwendige Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein. Prognostisch muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird (§ 63 Satz 1 StGB). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; etwa BGH, Beschlüsse vom 12. Oktober 2016 – 4 StR 78/16 Rn. 9; vom 15. Januar 2015 – 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395 und vom 10. November 2015 – 1 StR 265/15, NStZ-RR 2016, 76 f. mwN; siehe Beschluss vom 13. Oktober 2016 – 1 StR 445/16 Rn. 16).
4
2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
5
a) Bereits die Voraussetzungen einer aufgrund aufgehobener Einsichtsfähigkeit ausgeschlossenen Schuldfähigkeit (§ 20 StGB) des Beschuldigten bei Begehung der beiden Anlasstaten werden nicht in für den Senat nachvollziehbarer Weise dargestellt und beweiswürdigend belegt. Erforderlich ist auf der Ebene der Darlegungsanforderungen stets eine konkretisierende Darstellung, in welcher Weise sich die näher festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten bzw. Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; etwa BGH, Beschlüsse vom 12. Oktober 2016 – 4 StR 78/16 Rn. 11; vom 17. Juni 2014 – 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306 und vom 23. August 2012 – 1 StR 389/12, NStZ 2013, 98). Daran fehlt es bezüglich beider Anlasstaten.
6
aa) Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Beschuldigte an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, aufgrund dessen er „oftmals die Realität (verkennt) und nach seinen objektiv falschen Vorstellungen (handelt)“ (UA S. 7, siehe auch UA S. 10). Im Rahmen der Beweiswürdigung ordnet das Landgericht, dem Sachverständigen folgend, den psychischen Zustand des Beschuldigten als akute polymorphe psychotische Störung (ICD-10 F.23.1.) ein. Beide Anlasstaten würden auf dieser Störung beruhen, weil sich die krankheitsbedingt wahnhaften Vorstellungen des Beschuldigten über einen Zeitraum erstreckt hätten, der beide Tatzeiten umfasse (UA S. 15).
7
bb) Die Ausführungen im angefochtenen Urteil zu der konkreten Ausprägung der psychotischen Störung beschränken sich auf die Beschreibung, der Beschuldigte leide unter der wahnhaften Vorstellung, bereits mehrfach gelebt zu haben und in einem seiner früheren Leben mit der Zeugin S. verlobt gewesen und auch aktuell noch mit ihr verlobt zu sein. Wie sich die „psychotisch intendierte(n) wahnhaft geprägte(n) Psychopathologie“ konkret auf die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten bezüglich der Anlasstaten ausgewirkt haben soll, wird in dem angefochtenen Urteil nicht näher ausgeführt. Die Einschätzung des Sachverständigen, der sich das Tatgericht anschließt, erschöpft sich in der Aussage, die Kritikfähigkeit des Beschuldigten sei derart tiefgreifend verändert gewesen, dass die Einsichtsfähigkeit in das Unrecht seines Handelns sowie in den Realcharakter der Situationen als aufgehoben bewertet werden müsse (UA S. 16). Das lässt eine Darstellung der auf den Beschuldigten bezogenen konkreten Auswirkungen seiner allein konkret benannten wahnhaften Vorstellung mehrfacher Wiedergeburt und des (vermeintlichen) Verlöbnisses mit S. auf die Unrechtseinsichtsfähigkeit bei den beiden Anlasstaten nahezu vollständig vermissen. Näherer Ausführungen sowohl zum psychischen Zustand des Beschuldigten und der Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit bei Begehung der Anlasstaten hätte es aber auch deshalb bedurft, weil sich das Krankheitsbild seit der ersten festgestellten stationären Behandlung des Beschuldigten im November 2008 bis zu den Taten im September 2015 bzw. Januar 2016 verändert hat und im Verlaufe seiner mehrfachen stationären Aufenthalte wechselnde Diagnosen seitens der behandelnden Ärzte gestellt worden sind (UA S. 4 und 5).
