Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Dez. 2018 - 3 StR 391/18

bei uns veröffentlicht am19.12.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 391/18
vom
19. Dezember 2018
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
ECLI:DE:BGH:2018:191218B3STR391.18.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 19. Dezember 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 20. März 2018 im Strafausspruch aufgehoben ; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit welcher er die Verletzung materiellen und - nicht näher ausgeführt - formellen Rechts rügt, hat aufgrund der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
1. a) Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils schuldete der Angeklagte dem Geschädigten H. aus dem Kauf einer Hose 20 €. Deswegen stellte der Zeuge H. am 15. September 2017 im Beisein des A.
den Angeklagten zur Rede und forderte ihn auf, den restlichen Kaufpreis zu bezahlen. Als der Angeklagte entgegnete, er könne nicht zahlen, verlangte H. die Hose zurück. Der Angeklagte lehnte auch dieses ab. Der alkoholisierte H. ärgerte sich darüber und rangelte mit dem Angeklagten, dem es gelang, den Zeugen wegzuschubsen. Dieser versetzte aus Verärgerung dem Angeklagten eine schmerzende Ohrfeige. Zu einem weiteren Angriff setzte H. nicht an, was auch der Angeklagte erkannte. Dennoch stieß er, "nicht ausschließbar, weil er aufgrund der erhaltenen Ohrfeige zornig war und sich hierdurch herabgesetzt fühlte", dem Zeugen sein Klappmesser in den Oberbauch und durchtrennte innerhalb der Wunde willentlich mit einer weiteren Schnittbewegung den linksseitigen Bauchmuskel.
3
b) Das Landgericht hat bei der Strafzumessung die Voraussetzungen des § 213 Alternative 1 StGB abgelehnt: Der Angeklagte habe durch seine Ankündigung , weder den Kaufpreis zu bezahlen noch die Hose zurückzugeben, die Ohrfeige herausgefordert; H. s körperlicher Angriff sei verständlich.
4
Nach Abwägung der strafmildernden Umstände mit den straferschwerenden Gründen hat das Landgericht keinen minder schweren Fall nach § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB angenommen. Dabei hat es zu Lasten des Angeklagten gewürdigt, er habe "den Zeugen H. wahrheitswidrig einer - gemeinsam mit A. begangenen - gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB unter Vornahme mehrerer Schläge bezichtigt".
5
2. Diese Strafzumessungserwägungen halten sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
6
a) Bereits die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei nicht ohne eigene Schuld in die Auseinandersetzung mit H. geraten, so dass § 213 Alternative 1 StGB nicht anwendbar sei, begegnet durchgreifenden Bedenken.
7
aa) Nicht "ohne eigene Schuld" handelt der Täter, der das Opfer zu seinem Verhalten herausfordert. Das ist nicht schon bei jeder Handlung des Täters der Fall, die ursächlich für die ihm zugefügte Misshandlung gewesen ist. Vielmehr muss er dem Opfer genügende Veranlassung gegeben haben; dessen Verhalten muss eine verständliche Reaktion auf vorangegangenes Tun des Täters gewesen sein. Dabei ist die Verständlichkeit auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit zu prüfen (BGH, Beschlüsse vom 9. August 1988 - 4 StR 221/88, BGHR StGB § 213 Alternative 1 Verschulden 1; vom 2. Oktober 1985 - 3 StR 376/85, StV 1986, 200; vom 26. April 1985 - 2 StR 181/85, StV 1985, 367; vom 22. Juli 1981 - 3 StR 254/81, juris Rn. 4).
8
Die Ohrfeige ist hier nicht als angemessene Reaktion des Geschädigten auf die Leistungsverweigerung des Angeklagten zu werten. Es ist überzogen und nicht mehr verständlich, dass der Zeuge H. zum Durchsetzen seiner Forde - rung zunächst eine Rangelei begann und den Angeklagten schließlich sogar ohrfeigte, mithin Gewalt ausübte.
9
bb) Die Ohrfeige ist nach den Umständen des vorliegenden Falles als ausreichend schwere Provokation zu werten. Sie griff nicht lediglich nur geringfügig in die körperliche Unversehrtheit des Angeklagten ein, sondern erreichte wegen der erlittenen Schmerzen die erforderliche Erheblichkeit für eine Misshandlung im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Sep- tember 2017 - 1 StR 436/17, NStZ-RR 2018, 20, 21; vom 13. Januar 2016 - 1 StR 581/15, StraFo 2016, 167).
10
b) Zum als straferschwerend gewürdigten Umstand, den Zeugen H. zu Unrecht der gefährlichen Körperverletzung bezichtigt zu haben, hat der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt: "Grundsätzlich ist es einem Angeklagten nicht verwehrt, sich gegen den Vorwurf der Körperverletzung mit der Behauptung zu verteidigen, er habe in Notwehr gehandelt. Soweit damit Anschuldigungen gegen Dritte verbunden sind, werden die Grenzen eines zulässigen Verteidigungsverhaltens dadurch nicht überschritten. Eine wahrheitswidrige Notwehrbehauptung kann erst dann straferschwerend gewertet werden, wenn Umstände hinzukommen, nach denen sich dieses Verteidigungsverhalten als Ausdruck einer zu missbilligenden Einstellung darstellt (BGH, NStZ-RR 2013, 170, 171; vgl. auch Senat, NStZ 2010, 692; BGH, NStZ-RR 1999, 328). Vorliegend lag in der unzutreffenden Behauptung des Angeklagten, er habe nur deshalb mit dem Messer in der Hand nach dem Zeugen H. geschlagen, weil dieser ihn nach mehreren unter Beteiligung A. s ausgeführten Schlägen erneut anzugreifen versucht habe (UA S. 10), keine über das Leugnen eigener Schuld hinausgehende , herabwürdigende Ehrverletzung des Geschädigten, die strafschärfend berücksichtigt hätte werden können; auch eine über das zulässige Verteidigungsverhalten hinausgehende, rechtsfeindliche Gesinnung ist den Angaben nicht zu entnehmen (vgl. BGH, NStZ-RR 1999, 328, 329; Senat, NStZ 2010, 692). Die Falschbelastung des Zeugen H. hätte deshalb nicht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt werden dürfen."
11
3. Die Strafe ist daher neu zu bemessen. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es bei diesem Wertungsfehler nicht (§ 353 Abs. 2 StPO). Neue Feststellungen sind möglich, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.
Schäfer Tiemann Berg
Hoch Leplow

