Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Nov. 2015 - 3 StR 407/15

ECLI:ECLI:DE:BGH:2015:101115B3STR407.15.0
bei uns veröffentlicht am10.11.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 407/15
vom
10. November 2015
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2015:101115B3STR407.15.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 10. November 2015 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 19. Mai 2015 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. Gegen das Urteil wendet sich die Revision des Angeklagten mit der allgemeinen Sachbeschwerde. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist es unbegründet.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts missbrauchte der Angeklagte im nicht näher eingrenzbaren Zeitraum zwischen Juni 2007 und August 2009 - zugunsten des Angeklagten angenommen: ausschließlich im August 2009 - den damals 13 Jahre alten Sohn seiner Lebensgefährtin sexuell. Bei zwei Gelegenheiten übte er den Oralverkehr an dem Kind aus, zwei weitere Male onanierte er bei dem Jungen.
3
Das Landgericht hat - dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen folgend - angenommen, der Angeklagte leide "unter einer schizoiden Persönlichkeitsstörung sowie einer Störung der Sexualpräferenz im Sinne einer Pädophilie". Aufgrund dessen sei "die Steuerungsfähigkeit … zum Zeitpunkt der Taten in erheblichem Maße vermindert" gewesen (UA S. 5). Es war außerdem davon überzeugt, dass beim Angeklagten ein "sehr hohes Risiko für künftige Sexualstraftaten zum Nachteil von Kindern" bestehe (UA S. 13).
4
2. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
5
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht , dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat (en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Juni 2013 - 2 StR 94/13, juris Rn. 5; vom 24. Oktober 2013 - 3 StR 349/13, juris Rn. 5). Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist der Tatrichter auch verpflichtet, die wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen.
6
b) Durch die angefochtene Entscheidung wird bereits die vom Landgericht angenommene erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten bei der Tatbegehung nicht belegt.
7
Die Feststellungen beschränken sich auf die Benennung der beiden als gegeben angesehenen Diagnosen. Im Rahmen der Beweiswürdigung wird das Gutachten des Sachverständigen referiert. Danach bestehe beim Angeklagten eine "Pädophilie des nicht ausschließlichen Typs". Der von ihr ausgehende Drang, sexuelle Kontakte zu Kindern zu finden, führe allein noch nicht zu einer erheblichen psychopathologischen Beeinträchtigung. Diese ergebe sich erst aus dem Zusammentreffen mit der bei dem Angeklagten bestehenden schizoiden Persönlichkeitsstörung, gekennzeichnet durch "emotionale Kälte, Distanziertheit und eingeschränkte Affektivität mit Beeinträchtigung der emotionalen Schwingungsfähigkeit sowie eingeschränkte Empathiefähigkeit".
8
Mit diesen im Allgemeinen verbleibenden Darlegungen ist nicht ausreichend erklärt, dass sich der Angeklagte im Zeitpunkt der Tat in einem Zustand gesichert eingeschränkter Schuldfähigkeit befand.

9
Im Ansatz zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Diagnose einer Pädophilie für sich genommen kaum Aussagekraft für das Vorliegen des vierten Eingangsmerkmals der §§ 20, 21 StGB ("schwere andere seelische Abartigkeit") und erst recht nicht für die Überzeugung von einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit hat (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 7. Februar 2004 - 4 StR 574/03, NStZ-RR 2004, 201; Urteil vom 10. März 2004 - 4 StR 563/03, StV 2005, 20; Beschluss vom 6. Juli 2010 - 4 StR 283/10, NStZ-RR 2010, 304, 305; Beschluss vom 10. September 2013 - 2 StR 321/13, NStZ-RR 2014, 8 (nur Ls)). Steht für die Beurteilung der Schuldfähigkeit eine von der Norm abweichende sexuelle Präferenz im Vordergrund, muss diese den Täter im Wesen seiner Persönlichkeit so verändert haben, dass er zur Bekämpfung seiner Triebe nicht die erforderlichen Hemmungen aufbringt, sondern bei der Begehung der Sexualtaten aus einem starken, mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus handelt. Die Steuerungsfähigkeit kann demzufolge etwa dann beeinträchtigt sein, wenn die abweichenden Sexualpraktiken zu einer eingeschliffenen Verhaltensschablone geworden sind, die sich durch abnehmende Befriedigung, zunehmende Frequenz, durch Ausbau von Raffinements und durch gedankliche Einengung auf diese Praktiken auszeichnet (BGH, Beschluss vom 6. Juli 2010 - 4 StR 283/10, NStZ-RR 2010, 304, 305).
10
Dass diese Voraussetzung vorliegend durch das Hinzutreten einer schizoiden Persönlichkeitsstörung geschaffen worden sind, ist nicht dargetan. Auch hier gilt, dass die klinische Diagnose nicht automatisch mit dem juristischen Begriff der schweren anderen seelischen Abartigkeit gleichgesetzt werden darf. Nur wenn die durch die typischerweise in der Jugendzeit auftretende, sich zunehmend entwickelnde Persönlichkeitsstörung hervorgerufenen Leistungseinbußen mit den Defiziten vergleichbar sind, die im Gefolge forensisch relevanter krankhafter seelischer Verfassungen auftreten, kann von einer schweren anderen seelischen Abartigkeit gesprochen werden (vgl. LK/Schöch, StGB, 12. Aufl., § 20 Rn. 169; BGH, Beschluss vom 21. September 2004 - 3 StR 333/04, NStZ 2005, 326, 327; Beschluss vom 18. Januar 2005 - 4 StR 532/04, NStZ-RR 2005, 137, 138; Urteil vom 25. Januar 2006 - 2 StR 348/05, NStZ-RR 2006, 199). Dass der Angeklagte aufgrund dieses Störungsbildes aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt hat (BGH, Beschluss vom 19. Juli 2006 - 2 StR 210/06, juris Rn. 7), ist nicht festgestellt.
11
c) Eine zukünftige Gefährlichkeit des Angeklagten ist ebenfalls nicht ausreichend dargetan. Das Landgericht hat sich auch insoweit dem Sachverständigen angeschlossen, der ausgehend vom Punktwert, den der Angeklagte bei dem Prognoseinstrument Stable-2007 erreicht habe, ein sehr hohes Risiko für den Anlassdelikten vergleichbare Sexualstraftaten angenommen hat, was auch "dem eigenen klinischen Eindruck des Sachverständigen entspreche". Der Angeklagte , der seine sexuelle Devianz "bislang nicht aufgearbeitet" habe, könne aufgrund der schizoiden Persönlichkeitsstörung Hemmungen gegenüber Sexualstraftaten "jederzeit überwinden".
12
Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht bei der Prognose zukünftigen Verhaltens einseitig das Ergebnis des vom Sachverständigen genutzten statistischen Prognoseinstruments in den Blick genommen und dabei außer Acht gelassen hat, dass solche Instrumente zwar Anhaltspunkte über die Ausprägung eines strukturellen Grundrisikos liefern, indes nicht in der Lage sind, eine fundierte Einzelbetrachtung zu ersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2013 - 3 StR 311/13, NStZ-RR 2014, 42 mwN). Eine solche individuelle Beurteilung kann sich nicht in dem Hinweis auf den "klinischen Eindruck des Sachverständigen" erschöpfen. Sie muss dieses aus der Person fol- gende Risikobild näher darlegen und sich vorliegend u.a. auch mit dem Umstand auseinandersetzen, dass, was angesichts der Unsicherheiten bezüglich der Tatzeitpunkte zu berücksichtigen ist, die Taten möglicherweise acht Jahre zurückliegen oder zwischen ihnen und den - nicht näher geschilderten, mit einer Bewährungsstrafe geahndeten - Vortaten eine Zeitspanne von mehr als fünf Jahren besteht (zu dem Zeitraum straffreien Verhaltens als Prognosegesichtspunkt vgl. BGH, Beschluss vom 8. Januar 2014 - 5 StR 602/13, StV 2015, 218, 219; Beschluss vom 12. März 2014 - 2 StR 604/13, juris Rn. 7; Urteil vom 10. Dezember 2014 - 2 StR 170/14, NStZ-RR 2015, 72, 73).
13
3. Über den Maßregelausspruch muss deshalb nochmals entschieden werden. Der Schuld- und der Strafausspruch werden davon nicht berührt. Der Senat schließt aus, dass eine erneute Verhandlung zur Feststellung der Schuldunfähigkeit des Angeklagten führen wird. Durch die Annahme erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit und die deshalb erfolgte Strafrahmenverschiebung ist der Angeklagte nicht beschwert.
Becker Pfister Mayer Gericke Spaniol