8
cc) Hinsichtlich der Anlasstat zum Nachteil des früheren Betreuers des Beschuldigten, Rechtsanwalt Sc. , (Tat B.1. der Urteilsgründe) erweisen sich die Feststellungen und die zugehörige Beweiswürdigung zudem als in sich widersprüchlich. Das Landgericht hat festgestellt, der Beschuldigte sei bezüglich des an den Betreuer gerichteten Drohbriefs infolge seiner psychischen Erkrankung der Auffassung gewesen, Rechtsanwalt Sc. sei für die erfolgte Kürzung von Sozialleistungen verantwortlich (UA S. 7). Ein Zusammenhang mit dem dargestellten Störungsbild wahnhafter Annahme mehrfacher Wiedergeburt und eines Verlöbnisses mit der Zeugin S. ist insoweit nicht zu erkennen. Die referierte Einlassung des Beschuldigten, er habe durch den Brief den Wechsel seines Betreuers erreichen wollen (UA S. 10 unten), lässt sich mit der Feststellung krankheitsbedingter Fehlwahrnehmung jedenfalls nicht in Einklang bringen , wenn das Störungsbild ausschließlich als eines beschrieben wird, das sich allein auf die Wiedergeburt und das Verhältnis zur Zeugin S. bezieht. Soweit das Landgericht in der Beweiswürdigung zum symptomatischen Zusammenhang zwischen der psychotischen Störung und der Anlasstat zum Nachteil von Rechtsanwalt Sc. ausführt, der Beschuldigte habe – nach Begehung der Tat – gegenüber ihn behandelnden Ärzten im Bezirkskrankenhaus L. angegeben, sein Betreuer sei in seine Wohnung gegangen und habe seine Freundin geschwängert (UA S. 16), ist dies mit der Feststellung, die Verantwortungszuschreibung an den Betreuer für die erfolgte Kürzung der ALG II-Leistungen sei der auslösende Grund für den Drohbrief an den Betreuer gewesen (UA S. 7), ohne nähere Darlegungen kaum zu vereinbaren. Die Widersprüchlichkeiten zwischen Feststellungen und Beweiswürdigung können sich auf die Annahme der Unterbringungsvoraussetzungen ausgewirkt haben. Sowohl für die Beurteilung des symptomatischen Zusammenhangs zwischen der diagnostizierten Störung und der Anlasstat als auch für die Gefährlichkeitsprognose kommt dem Motiv der Tat zum Nachteil des früheren Betreuers Bedeutung zu.
9
b) Auch die Gefährlichkeitsprognose ist nicht tragfähig begründet.
10
aa) Die für die Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB erforderliche Wahrscheinlichkeit höheren Grades, der Täter werde infolge seines fortdauernden psychischen Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 2. September 2015 – 2StR 239/15; vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306 f. und vom 13. Oktober 2016 – 1 StR 445/16 Rn. 15 mwN); die Prognose muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (BGH, Beschluss vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306 f.; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 – 2 BvR 2957/12 Rn. 27 sowie BT-Drucks. 18/7244 S. 23). Einzustellen in die Gefährlichkeitsprognose ist die konkrete Krankheitsund Kriminalitätsentwicklung sowie die auf die Person des Beschuldigten und seine konkrete Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung von Straftaten jenseits der Anlasstaten belegen können (BGH aaO mwN).
11
bb) Dem genügt das angefochtene Urteil nicht, obwohl das Landgericht den zutreffenden rechtlichen Ausgangspunkt einer auf einer umfassenden Gesamtwürdigung aufbauenden Prognose erkannt hat. Es beschränkt sich jedoch darauf, dem Sachverständigen in dessen Einschätzung zu folgen, dass im Fall einer erneuten Zuspitzung des psychotischen Geschehens die „Wahninhalte des Beschuldigten impulshaft und handlungsleitend umgesetzt werden“. In sol- chen Situationen sei die Begehung von Aggressions- und Gewaltdelikten bis hin zu Tötungsdelikten sehr wahrscheinlich (UA S. 20). Anknüpfungstatsachen, die die Prognose derartiger zukünftiger Straftaten stützen, führt das angefochtene Urteil nicht auf. Die benannten Umstände der Wiederaufnahme von Alkohol - und Betäubungsmittelkonsum durch den Beschuldigten sowie das Fehlen von Krankheitseinsicht und eines sozialen Empfangsraums stellen zwar allgemein prognostisch ungünstige Umstände dar. Angesichts seit 2008 bestehender – wenn auch bei sich im Verlaufe der Zeit veränderndem Krankheitsbild – psychischer Auffälligkeit, bislang weitgehend ausgebliebener Delinquenz sowie des bisherigen Fehlens von Gewaltdelikten können die genannten Aspekte allein aber nicht tragfähig begründen, warum nunmehr Gewaltdelikte bis hin zu Tötungsdelikten von dem Beschuldigten zu erwarten sein sollen. Konkrete Umstände , die ein Umschlagen von Drohungen hin zu deren Realisierung prognostizieren lassen, benennt das Landgericht nicht. Aus der Art der psychischen Erkrankung als psychische Störung aus dem Formenkreis der Schizophrenie folgt nichts anderes. Zwar kann bei einer derartigen Störung der Tatrichter auch in Bezug auf einen Täter, der zuvor noch nicht oder kaum mit „gewalttätigen Aggressionsdelikten“ aufgefallen ist, die Überzeugunggewinnen, dieser werde mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades zukünftig erhebliche Straftaten, wie etwa Körperverletzungsdelikte, begehen (BGH, Beschluss vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240 f.; vgl. BT-Drucks. 18/7244 S. 23). Dazu bedarf es aber gerade der sorgfältigen Darlegung derjenigen Umstände, die die entsprechende tatrichterliche Überzeugung tragen (BGH aaO; siehe auch BT-Drucks. 18/7244 S. 23). Gerade diese Darlegung enthält das angefochtene Urteil aber aus den genannten Gründen nicht.

