Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Feb. 2019 - 3 StR 479/18

bei uns veröffentlicht am06.02.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 479/18
vom
6. Februar 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Diebstahls u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:060219B3STR479.18.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführerin und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 6. Februar 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 2. Juli 2018 mit den Feststellungen aufgehoben ; jedoch bleiben diejenigen zum objektiven Tatgeschehen aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Diebstahls in vier Fällen, wegen Körperverletzung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung , wegen Nötigung in Tateinheit mit "Besitz und Führen" zweier verbotener Gegenstände (Schlagring und Faustmesser) sowie wegen Beleidigung in einem weiteren Fall zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Die Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt hat es abgelehnt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Am 15. Januar 2013 suchte die Angeklagte ein Mehrfamilienhaus auf, wobei sie in einem Rucksack unter anderem einen Schlagring und ein Faustmesser mit sich führte. In dem Haus äußerte sie gegenüber einem Bewohner "Hau' ab oder ich mach' dich platt" und schlug mit einem Beil in seine Richtung, um ihn zu vertreiben. Aufgrund dieser Drohung lief der Mann zurück in seine Wohnung (Fall II. 1. der Urteilsgründe).
4
Am 12. Januar 2015 entwendete die Angeklagte aus einem Elektronikmarkt Waren im Gesamtwert von 241,89 € (Fall II. 2. der Urteilsgründe). Am 30. Januar 2015 schrie sie in einer Gewahrsamszelle der Polizei einen Polizeiarzt und eine Polizeibeamtin unter Verwendung einer Vielzahl ehrverletzender Begriffe an (Fall II. 3. der Urteilsgründe). Am 18. Februar 2015 entwendete die Angeklagte aus einem Supermarkt Haushaltswaren und Kosmetikartikel im Gesamtwert von 186,06 € (Fall II. 4. der Urteilsgründe). Am 6. August 2015 beleidigte sie in einem Drogeriemarkt die stellvertretende Filialleiterin und schlug ihr eine Puderdose gegen den Kopf, wodurch diese eine Beule und eine Rötung sowie vorübergehenden Schwindel und Schmerzen erlitt (Fall II. 5. der Urteilsgründe

).

5
Am 22. November 2015 entwendete die Angeklagte aus einem Wohnhaus Schuhe und eine Kinderwagenabdeckung im Gesamtwert von zirka 300 € (Fall II. 6. der Urteilsgründe). Am 24. November 2016 packte sie in einem Mehrfamilienhaus Schuhe im Gesamtwert von etwa 250 € in eine mitgeführte Reisetasche , um sie für sich zu behalten (Fall II. 7. der Urteilsgründe).
6
Am 1. August 2017 stach die Angeklagte an einer Haltestelle mit dem Kunststoffstiel eines Lutschers einmal auf das Gesicht einer dort wartenden Frau ein und traf sie an der Wange etwa einen Zentimeter unterhalb des rechten Auges sowie am zur Abwehr erhobenen rechten Oberarm. Die Geschädigte zog sich unter dem Auge eine blutende Wunde und eine Schwellung sowie am Oberarm ein Hämatom zu und erlitt Schmerzen (Fall II. 8. der Urteilsgründe). Zwei Tage später warf die Angeklagte auf offener Straße einen Schlüsselbund in das Gesicht eines Mannes, der sie zur Rede gestellt hatte, weil sie nach seiner Tochter getreten hatte. Der Schlüsselbund prallte gegen seine Schneidezähne , was für ihn schmerzhaft war (Fall II. 9. der Urteilsgründe).
7
2. Die sachverständig beratene Strafkammer hat angenommen, bei Begehung der Aggressionsdelikte (Körperverletzung, Nötigung, Beleidigung) sei zwar nicht die Einsichtsfähigkeit der Angeklagten, jedoch ihre Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert gewesen (Fälle II. 1., 3., 5., 8. und 9. der Urteilsgründe ). Der psychiatrische Sachverständige habe "plausibel erläutert", dass die Angeklagte bei diesen Taten aufgrund ihrer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung jeweils raptusartige Impulsdurchbrüche erlebt habe. Sie verfüge "krankheitsbedingt" über eine geringe Frustrationstoleranz und deshalb nur noch über einen eingeschränkten Vorrat an Reaktionsmöglichkeiten auf ihr unangenehme Situationen. Bei Ausführung der vier Diebstahlstaten seien hingegen Einsichts- und Steuerungsfähigkeit "intakt" gewesen (Fälle II. 2., 4., 6. und 7. der Urteilsgründe). Der Sachverständige habe "gut nachvollziehbar erläutert" , dass hieran das zielgerichtete Vorgehen und die bewusste Auswahl leicht verkäuflichen Diebesguts sowie - insbesondere mit Blick auf die Ladendiebstähle (Fälle II. 2. und 4.) - die lange Ausführungsdauer und das vorsichtige Umschauen nach Beobachtern keinen Zweifel ließen (UA S. 11).

II.

8
1. Der Schuldspruch kann insgesamt nicht bestehen bleiben, was die Aufhebung des Strafausspruchs bedingt. Die Urteilsausführungen zur Frage der Schuldfähigkeit der Angeklagten begegnen in mehrfacher Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
9
a) Die in den Urteilsgründen dargestellte Beweiswürdigung, aufgrund derer das Landgericht die Voraussetzungen des § 21 StGB in den Fällen II. 1., 3., 5., 8. und 9. bejaht, in den Fällen II. 2., 4., 6. und 7. verneint hat, ist trotz eingeschränkter revisionsrechtlicher Nachprüfbarkeit lückenhaft.
10
aa) Das Tatgericht hat die Schuldfähigkeit des Angeklagten ohne Bindung an die Äußerungen des Sachverständigen in eigener Verantwortung zu beurteilen. Schließt es sich dem Sachverständigen an, muss es die wesentlichen Anknüpfungspunkte sowie dessen Schlussfolgerungen im Urteil so wiedergeben , wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2016 - 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135 mwN). Der Umfang dieser tatrichterlichen Darlegungspflicht bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juli 2015 - 4 StR 293/15, NStZ-RR 2015, 315, 316 mwN).
11
Das Urteil beschränkt sich darauf, die Diagnose des Sachverständigen wiederzugeben. Welche Anknüpfungs- und Befundtatsachen der Sachverständige seiner Bewertung zugrunde gelegt hat, teilt es hingegen nicht mit. Daher bleibt unklar, auf welcher tatsächlichen Grundlage der Sachverständige von einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.3) ausgegangen ist. Inwieweit diese Diagnose den für die Tatbegehung relevanten geistigseelischen Zustand der Angeklagten zutreffend beschreibt, ist namentlich des- halb zweifelhaft, weil eine Auseinandersetzung mit differenzialdiagnostisch beachtenswerten anderen psychischen Störungsbildern unterbleibt:
12
Nach den vom Landgericht zu den persönlichen Verhältnissen getroffenen Feststellungen war bei der Angeklagten nicht nur eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ (ICD-10 F60.30) im Jahr 2006 diagnostiziert worden, sondern - neben einer drogenbedingten Psychose Mitte der 1990er Jahre (s. UA S. 3) - vor allem auch eine schizoaffektive Störung (ICD-10 F25) im Jahr 2016. Dieser Befund wurde anlässlich einer zirka sechswöchigen geschlossenen psychiatrischen Unterbringung der Angeklagten im März und April 2016 erhoben. Auch danach wurde sie noch zweimal, zum einen im Dezember 2016 und Januar 2017, zum anderen im Oktober und November 2017, jeweils für etwa sechs Wochen geschlossen psychiatrisch untergebracht. Die Unterbringungen wurden gerichtlich genehmigt, nachdem die Angeklagte zunächst in ihrer Unterkunft "gezündelt", sodann in einer anderen Unterkunft Fenster zerschlagen und einen Wasserschaden herbeigeführt und zuletzt Stromkästen manipuliert und ihre Kopfhaut wund gekratzt hatte (UA S. 5 f.).
13
Zu alledem verhält sich die Beweiswürdigung zur Schuldfähigkeit nicht. Infolgedessen lässt sich nicht nachprüfen, inwieweit die Art der psychischen Störung, damit auch deren Schweregrad und Einfluss auf die Schuldfähigkeit zutreffend beurteilt worden sind.
14
bb) Hinzu kommt, dass nach den Urteilsausführungen der Einfluss des Konsums von Alkohol und/oder Drogen auf die Tatbegehung vage bleibt. Hierzu teilt das Urteil lediglich im Rahmen der Begründung der Ablehnung der Maßregel nach § 64 StGB mit, bei den Taten hätten "berauschende Mittel... eine Rolle" gespielt, wenngleich sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ein symptomatischer Zusammenhang nicht feststellen lasse (UA S. 15). Feststel- lungen zum gewöhnlichen Alkohol- und Drogenkonsum der Angeklagten hat die Strafkammer nur für weit zurückliegende Zeiträume bis Mitte der 2000er Jahre getroffen (s. UA S. 3).
15
b) Das Landgericht hat es außerdem unterlassen, die vom Sachverständigen diagnostizierte psychische Störung einem der Eingangsmerkmale des § 20 StGB zuzuordnen. Für die Frage der Schuldfähigkeit darf dies indes regelmäßig nicht offen bleiben (vgl. BGH, Beschluss vom 12. November 2004 - 2 StR 367/04, BGHSt 49, 347, 351; Urteil vom 30. März 2017 - 4 StR 463/16, NStZ-RR 2017, 165, 167 mwN).
16
Die emotional instabile Persönlichkeitsstörung ist dabei am Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit, nicht an demjenigen der krankhaften seelischen Störung zu messen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2017 - 5 StR 364/17, juris Rn. 9 mwN). In den Urteilsgründen ist der geistigseelische Zustand der Angeklagten hingegen wiederholt als "psychische Erkrankung" gewertet (UA S. 14; s. auch UA S. 11 ["krankheitsbedingt"]). Unter den gegebenen Umständen lässt dies besorgen, dass es der Sachverständige nicht vermocht hat, der Strafkammer eine genügende Vorstellung von der von ihm gestellten psychiatrischen Diagnose zu vermitteln.
17
c) Auf dem Rechtsfehler beruht die Verurteilung der Angeklagten (s. § 337 Abs. 1 StPO). Es kann nicht vollends ausgeschlossen werden, dass - wozu sich das Urteil nicht verhält - die Angeklagte bei einzelnen oder sämtlichen der verfahrensgegenständlichen Taten im Sinne des § 20 StGB ganz ohne Schuld handelte. Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sind indes rechtsfehlerfrei getroffen und können aufrechterhalten bleiben (vgl. § 353 Abs. 2 StPO).
18
2. Auch die Nichtanordnung der Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt hat keinen Bestand.
19
Das Landgericht hat für beide ablehnenden Entscheidungen an den - rechtsfehlerhaft festgestellten und bewerteten - geistig-seelischen Zustand der Angeklagten angeknüpft. Von der Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB hat es abgesehen, weil eine Gesamtwürdigung ihrer Person und ihrer Taten nicht ergeben habe, dass von ihr "aufgrund ihrer psychischen Erkrankung künftig entsprechend schwerwiegende Straftaten zu erwarten" seien (UA S. 14). Die Maßregel gemäß § 64 StGB hat es nicht angeordnet, weil die "festgestellten Taten... nicht auf einem Hang der Angeklagten zu Alkohol und Drogen, sondern auf ihrer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung" beruhten, aufgrund derer auch eine Therapie keinen Erfolg verspreche (UA S. 15). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine abweichende Beurteilung des psychischen Störungsbilds dazu geführt hätte, die Gefährlichkeit der Angeklagten im Sinne des § 63 StGB oder den symptomatischen Zusammenhang zwischen einem bei ihr bestehenden Hang nach § 64 Satz 1 StGB und den verfahrensgegenständlichen Taten sowie die hinreichende Behandlungsaussicht gemäß § 64 Satz 2 StGB zu bejahen.

III.

20
1. Im Umfang der Aufhebung bedarf die Sache erneuter Verhandlung und Entscheidung, wobei es sich empfehlen könnte, einen anderen Sachverständigen hinzuzuziehen (s. § 246a Abs. 1, 3 StPO). Dass nur die Angeklagte Revision eingelegt hat, steht ihrer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt nicht entgegen (vgl. § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO). Sie hat das Unterbleiben einer Unterbringungsanordnung nicht von ihrem Rechtsmittelangriff ausgenommen, vielmehr geltend gemacht, die Maßregeln nach §§ 63, 64 StGB hätten in den Urteilsgründen "der eingehenden Erörterung bedurft". Es kann daher dahinstehen, ob eine derartige Beschränkung des Rechtsmittels im Hinblick auf die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus überhaupt wirksam möglich gewesen wäre (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. September 2002 - 2 StR 335/02, NStZ-RR 2003, 18; vom 22. Dezember 2011 - 3 StR 427/11, NStZ-RR 2012, 139, 140).
21
2. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf das Folgende hin:
22
a) Sollte die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer die Angeklagte im Fall II. 1. wiederum des Führens zweier verbotener Gegenstände (Schlagring und Faustmesser) nach § 52 Abs. 3 Nr. 1 WaffG i.V.m. Anlage 2 Abschnitt 1 Nr. 1.3.2. und 1.4.2. zum WaffG schuldig sprechen, wird sie zu beachten haben, dass eine Verurteilung wegen tateinheitlichen Besitzes dieser Gegenstände nur in Betracht kommt, wenn - anders als in den Gründen des angefochtenen Urteils festgestellt - die Angeklagte die tatsächliche Gewalt über diese Gegenstände auch innerhalb der eigenen Wohnung, Geschäftsräume oder des eigenen befriedeten Besitztums ausübte (vgl. BGH, Beschluss vom 22. August 2013 - 1 StR 378/13, NStZ-RR 2013, 387, 388; MüKoStGB/Heinrich, 3. Aufl., § 52 WaffG Rn. 158 mwN).
23
b) Sollte sich das neue Tatgericht wiederum im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose im Sinne des § 63 StGB mit dem Gewicht von seitens der Angeklagten zu befürchtenden Aggressionsdelikten befassen, wird es sich - anders als in den Gründen des angefochtenen Urteils dargelegt - nicht auf die Erwägung beschränken können, in der Vergangenheit seien "ihre Ausbrüche in einigen Fällen verbal" geblieben und hätten "sich im Übrigen gegen Sachen" ge- richtet oder "lediglich zu einfachen Körperverletzungen" geführt, die "fast restlos" verheilt seien (UA S. 14). Vielmehr wird sich das Tatgericht auch damit auseinanderzusetzen haben, inwieweit die Gefahr besteht, dass künftige Körperverletzungsdelikte schwerwiegendere Folgen zeitigen; die Prognoseentscheidung muss sich darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten drohen und wie ausgeprägt das Maß dieser Gefährdung ist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 21. Februar 2017 - 3 StR 535/16, StV 2017, 575, 576 mwN). Anlass hierzu besteht insbesondere auch deshalb, weil das Einstechen mit dem Kunststoffstiel eines Lutschers auf den Augenbereich einer fremden Person (Fall II. 8.) nicht per se in den Auswirkungen beherrschbar erscheint (zum Prüfungsmaßstab bei Gewalttaten s. BGH, Urteil vom 26. Juli 2018 - 3 StR 174/18, juris Rn. 11 f.).
VRiBGH Schäfer Gericke Spaniol ist wegen Urlaubs gehindert zu unterschreiben. Gericke Wimmer Berg

