Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Juli 2019 - 3 StR 254/19

published on 11/07/2019 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Juli 2019 - 3 StR 254/19
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 254/19
vom
11. Juli 2019
in dem Sicherungs- und Strafverfahren
gegen
wegen vorsätzlicher Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:110719B3STR254.19.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 11. Juli 2019 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten und Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 23. Januar 2019 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat aufgrund zweier Antragsschriften sowie zweier zunächst beim Amtsgericht eingereichter und eröffneter Anklageschriften verhandelt , den Beschuldigten bzw. Angeklagten (im Folgenden Beschuldigten) freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen wendet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Beschuldigten. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen litt der Beschuldigte unter einer paranoid-halluzinatorischen Psychose des schizophrenen Formenkreises, die sich immer wieder durch Wahnvorstellungen, akustische Halluzinationen sowie Bedrohungs- und Verfolgungsideen äußerte. Bei allen näher festgestellten 13 Taten, die im Zeitraum vom 1. Juni 2015 bis zum 7. Dezember 2017 lagen, war die Fähigkeit des Beschuldigten zur Steuerung seiner Handlungen infolge der bei ihm zu den jeweiligen Zeitpunkten vorliegenden Wahndynamik sowie der auf ihn unmittelbaren Einfluss nehmenden akustischen Halluzinationen mit hoher Erlebnisintensität aufgehoben.
3
2. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
4
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht , dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat (en) zu entwickeln. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist das Tatgericht auch verpflichtet, die wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (BGH, Beschluss vom 10. November 2015 - 3 StR 407/15, NStZ 2016, 144 f. mwN).
5
b) Nach den dargelegten Maßstäben ist den Urteilsgründen nicht sicher zu entnehmen, dass die Voraussetzungen für die Unterbringung vorliegen.
6
aa) Die Anordnung der Unterbringung setzt die Begehung einer rechtswidrigen Tat voraus, zu der grundsätzlich auch die inneren Merkmale des durch die Tat verwirklichten Straftatbestandes gehören. Dies gilt insbesondere bei solchen Taten, bei denen die innere Willensrichtung dafür entscheidend ist, ob sie als Versuch eines Verbrechens oder als Vergehen zu werten sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Oktober 2001 - 3 StR 305/01, juris Rn. 3; vom 24. September 2013 - 2 StR 338/13, StV 2014, 346 f.; s. auch zum natürlichen Vorsatz BGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 - 3 StR 181/15, NStZ-RR 2015, 273, 274).
7
Zur inneren Tatseite enthält das Urteil keine Feststellungen. Dies steht insbesondere einer rechtlichen Einordnung des Geschehens am 7. Dezember 2017 entgegen, als der Beschuldigte – so die Urteilsfeststellungen – in einem Musikgeschäft zunächst unter Vorhalt eines Messers Geld forderte, dies aber nicht weiterverfolgte, nachdem der Angesprochene eine Herausgabe verweigert hatte. Damit ist unklar, ob der Tatbestand einer versuchten besonders schweren räuberischen Erpressung erfüllt oder gegebenenfalls ein strafbefreiender Rücktritt anzunehmen und lediglich eine Bedrohung verwirklicht ist.
8
bb) Die Feststellung, dass der Beschuldigte bei allen Taten unter dem unmittelbaren Einfluss akustischer Halluzinationen mit hoher Erlebnisintensität stand, ist - von Einzelfällen abgesehen - weder durch die Beweiswürdigung noch durch die Gesamtumstände belegt. Zwar deuten lautstarke Selbstgespräche am 19. Oktober 2017, als er mit einem Hammer die Fensterscheibe eines Geschäftes einschlug, auf entsprechende Sinnestäuschungen hin. Dass bei sämtlichen anderen Vorfällen, insbesondere bei Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte mehrere Monate und rund zwei Jahre zuvor, ähnliche Fehlwahrnehmungen vorlagen, ergibt sich nicht ohne Weiteres (s. zum Erfordernis spezifisch tatbezogener Auseinandersetzung BGH, Beschlüsse vom 28. Mai 2018 - 3 StR 639/17, juris Rn. 2; vom 18. Juli 2018 - 5 StR 287/18, juris Rn. 11 mwN; Urteil vom 30. März 2017 - 4 StR 463/16, NStZ-RR 2017, 165, 167).