II.


12
Der Senat hebt die getroffenen Feststellungen insgesamt auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatrichter sowohl zu den für die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten bei Begehung der Anlasstaten bedeutsamen Umstände als auch zu sämtlichen prognoserelevanten Aspekten umfassende und in sich widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.
Raum Radtke Mosbacher Fischer Bär

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 S t R 2 8 7 / 1 5
vom
29. September 2015
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. September
2015, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß
als Vorsitzender,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Jäger,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Cirener,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Radtke
und die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Fischer,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 2. Februar 2015 mit den Feststellungen aufgehoben; die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen bleiben jedoch aufrechterhalten.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB angeordnet. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer unbeschränkten Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, insgesamt die Verletzung materiellen Rechts, wobei sie die Anordnung der vom Landgericht abgelehnten Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB anstrebt.
2
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat weitgehend Erfolg.

I.

3
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
Der Beschuldigte, der bereits sieben Mal strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, davon auch zweimal wegen Körperverletzungsdelikten und zweimal wegen Bedrohung, wobei eine der Bedrohungen mit einem gefährlichen Gegenstand vorgenommen wurde, leidet an einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung des impulsiven Typs (ICD-10: F60.30) und erheblichem Alkoholmissbrauch.
5
Am 3. Juni 2014 konsumierte er nach einem für ihn enttäuschenden Gang zum Arbeitsamt unbekannte Mengen an Bier und Schnaps. Als seine Ehefrau ihm gegen 16.00 Uhr begegnete, beschimpfte der erheblich alkoholi- sierte Beschuldigte sie als „Schlampe“ und dass sie mit anderen Männern schlafe, und folgte ihr auf ihrem Weg zur Bank. Hierbei passierte er den Biergarten eines Spielcenters, in dem sich die Gäste unterhielten und lachten. Der Beschuldigte war der Ansicht, die besagten Biergartengäste würden über ihn lachen, und ging nach Hause, um ein Samuraischwert (Gesamtlänge 98,5 cm, Klingenlänge 69,5 cm) und eine Machete (Gesamtlänge 49 cm, Klingenlänge 36,5 cm) zu holen. Hiermit fuchtelnd stellte er sich gegen 17.00 Uhr vor den Biergarten und rief den circa fünf bis sieben Metern entfernten Biergartengäs- ten, die seines Erachtens zuvor über ihn gelacht hatten, zu: „Dein Kopf gehört mir“ sowie „Rufts die Polizei“. Der Beschuldigte wollte sichmit dieser Drohung rächen, jedoch niemandem wirklich den Kopf abschlagen. Die Geschädigten verließen hierauf den Biergarten und riefen um 17.02 Uhr die Polizei, während der Beschuldigte in seine benachbarte Wohnung zurückkehrte und eine Langwaffe , Modell Carcano 1891, 6,5 mm Kaliber, bei der das Patronenlager ver- schlossen war, so dass die Waffe nicht mehr zum Verschießen von Munition geeignet war, holte.
6
Wieder am Biergarten angekommen richtete der Beschuldigte die Waffe auf die dort ermittelnden Polizeibeamten, PHM R. , PK W. und POK S. , und rief diesen zu, dass es sich um eine scharfe Waffe handele , die geladen sei, und er auch mit dieser umgehen könne. Daraufhin gingen die Polizeibeamten in Deckung und konnten ihre Ermittlungen nicht fortsetzen. Der Beschuldigte legte die Langwaffe ab und nahm erneut das Samuraischwert und die Machete zur Hand, ging mit diesen zur nächsten Kreuzung und forderte mit dem Samuraischwert und der Machete fuchtelnd wiederholt die Polizeibeamten auf, ihn zu erschießen. Dabei ging er zunächst aggressiv auf PHM R. zu, der rückwärts wich und den Beschuldigten aufforderte, die Messer wegzulegen. Als der Beschuldigte sich kurzzeitig neben dem Polizeibus niederkniete , erweckte er den Eindruck, er würde aufgeben, stand dann jedoch wieder auf und ging - erneut mit Samuraischwert und Machete in der Hand - diesmal auf POK S. mit der Forderung zu, ihn zu erschießen. POK S. wich circa 15 Meter mit gezückter Waffe zurück, aber der Beschuldigte schloss immer weiter auf. Auch PHM R. , PHM A. und PK W. hatten jeweils die Dienstwaffe gezückt und waren schussbereit. Als der Beschuldigte nur noch circa zwei Meter von POK S. entfernt war, feuerte PHM R. auf den Beschuldigten. Das Projektil ging durch den rechten Oberschenkel des Beschuldigten und schlug letztlich im linken Knie ein. Da der Beschuldigte nicht direkt zu Boden ging, folgten zwei weitere Schüsse, bis der Beschuldigte überwältigt werden konnte.