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Feb. 2019 - 3 StR 479/18

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Feb. 2019 - 3 StR 479/18

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Feb. 2019 - 3 StR 479/18 zitiert 11 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

Strafprozeßordnung - StPO | § 353 Aufhebung des Urteils und der Feststellungen


(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren

Strafprozeßordnung - StPO | § 358 Bindung des Tatgerichts; Verbot der Schlechterstellung


(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen. (2) Das angefochtene Urte

Strafprozeßordnung - StPO | § 337 Revisionsgründe


(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe. (2) Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

Strafprozeßordnung - StPO | § 246a Vernehmung eines Sachverständigen vor Entscheidung über eine Unterbringung


(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Ange

Waffengesetz - WaffG 2002 | § 52 Strafvorschriften


(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer 1. entgegen § 2 Absatz 3 in Verbindung mit Anlage 2 Abschnitt 1 Nr. 1.1 oder 1.3.4 eine dort genannte Schusswaffe oder einen dort genannten Gegenstand erwirbt, besitzt, ü

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Feb. 2019 - 3 StR 479/18 zitiert oder wird zitiert von 11 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Feb. 2019 - 3 StR 479/18 zitiert 9 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Aug. 2013 - 1 StR 378/13

bei uns veröffentlicht am 22.08.2013

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 378/13 vom 22. August 2013 in der Strafsache gegen wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. August 2013 gemäß § 349 Ab

Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Nov. 2004 - 2 StR 367/04

bei uns veröffentlicht am 12.11.2004

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 367/04 vom 12. November 2004 in der Strafsache gegen Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja (vor 1 bis 4) Veröffentlichung: ja StGB §§ 20, 63; StPO § 244 Abs. 4 Satz 2 Zu den Anforderungen an ein psychiatrisches Sachverst

Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Dez. 2011 - 3 StR 427/11

bei uns veröffentlicht am 22.12.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 427/11 vom 22. Dezember 2011 in der Strafsache gegen wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung u.a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Gene

Bundesgerichtshof Urteil, 26. Juli 2018 - 3 StR 174/18

bei uns veröffentlicht am 26.07.2018

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 3 StR 174/18 vom 26. Juli 2018 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung u.a. ECLI:DE:BGH:2018:260718U3STR174.18.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26

Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Okt. 2017 - 5 StR 364/17

bei uns veröffentlicht am 12.10.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 5 StR 364/17 vom 12. Oktober 2017 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung u.a. ECLI:DE:BGH:2017:121017B5STR364.17.0 Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanw

Bundesgerichtshof Urteil, 30. März 2017 - 4 StR 463/16

bei uns veröffentlicht am 30.03.2017

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 4 StR 463/16 vom 30. März 2017 in der Strafsache gegen alias: wegen Verdachts des versuchten Mordes u.a. ECLI:DE:BGH:2017:300317U4STR463.16.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Si

Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Feb. 2017 - 3 StR 535/16

bei uns veröffentlicht am 21.02.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 535/16 vom 21. Februar 2017 in der Strafsache gegen wegen versuchten Erwerbs von Betäubungsmitteln u.a. ECLI:DE:BGH:2017:210217B3STR535.16.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschw

Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Jan. 2016 - 3 StR 521/15

bei uns veröffentlicht am 28.01.2016

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 521/15 vom 28. Januar 2016 in der Strafsache gegen wegen Körperverletzung u.a. ECLI:DE:BGH:2016:280116B3STR521.15.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Gen

Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Juli 2015 - 4 StR 293/15

bei uns veröffentlicht am 29.07.2015

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR293/15 vom 29. Juli 2015 in der Strafsache gegen wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführe
2 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Feb. 2019 - 3 StR 479/18.

Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Mai 2019 - 1 StR 651/18

bei uns veröffentlicht am 22.05.2019

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 651/18 vom 22. Mai 2019 in der Strafsache gegen wegen Mordes u.a. ECLI:DE:BGH:2019:220519B1STR651.18.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwa

Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Sept. 2019 - 3 StR 235/19

bei uns veröffentlicht am 05.09.2019

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 235/19 vom 5. September 2019 in der Strafsache gegen wegen nachträglicher Sicherungsverwahrung ECLI:DE:BGH:2019:050919B3STR235.19.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführe

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 521/15
vom
28. Januar 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:280116B3STR521.15.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 28. Januar 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 29. Juni 2015 - mit Ausnahme der Adhäsionsentscheidung - mit den Feststellungen aufgehoben ; jedoch bleiben die Feststellungen zu den äußeren Tatgeschehen aufrecht erhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten des Fahrens ohne Fahrerlaubnis in vier Fällen, des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in zwei Fällen, der Zuwiderhandlung gegen eine vollstreckbare Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz , der Körperverletzung in Tateinheit mit einer Zuwiderhandlung gegen eine vollstreckbare Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz sowie der Körperverletzung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte schuldig und ihn im Übrigen freigesprochen. Es hat wegen eines Teils der De- likte unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einer Vorverurteilung eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verhängt und wegen der übrigen Straftaten auf eine weitere Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten erkannt. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafen und der Unterbringung hat es zur Bewährung ausgesetzt. Schließlich hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet.
2
1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen leidet der Angeklagte an einer paranoid-psychotischen Störung bei affektiver Grunderkrankung mit umschriebener Wahnbildung. Die affektive Grunderkrankung verursacht überwiegend manische, teils auch depressive Phasen. In der Zeit vom 20. November 2010 bis zum 22. September 2013 beging er die abgeurteilten Übergriffe gegen Polizeibeamte, einen Bekannten und Familienangehörige. Die Strafkammer hat dem gehörten Sachverständigen folgend für den gesamten Tatzeitraum nicht auszuschließen vermocht, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund seiner Grunderkrankung erheblich eingeschränkt war; bei einem Teil der Taten hat sie eine solche Einschränkung positiv festgestellt. Bei zwei Vorfällen hat sie nicht ausschließen können, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgehoben und seine Einsichtsfähigkeit erheblich eingeschränkt war.
3
2. Der Schuldspruch kann insgesamt nicht bestehen bleiben; denn die Ausführungen des Landgerichts zur Schuldfähigkeit des Angeklagten sind rechtsfehlerhaft. Letzteres bedingt auch die Aufhebung des Strafausspruchs und der Unterbringungsanordnung.
4
a) Wenn sich das Tatgericht - wie hier - darauf beschränkt, sich der Beurteilung eines Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit anzuschließen, muss es dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2007 - 3 StR 412/07, NStZ-RR 2008, 39). Hieran fehlt es im vorliegenden Fall in mehrfacher Hinsicht:
5
Das Landgericht hat es bereits unterlassen, das vom Sachverständigen diagnostizierte Störungsbild einem der Eingangsmerkmale der §§ 20, 21 StGB zuzuordnen. Sodann fehlt die Darlegung, wie die paranoid-psychotische Störung auf den Angeklagten und seine Handlungsmöglichkeiten in den konkreten Tatsituationen eingewirkt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juli 2014 - 3 StR 274/14, juris Rn. 4). Die §§ 20, 21 StGB setzen voraus, dass die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit "bei Begehung der Tat" aufgehoben bzw. erheblich vermindert sind. Die Schuldfähigkeit ist deshalb in Bezug auf jede einzelne Tat zu prüfen. Erforderlich ist stets die konkretisierende Darstellung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Taten auf die Einsichts - oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145, 146). Hierauf kann allein unter Hinweis auf die allgemeine Diagnose nicht verzichtet werden (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 13. August 2013 - 2 StR 128/13, NStZ-RR 2013, 368, 369; vom 23. August 2012 - 1 StR 389/12, NStZ 2013, 98; vom 2. Oktober 2007, aaO), denn deren Feststellung ist insbesondere auch bei bipolaren Störungen, bei denen eine große Bandbreite von Ausprägungen und Schweregraden besteht, für die Frage der Schuldfähigkeit nicht ausreichend aussagekräftig. In manischen Phasen kann es, je nach Ausprägung und Schwere, zur Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit, aber auch der Ein- sichtsfähigkeit kommen. Vor diesem Hintergrund genügen die Ausführungen in den Urteilsgründen nicht, die sich in den Verurteilungsfällen insoweit im Wesentlichen in der Mitteilung im Rahmen der Beweiswürdigung erschöpfen, der Sachverständige habe bei vier Taten eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit positiv festgestellt und im Übrigen auf der Grundlage der festgestellten Grunderkrankung nicht ausschließen können, dass der Angeklagte im gesamten Tatzeitraum krankheitsbedingt in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt gewesen sei.
6
b) Da deshalb weder auszuschließen ist, dass der Angeklagte in den Verurteilungsfällen voll schuldfähig war, noch dass er im Zustand der Schuldunfähigkeit handelte, muss über den Schuldspruch und die strafrechtlichen Rechtsfolgen der Tat insgesamt neu verhandelt und entschieden werden. Der Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Aufhebung auch des freisprechenden Teils des Urteils nicht; denn nach § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO ist es möglich, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen (BGH, Beschlüsse vom 29. Juli 2015 - 4 StR 293/15, NStZ-RR 2015, 315, 316; vom 5. August 2014 - 3 StR 271/14, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Satz 2 Freispruch 1). Die jeweiligen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bei den einzelnen Taten beruhen auf einer mangelfreien Beweiswürdigung und sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben. Das neue Tatgericht kann insoweit ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen. Der Adhäsionsausspruch unterliegt ebenfalls nicht der Aufhebung (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 406a Rn. 8 mwN).
7
3. Im Übrigen ist das neue Tatgericht auf Folgendes hinzuweisen:
8
a) Soweit das Landgericht den Angeklagten wegen der Zuwiderhandlung gegen eine vollstreckbare Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz verurteilt hat, belegen die bisherigen Feststellungen in den Fällen II. 2. und II. 3. der Urteilsgründe bereits die Voraussetzungen des § 4 GewSchG nicht. Die Verurteilung nach § 4 Satz 1 GewSchG wegen Zuwiderhandlung gegen eine Anordnung nach § 1 GewSchG setzt u.a. voraus, dass das Strafgericht die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung überprüft und dabei deren tatbestandliche Voraussetzungen eigenständig feststellt; an die Entscheidung des Familiengerichts ist es insoweit nicht gebunden (BGH, Beschluss vom 28. November 2013 - 3 StR 40/13, BGHSt 59, 94). Tragfähige diesbezügliche Ausführungen enthalten die bisherigen Urteilsgründe - auch in ihrem Gesamtzusammenhang - nicht.
9
b) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht , dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat (en) zu entwickeln. Dabei sind an die Darlegungen umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt um einen Grenzfall handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2012 - 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338 mwN). Der Tatrichter muss die eine Unterbringung tragenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darstellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2013 - 3 StR 349/13, juris Rn. 5). Hieran gemessen erscheinen die bisherigen, eher knappen Urteilsausführungen nicht bedenkenfrei.
10
c) Sollte das neue Tatgericht für die einzelnen Taten ebenfalls Freiheitsstrafen von unter sechs Monaten verhängen, wird es § 47 StGB und die diesbezüglichen Darlegungsanforderungen zu beachten haben.
Becker Schäfer Gericke
Spaniol Tiemann

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR293/15
vom
29. Juli 2015
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 29. Juli 2015 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Detmold vom 23. März 2015 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben; die Feststellungen zu dem äußeren Tatgeschehen bleiben aufrecht erhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus mit der Maßgabe angeordnet, dass die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Gegen seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
1. Nach den Feststellungen zur Tat vom 29. Oktober 2014 (Fall II.2 der Urteilsgründe) ergriff der alkoholisierte Angeklagte nach vorangegangenem Streit mit dem Zeugen K. eine in seinem Zimmer im ersten Stock des Übergangswohnheims liegende Axt und schlug damit zweimal – außer sich vor Wut – in Richtung des Kopfes des Zeugen, dem es jedoch jeweils gelang, den Schlägen auszuweichen. Sodann entriss der Zeuge dem Angeklagten die Axt. Dieser schleuderte ein Glas nach dem Zeugen, das indes ebenfalls das Ziel verfehlte. Mit einem Brotmesser in der Hand lief der Angeklagte hinter ihm her. Da er erkannte, dass er den Zeugen auf dessen Flucht durch das Treppenhaus nicht erreichen konnte, ließ er das Küchenmesser fallen und warf einen Feuerlöscher nach dem auf einem Podest stehenden Zeugen. Dieser konnte erneut ausweichen. Anschließend gelangten beide ins Freie. Der Angeklagte beschimpfte den Zeugen; zu weiteren handgreiflichen Auseinandersetzungen kam es jedoch nicht mehr, da kurz darauf die Polizei eintraf.
3
Eine dem Angeklagten ca. dreieinhalb Stunden nach der Tat entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,1 ‰.
4
2. Nach den Feststellungen zu der Tat vom 30. Dezember 2014 (Fall II.3 der Urteilsgründe) setzte der Angeklagte die Matratze in seinem Haftraum mittels eines Feuerzeuges in Brand, wobei ihm klar war, dass das Feuer auf Gebäudeteile der Justizvollzugsanstalt übergreifen und es zu einem Vollbrand kommen konnte. Das nahm er in Kauf. Infolge der starken Rauchentwicklung in Panik geraten schlug er mit der Hand mehrfach gegen die Zellentür. Dabei ging es ihm allein darum, sein Leben zu retten. Ob das Feuer nach seiner Rettung weiterbrennen oder gelöscht werden würde, war ihm gleichgültig. Der Angeklagte wurde durch das Wachpersonal gerettet und der Brand sodann gelöscht.
5
Auf der anschließenden Fahrt in einem Rettungswagen zum Klinikum L. bedrohte er den ihn begleitenden Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalt mit dem Tode.
6
3. Das Landgericht hat die Tat vom 29. Oktober 2014 als versuchte gefährliche Körperverletzung in den Varianten des § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB gewertet und dem Angeklagten infolge seiner Alkoholisierung eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit gemäß § 21 StGB zuerkannt.
7
Vom Vorwurf der versuchten schweren Brandstiftung gemäß § 306a Abs. 1 Nr. 1, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB in Tatmehrheit mit Bedrohung gemäß § 241 StGB hat es ihn wegen Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB freigesprochen und seine Unterbringung gemäß § 63 StGB angeordnet. Aufgrund einer krankhaften seelischen Störung in Form der vom Sachverständigen festgestellten „als psychotisch zu bezeichnenden schizophrenen Störung“ sei davon auszu- gehen, dass die Handlungen des Angeklagten psychotisch motiviert gewesen seien.

