Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Feb. 2016 - 2 StR 308/15

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:250216B2STR308.15.0
bei uns veröffentlicht am25.02.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 308/15
vom
25. Februar 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
ECLI:DE:BGH:2016:250216B2STR308.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 25. Februar 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 27. Januar 2015 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Freiheitsberaubung , verurteilt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten – unter Freisprechung im Übrigen – wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, und wegen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es den Angeklagten verurteilt, ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.500 Euro nebst Zin- sen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14. November 2014 an die Nebenklägerin zu zahlen. Die dagegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts wohnte der Angeklagte im Dezember 2013 zusammen mit der Nebenklägerin in einer Wohngemeinschaft. Es kam zu Sexualkontakten, wobei sich die Nebenklägerin „nicht ausschließbar“ eine dauerhafte Liebesbeziehung zum Angeklagten erhoffte. Bereits An- fang Dezember 2013 war sie aber auch eine Beziehung zu dem Zeugen S. eingegangen, den sie am Abend des 12. Dezember 2013 besuchen wollte. Dies missfiel dem Angeklagten, der daraufhin das Schloss der Wohnung auswechselte, während ein weiterer Mitbewohner, der gesondert Verfolgte Sz. , die Nebenklägerin in der Küche bewachte. Da die Nebenklägerin die Wohnung nunmehr nicht mehr verlassen konnte, sagte sie dem Zeugen S. telefonisch ab. Dessen Nachfrage, ob sie Hilfe benötige, verneinte sie und legte sich schlafen. Gegen 4.30 Uhr in der Nacht legte sich der Angeklagte zu ihr ins Bett und versuchte, ihre Hose zu öffnen. Die Nebenklägerin, die dadurch erwachte, versuchte den Angeklagten wegzustoßen und nach ihm zu treten. Der Angeklagte hielt sie jedoch fest, zog ihre Hose und Slip herunter und führte den Analverkehr aus.
3
Am nächsten Morgen verließ die Nebenklägerin die Wohnung. In der Folgezeit hielt sie sich bei ihrer Mutter, bei Bekannten und später in der Woh- nung des Zeugen S. auf. Sie stand weiterhin im Kontakt zum Angeklagten, wobei es auch zu einvernehmlichen sexuellen Handlungen kam.
4
Am 18. Februar 2014 klopfte der Angeklagte an der Tür zur Wohnung des Zeugen S. , während sich die Nebenklägerin dort alleine aufhielt. Als diese öffnete, drängte er sofort hinein und schlug ihr mehrfach ins Gesicht. Dabei forderte er die Zahlung von 120 Euro, die die Nebenklägerin dem Angeklagten schuldete. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, drohte er auch mit einem Messer. Da die Nebenklägerin versicherte, über kein Geld zu verfügen, forderte er sie auf, sich welches zu besorgen und legte das Messer zur Seite. Er nahm ihr Mobiltelefon und Portemonnaie als Pfand an sich, woraufhin die Nebenklägerin anbot, gemeinsam zur Bank zu gehen, um zu beweisen, dass auch auf ihrem Konto kein Geld vorhanden sei. Während sich die Nebenklägerin im Bad ankleidete, kam der Angeklagte hinzu und forderte sie auf, sich nackt auszuziehen. Er wollte Nacktfotos von ihr fertigen, um den Zeugen S. damit zu ärgern. Da der Angeklagte mit Schlägen drohte, kam die Nebenklägerin dem nach. Nachdem der Angeklagte die Fotos gefertigt hatte, drückte er sie mit dem Oberkörper nach vorne, so dass sie sich abstützen musste. Sodann führte er von hinten gegen ihren erkennbaren Willen den Vaginalverkehr durch. Danach gingen sie gemeinsam zur Bank, wo die Nebenklägerin einen Kontoauszug ausdruckte, den sie dem Angeklagten zeigte. Er erklärte, dass sie bis zum Abend nunmehr 300 Euro zu zahlen habe und entfernte sich.
5
2. Der Angeklagte hat die Tat vom 12./13. Dezember 2013 bestritten. Er habe zwar das Schloss in der Wohnungstür ausgewechselt; dies aber aus einem anderen Grund. Zum Geschlechtsverkehr mit der Nebenklägerin sei es in dieser Nacht nicht gekommen. Das Geschehen am 18. Februar 2014 hat er insoweit eingeräumt als er die Geschädigte geschlagen und mit einem Messer bedroht habe, um deren Schulden einzutreiben. Auch sei es an diesem Tag zu einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zwischen beiden gekommen. Die zeitliche Reihenfolge hat er indes abweichend geschildert; die Nacktfotos habe er auf Betreiben der Nebenklägerin gefertigt.

II.

6
1. Die Verfahrensrügen haben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg.
7
2. Die Beweiswürdigung, die der Verurteilung des Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Freiheitsberaubung , zugrunde liegt, hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Vorliegend handelt es sich um einen Fall, in dem zu der entscheidenden Frage, ob ein Geschlechtsverkehr stattgefunden hat oder nicht (Tat am 12./13. Dezember 2013) und ob dieser in beiden Fällen einvernehmlich erfolgte oder aber mit Gewalt vom Angeklagten erzwungen wurde, letztlich Aussage gegen Aussage steht (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2015 – 1 StR 503/15). Darüber hinaus gab es konkrete Anhaltspunkte für das Vorhandensein eines Falschbelastungsmotivs der an einer Borderlinestörung erkrankten Geschädigten. Den sich aus alldem ergebenden besonderen Anforderungen wird die Beweiswürdigung nicht gerecht.
8
a) Das Landgericht hat seine Überzeugung vom Tathergang, soweit er von der Einlassung des Angeklagten abweicht, und insbesondere davon, dass es in beiden Fällen zu nicht einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gekommen ist, im Wesentlichen auf die Angaben der Nebenklägerin gestützt.
9
Zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage hatte die Strafkammer einen aussagepsychologischen Sachverständigen hinzugezogen. Anlass war, dass die Geschädigte bereits bei ihrer ersten polizeilichen Befragung angegeben hatte, psychisch labil zu sein und leicht in paranoide Zustände zu fallen, so dass der Unterschied zwischen Realität und der Scheinwelt vermischt werde (UA S. 23). Der Sachverständige hat sein Gutachten in der Hauptverhandlung erstattet und ausgeführt:
10
Bei der Geschädigten sei eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderlinetyp zu diagnostizieren. Grundlegend für diese Erkrankung sei eine Nähe-Distanz-Problematik, die sich im Kontaktverhalten dergestalt auswirke , dass Personen entweder idealisiert oder entwertet würden. Beziehungen würden schnell neu definiert. Früher gezeigte Verhaltensweisen würden nicht mehr wahrgenommen, was zu einer Umdeutung des eigenen Verhaltens führen könne. Dies wirke sich zwar nicht auf die Realitätswahrnehmung des Erkrankten aus. Das Wahrgenommene werde aber im Nachhinein anders interpretiert. Entweder es werde gar nicht berichtet oder aber in einem anderen Kontext, was bedeute, dass Aussageinhalte beeinträchtigt werden könnten. In dem Bemühen , vom Partner nicht verlassen zu werden, würde die eigene Person zum Beispiel als Opfer präsentiert, um Aufmerksamkeit zu erhalten. Auch aufgrund einer hieraus entstehenden Wut könne es zu Falschaussagen kommen. Die Geschädigte sei in der Lage, „so etwas“ ohne Erlebnishintergrund zu berichten (UA S. 26f.). Ein mögliches Motiv für eine absichtliche Falschbelastung könne aus dem Aufmerksamkeits- und Geltungsbedürfnis heraus entstehen. Für die Geschädigte sei es wichtig gewesen, dass der Angeklagte sich sexuell hauptsächlich ihr zugewandt habe. Wenn es einvernehmlicher Geschlechtsverkehr gewesen sei, stelle sich die Frage, warum sie dies nun anders darstelle. Das sei im Zusammenhang mit der Borderlinestörung zu sehen. Deshalb werde ein früheres Einverständnis mit dem Geschlechtsverkehr nicht mehr aufrechterhalten , sondern zurückgewiesen. Bei der Geschädigten seien auch Veränderungen in ihrer Einstellung zu den Geschehnissen festzustellen. Vor dem Hinter- grund der Persönlichkeit der Geschädigten gäbe es daher „hypothetische“ Motive für eine Falschaussage, „die nicht alle entkräftet werden könnten“ (UA S. 28). Unter Berücksichtigung insbesondere der Qualität und Konstanz der Aussage der Nebenklägerin sei „die Gesamtschau der Befunde“ mit der Alter- nativhypothese, dass die Aussage der Nebenklägerin erlebnisfundiert sei, „besser in Einklang zu bringen“ (UA S. 34f.).