7
Der Beschuldigte hatte nach den Feststellungen des Landgerichts nicht vor, einen der Polizeibeamten zu verletzen und erachtete dies, da er die Messer zuletzt nach unten gerichtet hielt, auch nicht für möglich. Er wollte mit sei- nem Vorgehen ausschließlich die vier Polizeibeamten zur Schussabgabe auf ihn zwingen. Eine Blutprobe des Beschuldigten ergab im Wege der Rückrechnung eine maximale BAK von 2,6 Promille zum Tatzeitpunkt. Die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten war bei der Tat aufgrund einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung mit dissozialen Zügen sowie eines leicht- bis mittelgradigen Rauschzustands mit kognitiven Funktionseinbußen wie Stimmungslabilität und deutlichen Aufmerksamkeitsstörungen sicher erheblich vermindert (§ 21 StGB) und nicht ausschließbar aufgehoben (§ 20 StGB).
8
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB angeordnet. Die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB hat das Landgericht abgelehnt.

II.

9
Das Urteil hält materiell-rechtlicher Nachprüfung weitgehend nicht stand.
10
1. Die Ablehnung der Maßregelanordnung nach § 63 StGB weist durchgreifende Rechtsfehler auf.
11
a) Das sachverständig beratene Landgericht hat festgestellt, dass die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten bei den am 3. Juni 2014 begangenen Taten in Folge einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung mit dissozialen Zügen sowie eines leicht- bis mittelgradigen Rauschzustands mit kognitiven Funktionseinbußen wie Stimmungslabilität und deutlichen Aufmerksamkeitsstörungen sicher erheblich vermindert im Sinne des § 21 StGB und nicht ausschließbar sogar aufgehoben im Sinne des § 20 StGB war. Hierbei teilt das landgerichtliche Urteil jedoch nicht mit (wie aber erforderlich, vgl. u.a. BGH, Be- schluss vom 21. Juli 2015 - 2 StR 163/15), welches Eingangsmerkmal der §§ 20, 21 StGB vorliegend erfüllt ist und ob es sich dabei nur um eine vorübergehende Störung oder einen länger andauernden Defektzustand gehandelt hat. Dabei muss vom Tatgericht im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte , einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 18.November 2013 - 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 75, 76 mwN). Dies kann schon deshalb nicht offen bleiben, weil die im Rahmen des § 63 StGB zu erstellende Gefährlichkeitsprognose maßgeblich an den Zustand des Betroffenen anknüpft (BGH, Beschluss vom 18. November 2013 - 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 75, 77) und eine Unterbringung nach § 63 StGB nur in Betracht kommt, wenn eine länger andauernde Beeinträchtigung der geistigen oder seelischen Gesundheit vorliegt. Vorübergehende Defekte genügen nicht (BGH, Urteil vom 10. August 2005 - 2 StR 209/05, NStZ-RR 2005, 370, 371; van Gemmeren in MüKoStGB, 2. Aufl., § 63 Rn. 31; Schöch in Leipziger Kommentar, 12. Aufl., § 63 Rn. 8). Auch bei Zusammenwirken von Persönlichkeitsstörung und Alkoholkonsum kann eine Unterbringung nach § 63 StGB angebracht sein, wenn der Beschuldigte an einer krankhaften Alkoholsucht leidet, in krankhafter Weise alkoholüberempfindlich ist oder an einer länger andauernden geistig-seelischen Störung leidet, bei der bereits geringer Alkoholkonsum oder andere alltägliche Ereignisse die erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auslösen können und dies getan haben (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 1. April 2014 - 2 StR 602/13, NStZ-RR 2014, 207). Die Ausführungen des Landgerichts hierzu ermöglichen jedoch keine abschließende Beurteilung, ob ein solcher Fall hier gegeben ist.
12
b) Bei der Prüfung der Maßregelanordnung führt das Landgericht weiter aus, der Beschuldigte habe zwar im Zustand sicher verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) rechtswidrige Taten begangen, nämlich Bedrohungen, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Nötigung und versuchte Nötigungen, und es müsse bei dem Beschuldigten auch künftig mit vergleichbaren Taten gerechnet werden. Gleichwohl lehnt es die Maßregelanordnung ab, weil es - sich dem Sachverständigen diesbezüglich anschließend - keine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür erkenne, dass der Beschuldigte künftig eine versuchte oder vollendete Körperverletzung begehen werde. Unter Berücksichtigung der Vorstrafen des Beschuldigten und der hiesigen Tatbegehung, die ebenfalls nicht auf eine Körperverletzung, sondern nur auf Bedrohungs-, Nötigungs- und Widerstandshandlungen abzielte, sei auch für die Zukunft mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades nur mit Bedrohungs- und Nötigungsdelikten zu rechnen.