II.


8
Das Urteil hält der materiell-rechtlichen Überprüfung weitgehend nicht stand.
9
1. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 2. Juli 2015 u.a. Folgendes ausgeführt: „Die Überprüfung des angefochtenen Urteils auf die Sachrüge hat durch- greifende Rechtsfehler ergeben.
I. Bereits die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe die Tat am 30. Dezember 2014 (Fall II. 3., UA S. 7 f.) im Zustand der Schuldunfähigkeit im Sinne des § 20 StGB begangen, hält mit Blick auf die Anordnung seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Die Anordnung dieser Maßregel kommt nur bei solchen Personen in Betracht, deren Schuldunfähigkeit oder erheblich verminderte Schuldfähigkeit durch einen positiv festgestellten, länger andauernden und nicht nur vorübergehenden Zustand im Sinne der §§ 20, 21 StGB hervorgerufen worden ist (st. Rspr., Senat, Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 48/86, BGHSt 34, 29 ff.).

a) Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist trotz eingeschränkter revisionsrechtlicher Nachprüfbarkeit (vgl. die Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 261 Rn. 3 und 38) hier lückenhaft. Der Tatrichter hat die Schuldfähigkeit des Angeklagten ohne Bindung an die Äußerungen des Sachverständigen in eigener Verantwortung zu beurteilen. Schließt sich der Tatrichter dem Sachverständigen an, muss er sich grundsätzlich mit dem Gutachteninhalt auseinandersetzen (BGH, Urteil vom 15. März 2006 – 2 StR 573/05 –, juris Rn. 11) und die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen des Sachverständigen auf eine für das Revisionsgericht nachprüfbare Weise (st. Rspr., vgl. etwa Senat, Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 48/86, BGHSt 34, 29 ff.) im Urteil mitteilen (st. Rspr., siehe etwa BGH, Beschluss vom 9. Mai 2007 – 5 StR 557/06 –, juris Rn. 8; BGH, Urteil vom 19. Februar 2008 – 5 StR 599/07 –, juris Rn. 11; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 20 Rn. 65 mwN). Der Umfang der tatrichterlichen Darlegungspflicht bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls.
Gemessen an diesen Maßstäben begegnet die Beweiswürdigung des Landgerichts durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Schwurgerichtskammer hat lediglich ausgeführt, dass bei dem Angeklagten nach den ‚überzeugenden Ausführungen des forensisch erfahrenen Sachverständigen […] eine als psychiotisch zu bezeichnende schizophrene Störung (vorliege) […]‘ (UA S. 11), ein ‚planvolles, rationales Handeln‘ nicht gegeben und ‚vielmehr davon auszugehen (sei), dass die Handlungen des Angeklagten psychiotisch motiviert waren‘ (UA S. 12).Anknüpfungstatsachen teilt das Landgericht in diesem Kontext nicht mit. Den – formelhaft gefassten – Urteilsgründen lassen sich weder hinreichend die gutachterliche Diagnose tragende Befunde, noch die Symptome des Störungsbildes oder deren Einwirkung auf den Angeklagten in der konkreten Tatsituation entnehmen. Auch versäumt es das Landgericht darzulegen, ob es von einer Unrechtseinsichtsunfähigkeit oder einer Steuerungsunfähigkeit des Angeklagten im Tatzeitpunkt ausgegangen und wie es zu seiner Überzeugungsbildung gelangt ist. Diese Erörterungen drängten sich allerdings umso mehr auf, als die allgemeine Diagnose einer schizophrenen Störung nicht ohne weiteres zur Schuldunfähigkeit des Täters führt (Senat, Beschluss vom 17. Juni 2014 – 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305; Fischer, aaO., Rn. 9a mwN) und sich das Verhalten des Angeklagten in dem Haftraum auf den ersten Blick nicht unbedingt als ‚psychiotisch motiviert‘ (UA S. 12) darstellt.
Der Senat ist durch den Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, den Freispruch aufzuheben. Denn durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl I S. 1327) wurde der frühere Rechtszustand dahin geändert, dass es gemäß § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO möglich ist, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen (BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2013 – 3 StR 349/13 –, juris Rn. 8).

b) Die beweiswürdigungsrechtlichen Lücken zur Frage der Schuldfähigkeit liegen auch bei den Feststellungen zur Tat vom 29. Oktober 2014 vor (Fall II. 2., UA S. 4 bis 7). Das Landgericht
hat hier keine Schuldunfähigkeit des Angeklagten nach § 20 StGB angenommen, sondern ist lediglich von einer verminderten Schuldfähigkeit infolge der Alkoholisierung des Angeklagten im Tatzeitpunkt ausgegangen (UA S. 12). Vor dem Hintergrund der vom Landgericht festgestellten schizophrenen Störung als Grunderkrankung des Angeklagten durfte es sich jedoch nicht darauf beschränken, auszuführen, dass ‚keine Anhaltspunkte (anhand des festgestellten Tatgeschehens)‘ dafür bestanden, der Angeklagte habe sich während der Tatausführung in einer ‚akuten Phase‘ befunden oder habe einen ‚schizophrenen Schub‘ gehabt, da das Handeln des Angeklagten ‚überwiegendplanvoll und an den realen Gegebenheiten orientiert‘ gewesen sei (UA S. 11). Denn überwiegend planvolles Handeln, das an den realen Gegebenheiten orientiert ist, schließt einen akuten Schub der Schizophrenie ohne nähere Begründung nicht aus. Unter Berücksichtigung , dass die Fälle II. 2. und 3. der Urteilsgründe nicht losgelöst voneinander betrachtet werden können, wird damit auch im Fall II. 2. eine mögliche Schuldunfähigkeit des Angeklagten nach § 20 StGB in den Blick zu nehmen sein.
2. Daneben vermögen die Feststellungen die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus auch deshalb nicht zu tragen, weil ihnen eine die Unterbringung rechtferti- gende Störung im Sinne eines länger andauernden ‚Zustandes‘ (§ 63 StGB) nicht entnommen werden kann.
Das Landgericht hat, dem Sachverständigen folgend, ausgeführt, dass bei dem Angeklagten eine infolge seiner schizophrenen Er- krankung und seiner ‚Persönlichkeitsabwandlung zumindest er- heblich eingeschränkte und womöglich sogar vollständig aufgehobene Fähigkeit zu einer der Realität angepassten Impulskon- trolle und zur Entwicklung von Alternativverhalten‘ – dauerhaft – vorliegen würde (UA S. 14). Diese bloße Wiedergabe der Diagnose des Sachverständigen reicht jedoch für die Begründung der Voraussetzungen eines länger andauernden ‚Zustandes‘ (§ 63 StGB) nicht aus (BGH, Beschluss vom 24. April 2012 – 5 StR 150/12, NStZ-RR 2012, 239), zumal die Schwurgerichts- kammer hier nicht lediglich auf die allgemeine Disposition des Angeklagten zur erheblichen Verminderung der Impulskontrolle ohne weitergehende Berücksichtigung der außergewöhnlichen Belastungssituation im Haftraum rekurrieren durfte (vgl. dazu
auch Senat, Beschluss vom 2. Dezember 2004 – 4 StR 452/04 mwN., BGHR StGB § 63 Zustand 39; Senat, Beschluss vom 10. Januar 2008 – 4 StR 626/07, NStZ-RR 2008, 140).
Darüber hinaus hat das Landgericht nicht dargelegt, welche weiteren Taten seitens des Angeklagten, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben, infolge seines Zustandes zu erwarten sind (Gefahrenprognose). …
III. Die – rechtsfehlerfrei – getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatablauf können aufrechterhalten bleiben.“
10
Dem tritt der Senat bei.
11
2. Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:
12
Die Ausführungen im angefochtenen Urteil zur Alkoholisierung des Angeklagten bei der Tat vom 29. Oktober 2014 (UA 11) sind unklar; die aus der Blutprobe mittels Rückrechnung zu ermittelnde Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit ist höher als vom Landgericht angenommen.
13
Unklar bleibt auch, ob das Landgericht bei der Bewertung der Tat vom 30. Dezember 2014 von erwiesener Schuldunfähigkeit ausgegangen ist oder ob es dies lediglich nicht ausschließen konnte (vgl. UA 12 und 14).
14
Bedenken begegnet auch die bisherige Behandlung der Rücktrittsfrage in beiden Fällen:
15
Bei der Tat vom 29. Oktober 2014 handelt es sich entgegen der Auffassung des Landgerichts (UA 10) nicht um einen beendeten Versuch. Zur Beurteilung der Frage, ob ein fehlgeschlagener Versuch vorliegt, wird der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter Feststellungen zu den Vorstellungen des Angeklagten im Rücktrittshorizont zu treffen haben (vgl. BGH, Beschluss vom 9. April 2015 – 2 StR 402/14, StraFo 2015, 291; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 24 Rn. 7, 15 ff. mwN). Hinsichtlich der Tat vom 30. Dezember 2014 hat das Landgericht nicht mitgeteilt, worauf seine Feststellung beruht, es sei dem Angeklagten allein darum gegangen, sein Leben zu retten; ob das Feuer weiterbrennen oder gelöscht werden würde, sei ihm gleichgültig gewesen.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Bender

