Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Apr. 2017 - 2 StR 242/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:260417B2STR242.16.0
26.04.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 242/16
vom
26. April 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt
ECLI:DE:BGH:2017:260417B2STR242.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführerin am 26. April 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 23. Dezember 2015, soweit die Angeklagte verurteilt worden ist, aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte unter Freispruch im Übrigen wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 19 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Dagegen richtet sich die auf Formalrügen und auf sachlich-rechtliche Einwendungen gestützte Revision der Angeklagten. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
2
1. Entgegen der Auffassung der Revision liegt dem Verfahren eine wirksame Anklageschrift und – daran anknüpfend – ein wirksamer Eröffnungsbeschluss zugrunde, da die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main vom 21. Juli 2014 (noch) ihre Umgrenzungsfunktion erfüllt. Zwar benennt die Anklageschrift nicht im Einzelnen diejenigen Arbeitnehmer, welche die An- geklagte jeweils zu den Stichtagen „nicht bzw. nicht vollständig“ gegenüber der Einzugsstelle gemeldet haben soll; dies stellt die Umgrenzungsfunktion der Anklageschrift unter den hier gegebenen Umständen jedoch nicht in Frage (vgl. BGH, Beschluss vom 8. August 2012 – 1 StR 296/12, wistra 2012, 489, 490; siehe aber OLG Hamm, Beschluss vom 18. August 2015 – III-3 Ws 269/15, wistra 2016, 86, 87; OLG Celle, Beschluss vom 3. Juli 2013 – 1 Ws 123/13, juris Rn. 15).
3
a) Die Umgrenzungsfunktion der Anklageschrift dient dazu, den Prozessgegenstand festzulegen, mit dem sich das Gericht aufgrund seiner Kognitionspflicht zu befassen hat. Deshalb sind in der Anklageschrift neben der Bezeichnung des Angeschuldigten Angaben erforderlich, welche die Tat als geschichtlichen Vorgang unverwechselbar kennzeichnen. Es darf nicht unklar bleiben, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft zu urteilen hat (Senat, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 524/10, BGHSt 56, 183, 186; BGH, Urteil vom 11. Januar 1994 – 5 StR 628/93, BGHSt 40, 44 f.; KK-StPO/Schneider, 7. Aufl., § 200 Rn. 31). Jede einzelne Tat muss sich als historisches Ereignis von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen des Angeschuldigten unterscheiden lassen, damit sich die Reichweite des Strafklageverbrauchs und Fragen der Verfolgungsverjährung eindeutig beurteilen lassen.
4
Die Umstände, welche die gesetzlichen Merkmale der Straftat ausfüllen, gehören hingegen – wie sich schon aus dem Wortlaut des § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO ergibt – nicht zur Bezeichnung der Tat. Wann die Tat in dem sonach umschriebenen Sinne hinreichend umgrenzt ist, kann nicht abstrakt, sondern nur nach Maßgabe der Umstände des jeweiligen Einzelfalls festgelegt werden. Wird eine Vielzahl gleichartiger Einzelakte durch dieselbe Handlung des Angeschuldigten zu gleichartiger Tateinheit und damit prozessual zu einer Tat verbunden, genügt die Anklageschrift ihrer Umgrenzungsfunktion, wenn die Identität dieser Tat klargestellt ist und die Tat als historisches Ereignis hinreichend konkretisiert ist. Einer individualisierenden Beschreibung sämtlicher Einzelakte bedarf es bei einer solchen Fallgestaltung nicht, um den Prozessgegenstand unverwechselbar zu bestimmen. Darüber hinausgehende Angaben, die den Tatvorwurf näher konkretisieren, können zwar erforderlich sein, damit die Anklageschrift ihre Informationsfunktion erfüllt; ihr Fehlen lässt jedoch die Wirksamkeit der Anklageschrift unberührt.
5
b) Gemessen hieran ist die Umgrenzungsfunktion durch die Anklageschrift (noch) gewahrt, auch wenn im Anklagesatz keine Angaben dazu enthalten sind, welche konkreten Arbeitnehmer die Angeklagte als verantwortliche Geschäftsführerin der A. GmbH (künftig : A. GmbH) zu den jeweiligen Tatzeitpunkten gegenüber der Einzugsstelle „nicht oder nicht vollständig“ gemeldet haben soll.
6
aa) Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage legt der damaligen Angeschuldigten zur Last, sich im Zeitraum vom 19. Januar 2008 bis zum 27. November 2009 als Geschäftsführerin der A. GmbH in 23 Fällen des Vorenthaltens und Veruntreuens von Sozialversicherungsbeiträgen schuldig gemacht zu haben, indem sie „fingierte Eingangsrechnungen“ angeblicher Sub- unternehmer in der Buchhaltung als Fremdleistung eingebucht habe, um damit Umsätze der Firma „abzudecken“ und Schwarzlohnzahlungen „an gemeldete und nicht gemeldete Arbeitnehmer der Firma zu ermöglichen“. Sie habe es sonach in 23 Fällen vorsätzlich unterlassen, die beschäftigten Arbeitnehmer sämtlich bzw. vollständig gegenüber der B. -B. als zuständiger Einzugsstelle zu melden und habe der Sozialkasse dadurch Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge in Höhe von insgesamt 3.491.293,31 Euro vorenthalten.
7
bb) Hinweise auf die konkrete Zahl der Arbeitnehmer und Angaben zu den der Einzugsstelle tatsächlich gemeldeten Arbeitnehmern oder Angaben zu den gemeldeten, tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden der Arbeitnehmer der A. GmbH zu den jeweiligen Tatzeitpunkten enthält der Anklagesatz nicht. Dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen ist zu entnehmen, dass die Firma A. GmbH im Beitragszeitraum 2008 insgesamt 135 Arbeitnehmer, davon 21 als geringfügig Beschäftigte, und im Beitragszeitraum 2009 insgesamt 114 Arbeitnehmer, davon 8 in geringfügigem Umfang, beschäftigte. Hinsichtlich der im Anklagesatz für jeden Beitragsmonat nach Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil getrennt als vorenthalten festgehaltenen Beiträge ist nur der Hinweis enthalten, dass die Angeklagte „fingierte Eingangsrechnungen“ angeblicher Subunternehmer als Fremdleistungen in die Buchhaltung eingebucht habe, um mit diesen Scheinrechnungen Umsätze der Firma „abzudecken und so Schwarzlohnzahlungen an gemeldete und nicht gemeldete Arbeitnehmer der Firma zu ermöglichen“. Darüber hinaus sei die Nachberechnung „auf der Grundlage der ermittelnden Lohnsummen“ erfolgt und „die Nettoausgangswer- te“ nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV auf einen Bruttolohn hochgerechnet worden.
8
Damit wurden zwar Art und Maß der der Angeklagten jeweils zur Last gelegten Unterlassung nicht schon aus dem Anklagesatz hinreichend deutlich. Die Taten sind gleichwohl hinreichend konkretisiert, zumal sämtliche Arbeitnehmer gegenüber ein- und derselben Einzugsstelle zu benennen gewesen wären.
9
cc) Die durch die Abfassung der Anklageschrift bedingten Mängel in der Informationsfunktion – insbesondere die nur vage Umschreibung der Tathandlung dahin, dass die Angeklagte die „bei der Firma beschäftigten Arbeitnehmer […] nur zum Teil bzw. überhaupt nicht zur Sozialversicherung gemeldet“ habe und die offene Frage der Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungs- beiträge – sind im weiteren Verfahren erforderlichenfalls durch gerichtliche Hinweise zur Gewährung rechtlichen Gehörs entsprechend § 265 StPO auszugleichen (vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 2012 – 1 StR 412/11, BGHSt 57, 88, 91; Urteil vom 9. November 2011 – 1 StR 302/11, NStZ 2012, 523, 524; Urteil vom 11. Januar 1994 – 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44, 45).
10
2. Die Verfahrensrüge einer Verletzung des § 265 Abs. 1 StPO ist begründet. Mit Recht beanstandet die Revision, dass der vom Vorsitzenden am Ende der Beweisaufnahme erteilte Hinweis, dass „etwaige Hinterziehungsbei- träge […] ggf. auf anderem Wege aus den festgestellten Zahlen ermittelt wer- den“ müssten, inhaltlich den insoweit bestehenden Anforderungen nicht genüg- te.
11
Der Vorsitzende hat sich aufgrund der nach Durchführung der Beweisaufnahme veränderten Sachlage zu Recht als verpflichtet gesehen, die Angeklagte in entsprechender Anwendung des § 265 Abs. 1 StPO darauf hinzuwei- sen, dass „etwaige Hinterziehungsbeträge auf anderem Wege“ als über so ge- nannte Abdeckrechnungen ermittelt werden müssten. Zwar handelt es sich – woraufder Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift zutreffend hinweist – bei diesem der Angeklagten in der Anklageschrift zur Last gelegten aktiven Tun nicht um das tatbestandsmäßige Unterlassen im Sinne des § 266a StGB. Gleichwohl hat das der Angeklagten ursprünglich zur Last gelegte aktive Tun – wie seine Aufnahme in den im Übrigen knapp gehaltenenAnklagesatz be- legt – erhebliche Bedeutung für den Tatnachweis sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht. In Ansehung der Mängel der Informationsfunktion der Anklageschrift und der Veränderung der Beweisgrundlage wäre der Vorsitzende – über den vage gehaltenen Hinweis hinaus – verpflichtet gewesen mitzuteilen, auf welchem Wege das Gericht „etwaige Hinterziehungsbeträge“ zu berechnen beabsichtigt, ob es eine konkrete Berechnung der nicht abgeführten Beiträge für möglich hält oder die Voraussetzungen für eine Schätzung der vorenthaltenen Beiträge für gegeben erachtet (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2009 – 1 StR 283/09, NStZ 2010, 635, 636).
12
Hieran fehlt es. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass die Angeklagte sich anders als geschehen verteidigt hätte, wenn der erforderliche Hinweis entsprechend konkret erteilt worden wäre.
13
Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
14
Der Senat sieht Anlass zu folgenden Hinweisen:
15
Dem Tatgericht obliegt es nach ständiger Rechtsprechung, die geschuldeten Beiträge – für die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte gesondert – nach Anzahl , Beschäftigungszeiten, Löhnen der Arbeitnehmer und der Höhe des Beitragssatzes der örtlich zuständigen Krankenkasse festzustellen, um eine revisionsgerichtliche Nachprüfung zu ermöglichen (BGH, Beschlüsse vom 4. März 1993 – 1 StR 16/93 und vom 22. März 1994 – 1 StR 31/94; Urteil vom 20. März 1996 – 2 StR 4/96, NStZ 1996, 543; Beschluss vom 20. April 2016 – 1 StR 1/16, NStZ 2017, 352, 353; Radtke in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 266a Rn. 61, 133), weil die Höhe der geschuldeten Beiträge auf der Grundlage des Arbeitsentgelts nach den Beitragssätzen der jeweiligen Krankenkassen sowie den gesetzlich geregelten Beitragssätzen der Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung zu berechnen ist (BGH, Urteil vom 11. August 2010 – 1 StR 199/10, NStZ-RR 2010, 376). Falls solche Feststellungen im Einzelfall nicht möglich sind, kann die Höhe der vorenthaltenen Beiträge auf Grundlage der tatsächlichen Umstände geschätzt werden (BGH, Beschluss vom 10. November 2009 – 1 StR 283/09, NStZ 2010, 635, 636; Radtke in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 266a Rn. 136). Die Grundsätze, die die Rechtsprechung bei Taten nach § 370 AO für die Darlegung der Berechnungsgrundlagen der verkürzten Steuern entwickelt hat, gelten insoweit entsprechend (BGH, Beschluss vom 4. März 1993 – 1 StR 16/93, StV 1993, 364; Urteil vom 11. August 2010 – 1 StR 199/10, NStZ-RR 2010, 376). Dementsprechend genügt es nicht, die vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge lediglich der Höhe nach anzugeben (BGH, Beschluss vom 28. Mai 2002 – 5 StR 16/02, NJW 2002, 2480, 2483). Vielmehr müssen die Urteilsgründe die Berechnungsgrundlagen und Berechnungen im Einzelnen wiedergeben (BGH, Beschluss vom 4. März 1993 – 1 StR 16/93, StV 1993, 364; Radtke in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 266a Rn. 133).
16
Darüber hinaus wird der neue Tatrichter auch den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts enthaltenen Hinweisen auf die dort im Einzelnen aufgeführten Mängel hinsichtlich der Berechnungsgrundlagen Rechnung zu tragen haben.
17
Gegebenenfalls wird auch zu prüfen sein, inwieweit dem Umstand, dass jedenfalls in zwei Fällen hypothetische Lohnsummen ermittelt worden sind, die unterhalb der an die Sozialversicherung gemeldeten Lohnsummen liegen, Rechnung getragen werden kann, um jede Beschwer der Angeklagten auszuschließen.
Appl RiBGH Prof. Dr. Krehl Eschelbach ist wegen Urlaubs an der Unterschrift gehindert. Appl Bartel RiBGH Dr. Grube ist wegen Urlaubs an der Unterschrift gehindert. Appl