13
Zutreffend hat das Landgericht zwar erkannt, dass die Anlasstat selber nicht erheblich im Sinne des § 63 StGB sein muss. Maßgeblich ist vielmehr, welche Taten künftig von dem Täter infolge seines Zustands zu erwarten sind und ob diese erheblich sind (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 15. August 2013 - 4 StR 179/13). Die Ausführungen des Landgerichts zur Gefährlichkeitsprognose lassen jedoch besorgen, dass es einen zu strengen Maßstab angelegt und verkannt hat, dass es nicht zwingend einer Körperverletzung als künftig zu erwartender Straftat bedarf. Bereits der erneut zu erwartende Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, bei dem jedenfalls von einem unbenannten besonders schweren Fall gemäß § 113 Abs. 2 Satz 1 StGB auszugehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 9. August 1972 - 2 StR 264/72), kann als mittlere Kriminalität gewertet werden. Ohnehin müssen die zu erwartenden Taten zwar grundsätzlich im Bereich mittlerer Kriminalität liegen, jedoch ist eine Unterbringung nach § 63 StGB auch unter dieser Schwelle nicht völlig ausgeschlossen. Dann ist allerdings eine besonders sorgfältige Darlegung der Gefährlichkeitsprognose und der konkreten Ausgestaltung der Taten erforderlich (BGH, Beschlüsse vom 16. Juni 2014 - 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571, 573; vom 18. November 2013 - 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 75 und vom 6. März 2013 - 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304 f.). Auch Todesdrohungen können eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Rechtsfriedens darstellen, insbesondere wenn diese unter Einsatz gefährlicher Gegenstände ausgesprochen werden (vgl. auch BGH, Beschluss vom 18. November 2013 - 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 75, 77) und den Bedrohten nachhaltig und massiv in seinem elementaren Sicherheitsempfinden beeinträchtigen , da die Bedrohung aus Sicht des Betroffenen die nahe liegende Gefahr ihrer Verwirklichung in sich trägt (BGH, Urteil vom 21. Mai 2014 - 1 StR 116/14; Beschlüsse vom 4. Juli 2012 - 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338; vom 22. Februar 2011 - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 271, 272 und vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08, StraFo 2008, 300, 301).
14
Vorliegend hat sich das Landgericht weder mit der Tatsache, dass sich der Beschuldigte mit einem Samuraischwert und einer Machete bis auf zwei Meter POK S. näherte und mit diesen Gegenständen bereits zuvor die Gäste des Biergartens mit einem derart massiven Auftreten bedroht hatte, dass diese sich ins Gebäude in Sicherheit brachten, noch mit dem Umstand, dass der Beschuldigte zwischenzeitlich eine für die Betroffenen nicht erkennbar funktionsunfähige Langwaffe zur Unterstreichung seiner Drohungen verwendete , auseinandergesetzt. Auch die Vorstrafen des Beschuldigten, unter anderem wegen Körperverletzungsdelikten und Bedrohungen mit gefährlichen Gegenständen , bleiben in diesem Zusammenhang unerörtert. Dies genügt nicht den Anforderungen an eine rechtsfehlerfreie Ablehnung der Unterbringung nach § 63 StGB.
15
Das Übermaßverbot nach § 62 StGB würde hier einer Anordnung gemäß § 63 StGB nicht grundsätzlich entgegenstehen. Bei einer Abwägung der Gefahr für die Allgemeinheit aufgrund der vom Beschuldigten begangenen und zu erwartenden Taten gegenüber willkürlichen Opfern und des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht der von der Maßregel nach § 63 StGB Betroffenen stünde dieser Eingriff nicht von vorneherein außer Verhältnis (vgl. auch BGH, Urteil vom 30. November 2011 - 1 StR 341/11).
16
Die Ablehnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB ist auch nicht deshalb hinzunehmen, weil eine Unterbringung nach § 64 StGB angeordnet worden ist. Da das Landgericht sich nicht dazu verhält, ob in erster Linie die Behandlung der Persönlichkeitsstörung oder des Alkoholmissbrauchs oder beider Phänomene erforderlich ist, können die Voraussetzungen des § 72 StGB ebenfalls nicht überprüft werden.
17
2. Die Anordnung der Unterbringung in einer Enziehungsanstalt nach § 64 StGB ist ohnehin nicht frei von Rechtsfehlern. Die Bejahung einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht im Sinne des § 64 Satz 2 StGB begegnet rechtlichen Bedenken. Das Landgericht setzt sich insoweit über den Sachver- ständigen hinweg, der „Zweifel geäussert (hat), ob der Beschuldigte kognitiv und intellektuell in der Lage sei, eine Entziehungsbehandlung erfolgreich durchzustehen“ (UA S. 15). Genauere Ausführungen zu den wesentlichen An- knüpfungspunkten und Ausführungen des Sachverständigen lässt das landgerichtliche Urteil jedoch vermissen und verhält sich auch nicht zu der vom Sachverständigen für erforderlich gehaltenen testpsychologischen Zusatzuntersuchung. Zwar darf das Landgericht von der Einschätzung des Sachverständigen abweichen, doch hätte es sich dafür erschöpfend mit dessen Ausführungen auseinandersetzen und diese im Einzelnen darlegen müssen, da andernfalls dem Revisionsgericht eine Prüfung nicht möglich ist, ob der Tatrichter das Gut- achten zutreffend gewürdigt und aus ihm rechtlich zulässige Schlüsse gezogen hat sowie woher sich sein besseres Fachwissen ergibt, nachdem er zuvor glaubte, sachverständiger Beratung zu bedürfen (BGH, Urteile vom 12. Juni 2001 - 1 StR 190/01 und vom 10. Dezember 2009 - 4 StR 435/09, NStZ-RR 2010, 105, 106; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 1 StR 579/05, NStZ-RR 2006, 242, 243). Dem genügt der bloße Verweis auf die Ernüchterung des Beschuldigten durch die eigenen Verletzungen als Tatfolgen und die dadurch bedingte Therapiebereitschaft nicht.