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 367/04
vom
12. November 2004
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja (vor 1 bis 4)
Veröffentlichung: ja
Zu den Anforderungen an ein psychiatrisches Sachverständigengutachten über
die Schuldfähigkeit des Angeklagten und die Voraussetzungen seiner Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus sowie zu den Prüfungsanforderungen
an das Gericht bei Vorliegen eines methodenkritischen Gegengutachtens.
BGH, Beschluß vom 12. November 2004 - 2 StR 367/04 - Landgericht -
Schwurgerichtskammer - Koblenz
wegen Mordes
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 12. November 2004 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 1. Dezember 2003 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts als Schwurgericht zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Mordes freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die allein vom Angeklagten eingelegte Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. 1. Das Landgericht hat festgestellt, daß der zur Tatzeit 21-jährige, bislang unauffällige Angeklagte im Januar 2002 seine Cousine, mit der zusammen er eine Wohnung im Haus seiner Großmutter bewohnte, ohne feststellbaren Grund durch Ersticken tötete. An einem unbekannten Ort außerhalb der Wohnung zerlegte er in der Folge die Leiche in aufwendiger Weise, wobei er namentlich auch die Haut abzog, die Brüste und das Geschlechtsteil gesondert abtrennte, die lange Rückenstrecker-Muskulatur vom Torso entfernte, einzelne
Knochen auslöste und innere Organe entnahm. Erhebliche Teile der Leiche erhitzte er im Backofen seiner Wohnung. Er verpackte die Leichenteile in Plastiktüten, die er zunächst in der Wohnung versteckte. Den Kopf und die Beckenknochen verbrachte er in einen Steinbruch, wo er den Kopf zusätzlich mit einem Beil zertrümmerte und vergrub. An den später in der Wohnung und in dem Steinbruch von der Polizei aufgefundenen Leichenteilen fanden sich eine Vielzahl von Reiskörnern. Wesentliche Teile der Leiche wurden nie aufgefunden. Daß der Angeklagte diese Teile verzehrt hat, konnte nicht mit Sicherheit festgestellt werden. 2. Das Landgericht hat, da es die Voraussetzungen eines Mordmerkmals im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB als nicht bewiesen angesehen hat, dieses Geschehen als tatbestandsmäßiges und rechtswidriges Verbrechen des Totschlags angesehen. Zur Schuldfähigkeit des Angeklagten hat es festgestellt, zur Tatzeit sei die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sicher erheblich vermindert , möglicherweise aufgehoben gewesen. Die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten sei möglicherweise voll erhalten, möglicherweise gänzlich aufgehoben gewesen. Im Zweifel sei daher von der Schuldunfähigkeit des Angeklagten auszugehen. Das Landgericht hat den Angeklagten daher freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Das Landgericht hat sich bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit "den gut verständlichen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen (Dr. B.) angeschlossen" und sie sich zu eigen gemacht (UA S. 37). Diese hat es im wesentlichen wie folgt wiedergegeben: "Insgesamt wirke der Angeklagte in seinem Gesamtverhalten hoch auffällig (…) Der Zustand des Angeklagten gehe über eine bloße Persönlichkeitsstörung deutlich hinaus. Für das Vorliegen einer Persönlich-
keitsstörung sprächen zwar eine emotionale Verflachung, die Nivellierung von Gefühlen und das Einzelgängertum des Angeklagten. Für die Annahme einer Persönlichkeitsstörung müßten sich diese Symptome jedoch bis in die Jugend verfolgen lassen. Schulbildung, Lehre und Beruf des Angeklagten seien jedoch unauffällig (…). Auch eine klassische schizophrene Psychose und mithin eine Geisteskrankheit im engeren Sinne liege … nicht vor. Bei der Störung des Angeklagten handle es sich um eine solche, welche zwar in seiner Persönlichkeitsstörung verankert sei, jedoch schizophrenietypische Züge trage. Hierfür spreche auch der erhebliche Konsum von Betäubungsmitteln (…). Ein Suchtmittelmißbrauch sei für das vorliegende Krankheitsbild symptomatisch. Es sei auch nicht auszuschließen, daß der Gebrauch von Haschisch die Entwicklung und Verschlimmerung des Krankheitsbildes befördert habe. Aufgrund der festgestellten Erkrankung des Angeklagten sei seine Steuerungsfähigkeit zumindest erheblich vermindert, möglicherweise auch ausgeschlossen. Hinsichtlich der Einsichtsfähigkeit sei von deren vollen Erhalt bis hin zu deren völligen Verlust alles denkbar" (UA S. 36, 37) … Die festgestellte schizotype Persönlichkeitsstörung sei entweder unter das Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung oder unter das der anderen seelischen Abartigkeit zu fassen (UA S. 38). Auch im Hinblick auf die Gefährlichkeitsprognose im Sinne von § 63 StGB ist das Landgericht "den gut verständlichen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. B. (gefolgt)", die das Urteil wie folgt wiedergibt : "Bei der festgestellten schizophrenen Psychose handle es sich um eine überdauerte Störung der Geistestätigkeit. Die Krankheit des Angeklag-
ten sei chronisch. Das Rückfallrisiko des Angeklagten sei extrem hoch. Krankheitstypisch sei die Begehung von Straftaten, welche sich durch ein Übermaß an Gewalt auszeichneten und auch zum Tode des Opfers führen könnten. Hierbei sei von einer Tatbegehung vornehmlich im Verwandten - und näheren Bekanntenkreis auszugehen. Insgesamt sei damit zu rechnen, daß der Angeklagte aufgrund seiner Erkrankung weitere, der vorliegenden Tat vergleichbare Handlungen vornehmen werde" (UA S. 39). 3. In der Hauptverhandlung stellte die Verteidigerin, nachdem der Sachverständige Dr. B. sein Gutachten erstattet hatte, den Beweisantrag, ein (weiteres ) medizinisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten unter anderem zum Beweis der Tatsachen einzuholen, daß der Angeklagte nicht, wie vom Sachverständigen Dr. B. angenommen, an einer Schizophrenia simplex oder einer schizotypen Persönlichkeitsstörung leide, vielmehr seelisch und geistig gesund sei. Sie stützte diesen Antrag auf ein von ihr vorgelegtes methodenkritisches Gutachten des Sachverständigen Dr. W., der sich mit dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. B. kritisch auseinandersetzte und sowohl formale Mängel rügte als auch "in inhaltlicher Hinsicht erhebliche Zweifel (formulierte ), ob die im Gutachten dargelegten Anknüpfungspunkte die von Dr. B. vorgenommenen diagnostischen Zuordnungen tragen." Es seien kaum objektivierbare psychopathologische Anknüpfungspunkte dargelegt; eine Ableitung der Diagnose aus diagnostisch relevanten biographischen Besonderheiten fehle weitgehend ebenso wie eine Auseinandersetzung mit dem unauffälligen Verlaufsbericht über die vorläufige Unterbringung nach § 126 a StPO. In dem dem Landgericht vorgelegten schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. W. waren diese inhaltlichen Zweifel im einzelnen ausgeführt. Es enthielt unter anderem auch folgende Hinweise:
"Psychodiagnostische Überlegungen dazu, wie sich die von Dr. B. angenommene - Störung in der vorgeworfenen Tatsituation konkret ausgewirkt haben soll, enthält das Gutachten nicht (…), was insoweit den gutachtlichen Ausführungen einen eigentümlich spekulativ-beliebigen Charakter verleiht". (…) "(Es besteht) eine nicht unerhebliche Gefahr eines logischen Zirkelschlusses: Ausgehend von den bizarr-erschreckenden Umständen des Leichenfundes, die die Mutmaßung nahe legen, daß es sich hier um einen schwer psychisch gestörten Täter gehandelt haben dürfte, könnte man versucht sein, den Tatverdächtigen zu 'psychopathologisieren' , um ihn für die ihm unterstellte Tat 'passend' zu machen - gewissermaßen nach dem Motto: Wer so etwas tut, der muß verrückt sein. Diese Gefahr sehe ich im vorliegenden Fall um so mehr, als die von Dr. B. vorgenommenen diagnostischen Zuordnungen mir ausgesprochen schwach begründet erscheinen (…)." Das Landgericht hat den Beweisantrag mit der Begründung abgelehnt, das Gegenteil der behaupteten Tatsache sei bereits erwiesen. Die Sachkunde des Sachverständigen sei nicht zweifelhaft. Die gerügten Mängel beträfen lediglich das vorläufige schriftliche Gutachten; der Sachverständige habe sein Ergebnis jedoch mündlich vorgetragen. Er habe seinem Gutachten im Gegensatz zu dem Sachverständigen Dr. W. den Akteninhalt und das Ergebnis der Beweisaufnahme zugrunde gelegt. 4. Mit der Ablehnung hat das Landgericht gegen § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO verstoßen, denn die Sachkunde des früheren Gutachters war nach Lage der Dinge zweifelhaft, sein Gutachten nicht ohne Widersprüche.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann für die Anwendung der §§ 20, 21 StGB regelmäßig nicht offen bleiben, welche der
Eingangsvoraussetzungen des § 20 StGB vorliegt. Das gilt gleichermaßen für die Anordnung des § 63 StGB (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 232; BGH StraFo 2003, 282; Beschl. vom 21. September 2004 - 3 StR 333/04), denn dieser setzt einen länger dauernden psychischen Defektzustand des Betroffenen voraus, auf welchem dessen Gefährlichkeit beruht (vgl. etwa BGHSt 34, 24, 28; 42, 385, 388; BGH NStZ 1991, 528; BGH NStZ-RR 1997, 166; 2000, 298; Hanack in LK StGB 11. Aufl. § 63 Rdn. 66; Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. § 63 Rdn. 6 f., 12, jeweils m.w.N.). Selbst wenn im Einzelfall die Grenzen zwischen diagnostischen Zuordnungen nach einem der gängigen Klassifikationssysteme fließend und die Einordnung unter eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB schwierig sein mögen, weil z. B. mehrere Merkmale gleichzeitig vorliegen oder keines in "reiner" Form gegeben ist, ist das Tatgericht gehalten, zum einen konkrete Feststellungen zu den handlungsleitenden Auswirkungen der Störung zum Zeitpunkt der Tat (vgl. § 20 StGB) zu treffen und zum anderen auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung von Persönlichkeit, Lebensgeschichte , Lebensumständen und Verhalten des Angeklagten und der Anlaßtat in nachprüfbarer Weise darzulegen, worin der "Zustand" des Beschuldigten besteht und welche seiner Auswirkungen die Anordnung der gravierenden, unter Umständen lebenslangen Maßregel nach § 63 StGB gebieten. Die bloße Angabe einer Diagnose im Sinne eines der Klassifikationssysteme ICD-10 oder DSM-IV ersetzt weder die Feststellung eines der Merkmale des § 20 StGB noch belegt sie für sich schon das Vorliegen eines Zustands im Sinne des § 63 StGB (vgl. BGH, Beschl. vom 21. September 2004 - 3 StR 333/04 m.w.N.).
b) Das Gericht, das sich zur Prüfung der genannten Voraussetzungen der Hilfe eines Sachverständigen zu bedienen hat (§ 246 a StPO), muß dessen Tätigkeit überwachen und leiten. Dazu gehört insbesondere auch die Prüfung, ob Grundlagen, Methodik und Inhalt des Gutachtens den anerkannten fachwis-
senschaftlichen Anforderungen genügen (zur Sachleitungs- und Prüfungspflicht des Gerichts vgl. Jähnke in LK 11. Aufl., § 20 Rdn. 89, 92 f.; Tröndle/Fischer aaO § 20 Rdn. 63, 64 a ff. mit Nachweisen zur Rechtsprechung). Vorliegend hatte die Verteidigung mit dem Antrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zutreffend auf erhebliche Mängel jedenfalls des vorbereitenden schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. B. hingewiesen. Daß der Sachverständige diese im Beweisantrag und im Gutachten des Sachverständigen Dr. W. konkret angesprochenen Mängel in seinem mündlichen Gutachten behoben oder die Einwände ausgeräumt hat, hat das Landgericht in dem den Antrag zurückweisenden Beschluß nicht dargelegt. Die Urteilsgründe belegen eher das Gegenteil. Das Gutachten entsprach in formaler und inhaltlicher Hinsicht nicht den Anforderungen, die in der Rechtsprechung und forensisch-psychiatrischen wissenschaftlichen Literatur an entsprechende Gutachten gestellt werden (vgl. dazu im einzelnen etwa Foerster/Venzlaff, in: Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Aufl. 2004, S. 31 ff.; Foerster/Leonhardt, ebd. S. 43, 47 f.; Nedopil, Forensische Psychiatrie, 2. Aufl. 1996, S. 274, 282 ff.; Rasch, Forensische Psychiatrie, 2. Aufl. 1999, S. 313 ff.; Heinz, Fehlerquellen forensischpsychiatrischer Gutachten, 1992; Venzlaff, Fehler und Irrtümer in psychiatrischen Gutachten, NStZ 1983, 199; Maisch, Fehlerquellen psychologischpsychiatrischer Begutachtung im Strafprozeß, StV 1985, 517; jeweils m.w.N.). aa) In formaler Hinsicht war auffällig, daß das schriftliche Gutachten weder eine Sexualanamnese noch eine detaillierte Beziehungsanamnese enthielt. Auch die bewertenden Darlegungen zur Biographie und zur psychiatrischen Entwicklung (Gutachten S. 36 ff.) erscheinen teilweise auf formale Aspekte beschränkt.
bb) Soweit der Sachverständige hier zu Bewertungen gelangte, sind diese teilweise auch im Zusammenhang nur schwer verständlich, etwa wenn von "einer gewissen magisch-mystischen Sicht- und Denkweise", von "umfassender Exzentrizität", "großen soziointegrativen Fähigkeiten" u.s.w. die Rede ist (ebd. S. 44 f.), ohne daß diese zusammenfassenden, stark subjektiv wertenden Beschreibungen hinlänglich konkretisiert werden. Die Zusammenfassung, wonach "man hier allenfalls an eine sogenannte vor sich hindümpelnde psychische Erkrankung denken (würde), die mit einer gewissen sozialen 'Unmöglichkeit', bizarr manirierten Verhaltensmustern und einer gewissen affektiven (…?) inadäquat vergesellschaftet als sogenannte schizophrenia simplex … in Erscheinung treten könnte" (ebd. S. 47), macht die Diagnose nach ICD-10, F 20.6, auf welche hingewiesen wird, kaum nachvollziehbar. cc) Hinzu kommt, daß das Gutachten im Zusammenhang mit der Wiedergabe der Explorationsgespräche eine Vielzahl abwertender Beschreibungen und Bewertungen der Person und des Verhaltens des Angeklagten enthält, die durch die Notwendigkeit diagnostisch-wertender Beschreibung nicht stets geboten erscheinen. Beispielhaft hierfür sind etwa die Beschreibungen, es hätten sich "immer wieder süffisante Grinseinlagen (gefunden)"; der Angeklagte habe "pathologische Witzelsüchtigkeit mit sarkastischer Unterlegung" (S. 29) und "ein von Theoretisierereien und persönlichen Interpretationen geprägtes Schildern der Tat" (S. 30) gezeigt; er habe sich "in läppisch distanzloser Art auf den Schreibtisch positioniert, eine Zigarette rauchend, den Rauch aus den Mundwinkeln ausblasend (…), sichtlich die Macht genießend, eine gewisse Hilflosigkeit bei Unterzeichner auszulösen …" (S. 28); er habe sich "in seiner Informationspolitik wenig durchsichtig" und "sich in der Verweigerung suhlend" gezeigt (S. 29).
In ihrer Häufung konnten diese Beschreibungen, welche die Grenze zwischen der Darstellung von Befundtatsachen und allgemein persönlichen Abwertungen teilweise überschritten, nicht nur die Objektivität des Gutachters in Frage stellen (vgl. Nedopil aaO S. 282). Sie konnten damit auch die Besorgnis begründen , daß der Sachverständige den Erfordernissen einer differentialdiagnostischen Befunderhebung möglicherweise nicht die gebotene Aufmerksamkeit hatte zukommen lassen. Soweit von einem "Schildern der Tat" die Rede war, war dies schon mit dem Umstand nicht vereinbar, daß der Angeklagte die Tat stets - auch gegenüber dem Sachverständigen - bestritten hat. Das zur Frage der Schuldfähigkeit und zu den Voraussetzungen des § 63 StGB einzuholende Gutachten wird zwar, um die Diagnose rational nachvollziehbar und für das Gericht verständlich und überprüfbar zu machen, auf Verhaltensbeschreibungen, wertungsbehaftete Charakterisierungen und alltagssprachliche Umsetzungen klinischer Befunde nicht verzichten können. Dies ergibt sich auch aus den Merkmalsbeschreibungen der Klassifikationssysteme , so wenn etwa die Diagnose der "schizotypen Störung" (ICD-10, F 21) durch die Feststellung "eigentümlichen Verhaltens", "seltsamer Glaubensinhalte" , der Exzentrizität oder von gekünstelter Sprache getragen werden kann. Eine solche Darstellung ist aber kein Selbstzweck. dd) Inhaltliches Ziel des Gutachtens ist es, dem Gericht eine Beurteilung zu ermöglichen, ob zum Zeitpunkt der Tat eine der Eingangsvoraussetzungen des § 20 StGB vorgelegen hat und ob, ggf. wie diese sich auf die Unrechtseinsicht des Beschuldigten oder auf seine Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat. Für die Frage einer möglichen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist darüber hinaus zu klären, ob aufgrund der die Schuldfähigkeit bei der
Anlaßtat beeinträchtigenden psychischen Störung ein längerfristiger Zustand des Beschuldigten besteht, welcher dessen Gefährlichkeit im Sinne von § 63 StGB begründet und daher die Unterbringung gebietet. Hierfür können in der Regel die Diagnose der psychischen Störung sowie ihre Einordnung unter die Eingangsmerkmale des § 20 StGB nicht offen bleiben. Vorliegend hatte der Sachverständige in seinem vorbereitenden schriftlichen Gutachten offen gelassen, ob bei dem Angeklagten eine "schizotype Störung" (ICD-10, F 21) oder eine "schizophrenia simplex" (ICD-10, F 20.6) vorliege, die beide dem Merkmal "krankhafte seelische Störung" im Sinne von § 20 StGB zuzuordnen seien; eine Persönlichkeitsstörung im Sinne einer "schweren anderen seelischen Abartigkeit" (SASA) liege nicht vor (Gutachten S. 47 ff., 51). In seinem in der Hauptverhandlung erstatteten mündlichen Gutachten kam er dagegen zu der Ansicht, es sei "die festgestellte schizotype Persönlichkeitsstörung entweder unter das Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung oder unter das der anderen seelischen Abartigkeit zu fassen" (UA S. 38); eine schizophrene Psychose liege nicht vor (UA S. 37). Eine Persönlichkeitsstörung sei gleichfalls nicht gegeben (UA S. 36/37), vielmehr eine in der Persönlichkeit verankerte Störung mit schizophrenietypischen Zügen , für welche ein Suchtmittelmißbrauch symptomatisch sei (UA S. 37). Die letztgenannte Diagnose ist - gerade auch unter Heranziehung der Beschreibungen in den Klassifikationssystemen - schon aus sich heraus kaum nachvollziehbar. Sowohl im Ablehnungsbeschluß des Landgerichts als auch im Urteil fehlt jede Darlegung, aus welchen objektivierbaren Gründen der Sachverständige in der Hauptverhandlung von seinem vorbereitenden Gutachten abwich und ob diese Gründe mit ihm erörtert worden sind.
ee) Feststellung und Begründung der Diagnose einer Störung belegen nicht deren strafrechtliche Relevanz im Sinne von §§ 20, 21 StGB (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 - 1 StR 346/03 = NJW 2004, 1810, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen; BGH, Beschluß vom 21. September 2004 - 3 StR 333/04; vgl. auch Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl., § 20 Rdn. 44; Jähnke in LK 11. Aufl., § 20 Rdn. 34 f.; jew. m.w.N.). Entscheidend für die inhaltliche Brauchbarkeit des Gutachtens ist, ob es wissenschaftlich hinreichend begründete Aussagen über den Zusammenhang zwischen einer diagnostizierten psychischen Störung und der Tat enthält, welche Gegenstand des Verfahrens ist. Es ist also - unabhängig von der Einordnung unter ein Eingangsmerkmal des § 20 StGB - im einzelnen konkret darzulegen, ob und ggf. wie sich die Störung auf das Einsichts- oder Hemmungsvermögen des Beschuldigten tatsächlich ausgewirkt hat (vgl. Schreiber/Rosenau, in: Venzlaff/Foerster aaO, S. 51, 77 f.; Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 20 Rdn. 31). Nichts anderes gilt für die Beurteilung des "Zustands" im Sinne von § 63 StGB, denn es gibt weder eine abstrakte "Schuldunfähigkeit" ohne Bezug zu einem konkreten Delikt noch einen abstrakten "Zustand" ohne diesen Bezug , aus welchem sich symptomatisch die die Unterbringung erfordernde Gefährlichkeit des Beschuldigten ergibt. An einer Darlegung dieses Zusammenhangs fehlte es in dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. B. gänzlich; ein solcher Zusammenhang ergibt sich auch aus der Wiedergabe des mündlich erstatteten Gutachtens im angefochtenen Urteil nicht. Hier bleibt schon offen, in welchen forensisch relevanten Eigenschaften, Dispositionen oder Einschränkungen der Einsichts - oder Steuerungsfähigkeit die festgestellte "chronische Krankheit" (UA S. 39) des Angeklagten sich überhaupt ausdrückt. Als "symptomatisch" wird insoweit allein der Suchtmittelmißbrauch genannt; Feststellungen zu Ausmaß oder
Auswirkungen des Konsums von Haschisch oder anderen Rauschmitteln am Tattag fehlen jedoch. Auch im übrigen ergibt sich weder aus dem schriftlichen Gutachten noch den Darlegungen im Urteil, in welcher konkreten Weise sich die beim Angeklagten festgestellten psychischen Auffälligkeiten bei der Tat ausgewirkt haben könnten. Zutreffend hat der Sachverständige Dr. W. in seinem von der Verteidigung zur Begründung des Beweisantrags vorgelegten Gutachten darauf hingewiesen, das Gutachten des Sachverständigen Dr. B. zeige eine gewisse Zirkelschlüssigkeit und habe einen "eigentümlich spekulativ -beliebigen Charakter". ff) Eine kritische Beurteilung des Gutachtens und der Sachkunde des Gutachters lag jedenfalls unter Berücksichtigung der Begründung des Beweisantrags für den Tatrichter auch deshalb nahe, weil das Gutachten ausschließlich zu Diagnosen (entweder "schizophrenia simplex" oder "schizotype Störung" ) gelangte, von deren Verwendung im Klassifikationssystem ICD-10 ausdrücklich abgeraten wird. Überdies lagen wichtige Merkmale der festgestellten "schizotypen Störung", namentlich zeitlich überdauernde Auswirkungen auf Biographie, Verhalten oder Auffälligkeiten des Betroffenen, gerade nicht vor; das Gutachten befaßte sich damit nur vage und unklar. Darüber hinaus ließ das Gutachten eine hinreichende differenzialdiagnostische Erörterung vermissen ; die diagnostischen Schlußfolgerungen waren letztlich auf wenig mehr gestützt als die (unterstellte) Begehung der Tat selbst. gg) Auch die Schlußfolgerungen, die der Sachverständige aus diesen eher unklaren und unsicheren Feststellungen auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten vom Tatzeitpunkt gezogen hatte, hätten dem Gericht Anlaß zur kritischen Überprüfung geben müssen. In seinem schriftlichen Gutachten hatte der Sachverständige ausgeführt, der Angeklagte sei
zwar "grundsätzlich als psychisch gestört und geisteskrank zu betrachten". Die Auffälligkeiten hätten aber mangels akuter paranoider Symptomatik und akuter Derealisation "eben nicht einen vollumfänglichen Verlust seiner Einsichtsfähigkeit nach sich gezogen" (Gutachten S. 52). Es sei jedoch festzustellen, daß der Angeklagte in seiner Wahrnehmung und Interpretation von Sicht- und Denkweisen des alltäglichen Lebens und seiner Beziehung zu dem Tatopfer "beeinträchtigt gewesen sein muß". Das habe "eine gewisse Verzerrung der Realität" nach sich gezogen, was wiederum "zu einer Uminterpretation von realen Begebenheiten führte"; dadurch seien "die Sicht- und Denkweisen beeinträchtigt" worden. Daher sei die Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert gewesen (ebd.). In seinem mündlichen Gutachten führte der Sachverständige ausweislich des Urteils dann im ausdrücklichen Gegensatz hierzu aus, hinsichtlich der Einsichtsfähigkeit des Angeklagten sei "von dessen vollem Erhalt bis hin zu dessen völligem Verlust alles denkbar" (UA S. 37). Für diesen grundlegenden Wechsel in der Beurteilung findet sich keine Begründung; aus der Wiedergabe des Gutachtens kann auch nicht nachvollzogen werden, wie die von dem Sachverständigen für möglich gehaltenen Alternativen der Unrechtseinsicht mit dem psychodiagnostischen Krankheitsbild des Angeklagten in Einklang zu bringen sein könnten. Die hypothetische Feststellung, entweder die Einsichtoder die Steuerungsfähigkeit habe gefehlt, würde voraussetzen, daß der psychische Defekt des Betroffenen sich tatsächlich in einer solchen alternativen Weise konkret auswirken konnte. Zur Begründung dieser Feststellung bedürfte es jedenfalls eingehender Darlegungen zur Diagnose der Störung und zu ihrer konkreten Auswirkung auf die Tatbegehung. Hieran fehlte es hier offensichtlich; die vage Aussage des Sachverständigen zur Auswirkung der Störung beruhte vielmehr gerade auf der Unschärfe der diagnostischen Zuordnung.

