Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Sept. 2011 - 3 StR 298/11
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und einen zweijährigen Vorwegvollzug der Freiheitsstrafe angeordnet. Die auf die allgemeine Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
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- 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts geriet der Angeklagte mit zwei Männern in einen Streit, aus dem sich eine Rangelei entwickelte. Der Angeklagte erregte sich schließlich so sehr über seine beiden Kontrahenten, dass er sich entschloss, sie für ihr Verhalten ihm gegenüber abzustrafen. Er holte ein Springmesser mit einer Klingenlänge von 8,3 cm aus der Tasche, öffnete es und stach zuerst dem einen Mann mit bedingtem Tötungsvorsatz unterhalb der linken Brustwarze in die Brust. Sodann wandte er sich dem anderen Mann zu und stach diesem ebenfalls mit bedingtem Tötungsvorsatz mit dem Messer in den Bauch. Der Stich war potentiell lebensgefährlich. Wegen einer Ausweichbewegung des Opfers kam es nur zu einer geringfügigen Verletzung im Bauchbereich. Die beiden Verletzten hatten Angst vor weiteren Angriffen des Angeklagten , weil dieser das Messer weiterhin in der Hand hielt und mit diesem fuchtelnde Bewegungen vor ihnen machte. Es gelang ihnen mit vereinten Kräften , den Angeklagten zu überwältigen und ihm das Messer aus der Hand zu treten.
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- 2. Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen beruhen auf einer Beweiswürdigung ohne durchgreifenden Rechtsfehler. Zwar hat das Landgericht die Erklärung des Angeklagten, der sich erstmals in der Hauptverhandlung zur Sache geäußert und dies damit begründet hatte, er habe Absprachen zwischen den Zeugen im Vorfeld verhindern wollen, "angesichts der bis dahin - der Einlassung des Angeklagten zufolge unrechtmäßig - erlittenen mehrmonatigen Untersuchungshaft" für "unglaubhaft" gehalten, wogegen rechtliche Bedenken bestehen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2001 - 3 StR 580/00, BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 21). Indes kann der Senat angesichts der übrigen , umfassenden und gründlichen Beweiswürdigung ausschließen, dass die Überzeugung des Gerichts von dem objektiven Tatgeschehen auf dieser Erwä- gung beruht. Auch vom bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten hat sich die Strafkammer rechtfehlerfrei überzeugt.
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- 3. Der Schuldspruch hält gleichwohl rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil das Landgericht einen Rücktritt des Angeklagten vom zweifachen Tötungsversuch mit rechtlich nicht tragfähigen Überlegungen abgelehnt hat. Es hat lediglich ausgeführt, der Versuch sei fehlgeschlagen, ein Rücktritt deshalb nicht möglich. Dies reicht vorliegend nicht aus. Es ist angesichts der bisherigen Feststellungen nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte in strafbefreiender Weise von der weiteren Ausführung der Tötungsdelikte Abstand genommen hatte, ehe er niedergerungen und entwaffnet wurde.
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- a) Das Urteil lässt zunächst jegliche Ausführungen dazu vermissen, welche Vorstellungen sich der Angeklagte von den Folgen des gegen das erste Opfer geführten Messerstichs machte, als er von diesem unmittelbar nach dem Stich abließ und sich dem zweiten Opfer zuwandte. Ebenso wenig befasst sich das Landgericht mit der Frage, ob der Angeklagte durch diesen einen Stich das erste Opfer als ausreichend "abgestraft" ansah und nunmehr allein noch gegen das zweite Opfer vorgehen oder ob er sich nach dem Angriff gegen das zweite Opfer wieder dem ersten zuwenden wollte, um gegen dieses weitere Messerstiche zu setzen. Danach bleibt aber die Möglichkeit offen, dass der Angeklagte den Stich gegen das erste Opfer, das durch diesen nach den Feststellungen nicht unmittelbar in seiner Verteidigungsfähigkeit beeinträchtigt war, als nicht hinreichend erachtete, um zum Tod des Verletzten zu führen, er weitere Stiche gegen diesen für möglich hielt, sich aber gleichwohl allein noch gegen das zweite Opfer wandte, um nunmehr auch dieses "abzustrafen". In diesem Falle wäre der Angeklagte bereits zu diesem Zeitpunkt von dem ersten - unbeendeten - Tötungsversuch freiwillig zurückgetreten gewesen (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB), bevor er durch die Opfer überwältigt wurde und daher objektiv zu weiteren Messerstichen nicht mehr in der Lage war (s. insg. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 24 Rn. 14 ff. mwN zur ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs).