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Strafgesetzbuch - StGB | § 266a Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt


(1) Wer als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldst

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 296/12
vom
8. August 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. August 2012 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 3. Januar 2012 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts merkt der Senat an: 1. Es fehlt nicht an der in jeder Lage des Verfahrens zu beachtenden Verfahrensvoraussetzung einer wirksamen Anklageschrift und - daran anknüpfend - eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses. Die Staatsanwaltschaft hat in der Anklageschrift die Höhe der Sozialversicherungsbeiträge , die der Angeklagte vorenthalten haben soll (§ 266a StGB), und die Höhe der Lohnsteuer, die der Angeklagte hinterzogen haben soll (§ 370 AO), auf der Grundlage einer Schätzung bestimmt. Hierin erblickt dieRevision - u.a. gestützt auf einen Beschluss des OLG Celle vom 19. Juli 2011 (1 Ws 271 - 274/11, wistra 2011, 434) - einen die Wirksamkeit der Anklage tangierenden Mangel, weil eine konkretere Berechnung möglich und daher geboten gewesen sei. Diesem Vorbringen muss der Erfolg versagt bleiben. Liegt einem Angeklagten Steuerhinterziehung zur Last, sind im Anklagesatz das relevante Verhalten und der Taterfolg i.S.v. § 370 AO anzuführen, einer Berechnungsdarstellung der Steuerverkürzung bedarf es dort hingegen nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai 2009 - 1 StR 665/08, wistra 2009, 465). Ausführungen zur Schadensberechnung können keinen Beitrag zur Individualisierung der Tat leisten, im Anklagesatz aber mitunter dem Ziel zuwiderlaufen, den Tatvorwurf klar, übersichtlich und verständlich darzustellen (vgl. BGH, aaO; Nr. 110 Abs. 1 RiStBV). Die für Urteile geltenden Darstellungsmaßstäbe können angesichts der unterschiedlichen Anforderungen nicht auf Anklageschriften übertragen werden (BGH, aaO; vgl. auch Hunsmann StRR 2011, 388, 389). Eine Anklageschrift erfüllt daher auch dann die für ihre Wirksamkeit erforderliche Individualisierungs- und Umgrenzungsfunktion (vgl. § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO), wenn die dem Angeklagten zur Last liegende Höhe der Steuerverkürzung - hier Lohnsteuerhinterziehung bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen - auf einer Schätzung (zu deren Zulässigkeit vgl. BGH, Urteil vom 28. Juli 2010 - 1 StR 643/09, wistra 2011, 28) beruht, indes eine genauere Berechnung der Verkürzung möglich gewesen wäre. Für den Straftatbestand des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) gilt insoweit nichts Abweichendes. Zwar ist es mit Blick auf die Informationsfunktion der Anklageschrift regelmäßig angezeigt, im wesentlichen Ermittlungsergebnis (§ 200 Abs. 2 Satz 1 StPO; Nr. 112 RiStBV) die für eine nachvollziehbare Darstellung der Berechnung der Abgabenverkürzung erforderlichen Tatsachenfeststellungen sowie (Steuer)Berechnungen oder Schätzungen anzuführen. Auch erscheint es zweckmäßig, die Ausführungen bereits an den für das Gericht geltenden Maßstäben auszurichten (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 10. November 2009 - 1 StR 283/09, NStZ 2010, 635). Fehlen derartige Angaben oder erweisen sie sich als ungenügend, kann dies für sich allein indes die Wirksamkeit der Anklage nicht in Frage stellen, da Mängel der Informationsfunktion ihre Wirksamkeit nicht berühren (vgl. u.a. BGH, Urteile vom 24. Januar 2012 - 1 StR 412/11, wistra 2012, 195 und vom 2. März 2011 - 2 StR 524/10, BGHSt 56, 183 sowie Beschluss vom 18. Oktober 2007 - 4 StR 481/07, wistra 2008, 109, jeweils mwN); insoweit können Fehler auch noch in der Hauptverhandlung durch Hinweise entsprechend § 265 StPO geheilt werden (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 - 1 StR 205/09, NJW 2010, 308 mwN). Mängel der Anklageschrift, die deren Wirksamkeit nicht in Frage stellen, berechtigen auch nicht zur Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens (Schneider in KK-StPO, 6. Aufl., § 204 Rn. 5; vgl. auch Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 200 Rn. 27 mwN). Hält das zur Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens berufene Gericht die Schätzung der Anklagebehörde für unstatthaft oder ungenügend, hat es demzufolge die für erforderlich erachteten Nachermittlungen (Nachberechnungen) entweder selbst vorzunehmen oder auf eine Mängelbeseitigung durch die Staatsanwaltschaft hinzuwirken (vgl. insgesamt zu Mängeln, die nicht die Umgrenzungsfunktion der Anklageschrift betreffen Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 200 Rn. 27). Hingegen kommt - auch unbeschadet der Möglichkeit einer neuen Anklageerhebung (vgl. § 156 StPO) - die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 204 StPO) allein wegen einer aus Sicht des Gerichts nicht tragfähigen Schätzung in der Anklage nicht in Betracht (insoweit zumindest irreführend OLG Celle, Beschluss vom 19. Juli 2011 - 1 Ws 271 - 274/11, wistra 2011, 434, soweit der Beschluss die Zulässigkeit der Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens mit "derzeit unzulässigen Schätzungen" der Anklagebehörde begründet, denn dies lässt nicht erkennen , ob es an einem hinreichenden Tatverdacht einer Steuerhinterziehung fehlt). 2. Schuld- und Strafausspruch haben Bestand. Zwar bestimmt sich bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen der der Strafzumessung zugrunde zu legende Nominalbetrag verkürzter Lohnsteuer auf der Grundlage des gezahlten Schwarzlohns nur dann nach den Steuersätzen der Lohnsteuerklasse VI, wenn in Fällen vollumfänglicher Schwarzlohnzahlungen dem Arbeitgeber eine Lohnsteuerkarte des Arbeitnehmers nicht vorlag (§ 39c EStG in der im Tatzeitraum geltenden Fassung) bzw. ihm die dem Arbeitnehmer zugeteilte Identifikationsnummer nicht bekannt war (§ 39c EStG), im Übrigen (Teilschwarzlohnzahlungen ) nach der jeweiligen - unschwer feststellbaren - Steuerklasse des betroffenen Arbeitnehmers (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2011 - 1 StR 651/10, BGHSt 56, 153 mwN; zu geringfügig entlohnten Beschäftigten vgl. BGH, Urteil vom 11. August 2010 - 1 StR 199/10, NStZ-RR 2010, 376). Die hiervon teilweise abweichende Bestimmung der Höhe hinterzogener Lohnsteuer durch die Strafkammer berührt vorliegend jedoch - wie der Senat den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen entnehmen kann - nicht die für die Strafzumessung maßgebliche Größenordnung der Steuerverkürzung und kann den Angeklagten jedenfalls nicht beschweren. Wahl Hebenstreit Jäger Sander Cirener

Tenor

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten der Staatskasse, die auch die notwendigen Auslagen der Angeklagten trägt, als unbegründet verworfen.