c) Angesichts dieser erheblichen Mängel und Unklarheiten des vorbereitenden schriftlichen und des mündlich erstatteten Gutachtens durfte das Landgericht den Beweisantrag auf Einholung eines weiteren medizinischpsychiatrischen Sachverständigengutachtens nicht mit der Begründung ablehnen , das Gegenteil der behaupteten Tatsache sei bereits erwiesen, und die Sachkunde des Sachverständigen Dr. B. sei nicht zweifelhaft, ohne sich eingehend mit den erhobenen Beanstandungen auseinanderzusetzen. Die gravierenden Einwände, welche das Gutachten des Sachverständigen Dr. W. gegen Methodik und Ergebnisse des schriftlichen Gutachtens erhob, mußten Anlaß sein, die vom Sachverständigen mündlich vorgetragenen Ergebnisse sowie die Abweichungen und ggf. deren Begründung besonders kritisch zu prüfen. Dies hat das Landgericht nicht getan; vielmehr hat es die in vielfacher Hinsicht zweifelhaften Ausführungen des Sachverständigen allein dahingehend gewürdigt, sie seien "gut verständlich und nachvollziehbar" gewesen und die Kammer schließe sich ihnen an (UA S. 37, 40). Mit der im Ablehnungsbeschluß gegebenen Begründung hat sich das Landgericht daher seiner Aufgabe einer kritischen Überprüfung und Würdigung des Sachverständigengutachtens gerade entzogen, indem es die Mängel des vorbereitenden schriftlichen Gutachtens mit dem Hinweis auf das mündliche Gutachten beiseite schob. Dies wäre nur dann tragfähig, wenn das mündlich erstattete Gutachten seinerseits fehlerfrei gewesen und wenn die Abweichungen zum schriftlichen Gutachten nachvollziehbar erklärt wären. Hieran fehlte es; nach der Wiedergabe des Gutachtens in den Urteilsgründen setzten sich die von dem Sachverständigen Dr. W. angesprochenen Fehler vielmehr im mündlichen Gutachten fort und führten darüber hinaus zu neuen Widersprüchen (vgl. BGHSt 23, 176, 185; BGH NStZ 1990, 244; 1991, 448; Meyer-Goßner, StPO 47. Aufl., § 244 Rdn. 76 m.w.N.).

d) Danach war hier die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft; die Beweiserhebung war daher erforderlich. Eigene, unter Umständen durch das erste Gutachten vermittelte Sachkunde des Gerichts, welche die Ablehnung hätte tragen können, lag nicht vor. 5. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils insgesamt. Daß die Staatsanwaltschaft das Urteil nicht angefochten hat und daß § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO einer Bestrafung entgegenstünde, auch wenn der neue Tatrichter jedenfalls eine Aufhebung der Schuldfähigkeit ausschließen könnte, steht der Aufhebung nicht entgegen, denn wenn die Voraussetzungen für die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB nicht vorlägen, so dürfte sie selbstverständlich auch dann nicht erfolgen, wenn die Verhängung einer Strafe aus Rechtsgründen ausschiede. Im Hinblick auf die überaus enge Verflechtung der Feststellungen zum Tathergang, zur Motivation des Angeklagten und zu seinem Nachtatverhalten mit denjenigen zu den Voraussetzungen des § 63 StGB scheidet eine Aufrechterhaltung von Feststellungen hier aus, auch wenn das Urteil insoweit rechtsfehlerfrei ist. Insoweit merkt der Senat an, daß die Rüge einer Verletzung des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO aus den vom Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführten Gründen jedenfalls unbegründet ist. Der neue Tatrichter wird Gelegenheit zu umfassenden neuen Feststellungen haben. Es erscheint naheliegend, zur Frage der Schuldfähigkeit und der Maßregelanordnung (auch) einen anderen Sachverständigen mit der Gutach - tenerstattung zu beauftragen. Rissing-van Saan Detter Bode
Rothfuß Fischer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 463/16
vom
30. März 2017
in der Strafsache
gegen
alias:
wegen Verdachts des versuchten Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:300317U4STR463.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30. März 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Cierniak, Bender, Dr. Feilcke als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 9. Juni 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Mordes in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit besonders schwerer Brandstiftung und versuchter Brandstiftung mit Todesfolge freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
Mit der zugelassenen Anklage vom 12. April 2016 legt die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten zur Last, er habe am 27. November 2015 in seinem Zimmer im zweiten Obergeschoss einer Flüchtlingsunterkunft in der B. er Innenstadt auf unbekannte Weise vorsätzlich ein Feuer gelegt. Der Brand habe sich über die Möbel in seinem Zimmer ausgebreitet, dieses vollständig zerstört und dabei unter anderem die Dachvertäfelung, die hölzernen Fensterrahmen sowie die Türzargen und -blätter ergriffen. Wie vom Angeklagten vorhergesehen oder zumindest billigend in Kauf genommen, habe die starke Rauchentwicklung den Bewohnern der höheren Geschosse den Fluchtweg versperrt, deren Tod der Angeklagte somit in Kauf genommen habe. Zwei Hausbewohner hätten wegen des starken Rauchs auf das nasse Hausdach fliehen müssen und seien mittels einer Drehleiter gerettet worden.

II.


3
1. Nach den Feststellungen meldete sich der in G. geborene Angeklagte im Juli 2013 in Deutschland als Asylsuchender und bekam nach wenigen Monaten einen Platz in einer Flüchtlingsunterkunft in B. zugewiesen.
4
Der Angeklagte hatte ab dem 22. Lebensjahr gelegentlich – etwa alle ein bis zwei Monate, teilweise auch mit längeren Pausen – Marihuana konsumiert, ohne hiervon abhängig zu werden. Aufgrund dieses gelegentlichen Marihuanakonsums entwickelte sich bei ihm ab dem Sommer 2015 eine drogeninduzierte Psychose. Diese äußerte sich u.a. durch Größenideen, enthemmtes Verhalten und „fehlendes Risikobewusstsein im Umgang mit Feuer“. Am 19. Oktober 2015 wurde der Angeklagte nach Konflikten mit Mitbewohnern erstmals nach dem PsychKG NW in der Klinik in Be. stationär untergebracht. Der Angeklagte zeigte deutliche psychotische Symptome, wurde jedoch bereits am 20. Oktober 2015 mangels akuter Eigen- oder Fremdgefährdung wieder entlassen. Am 14. November 2015 wurde er abermals in die vorgenannte Klinik eingewiesen, nachdem er in der Küche seiner Unterkunft ein Feuer in einem Papierkorb entfacht hatte. Während der Unterbringung zeigte sich der Angeklagte erneut deutlich psychotisch mit Größenwahn und ent- hemmtem Verhalten, weshalb er zwangsweise medikamentös behandelt wurde. Am 24. November 2015 wurde er bei fehlender Behandlungseinsicht und ohne Hinweise auf eine fortbestehende akute Eigen- und Fremdgefährdung entlassen.
5
Am 27. November 2015 kam es in der Flüchtlingsunterkunft, in der zu dieser Zeit insgesamt 26 Bewohner untergebracht waren, zu einem Brand, dessen Ursache die Strafkammer nicht festzustellen vermocht hat. Brandzentrum war das im zweiten Obergeschoss gelegene Zimmer des Angeklagten, welches durch das Feuer vollständig zerstört wurde. Die starke Rauchentwicklung versperrte den Fluchtweg für die Bewohner der höheren Geschosse. Zwei Personen wurden durch die Feuerwehr vom Dach des Hauses gerettet, drei Personen mussten mit Rauchgasvergiftungen in ein Krankenhaus gebrachtwerden. Es entstand ein Sachschaden in Höhe von etwa 150.000 Euro. Der Angeklagte wurde noch während der Löscharbeiten von der Polizei vor dem Haupteingang des Supermarktes gegenüber der Unterkunft angetroffen und vorläufig festge- nommen. Er war „zur Tatzeit“ krankheitsbedingtnicht in der Lage einzusehen, dass die Verursachung eines Brandes gefährlich, geschweige denn verboten ist.
6
Nach dem Brand wurde der Angeklagte erneut nach dem PsychKG NW in der Klinik in Be. untergebracht, wo er sich wiederum psychotisch zeigte. Nachdem er am 10. Dezember 2015 in der forensischen Psychiatrie in L. einstweilig untergebracht worden war, verschwanden die psychotischen Symptome ohne medikamentösen Einfluss nach zehn bis 14 Tagen vollständig und traten nicht wieder auf.
7
2. Die Schwurgerichtskammer hat die Frage der Täterschaft des Ange- klagten offengelassen, da „der Angeklagte mangels Schuldfähigkeit zur Tatzeit im Ergebnis ohnehin aus rechtlichen Gründen freizusprechen“ sei.
8
Nach den Ausführungen des psychiatrischen und des psychologischen Sachverständigen, denen sich das Landgericht angeschlossen hat, habe der Angeklagte im Tatzeitraum – zurückgehend auf seinen gelegentlichen Konsum von Marihuana – an einer drogeninduzierten Psychose gelitten. Diese Erkrankung habe dazu geführt, dass der Angeklagte der normalen Realitätswahrnehmung entrückt gewesen sei. Er habe eigene Wahrnehmungen in wahnhafte Vorstellungen eingebaut, ohne die Möglichkeit zur Korrektur gehabt zu haben. Wenn er Feuer gelegt habe, sei er nicht in der Lage gewesen, die Konsequenzen seiner Handlungen einzuschätzen. Dass er immer wieder Feuer entzündet habe, auch wenn er dabei gesehen worden sei, zeige, dass er nicht in der Lage gewesen sei einzusehen, dass sein Verhalten gefährlich und verboten sei. Auch zum Zeitpunkt der Brandlegung in der Unterkunft sei die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten aufgehoben gewesen. Selbst wenn „ein Rest an Einsichtsfähigkeit und Unrechtseinsicht“ vorhanden gewesen wäre, habe es jedenfalls an der Fä- higkeit des Angeklagten gefehlt, nach dieser Einsicht zu handeln, da er „krankheitsbedingten raptusartigen Impulsen keine hemmenden Kontrollen habe ent- gegensetzen können“.