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Nov. 2015 - 3 StR 407/15

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Nov. 2015 - 3 StR 407/15

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Nov. 2015 - 3 StR 407/15 zitiert 5 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Nov. 2015 - 3 StR 407/15 zitiert oder wird zitiert von 14 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Nov. 2015 - 3 StR 407/15 zitiert 10 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Juni 2013 - 2 StR 94/13

bei uns veröffentlicht am 05.06.2013

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 94/13 vom 5. Juni 2013 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 5. Juni 2013 gemä

Bundesgerichtshof Beschluss, 12. März 2014 - 2 StR 604/13

bei uns veröffentlicht am 12.03.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 S t R 6 0 4 / 1 3 vom 12. März 2014 in der Strafsache gegen wegen Körperverletzung u.a. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 12. März 2014 ge

Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Jan. 2014 - 5 StR 602/13

bei uns veröffentlicht am 08.01.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 5 StR 602/13 vom 8. Januar 2014 in dem Sicherungsverfahren gegen Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Januar 2014 beschlossen: Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom

Bundesgerichtshof Urteil, 10. März 2004 - 4 StR 563/03

bei uns veröffentlicht am 10.03.2004

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES Urteil 4 StR 563/03 vom 10. März 2004 in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Mißbrauchs von Kindern u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. März 2004, an der teilgeno

Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Sept. 2013 - 2 StR 321/13

bei uns veröffentlicht am 10.09.2013

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 321/13 vom 10. September 2013 in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Be

Bundesgerichtshof Beschluss, 01. Okt. 2013 - 3 StR 311/13

bei uns veröffentlicht am 01.10.2013

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 311/13 vom 1. Oktober 2013 in dem Sicherungsverfahren gegen Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 1. Oktob

Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Okt. 2013 - 3 StR 349/13

bei uns veröffentlicht am 24.10.2013

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 349/13 vom 24. Oktober 2013 in der Strafsache gegen wegen räuberischer Erpressung u.a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 24. Oktober 2

Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Juli 2006 - 2 StR 210/06

bei uns veröffentlicht am 19.07.2006

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 210/06 vom 19. Juli 2006 in der Strafsache gegen wegen versuchten Totschlags u. a. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 19. Juli 2006 gem

Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Juli 2010 - 4 StR 283/10

bei uns veröffentlicht am 06.07.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 283/10 vom 6. Juli 2010 in der Strafsache gegen wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am

Bundesgerichtshof Urteil, 10. Dez. 2014 - 2 StR 170/14

bei uns veröffentlicht am 10.12.2014

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 S t R 1 7 0 / 1 4 vom 10. Dezember 2014 in der Strafsache gegen wegen Diebstahls Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Dezember 2014, an der teilgenommen haben: Vorsitze
4 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Nov. 2015 - 3 StR 407/15.

Bundesgerichtshof Urteil, 02. Mai 2019 - 3 StR 87/19

bei uns veröffentlicht am 02.05.2019

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 3 StR 87/19 vom 2. Mai 2019 in dem Sicherungsverfahren gegen ECLI:DE:BGH:2019:020519U3STR87.19.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 2. Mai 2019, an der teilgenommen haben:

Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Juli 2019 - 3 StR 254/19

bei uns veröffentlicht am 11.07.2019

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 254/19 vom 11. Juli 2019 in dem Sicherungs- und Strafverfahren gegen wegen vorsätzlicher Körperverletzung u.a. ECLI:DE:BGH:2019:110719B3STR254.19.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des

Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Aug. 2019 - 3 StR 46/19

bei uns veröffentlicht am 06.08.2019

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 46/19 vom 6. August 2019 in dem Sicherungsverfahren gegen alias: ECLI:DE:BGH:2019:060819B3STR46.19.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführer

Bundesgerichtshof Urteil, 15. März 2016 - 1 StR 526/15

bei uns veröffentlicht am 15.03.2016

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 526/15 vom 15. März 2016 in der Strafsache gegen wegen Besitzverschaffens kinderpornographischer Schriften u.a. ECLI:DE:BGH:2016:150316U1STR526.15.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