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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 524/10
vom
2. März 2011
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
Zu den Anforderungen an die Fassung des Anklagesatzes bei einer Vielzahl gleichartiger
Einzelakte, die zu gleichartiger Tateinheit und damit auch prozessual zu einer
Tat verbunden sind.
BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 524/10 Landgericht Frankfurt / Main
in der Strafsache
gegen
wegen Betrugs
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung
vom 2. Februar 2011 in der Sitzung vom 2. März 2011, an der teilgenommen
haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Prof. Dr. Schmitt,
Dr. Berger,
Prof. Dr. Krehl,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin in der Verhandlung
Justizangestellte bei der Verkündung
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 5. Juli 2010 aufgehoben, soweit es die Fälle 1) – 8) der Anklageschrift vom 21. Juli 2008 betrifft. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat das Verfahren gegen den Angeklagten gemäß § 260 Abs. 3 StPO mit der Begründung eingestellt, die Anklageschrift genüge nicht den an sie gemäß § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO zu stellenden Anforderungen. Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge formellen Rechts gestützte Revision hat hinsichtlich der Fälle 1) – 8) der Anklage Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.
2
1. Die Anklage der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main vom 21. Juli 2008 legt dem Angeklagten Betrug in zehn Fällen in der Zeit vom 1. Juli 2000 bis 30. April 2003 zur Last. Der wegen Betruges vorbestrafte Angeklagte habe als faktischer Geschäftsführer verschiedener Firmen von ihm selbst verfasste "Informationsbriefe" mit einem Umfang zwischen 12 und 26 Seiten über einen Fax-Abruf vertrieben, bei dem der Besteller durch Anwahl einer bestimmten Nummer den Versand des Briefes auf sein eigenes Faxgerät bewirkte. Zuvor habe der Angeklagte seine Informationsbriefe über massenhaft verschickte Werbefaxe und über das Internet beworben. Die Abwicklung sei über bei einem Telefondienstleister angemietete Rufnummern erfolgt. Da der Angeklagte jeweils den teuersten Tarif gewählt habe, sei den Bestellern des Fax-Briefes eine Gebühr von 3,63 DM bzw. 1,86 Euro pro Minute berechnet worden, von der dem Angeklagten nach den Vereinbarungen mit dem Telefondienstleister ca. 60 bis 67 % zugestanden habe. Im Interesse eines maximalen Gewinns habe der Angeklagte auf verschiedene Weise - etwa durch die typografische bzw. grafische Gestaltung der Faxbriefe und die Wahl der langsamsten Übertragungsrate - dafür gesorgt, dass die Übertragungsdauer auf ein Vielfaches der üblichen Zeit verlängert worden sei. Der Angeklagte habe zwar in seinen Werbefaxen auf den Minutenpreis von 3,63 DM und später 1,86 Euro hingewiesen. Die durch die verlängerte Übertragungsdauer entstandenen unerwartet hohen Kosten seien für die Besteller jedoch nicht zu erkennen gewesen. So dauerte etwa der Abruf eines 24seitigen Faxbriefes ca. 72 Minuten und kostete den Besteller ca. 276 DM bzw. 138 €.
3
Der Angeklagte habe die Abnehmer in seinen zu Werbezwecken verschickten Faxen aber vor allem über den Inhalt und den praktischen Nutzen der angebotenen Fax-Abrufe getäuscht. Die Informationsbriefe zu Themen wie z.B. "Banken ohne Schufa", "Traumjob Fotomodell", "Verlieben online", "Heimverdienst" , "Gesunde Ernährung", "Sexlinks ohne Ende" und "Fabrikverkauf - Umgehen Sie den Einzelhandel" hätten Banalitäten enthalten, die für die meisten bzw. nahezu alle Abnehmer ohne Wert gewesen seien. Die Einnahmen des Angeklagten hätten sich im Tatzeitraum auf insgesamt 2.555.833 Euro belaufen.
4
2. Das Landgericht hat die Einstellung des Verfahrens gemäß § 260 Abs. 3 StPO damit begründet, dass die Anklageschrift die einzelnen Taten nicht hinreichend konkretisiere. Es sei schon nicht erkennbar, an welchen Orten, zu welchen Zeiten und mit welchem Inhalt die Werbefaxe, in denen der Angeklagte über den Inhalt und den Nutzen der Informationsbriefe getäuscht und bei denen er gebotene Angaben unterlassen haben soll, versandt worden seien. Außerdem bezeichne die Anklageschrift bis auf wenige beispielhaft genannte Personen die geschädigten Kunden nicht namentlich, und es sei nicht erkennbar, welche konkreten Werbemaßnahmen bzw. Manipulationen an der Übertragungszeit jeweils mit welchen Auswirkungen auf Vorstellungsbild und Motivlage einzelner Geschädigter in strafrechtlichem Zusammenhang stünden. Der Umgrenzung der Einzelakte im Verhältnis zu anderen Einzelakten komme vorliegend auch keine nur untergeordnete Bedeutung zu, da bezogen auf einen betrügerischen Geschäftsbetrieb ein einheitliches "uneigentliches" Organisationsdelikt nicht angenommen werden könne.
5
3. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist hinsichtlich der Fälle 1) bis 8) der Anklageschrift begründet. In diesen - nicht verjährten (vgl. den auf die Revision des Angeklagten ergangenen Senatsbeschluss vom heutigen Tage - 2 StR 524/10) - Fällen hat die Anklage Bestand, weil sie die notwendigen Angaben zur Bestimmung des Prozessgegenstandes enthält und damit ihrer Umgrenzungsfunktion genügt.
6
a) Eine Anklage ist nur dann unwirksam mit der Folge, dass das Verfahren wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung einzustellen ist, wenn etwaige Mängel ihre Umgrenzungsfunktion betreffen. Mängel der Informationsfunktion berühren ihre Wirksamkeit dagegen nicht (BGHSt 44, 153, 156; LRStuckenberg 26. Aufl. § 200 StPO Rn. 80). Die Umgrenzungsfunktion der Anklage dient dazu, den Prozessgegenstand festzulegen, mit dem sich das Ge- richt aufgrund seiner Kognitionspflicht zu befassen hat. Sie erfordert neben der Bezeichnung des Angeschuldigten Angaben, welche die Tat als geschichtlichen Vorgang unverwechselbar kennzeichnen. Es darf nicht unklar bleiben, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll (BGHSt 40, 44 f.; LR-Stuckenberg 26. Aufl. § 200 StPO Rn. 18 mwN). Jede einzelne Tat muss sich als historisches Ereignis von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen des Angeschuldigten unterscheiden lassen, damit sich die Reichweite des Strafklageverbrauchs und Fragen der Verfolgungsverjährung eindeutig beurteilen lassen. Die Umstände, welche die gesetzlichen Merkmale der Straftat ausfüllen, gehören dagegen - wie sich auch aus dem Wortlaut von § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO ergibt - nicht zur Bezeichnung der Tat. Wann die Tat in dem beschriebenen Sinne hinreichend umgrenzt ist, kann nicht abstrakt, sondern nur nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalles festgelegt werden.
7
Bei einer Vielzahl gleichartig begangener Betrugsdelikte müssen zu deren Konkretisierung grundsätzlich auch die Geschädigten der einzelnen Fälle benannt und diese so dargestellt werden, dass sie von etwaigen weiteren Fällen durch nähere Einzelheiten oder Begleitumstände unterscheidbar sind (vgl. BGH StV 2007, 171 f.; KK-Schneider 6. Aufl. § 200 StPO Rn. 11 mwN). Dies gilt jedoch nur, wenn die Serienstraftaten je für sich prozessual als selbständige Taten zu werten sind, etwa weil sie auch materiell-rechtlich in Realkonkurrenz stehen (vgl. BGH NJW 2008, 2131, 2132; NStZ 2008, 352). Wird dagegen eine Vielzahl gleichartiger Einzelakte durch dieselbe Handlung des Beschuldigten zu gleichartiger Tateinheit und damit auch prozessual zu einer Tat verbunden, genügt die Anklage ihrer Umgrenzungsfunktion, wenn die Identität dieser Tat klar gestellt ist. Einer individualisierenden Beschreibung ihrer Einzelakte bedarf es bei einer solchen Fallgestaltung nicht, um den Prozessgegenstand unverwechselbar zu bestimmen. Darüber hinausgehende Angaben, die den Tatvorwurf näher beschreiben, können zwar erforderlich sein, um der Informationsfunktion der Anklageschrift zu genügen (dazu unten 5.); ihr Fehlen lässt jedoch deren Bestand unberührt.
8
b) Nach diesen Maßstäben erfüllt die Anklage in den Fällen 1) bis 8) ihre Funktion, den Verfahrensgegenstand zu umgrenzen. Die allgemeine Schilderung des "Geschäftsmodells" des Angeklagten, die Bündelung einer Vielzahl von Einzelakten und Geschädigten zu einzelnen prozessualen Taten sowie die Festlegung des Zeitraums, in dem die Faxbriefe jeweils versandt wurden, reichen aus, um die dem Angeklagten vorgeworfenen Straftaten so zu bestimmen, dass die Identität des jeweils gemeinten geschichtlichen Vorgangs hinreichend klargestellt wird und die einzelne Tat sich von anderen strafbaren Handlungen des Angeklagten unterscheiden lässt. Insbesondere ist es nicht zu beanstanden , dass die Anklage das umfangreiche Gesamtgeschehen mit Tausenden von Geschädigten zu wenigen prozessualen Taten zusammengefasst hat, die sich an den jeweils unterschiedlichen Inhalten der vom Angeklagten verfassten Faxbriefe orientieren. Insofern geht die Anklage vertretbar davon aus, dass die jeweils auf einem Tatentschluss des Angeklagten beruhende Einrichtung der Faxseiten zu einem bestimmten Thema materiell-rechtlich als eine (Täuschungs -)Handlung zu werten ist, die sukzessive eine Vielzahl gleichartiger Erfolge ausgelöst hat. Durch diese Form der Handlungseinheit werden die Einzelakte , die im Gebrauch der Abrufe durch die Geschädigten bestehen, auch prozessual zu jeweils einer Tat verbunden.
9
Deshalb ist es entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts unschädlich , dass die Anklage nur wenige Geschädigte ausdrücklich benennt. Der Umgrenzungsfunktion der Anklage ist in den Fällen 1) bis 8) bereits dadurch genügt, dass der zur Aburteilung gestellte Lebenssachverhalt durch die Einrichtung des jeweiligen Faxabrufs und die Angabe der Dauer seines Betriebes in- haltlich und zeitlich unverwechselbar gekennzeichnet ist. Zweifel über Fragen der Verjährung oder den Umfang des Strafklageverbrauchs können insoweit nicht aufkommen. Demgegenüber sind die Bezeichnung der Geschädigten sowie Ausführungen zu den Vorstellungen, die diese sich beim Abruf der vom Angeklagten angebotenen Inhalte gemacht haben, für die Individualisierung des zur Aburteilung gestellten Sachverhaltes nicht erforderlich, sondern konkretisieren lediglich die gesetzlichen Merkmale des Betrugs hinsichtlich der gleichartigen Teilakte der jeweiligen prozessualen Taten. Insofern ist die Unterrichtung des Angeklagten über die Einzelheiten des Schuldvorwurfs und damit die Informationsfunktion der Anklage betroffen (dazu unten 5.). Der vorliegend zu beurteilende Sachverhalt unterscheidet sich damit von Seriendelikten mit einer Vielzahl von auf jeweils neuen Tatentschlüssen beruhenden Handlungen, die prozessual als selbständige und in der Anklageschrift - ggf. auch im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen - deshalb unverwechselbar zu kennzeichnende Taten zu werten sind (vgl. BGH NJW 2008, 2131, 2132; NStZ 2008, 352; Beschluss vom 12. Januar 2011 - GSSt 1/10).
10
4. In den Fällen 9) und 10) erfüllt die Anklage vom 21. Juli 2008 dagegen ihre Umgrenzungsfunktion nicht. Im Fall 9) bleibt mit Rücksicht auf den bloßen Hinweis "ab Anfang April 2002" bereits unklar, wie lange der betreffende Faxabruf eingerichtet war und genutzt wurde. Diese Lücke kann auch nicht durch Rückgriff auf das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen geschlossen werden. Die genaue Festlegung des Tatzeitraumes ist jedoch unabdingbar, um das dem Gericht zur Aburteilung gestellte Geschehen, Fragen der Verfolgungsverjährung sowie die Reichweite der Rechtskraft unverwechselbar zu bestimmen.
11
Im Fall 10) ist für den Faxabruf "Gratisurlaub! Für alle Altersgruppen" keinerlei Tatzeit angegeben. Insoweit gilt das zu Fall 9) Ausgeführte. Im Übrigen besteht der Anklagesatz im Fall 10) aus Angaben zu erzielten Erlösen aus der Versendung von Informationsbriefen zu unterschiedlichsten Themen, die zum überwiegenden Teil bereits Gegenstand der angeklagten Taten 1) – 8) sind. Insoweit wird nicht deutlich, welcher hiervon unterschiedene geschichtliche Vorgang zur Aburteilung gestellt werden soll. Es mag unter Berücksichtigung der sonstigen Struktur der Anklage naheliegend erscheinen, jeweils eigenständige prozessuale Taten anzunehmen, wenn nach einer zeitlichen Zäsur von dem Angeklagten Faxabrufe zu bestimmten Themen neu aufgelegt wurden. In der Fassung der Anklageschrift kommt dies aber nicht zum Ausdruck.
12
5. Der Senat weist für das weitere Verfahren auf folgendes hin: Die Anklage genügt in den Fällen 1) bis 8) den nach § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO zu stellenden Anforderungen an ihre Informationsfunktion nicht. Wenngleich dies - wie dargelegt - keine Auswirkungen auf ihren Bestand hat, muss der Angeklagte jedoch so über die Einzelheiten des Tatvorwurfs unterrichtet werden, dass er in die Lage versetzt wird, sein Prozessverhalten hierauf einzustellen (BGHSt 40, 44, 47 f.; BGH, Beschluss vom 12. Januar 2011 - GSSt 1/10). Die Anklageschrift muss deshalb auch bei massenhaft begangenen Seriendelikten die mehrgliedrigen Voraussetzungen des Tatbestandes des § 263 StGB, erforderlichenfalls hinsichtlich jedes - möglicherweise zu gleichartiger Tateinheit zusammenzufassenden - schädigenden Einzelaktes konkret bezeichnen (Senat NStZ 2010, 103, 104). Aus einem - nicht notwendigerweise in der Hauptverhandlung zu verlesenden (BGH, Beschluss vom 12. Januar 2011 - GSSt 1/10) - Teil der Anklageschrift müssen sich die individuellen Merkmale der Einzeltaten ergeben; es muss daher ausgeführt werden, durch welche Tatsachen oder Vorstellungen der gesetzliche Straftatbestand jeweils erfüllt ist (§ 200 Abs. 1 Satz 1 StPO). Mit Rücksicht auf die Informationsfunktion der Anklageschrift darf dabei insbesondere nicht aus dem Blick verloren werden, dass der Betrug ein gegen das Vermögen einzelner privater oder juristischer Personen gerichteter Straftatbestand ist (Senat NStZ 2010, 103, 104).
13
Dem wird die Anklage in den Fällen 1) bis 8) nicht gerecht. Die mehreren tausend Personen, die sich des Faxabrufes des Angeklagten bedient haben, werden nicht als nach § 263 StGB geschädigte Einzelne, sondern als - weitestgehend anonym bleibende - Gruppe behandelt. Die Anklageschrift nennt nur einige wenige Geschädigte namentlich (je eine Person zu den Fällen 1, 5 und 6, zwei Personen zu Fall 2, je fünf Personen zu den Fällen 3 und 4 und sechs Personen zu Fall 8). Zum Fall 7 wird kein einziger Geschädigter mitgeteilt. Eine Individualisierung der Tatopfer und ihre Zuordnung zu einzelnen Teilakten kann danach nicht vorgenommen werden. Diese Angaben wären aber erforderlich, um dem Angeklagten die Möglichkeit zu geben, sein Prozessverhalten auf den Anklagevorwurf in seiner Gesamtheit einzustellen.
14
Außerdem wird bei keinem der angegebenen Geschädigten klar, wann er auf das Angebot des Angeklagten eingegangen ist, welche Vorstellungen er sich dabei gemacht hat und welcher konkrete Schaden ihm entstanden ist. Trotz des Seriencharakters der angeklagten Betrugsstraftaten darf der Vorstellungshorizont der durch die Einzelakte Geschädigten nicht offen bleiben. Der Anklage ist zu entnehmen, dass die jeweiligen Abnehmer umfangreiche Informationsbriefe erhielten, deren Inhalte sich jedenfalls auf den zuvor beworbenen Themenkreis bezogen. Vor diesem Hintergrund versteht sich die Annahme der Anklage, der Angeklagte habe "vor allem ... über den Inhalt und den praktischen Nutzen der angebotenen Faxseiten" getäuscht, zumindest nicht für jeden Abnehmer von selbst. Dies zeigt sich auch an einschränkenden Formulierungen in der Anklage wie zu Fall 3, wonach die Informationen "für nahezu alle", und zu Fall 8, wonach sie "für die meisten" Abnehmer wertlos gewesen seien. Für welche Abnehmer dies gelten soll, lässt sich an Hand der Anklageschrift nicht nachvollziehen. Dies gilt gleichermaßen für den Vorwurf, der Angeklagte habe die Übertragungszeiten bewusst verzögert. Da die Anklageschrift ausführt, dass es auch Faxabrufe mit normaler Übertragungszeit gab, ist auch insoweit eine konkrete Zuordnung möglicherweise tatbestandlich relevanter Verhaltensweisen des Angeklagten zu bestimmten Einzelakten und durch diese geschädigten Personen nicht möglich.
15
Schließlich lässt sich der Anklage auch der Schadensumfang, von dem die Staatsanwaltschaft ausgeht, nicht hinreichend deutlich entnehmen. Der angenommene Gesamtschaden in Millionenhöhe, der sich aus einer Gleichsetzung mit den gesamten Einnahmen des Angeklagten im Tatzeitraum ergeben soll, kann nicht mit dem Hinweis auf einzelne namentlich genannte Geschädigte belegt werden, die "um die Übertragungskosten geschädigt" sind, zumal diese bei keinem Geschädigten konkret beziffert werden und die Übertragungszeit nicht bei allen Abnehmern verlängert war.
16
Der neue Tatrichter wird den dargelegten Unzulänglichkeiten der Informationsfunktion der Anklageschrift durch Hinweise nach § 265 Abs. 1 StPO, ggf. nach entsprechenden Nachermittlungen der Staatsanwaltschaft, Rechnung zu tragen haben.
Fischer Appl Schmitt Berger Krehl