18
Ohne eine Bestimmung des Eingangsmerkmals im Sinne der §§ 20, 21 StGB einerseits und nähere Ausführungen zur Therapierbarkeit der Persönlichkeitsstörung und des Alkoholmissbrauchs andererseits ist die erforderliche Grundlage für die Beurteilung der hinreichend konkreten Erfolgsaussicht nicht gegeben (vgl. z.B. auch BGH, Urteil vom 11. August 2011 - 4 StR 267/11).
19
3. Das angefochtene Urteil war daher (sowohl als die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet als auch die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt worden war) aufzuheben.
20
Die Sache war zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass erneut eine Unterbringung des Beschuldigten angeordnet wird.
21
4. Von der Aufhebung nicht betroffen sind jedoch die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen, die deshalb bestehen bleiben. Denn die diesen Feststellungen zugrundeliegende Beweiswürdigung weist keinen Rechtsfehler auf (§ 353 Abs. 2 StPO). Insoweit war die Revision zu verwerfen. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen. Rothfuß Jäger Cirener Radtke Fischer

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR293/15
vom
29. Juli 2015
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 29. Juli 2015 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Detmold vom 23. März 2015 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben; die Feststellungen zu dem äußeren Tatgeschehen bleiben aufrecht erhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus mit der Maßgabe angeordnet, dass die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Gegen seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
1. Nach den Feststellungen zur Tat vom 29. Oktober 2014 (Fall II.2 der Urteilsgründe) ergriff der alkoholisierte Angeklagte nach vorangegangenem Streit mit dem Zeugen K. eine in seinem Zimmer im ersten Stock des Übergangswohnheims liegende Axt und schlug damit zweimal – außer sich vor Wut – in Richtung des Kopfes des Zeugen, dem es jedoch jeweils gelang, den Schlägen auszuweichen. Sodann entriss der Zeuge dem Angeklagten die Axt. Dieser schleuderte ein Glas nach dem Zeugen, das indes ebenfalls das Ziel verfehlte. Mit einem Brotmesser in der Hand lief der Angeklagte hinter ihm her. Da er erkannte, dass er den Zeugen auf dessen Flucht durch das Treppenhaus nicht erreichen konnte, ließ er das Küchenmesser fallen und warf einen Feuerlöscher nach dem auf einem Podest stehenden Zeugen. Dieser konnte erneut ausweichen. Anschließend gelangten beide ins Freie. Der Angeklagte beschimpfte den Zeugen; zu weiteren handgreiflichen Auseinandersetzungen kam es jedoch nicht mehr, da kurz darauf die Polizei eintraf.
3
Eine dem Angeklagten ca. dreieinhalb Stunden nach der Tat entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,1 ‰.
4
2. Nach den Feststellungen zu der Tat vom 30. Dezember 2014 (Fall II.3 der Urteilsgründe) setzte der Angeklagte die Matratze in seinem Haftraum mittels eines Feuerzeuges in Brand, wobei ihm klar war, dass das Feuer auf Gebäudeteile der Justizvollzugsanstalt übergreifen und es zu einem Vollbrand kommen konnte. Das nahm er in Kauf. Infolge der starken Rauchentwicklung in Panik geraten schlug er mit der Hand mehrfach gegen die Zellentür. Dabei ging es ihm allein darum, sein Leben zu retten. Ob das Feuer nach seiner Rettung weiterbrennen oder gelöscht werden würde, war ihm gleichgültig. Der Angeklagte wurde durch das Wachpersonal gerettet und der Brand sodann gelöscht.
5
Auf der anschließenden Fahrt in einem Rettungswagen zum Klinikum L. bedrohte er den ihn begleitenden Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalt mit dem Tode.
6
3. Das Landgericht hat die Tat vom 29. Oktober 2014 als versuchte gefährliche Körperverletzung in den Varianten des § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB gewertet und dem Angeklagten infolge seiner Alkoholisierung eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit gemäß § 21 StGB zuerkannt.