5
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht , dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischenDefekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht (st. Rspr.; vgl. jeweils mwN BGH, Beschlüsse vom 11. März 2009 – 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198, und vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141). Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschlüsse vom 11. März 2009 – 2 StR 42/09, Rn. 10, NStZ-RR 2009, 198, und vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202). Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat (en) zu entwickeln (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 1999 – 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27; Beschluss vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12, aaO).
5
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht , dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die erforder- liche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat (en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2013 - 2 StR 94/13 mwN). Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist der Tatrichter auch verpflichtet, die wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 563/03
vom
10. März 2004
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Mißbrauchs von Kindern u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. März
2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Athing,
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dessau vom 5. September 2003 im Maß- regelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Mißbrauchs von Kindern in drei Fällen und wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in drei weiteren Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Im übrigen hat es den Angeklagten freigesprochen. Der Angeklagte wendet sich, soweit er verurteilt worden ist, mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision gegen dieses Urteil. Er beanstandet in erster Linie die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.
Die Nachprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler aufgedeckt. Die Revision führt jedoch zur Aufhebung des Maßregelausspruchs.
Nach den Feststellungen hielten sich im Tatzeitraum zwischen Sommer 2001 und Juli 2002 die 13jährige Cindy B. (Fall II. 1.), die 12jährige S. F. (Fall II. 2.) und die 10jährige Mandy Sch. (Fälle II. 3. a bis d) aufgrund verwandtschaftlicher Beziehungen oder freundschaftlicher Bindungen der Familien häufiger im Haushalt des Angeklagten auf. Cindy B. , die Schwester der Ehefrau des Angeklagten, begleitete ihn überdies im Sommer 2002 auf einer beruflich bedingten Lkw-Fahrt nach Spanien. Bei Aufenthalten der Mädchen in der Wohnung des Angeklagten bzw. anläßlich der Fahrt nach Spanien nahm der damals 40jährige Angeklagte an den Kindern verschiedene sexuelle Handlungen vor. Mit Cindy B. , die sich in den Angeklagten verliebt hatte, führte er einvernehmlich den Geschlechtsverkehr durch.
Das Landgericht hat - dem Sachverständigen folgend - die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet, weil dieser die Taten im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit infolge einer "dissozialen Persönlichkeitsstörung" in Verbindung mit einer "ausgesprägten Pädophilie" begangen habe. Aufgrund dieses Zustandes, insbesondere der in einer "jahrelange(n) Entwicklung herausgebildete (n) Pädophilie" (UA 36) sei ohne eine entsprechende Behandlung die Gefahr weiterer gleichgelagerter sexueller Übergriffe zum Nachteil von Kindern gegeben.
Die Ausführungen des Landgerichts zur - für eine Anordnung nach § 63 StGB positiv festzustellenden - verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten infolge einer schweren anderen seelischen Abartigkeit begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Wird ein so schwerwiegender Eingriff, wie ihn die zeitlich nicht befristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darstellt, auf die Diagnose "schwere andere seelische Abartigkeit" gestützt, muß aufgrund einer Gesamtschau von Täterpersönlichkeit und Taten feststehen, daß die Störung den Täter so nachhaltig in seiner Persönlichkeit geprägt hat, daß er im Zeitpunkt der Begehung der Taten aus einem starken, mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt hat. Steht, wie hier, für die Beurteilung der Schuldfähigkeit eine von der Norm abweichende sexuelle Präferenz im Vordergrund , muß diese den Täter im Wesen seiner Persönlichkeit so verändert haben , daß er zur Bekämpfung seiner Triebe nicht die erforderlichen Hemmungen aufbringt (vgl. BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 33, 37 und § 63 Zustand 23). Daher ist nicht jedes abweichende Sexualverhalten, auch nicht eine Devianz in Form einer Pädophilie (zum Begriff: Internationale Klassifikation psychischer Störungen ICD-10 F 65.4; Venzlaff/Foerster, psychiatrische Begutachtung 3. Aufl., S. 254 f.), die zwangsläufig nur unter Verletzung strafrechtlich geschützter Rechtsgüter verwirklicht werden kann, ohne weiteres gleichzusetzen mit einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB. Vielmehr kann auch nur eine gestörte sexuelle Entwicklung vorliegen, die als allgemeine Störung der Persönlichkeit, des Sexualverhaltens oder der Anpassung nicht den Schweregrad einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 21 StGB erreicht. Hingegen kann die Steuerungsfähigkeit etwa dann beeinträchtigt sein, wenn abweichende Sexualpraktiken zu einer
eingeschliffenen Verhaltensschablone geworden sind, die sich durch abnehmende Befriedigung, zunehmende Frequenz, durch Ausbau des Raffinements und durch gedankliche Einengung auf diese Praktiken auszeichnen (vgl. Nedopil , Forensische Psychiatrie 2. Aufl., S. 168).
Den dargelegten Anforderungen an die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten wird das angefochtene Urteil nicht in jeder Hinsicht gerecht. Nach den Urteilsfeststellungen hatte der Angeklagte - nicht ausschließbar auch während des Tatzeitraums - auch Sexualkontakte mit erwachsenen Frauen. Er lebte mindestens bis Mitte des Jahres 2001 mit seiner zweiten Ehefrau, die er 1999 kennengelernt und im Mai 2000 geheiratet hatte, und dem im März 2001 geborenen gemeinsamen Sohn zusammen. Der Angeklagte hat ferner mehrere nichteheliche Kinder von verschiedenen Partnerinnen. Im Jahr 2001 war die erwachsene Zeugin U. für kurze Zeit seine Lebensgefährtin. Dieses Sexualverhalten hätte zu einer Erörterung gedrängt, weshalb der Angeklagte im Tatzeitraum nur erheblich eingeschränkt in der Lage gewesen sein soll, seinen pädophilen Neigungen zu widerstehen und weshalb eine Einengung auf ein deviantes Sexualverhalten, mithin eine schuldrelevante süchtige Entwicklung (vgl. BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 37 und § 63 Zustand 23; Nedopil aaO, S. 168) vorgelegen hat.
Zwar deutet die Formulierung, die Sexualpartnerinnen des Angeklagten "seien immer jünger geworden, es habe sich schließlich um Mädchen im pubertären und vorpubertären Alter gehandelt" (UA 30) darauf hin, daß er sich auch schon vor dem Tatzeitraum Kindern sexuell zugewandt hatte. In Anbetracht seiner Sexualkontakte zu erwachsenen Frauen ist jedoch mit dieser Erwägung allein die Annahme des Landgerichts, beim Angeklagten habe eine "in
einer jahrelange(n) Entwicklung herausgebildete Pädophilie" (UA 36), mithin eine stabile und deshalb schuldrelevante deviante Sexualentwicklung (vgl. Nedopil aaO S. 168) vorgelegen, nicht hinreichend dargetan.
Die aufgezeigten Darlegungsmängel führen zur Aufhebung des Maßregelausspruchs. Über diesen ist deshalb umfassend neu zu befinden. Der Senat hebt auch die "zugehörigen" Feststellungen auf. Dazu zählen auch die der Schuldfähigkeitsbeurteilung zugrunde liegenden Feststellungen. Sollte der neue Tatrichter zum Schweregrad und zur Verfestigung der sexuellen Devianz des Angeklagten weiter gehende Feststellungen treffen können, wird die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus allerdings naheliegen; dies gilt insbesondere dann, wenn konkrete Anhaltspunkte für ein Zusammenwirken von Aggressivität und sexueller Devianz - gegebenenfalls auch außerhalb des hier anhängigen Verfahrens - gegeben sein sollten.
Der aufgezeigte Rechtsfehler bei der Schuldfähigkeitsbeurteilung läßt den Schuld- und Strafausspruch des angefochtenen Urteils unberührt. Denn
eine vollständige Aufhebung der Schuldfähigkeit scheidet hier von vorneherein aus; durch die Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB ist der Angeklagte bei der Strafzumessung nicht beschwert.
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 283/10
vom
6. Juli 2010
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 6. Juli 2010 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 8. März 2010 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt.
2
Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Maßregelausspruch hat hingegen keinen Bestand.
3
Das Landgericht hat - den Ausführungen des Sachverständigen folgend - angenommen, dass der Angeklagte die Tat im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit begangen habe. Bei dem Angeklagten bestehe eine Störung der Sexualpräferenz mit einer homosexuellen Orientierung auf junge, pubertierende Geschlechtspartner. Diese spezielle Ausrichtung werde von der Diagnose Pädophilie zwar nicht explizit ausgenommen, betreffe jedoch eine besondere sexuelle Neigung, die in der Literatur auch als Hebephilie bzw. als Ephebophilie bezeichnet werde. Die Persönlichkeitsstörung erfülle die Kriterien der schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB. Zwar unterläge die Alltagskompetenz des Angeklagten durch die Störung generell keiner Beeinträchtigung , im Beziehungsbereich gäbe es aber erkennbare Defizite, die auch durch mehrjährige therapeutische Zuwendung nicht aufgelöst werden konnten und immer wieder in einförmiger Weise zu sexuellen Handlungen an unter 14Jährigen geführt hätten. Insofern sei eine Einengung der Lebensbezüge des Angeklagten auf die Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse unübersehbar. Deshalb sei im Sinne des § 21 StGB von ausgeprägten Steuerungsmängeln hinsichtlich der Triebbefriedigung des Angeklagten auszugehen.
4
Die Ausführungen des Landgerichts zur - für eine Anordnung nach § 63 StGB positiv festzustellenden - verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten infolge einer schweren anderen seelischen Abartigkeit halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Sie belegen nicht, dass die Störung den Angeklagten so nachhaltig in seiner Persönlichkeit geprägt hat, dass sie den für die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit erforderlichen Schweregrad erreicht hat. Steht, wie hier, für die Beurteilung der Schuldfähigkeit eine von der Norm abweichende sexuelle Präferenz im Vordergrund, muss diese den Täter im Wesen seiner Persönlichkeit so verändert haben, dass er zur Bekämpfung seiner Triebe nicht die erforderlichen Hemmungen aufbringt (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 337; StV 2005, 20; BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 33, 37 und § 63 Zustand 23). Daher ist nicht jedes abweichende Sexualverhalten, auch nicht eine Devianz in Form einer Pädophilie (zum Begriff: Internationale Klassifikation psychischer Störungen ICD-10 F 65.4; Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung 5. Aufl. S. 343 f.), die zwangsläufig nur unter Verletzung strafrechtlich geschützter Rechtsgüter verwirklicht werden kann, ohne Weiteres gleichzusetzen mit einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB. Vielmehr kann auch nur eine gestörte sexuelle Entwicklung vorliegen, die als allgemeine Störung der Persönlichkeit, des Sexualverhaltens oder der Anpassung nicht den Schweregrad einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 21 StGB erreicht. Hingegen kann die Steuerungsfähigkeit etwa dann beeinträchtigt sein, wenn abweichende Sexualpraktiken zu einer eingeschliffenen Verhaltensschablone geworden sind, die sich durch abnehmende Befriedigung, zunehmende Frequenz, durch Ausbau des Raffinements und durch gedankliche Einengung auf diese Praktiken auszeichnen (vgl. Nedopil, Forensische Psychiatrie 3. Aufl. S. 204 f.).
5
Den dargelegten Anforderungen an die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die Ausführungen des Sachverständigen belegen nicht, dass beim Angeklagten eine Einengung auf ein deviantes Sexualverhalten in Gestalt einer schuldrelevanten süchtigen Entwicklung vorliegt. Eine solche Annahme wird von den Urteilsfeststellungen nicht getragen. Das Landgericht teilt die Anknüpfungstatsachen des Sachverständigen nicht mit. Nach den sonstigen Urteilsfeststellungen war der Angeklagte zuletzt im August 1997 einschlägig in Erscheinung getreten. Zum Zeitpunkt der letzten Vorverurteilung im Januar 2000 unterhielt er Sexualkontakte zu einem jungen Mann Anfang 20. Von 1998 bis 2002 ist er von dem Dipl.Psychologen und Psychotherapeuten S. psychotherapeutisch behandelt worden. Der Therapeut hat ihm im Jahre 2002 eine positive Entwicklung bescheinigt , die allerdings einen Rückfall nicht generell ausschließe. Seither ist der Angeklagte offenbar bis zu der hier abgeurteilten Tat am 31. Mai 2009 nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten. Diese Umstände, die eher zeigen, dass der Angeklagte sein Sexualverhalten über viele Jahre unter Kontrolle hatte , hätten zu der Erörterung gedrängt, weshalb der Angeklagte im Tatzeitraum nur erheblich eingeschränkt in der Lage gewesen sein soll, seinen pädophilen Neigungen zu widerstehen.
6
Der aufgezeigte Rechtsfehler bei der Schuldfähigkeitsbeurteilung lässt den Schuld- und Strafausspruch des angefochtenen Urteils unberührt, da eine vollständige Aufhebung der Schuldfähigkeit hier von vornherein ausscheidet. Durch die Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB bei der Strafzumessung ist der Angeklagte nicht beschwert.
Ernemann Solin-Stojanović Roggenbuck Mutzbauer Bender