(1) Die Anklageschrift hat den Angeschuldigten, die Tat, die ihm zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Straftat und die anzuwendenden Strafvorschriften zu bezeichnen (Anklagesatz). In ihr sind ferner die Beweismittel, das Gericht, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden soll, und der Verteidiger anzugeben. Bei der Benennung von Zeugen ist nicht deren vollständige Anschrift, sondern nur deren Wohn- oder Aufenthaltsort anzugeben. In den Fällen des § 68 Absatz 1 Satz 3, Absatz 2 Satz 1 genügt die Angabe des Namens des Zeugen. Wird ein Zeuge benannt, dessen Identität ganz oder teilweise nicht offenbart werden soll, so ist dies anzugeben; für die Geheimhaltung des Wohn- oder Aufenthaltsortes des Zeugen gilt dies entsprechend.

(2) In der Anklageschrift wird auch das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen dargestellt. Davon kann abgesehen werden, wenn Anklage beim Strafrichter erhoben wird.

(1) Arbeitsentgelt sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Arbeitsentgelt sind auch Entgeltteile, die durch Entgeltumwandlung nach § 1 Absatz 2 Nummer 3 des Betriebsrentengesetzes für betriebliche Altersversorgung in den Durchführungswegen Direktzusage oder Unterstützungskasse verwendet werden, soweit sie 4 vom Hundert der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze der allgemeinen Rentenversicherung übersteigen.

(2) Ist ein Nettoarbeitsentgelt vereinbart, gelten als Arbeitsentgelt die Einnahmen des Beschäftigten einschließlich der darauf entfallenden Steuern und der seinem gesetzlichen Anteil entsprechenden Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung. Sind bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung nicht gezahlt worden, gilt ein Nettoarbeitsentgelt als vereinbart.

(3) Wird ein Haushaltsscheck (§ 28a Absatz 7) verwendet, bleiben Zuwendungen unberücksichtigt, die nicht in Geld gewährt worden sind.

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 412/11
vom
24. Januar 2012
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_____________________________
Die Umgrenzungsfunktion der Anklageschrift gebietet auch bei Bandentaten oder
"uneigentlichen Organisationsdelikten" nicht, dass für die Bestimmtheit des Anklagevorwurfs
i.S.d. § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO mehr an Substanz verlangt wird als materiell
-rechtlich für einen Schuldspruch erforderlich ist.
BGH, Urteil vom 24. Januar 2012 - 1 StR 412/11 - LG Karlsruhe
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
5.
6.
wegen Betruges
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
24. Januar 2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Jäger,
Erster Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger für den Angeklagten A. ,
Rechtsanwälte
als Verteidiger für den Angeklagten M. B. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger für den Angeklagten S. B.
und der Angeklagte persönlich,
Rechtsanwalt
als Verteidiger für den Angeklagten L. M. ,
Rechtsanwalt
Rechtsanwalt
als Verteidiger für den Angeklagten E. P. ,
Rechtsanwälte
als Verteidiger für den Angeklagten G. P. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 5. April 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat durch das angefochtene Urteil das Verfahren gemäß § 260 Abs. 3 StPO eingestellt und festgestellt, dass eine Entscheidung über die Verpflichtung zur Entschädigung der Angeklagten noch nicht veranlasst ist.
2
Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft zu Ungunsten aller Angeklagten Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts. Die Rechtsmittel, die vom Generalbundesanwalt vertreten werden, haben in vollem Umfang Erfolg.

I.

3
Dem Einstellungsurteil des Landgerichts ging folgendes prozessuale Geschehen voraus:
4
Mit Anklageschrift vom 4. Mai 2010 (eingegangen am 6. Mai 2010) hat die Staatsanwaltschaft den sechs Angeklagten und einem weiteren Beschuldigten ( C. ) zur Last gelegt, jeweils in 83 Fällen einen vollendeten gewerbsmäßigen Bandenbetrug und jeweils in 49 Fällen einen versuchten gewerbsmäßigen Bandenbetrug begangen zu haben. Den Angeklagten wird vorgeworfen , minderwertige Elektrogeräte (insbesondere Stromgeneratoren aus China) nach Anbringen von Typenaufklebern hochwertiger Hersteller zu einem Vielfachen des wirklichen Wertes an getäuschte Kunden verkauft oder einen Verkauf versucht zu haben. In der insgesamt 173 Seiten umfassenden Anklageschrift werden u.a. die Bandenabrede und die Bandenstruktur sowie die Aufgabenbereiche der Angeklagten innerhalb der Bande dargestellt. Die einzelnen Taten werden nach Tatzeit, Tatort, Verkäufer (soweit bekannt), Geschädigte(r), Kaufpreis, Anzahl der verkauften Gegenstände und Art der Bezahlung aufgelistet. Die jeweiligen Tätigkeiten der Bandenmitglieder werden im Anklagesatz geschildert. Im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen in der Anklageschrift vom 4. Mai 2010 wird u.a. näher dargelegt, inwieweit die einzelnen Taten den Angeklagten zuzurechnen sind (vgl. u.a. S. 99 ff.).
5
Das Landgericht hat am 16. September 2010 im Wesentlichen folgenden Eröffnungsbeschluss erlassen: Gegen den Angeschuldigten C. wurde die Eröffnung des Hauptverfahrens insgesamt abgelehnt. Hinsichtlich der anderen sechs Angeklagten wurde das Hauptverfahren in 44 Fällen eröffnet und die Anklageschrift zur Hauptverhandlung zugelassen. Wegen der übrigen Fälle wurde die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt. Soweit eine Ablehnung erfolgte, wurde diese im Wesentlichen mit dem Fehlen eines hinreichenden Tatverdachtes begründet.
6
Durch weiteren Beschluss des Landgerichts vom 5. Oktober 2010 wurden die Verfahren abgetrennt, soweit eine Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt worden war. Über die gegen die teilweise Nichteröffnung eingelegte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft (§ 210 Abs. 2 StPO) hat das zuständige Oberlandesgericht noch nicht entschieden.
7
Unter dem 7. Oktober 2010 hat die Staatsanwaltschaft gemäß § 207 Abs. 3 Satz 1 StPO eine dem Beschluss vom 16. September 2010 entsprechende neue Anklageschrift eingereicht, wobei sie gemäß § 207 Abs. 3 Satz 2 StPO von einer erneuten Darstellung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen abgesehen hat. In der Neufassung der Anklageschrift wird den Angeklagten "nur noch" zur Last gelegt, jeweils in 17 Fällen einen vollendeten gewerbsmäßigen Bandenbetrug und jeweils in 27 Fällen einen versuchten Bandenbetrug begangen zu haben. In der nunmehr insgesamt 73 Seiten umfassenden Anklageschrift werden erneut u.a. die Bandenabrede und Bandenstruktur sowie die Arbeitsaufteilung unter den angeklagten Bandenmitgliedern dargestellt. Die einzelnen Taten werden nach Tatzeit, Tatort, Verkäufer (bis auf einen Fall namentlich), Geschädigte(r), Kaufpreis, Anzahl der verkauften Gegenstände und Art der Bezahlung aufgelistet.
8
Am 28. Januar 2011 wurden in der am 7. Oktober 2010 begonnenen Hauptverhandlung die Verfahrensbeteiligten u.a. über Vorverständigungsgespräche unterrichtet und es wurde ihnen die Auffassung des Gerichts zum bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme mitgeteilt. Die Verfahrensbeteiligten wurden auch darauf hingewiesen, "dass die Kammer weiterhin zu prüfen haben wird, ob die vorgelegte Anklageschrift ihrer Informationsfunktion genügt und dass diese Prüfung auch zu einem anderen Ergebnis führen kann als mit der Eröffnung des Hauptverfahrens erfolgt."
9
Eine vom Gericht angeregte Verfahrenseinstellung gemäß § 153 Abs. 2 StPO ist an der fehlenden Zustimmung der Staatsanwaltschaft gescheitert.
10
In dem angefochtenen Urteil vom 5. April 2011 erfolgte eine Einstellung des Verfahrens, weil die Anklage ihre Funktion nicht erfülle, den Verfahrensgegenstand zu umgrenzen. Welche bestimmten Taten den Angeklagten vorgeworfen werde, gehe aus dem Anklagesatz nicht hervor, jedenfalls nicht, welchen konkreten Tatbeitrag welcher Angeklagte zu welcher Tat geleistet haben soll. Die den Angeklagten vorgeworfene Bildung einer Bande reiche dazu ebenso wenig aus wie die generelle Beschreibung der Funktionen, die die Angeklagten innerhalb der "Gruppierung" eingenommen haben. Stromgeneratoren der in der Anklageschrift genannten Art seien auch von anderen Personen vertrieben worden und die Straßenverkäufer seien nicht nur für die Angeklagten unterwegs gewesen. Die Handlungen der einzelnen Angeklagten seien nicht so hinreichend beschrieben, dass die Anklage ihrer Umgrenzungsfunktion genüge.

II.

11
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft sind begründet. Die Anklage ist wirksam, weil sie die notwendigen Angaben zur Bestimmung des Prozessgegenstandes enthält und damit ihrer Umgrenzungsfunktion genügt.
12
Eine Anklage ist nur dann unwirksam mit der Folge, dass das Verfahren wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung einzustellen ist, wenn etwaige Mängel ihre Umgrenzungsfunktion betreffen (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 9. August 2011 - 1 StR 194/11 mwN). Mängel der Informationsfunktion berühren ihre Wirksamkeit dagegen nicht (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 524/10 mwN; BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2007 - 4 StR 481/07 mwN); insoweit können Fehler auch noch in der Hauptverhandlung durch Hinweise entsprechend § 265 StPO geheilt werden (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 - 1 StR 205/09 mwN).
13
1. Die Anklageschrift hat nach § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs dargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist; sie muss sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 11. Januar 1994 - 5 StR 682/93 mwN, BGHSt 40, 44, 45). Dabei muss die Schilderung umso konkreter sein, je größer die allgemeine Möglichkeit ist, dass der Angeklagte verwechselbare weitere Straftaten gleicher Art verübt hat (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 8. August 1996 - 4 StR 344/96 mwN). Die begangene konkrete Tat muss durch bestimmte Tatumstände so genau bezeichnet werden, dass keine Unklarheit darüber möglich ist, welche Handlungen dem Angeklagten zur Last gelegt werden (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 - 1 StR 205/09). Denn es darf nicht unklar bleiben, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll. Erfüllt die Anklage ihre Umgrenzungsfunktion nicht, ist sie unwirksam (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 9. August 2011 - 1 StR 194/11 mwN; BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 524/10; BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 - 1 StR 205/09; BGH, Beschluss vom 29. November 1994 - 4 StR 648/94 mwN; BGH, Urteil vom 11. Januar 1994 - 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44, 45). Ein wesentlicher Mangel der Anklageschrift, der als Verfahrenshindernis wirken kann, ist daher anzunehmen, wenn die angeklagten Taten anhand der Anklageschrift nicht genügend konkretisierbar sind, so dass unklar bleibt, auf welchen konkreten Sachverhalt sich die Anklage bezieht und welchen Umfang die Rechtskraft ei- nes daraufhin ergehenden Urteils haben würde (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2007 - 4 StR 481/07 mwN; BGH, Beschluss vom 14. Februar 2007 - 3 StR 459/06 mwN; BGH, Urteil vom 28. April 2006 - 2 StR 174/05; BGH, Beschluss vom 20. Juli 1994 - 2 StR 321/94 mwN). Bei der Prüfung, ob die Anklage die gebotene Umgrenzung leistet, dürfen ggf. die Ausführungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen zur Ergänzung und Auslegung des Anklagesatzes herangezogen werden (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 9. August 2011 - 1 StR 194/11 mwN; BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 - 1 StR 205/09 mwN; BGH, Urteil vom 28. April 2006 - 2 StR 174/05).
14
2. Danach liegen hier keine schweren Mängel der Anklageschrift vor, die zur Unwirksamkeit der Anklage und damit zu einem Verfahrenshindernis führen würden. Es bestehen insbesondere keinerlei Zweifel an dem Umfang der Rechtskraft eines daraufhin ergehenden Urteils. Alle den Angeklagten vorgeworfenen Taten sind nach Tatzeit, Tatort, Verkäufer, Geschädigte(r), Kaufpreis (oder Kaufpreisangebot), Anzahl der verkauften (oder verbindlich angebotenen) Gegenstände und (bei den vollendeten Taten) Art der Bezahlung hinreichend konkretisiert. Es ist danach klar, welche Taten den Angeklagten zur Last gelegt werden. Aus der Anklageschrift ergibt sich eindeutig, dass alle Taten allen Angeklagten als jeweils mittäterschaftlich (§ 25 Abs. 2 StGB) begangene Betrugsfälle angelastet werden, wobei die Anklage die Voraussetzungen einer Bande bejaht.
15
Soweit in dem angefochtenen Urteil ausgeführt wird, dass eine hinreichende Konkretisierung der einzelnen Handlungen der Angeklagten deshalb fehle, weil nur die jeweilige Bandentätigkeit dargestellt werde, ist auf Folgendes hinzuweisen: Richtig ist, dass, wenn sich mehrere Täter zu einer Bande zusammenschließen , dies nicht zur Folge hat, dass jedes von einem der Mitglieder aufgrund der Bandenabrede begangene Betrugsdelikt den anderen Ban- denmitgliedern ohne weiteres als gemeinschaftlich begangene Straftat i.S.d. § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden kann (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 13. Mai 2003 - 3 StR 128/03). Allein die Bandenmitgliedschaft und ein Handeln im Interesse der Bande ohne konkreten Bezug zu einer von anderen Bandenmitgliedern begangenen Straftat genügt nicht, um eine Strafbarkeit des Bandenmitglieds wegen einer Bandentat zu begründen. Wegen einer Tat, die "aus der Bande heraus" begangen wird, kann als Täter oder Teilnehmer nur bestraft werden, wenn er an dieser konkreten Tat mitgewirkt hat (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 13. Juni 2007 - 3 StR 162/07 mwN).
16
Diese materiell-rechtliche Frage der Strafbarkeit eines Angeklagten ist von der Problematik der Umgrenzungsfunktion einer Anklageschrift zu trennen. Kann einem Angeklagten nach Ausschöpfung der Beweismöglichkeiten die Begehung einer konkreten Tat nicht nachgewiesen werden, ist er freizusprechen, wenn diese Tat i.S.d. § 264 StPO angeklagt war. Die Verneinung einer Bandenabrede durch den Tatrichter und auch die Nichtannahme eines - hier dann allerdings nahe liegenden - "uneigentlichen Organisationsdeliktes" (vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 9. November 2011 - 4 StR 252/11 Rn. 12) mögen dazu führen, dass noch strengere Anforderungen an die Feststellung der konkreten Tatbeiträge eines jeden Angeklagten an den jeweiligen Taten zu stellen sind, sie führen aber nicht dazu, dass die vorher zu Recht (im Eröffnungsbeschluss ) angenommene Einhaltung der Umgrenzungsfunktion entfällt.
17
In seinem Hinweis vom 28. Januar 2011 in der Hauptverhandlung ist das Landgericht selbst (noch) zutreffend davon ausgegangen, dass eine insoweit (behauptete) fehlende Konkretisierung unter dem Gesichtspunkt der Informationsfunktion der Anklageschrift zu prüfen ist. Letzterer Frage ist hier jedoch nicht näher nachzugehen, da diesbezügliche etwa bestehende Mängel nicht die Unwirksamkeit der Anklage begründen würden (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2007 - 4 StR 481/07 mwN) und durch Hinweise entsprechend § 265 StPO in der Hauptverhandlung geheilt werden können (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 9. November 2011 - 1 StR 302/11 Rn. 26; BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 - 1 StR 205/09 mwN). Entscheidend für den vorliegenden Fall ist, dass die einzelnen Taten unverwechselbar dargestellt sind und sowohl die generelle Tätigkeit der einzelnen Angeklagten als auch - soweit als möglich - die konkreten Tatbeiträge näher geschildert werden. Durch die Ausführungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen, inwieweit die einzelnen Taten den Angeklagten zuzurechnen sind, wird nicht nur der hinreichende Tatverdacht belegt , den die Strafkammer zutreffend insoweit beim Eröffnungsbeschluss vom 16. September 2010 bejaht hat, sondern auch die Anbindung der Angeklagten an die konkreten Taten.
18
In diesem Zusammenhang weist der Senat auf Folgendes hin:
19
Bei einer Tatbegehung als Bandenmitglied oder im Rahmen eines "uneigentlichen Organisationsdeliktes" (vgl. zum Begriff des "Organisationsdeliktes" auch BGH, Beschluss vom 2. November 2007 - 2 StR 384/07 mwN) - beides kommt im vorliegenden Fall durchaus in Betracht - müssen dem einzelnen Täter nicht zwingend Ausführungshandlungen vor Ort gegenüber dem Tatopfer vorgeworfen werden; es genügt, wenn er an dieser konkreten Tat an anderer Stelle mitgewirkt hat. Eine arbeitsteilige Begehungsweise besteht gerade darin, dass nicht jeder Teilnehmer der Tat jede Handlung selbst vornimmt; ausreichend ist vielmehr, dass jeder aufgrund gemeinsamen Entschlusses seine abgesprochene Aufgabe wahrnimmt mit dem übereinstimmenden Willen, den erhofften Taterfolg zu erreichen. Hierbei hat sich jeder die von ihm gebilligten Tatbeiträge der anderen an der konkreten Tat zurechnen zu lassen. Die unterschiedlichen Tätigkeiten und subjektiven Vorstellungen der Tatbeteiligten können sowohl dazu führen, dass unter Umständen verschiedene Teilnahmefor- men (Mittäterschaft, Beihilfe) vorliegen als auch, dass sich der strafrechtlich relevante Sachverhalt konkurrenzrechtlich für den jeweiligen Teilnehmer anders auswirkt.
20
Die Umgrenzungsfunktion der Anklageschrift kann jedenfalls nicht gebieten , dass für die Bestimmtheit des Anklagevorwurfs i.S.d. § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO mehr an Substanz verlangt wird als materiell-rechtlich für einen Schuldspruch erforderlich ist. Nack Rothfuß Hebenstreit Elf Jäger