III.


9
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Der Freispruch des Angeklagten kann nicht bestehen bleiben, weil der vom Landgericht vorgenommenen Schuldfähigkeitsbeurteilung durchgreifende rechtliche Bedenken begegnen.
10
1. Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit eines Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfordert prinzipiell eine mehrstufige Prüfung (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 21. Dezember 2016 – 1 StR 399/16 Rn. 11; vom 1. Juli 2015 – 2 StR 137/15, NJW 2015, 3319, 3320; Beschluss vom 12. März 2013 – 4 StR 42/13, NStZ 2013, 519, 520; vgl. auch Boetticher/Nedopil/Bosinski/Saß, NStZ 2005, 57). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorliegt , die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Hierzu ist der Richter für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds wie bei der Prüfung einer aufgehobenen oder erheblich beeinträchtigten Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit um Rechtsfragen. Deren Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2016 – 1 StR 399/16 aaO; Beschlüsse vom 28. Januar 2016 – 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135; vom 17. Juni 2014 – 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306).
11
2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht.
12
a) Bereits die Annahme, der Angeklagte habe im Tatzeitraum an einer drogeninduzierten Psychose gelitten, wird durch das Landgericht im Rahmen seiner Ausführungen zur Beweiswürdigung nicht tragfähig begründet.
13
Schließt sich der Tatrichter – wie hier – den Ausführungen eines Sachverständigen an, müssen dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergegeben werden, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 19. Januar 2017 – 4 StR 595/16 Rn. 8; vom 28. Januar 2016 – 3 StR 521/15 aaO; vom 27. Januar 2016 – 2 StR 314/15, NStZ-RR 2016, 167 [Ls]; vom 17. Juni 2014 – 4 StR 171/14 aaO).
14
Die Strafkammer beschränkt sich darauf, die Diagnose der Sachverständigen wiederzugeben. Welche Anknüpfungs- und Befundtatsachen die Sachverständigen ihrer Bewertung zugrunde gelegt haben, wird dagegen nicht mitgeteilt. Es bleibt daher unklar, auf welcher tatsächlichen Grundlage die Sachverständigen von einer drogeninduzierten Psychose ausgegangen sind. Dies hätte nicht zuletzt mit Blick auf den festgestellten nur gelegentlichen Marihuanakonsum des Angeklagten einer näheren Erläuterung bedurft. Die erfolgten Unterbringungen des Angeklagten im psychiatrischen Krankenhaus und die hierbei gestellte Diagnose deuten zwar auf das Vorliegen einer psychischen Störung hin, vermögen aber eine konkrete Darlegung des Krankheitsbildes nicht zu ersetzen. Weder verhalten sich die Urteilsgründe zum Inhalt der Wahnvorstellungen des Angeklagten und zur konkreten Ausprägung des von ihm gezeigten enthemmten Verhaltens noch wird näher dargelegt, in welcher Weise sich das beim Angeklagten vorhandene Störungsbild auf dessen Umgang mit Feuer ausgewirkt hat. Soweit die Sachverständigen in Bezug auf die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten auf krankheitsbedingte raptusartige Impulse verwiesen haben, denen der Angeklagte keine hemmenden Kontrollen habe entgegensetzen können, fehlt hierfür jeglicher tatsachengestützter Beleg.
15
b) Das angefochtene Urteil lässt ferner eine Auseinandersetzung mit dem Schweregrad der angenommenen psychischen Störung vermissen und benennt nicht, welches Eingangsmerkmal im Sinne des § 20 StGB es als erfüllt ansieht. Letzteres darf nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedoch regelmäßig nicht offenbleiben (vgl. BGH, Urteil vom 29. September2015 – 1 StR 287/15, NJW 2016, 341; Beschlüsse vom 22. April 2008 – 4 StR 136/08, NStZ-RR 2009, 46; vom 12. November 2004 – 2 StR 367/04, BGHSt 49, 347, 351).
16
c) Schließlich hätte die Schwurgerichtskammer die Täterschaft des Angeklagten nicht offenlassen dürfen. Für die Frage eines Ausschlusses oder einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit kommt es maßgeblich darauf an, in welcher Weise sich die festgestellte und unter eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumierende psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation ausgewirkt hat. Die Beurteilung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten kann daher – von offenkundigen Ausnahmefällen abgesehen (vgl. BGH, Urteil vom 6. Mai 1997 – 1 StR 17/97, NStZ 1997, 485, 486) – nicht abstrakt, sondern nur in Bezug auf eine bestimmte Tat erfolgen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2015 – 1 StR 56/15, NJW 2016, 728, 729; Urteile vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 54; vom 21. Dezember 2006 – 3 StR 436/06, NStZ-RR 2007, 105, 106; vom 6. Mai 1997 – 1 StR 17/97 aaO; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 20 Rn. 20a mwN; Perron/Weißer in Schönke/ Schröder, StGB, 29. Aufl., § 20 Rn. 31 mwN). Beurteilungsgrundlage ist das konkrete Tatgeschehen, wobei neben der Art und Weise der Tatausführung auch die Vorgeschichte, der Anlass zur Tat, die Motivlage des Angeklagten und sein Verhalten nach der Tat von Bedeutung sein können (vgl. BGH, Urteile vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03 aaO mwN; vom 4. Juni 1991 – 5 StR 122/91, BGHSt 37, 397, 402). Ohne entsprechende Feststellungen zum Tatgeschehen und damit auch zur Täterschaft des Angeklagten ist eine sachgerechte Prüfung der Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht möglich.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Bender Feilcke
9
Die Sachverständige und ihr folgend das Landgericht ordnen die beim Angeklagten diagnostizierte Persönlichkeitsstörung dem Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung des § 20 StGB zu. Derartige Defekte sind jedoch am Merkmal der „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ zu messen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. November 2013 – 2 StR 463/13, NStZ-RR 2014, 72, und vom 21. Juli 2015 – 2 StR 163/15; SSW-StGB/Kaspar, 3. Aufl., § 20 Rn. 71, 79 ff.). Dieses Eingangsmerkmal wird allein durch den Befund einer Persönlichkeitsstörung nicht belegt. Erforderlich ist bei einer nicht pathologisch begründeten Persönlichkeitsstörung, dass sie in ihrem Gewicht einer krankhaften seelischen Störung gleichkommt. Dabei sind der Ausprägungsgrad der Störung und ihr Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters von Bedeutung. Für die Bewertung der Schwere der Persönlichkeitsstörung ist im Allgemeinen maßgebend, ob es im Alltag außerhalb des Deliktes zu Einschränkungen des sozialen Handlungsvermögens gekommen ist (vgl. zum Ganzen BGH, Urteile vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45,52 und vom 1. Juli 2015 – 2 StR 137/15, NJW 2015, 3319 f.; Beschluss vom 4. Dezember 2007 – 5 StR 398/07, NStZ-RR 2008, 104).

(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe.

(2) Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen. Gleiches gilt, wenn das Gericht erwägt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.

(2) Ist Anklage erhoben worden wegen einer in § 181b des Strafgesetzbuchs genannten Straftat zum Nachteil eines Minderjährigen und kommt die Erteilung einer Weisung nach § 153a dieses Gesetzes oder nach den §§ 56c, 59a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 oder § 68b Absatz 2 Satz 2 des Strafgesetzbuchs in Betracht, wonach sich der Angeklagte psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen hat (Therapieweisung), soll ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten vernommen werden, soweit dies erforderlich ist, um festzustellen, ob der Angeklagte einer solchen Betreuung und Behandlung bedarf.

(3) Hat der Sachverständige den Angeklagten nicht schon früher untersucht, so soll ihm dazu vor der Hauptverhandlung Gelegenheit gegeben werden.

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 427/11
vom
22. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
22. Dezember 2011 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 14. September 2011, soweit es ihn betrifft, im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Unterbringung des unter einer Polytoxikomanie und einem organischen Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma leidenden Angeklagten in einer Entziehungsanstalt oder einem psychiatrischen Krankenhaus hat es abgelehnt. Die gegen seine Verurteilung gerichtete und auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg, im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
Während das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt rechtsfehlerfrei abgelehnt hat, weil es an der nach § 64 Satz 2 StGB erforderlichen Erfolgsaussicht für diese Maßregel fehlt, halten die Erwägungen, mit denen es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus ausgeschlossen hat, rechtlicher Überprüfung nicht stand.
3
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts befand sich der Angeklagte "zum Tatzeitpunkt aufgrund einer Kombination aus dem bestehenden organischen Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma" und einer "akuten Mischintoxikation in einem Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB". Er ist "auch länger dauernd psychisch erkrankt". Dennoch hat das Landgericht - das im Rahmen seiner Ausführungen zu § 64 StGB die Gefährlichkeit des Angeklagten für die Allgemeinheit bejaht hat - dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt; denn das organische Psychosyndrom führe weder zu einer gesteigerten Aggressivität noch zu einer gesteigerten Affektivität mit unkritischen Affekthandlungen. Die Erkrankung erfülle "weder isoliert betrachtet noch in Kombination mit der bestehenden Polytoxikomanie den Grad eines Störungsbildes im Sinne des § 20 StGB".
4
2. Diese Erwägungen tragen die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht. Es erschließt sich, insbesondere im Zusammenhang mit den übrigen Urteilsgründen, nicht, welche Voraussetzung des § 63 StGB das Landgericht als nicht gegeben erachtet.
5
Sollte es gemeint haben, Bedingung der Anordnung sei, dass der Täter die rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen habe, lag darin eine Verkennung der Voraussetzungen des § 63 StGB, nach dem es genügt , wenn bei Begehung der Tat erheblich verminderte Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB sicher vorgelegen hat; dies war hier der Fall. Sollte es dagegen der Auffassung gewesen sein, es fehle an einem Eingangstatbestand des § 20 StGB, steht diese - nicht näher belegte - Annahme in Gegensatz zu der Feststellung, der Angeklagte sei im Tatzeitpunkt in seiner Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB und damit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe erheblich vermindert gewesen. Soweit mit dem Hinweis auf das Fehlen einer gesteigerten Aggressivität und Affektivität gegebenenfalls die von § 63 StGB vorausgesetzte Gefährlichkeit des Angeklagten für die Allgemeinheit verneint werden sollte, ließe dies zum einen die Feststellungen zum Ablauf der abgeurteilten Tat außer Betracht und stünde zum anderen in einem unaufgelösten Widerspruch zu der bei der Prüfung des § 64 StGB dargelegten Gefährlichkeitsprognose.
6
3. Über die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus muss daher neu entschieden werden. Um dem neuen Tatrichter eine insgesamt stimmige Entscheidung zu ermöglichen, hebt der Senat das angefochtene Urteil auch insoweit auf, als das Landgericht - für sich rechtsfehlerfrei - die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgelehnt hat. Dem steht insgesamt nicht entgegen, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (s. § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO). Er hat das Unterbleiben einer Unterbringungsanordnung nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen. Es kann daher dahinstehen, ob dies im Hinblick auf § 63 StGB überhaupt wirksam möglich wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2002 - 2 StR 335/02, NStZ-RR 2003, 18; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 331 Rn. 22 mwN).
7
Gleichzeitig ist der Strafausspruch mit den dazu getroffenen Feststellungen aufzuheben. Der Senat kann unter den gegebenen Umständen nicht ausschließen , dass das Landgericht im Falle der Anordnung einer Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt eine geringere Strafe verhängt hätte. Der neue Tatrichter wird daher über den gesamten Rechtsfolgenausspruch nochmals zu befinden und zu erwägen haben, ob es einen anderen Sachverständigen zuzieht. Zur Frage der Unterbringung des Täters in einem psychiatrischen Krankenhaus, wenn seine Schuldunfähigkeit oder erheblich verminderte Schuldfähigkeit bei der Tat auf einer Kombination von Suchtmittelintoxikation oder -abhängigkeit und einer sonstigen psychischen Störung beruht, verweist der Senat vorsorglich auf die Kommentierung bei Fischer (StGB, 59. Aufl., § 63 Rn. 9 ff. mwN).
8
Der Schuldspruch kann bestehen bleiben, weil eine Schuldunfähigkeit des Angeklagten bei der Tatbegehung sicher nicht vorgelegen hat.
Becker von Lienen Schäfer Mayer Menges