11
Die Strafkammer ist den Aussagen des Sachverständigen „gefolgt“ und hat es – nach einer kursorischen eigenen Würdigung – im Ergebnis für ausge- schlossen erachtet, dass die Nebenklägerin das „tatsächliche Geschehen falsch berichtet“ habe.
12
b) Es fehlt die bei dieser Lage notwendige besonders sorgfältige Würdigung der Aussage der Nebenklägerin. Zwar lässt sich – worauf auch der Sachverständige hingewiesen hat – aus einer festgestellten Belastungsmotivation beim Zeugen nicht zwingend auf das Vorliegen einer Falschaussage schließen (BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 - 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 175). Warum die Unwahrhypothese hier letztlich überwunden werden konnte, erschließt sich jedoch nicht und lässt durchgreifende Erörterungs- und Darstellungsmängel erkennen.
13
Schon die Annahme, es handele sich nur um ein „hypothetisches“ Falschbelastungsmotiv geht darüber hinweg, dass die Nebenklägerin, die an einer Persönlichkeitsstörung vom Borderlinetyp leidet, nach den Feststellungen „nicht ausschließbar“ eine Liebesbeziehung mitdem Angeklagten erhofft hatte und auf den sexuellen Kontakt zum Angeklagten Wert legte. Die vor diesem Hintergrund nahe liegende Hypothese einer verschmähten Liebe als konkretes Motiv wird indes weder näher konkretisiert noch fallbezogen überprüft. Der Tatrichter ist jedoch bei konkreten Anhaltspunkten für das Vorliegen eines Falschbelastungsmotivs gehalten, diese naheliegende Möglichkeit zu prüfen (vgl. auch BGH, Urteil vom 27. März 2003 – 1 StR 524/02, NStZ-RR 2003, 206, 208).
14
Auch soweit der Sachverständige und ihm folgend die Strafkammer im Rahmen einer Gesamtbewertung den Umständen, „die (theoretisch) für eine Falschbelastung“ sprechen können, vor allem im Hinblick auf Qualität und Kon- stanz der Aussage der Geschädigten kein durchschlagendes Gewicht zumessen , zeigen sich Erörterungsmängel. Es wurde ersichtlich nicht bedacht, dass gerade dann, wenn die Vorwürfe im Rahmen einer bestehenden sexuellen Beziehung zwischen Täter und Opfer erhoben werden, bei der emotionale Erlebnisse und neutrales Randgeschehen ohne weiteres aus neutralen Erlebniswahrnehmungen generierbar sind, vorhandene Realkennzeichen, die sonst auf eine erlebnisfundierte Schilderung hindeuten, im konkreten Fall wenig aussagekräftig insbesondere dafür sein können, ob ein früheres Einverständnis mit dem Geschlechtsverkehr bestanden haben kann.
15
Aber auch soweit auf die Konstanz der Aussage abgestellt wird, bleibt offen , weshalb die allein im Hinblick auf das Kerngeschehen der Vergewaltigungen bestehende Konstanz maßgeblich mit zur Widerlegung der Unwahrhypothese beitragen kann. Der bloße Hinweis des Sachverständigen, dass die in zentralen und peripheren Angaben bestehenden Abweichungen für die Ge- schädigte „nicht alle wichtig“ waren, kann dies schon deshalb nicht auflösen, da an anderer Stelle auch darauf hingewiesen wird, dass die Nebenklägerin insbesondere zu ihrem Interesse an dem Angeklagten und ihren Kontakten zu ihm widersprüchlich berichtet habe und auch in ihrer Selbstpräsentation Abweichungen festzustellen seien. Überhaupt konnte der Sachverständige im Hinblick auf die teilweise inkonstanten Schilderungen der Nebenklägerin zu den Begleit- umständen der Taten und der Art ihrer Beziehung zum Angeklagten im Ergeb- nis nur eine „abgestufte Konstanz“ feststellen (UA. S. 31).
16
Letztlich wäre der Tatrichter unter diesen Umständen auch gehalten gewesen , in den Urteilsgründen im Zusammenhang darzustellen, was die Nebenklägerin bei früheren Vernehmungen, beim Sachverständigen und in der Hauptverhandlung ausgesagt hat, um dem Revisionsgericht eine Überprüfung der Beweiswürdigung, insbesondere der Aussagekonstanz, zu ermöglichen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2007 – 2 StR 258/07, StV 2008, 237; Beschluss vom 2. Dezember 2014 – 4 StR 381/14, NStZ-RR 2015, 82, 83). Die nur fragmentarische Erwähnung einzelner vom Sachverständigen in Bezug genommener Angaben der Geschädigten, wobei ihre Aussage in der Hauptverhandlung nahezu vollständig ausgeblendet wird, lässt dies nicht zu.
17
3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Verurteilung des Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, auf diesem Rechtsfehler beruht. Die Sache bedarf daher in diesem Umfang der Verhandlung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter. Die Verurteilung des Angeklagten wegen der von ihm eingestandenen Körperverletzung sowie die Adhäsionsentscheidung (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Dezember 2014 - 2 StR 78/14, NStZ-RR 2015, 107) bleiben hiervon unberührt. Fischer Appl Eschelbach Ott Zeng

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 503/15
vom
16. Dezember 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
ECLI:DE:BGH:2015:161215B1STR503.15.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Dezember 2015 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 18. Mai 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
3
1. Wenn Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung im Wesentlichen davon abhängt, welchen Angaben das Gericht folgt, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Das gilt besonders, wenn sich sogar die Unwahrheit eines Aussageteils des Belastungszeugen herausstellt (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Februar 2014 – 1 StR 700/13). Erforderlich ist hierbei zudem in besonderem Maße eine Gesamtwürdigung aller Indizien (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juni 1997 – 2 StR 140/97, NStZ-RR 1998, 16).
4
2. Diesen Anforderungen genügt die Beweiswürdigung der Strafkammer nicht.
5
a) Vorliegend handelt es sich um einen Fall, in dem zu der entscheidenden Frage, ob der Geschlechtsverkehr mit der Zeugin S. einvernehmlich erfolgte (wie der Angeklagte behauptet) oder mit Gewalt vom Angeklagten erzwungen wurde (wie die Zeugin behauptet), letztlich Aussage gegen Aussage steht (vgl. auch Senat, Beschluss vom 6. Februar 2014 – 1 StR 700/13). Die Zeugin hat gegenüber der Polizei mehrfach nachweislich die Unwahrheit gesagt und den Angeklagten dort etwa zu Unrecht beschuldigt, er habe sie durch Vorhalt eines Messers genötigt, mit ihm mehrere Kilometer weit in seine Unterkunft zu gehen (tatsächlich wurden beide einvernehmlich von einer Autofahrerin mitgenommen und tauschten später im Beisein eines Zeugen Zärtlichkeiten aus). Als Grund für diese Falschbelastung hat die geistig leicht behinderte Zeugin angegeben, sie habe dies gesagt, weil ihr wegen ihrer Behinderung sonst keiner glaube. Die aussagepsychologische Sachverständige hat eine Erlebnisfundiertheit der Angaben der Zeugin nicht bestätigen können, weil deren Aussage die Mindestanforderungen an eine aussageübergreifende Konstanz nicht erfüllten.
6
b) Es fehlt die bei dieser Lage notwendige besonders sorgfältige Gesamtwürdigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte. Die Strafkammer hat jeweils isoliert einzelne Umstände erörtert, die aus ihrer Sicht für die Beweiswürdigung eine Rolle spielen. Für jede widerlegte oder widersprüchliche Angabe der Zeugin (etwa: „Entführung“ durch Vorhalt eines Messers, angebliche Nötigung zur Alkoholaufnahme, einzelne Umstände des Vergewaltigungsgeschehens wie Anzahl und Positionen beim Geschlechtsverkehr , Ablage des Zimmerschlüssels in einem Nachtkästchen) hat das Gericht isoliert eine Erklärung gesucht, ohne die verschiedenen Mängel der Aussage in eine umfassende Gesamtwürdigung mit den weiteren be- und entlastenden Beweisanzeichen einzustellen.