9
Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, dass die entsprechenden Zeugen dazu Angaben gemacht haben. Soweit auf die Darlegung des medizinischen Sachverständigen in allgemeiner Weise abgestellt wird, der Beschuldigte habe sich „aus einem psychotischparanoiden Verkennen der Situationen heraus in einer für ihn unmittelbar vorherrschenden akuten Bedrohungslage und unter unmittelbarem Einfluss der psychotischen Erlebnisveränderungen ohne Möglichkeiten einer eigenen Handlungskontrolle“ befunden, werden die zugrun- deliegenden Anknüpfungstatsachen nicht näher mitgeteilt.
10
cc) Da das Landgericht nicht angibt, welche Straftatbestände es als verwirklicht angesehen hat, ist dem Senat eine Prüfung der Gefährlichkeitsprognose auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe nicht möglich. Mangels jeglicher rechtlichen Würdigung der Taten kann der Senat nicht nachvollziehen, ob das Landgericht seiner Prognoseentscheidung eine zutreffende Wertung der Anlasstaten zugrunde gelegt hat (vgl. zur Bedeutung der Bewertung der Anlasstaten BGH, Beschlüsse vom 3. September 2015 - 1 StR 255/15, NStZ-RR 2016, 198, 199; vom 25. Februar 2014 - 4 StR 544/13, NStZ 2014, 269, 270; vom 27. August 2003 - 1 StR 327/03, NStZ-RR 2004, 10, 11). Dies gilt umso mehr, als sich die Einordnung – zumal mangels Angaben zur inneren Tatseite (s.o.) – nicht von selbst erschließt. So ist nicht nur ungewiss , wie das Landgericht das Geschehen am 7. Dezember 2017 rechtlich bewertet hat, sondern etwa auch, inwieweit es die Vorfälle, bei denen sich der Beschuldigte gegen seine Festnahme durch Polizeibeamte wehrte, möglicherweise als vorsätzliche Körperverletzung angesehen hat.
11
3. Die Sache bedarf aus den dargelegten Gründen insgesamt der neuen Verhandlung und Entscheidung. Da das Verschlechterungsverbot gemäß § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht entgegensteht, im Strafverfahren an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen, ist der – lediglich in Bezug auf die Tatvorwürfe der Anklageschriften gebotene – Freispruch ebenfalls aufzuheben (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2013 - 3 StR 349/13, juris Rn. 8; KK-Gericke, StPO, 8. Aufl., § 358 Rn. 24).
12
Vor diesem Hintergrund kann dem neuen Tatgericht die freibeweisliche Prüfung überlassen bleiben, ob der von lediglich zwei Richtern unterschriebene Beschluss des Landgerichts vom 28. September 2018, mit dem das zuvor beim Amtsgericht geführte Verfahren übernommen sowie mit einem weiteren Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden ist, wirksam ist (vgl. zum Maßstab BGH, Beschlüsse vom 14. Juli 2016 - 2 StR 514/15, NStZ 2017, 55, 56; vom 17. Oktober 2013 - 3 StR 167/13, NStZ 2014, 400 f.).
13
4. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
14
a) Hinsichtlich des Geschehens am 9. September 2017 hat der Geschädigte G. ausweislich des zu den Akten genommenen Formulars ausdrücklich keinen Strafantrag gestellt. Eine etwaige Körperverletzung zu seinem Nachteil kann daher nicht als Anlasstat herangezogen werden (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 1982 - 4 StR 472/82, BGHSt 31, 132), sofern nicht die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht.
15
b) Zur Verbreiterung der Prognosegrundlage kann es angezeigt sein, die Vorfälle in der einstweiligen Unterbringung näher aufzuklären.
16
c) Schließlich ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) im Allgemeinen ausdrücklich in Bedacht zu nehmen (s. BGH, Beschluss vom 23. September 2015 - 4 StR 371/15, juris Rn. 10).
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

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(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen. (2) Das angefochtene Urte
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.

Eine Maßregel der Besserung und Sicherung darf nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht.