Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Juni 2016 - 2 StR 265/15
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 28. Juni 2016 gemäß §§ 44, 45 Abs. 2 Satz 3, § 46 Abs. 1, § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
a) zur Nachholung der versäumten Rechtshandlung innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist,
b) zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Gießen vom 30. Januar 2015. Kosten der Wiedereinsetzung werden nicht erhoben. 2. Mit der Wiedereinsetzung ist der Beschluss des Landgerichts Gießen vom 15. April 2015, mit dem die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen worden ist, gegenstandslos. 3. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat: Die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision des Angeklagten nach § 345 Abs. 1 StPO beruht auf einem Verteidigerverschulden, welches dem Angeklagten nicht zuzurechnen ist. Es handelt sich um einen Fall des "offenkundigen Mangels" der Verteidigung durch den Pflichtverteidiger, welcher den Anspruch des Angeklagten auf eine wirksame Verteidigung gemäß Art. 6 Abs. 3 Buchst. c EMRK verletzt (vgl. EGMR, Urteil vom 10. Oktober 2002 – Nr. 38830/97, NJW 2003, 1229, 1230). Die Verteidigung darf nicht nur formal bestehen. Nachdem der vom Gericht bestellte Verteidiger namens und im Auftrag des Angeklagten Revision eingelegt hatte, war er mangels Bildung und Bestätigung eines Rücknahmewillens durch den Angeklagten auch verpflichtet, das Rechtsmittel form- und fristgerecht zu begründen. Darauf durfte der Angeklagte trotz des Umstands, dass der Verteidiger bereits im vorangegangenen Revisionsverfahren die Revision nicht (fristgemäß) begründet hatte, auch vertrauen, zumal es aus seiner Sicht – wie es sich seinem Schreiben vom 20. April 2015 entnehmen lässt – keinen Anhalt dafür gab, dass der Verteidiger die Revision nicht ordnungsgemäß begründen würde. Ungeachtet dieser Verpflichtung ist der bestellte Verteidiger untätig geblieben; er hat damit ihm dem Angeklagten gegenüber obliegende Pflichten verletzt und damit dessen Recht auf effektive Verteidigung verletzt. Auch die Versäumung der Frist zur Nachholung der ursprünglich versäumten Handlung geht auf ein Verschulden des Pflichtverteidigers zurück, das dem Angeklagten nicht zuzurechnen ist. Er hat in Kenntnis seines eigenen Versäumnisses auf die Zustellung des landgerichtlichen Revisionsverwerfungsbeschlusses , die die Frist zur Nachholung der Revisionsbegründung in Gang setz- te, nicht reagiert, weshalb die einwöchige Frist ungenutzt verstrichen ist. Er hat auch in der Folge weder auf Anschreiben der Staatsanwaltschaft noch auf die Übersendung des Antrags des Generalbundesanwalts nach § 346 Abs. 2 StPO noch auf eine telefonische Nachfrage des Senats Bemühungen unternommen, die Verteidigung des Angeklagten durch Nachholung der Revisionsbegründung und Stellung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sicherzustellen. Die dem Landgericht erkennbare Verletzung von Verteidigungsrechten durch den staatlich bestellten Verteidiger verstößt gegen die Gewährleistung aus Art. 6 Abs. 3 Buchst. c EMRK und hätte – zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens – im Verfahren vor dem Landgericht zur Entpflichtung des Rechtsanwalts und Beiordnung eines neuen Pflichtverteidigers führen müssen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 143 Rn. 4). Im Revisionsverfahren ist – nachdem der Angeklagte nunmehr einen Wahlverteidiger beauftragt hat – von Amts wegen Wiedereinsetzung in die Frist zur Nachholung der Revisionsbegründung und in die Frist zur Begründung der Revision zu gewähren. Krehl Eschelbach Ott Zeng Bartel
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War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1 und 2, § 319 Abs. 2 Satz 3 oder nach § 346 Abs. 2 Satz 3 unterblieben ist.
(1) Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses bei dem Gericht zu stellen, bei dem die Frist wahrzunehmen gewesen wäre. Zur Wahrung der Frist genügt es, wenn der Antrag rechtzeitig bei dem Gericht gestellt wird, das über den Antrag entscheidet.
(2) Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Die Revisionsanträge und ihre Begründung sind spätestens binnen eines Monats nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, anzubringen. Die Revisionsbegründungsfrist verlängert sich, wenn das Urteil später als einundzwanzig Wochen nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden ist, um einen Monat und, wenn es später als fünfunddreißig Wochen nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden ist, um einen weiteren Monat. War bei Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels das Urteil noch nicht zugestellt, so beginnt die Frist mit der Zustellung des Urteils und in den Fällen des Satzes 2 der Mitteilung des Zeitpunktes, zu dem es zu den Akten gebracht ist.
(2) Seitens des Angeklagten kann dies nur in einer von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle geschehen.
(1) Ist die Revision verspätet eingelegt oder sind die Revisionsanträge nicht rechtzeitig oder nicht in der in § 345 Abs. 2 vorgeschriebenen Form angebracht worden, so hat das Gericht, dessen Urteil angefochten wird, das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig zu verwerfen.
(2) Der Beschwerdeführer kann binnen einer Woche nach Zustellung des Beschlusses auf die Entscheidung des Revisionsgerichts antragen. In diesem Falle sind die Akten an das Revisionsgericht einzusenden; die Vollstreckung des Urteils wird jedoch hierdurch nicht gehemmt. Die Vorschrift des § 35a gilt entsprechend.