7
Dass die Beweisergebnisse nicht zueinander in Beziehung gesetzt werden , wird auch bei der Darstellung der Ergebnisse der rechtsmedizinischen Untersuchung der Zeugin kurz nach dem Vorfall deutlich. Unerörtert bleibt dabei etwa, ob die am ehesten durch Entlangschürfen eines festen Gegenstandes (Reißverschluss oder Knopf) erklärbaren Kratzer an den Beinen der Zeugin nicht nur mit einem Entkleiden (UA S. 44), sondern auch (oder sogar eher) mit dem von der Zeugin berichteten hastigen Ankleiden einer auf links gedrehten Hose erklärbar sind. Das Gericht legt auch nicht dar, wie es vor dem Hintergrund der übrigen Beweisergebnisse den Umstand würdigt, dass sich die Zeugin kurze Zeit nach der Untersuchung durch die rechtsmedizinische Sachverständige wahrscheinlich selbst eine erhebliche Verletzung des Hymens zugefügt hat, die nach sachverständiger Einschätzung nur schwerlich mit einem intensiven Waschversuch erklärbar ist (UA S. 45).
8
c) Soweit das Landgericht unter diejenigen Erwägungen, die nach seiner Ansicht die Aussage der Zeugin bestätigen, auch fasst, dass die Angaben des Angeklagten in den maßgeblichen Punkten widerlegt worden sind (vgl. UA S. 38), gilt, dass die bloße Widerlegung von Angaben des Angeklagten grundsätzlich kein Schuldindiz ist, weil auch ein Unschuldiger Zuflucht zur Lüge nehmen kann (vgl. BGH, Urteil vom 21. Januar 1998 – 5 StR 469/97, NStZ-RR 1998, 303 mwN). Will der Tatrichter eine erlogene Entlastungsbehauptung als zusätzliches Belastungsanzeichen werten, so muss er sich bewusst sein, dass eine wissentlich falsche Einlassung hierzu ihren Grund nicht darin haben muss, dass der Angeklagte die Tat begangen hat (vgl. Senat, Urteil vom 21. Januar 2004 – 1 StR 364/03, NStZ 2004, 392, 394 f.).
9
3. Das Urteil beruht auf dem aufgezeigten Rechtsfehler. Der Senat kann trotz der von der Strafkammer zutreffend als die Aussage der Zeugin stützend gewerteten Beweisergebnisse (anhaltende Nein-Rufe, Hautdefekte und -verfärbungen , UA S. 35 ff.; S. 43) nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Vornahme der gebotenen Gesamtwürdigung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Die Sache bedarf deshalb neuer tatrichterlicher Prüfung.
Raum Jäger Radtke Mosbacher Bär

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 524/02
vom
27. März 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
25. März 2003 in der Sitzung am 27. März 2003, an denen teilgenommen haben
:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger in der Verhandlung vom 25. März 2003,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin in der Verhandlung vom 25. März 2003,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 15. Juli 2002 mit den Feststellungen aufgehoben , soweit der Angeklagte verurteilt worden ist. Die Sache wird insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zur Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Vom Vorwurf dreier weiterer Vergewaltigungen und einer vorsätzlichen Körperverletzung hat es ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Der Angeklagte wendet sich mit seiner Revision gegen die Verurteilung. Das Rechtsmittel ist begründet.

I.

1. Das Landgericht hat folgendes festgestellt: Der Angeklagte entschloß sich am 30. Juni 2000 nach einem heftigen Streit, sich endgültig von seiner Freundin, der Zeugin B. , zu trennen. Er forderte sie auf, die gemeinsame Wohnung zu verlassen. Nachdem er selbst aus der Wohnung gegangen war und wieder zurückkehrte, fand er die Zeugin dort noch auf dem Bett liegend
vor. Er entschloß sich nun, mit ihr geschlechtlich zu verkehren. Dies entsprang nicht einem Wunsch nach Versöhnung, sondern war als Bestrafung gedacht. Als er begann, der Zeugin mit einer Hand die Hose herunterzuziehen, wehrte sich diese und sagte, daß sie nichts von ihm wolle. Der Angeklagte packte die Zeugin an den Füßen, drehte sie in die Bauchlage und führte sowohl den vaginalen als auch den analen Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguß an ihr durch, obwohl die Zeugin schrie und ihn aufforderte, damit aufzuhören. Die Ausführung des Verkehrs erfolgte "in roher Weise". Die Zeugin blutete im Genitalbereich und trug blutende Haarrisse in der Haut der Scheidenwand davon. Kurz darauf erklärte er der Zeugin, er werde ihre Sachen aus dem Fenster werfen, wenn sie nicht innerhalb von fünfzehn Minuten die Wohnung verließe. 2. Bei ihrer Beweisführung gegen den bestreitenden Angeklagten folgt die Strafkammer im wesentlichen der Aussage der Zeugin B. . Zwar hat der von ihr zugezogene aussagepsychologische Sachverständige W. ausgeführt, die Aussage der Zeugin könne aus aussagepsychologischer Sicht nicht als verläßlich angesehen werden. Die Kammer geht indessen dennoch von deren Glaubhaftigkeit aus und stellt dabei auf die sonstigen Ergebnisse der Beweisaufnahme, namentlich außerhalb der Aussage liegende Beweisanzeichen ab. 3. Der Freispruch von den Vorwürfen dreier zeitlich vorgelagerter Vergewaltigungen zum Nachteil der Zeugin B. gründet im wesentlichen darin, daß die Strafkammer insoweit Zweifel an der uneingeschränkten Glaubhaftigkeit der entsprechenden Angaben der Zeugin B. nicht zu überwinden vermochte. Der aussagepsychologische Sachverständige W. ist davon ausgegangen, daß die Bekundungen der Zeugin B. zum Kerngeschehen zu wenig detailliert seien; zum Teil hat er auch Widersprüche in den verschie-
denen Aussagen der Zeugin aufgezeigt. Er hat auch insoweit die sog. "Null- hypothese" für nicht widerlegt gehalten (vgl. BGHSt 45, 164, 167/168). Die Kammer hält schließlich für möglich, daß die Zeugin Gewaltanwendung des Angeklagten, die in der Beziehung nicht unüblich war, mit den Sexualakten vermengt oder verknüpft habe; möglicherweise sei dies unbewußt geschehen.

II.

Die der Verurteilung des Angeklagten (Fall 4 der Anklage) zugrundeliegende Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand. Obgleich sie sehr ausführlich ist, begegnet sie durchgreifenden rechtlichen Bedenken. 1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist auf das Vorliegen von Rechtsfehlern beschränkt (vgl. § 337 StPO). Ein sachlich-rechtlicher Fehler kann indessen dann vorliegen, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Die Beweiswürdigung muß insbesondere auch erschöpfend sein: Der Tatrichter ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen. Eine Beweiswürdigung, die über schwerwiegende Verdachtsmomente ohne Erörterung hinweggeht, ist ebenso rechtsfehlerhaft wie eine solche, die gewichtige Umstände nicht mit in Betracht zieht, welche die Überzeugung des Tatrichters von der Täterschaft des Angeklagten in Frage zu stellen geeignet sind. Aus den Urteilsgründen muß sich zudem ergeben , daß die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2, 11, 16, 24, Überzeugungsbildung 30; BGH
NStZ 2000, 48). Schließlich hängt der dem Tatgericht abzuverlangende Begründungsaufwand von der jeweiligen Beweislage ab (vgl. BGH, Beschluß vom 26. Februar 2003 - 5 StR 39/03; siehe zur Situation "Aussage gegen Aussage" BGHSt 44, 153, 159; 44, 256, 257). Will der Richter in einem wesentlichen Punkt von der Aussage des einzigen unmittelbaren Belastungszeugen abweichen und ihm etwa in einem anderen Punkt folgen, so muß er in seinem Urteil in aller Regel darlegen, daß der Zeuge im Abweichungspunkt keine bewußt falschen Angaben gemacht hat (vgl. BGHSt 44, 256, 257). 2. Diesen Maßstäben wird die Würdigung der Strafkammer nicht vollends gerecht. Freilich war die Beweissituation im vorliegenden Fall ungewöhnlich schwierig. Es stand nicht nur Aussage gegen Aussage. Allein aufgrund der Analyse der Bekundungen der einzigen unmittelbaren Belastungszeugin B. konnten sowohl die Strafkammer als auch der mit der Glaubhaftigkeitsbeurteilung zunächst beauftragte Sachverständige W. , dem die Kammer trotz eines methodenkritischen weiteren Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. S. gefolgt ist, die Angaben der Zeugin nicht als zuverlässig bewerten. Diese waren nämlich zum Kerngeschehen und insbesondere zur Gewaltanwendung nicht hinreichend detailliert. Das war der wesentliche Grund für die Freisprüche von den zeitlich vorgelagerten Vorwürfen. Zu der konfliktreichen Beziehung der Zeugin zum Angeklagten kamen weitere für die Glaubhaftigkeitsbeurteilung bedeutsame Umstände hinzu: Es gab konkrete Anhaltspunkte für das Vorhandensein eines Motivs für eine bewußte Falschbelastung. Die Zeugin war, insbesondere durch Angehörige, zu der Strafanzeige gedrängt worden; sie hatte überdies ihren Vater - möglicherweise zu Unrecht - bezichtigt , sie früher sexuell mißbraucht zu haben. Die psychiatrische Sachverständige hat ihr hysteroide Persönlichkeitszüge attestiert. Aus alldem ergeben sich hier besondere Anforderungen an die Beweiswürdigung.

a) Die Strafkammer hätte bei der Beweiswürdigung zum Fall 4 der Anklage (Verurteilung) im Rahmen einer Gesamtschau aller Beweisanzeichen auch diejenigen Umstände erkennbar in die Bewertung mit einbeziehen müssen , welche sie mit bewogen haben, den Angeklagten von den weiteren Vergewaltigungsvorwürfen freizusprechen. Dieses Erfordernis ergab sich hier auch daraus, daß die Kammer in jenen Fällen eine Vermengung von anderweitiger Gewaltanwendung des Angeklagten mit Sexualakten durch die Zeugin B. für möglich gehalten hat. Sie hat dabei nicht hinreichend verdeutlicht, ob die Zeugin verschiedene Sachverhalte etwa auch bewußt verknüpft haben könnte. In den mit Freispruch entschiedenen Fällen hat der aussagepsychologische Sachverständige W. teils die erforderlichen Realkennzeichen und die nötige Aussagekonstanz vermißt, des weiteren teilweise auch Widersprüche hervorgehoben. Insoweit ist ihm die Strafkammer gefolgt. Sie hat darüber hinaus zum Fall 1 der Anklage ausgeführt, die von der Zeugin B. beschriebenen Ohrfeigen könnten plausibel auch ihrem vorangegangenen Streit mit dem Angeklagten zugeordnet werden und wären "einer gedanklichen Übertragung auf die Durchführung der Sexualakte zugänglich" (UA S. 98). In der Beweiswürdigung zum Fall 2 der Anklage hebt die Strafkammer hervor, sie könne die Möglichkeit nicht ausschließen, daß die Schläge im Verlaufe eines Eifersuchtsstreites erfolgten und die anschließenden Geschlechtsakte von der Zeugin widerwillig und ohne für den Angeklagten erkennbaren Widerstand vollzogen worden seien, die Zeugin schließlich die Schläge - "auch eventuell unbewußt" - mit den Sexualakten verknüpft habe (UA S. 106). Im Fall 3 der Anklage begründet die Strafkammer den Freispruch unter anderem ähnlich damit, sie könne nicht ausschließen, daß die Zeugin B. frühere sexuelle Vorgänge mit dem Bruder des Angeklagten und dessen Freund, mit denen sie einvernehmlich und zu dritt sexuellen Verkehr hatte, "mit erkennbaren Verdrän-
gungstendenzen erinnert" und "möglicherweise unbewußt" mit ihren Erinnerungen zu dem Vorfall mit dem Angeklagten "vermengt" habe (UA S. 150). Diese Formulierungen lassen offen, ob die Zeugin etwa gar bewußt eine Verknüpfung anderweitiger Gewaltanwendung mit dem Geschlechts- bzw. Analverkehr vorgenommen hat ("eventuell unbewußt", "möglicherweise unbewußt" ). Wäre dem so, hätte das Auswirkungen auf die Beurteilung der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben zum Fall 4 der Anklage, in dem der Angeklagte verurteilt worden ist. Deshalb hätte das Landgericht diese Frage beantworten und gegebenenfalls in die Gesamtwürdigung aller Beweise einbeziehen müssen (vgl. dazu BGH NStZ 2000, 551, 552). Der Senat hat erwogen, ob die in Rede stehenden Wendungen sinngemäß dahin verstanden werden können, daß die Strafkammer allein von einer unbewußten Verknüpfung von Sachverhalten ausgegangen ist, also nur diese für möglich gehalten hat und eine bewußte Vermengung ausschließen wollte. Wegen des Zusammenhangs mit den nachfolgend aufgeführten Mängeln der Beweiswürdigung vermag er dies jedoch nicht mit der erforderlichen Sicherheit anzunehmen.
b) Die Strafkammer hat - da konkrete Umstände dazu Anlaß gaben - zu Recht geprüft, ob die Zeugin B. ein Motiv hatte, den Angeklagten zu Unrecht zu belasten ("Rachehypothese"). Ihre Erwägungen lassen jedoch besorgen , daß sie von einem fehlsamen Prüfungsansatz und einem so nicht bestehenden Erfahrungssatz ausgegangen ist. aa) Die Kammer führt im Zusammenhang mit der Würdigung der Aussage der Zeugin B. zum Fall 4 der Anklage aus, sie habe sich nicht von einer Rachsucht der Zeugin als möglichem Motiv einer Falschaussage überzeugen können (UA S. 78). Dieser Ansatz ist nicht tragfähig. Es kam vielmehr - anders gewendet - darauf an, ob Rache als Motiv für eine Falschbezichtigung des An-
geklagten ausgeschlossen oder jedenfalls für wenig wahrscheinlich erachtet werden konnte. bb) Darüber hinaus läßt die in diesem Zusammenhang gebrauchte Wendung, ein Rachemotiv sei generell keine taugliche Hypothese für eine Falschaussage (UA S. 79 unten) befürchten, die Strafkammer könne von einem so nicht bestehenden allgemeingültigen Erfahrungssatz ausgegangen sein und sich über gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse hinweggesetzt haben. Rache kann - je nach Lage des Einzelfalles - ein Beweggrund für eine unwahre Anschuldigung sein. Richtig ist allerdings, daß ein Vergewaltigungsopfer auch in berechtigtem Zorn auf den Vergewaltiger mittels wahrer Aussage dessen Bestrafung erstreben kann. Insofern kann Rache als Motiv für eine Beschuldigung durchaus ambivalent sein. Aus einer festgestellten Belastungsmotivation beim Zeugen läßt sich deswegen nicht zwingend auf das Vorliegen einer Falschaussage schließen (BGHSt 45, 164, 175). In der Aussagepsychologie ist anerkannt, daß die "Rachehypothese" im Rahmen der Begutachtung bei der sog. Motivationsanalyse als mögliche Quelle einer fehlerhaften Aussage bei konkreten Anhaltspunkten - wie sie hier vorliegen - als naheliegende Möglichkeit mit zu bedenken ist (vgl. BGHSt 45, 164, 173). Rachetendenzen, die etwa auch nur zu Übertreibungen führen, kommen seit jeher vor und können immer wieder beobachtet werden (siehe nur Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, 3. Aufl., S. 97). Dessen ungeachtet ist gleichermaßen bekannt, daß häufig zu Unrecht ein Rachemotiv vermutet wird (ders. aaO). Rachegefühle müssen indes nicht zu einer unwahren Aussage oder zu Übertreibungen führen; sie können auch bei einer wahren Aussage vorhanden sein, aber von der Aussageperson beherrscht werden.