(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer

1.
entgegen § 2 Absatz 3 in Verbindung mit Anlage 2 Abschnitt 1 Nr. 1.1 oder 1.3.4 eine dort genannte Schusswaffe oder einen dort genannten Gegenstand erwirbt, besitzt, überlässt, führt, verbringt, mitnimmt, herstellt, bearbeitet, instand setzt oder damit Handel treibt,
2.
ohne Erlaubnis nach
a)
§ 2 Abs. 2 in Verbindung mit Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 Satz 1, eine Schusswaffe oder Munition erwirbt, um sie entgegen § 34 Abs. 1 Satz 1 einem Nichtberechtigten zu überlassen,
b)
§ 2 Abs. 2 in Verbindung mit Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 Satz 1, eine halbautomatische Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition nach Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 3 Nr. 1.1 erwirbt, besitzt oder führt,
c)
§ 2 Abs. 2 in Verbindung mit Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 Satz 1 in Verbindung mit § 21 Abs. 1 Satz 1 oder § 21a eine Schusswaffe oder Munition herstellt, bearbeitet, instand setzt oder damit Handel treibt,
d)
§ 2 Abs. 2 in Verbindung mit Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 Satz 1 in Verbindung mit § 29 Absatz 1 Satz 1 oder § 32 Absatz 1 Satz 1 eine Schusswaffe oder Munition in den oder durch den Geltungsbereich dieses Gesetzes verbringt oder mitnimmt,
3.
entgegen § 35 Abs. 3 Satz 1 eine Schusswaffe, Munition oder eine Hieb- oder Stoßwaffe im Reisegewerbe oder auf einer dort genannten Veranstaltung vertreibt oder anderen überlässt oder
4.
entgegen § 40 Abs. 1 zur Herstellung eines dort genannten Gegenstandes anleitet oder auffordert.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
entgegen § 2 Absatz 3 in Verbindung mit Anlage 2 Abschnitt 1 Nummer 1.2.2 bis 1.2.4.2, 1.2.5, 1.3.1 bis 1.3.3, 1.3.5 bis 1.3.8, 1.4.1 Satz 1, Nr. 1.4.2 bis 1.4.4 oder 1.5.3 bis 1.5.7 einen dort genannten Gegenstand erwirbt, besitzt, überlässt, führt, verbringt, mitnimmt, herstellt, bearbeitet, instand setzt oder damit Handel treibt,
2.
ohne Erlaubnis nach § 2 Abs. 2 in Verbindung mit Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 Satz 1
a)
eine Schusswaffe erwirbt, besitzt, führt oder
b)
Munition erwirbt oder besitzt,
wenn die Tat nicht in Absatz 1 Nr. 2 Buchstabe a oder b mit Strafe bedroht ist,
3.
ohne Erlaubnis nach § 2 Abs. 2 in Verbindung mit Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 Satz 1 in Verbindung mit § 26 Abs. 1 Satz 1 eine Schusswaffe herstellt, bearbeitet oder instand setzt,
4.
ohne Erlaubnis nach § 2 Absatz 2 in Verbindung mit Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 Satz 1 in Verbindung mit
a)
§ 29 Absatz 1 Satz 1 eine dort genannte Schusswaffe oder Munition aus dem Geltungsbereich dieses Gesetzes in einen anderen Mitgliedstaat verbringt oder
b)
§ 32 Absatz 1a Satz 1 eine dort genannte Schusswaffe oder Munition in einen anderen Mitgliedstaat mitnimmt,
5.
entgegen § 28 Abs. 2 Satz 1 eine Schusswaffe führt,
6.
entgegen § 28 Abs. 3 Satz 2 eine Schusswaffe oder Munition überlässt,
7.
entgegen § 34 Abs. 1 Satz 1 eine erlaubnispflichtige Schusswaffe oder erlaubnispflichtige Munition einem Nichtberechtigten überlässt,
7a.
entgegen § 36 Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 36 Absatz 5 Satz 1 eine dort genannte Vorkehrung für eine Schusswaffe nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig trifft und dadurch die Gefahr verursacht, dass eine Schusswaffe oder Munition abhandenkommt oder darauf unbefugt zugegriffen wird,
8.
einer vollziehbaren Anordnung nach § 41 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 zuwiderhandelt,
9.
entgegen § 42 Abs. 1 eine Waffe führt oder
10
entgegen § 57 Abs. 5 Satz 1 den Besitz über eine Schusswaffe oder Munition ausübt.

(4) Handelt der Täter in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1, 2 Buchstabe b, c oder d oder Nr. 3 oder des Absatzes 3 Nummer 1 bis 7, 8, 9 oder 10 fahrlässig, so ist die Strafe bei den bezeichneten Taten nach Absatz 1 Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe, bei Taten nach Absatz 3 Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.

(5) In besonders schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Straftaten verbunden hat, unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitgliedes handelt.

(6) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 378/13
vom
22. August 2013
in der Strafsache
gegen
wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. August 2013 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4, § 357 Satz 1 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten S. wird das Urteil des Landgerichts Hof vom 16. April 2013
a) unter Erstreckung auf den Mitangeklagten P. dahingehend abgeändert, dass die Angeklagten der bewaffneten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit vorsätzlichem Führen eines verbotenen Gegenstandes schuldig sind,
b) aufgehoben, aa) soweit es den Angeklagten S. betrifft, im Rechtsfolgenausspruch mit den dazu getroffenen Feststellungen, bb) bezüglich des Angeklagten P. mit den Feststellungen im Strafausspruch und im Ausspruch über den Vorwegvollzug. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


I.


1
Das Landgericht hat den Angeklagten und den nicht revidierenden Angeklagten P. jeweils wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit vorsätzlichem Besitz eines verbotenen Gegenstandes in Tateinheit mit vorsätzlichem Führen eines verbotenen Gegenstandes verurteilt. Den Angeklagten hat es deswegen mit einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten belegt. Gegen den Mitangeklagten hat es eine solche von sieben Jahren verhängt sowie dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) bei Vorwegvollzug der Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten angeordnet.
2
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf Verfahrensrügen und die näher ausgeführte Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg.

II.


3
1. Die Verfahrensrügen bleiben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 17. Juli 2013 ohne Erfolg.
4
2. Das Urteil hat allerdings keinen Bestand, soweit der Angeklagte wegen bewaffneten Handeltreibens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden ist. Insoweit entbehrt der Schuldspruch einer ihn tragenden rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung.
5
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts kam der Angeklagte mit dem Mitangeklagten P. überein, mit dem Pkw des Angeklagten von Erfurt aus nach Cheb (Tschechien) zu fahren, um dort Methamphetamin für den gewinnbringenden Weiterverkauf im Inland zu erwerben. In Umsetzung dieses Plans erstand P. dort 38,38 g Methamphetamin mit einer Wirkstoffmenge von 15,66 g Methamphetaminbase. Er füllte die Drogen in die Kunststoffverpackungen von drei Überraschungseiern, zog darüber jeweils Kondome und führte sich die Verpackungen rektal selbst sein. Dieses Vorgehen von P. war dem Angeklagten bekannt. Bei der Wiedereinreise wurden die Angeklagten kontrolliert und die Drogen entdeckt. Auf dem Asia-Markt hatten beide Angeklagte zudem jeweils einen Schlagring erworben. Die Ringe verwahrten sie während der Rückfahrt im Fahrzeuginneren in einer an der Rückseite des Beifahrersitzes angebrachten Tasche.
6
b) Seine in den Feststellungen zum Ausdruck kommende Überzeugung, der Angeklagte habe gemeinschaftlich mit dem Mitangeklagten P. Methamphetamin erworben und in die Bundesrepublik Deutschland eingeführt, um damit gewinnbringend Handel zu treiben, stützt das Tatgericht einerseits auf die desolate wirtschaftliche Situation beider Angeklagter sowie andererseits auf die Preisspanne zwischen dem jeweils näher festgestellten Einkaufspreis des Methamphetamins in Tschechien und dem in Erfurt erzielbaren Verkaufspreis sowie der aus dieser Differenz folgenden Gewinnspanne (UA S. 15 f.). Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend aufgezeigt hat, bieten diese vom Landgericht herangezogenen Indizien keine ausreichende Grundlage für die Feststellung, der Erwerb der Drogen in Tschechien habe für den Angeklagten dem gewinnbringenden Weiterverkauf und damit dem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln gedient.
7
Zwar muss das Revisionsgericht die subjektive Überzeugung des Tatrichters von dem Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts grundsätzlich hinnehmen (Sander in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 177 mwN). Ebenso ist es ihm verwehrt, seine eigene Überzeugung an die Stelle der tatgerichtlichen Überzeugung zu setzen (st. Rspr.; etwa BGH, Urteil vom 20. Juni 2007 - 2 StR 161/07). Allerdings kann und muss vom Revisionsgericht überprüft werden, ob die Überzeugung des Tatrichters in den getroffenen Feststellungen und der ihnen zugrunde liegenden Beweiswürdigung eine ausreichende objektive Grundlage findet (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Januar2008 - 3 StR 486/07). Die entsprechenden Grundlagen müssen den Schluss erlauben , dass das festgestellte Geschehen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Deshalb müssen die Urteilsgründe des Tatgerichts erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und die vom Tatrichter gezogene Schlussfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen Verdacht zu begründen vermag (BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2001 - 5 StR 520/01, StV 2002, 235 mwN; siehe auch KMR/Stuckenberg, StPO, § 261 Rn. 26 und 166 jeweils mit zahlr. Nachw.).
8
Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Tatgerichts im Hinblick auf die für das Vorliegen der Voraussetzungen des Handeltreibens erforderlichen Feststellungen nicht gerecht. Zwar können an sich schlechte wirtschaftliche Verhältnisse des Täters im Zusammenspiel mit der möglichen Gewinnspanne des Vertriebs von Betäubungsmitteln eine tragfähige Grundlage für die Annahme der Bestimmung erworbener Drogen für den gewinnbringenden Weiterverbrauch sein. Vorliegend trägt der vom Tatgericht gezogene Schluss angesichts der sonstigen vom ihm festgestellten Indizien als von einer „verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage“ aus gezogen aber nicht. Denn das Tatgericht hat festgestellt, der Mitangeklagte P. konsumiere täglich selbst zwischen 1 bis 1 ½ g Methamphetamin. Dementsprechend hatte P. sich eingelassen, bei der transportierten Drogenmenge von etwas mehr als 38 g Methamphetamin handele es sich um den Monatsbedarf seines Eigenkonsums. Das Urteil ist, wie der Generalbundesanwalt ausgeführt hat, in sich widersprüchlich, wenn einerseits die genannte Tageskonsummenge festgestellt wird, andererseits aber die Einlassung des Mitangeklagten, es handele sich um Drogen für den Eigenkonsum, obwohl die Gesamtmenge gerade der monatlich benötigten Menge entspricht, für nicht glaubhaft gehalten wird (UA S. 16). Dass P. sich die monatlich für den Eigenbedarf benötigten Drogen anderweitig als durch die verfahrensgegenständliche Tat beschafft hat, wurde vom Tatrichter nicht festgestellt.
9
Vor diesem Hintergrund bildet allein die Differenz zwischen Einkaufsund Verkaufspreis keine tragfähige Grundlage für den Schuldspruch wegen durch den Angeklagten mittäterschaftlich betriebenen Handels mit Betäubungsmitteln. Weitere Beweisanzeichen, die allein oder im Zusammenhang mit anderen tatsächlichen Umständen als objektive Grundlage aus rationalen Gründen den Schluss auf Handeltreiben zulassen würden, finden sich nicht. Die in den Urteilsgründen wiedergegebene Einlassung des Mitangeklagten P. („Wir haben uns drüben eingedeckt“) trägt zwar den Schluss des Tatgerichts auf die Kenntnis des Angeklagten von dem Ankauf und dem Transport der Drogen durch den Mitangeklagten, gibt aber für die Merkmale des Handeltreibens nichts her.
10
Zudem fehlt es, wie der Generalbundesanwalt ebenfalls zutreffend aufgezeigt hat, an Feststellungen, aus denen tragfähig auf den für das Handeltreiben erforderlichen Eigennutz des Angeklagten geschlossen werden kann.
11
3. Die im Übrigen auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen über die Kenntnis des Angeklagten von dem Vorhaben des Mitangeklagten P. , Methamphetamin in Cheb zu erwerben und in die Bundesrepublik einzuführen, tragen allerdings einen Schuldspruch wegen (gemeinschaftlicher) bewaffneter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Der Senat vermag auszuschließen, dass durch einen neuen Tatrichter noch Feststellungen getroffen werden können, die die Voraussetzungen des Handeltreibens tragen könnten. Er stellt den Schuldspruch daher auf bewaffnete Einfuhr mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge um. § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen. Der Angeklagte hätte sich nicht anders als geschehen verteidigen können.
12
4. Im Hinblick auf die Verurteilung wegen tateinheitlichen Führens und Besitzes eines verbotenen Gegenstandes hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt: „Der Schuldspruch ist auch hinsichtlich der tateinheitlich verwirklichten Waffendelikte zu korrigieren. Zwar steht das Führen mit Besitz regelmäßig in Tateinheit (vgl. nur Pauckstadt-Maihold in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 180. ErgLfg, WaffG § 52, Rn. 95 m.w.N.). Wird die tatsächliche Gewalt über einen verbotenen Gegenstand aber wie hier nur außerhalb der eigenen Wohnung ausgeübt, kommt nur eine Verurteilung wegen Führens in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 13. August 2009 – 3 StR 226/09, BGHR WaffG § 52 Konkurrenzen 2). Die tateinheitliche Verurteilung wegen Besitzes eines verbotenen Gegenstandes muss daher entfallen.“
13
Dem stimmt der Senat zu.
14
5. Die vorgenommenen Änderungen im Schuldspruch ziehen die Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs nach sich. Dies bedingt hier gleichfalls die Aufhebung der Feststellungen, die von dem Mangel beeinflusst sind.
15
6. Die weitergehende Revision des Angeklagten hat aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg.

III.


16
Die Umstellung des Schuldspruchs ist gemäß § 357 Satz 1 StPO auch auf den nicht revidierenden Mitangeklagten P. zu erstrecken.
17
1. Die vorstehend unter II.2. dargelegten rechtlichen Erwägungen, die zu der Schuldspruchänderung und der Aufhebung im Rechtsfolgenausspruch in Bezug auf den Angeklagten geführt haben, müssen auch bei dem Mitangeklagten zu der entsprechenden Änderung des Schuldspruchs führen (zu diesem Maßstab Franke in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 357 Rn. 17; SK-StPO/ Wohlers, 38. Lfg., Stand: 2004, § 357 Rn. 34 jeweils mwN). Da ersichtlich auch gegen den Mitangeklagten keine anderweitigen Erkenntnismöglichkeiten vorhanden sind, beruht die Annahme von Handeltreiben auf keiner hinreichend sicheren Tatsachengrundlage.
18
Die ansonsten rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen aber auch hier die Verurteilung des Mitangeklagten wegen (gemeinschaftlicher) bewaffneter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen Führens eines verbotenen Gegenstandes.
19
2. Dies bedingt gleichfalls die Aufhebung des Strafausspruchs mit den Feststellungen.
20
Die Anordnung der Unterbringung des Mitangeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB weist dagegen keinen Rechtsfehler auf. Diese bleibt daher bestehen. Um dem neuen Tatrichter eine auf die neu festzulegende Strafe abgestimmte Anwendung von § 67 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 StGB zu ermöglichen, bedarf es allerdings der Aufhebung der bisherigen Entscheidung über die Dauer des Vorwegvollzugs der Freiheitsstrafe vor dem Vollzug der Maßregel gemäß § 64 StGB.
21
3. Einer Erstreckung gemäß § 357 Satz 1 StPO auf den Mitangeklagten P. , in Bezug auf den die Gründe des angefochtenen Urteils gemäß § 267 Abs. 4 StPO abgekürzt sind, steht die Rechtsprechung des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs nicht entgegen. Dieser hat zwar in seinem Beschluss vom 25. Juni 2013 (5 StR 276/13) die Auffassung vertreten, eine Erstreckung auf einen nicht revidierenden Angeklagten komme nicht in Betracht, wenn ihn betreffend gemäß § 267 Abs. 4 StPO abgekürzte Urteilsgründe verfasst worden sind. Dem lag aber eine andere Sachverhaltskonstellation zugrunde. Abgesehen davon, dass abgekürzte Urteilsgründe bei einem nicht revidierenden Angeklagten gemäß § 267 Abs. 4 StPO stets rechtlich zulässig sind und schon deshalb einer Anwendung von § 357 StPO nicht grundsätzlich entgegenstehen können, weil anderenfalls die Vorschrift in ihrem Anwendungsbereich unangemessen eingeschränkt wäre, ist es ausgeschlossen, dass bezüglich des nicht revidierenden Mitangeklagten Gesichtspunkte denkbar sind, die den Schuldspruch stützen könnten.