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Dez. 2018 - 3 StR 391/18

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Dez. 2018 - 3 StR 391/18

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Dez. 2018 - 3 StR 391/18 zitiert 7 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 224 Gefährliche Körperverletzung


(1) Wer die Körperverletzung 1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,4. mit einem anderen Beteiligten gemeins

Strafprozeßordnung - StPO | § 353 Aufhebung des Urteils und der Feststellungen


(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren

Strafgesetzbuch - StGB | § 223 Körperverletzung


(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.

Strafgesetzbuch - StGB | § 213 Minder schwerer Fall des Totschlags


War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minde

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Dez. 2018 - 3 StR 391/18 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Dez. 2018 - 3 StR 391/18 zitiert 2 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Sept. 2017 - 1 StR 436/17

bei uns veröffentlicht am 19.09.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 436/17 vom 19. September 2017 in der Strafsache gegen wegen Totschlags ECLI:DE:BGH:2017:190917B1STR436.17.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerde

Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Jan. 2016 - 1 StR 581/15

bei uns veröffentlicht am 13.01.2016

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 581/15 vom 13. Januar 2016 in der Strafsache gegen wegen versuchten Totschlags u.a. ECLI:DE:BGH:2016:130116B1STR581.15.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Januar 2016 beschlossen : 1. Auf die
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Dez. 2018 - 3 StR 391/18.

Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Jan. 2019 - 1 StR 585/18

bei uns veröffentlicht am 22.01.2019

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 585/18 vom 22. Januar 2019 in der Strafsache gegen wegen Totschlags ECLI:DE:BGH:2019:220119B1STR585.18.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesa

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 436/17
vom
19. September 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
ECLI:DE:BGH:2017:190917B1STR436.17.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführerin am 19. September 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 7. April 2017 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt; zudem hat es das bei der Tat verwendete Keramikhaushaltsmesser eingezogen. Gegen dieses Urteil wendet sich die Angeklagte mit ihrer auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet die Angeklagte an einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Subtypus. Sie erlebt intensiv Stimmungen, die sehr wechselnd, launenhaft sein können. Sie wird schnell traurig oder wütend, ist leicht reizbar und handelt häufig „aus dem Bauch heraus“, ohne über die Konsequenzen ihres Tuns nachzudenken. Zu- dem ist sie nur schwer in der Lage, mit Kritik an ihrer Person oder ihren Handlungsweisen umzugehen, was häufig zu Streit führt. Ihr Verhalten ist stark belohnungsabhängig mit der Neigung, nicht unmittelbar belohnte Handlungen aufzugeben, so dass es ihr schwer fällt, schwierige Zeiten um eines übergeordneten Zieles willen durchzustehen. Diese psychische Störung führte letztlich dazu, dass die Angeklagte keine Berufsausbildung absolvierte, Beschäftigungsverhältnisse nur von kurzer Dauer und auch Beziehungen instabil und nicht längerfristig waren. Sie stand unter einem erheblichen Leidensdruck, den sie mit einem riskanten Alkoholkonsum zu kompensieren versuchte. Eine Alkoholabhängigkeit ist bei der Angeklagten allerdings nicht gegeben.
3
Im Jahre 2012 lernte sie den 21 Jahre älteren späteren Geschädigten kennen und ging mit ihm 2014 eine Liebesbeziehung ein. Beide Partner behielten jedoch jeweils ihre Wohnungen. Nach einer in der Anfangszeit sehr harmonischen Beziehung führte insbesondere eine schwere Krebserkrankung der Mutter der Angeklagten dazu, dass sich der Geschädigte vernachlässigt fühlte und zunehmend eifersüchtig wurde, ohne dass die Angeklagte ihm hierzu einen Anlass gegeben hatte. Er machte ihr immer wieder Vorhaltungen und drohte mehrfach, sich das Leben zu nehmen, wobei er sich jeweils ein Messer an den Hals hielt. Er beabsichtigte dabei nicht ernstlich, sich das Leben zu nehmen, sondern versuchte lediglich, die Angeklagte unter Druck zu setzen. Aufgrund von Streitigkeiten kam es mehrfach dazu, dass die Angeklagte dem Geschädigten den Wohnungsschlüssel zu ihrer Wohnung entzog.
4
Im Frühjahr des Jahres 2016 gerieten beide wiederum in einen heftigen Streit, wobei der Geschädigte der Angeklagten erstmals eine Ohrfeige gab, die sie damit beantwortete, dass sie ihm ebenfalls eine Ohrfeige gab und ihn aus ihrer Wohnung verwies. Die Schwierigkeiten verschärften sich, als die Ange- klagte Ende August 2016 mit ihrer Mutter während einer Pause in deren Chemotherapie eine Reise unternahm. Während dieser Reise „bombardierte“ der grundlos eifersüchtige Geschädigte die Angeklagte mit „WhatsApp“- Nachrichten und Vorwürfen. Die Angeklagte stand unter einem erheblichen emotionalen Druck und war erschöpft. Auch nach ihrer Rückkehr am 1. September 2016 war die Stimmung zwischen ihr und dem Geschädigten äußerst angespannt. Sie machte dem Geschädigten deshalb klar, dass sie zunächst Abstand brauche und er in seiner Wohnung übernachten müsse, was dieser auch akzeptierte.
5