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 321/13
vom
10. September 2013
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 10. September 2013
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 14. Februar 2013 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Nebenkläger an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechs Fällen, sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Nötigung und versuchten sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Sein Rechtsmittel ist, was den Schuldspruch anbelangt, aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO; hinsichtlich des Strafausspruchs führt es zur Aufhebung und Zurückverweisung.
2
Nach den Feststellungen des Landgerichts handelt es sich bei dem Angeklagten um einen Alkoholiker, der darüber hinaus abhängig ist von Opioiden, Sedativa und Hypnotika und der zudem gelegentlich Cannabis konsumiert. Diese Faktoren hatten jedoch - wie von der sachverständig beratenen Strafkammer zutreffend dargelegt - aus unterschiedlichen Gründen keinen Einfluss auf seine Schuldfähigkeit bei den von ihm verübten Missbrauchstaten.
3
Weiterhin liegt seine intellektuelle Leistungsfähigkeit im Bereich der Grenzbegabung (IQ-Wert-Bereich von 70-84), weshalb er seit 2007 in einer betreuten Sozialwohnung für psychisch Kranke lebt und unter gesetzlicher Betreuung steht. Schließlich hat der Sachverständige bei dem Angeklagten eine homosexuelle Pädophilie vom nicht ausschließlichen Typus diagnostiziert; eine genuine Pädophilie hat er hingegen ausgeschlossen, weil der Angeklagte erst im fortgeschrittenen Lebensalter mit pädophilen Handlungen in Erscheinung getreten sei und bis dahin auch befriedigende sexuelle Kontakte zu gleichaltrigen Frauen gehabt habe.
4
Das Landgericht hat angesichts dieser Diagnose eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten bei Tatbegehung ausgeschlossen. Seine Ausführungen hierzu begegnen rechtlichen Bedenken.
5
So stellt die Strafkammer maßgeblich darauf ab, dass es nach Darlegung des Sachverständigen keine über die Pädophilie als solche hinausgehende Persönlichkeitsstörung pathologischen Ausmaßes gebe. Ein solcher Ansatz ist jedoch rechtlich nicht tragfähig, da es unerheblich ist, ob die Persönlichkeitsveränderung "Krankheitswert" erreicht; das Merkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit erfasst gerade solche Veränderungen in der Persönlichkeit , die nicht pathologisch bedingt sind, also gerade keine krankhaften seelischen Störungen darstellen (BGH StGB § 21 Seelische Abartigkeit 33).
6
Eine Devianz im Sexualverhalten in Form einer Pädophilie ist zwar nicht ohne weiteres mit einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB gleichzusetzen. Vielmehr kann auch nur eine gestörte sexuelle Entwicklung vorliegen, die als allgemeine Störung der Persönlichkeit, des Sexualverhaltens oder der Anpassung nicht den Schweregrad einer anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 21 StGB erreicht. Ob eine Persönlichkeitsstörung im sexuellen Bereich das Wesen des Täters so nachhaltig verändert hat, dass er zur Bekämpfung seiner Triebe nicht die erforderlichen Hemmungen aufbringt, kann nur im Wege einer Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit des Täters unter Einbeziehung seiner Entwicklung, seines Charakterbildes sowie der ihm zur Last gelegten Taten einschließlich der ihnen zugrundeliegenden Motive festgestellt werden (BGHR StGB § 21 Seelische Abartigkeit 37). Eine solche Gesamtbetrachtung wird der neu entscheidende Tatrichter vorzunehmen und sich insbesondere damit auseinanderzusetzen haben, ob und ggf. in welchem Ausmaß sich die gravierende Intelligenzminderung des Angeklagten auf seine Fähigkeit ausgewirkt hat, seine pädophilen Neigungen zu beherrschen. Appl Schmitt Krehl Eschelbach Zeng