IV.


22
Für die neue Hauptverhandlung gibt der Senat zu bedenken, dass angesichts der vom ersten Tatrichter getroffenen Feststellungen über den eigenen Betäubungsmittelkonsum des Angeklagten eine nähere Beschäftigung mit den Voraussetzungen der Unterbringung gemäß § 64 StGB in Betracht kommen dürfte. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zu Recht ausgeführt hat, lässt sich der vom Tatgericht angenommene, lediglich sporadische Konsum des Angeklagten von THC und Amphetamin nicht ohne Weiteres mit den im Urteil mitgeteilten Ergebnissen der Haaranalyse des Angeklagten in Einklang bringen. Vor diesem Hintergrund hat der Senat auch die zum Rechtsfolgenausspruch getroffenen Feststellungen aufgehoben, um dem neuen Tatrichter die Möglichkeit zu geben, über den Rechtsfolgenausspruch vollständig neu und ohne Bindung an die bisherigen - partiell widersprüchlichen - Feststellungen zu entscheiden.
Raum Wahl Jäger
Radtke Mosbacher

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 535/16
vom
21. Februar 2017
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Erwerbs von Betäubungsmitteln u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:210217B3STR535.16.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 21. Februar 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 8. September 2016 mit den zugehörigen Feststellungen - ausgenommen diejenigen zu den Tatgeschehen , die aufrechterhalten bleiben - aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte in den Fällen II.2.a) (1. Tat), b) und c) der Urteilsgründe freigesprochen worden ist, sowie
b) im Maßregelausspruch. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten von den Vorwürfen des Vortäuschens von Straftaten in drei Fällen und des versuchten Erwerbs von Betäubungsmitteln freigesprochen, seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und Einziehungsentscheidungen getroffen. Seine auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Hinsichtlich einer der drei dem Angeklagten zur Last liegenden Fälle des Vortäuschens von Straftaten (Fall II.2.a) [2. Tat vom 4. Juni 2015]) hat das Landgericht deshalb auf Freispruch erkannt, weil das festgestellte Verhalten des Angeklagten keinen Straftatbestand verwirklicht. Hinsichtlich der weiteren Vorwürfe (Fälle II.2.a) [1. Tat vom 3. Juni 2015], b) [Tat vom 17. Oktober 2015] und c) [Tat vom 3. Juli 2015]) hat es den Freispruch auf die Schuldunfähigkeit des Angeklagten bei Tatbegehung gestützt, wobei es folgende rechtswidrige Taten festgestellt hat:
3
Am 3. Juni und am 17. Oktober 2015 versandte der Angeklagte per E-Mail Bombendrohungen an das Amtsgericht Montabaur, die er ernstgenommen wissen wollte. Der Direktor des Amtsgerichts (3. Juni 2015) bzw. der während dessen Abwesenheit zuständige Vertreter (17. Juni 2015) ging allerdings jeweils nicht davon aus, dass eine Sprengstoffexplosion oder Ähnliches drohe. Über "pro forma" getroffene Maßnahmen hinaus wurde nichts veranlasst.
4
Am 3. Juli 2015 erwarb der Angeklagte in Koblenz einen 0,2 g schweren "Krümel", den er für Heroin hielt.
5
Die festgestellten rechtswidrigen Taten hat das Landgericht zutreffend als Vortäuschen von Straftaten (§ 145d Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 126 Abs. 1 Nr. 6, § 308 StGB) in zwei Fällen und versuchten Erwerb von Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 BtMG, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB) gewertet.
6
2. Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB (nF) hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand; denn das Landgericht hat nicht rechtsfehlerfrei begründet, dass von dem Angeklagten in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.
7
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten auf Grund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln; sie muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Angeklagten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist der Tatrichter auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Oktober 2013 - 3 StR 349/13, juris Rn. 5; vom 29. April 2014 - 3 StR 171/14, juris Rn. 5; vom 16. September 2014 - 3 StR 372/14, juris Rn. 4; vom 21. Dezember 2016 - 1 StR 594/16, juris Rn. 10 mwN).
8
b) Die Strafkammer ist - dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen folgend - davon ausgegangen, der Angeklagte leide an einer paranoiden Schizophrenie in chronifizierter Form, die durch deutliche inhaltliche und formale Denkstörungen sowie durch eine gravierende Beeinträchtigung seiner Kritikfähigkeit geprägt sei. Er habe ein ganz eigenes, egozentrisches Verständnis von gesellschaftlichen Normen entwickelt, das einem selbstreflexiven Diskurs nicht mehr zugänglich sei. So sehe er sich als unrechtmäßig behandeltes Opfer von öffentliche Aufgaben wahrnehmenden Personen, insbesondere den Richtern des Amtsgerichts Montabaur, die gegen ihn eine rechtliche Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt und mehrmals präventive landesrechtliche Unterbringungen in psychiatrischen Einrichtungen angeordnet hatten. Daneben bestehe beim Angeklagten seit vielen Jahren eine Polytoxikomanie.
9
Die Strafkammer hat weiter angenommen, dass die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten auf Grund der chronifizierten paranoiden Schizophrenie aufgehoben war (§ 20 StGB). Die Taten beruhten auf krankheitsbedingter Realitätsverkennung. Die Ausprägung des psychotischen Erlebens sei von der symptomprovokativen Wirkung der zuvor konsumierten stimulierenden Betäubungsmittel abhängig gewesen. Motivation für die Taten sei die krankheitsbedingte Überzeugung des Angeklagten gewesen, sich als Justizopfer - nur noch - mit Bombendrohungen wehren zu können und ohne den Drogenkonsum "zu 80 % schwerbehindert" zu sein (der Konsum sei ihm "gestattet").
10
Die Strafkammer hat ferner die Prognose getroffen, dass der Angeklagte "mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit" weitere rechtswidrige Taten begehen wird, zum einen den Anlasstaten ähnliche Betäubungsmitteldelikte und "Bedrohungen" , zum anderen Warenkredit- und Leistungsbetrügereien über das Internet. Schließlich seien auch Gewalttaten ernsthaft zu befürchten, "die sich am ehesten in Form einer direkten einfachen körperlichen Aggression, wie etwa einem Schlag, äußern" könnten.
11
c) Diese Begründung trägt die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht. Das Landgericht hat zwar rechtsfehlerfrei dargelegt, dass beim Angeklagten zu den Tatzeitpunkten ein länger andauernder, das Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung im Sinne von § 20 StGB erfüllender psychischer Defekt bestand, auf dem die Begehung der Taten beruhte und der zur Aufhebung der Einsichtsfähigkeit führte. Die im Urteil dargelegte Gefährlichkeitsprognose hält jedoch rechtlicher Überprüfung nicht stand:
12
aa) Die vom Landgericht erwarteten, den Anlasstaten ähnlichen Betäubungsmitteldelikte und "Bedrohungen" sind nicht erheblich im Sinne von § 63 Satz 1 StGB. Für den Erwerb von 0,2 g (Schein-)Heroingemisch versteht sich dies von selbst. Aber auch die vom Angeklagten versandten Bombendrohungen waren nach den Feststellungen nicht geeignet, zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens zu führen. Nach der konkreten Ausgestaltung der E-Mails trug die Ankündigung aus Sicht des Erklärungsempfängers nicht die naheliegende Gefahr der Verwirklichung in sich (vgl. BGH, Urteil vom 22. Dezember 2016 - 4 StR 359/16, juris Rn. 15; Beschluss vom 18. Juli 2013 - 4 StR 168/13, NJW 2013, 3383, 3385, jew. mwN). Vielmehr nahmen der Direktor des Amtsgerichts Montabaur und sein Vertreter die Bombendrohungen gerade nicht ernst. Folgerichtig hat das Landgericht daher keine rechtswidrige Tat der Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten nach § 126 Abs. 1 Nr. 6 StGB bejaht. Das künftig anderes zu erwarten wäre, belegen die Feststellungen und die ihnen zugrundeliegende Beweiswürdigung nicht.
13
bb) Hinsichtlich der vom Landgericht besorgten Internetbetrügereien genügen die Ausführungen unter mehreren Gesichtspunkten nicht den rechtlichen Anforderungen. Ergibt sich die Erheblichkeit drohender Taten nicht aus den Anlasstaten selbst, ordnet das Gericht nach § 63 Satz 2 StGB die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nur an, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird (BGH, Urteil vom 22. Dezember 2016 - 4 StR 359/16, aaO Rn. 14). Solche besonderen Umstände sind hier nicht dargetan. Zu den vom Angeklagten bisher begangenen Betrugstaten fehlen konkrete durch die Beweiswürdigung unterlegte Feststellungen. Die pauschale Angabe, der Angeklagte habe in der Vergangenheit in zahlreichen Fällen im Internet Waren bestellt und Telefonverträge geschlossen, ohne seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen, ist insoweit nicht ausreichend. Des Weiteren ist die Gefahr eines schweren wirtschaftlichenSchadens nicht festgestellt. Hierzu ist lediglich ausgeführt, dass der Betreuer diese Geschäfte "im gewissen Maße" habe "eindämmen" können, künftige Schäden allerdings "nicht gänzlich verhindert werden" könnten, wobei das Schadensausmaß "schwer bezifferbar" sei, aber "eine ganz erhebliche Größe annehmen" könne. Schließlich bleibt der symptomatische Zusammenhang zwischen festgestelltem psychischen Defekt und zu erwartenden Betrugstaten (s. Fischer, StGB, 64. Aufl., § 63 Rn. 14a; MüKoStGB/van Gemmeren, 3. Aufl., § 63 Rn. 56 ff.) offen. Bei der vom Angeklagten in der Hauptverhandlung bekundeten Vorstellung, er führe ein Wirtschaftsunternehmen, handelt es sich augenscheinlich um ein divergierendes psychotisches Erleben; hierzu verhält sich das Urteil nicht.
14
cc) Dass der Angeklagte mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades künftig Gewalttaten begehen werde, ist ebenso wenig tragfähig begründet. Allein mit der allgemein erhöhten Kriminalitätsbelastung schizophren Erkrankter kann die Gefährlichkeitsprognose - auch unter Berücksichtigung der symptomprovokativen Wirkung von konsumierten Betäubungsmitteln - nicht begründet werden (vgl. BGH, Urteil vom 11. August 2011 - 4 StR 267/11, juris Rn. 15; Beschluss vom 7. Juni 2016 - 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306, 307); erst recht können darin keine besonderen Umstände im Sinne von § 63 Satz 2 StGB gesehen werden, welche die schmale Tatsachenbasis infolge der anders gelagerten Anlassdelikte ausgleichen (vgl. BeckOK StGB/Ziegler, § 63 Rn. 10). Soweit das Landgericht angeführt hat, der Angeklagte habe mit den E-Mails "Gewaltphantasien" geäußert, ist es nicht darauf eingegangen, auf Grund welcher konkreten Umstände nunmehr deren Umsetzung wahrscheinlich ist. Gleiches gilt für das verbal aggressive Verhalten des Angeklagten in der Hauptverhandlung sowie gegenüber seinem Vater und seinem Betreuer, zumal dazu, dass der Angeklagte "in Bezug auf die Kinder .... (des Betreuers) gedroht" habe, nichts Näheres mitgeteilt wird. Soweit das Landgericht darauf abgestellt hat, dass der Angeklagte in der Vergangenheit "gegenüber anderen Personen ... bereits vereinzelt körperlich aggressiv geworden" sei, bleiben die Ausführungen vage. Zu etwaigen strafrechtlichen Vorverurteilungen des Angeklagten oder wegen Schuldunfähigkeit ergangenen Freisprüchen oder Einstellungen verhält sich das Urteil nicht. Die "Handgreiflichkeiten gegenüber der Mutter" werden nicht konkretisiert ; weitere individualisierte Gewalttaten werden nicht benannt. Belege finden sich nicht. Nach alledem ermöglichen es die - nicht hinreichend tatsachenfundierten - Ausführungen dem Senat nicht, die vom Landgericht getroffene Gefährlichkeitsprognose nachzuvollziehen.
15
d) Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB kann daher nicht bestehen bleiben. Mit Blick auf die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO ist auch der Freispruch des Angeklagten in den Fällen II.2.a) (1. Tat), b) und c) der Urteilsgründe aufzuheben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. August 2014 - 3 StR 271/14, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Satz 2 Freispruch 1; vom 12. Oktober 2016 - 4 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 74, 75). Die zu den Tatgeschehen in objektiver und subjektiver Hinsicht getroffenen tatsächlichen Feststellungen beruhen auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung und können daher bestehen bleiben.
16
3. Zu den Einziehungsentscheidungen erweist sich die Revision als unbegründet.
Becker Schäfer Spaniol Berg Hoch
11
Nach der am 1. August 2016 in Kraft getretenen neuen Fassung der Vorschrift durch das Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften vom 8. Juli 2016 (BGBl. I S. 1610) ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Mit der Neuregelung sollten die Voraussetzungen konkretisiert werden, unter denen "erhebliche" rechtswidrige Taten seitens des Täters zu erwarten sind, um die Rechtspraxis noch stärker für das mit Verfassungsrang ausgestattete Erfordernis der Verhältnismäßigkeit zu sensibilisieren (BT-Drucks. 18/7244, S. 17). Dabei hat sich der Gesetzgeber an den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen orientiert und im Hinblick auf die zu erwartenden Taten zwischen "Vermögensdelikten" im weitesten Sinne sowie gegen höchstpersönliche Rechtsgüter gerichteten Taten differenziert (BT-Drucks. aaO, S. 18, 20). Bei Vermögensdelikten im weitesten Sinne wollte er die Schwelle für die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gegenüber dem bisherigen Rechtszustand anheben. Deshalb sollen in diesem Bereich nunmehr nur noch solche Taten eine Unterbringung nach § 63 StGB rechtfertigen können, durch welche "schwerer" wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird (BT-Drucks. aaO, S. 20 f.). Bei Taten, die gegen höchstpersönliche Rechtsgüter gerichtet sind, insbesondere bei Körperverletzungsdelikten, wollte der Gesetzgeber die Anforderungen für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus demgegenüber nicht anheben. Insoweit beschränkte sich das Ziel der Neuregelung darauf, die in der Rechtsprechung bereits angelegte, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in zunehmendem Maße Bedeutung beimessende Entwicklung aufzugreifen und zu verstetigen, indem der frühere Gesetzestext - im Wesentlichen klarstellend - durch die Bestimmung ergänzt wurde, dass Taten zu erwarten sein müssen, durch welche die Opfer körperlich oder seelisch "erheblich" geschädigt oder "erheblich" gefährdet werden (BT-Drucks. aaO, S. 18, 42; BGH, Beschluss vom 3. August 2016 - 4 StR 305/16, juris; Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., § 63 Rn. 1).