Am Abend des 5. September 2016 befanden sich die Angeklagte und der Geschädigte in der Wohnung der Angeklagten. Sie ärgerte sich zunehmend darüber, dass sie auch für den Geschädigten arbeitete, obwohl sie müde war. Er gewann entgegen den tatsächlichen Gegebenheiten den Eindruck, dass die Angeklagte mit anderen Männern über das Smartphone Kontakte knüpfte, und steigerte sich weiter in seine Eifersucht hinein. Gegen 23.30 Uhr kam der Geschädigte aus dem Schlafzimmer ins Wohnzimmer und versetzte der am Wohnzimmertisch sitzenden Angeklagten völlig unvermittelt und ohne ein Wort zu sagen eine heftige Ohrfeige, worauf sie nach rechts mit dem Stuhl auf den Boden kippte. Als sie versuchte, nach ihm zu treten, versetzte er ihr noch eine Ohrfeige. Durch die Ohrfeigen erlitt die Angeklagte u.a. eine Verletzung an der Lippe sowie Schürfungen und Rötungen. Die nunmehr völlig aufgebrachte Angeklagte stand daraufhin auf, gab dem Geschädigten ebenfalls eine Ohrfeige und verwies ihn der Wohnung. Aus Wut und um ihrer Forderung, er solle die Wohnung verlassen, Nachdruck zu verleihen, warf sie eine befüllte Bonbonschale aus Glas in Richtung des Geschädigten. Die Schale schlug am Boden auf und zersplitterte. Der Geschädigte machte gleichwohl keine Anstalten, die Wohnung zu verlassen.
6
Die Angeklagte blieb zunächst in der Küche, um abzuwarten, dass der Geschädigte ihrer Aufforderung nachkommen werde. Sie schaute dann aus der Küche heraus und forderte den Geschädigten mehrfach auf, die Wohnung zu verlassen, ohne dass dieser dem nachkam. Als sie ein weiteres Mal aus der Küche herausblickte, sah sie den Geschädigten, ein kleines Küchenmesser in der Hand haltend, im Flur stehen. Sie fragte ihn, ob er nun „wieder damit anfange“ , da sie befürchtete, er werde nunmehr wieder damit drohen, sich in ihrer Wohnung das Leben zu nehmen. Auch hegte sie die Befürchtung, er könne ihr das Gesicht zerschneiden, wie er es bereits einmal angekündigt hatte. Sie wollte unbedingt Distanz zu dem Geschädigten bekommen, musste aber erkennen, dass er dies ignorierte. Dies steigerte ihre Wut darüber, dass er ihrer mehrfachen Aufforderung, die Wohnung zu verlassen, keine Folge leistete, nochmals erheblich. Daher wollte sie dieser Aufforderung Nachdruck verleihen. Sie nahm in der Küche aus einer Plastikbox ein 32,5 cm langes Küchenmesser und trat damit dem Geschädigten, der seinerseits das zuvor von ihm in der Hand gehaltene Messer wieder abgelegt hatte, entgegen. Sie forderte ihn schreiend nochmals auf, die Wohnung zu verlassen. Sie hielt das Messer in Hüfthöhe vor sich, trat auf ihn zu und stach ihm mit einem mit mäßigem Kraftaufwand geführten Stich von vorne in den linken Oberbauch. Dabei nahm sie billigend in Kauf, dass der von ihr zur Erreichung ihres Ziels geführte Stich, den Geschädigten aus der Wohnung zu verweisen, diesen töten könnte. Die hierbei verursachte Stichverletzung führte in kürzester Zeit zum Tod des Geschädigten. Er schlug mit einem dumpfen Schlag mit dem Hinterkopf auf den Boden und verstarb. Nach der Wertung des Landgerichts war die Steuerungsfähigkeit der Angeklagten bei der Tat wegen ihrer Alkoholisierung mit einer Blutalkoholkonzentration von maximal 1,64 Promille in Kombination mit ihrer Persönlichkeitsstörung im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert.
7
2. Das Landgericht hat die Tat als Totschlag gemäß § 212 Abs. 1 StGB gewertet. Im Rahmen der Strafzumessung hat es das Vorliegen eines minder schweren Falls nach § 213 1. Alt. StGB verneint, weil der finale Bauchstich nicht auf das Vorgeschehen zurückzuführen sei. Auf dieses habe die Angeklagte mit dem Tritt in die Richtung des Geschädigten, einer Ohrfeige, seines Verweises aus der Wohnung und dem in seine Richtung gezielten Wurf einer gläsernen Bonboniere abschließend reagiert. Auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung und unter Berücksichtigung des vertypten Strafmilderungsgrundes der eingeschränkten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) hat das Landgericht jedoch einen sonstigen minder schweren Fall (§ 213 2. Alt. StGB) angenommen.