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 283/10
vom
6. Juli 2010
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 6. Juli 2010 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 8. März 2010 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt.
2
Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Maßregelausspruch hat hingegen keinen Bestand.
3
Das Landgericht hat - den Ausführungen des Sachverständigen folgend - angenommen, dass der Angeklagte die Tat im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit begangen habe. Bei dem Angeklagten bestehe eine Störung der Sexualpräferenz mit einer homosexuellen Orientierung auf junge, pubertierende Geschlechtspartner. Diese spezielle Ausrichtung werde von der Diagnose Pädophilie zwar nicht explizit ausgenommen, betreffe jedoch eine besondere sexuelle Neigung, die in der Literatur auch als Hebephilie bzw. als Ephebophilie bezeichnet werde. Die Persönlichkeitsstörung erfülle die Kriterien der schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB. Zwar unterläge die Alltagskompetenz des Angeklagten durch die Störung generell keiner Beeinträchtigung , im Beziehungsbereich gäbe es aber erkennbare Defizite, die auch durch mehrjährige therapeutische Zuwendung nicht aufgelöst werden konnten und immer wieder in einförmiger Weise zu sexuellen Handlungen an unter 14Jährigen geführt hätten. Insofern sei eine Einengung der Lebensbezüge des Angeklagten auf die Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse unübersehbar. Deshalb sei im Sinne des § 21 StGB von ausgeprägten Steuerungsmängeln hinsichtlich der Triebbefriedigung des Angeklagten auszugehen.
4
Die Ausführungen des Landgerichts zur - für eine Anordnung nach § 63 StGB positiv festzustellenden - verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten infolge einer schweren anderen seelischen Abartigkeit halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Sie belegen nicht, dass die Störung den Angeklagten so nachhaltig in seiner Persönlichkeit geprägt hat, dass sie den für die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit erforderlichen Schweregrad erreicht hat. Steht, wie hier, für die Beurteilung der Schuldfähigkeit eine von der Norm abweichende sexuelle Präferenz im Vordergrund, muss diese den Täter im Wesen seiner Persönlichkeit so verändert haben, dass er zur Bekämpfung seiner Triebe nicht die erforderlichen Hemmungen aufbringt (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 337; StV 2005, 20; BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 33, 37 und § 63 Zustand 23). Daher ist nicht jedes abweichende Sexualverhalten, auch nicht eine Devianz in Form einer Pädophilie (zum Begriff: Internationale Klassifikation psychischer Störungen ICD-10 F 65.4; Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung 5. Aufl. S. 343 f.), die zwangsläufig nur unter Verletzung strafrechtlich geschützter Rechtsgüter verwirklicht werden kann, ohne Weiteres gleichzusetzen mit einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB. Vielmehr kann auch nur eine gestörte sexuelle Entwicklung vorliegen, die als allgemeine Störung der Persönlichkeit, des Sexualverhaltens oder der Anpassung nicht den Schweregrad einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 21 StGB erreicht. Hingegen kann die Steuerungsfähigkeit etwa dann beeinträchtigt sein, wenn abweichende Sexualpraktiken zu einer eingeschliffenen Verhaltensschablone geworden sind, die sich durch abnehmende Befriedigung, zunehmende Frequenz, durch Ausbau des Raffinements und durch gedankliche Einengung auf diese Praktiken auszeichnen (vgl. Nedopil, Forensische Psychiatrie 3. Aufl. S. 204 f.).
5
Den dargelegten Anforderungen an die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die Ausführungen des Sachverständigen belegen nicht, dass beim Angeklagten eine Einengung auf ein deviantes Sexualverhalten in Gestalt einer schuldrelevanten süchtigen Entwicklung vorliegt. Eine solche Annahme wird von den Urteilsfeststellungen nicht getragen. Das Landgericht teilt die Anknüpfungstatsachen des Sachverständigen nicht mit. Nach den sonstigen Urteilsfeststellungen war der Angeklagte zuletzt im August 1997 einschlägig in Erscheinung getreten. Zum Zeitpunkt der letzten Vorverurteilung im Januar 2000 unterhielt er Sexualkontakte zu einem jungen Mann Anfang 20. Von 1998 bis 2002 ist er von dem Dipl.Psychologen und Psychotherapeuten S. psychotherapeutisch behandelt worden. Der Therapeut hat ihm im Jahre 2002 eine positive Entwicklung bescheinigt , die allerdings einen Rückfall nicht generell ausschließe. Seither ist der Angeklagte offenbar bis zu der hier abgeurteilten Tat am 31. Mai 2009 nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten. Diese Umstände, die eher zeigen, dass der Angeklagte sein Sexualverhalten über viele Jahre unter Kontrolle hatte , hätten zu der Erörterung gedrängt, weshalb der Angeklagte im Tatzeitraum nur erheblich eingeschränkt in der Lage gewesen sein soll, seinen pädophilen Neigungen zu widerstehen.
6
Der aufgezeigte Rechtsfehler bei der Schuldfähigkeitsbeurteilung lässt den Schuld- und Strafausspruch des angefochtenen Urteils unberührt, da eine vollständige Aufhebung der Schuldfähigkeit hier von vornherein ausscheidet. Durch die Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB bei der Strafzumessung ist der Angeklagte nicht beschwert.
Ernemann Solin-Stojanović Roggenbuck Mutzbauer Bender
7
Die Diagnose "Persönlichkeitsstörung" lässt für sich genommen eine Aussage über die Frage der Schuldfähigkeit des Täters nicht zu (vgl. u.a. BGH, Beschl. vom 4. Januar 2005 - 4 StR 529/04 m.w.N.). Für einen so schwerwiegenden Eingriff, wie ihn die Anordnung der zeitlich nicht befristeten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darstellt, kann die Diagnose einer "Persönlichkeitsstörung" stets nur unter engen Voraussetzungen und nur dann genügen, wenn feststeht, dass der Täter auf Grund dieser Störung aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt hat. Für eine solche Annahme bedarf es einer Gesamtschau, ob die Störungen beim Täter in ihrer Gesamtheit sein Leben vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen. Für die Bewertung der Schwere der Persönlichkeitsstörung und der Erheblichkeit der darauf beruhenden Verminderung der Schuldfähigkeit ist deshalb maßgebend, ob es auch im Alltag außerhalb der Straftaten zu Einschränkungen des beruflichen oder sozialen Handlungsvermögens gekommen ist. Erst wenn das Muster des Denkens , Fühlens und Verhaltens sich im Zeitverlauf als stabil erwiesen hat, können die psychiatrischen Voraussetzungen vorliegen, die rechtlich als schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB angesehen werden (vgl. BGH aaO). Diesen an die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Angeklagten und dessen Entwicklung zu stellenden Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 311/13
vom
1. Oktober 2013
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
1. Oktober 2013 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 30. April 2013 aufgehoben; die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen bleiben aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. Die hiergegen gerichtete, auf Verfahrensrügen und sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Beschuldigten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Beschuldigte seit 1984 an einer hebephrenen Psychose, die sich seither in situationsinadäquatem Verhalten, Verwahrlosung und Desorganisation äußerte. Er stand seit dieser Zeit unter Betreuung, war beginnend mit dem Sommer 1989 im Wesentlichen obdachlos und entwickelte eine schwere Alkoholabhängigkeit und eine konstante Inkontinenz. Mehrfach befand er sich in stationärer psychiatrischer Behandlung. Bei den Klinikaufenthalten erholte er sich jeweils schnell, um alsbald das Krankenhaus wieder zu verlassen und erneut in den Alkoholmissbrauch und die Verwahrlosung abzugleiten. Er nächtigte, weil er wegen seiner Inkontinenz oft nicht in Obdachlosenunterkünften verbleiben konnte, häufig in den Foyers von Geldinstituten, die er entsprechend verschmutzte. Die zahlreichen gegen ihn deshalb wegen Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigung geführten Ermittlungsverfahren wurden wegen Schuldunfähigkeit eingestellt. Inzwischen zeigt sich bei ihm das Krankheitsbild einer langjährigen, chronifizierten paranoiden Schizophrenie mit illusionären Verkennungen und Wahnwahrnehmungen , die sich zu systematisierten Wahnideen verdichtet haben und die er als beeinträchtigend erlebt. In deren Zentrum steht eine imaginäre Person namens "Kerski", die ihn mit "Toyota-Erpresserkugeln" sowie mit Gummipuppen und Blechmenschen bedroht.
3
Seit Juni 2010 hielt sich der Beschuldigte häufig im Bereich einer Kirche auf. Da er bei schlechtem Wetter den Kircheninnenraum verunreinigte, musste ihm von dem Gemeindepfarrer H. Hausverbot erteilt werden, das, nachdem der Beschuldigte danach die Kirche von außen und den sie umgebenden Friedhof verschmutzt hatte, auf das gesamte Kirchengelände ausgedehnt wurde. Der Beschuldigte hielt sich häufig nicht daran. Pfarrer H. sah indessen aus Mitleid von Strafanzeigen ab. Wenn der Beschuldigte auf einer Bank vor dem Friedhof saß, führte er oft mit lautstarker Stimme schreiend Selbstgesprä- che, die den Pfarrer im Gemeindehaus bei der Arbeit störten. Am 16. Juni 2012 schrie der Beschuldigte wieder herum. Als Pfarrer H. - wie schon öfter im Verlauf der letzten Jahre - hinausging und den Beschuldigten aufforderte, sich zu entfernen, blieb der Beschuldigte entgegen bisheriger Gewohnheit auch dann noch vor Ort, als der Pfarrer ankündigte, die Polizei zu rufen, und sich zur Verstärkung seiner Drohung mit seinem Mobiltelefon beschäftigte und vorgab, eine Nummer zu wählen. Der Beschuldigte nahm an diesem Tag in wahnhafter Realitätsverkennung an, bei Pfarrer H. handele es sich um eine von "Kerski" erschaffene Gummipuppe. Er fühlte sich von dieser bedroht und schlug dem Pfarrer deshalb mit einer großen, eineinhalb Liter fassenden und noch zur Hälfte mit einem Getränk gefüllten Plastikflasche kräftig auf den Kopf. Der Schlag zerstörte die Brille des Pfarrers und verursachte eine dislozierte Jochbogenfraktur, was zu einer dauerhaften, unauffälligen aber wahrnehmbaren Delle im Jochbein geführt hat.
4
Sachverständig beraten hat das Landgericht angenommen, dass der Beschuldigte in psychotischer Verkennung der Realität und damit ohne Unrechtseinsicht gehandelt habe. Da der Beschuldigte eine notwendige Behandlung verweigere, sei mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Begehung von der Anlasstat vergleichbaren Taten zu rechnen.
5
2. Während die Verfahrensrügen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Beschuldigten aufzeigen, hält die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
6