7
Vom Vorwurf der versuchten schweren Brandstiftung gemäß § 306a Abs. 1 Nr. 1, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB in Tatmehrheit mit Bedrohung gemäß § 241 StGB hat es ihn wegen Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB freigesprochen und seine Unterbringung gemäß § 63 StGB angeordnet. Aufgrund einer krankhaften seelischen Störung in Form der vom Sachverständigen festgestellten „als psychotisch zu bezeichnenden schizophrenen Störung“ sei davon auszu- gehen, dass die Handlungen des Angeklagten psychotisch motiviert gewesen seien.

II.


8
Das Urteil hält der materiell-rechtlichen Überprüfung weitgehend nicht stand.
9
1. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 2. Juli 2015 u.a. Folgendes ausgeführt: „Die Überprüfung des angefochtenen Urteils auf die Sachrüge hat durch- greifende Rechtsfehler ergeben.
I. Bereits die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe die Tat am 30. Dezember 2014 (Fall II. 3., UA S. 7 f.) im Zustand der Schuldunfähigkeit im Sinne des § 20 StGB begangen, hält mit Blick auf die Anordnung seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Die Anordnung dieser Maßregel kommt nur bei solchen Personen in Betracht, deren Schuldunfähigkeit oder erheblich verminderte Schuldfähigkeit durch einen positiv festgestellten, länger andauernden und nicht nur vorübergehenden Zustand im Sinne der §§ 20, 21 StGB hervorgerufen worden ist (st. Rspr., Senat, Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 48/86, BGHSt 34, 29 ff.).

a) Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist trotz eingeschränkter revisionsrechtlicher Nachprüfbarkeit (vgl. die Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 261 Rn. 3 und 38) hier lückenhaft. Der Tatrichter hat die Schuldfähigkeit des Angeklagten ohne Bindung an die Äußerungen des Sachverständigen in eigener Verantwortung zu beurteilen. Schließt sich der Tatrichter dem Sachverständigen an, muss er sich grundsätzlich mit dem Gutachteninhalt auseinandersetzen (BGH, Urteil vom 15. März 2006 – 2 StR 573/05 –, juris Rn. 11) und die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen des Sachverständigen auf eine für das Revisionsgericht nachprüfbare Weise (st. Rspr., vgl. etwa Senat, Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 48/86, BGHSt 34, 29 ff.) im Urteil mitteilen (st. Rspr., siehe etwa BGH, Beschluss vom 9. Mai 2007 – 5 StR 557/06 –, juris Rn. 8; BGH, Urteil vom 19. Februar 2008 – 5 StR 599/07 –, juris Rn. 11; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 20 Rn. 65 mwN). Der Umfang der tatrichterlichen Darlegungspflicht bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls.
Gemessen an diesen Maßstäben begegnet die Beweiswürdigung des Landgerichts durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Schwurgerichtskammer hat lediglich ausgeführt, dass bei dem Angeklagten nach den ‚überzeugenden Ausführungen des forensisch erfahrenen Sachverständigen […] eine als psychiotisch zu bezeichnende schizophrene Störung (vorliege) […]‘ (UA S. 11), ein ‚planvolles, rationales Handeln‘ nicht gegeben und ‚vielmehr davon auszugehen (sei), dass die Handlungen des Angeklagten psychiotisch motiviert waren‘ (UA S. 12).Anknüpfungstatsachen teilt das Landgericht in diesem Kontext nicht mit. Den – formelhaft gefassten – Urteilsgründen lassen sich weder hinreichend die gutachterliche Diagnose tragende Befunde, noch die Symptome des Störungsbildes oder deren Einwirkung auf den Angeklagten in der konkreten Tatsituation entnehmen. Auch versäumt es das Landgericht darzulegen, ob es von einer Unrechtseinsichtsunfähigkeit oder einer Steuerungsunfähigkeit des Angeklagten im Tatzeitpunkt ausgegangen und wie es zu seiner Überzeugungsbildung gelangt ist. Diese Erörterungen drängten sich allerdings umso mehr auf, als die allgemeine Diagnose einer schizophrenen Störung nicht ohne weiteres zur Schuldunfähigkeit des Täters führt (Senat, Beschluss vom 17. Juni 2014 – 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305; Fischer, aaO., Rn. 9a mwN) und sich das Verhalten des Angeklagten in dem Haftraum auf den ersten Blick nicht unbedingt als ‚psychiotisch motiviert‘ (UA S. 12) darstellt.
Der Senat ist durch den Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, den Freispruch aufzuheben. Denn durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl I S. 1327) wurde der frühere Rechtszustand dahin geändert, dass es gemäß § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO möglich ist, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen (BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2013 – 3 StR 349/13 –, juris Rn. 8).

b) Die beweiswürdigungsrechtlichen Lücken zur Frage der Schuldfähigkeit liegen auch bei den Feststellungen zur Tat vom 29. Oktober 2014 vor (Fall II. 2., UA S. 4 bis 7). Das Landgericht
hat hier keine Schuldunfähigkeit des Angeklagten nach § 20 StGB angenommen, sondern ist lediglich von einer verminderten Schuldfähigkeit infolge der Alkoholisierung des Angeklagten im Tatzeitpunkt ausgegangen (UA S. 12). Vor dem Hintergrund der vom Landgericht festgestellten schizophrenen Störung als Grunderkrankung des Angeklagten durfte es sich jedoch nicht darauf beschränken, auszuführen, dass ‚keine Anhaltspunkte (anhand des festgestellten Tatgeschehens)‘ dafür bestanden, der Angeklagte habe sich während der Tatausführung in einer ‚akuten Phase‘ befunden oder habe einen ‚schizophrenen Schub‘ gehabt, da das Handeln des Angeklagten ‚überwiegendplanvoll und an den realen Gegebenheiten orientiert‘ gewesen sei (UA S. 11). Denn überwiegend planvolles Handeln, das an den realen Gegebenheiten orientiert ist, schließt einen akuten Schub der Schizophrenie ohne nähere Begründung nicht aus. Unter Berücksichtigung , dass die Fälle II. 2. und 3. der Urteilsgründe nicht losgelöst voneinander betrachtet werden können, wird damit auch im Fall II. 2. eine mögliche Schuldunfähigkeit des Angeklagten nach § 20 StGB in den Blick zu nehmen sein.
2. Daneben vermögen die Feststellungen die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus auch deshalb nicht zu tragen, weil ihnen eine die Unterbringung rechtferti- gende Störung im Sinne eines länger andauernden ‚Zustandes‘ (§ 63 StGB) nicht entnommen werden kann.
Das Landgericht hat, dem Sachverständigen folgend, ausgeführt, dass bei dem Angeklagten eine infolge seiner schizophrenen Er- krankung und seiner ‚Persönlichkeitsabwandlung zumindest er- heblich eingeschränkte und womöglich sogar vollständig aufgehobene Fähigkeit zu einer der Realität angepassten Impulskon- trolle und zur Entwicklung von Alternativverhalten‘ – dauerhaft – vorliegen würde (UA S. 14). Diese bloße Wiedergabe der Diagnose des Sachverständigen reicht jedoch für die Begründung der Voraussetzungen eines länger andauernden ‚Zustandes‘ (§ 63 StGB) nicht aus (BGH, Beschluss vom 24. April 2012 – 5 StR 150/12, NStZ-RR 2012, 239), zumal die Schwurgerichts- kammer hier nicht lediglich auf die allgemeine Disposition des Angeklagten zur erheblichen Verminderung der Impulskontrolle ohne weitergehende Berücksichtigung der außergewöhnlichen Belastungssituation im Haftraum rekurrieren durfte (vgl. dazu
auch Senat, Beschluss vom 2. Dezember 2004 – 4 StR 452/04 mwN., BGHR StGB § 63 Zustand 39; Senat, Beschluss vom 10. Januar 2008 – 4 StR 626/07, NStZ-RR 2008, 140).
Darüber hinaus hat das Landgericht nicht dargelegt, welche weiteren Taten seitens des Angeklagten, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben, infolge seines Zustandes zu erwarten sind (Gefahrenprognose). …
III. Die – rechtsfehlerfrei – getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatablauf können aufrechterhalten bleiben.“
10
Dem tritt der Senat bei.
11
2. Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:
12
Die Ausführungen im angefochtenen Urteil zur Alkoholisierung des Angeklagten bei der Tat vom 29. Oktober 2014 (UA 11) sind unklar; die aus der Blutprobe mittels Rückrechnung zu ermittelnde Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit ist höher als vom Landgericht angenommen.
13
Unklar bleibt auch, ob das Landgericht bei der Bewertung der Tat vom 30. Dezember 2014 von erwiesener Schuldunfähigkeit ausgegangen ist oder ob es dies lediglich nicht ausschließen konnte (vgl. UA 12 und 14).
14
Bedenken begegnet auch die bisherige Behandlung der Rücktrittsfrage in beiden Fällen:
15
Bei der Tat vom 29. Oktober 2014 handelt es sich entgegen der Auffassung des Landgerichts (UA 10) nicht um einen beendeten Versuch. Zur Beurteilung der Frage, ob ein fehlgeschlagener Versuch vorliegt, wird der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter Feststellungen zu den Vorstellungen des Angeklagten im Rücktrittshorizont zu treffen haben (vgl. BGH, Beschluss vom 9. April 2015 – 2 StR 402/14, StraFo 2015, 291; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 24 Rn. 7, 15 ff. mwN). Hinsichtlich der Tat vom 30. Dezember 2014 hat das Landgericht nicht mitgeteilt, worauf seine Feststellung beruht, es sei dem Angeklagten allein darum gegangen, sein Leben zu retten; ob das Feuer weiterbrennen oder gelöscht werden würde, sei ihm gleichgültig gewesen.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Bender