II.


8
Die Revision der Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Die Feststellungen des Landgerichts beruhen auf einer lückenhaften und deshalb durchgreifend rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung.
9
1. Bereits die Beweiswürdigung zum Tathergang hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Damit fehlt es an einer tragfähigen Grundlage für eine Verurteilung der Angeklagten wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts.
10
a) An die Bewertung der Einlassung eines Angeklagten sind die gleichen Anforderungen zu stellen wie an die Beurteilung sonstiger Beweismittel (vgl. BGH, Urteil vom 16. August 1995 – 2 StR 94/95, BGHR StPO § 261 Einlassung 6). Dabei sind entlastende Angaben des Angeklagten nicht schon deshalb als unwiderlegbar hinzunehmen, weil es für das Gegenteil keine unmittelbaren Beweise gibt. Auch im Übrigen hat das Tatgericht aufgrund einer Gesamtwür- digung des Ergebnisses der Beweisaufnahme seine Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit des Beweisergebnisses zu bilden (st. Rspr.; vgl. nur BGH aaO BGHR Einlassung 6 sowie Ott in KK-StPO, 7. Aufl., § 261 StPO Rn. 57 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung).
11
b) Diesen Maßstäben hält die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht stand. Die Urteilsausführungen lassen eine umfassende Würdigung der Einlassung der Angeklagten vermissen.
12
aa) Das Landgericht hat den Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen im Wesentlichen die Angaben der Angeklagten in der Hauptverhandlung zugrunde gelegt. Abweichend von ihrer Einlassung hat es sich jedoch davon überzeugt, dass die Angeklagte das Tatmesser nicht etwa zufällig im Rahmen von Arbeiten beim Kochen in der Hand gehabt habe, sondern dieses bewusst aus einer Box herausgenommen habe. Diese Überzeugung stützt das Landgericht auf entsprechende Angaben der Angeklagten bei einer polizeilichen Beschuldigtenvernehmung.
13
Zudem ist das Landgericht abweichend von der Einlassung der Angeklagten zu der Überzeugung gelangt, dass sie den tödlichen Stich bewusst ausgeführt habe. Das Landgericht hat dabei in den Blick genommen, dass sich die Angeklagte in der Hauptverhandlung eingelassen hatte, sie habe lediglich mit dem Messer vor dem Geschädigten „herum gefuchtelt“, um ihrer Forderung, er solle die Wohnung verlassen, Nachdruck zu verleihen. Da der Geschädigte sich auf sie zubewegt habe, habe sie befürchtet, dass er ihr nochmals eine Ohrfeige versetzen oder sie packen würde. Bei diesem Herumfuchteln müsse sie den Geschädigten mit dem Messer verletzt haben. Sie habe ihn aber überhaupt nicht verletzen und schon gar nicht umbringen wollen. Sie habe nur ge- wollt, dass er gehe. Das Landgericht hält die Einlassung der Angeklagten auch insoweit für widerlegt, zumal sie mit früheren Angaben in Widerspruch stehe. So habe die Angeklagte nicht nur in ihrer polizeilichen Vernehmung angegeben , das Messer nach vorne gehalten zu haben. Gegenüber den am Tatort eintreffenden Polizeibeamten habe sie sogar spontan geäußert, sie habe nur einmal zugestochen.
14
bb) Ausgehend hiervon hätte das Landgericht auch die übrigen Angaben der Angeklagten nicht ohne weiteres den Feststellungen zugrunde legen dürfen. Vielmehr hätte es erörtern müssen, ob über die vom Landgericht für widerlegt angesehenen Angaben hinaus auch die weiteren Angaben der Angeklagten nicht der Wahrheit entsprachen. Denn entlastende Angaben des Angeklagten sind nicht schon deshalb als unwiderlegbar hinzunehmen, weil es für das Gegenteil keine unmittelbaren Beweise gibt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 16. August 1995 – 2 StR 94/95, BGHR StPO § 261 Einlassung 6). Das Landgericht hätte daher insbesondere erörtern müssen, ob die Einlassung der Angeklagten auch insoweit unwahr war, als sie behauptete, der Geschädigte habe ihr völlig unvermittelt und ohne ein Wort zu sagen eine Ohrfeige gegeben, woraufhin sie mit dem Stuhl auf den Boden gekippt sei.
15
cc) Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich dieser Beweiswürdigungsmangel nicht nur zum Vorteil, sondern auch zum Nachteil der Angeklagten ausgewirkt hat. Da mithin die Feststellungen zum Tatablauf insgesamt keinen Bestand haben können, fehlt auch dem Schuldspruch eine tragfähige Grundlage. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
16
2. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat zum Tatbestands- merkmal „auf der Stelle zur Tat hingerissen“ in § 2131. Alt. StGB auf Folgendes hin:
17
Für dieses Merkmal ist nicht entscheidend, ob sich die Tat als „Spontan- tat“ darstellt. Vielmehr kommt es darauf an, ob der durch eine schwere Provo- kation, die in Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls auch in Ohrfeigen liegen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Januar 2016 – 1 StR 581/15, StraFo 2016, 167), hervorgerufene Zorn noch angehalten und als nicht durch rationale Abwägung unterbrochene Gefühlsaufwallung fortgewirkt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. April 2007 – 5 StR 134/07, NStZ-RR 2007, 200 und vom 28. September 2010 – 5 StR 358/10, NStZ-RR 2011, 10). Entscheidend ist, ob ein motivationspsychologischer Zusammenhang zwischen der Misshandlung oder Beleidigung durch das Opfer und der Körperverletzungshandlung des Täters besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Oktober 1999 – 2 StR 384/99, NStZ-RR 2000, 80). Das kann auch noch nach mehreren Stunden der Fall sein (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 1984 – 3 StR 443/83, NStZ 1984, 216; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 213 Rn. 9a). Die Annahme des Landgerichts, die Angeklagte habe auf die beiden Ohrfeigen des Geschädigten am Tatabend mit dem Tritt in die Richtung des Geschädigten, eine ihm gegebene Ohrfeige, seines Verweises aus der Wohnung und dem in seine Richtung gezielten Wurf einer Bonboniere abschließend reagiert, genügte angesichts der Feststellungen zum weiteren Tatablauf und zur Persönlichkeit der Angeklagten diesen Maßstäben nicht. In diesem Zusammenhang könnte gegebenenfalls die beharrliche Weigerung des Geschädigten, die Wohnung zu verlassen, Gewicht erlangen.
Raum Jäger Bellay Fischer Hohoff