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- b) Aber auch das Geschehen nach dem Stich gegen das zweite Opfer wird vom Landgericht nicht unter den maßgeblichen rechtlichen Aspekten darauf geprüft, ob der Angeklagte von dem zweiten oder gegebenenfalls nunmehr zugleich von dem ersten Tötungsversuch zurückgetreten ist. Das Urteil stellt lediglich fest, dass beide Opfer die Befürchtung hatten, der Angeklagte werde sie weiterhin angreifen, als dieser vor ihnen stand und mit dem Messer herumfuchtelte. Was der Angeklagte tatsächlich mit diesen Bewegungen beabsichtigte , lässt das Landgericht indes unerörtert. Auf die Beweggründe des Angeklagten kommt es jedoch entscheidend an. Nur wenn er nach seiner Vorstellung damit den Angriff auf die Männer in dem Bestreben fortgesetzt hätte, diesen weitere lebensgefährdende Stiche zuzufügen, wäre die Annahme aufgrund der geleisteten Gegenwehr fehlgeschlagener Tötungsversuche möglich. Wäre hingegen der zweite Messerstich die letzte Ausführungshandlung der mit bedingtem Tötungsvorsatz vorgenommenen "Bestrafungsaktion" gewesen und hätte der Angeklagte, als er mit dem Messer herumfuchtelte, keinen weiteren Stich mehr setzen, sondern die beiden Männer nur von sich fernhalten wollen, käme es für die Frage des Rücktritts darauf an, welche Vorstellungen von den Folgen seines bisherigen Tuns und von seinen weiteren Handlungsmöglichkeiten er zu diesem Zeitpunkt hatte. Ging er davon aus, dass er seinen beiden Kontrahenten durch die zwei Stiche keine tödlichen Verletzungen beigebracht hatte, ihm dies aber noch möglich wäre, so lag in dem Abstandnehmen von weiteren Stichen und dem Übergang zu einem gegebenenfalls lediglich abwehrenden Herumfuchteln mit dem Messer ein Rücktritt vom unbeendeten und nicht fehlgeschlagenen Versuch der Tötung des zweiten und - soweit dies nicht schon auf- grund des Abbruchs des Angriffs auf das erste Opfer der Fall war (siehe oben
a) - jedenfalls nunmehr auch ein Rücktritt vom unbeendeten ersten Tötungsversuch , wenn der Angeklagte - etwa aufgrund der weiteren Verteidigungsfähigkeit des ersten Opfers - zumindest jetzt zu der Einschätzung gelangt sein sollte, diesem doch keine tödlichen Verletzungen beigebracht zu haben (sog. korrigierter Rücktrittshorizont; s. Fischer, aaO Rn. 15a ff. mwN).
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- Von den dargelegten Rechtsfehlern sind die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen nicht betroffen. Sie können deshalb aufrechterhalten bleiben. Der neue Tatrichter wird auf ihrer Basis umfänglich über die subjektive Seite neu zu entscheiden haben. Er kann dabei zum objektiven Geschehen ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen Feststellungen indes nicht widersprechen dürfen.
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- Die Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB muss, obwohl für sich genommen rechtsfehlerfrei getroffen, mit dem Urteil aufgehoben werden.
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- 4. Ergänzend bemerkt der Senat: Das Landgericht hat die für die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes notwendige Kenntnis des Angeklagten von der Lebensgefährlichkeit seiner Messerstiche auch damit begründet, dass die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten im Sinne der §§ 20, 21 StGB zur Tatzeit unbeeinträchtigt war. Dies erscheint rechtlich bedenklich. Die Fähigkeit zu er- kennen, dass ein Mensch nicht getötet oder verletzt werden darf, ist etwas anderes , weiter verbreitet und von situativen Umständen in geringerem Maße beeinträchtigt als die Fähigkeit zu erkennen, dass eine bestimmte Handlung zum Tod des Opfers führen kann.
Schäfer Menges
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.
(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern.
(2) Sind an der Tat mehrere beteiligt, so wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die Vollendung verhindert. Jedoch genügt zu seiner Straflosigkeit sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie ohne sein Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.