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht , dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat (en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2013 - 2 StR 94/13 mwN). Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist der Tatrichter auch verpflichtet, die wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen.
7
b) Während die psychische Erkrankung des Beschuldigten sowie dessen hierauf beruhende Schuldunfähigkeit bei der Tatbegehung ausreichend festgestellt und in der Beweiswürdigung belegt sind, fehlt es an einer ausreichenden Darlegung einer zukünftigen Gefährlichkeit des Beschuldigten.
8
Das Landgericht hat sich dem gehörten Sachverständigen angeschlossen. Dieser hat aus einer Beurteilung in Anlehnung an das Verfahren HCR 20 (historical clinical risk management - zu Einzelheiten vgl. Dahle, Grundlagen und Methoden der Kriminalprognose in Kröber u.a.: Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 3, S. 1, 30 f.) das Risiko gewalttätigen Verhaltens des Beschuldigten als deutlich erhöht bezeichnet. Der von dem Beschuldigten erreichte Totalwert (25 von 40 Punkten) liege deutlich oberhalb der Mittelwertbereiche für zivilpsychiatrische Patienten und innerhalb der Mittelwertbereiche für forensisch-psychiatrische Patienten. Es sei deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Anlasstat vergleichbaren Taten zu rechnen (UA S. 14). Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht bei der Prognose zukünftigen Verhaltens einseitig das Ergebnis des vom Sachverständigen genutzten statistischen Prognoseinstruments in den Blick genommen und dabei außer Acht gelassen hat, dass solche Instrumente zwar Anhaltspunkte über die Ausprägung eines strukturellen Grundrisikos liefern, indes nicht in der Lage sind, eine fundierte Einzelbetrachtung zu ersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203, 204; Urteil vom 11. Mai 2010 - 1 StR 40/10, NStZ 2010, 504, 506; Beschluss vom 22. Juli 2010 - 3 StR 169/10, StraFo 2011, 62; Beschluss vom 24. April 2013 - 5 StR 83/13 - juris). Eine solche Einzelbetrachtung muss sich auch mit dem Umstand auseinandersetzen , dass der Beschuldigte - jedenfalls nach den bisherigen Feststellungen - trotz einer bereits seit fast 30 Jahren bestehenden Erkrankung erstmals mit einer in den Bereich der mittleren Kriminalität fallenden Straftat in Erscheinung getreten ist. Zwar teilt das Urteil mit, der Bundeszentralregisterauszug des Beschuldigten weise seit 1991 insgesamt 78 Eintragungen zu Ermittlungsverfahren auf, die wegen Schuldunfähigkeit des Beschuldigten eingestellt worden sind; es ist indes nicht festgestellt, welche Taten des Beschuldigten den Verfahren zugrunde lagen, insbesondere ob sich darunter solche von gewisser Erheblichkeit befanden. Angesichts der an anderer Stelle im Urteil getroffenen Feststellung über 11 Ermittlungsverfahren wegen der Übernachtungen in den Räumen von Kreditinstituten allein in den Jahren 2011/2012 (UA S. 5) liegt es nahe, dass es sich auch bei den anderen Verfahren um solche wegen Delikten minderer Intensität gehandelt hat. Wenn aber nach jahrzehntelanger Erkrankung eine vereinzelte Tat der gefährlichen Körperverletzung zum Anlass für eine Unterbringung nach § 63 StGB genommen wird, bedarf es eingehenderer Darlegungen, warum der Beschuldigte jetzt seine paranoiden Ängste erstmals auf diese Weise ausagiert hat und unter welchen Umständen zukünftig von ihm welche Taten zu erwarten sind.
9
Im Hinblick auf die Verbesserung der Lebenssituation, die der Beschuldigte im Rahmen seiner vorläufigen Unterbringung in der Klinik für forensische Psychiatrie des LVR Klinikums E. nach den Feststellungen des Landgerichts derzeit erlebt (UA S. 7 und 15), bemerkt der Senat ergänzend: Auf eine ausreichende Begründung zukünftiger Gefährlichkeit des Beschuldigten für die Allgemeinheit kann nicht verzichtet werden, selbst wenn dessen Gesundheitszustand durch eine längerfristige Behandlung in einem forensischpsychiatrischen Krankenhaus gebessert werden könnte, denn nur die Belange der öffentlichen Sicherheit - nicht aber die Bemühungen um die Gesundheit des Patienten - können es rechtfertigen, einen Menschen auf unbestimmte Zeit einer Freiheitsentziehung zu unterwerfen (vgl. LK/Schöch, StGB, 12. Aufl., § 63 Rn. 1 mwN).
10
c) Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sind rechtsfehlerfrei getroffen und können deshalb aufrechterhalten bleiben.
Becker Pfister RiBGH Mayer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Gericke Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 602/13
vom
8. Januar 2014
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Januar 2014 beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 10. September 2013 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB). Mit seiner Revision rügt der Beschuldigte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts suchte der spätestens seit 2002 an einer schizophrenen Psychose leidende, bislang unbestrafte Beschuldigte am Tattag um eine Aufnahme in einer psychiatrischen Einrichtung nach, wobei er sich in einem akut psychotischen Zustand befand. Im Zuge seiner Aufnahmebemühungen stürzte er sich auf einen Arzt, brachte ihn zu Boden und würgte ihn. Er war wahnhaft bedingt davon überzeugt, dass dieser Arzt gegen ihn sowie seine Freundin intrigiere und dafür verantwortlich sei, dass sein Kind in einer Pflegefamilie untergebracht sei. Erst durch mehrere kräftige Faustschläge einer Ärztin konnte er dazu gebracht werden, von seinem Opfer abzulassen.
3
Dem Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen folgend hat das Landgericht angenommen, es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass der Beschuldigte auch zukünftig wenigstens gleichgewichtige Taten begehen werde.
4
2. Die Feststellungen des Landgerichts belegen nicht hinreichend, dass von dem Beschuldigten aufgrund seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Die für die Maßregelanordnung erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (vgl. BGH, Urteile vom 17. August 1977 – 2 StR 300/77, BGHSt 27, 246, 248 f., und vom 17. November 1999 – 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27). Dabei sind an die Darlegungen umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt – wie hier – unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 8. November 2006 – 2 StR 465/06, NStZ-RR 2007, 73, 74). Nach diesen Maßstäben hat die Strafkammer die Unterbringungsanordnung nicht tragfähig begründet.
5
Die getroffene Gefährlichkeitsprognose beruht auf der Erwägung, bei aufgrund fehlender Krankheitseinsicht abzusehendem Behandlungsabbruch oder unzureichender Medikation sei – ungeachtet des Umstands, dass die hier erfolgte Verurteilung seine erste sei – hochwahrscheinlich mit erneuten psychotischen Exazerbationen und damit einhergehend mit der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten durch den Beschuldigten zu rechnen. Angesichts bislang fehlender Vorbelastung hätte es das Landgericht indessen nicht bei diesem knappen Hinweis belassen dürfen, sondern eingehend erörtern müssen, warum der Beschuldigte in der Vergangenheit nicht durch Aggressionsdelikte in Er- scheinung getreten ist und welche prognoserelevanten Schlüsse hieraus zu ziehen sind. Dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine Straftaten begangen hat oder wie hier gänzlich unbelastet ist, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Taten (BGH, Beschlüsse vom 11. März 2009 – 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198, 199; vom 13. Dezember 2011 – 5 StR 422/11, StV 2012, 209 Rn. 6, vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, StV 2013, 206 Rn. 11, jeweils mwN).
6
Auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe kann der Senat nicht die notwendigen Darlegungen entnehmen. Zu in der Vergangenheit häufi- gen „fremdaggressiven Verhaltensweisen“ fehlt jegliche Erläuterung; das Glei- che gilt für den Umstand, dass der Beschuldigte 2012 „ins Wasser sprang, wo- bei ein Suizidversuch nicht ausgeschlossen werden“ konnte (UA S. 3).
7
3. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Eine abschließende Bewertung vermochte der Senat nicht zu treffen, weil nicht gänzlich ausgeschlossen erscheint, dass noch Feststellungen getroffen werden können, die eine Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB rechtfertigen. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die als Grundlage für die Gefährlichkeitsprognose heranzuziehende, vom Landgericht lediglich als (einfache) vorsätzliche Körperverletzung gewertete Anlasstat nicht allzu schwer wiegt und zudem gegenüber einem Betreuer begangen wurde, weswegen sie auch nicht mit vollem Gewicht als Beleg für die allgemeine Gefährlichkeit des Beschuldigten herangezogen werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2011 – 5 StR 422/11, aaO Rn. 7 mwN).
Basdorf Dölp König
Berger Bellay
7
Es fehlt an der gebotenen umfassenden Würdigung aller für die Beurteilung der Gefährlichkeit des Angeklagten relevanten Faktoren. Insoweit hat die Strafkammer nicht erkennbar berücksichtigt, dass der Angeklagte abgesehen von einem für die Gefährlichkeitsprognose irrelevanten Strafbefehl wegen falscher Verdächtigung lediglich eine Vorstrafe aus dem Jahr 2012 wegen Beleidigung und Bedrohung zum Nachteil des Zeugen B. aufweist, die ebenfalls vor der Garage des A. und im Kontext der dortigen Lagerung von Gasflaschen erfolgte. Darüber hinaus stellt die vorliegend abgeurteilte Beleidigung und Bedrohung des Zeugen das exakte Abbild der damaligen Tat dar. Die sich anschließende Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen L. hat sich wiederum dynamisch aus der verbalen Auseinandersetzung mit dem Zeugen B. entwickelt. Sie ist zudem die erste über bloße Verbalinjurien und Drohungen hinausgehende aggressive Handlung des Angeklagten. Ebenso wenig hat das Landgericht bedacht, dass der Angeklagte über viele Jahre in verschiedenen Arbeitsverhältnissen beschäftigt war, ohne dass es zu Auffälligkeiten oder Gewalthandlungen gekommen ist. Dies gilt - auch wenn der Angeklagte nach den Feststellungen zurückgezogen lebt - auch für seine privaten Lebensumstände.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 1 7 0 / 1 4
vom
10. Dezember 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Diebstahls
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Dezember
2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Dr. Eschelbach,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
der Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Pflichtverteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 10. Dezember 2013 wird verworfen. 2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen. Die hiergegen gerichtete und auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft ist auf die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus beschränkt. Das - vom Generalbundesanwalt nicht vertretene - Rechtsmittel bleibt erfolglos.