Für die Begutachtung ist eine Analyse der Aussagemotivation erforderlich sowohl für den Fall, daß die Aussage subjektiv (nach der Vorstellung des Zeugen) wahr ist, als auch für den Fall, daß sie bewußt falsch ist (vgl. Greuel/ Offe u.a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S. 173; siehe auch Bender /Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht Bd. 1, 2. Aufl. Rdn. 204). In diesem Zusammenhang kommt dem sog. Gleichgewichtsmerkmal besonderes Gewicht zu: Verzichtet der Zeuge auf solche Mehrbelastungen, die ihm möglich wären und dann nicht widerlegt werden könnten, und weisen seine Angaben zugleich auch selbstbelastende Elemente auf, so spricht dies gegen eine falsche Belastung (vgl. Bender/Nack, aaO Rdn. 279). Der Tatrichter ist bei konkreten Anhaltspunkten für Rache als Motiv einer Falschbelastung gehalten, diese naheliegende Möglichkeit zu prüfen. Er ist dabei freilich nicht an die strikten methodischen Vorgaben gebunden, die für den aussagepsychologischen Sachverständigen und seine hypothesengeleitete Begutachtung als Standard gelten (vgl. BGHSt 45, 164). Für ihn gilt der Grundsatz freier Beweiswürdigung (§ 261 StPO). Mitbestimmend hierfür sind indes die in der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Anforderungen, daß insbesondere seine Beweiswürdigung auch insoweit je nach der Beweislage im übrigen erschöpfend zu sein hat; sie darf nicht lückenhaft sein und erörterungsbedürftige Möglichkeiten unerwogen lassen. Sie darf schließlich anerkannten Erfahrungssätzen der Aussagepsychologie nicht widerstreiten. Zieht der Tatrichter allerdings einen aussagepsychologischen Sachverständigen hinzu , so gilt dasselbe wie für die Würdigung aller Sachverständigengutachten: Will er dem Gutachten folgen, so muß er in den Urteilsgründen wenigstens die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen des Sachverständigen wiedergeben. Einer ins einzelne gehenden Darstellung von Konzeption, Durchführung und Ergebnissen der erfolgten Begutachtung in den Urteilsgrün-
den bedarf es regelmäßig nicht (BGHSt 45, 164, 182). Folgt der Tatrichter dem Gutachten nicht, so muß er die Ausführungen des Sachverständigen in nachprüfbarer Weise wiedergeben, sich mit ihnen auseinandersetzen und seine abweichende Auffassung begründen. Lehnt er ein Gutachten ab und folgt einem anderen, etwa im Blick auf die Beweisergebnisse im übrigen, so muß er auch hierfür die Gründe angeben (vgl. nur BGHSt 34, 29, 31; BGH NStZ 2000, 550; 2001, 45; Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 267 Rdn. 13 m.w.N.). Das Landgericht hat sich zwar ausführlich mit den gutachtlichen Äußerungen der beiden aussagepsychologischen und der psychiatrischen Sachverständigen auseinandergesetzt. Der von ihm aufgestellte Grundsatz, ein Rachemotiv sei „generell“ keine taugliche Hypothese für eine Falschaussage, besteht indessen so nicht. Die Strafkammer hat überdies zwar einige auffällige Gesichtspunkte angeführt, derentwegen sie sich überzeugt sieht, daß die Zeugin B. keine rachegeleitete Falschaussage getätigt habe. Das geschieht aber nicht im Rahmen der gebotenen umfassenden Bewertung, insbesondere - bei zum Teil gegenläufigen Sachverständigenbewertungen - nicht im Hinblick auf das sog. Gleichgewichtsmerkmal. Diese Erwägungen vermögen im Blick auf die vorangestellten maßstäblichen Wendungen (keine "Überzeugung" von einem Rachemotiv, das zudem "generell keine taugliche Hypothese" für eine Falschaussage sei) mithin nicht die Besorgnis auszuräumen, die Strafkammer könne von einem fehlsamen Prüfungsansatz und einem nicht bestehenden Erfahrungssatz ausgegangen sein.
c) Die Strafkammer prüft zu Recht, ob die Zeugin B. , nachdem sie aus ihrer Familie zur Strafanzeige gedrängt wurde, tatsächlich stattgefundene nicht einverständliche sexuelle Handlungen als - worauf es entscheidend ankommt - durch Gewalt erzwungen geschildert hat. Diese Möglichkeit widerlegt
die Strafkammer insbesondere mit zwei Kurzmitteilungen (SMS-Short Message Service), die die Zeugin B. mittels Mobiltelefon im Zusammenhang mit der Tat im Fall 4 an ihre Freundin M. versandt habe. Das wäre tragfähig, wenn die Strafkammer näher dargelegt hätte, daß die zweite - aufgrund ihres Inhalts beweiskräftige - Nachricht tatsächlich im Zusammenhang mit der Tat übermittelt wurde. Daran fehlt es aber. Die Strafkammer würdigt eine Abweichung zwischen den Angaben der Zeugin B. und der Zeugin M. hierzu nicht ausdrücklich. M. hat bekundet, sie habe von der Zeugin B. zwei SMS-Kurzmitteilungen auf ihrem Mobiltelefon erhalten: Die erste mit dem Text "Hilfe"; die zweite mit dem Hinweis, vergewaltigt worden zu sein. Die Zeugin B. hat sich nicht an diese zweite Kurzmitteilung erinnern können (UA S. 56 ff.). Das erscheint bei einem außergewöhnlichen Ereignis wie dem hier in Rede stehenden eher ungewöhnlich. Da die Strafkammer sich bei ihrer Beweisführung aber auch auf die zweite Kurzmitteilung stützt (UA S. 60), hätte sie sich auch mit dem Nichterinnern der Zeugin B. in seiner Bedeutung für die Beweiswürdigung auseinandersetzen müssen.
d) Ähnlich verhält es sich mit der Bedeutung einer etwaigen Falschbezichtigung des Vaters der Zeugin durch diese: Die Zeugin hatte u.a. gegenüber der psychiatrischen Sachverständigen Dr. Bi. eingeräumt, ihren Vater früher zu Unrecht des sexuellen Mißbrauchs zu ihrem Nachteil beschuldigt zu haben. Solche Vorwürfe gegen ihren Vater hatte sie unter anderem gegenüber einer Freundin, gegenüber der Ehefrau des Zahnarztes, bei dem sie tätig war, und bei ihrer Nervenärztin erhoben. Die Strafkammer hat sich außerstande gesehen , davon auszugehen, daß die Zeugin ihren Vater "bewußt wahrheitswidrig" des sexuellen Mißbrauchs bezichtigt habe: Diese Frage müsse offenblei-
ben. Hypothetisch müsse erwogen werden, daß der Mißbrauch zutreffend sei und die Zeugin sich nicht mehr in der Lage sehe, dies zu offenbaren (UA S. 74). Diese Würdigung läßt für sich gesehen besorgen, daß die Strafkammer die Frage einer bewußt wahrheitswidrigen Bezichtigung des Vaters in ihrer Bedeutung für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin im abgeurteilten Fall 4 der Anklage nicht hinreichend bedacht hat. Selbst wenn die Strafkammer meinte dahinstellen zu sollen, ob die Bezichtigung zutraf oder nicht, hätte sie im Rahmen einer Gesamtschau auch auf die Bedeutung dieses Vorgangs für die Beweiswürdigung im Fall 4 der Anklage eingehen müssen. Dabei hätte sie, wenn sie den anderweitigen Vorwurf der Zeugin gegen ihren Vater nicht meinte klären zu können, auch dessen Unwahrheit in Betracht ziehen und diese Möglichkeit in eine Gesamtbewertung der Beweislage einstellen müssen. Denn daraus hätten sich Zweifel an der Richtigkeit der Aussage im Fall 4 der Anklage ergeben können.
3. Auf diesen rechtserheblichen Erörterungsmängeln kann das angefochtene Urteil beruhen. Der Senat sieht sich angesichts der Besonderheiten des Falles und der ersichtlich schwierigen Beweissituation nicht in der Lage, diese Mängel auch bei verständiger Lesart der betroffenen Urteilsstellen und der Betrachtung des gesamten Urteilszusammenhanges teils lediglich als Fassungsmängel , teils als weniger bedeutsame Einzelheiten zu begreifen und für nicht durchgreifend zu erachten. Zwar standen der Strafkammer im Fall 4 der Anklage gewichtige Beweisanzeichen außerhalb der Aussage der Zeugin zur Verfügung, insbesondere der von der Gynäkologin zeitnah diagnostizierte achtförmige Blutschaum um Anus und Scheide, deren Verursachung bei einem
in der vorausgegangenen Nacht möglicherweise stattgefundenen einvernehmlichen Verkehr eher fernliegend erscheint. Der Senat vermag jedoch angesichts der übrigen substantiellen Bedenken gegen die Aussage der Zeugin, insbesondere der Detailarmut der Schilderung zum Kerngeschehen, nicht sicher auszuschließen, daß die Bewertung im Ergebnis hätte anders ausfallen können , wenn der Tatrichter die genannten Gesichtspunkte ausdrücklich in eine abschließende Würdigung aller Umstände mit einbezogen hätte und von einem zutreffenden Ansatz zur Prüfung der Motivationslage der Zeugin für eine etwaige Falschaussage ausgegangen wäre. Das gilt zumal auch im Blick darauf, daß die neben den aussagepsychologischen Sachverständigen hinzugezogene psychiatrische Sachverständige Dr. Bi. - wenngleich wohl auf die Erstaussage der Zeugin bezogen - ausgeführt hat, die Aussage "müsse nicht falsch" sein; nur lasse sich schwer trennen, inwieweit sie auf Erlebtem oder Nichterlebtem beruhe. Die Aussagen der Zeugin seien in Belastungssituationen nicht zuverlässig.
Nach allem muß die Sache zum Fall 4 der Anklage neu verhandelt und entschieden werden. Der neue Tatrichter wird naheliegender Weise wieder den Rat eines forensisch hocherfahrenen aussagepsychologischen Sachverständigen in Anspruch nehmen. Die im freisprechenden - und rechtskräftigen - Teil des Ersturteils enthaltenen Feststellungen sind für ihn nicht bindend (§ 358 Abs. 1 StPO; Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. Einl. Rdn. 170 m.w.N.). RiBGH Dr. Boetticher ist wegen Urlaubs an der Unterschrift gehindert. Nack Nack Schluckebier Kolz Hebenstreit

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 S t R 3 8 1 / 1 4
vom
2. Dezember 2014
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 2. Dezember 2014 gemäß § 349
Abs. 4, § 206a Abs. 1 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 1. April 2014 wird
a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall II. 1. der Urteilsgründe wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last,
b) das vorgenannte Urteil im Übrigen mit den Feststellungen aufgehoben , soweit der Angeklagte verurteilt worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Von sechs weiteren Tatvorwürfen zum Nachteil desselben Tatopfers und 17 Tatvorwürfen zum Nachteil von dessen Schwester hat es ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Revision des Angeklagten führt in einem Fall zur Einstellung des Verfahrens und hat im Übrigen mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde die Nebenklägerin an einem Tag vor Weihnachten 2008 von ihrer Mutter in die elterliche Wohnung geschickt, um einen Schlüssel zu holen. Der Angeklagte, ihr Stiefvater, verbot ihr, die Wohnung wieder zu verlassen und schickte sie ins Bett. Er trat dann an ihr Bett, streichelte sie und berührte sie unter der Kleidung an den Brüsten und der Vagina (Fall II. 1. der Urteilsgründe). An einem Tag nach dem 21. Mai 2009 bis kurz nach ihrem 14. Geburtstag am 29. August 2009 betrat der Angeklagte nachts nackt ihr Zimmer und streichelte die Nebenklägerin am gesamten unbekleideten Körper. Er legte sich auf sie und vollzog den Geschlechtsverkehr. Plötzlich öffnete die Mitangeklagte - die Mutter der Nebenklägerin - die Kinderzimmertür , sah den Angeklagten mit ihrer Tochter und fragte sinngemäß: "Hat es Spaß gemacht?", drehte sich um und schloss die Tür (Fall II. 2. der Urteilsgründe ). Die Nebenklägerin war enttäuscht, dass ihre Mutter nichts unternahm.
3
Von dem Vorwurf, die Nebenklägerin in der zweiten Nacht, die sie in der Ehewohnung in der I. straße in S. verbracht habe, am ganzen Körper gestreichelt zu haben (Fall 18 der Anklage), vom Vorwurf, in vier weiteren Fäl- len mit ihr den Geschlechtsverkehr ausgeübt zu haben (Fälle 20, 21, 23 und 24 der Anklage) und von dem Vorwurf, sie in der Wohnung ihrer Großmutter in Sc. gestreichelt und ihre Hand an seinen Penis geführt zu haben (Fall 25 der Anklage), hat das Landgericht den Angeklagten freigesprochen, weil "die Angaben der Nebenklägerin sehr knapp und ohne jeweilige Geschehensstruktur" gewesen seien und auch die von der Polizei protokollierten Angaben nicht hätten bestätigt werden können. Die Strafkammer habe nicht feststellen können , ob bekundete Details Teil der ausgeurteilten Taten waren oder nur mehrfach berichtet wurden oder bei einer weiteren Tat vorlagen.
4
2. Hinsichtlich der unter II. 1. der Urteilsgründe abgeurteilten Straftat fehlt es an der Verfahrensvoraussetzung der Anklageerhebung.
5
Mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage vom 11. Januar 2012 wurde dem Angeklagten unter Ziffer 19 vorgeworfen, im Januar 2008 die Nebenklägerin (erneut) in ihrem Kinderzimmer aufgesucht und am gesamten Körper gestreichelt zu haben, insbesondere an der Brust und am Geschlechtsteil. Darüber hinaus habe der Angeklagte verlangt, dass die Nebenklägerin ihn ebenfalls, insbesondere am Geschlechtsteil streichele, was sie auch getan habe.
6
Gegenstand der Urteilsfindung ist gemäß § 264 Abs. 1 StPO die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung darstellt. Tat im Sinne dieser Vorschrift ist ein einheitlicher geschichtlicher Vorgang, der sich von anderen ähnlichen oder gleichartigen unterscheidet und innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 264 Rn. 2 mwN). Verändert sich im Laufe eines Verfahrens das Bild des Geschehens, das die Anklage umschreibt , so kommt es darauf an, ob die "Nämlichkeit der Tat" trotz der Abwei- chungen noch gewahrt ist. Dies ist - ungeachtet gewisser Unterschiede - dann der Fall, wenn bestimmte individuelle Merkmale die Tat weiterhin als einmaliges , unverwechselbares Geschehen kennzeichnen (vgl. BGH, Urteil vom 4. März 2010 - 3 StR 559/09 Rn. 6 mwN).
7
Nach diesem Maßstab ist die Tat II. 1. der Urteilsgründe nicht Gegenstand der Anklage. Die vom Landgericht ausgeurteilte Tat ist durch besondere Umstände - Schlüssel holen - gekennzeichnet, die in der Anklageschrift nicht aufgeführt sind. Nach den Urteilsfeststellungen soll es sich bei der ausgeurteilten Tat auch um den ersten Übergriff gegen die Nebenklägerin gehandelt haben , mit dem die Tatserie des Angeklagten zu ihrem Nachteil begonnen habe, während es sich bei der in der Anklage geschilderten Tat um einen zweiten, gleichförmigen Vorfall gehandelt haben soll. Das Landgericht stellt hierzu fest, dass die Nebenklägerin "die unter II. 1. festgestellte Tat" bei ihrer ersten polizeilichen Vernehmung am 2. Juni 2011 nicht geschildert habe, aber im Nachhinein beim Sachverständigen und auch in der Hauptverhandlung (UA 16). Die Exploration durch den Sachverständigen, bei der die Nebenklägerin die ausgeurteilte Tat danach erstmals geschildert hat, fand am 5. September 2012 statt, also fast neun Monate nach der Anklageerhebung, die auf der ersten polizeilichen Aussage der Nebenklägerin basiert (UA 8). Mithin war die ausgeurteilte Tat von der Anklage nicht umfasst. Eine die Tat einbeziehende Nachtragsanklage ist nicht erhoben worden. Das Verfahren ist insoweit wegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen.