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 581/15
vom
13. Januar 2016
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:130116B1STR581.15.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Januar 2016 beschlossen :
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 30. Juli 2015 im Strafausspruch aufgehoben. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

I.

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt.
2
Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge und mehrere Verfahrensrügen gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat hinsichtlich des Strafausspruchs Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 24. November 2015 ausgeführt hat, unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

II.

3
Die Prüfung der Voraussetzungen eines minder schweren Falls des Totschlags gemäß § 213 StGB durch das Landgericht erweist sich als rechtsfehlerhaft.
4
Hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB hat das Schwurgericht lediglich ausgeführt, dass "schon keine 'schwere Beleidigung' und auch 'keine Misshandlung' des Opfers" vorlag. Dies entspricht aber nicht den Feststellungen, wonach der Geschädigte nach einer kurzen "verbalen Auseinandersetzung dem Angeklagten nicht ausschließbar zwei Ohrfeigen" versetzte (UA S. 19). Ohrfeigen sind regelmäßig mit der Zufügung von Schmerzen verbunden (BGH, Urteile vom 8. März 1990 - 2 StR 615/89, NJW 1990, 315 und vom 22. November 1991 - 2 StR 225/91, MDR 1992, 320). Insoweit hat das Landgericht auch keine Feststellungen getroffen, wonach das Wohlbefinden des Angeklagten durch die Ohrfeigen allenfalls in unerheblichem Maße beeinträchtigt worden sei (vgl. hierzu Joecks in MüKo-StGB, 2. Aufl. 2012, § 223 Rn. 12 ff.; Fischer, 63. Aufl. 2016, § 223 Rn. 6). Dagegen würde zudem sprechen, dass der Angeklagte nach den Ohrfeigen Blut in seinem Gesicht bemerkte (UA S. 19).
5
Danach kann der Senat nicht ausschließen, dass es sich bei den zwei Ohrfeigen lediglich um nicht geringfügige Eingriffe in die körperliche oder seelische Unversehrtheit des Täters handelte und diese die für eine Misshandlung im Sinne des § 223 StGB erforderliche Erheblichkeit erreicht haben (dazu näher Senat, Urteil vom 26. Februar 2015 - 1 StR 574/14, NStZ 2015, 582 f.).
6
Auf diesem Rechtsfehler beruht der Strafausspruch. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei vollständiger Würdigung aller maßgeblichen Strafzumessungsumstände einen minder schweren Fall angenommen hätte und zu einer geringeren Strafe gelangt wäre.
7
Die Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können bestehen bleiben (vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer kann ergänzende Feststellungen zum Strafausspruch treffen, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen. Raum Graf Jäger Cirener Fischer

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.