I.

2
Das Landgericht hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der 36 Jahre alte Angeklagte leidet seit etwa 1996 an einer mittlerweile chronisch gewordenen schweren Psychose aus den schizophrenen Formen- kreis gemäß ICD-10 F 20.0. Typische Symptome seiner Erkrankung sind ein paranoides Wahnerleben und Störungen der Impulskontrolle.
4
a) Als Folge seines Wahnerlebens bedrohte er im Januar 2001 einen Mitbewohner im Obdachlosenheim mit dem Messer und trat im Februar 2001 einer Frau in der Straßenbahn gegen den Oberschenkel. Am 3. November 2010 wurde er wegen Raubs in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Dem lag zu Grunde, dass der Angeklagte im Sommer 2009 einer Frau unvermittelt eine Plastiktüte über den Kopf stülpte, ihr mit einer Hand den Mund zuhielt und mit der anderen die Schulter umklammerte. Nach einem Gerangel, bei dem beide einen Abhang hinunter stürzten, gelang es dem Angeklagten, wie von vornherein beabsichtigt, der Geschädigten die Tasche zu entreißen. Zwar konnte die gutachterlich beratene Strafkammer keine Anhaltspunkte für eine akute schizophrene Episode zur Tatzeit feststellen. Aufgrund der bestehenden schizophrenen Grunderkrankung des Angeklagten konnte sie aber auch nicht ausschließen, dass seine Fähigkeit , das "Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln", infolge seiner Erkrankung zur Tatzeit erheblich vermindert war.
5
Nach der Entlassung aus der Strafhaft im Dezember 2012 war der Angeklagte obdach- und mittellos. Am 8. sowie am 11. Februar 2013 entwendete er in einem Ladengeschäft einige geringwertige Lebensmittel. Von Mitarbeitern darauf angesprochen gab er an, bezahlt zu haben bzw. seine Firma habe bereits bezahlt. Er ließ sich durchsuchen und gab die Waren zurück, reagierte aber im Übrigen laut und aggressiv.
6
b) Zu den Anlasstaten hat die Strafkammer folgende Feststellungen getroffen :
7
Am 26. Februar 2013 betrat der Angeklagte ein Schuhgeschäft und gab an, er wolle ein für ihn hinterlegtes und bereits bezahltes Paar Schuhe abholen. Nachdem er daraufhin gewiesen wurde, dass für ihn nichts hinterlegt worden sei, sah er sich in dem Geschäft um. Er ließ sich schließlich ein Paar Schuhe zur Anprobe aushändigen, entfernte das Sicherungsetikett und zog sie an. Einem Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes, der ihn bat, die Schuhe wieder auszuziehen , begegnete der Angeklagte laut und aggressiv. Als der Mitarbeiter versuchte , ihm Handschellen anzulegen, kam es zu einem Gerangel, bei dem niemand verletzt wurde. Die hinzugerufenen Polizeibeamten beschimpfte der Angeklagte lautstark (Fall 1).
8
Am 5. März 2013 hatte der Angeklagte die Wahrnehmung, eine ihm unbekannte Frau A. habe ihm gegenüber erklärt, sie sei die Eigentümerin einer Filiale der Firma K. in M. und er könne sich dort nehmen, was er wolle. Der Angeklagte begab sich daraufhin in die Filiale und nahm ein Paar Sportschuhe an sich. Er verließ das Geschäft, ohne die Schuhe zu bezahlen. Gegenüber der Kassiererin gab er an, die Schuhe seien ihm von der Filialleiterin geschenkt worden (Fall 2).
9
Am 6. März 2013 betrat er die Filiale erneut und steckte verschiedene Waren im Gesamtwert von rund 50 Euro in eine von ihm mitgeführte Plastiktüte. Nachdem er den Kassenbereich durchschritten hatte, sprach ihn ein Mitarbeiter an. Der Angeklagte wies wiederum daraufhin hin, dass es sich um Geschenke der Filialleiterin handele. Im Rahmen der folgenden polizeilichen Maßnahmen reagierte der Angeklagte zeitweise aggressiv und schrie die Beamten an (Fall