8
3. Die Verurteilung im Fall II. 2. der Urteilsgründe hat keinen Bestand. Die Beweiswürdigung hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
9
Das Landgericht hat seine Überzeugung vom Tathergang und der Täterschaft des die Taten bestreitenden Angeklagten im Wesentlichen auf die Aussage der Nebenklägerin gestützt, die es bezüglich weiterer Fälle allerdings als nicht ausreichend für eine Verurteilung bewertet hat. Es ist zudem von der Einschätzung des aussagepsychologischen Sachverständigen abgewichen, der die Erlebnisbezogenheit der Angaben der Nebenklägerin insgesamt in Frage gestellt hat. Die Urteilsgründe genügen den besonderen, an diese Beweiskonstellation zu stellenden Anforderungen nicht (vgl. BGH, Urteil vom 27. März 2003 - 1 StR 524/02, StV 2003, 486; Urteil vom 1. April 2009 - 2 StR 601/08, NStZ 2009, 571; Beschluss vom 24. Februar 2011 - 4 StR 488/10; Beschluss vom 22. Mai 2012 - 5 StR 15/12, NStZ-RR 2012, 287, 288).
10
a) Zwar ist das Tatgericht nicht gehalten, einem Sachverständigen zu folgen. Kommt es aber zu einem anderen Ergebnis, so muss es sich konkret mit den Ausführungen des Sachverständigen auseinandersetzen, um zu belegen , dass es über das bessere Fachwissen verfügt (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Juni 2012 - 5 StR 181/12, NStZ 2013, 55, 56 mwN). Der Sachverständige hat hier die Unwahrhypothese nicht sicher widerlegen können, weil die Geschädigte nicht ausschließbar ein "Hassgefühl" gegen den Angeklagten entwickelt habe bzw. der Bestrafungswunsch bei ihr so groß gewesen sei, dass eine Trennung der Familie aus ihrer Sicht nicht ausreichend gewesen sei. Es könne sich eine "Autosuggestion" eingestellt haben, dass sich der Angeklagte trotz des Auszugs der Mutter wiederum überwiegend bei dieser aufhalten werde. Sie könne deshalb das Gefühl gehabt haben, dem durch die Angaben vorbeugen zu müssen. Dieses Falschbelastungsmotiv hat die Strafkammer nicht ausgeräumt. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb es zum Erreichen einer wahrheitswidrigen Bestrafung ausgereicht hätte, wenn "M. ihre[n] Darstellungen bei der Anzeigenerstattung, während des Verfahrens und bei ihrer Vernehmung vom 20.3.2013… Taten hinzugefügt oder bereits geschildert[e] ausgeschmückt hätte". Diese Würdigung setzt inzident voraus, dass Taten tatsächlich stattgefunden haben. Damit ist die Frage, ob die Nebenklägerin bei der Anzeigenerstattung insgesamt wahrheitswidrige Angaben gemacht, Taten hinzugefügt oder ausgeschmückt hat, nicht beantwortet. Dass die Geschädigte bei der Vernehmung in der Hauptverhandlung nur noch äußerst wenige Taten wiedergegeben hat, kann nicht nur, wie die Strafkammer annimmt, auf einem fehlenden Falschbelastungsmotiv beruhen, sondern auch auf ihren festgestellten eingeschränkten geistigen Fähigkeiten. Soweit die Strafkammer damit argumentiert, dass M. gegenüber ihrer Mutter trotz deren Nichteinschreitens nicht von Hassgefühlen beherrscht werde, setzt dieses Argument voraus, dass sich die unter II. 2. festgestellte Tat so zugetragen hat, wie von der Nebenklägerin geschildert.
11
b) Die Aussage der Nebenklägerin weist nach der Einschätzung des Sachverständigen erhebliche Mängel auf. Ihre intellektuellen Leistungsvoraussetzungen liegen im Grenzbereich zwischen Lernbehinderung und leichter geistiger Behinderung. Auch zeigt sie Symptome einer Störung des Sozialverhaltens. Der Tatrichter hätte unter diesen Umständen in den Urteilsgründen näher darlegen müssen, was die Nebenklägerin in der Hauptverhandlung und bei früheren Vernehmungen ausgesagt hat, um dem Revisionsgericht eine Überprüfung der Beweiswürdigung, insbesondere der Aussagekonstanz, zu ermöglichen. Darüber hinaus verhält sich das Urteil nicht zur Erinnerungsfähigkeit der Nebenklägerin. Insbesondere fällt auf, dass diese etwa zweieinhalb Jahre nach den Taten bei der Polizei acht Vorfälle geschildert hat - dabei nicht den unter II. 1. ausgeurteilten -, bei der Exploration durch den Sachverständigen ein Jahr später und in der Hauptverhandlung aber keine Abgrenzung zwischen den einzelnen Tatvorwürfen mehr vornehmen konnte.
12
c) Schließlich fehlt auch jede Auseinandersetzung mit der Frage, warum die Mitangeklagte - ihre Mutter - die Nebenklägerin bereits zum Zeitpunkt der Anzeigeerstattung für eine "Lügnerin" hielt (UA 16). Da die Mitangeklagte den sexuellen Missbrauch nach den Feststellungen mit eigenen Augen gesehen hat, hätte es hierfür einer Erklärung bedurft.
13
d) Angesichts der schwierigen Beweissituation hätte der Tatrichter nicht offen lassen dürfen, ob die Nebenklägerin und ihre Schwester bereits früher einmal einen Jungen zu Unrecht einer Vergewaltigung beschuldigt haben, wie es der Zeuge H. bekundet hat. Die Strafkammer hätte aufklären müssen , ob tatsächlich aufgrund der Angaben der beiden Mädchen ein Junge aus dem Kinderheim in die Psychiatrie gekommen ist und ob sich gegebenenfalls die Beschuldigung als zutreffend erwiesen hat.
14
4. Die Sache bedarf daher im Umfang der von der Verfahrenseinstellung nicht erfassten Verurteilung der Verhandlung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter. Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak Franke Mutzbauer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 S t R 7 8 / 1 4
vom
17. Dezember 2014
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 17. Dezember 2014 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 28. Oktober 2013 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) im Fall II. 2. der Urteilsgründe,
b) im Einzelstrafausspruch zu Fall II. 1. der Urteilsgründe,
c) im Gesamtstrafenausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
4. Der Antrag der Nebenklägerin auf Bestellung eines Beistands für das Revisionsverfahren ist gegenstandslos.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung zugunsten der Nebenklägerin getroffen. Dagegen richtet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet.
2
1. Die von dem Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen bleiben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg.
3
2. Die Ablehnung eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch des Mordes (§ 24 Abs. 1 StGB) im Fall II. 2. der Urteilsgründe begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
4
a) Nach den Feststellungen fügte der Angeklagte der Nebenklägerin mit einem Küchenmesser - Klingenlänge ca. 15 cm - in kurzer Folge insgesamt elf Stich- bzw. Schnittverletzungen zu, davon jeweils zwei im Rückenbereich und in der linken Schulterregion, um sie zu töten. Der Nebenklägerin gelang es, sich aus der Umklammerung des Angeklagten zu lösen, diesen wegzuschubsen, über den Wohnungsflur ins Treppenhaus des vierten Obergeschosses des Mehrfamilienhauses zu rennen und "um Hilfe schreiend die Treppe hinunter" zu laufen.
5
Der Angeklagte verfolgte die Nebenklägerin nicht, sondern schloss die von der Nebenklägerin bei ihrer Flucht offen gelassene Wohnungstür. Er begab sich ins Wohnzimmer, öffnete ein Fenster, um zu sehen, "ob die Nebenklägerin das Haus verlässt, und weil er auch wissen bzw. feststellen wollte, wie schwer die Nebenklägerin durch sein Einwirken verletzt worden war". Lebensgefährliche Verletzungen der Nebenklägerin hielt er für möglich.
6
Als er "festgestellt hatte, dass die Nebenklägerin das Haus nicht verlassen hatte, befürchtete er schwerwiegende Konsequenzen wegen der Tat in Bezug auf seine laufende Bewährung". Er verletzte sich mit dem Tatmesser selbst, um sich als Opfer eines Angriffs der Nebenklägerin zu präsentieren, und setzte einen Notruf an die Polizei ab. Die Nebenklägerin, die sich zwischenzeitlich in die im ersten Obergeschoss des Mehrfamilienhauses befindliche Wohnung eines Nachbarn begeben hatte, konnte durch eine Notoperation gerettet werden.