3).

10
2. Das Landgericht hat die Taten als Diebstahl (Fälle 2 und 3) bzw. versuchten Diebstahl (Fall 1) gewertet. Es hat angenommen, der Angeklagte habe bei Tatbegehung jeweils im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) gehandelt , da seine Einsichtsfähigkeit infolge seiner Erkrankung aufgehoben gewesen sei.
11
3. Eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hat das Landgericht abgelehnt. Gestützt auf das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen ist das Gericht zu der Einschätzung gelangt, dass bei dem dauerhaft an einer schizophrenen Psychose erkrankten Angeklagten eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für die Begehung erheblicher rechtswidriger Taten nicht bestehe.
12
Zwar seien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weitere Diebstahlstaten wie die festgestellten zu erwarten. Diese seien jedoch nicht als erheblich im Sinne des § 63 StGB einzustufen.
13
Für darüber hinaus gehende erhebliche Taten, insbesondere Gewalttaten , könne dagegen die erforderliche Gefahrenprognose nicht gestellt werden. Zwar sei der Angeklagte krankheitsbedingt im Jahr 2001 mit Gewalttaten in Erscheinung getreten. Seit nunmehr über zwölf Jahren seien aber keine weiteren vergleichbaren Übergriffe erfolgt. In Hinblick auf den Handtaschenraub im Jahr 2009 sei nicht festzustellen, dass die psychische Erkrankung des Angeklagten für die - auch normalpsychologisch erklärbare - Tat (mit-)ursächlich geworden wäre. Zudem sei die Fähigkeit des Angeklagten zu derart komplexen Tathandlungen inzwischen krankheitsbedingt sehr eingeschränkt und Anhaltspunkte für eine Gefahrensteigerung durch eine Verschärfung der Gedankenwelt bei dem Angeklagten seien nicht ersichtlich. Zwar habe der Angeklagte in den letzten Jahren lange Zeit in eng strukturierten und gesicherten Verhältnissen gelebt. Der Angeklagte sei aber auch außerhalb solcher geschützter Verhältnisse und unter psychotischem Erleben - selbst in sehr konfliktbeladenen Situationen - lediglich verbal aggressiv geworden bzw. habe laut geschrien. Zu zielgerichteten Tätlichkeiten gegen eine Person sei es nicht gekommen.

II.


14
Die Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg.
15
1. Die Staatsanwaltschaft hat den Freispruch des Angeklagten von dem Revisionsangriff ausgenommen. Die Beschränkung des Rechtsmittels ist im vorliegenden Fall zulässig (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juni 2008 - 4 StR 140/08, juris Rn. 14 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 318 Rn. 24).
16
2. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine die Unterbringung nach § 63 StGB rechtfertigende Gefährlichkeitsprognose verneint hat, halten rechtlicher Überprüfung stand.
17
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht , dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat (en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 5. Juni 2013 - 2 StR 94/13; BGH, Beschluss vom 29. April 2014 - 3 StR 171/14, jeweils mwN). An die Darlegungen sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt (BGH, Beschluss vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12, juris Rn. 10; Beschluss vom 4. Juli 2012 - 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338; Senat, Beschluss vom 8. November 2006 - 2 StR 465/06, NStZ-RR 2007, 73, 74).
18
b) Diese Grundsätze hat das Landgericht bei seiner Entscheidung beachtet.
19
Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob der Auffassung des Landgerichts zu folgen ist, der Tritt gegen den Oberschenkel im Jahre 2001 sei für sich genommen nicht als Tat zumindest mittlerer Kriminalität zu bewerten (UA S. 48). Denn das Landgericht ist mit rechtsfehlerfreien Erwägungen davon ausgegangen , dass bei dem Angeklagten keine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für die künftige Begehung vergleichbarer Gewaltdelikte besteht.
20
Dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine erheblichen Straftaten begangen hat, ist ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger solcher Straftaten (vgl. Senat, Beschluss vom 11. März 2009 - 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198, 199; Urteil vom 17. November1999 - 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27; BGH, Beschluss vom 4. Juli 2012 - 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338). Da der Angeklagte wiederholt auch in sehr problematischen Verhältnissen wie etwa in Obdachlosenheimen oder in Notschlafstellen gelebt und auch in konfliktbeladenen Situationen (wie nach Entdecken seiner Diebstahlstaten) keine Person gezielt körperlich angegriffen hat, ist es nicht zu beanstanden, dass das Gericht unter Abwägung aller Umstände davon ausgegangen ist, dass krankheitsbedingte tätliche Übergriffe seitens des Angeklagten künftig lediglich "möglich" seien. Damit feh- len Feststellungen zum Vorliegen einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades, denn eine lediglich latente Gefahr reicht für die Annahme einer Wahrscheinlichkeit (höheren Grades) nicht aus (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145, 147; Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 547/10; Senat, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241).
21
Soweit das Landgericht die von dem Angeklagten mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades zu erwartenden Eigentumsdelikte für nicht ausreichend erachtet hat, um eine Unterbringungsanordnung zu rechtfertigen, ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Fischer Appl Eschelbach Ott Zeng