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b) Die Annahme des Landgerichts, es liege ein beendeter Versuch des Tötungsdelikts vor, von dem der Angeklagte in Ermangelung von Rettungsbemühungen nicht zurückgetreten sei, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Feststellungen der Strafkammer zum subjektiven Vorstellungsbild des Angeklagten sind in einem entscheidenden Punkt lückenhaft.
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aa) Ein beendeter Versuch liegt vor, wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont; vgl. nur BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227). Eine Korrektur des Rücktrittshorizonts ist in engen Grenzen möglich. Der Versuch eines Tötungsdelikts ist daher nicht beendet, wenn der Täter zunächst irrtümlich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber "nach alsbaldiger Erkenntnis seines Irrtums" von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt (vgl. Fischer, StGB, 62. Aufl., § 24 Rn. 15d mwN). Die Frage, ob nach diesen Rechtsgrundsätzen von einem beendeten oder unbeendeten Versuch auszugehen ist, bedarf insbesondere dann eingehender Erörterung , wenn das angegriffene Tatopfer nach der letzten Ausführungshandlung noch - vom Täter wahrgenommen - zu körperlichen Reaktionen fähig ist, die geeignet sind, Zweifel daran aufkommen zu lassen, das Opfer sei bereits tödlich verletzt (Senat, Beschluss vom 7. November 2001 - 2 StR 428/01, NStZ-RR 2002, 73, 74; BGH, Urteil vom 6. März 2013 - 5 StR 526/12, NStZ 2013, 463; Urteil vom 17. Juli 2014 - 4 StR 158/14, NStZ 2014, 569, 570). So liegt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs etwa in dem Fall, dass das Opfer noch in der Lage ist, sich vom Tatort wegzubewegen (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2000 - 4 StR 525/00; Urteil vom 11. November 2004 - 4 StR 349/04, NStZ 2005, 331 f.; Urteil vom 17. Juli 2014 - 4 StR 158/14, NStZ 2014, 569, 570 mwN). Ein solcher Umstand kann geeignet sein, die Vorstellung des Täters zu erschüttern, alles zur Erreichung des gewollten Erfolgs getan zu haben (BGH, Urteil vom 17. Juli 2014, aaO mwN).
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bb) Diese zur Korrektur des Rücktrittshorizonts entwickelten Grundsätze hat das Landgericht nicht hinreichend bedacht. Die Strafkammer hat insbesondere keine ausreichenden Feststellungen zu den subjektiven Vorstellungen des Angeklagten getroffen, als dieser bemerkte, dass die Nebenklägerin das Haus nicht verlassen hatte. Allein der Umstand, der Angeklagte "befürchtete … schwerwiegende Konsequenzen wegen der Tat in Bezug auf seine laufende Bewährung" ist mehrdeutig. Denn der Angeklagte musste erst recht in dem Fall, dass die Nebenklägerin den Angriff mit dem Messer überleben sollte und sodann als Zeugin zur Verfügung stünde, mit "schwerwiegenden Konsequenzen" rechnen. Die Feststellungen lassen es jedenfalls als möglich erscheinen, dass der Angeklagte sogleich oder jedenfalls alsbald nicht mehr davon ausging, die Nebenklägerin tödlich verletzt zu haben. Das Urteil rechtfertigt auch (noch) nicht die Annahme, die Nebenklägerin habe sich bereits so weit vom Angeklagten entfernt, dass aus dessen Sicht zur Vollendung eines Tötungsdelikts ein erneu- ter Geschehensablauf hätte in Gang gesetzt werden müssen (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 2012 - 5 StR 528/11, NStZ 2012, 688, 689).
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c) Der dargelegte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II. 2. der Urteilsgründe insgesamt. Die Aufhebung erfasst auch die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1997 - 4 StR 642/96, BGHR StPO § 353 Aufhebung 1; Gericke in Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl., § 353 Rn. 12).
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d) Der neue Tatrichter wird sich eingehender als bislang geschehen auch mit der Frage erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit zu befassen haben. Nach den bisherigen Urteilsfeststellungen besteht bei dem Angeklagten zwar eine kombinierte Persönlichkeitsstörung; die Steuerungsfähigkeit sei aber nicht eingeschränkt gewesen, denn der Angeklagte verfüge über "ein gutes psychosoziales Funktionsniveau und über ausreichende kompensatorische Stärken, weshalb die Persönlichkeitsstörung nicht den Rechtsbegriff der schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB zuzuordnen sei". Diese Wertung ist mit den Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des in der Vergangenheit mehrfach in verschiedenen Psychiatrien untergebrachten Angeklagten nicht in Einklang zu bringen; im Übrigen ist nicht belegt, woran die Strafkammer das "gute psychosoziale Funktionsniveau" und die "ausreichenden kompensatorischen Stärken" des Angeklagten knüpft.
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3. Der Schuldspruch im Fall II. 1. der Urteilsgründe erweist sich als rechtsfehlerfrei. Hingegen ist der Strafausspruch rechtsbedenklich und deswegen aufzuheben. Die Strafkammer hat nicht erkennbar geprüft, ob die Voraussetzungen des § 21 StGB vorliegen, obwohl dazu Veranlassung bestanden hätte. Die Strafkammer hat lediglich hinsichtlich des Falles II. 2. der Urteilsgründe die Frage erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit erörtert, nicht hingegen in Bezug auf die dem Fall II. 1. der Urteilsgründe zugrundeliegende Tat, die nur drei Tage zuvor begangen worden war. Angesichts des für beide Taten relevanten Vorlebens des Angeklagten hätte indes auch im Fall II. 1. der Urteilsgründe eine entsprechende Prüfung erfolgen müssen.
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4. Die Aufhebung im Fall II. 2. der Urteilsgründe und im Strafausspruch im Fall II. 1. der Urteilsgründe zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich.
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Die (teilweise) Aufhebung des Urteils erfasst nicht den Adhäsionsausspruch (BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 - 4 StR 158/14, insoweit in NStZ 2014, 569 nicht abgedruckt; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 406a Rn. 8); eine Aufhebung der Adhäsionsentscheidung ist dem Tatrichter vorbehalten (vgl. Senat, Urteil vom 28. November 2007 - 2 StR 477/07, BGHSt 52, 96, 98). Zum Feststellungsausspruch hinsichtlich der Ersatzpflicht für künftige Schäden wird auf den Senatsbeschluss vom 17. April 2014 - 2 StR 2/14, im Übrigen auf den Anfragebeschluss des Senats vom 8. Oktober 2014 - 2 StR 137/14 verwiesen.
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5. Der Antrag, der Nebenklägerin Rechtsanwalt G. aus E. auch für das Revisionsverfahren als Beistand zu bestellen, bedarf keiner Bescheidung , da Rechtsanwalt G. bereits durch Beschluss des Landgerichts Gera vom 26. August 2013 gemäß § 397a Abs. 1 Satz 1 StPO zum Beistand der Nebenklägerin bestellt worden ist und eine solche Bestellung über die jeweilige Instanz hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens fortwirkt (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Mai 1999 - 5 StR 223/99, BGHR StPO § 397a Abs. 1 Beistand 2; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 397a Rn. 17a mwN).
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6. Der beim Landgericht am 3. Februar 2014 eingegangene Antrag des Angeklagten, ihm zur Durchführung des Revisionsverfahrens Rechtsanwalt F. aus R. , der bereits erstinstanzlich als Pflichtverteidiger bestellt worden war, (weiterhin) als Pflichtverteidiger beizuordnen, ist ebenfalls gegenstandslos. Unbeschadet der Frage der Zuständigkeit für die Bestellung (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 17. Juni 1999 - 4 StR 229/99, BGHR StPO § 141 Bestellung 3; Beschluss vom 10. März 2005 - 4 StR 506/04, insoweit in NStZ-RR 2005, 240, 241 nicht abgedruckt) wirkt die Bestellung des erstinstanzlichen Verteidigers im Revisionsverfahren fort (vgl. Laufhütte/Willnow in Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl., § 141 Rn. 10; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO § 140 Rn. 8).
Fischer Appl Eschelbach Ott Zeng