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 302/11
vom 9. November 2011
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen zu 1.: Bestechlichkeit u.a.
zu 2. und 3.: Bestechung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
8. November 2011, in der Sitzung am 9. November 2011, an denen teilgenommen
haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Hebenstreit,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin des Angeklagten H. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten B. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten S. ,
- sämtliche Verteidiger nur am 8. November 2011 - ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Generalstaatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 19. Januar 2011 jeweils mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben
a) im Schuldspruch zu den Taten II. 1. bis 3. des Urteils (Nr. 1 und 2 der Anklageschrift vom 23. August 2010),
b) im gesamten Rechtsfolgenausspruch. 2. Die weitergehende Revision hinsichtlich des Angeklagten H. wird verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel , an eine Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Dresden zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht Leipzig hat den Angeklagten H. wegen Bestechlichkeit in drei Fällen (II. 1. bis 3. der Urteilsgründe = Nr. 1 b, 1 c und 2 b der Anklageschrift vom 23. August 2010), Untreue (II. 4. der Urteilsgründe = Nr. 3 der Anklageschrift), Bilanzfälschung in drei Fällen (II. 5. bis 7. der Urteilsgründe = Nr. 4 bis 6 der Anklageschrift) und Steuerhinterziehung in vier Fällen (II. 8. bis 11. der Urteilsgründe = Nr. 7 bis 10 der Anklageschrift) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und elf Monaten sowie die Angeklagten B. und S. jeweils wegen Bestechung in drei Fällen (II. 1. bis 3. der Urteilsgründe = Nr. 1 b, 1 c und 2 b der Anklageschrift) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten bzw. von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Betreffend allein den Angeklagten H. hat es einen Wertersatzverfall in Höhe von 2.561.874,26 € nur deshalb nicht angeordnet, weil dem Ansprüche von Verletzten entgegenstehen.
2
An einer Aburteilung der von der Generalstaatsanwaltschaft darüber hinaus erhobenen Vorwürfe der in zwei Fällen durch den Angeklagten H. (tateinheitlich jeweils mit einer - verurteilten - Bestechlichkeit) begangenen Untreue bzw. der durch die Angeklagten B. und S. hierzu geleisteten Beihilfe (Nr. 1 a und 2 a der Anklageschrift) hat sich das Landgericht jeweils gehindert gesehen, weil die Anklageschrift insofern unwirksam sei und sich der staatsanwaltschaftliche Verfolgungswille bei der zweiten Tat nicht auf die genannten Vorwürfe beziehe. Mit ihrer Revision wendet sich die Generalstaatsanwaltschaft gegen die Annahme fehlender Verfahrensvoraussetzungen, die Verurteilung wegen Untreue im Fall II. 4. der Urteilsgründe, die Strafzumessung insgesamt und die Nichtanordnung des Verfalls betreffend die Angeklagten B. und S. . Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat im tenorierten Umfang bereits mit der Sachrüge Erfolg. Auf die zudem erhobenen Verfahrensrü- gen kommt es danach nicht mehr an; zu ihnen hat jedoch der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 10. Juni 2011 zutreffend Stellung genommen.

I.

3
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
4
Der Angeklagte H. war im Tatzeitraum kaufmännischer Geschäftsführer der K. W. L. GmbH (KWL), die - wie auch die Mitangeklagten B. und S. wussten - ausschließlich im Bereich der Daseinsvorsorge, vor allem der Wasserversorgung und der Abwasserbeseitigung tätig ist. Die beiden Mitangeklagten waren wirtschaftlich Berechtigter (B. ) bzw. Geschäftsführer (S. ) der Fa. V. P. G. (VPG). Unter Vermittlung der VPG wurde Ende Januar 2005 ein Leasingvertrag zwischen der Bayerischen Landesbank und der KWL über Teile von deren Abwassernetz abgeschlossen. Ein Teil des von der KWL für die Vertragsvermittlung zu zahlenden Provisionsbetrages in Höhe von 1.295.000 britische Pfund (GBP) floss vor dem 12. Mai 2005 an die im Frühjahr desselben Jahres von den Angeklagten B. und S. gegründete Fa. A. S. L. (ASL).
5
Bereits im März 2005 hatte der Angeklagte H. - ohne hierauf einen entsprechenden Anspruch zu haben - von den Mitangeklagten die Hälfte der an die ASL zu zahlenden Provision gefordert. Diese hatten ihm daraufhin eine Zuwendung in Höhe von 945.945 € zugesagt, die der Angeklagte H. am 12. Mai 2005 in Vaduz (Lichtenstein) bar erhielt und auf ein Konto der Fa. F. , deren wirtschaftlich Berechtigter er war, bei der Volksbank Vaduz einzahlte. Die Zuwendung erfolgte nach der Vorstellung der drei Beteiligten für die erfolgreiche Leasing-Transaktion; darüber hinaus sollte der Angeklagte H. , dem dies klar war, im Zusammenhang mit dem Abschluss künftiger Verträge im Rahmen des ihm als KWL-Geschäftsführer zustehenden weiten Ermessens zugunsten der VPG beeinflusst werden (Fall II. 1. der Urteilsgründe = Nr. 1 b der Anklageschrift).
6
Auf Vermittlung der Angeklagten B. und S. übernahm die durch den Angeklagten H. vertretene KWL durch am 8. Juni und 8. September 2006 sowie am 28. März 2007 abgeschlossene Verträge (Collateralized Debt Obligations – CDO) Kreditausfallrisiken im dreistelligen Millionenbereich. Der Angeklagte H. sorgte dafür, dass die Vertragsschlüsse ohne die eigentlich erforderliche Zustimmung des Aufsichtsrates erfolgten. Hierfür hatte er schon spätestens im Juni 2006 wiederum eine Beteiligung an der für die Vermittlung an die VPG zu zahlenden Provision gefordert. Ein Anteil wurde ihm von den beiden Mitangeklagten zugesagt und am 21. Juni 2006 auf deren Veranlassung in Höhe von 3.243.700 US-$ (= 2.567.843 €) auf das bereits zuvor verwendete Konto der Fa. F. in Vaduz eingezahlt (Fall II. 3. der Urteilsgründe = Nr. 2 b der Anklageschrift).
7
Weiterhin forderte der Angeklagte H. ebenfalls für vergangene bzw. künftige pflichtwidrige Diensthandlungen im Zusammenhang mit Transak- tionen von den beiden Mitangeklagten eine Zahlung von 150.000 € an den Fußballverein FC L. , dessen Aufsichtsratsmitglied er war. Der Betrag wurde am 9. Mai, 24. Mai und 10. Juni 2005 in drei Raten à 50.000 € jeweils als Spende deklariert von Konten der VPG auf ein Konto eines vom Angeklagten H. benannten Rechtsanwalts überwiesen; von dort wurden bis 10. August 2005 141.000 € auf ein Spendenkonto des genannten Vereins weitergeleitet (Fall II. 2. der Urteilsgründe = Nr. 1 c der Anklageschrift).
8
Der Angeklagte H. verwendete außerdem ein Verrechnungskonto bei der UBS-Bank in London, welches auf seine Veranlassung im Zusammenhang mit in den Jahren 2006 und 2007 für die KWL GmbH abgeschlossenen Finanzgeschäften (CDO) eingerichtet worden war, als sog. schwarze Kasse. Die vom 28. März 2007 bis Ende September 2008 dort eingegangenen Gelder in Höhe von insgesamt 10.635.146,29 € waren - wie das Konto selbst - bei der KWL GmbH niemandem außer dem Angeklagten bekannt, so dass dieser sie nach seinen Vorstellungen verwenden und zwischen Oktober 2008 bis Juni 2009 vollständig verbrauchen konnte (Fall II. 4. der Urteilsgründe = Nr. 3 der Anklageschrift).
9
Die CDO-Geschäfte fanden in den Jahren 2006 bis 2008 zudem keinen Eingang in die vom Angeklagten H. unterzeichneten Bilanzen der KWL GmbH, und zwar weder die gezahlten Prämien noch die entstandenen Überschüsse in Höhe von 7.600.000 € sowie 34.700.000 US-$. Dennoch versicherte er wahrheitswidrig, derivative Finanzinstrumente seien in den Büchern der Gesellschaft vollständig erfasst und den Wirtschaftsprüfern offen gelegt worden (Fälle II. 5. bis 7. der Urteilsgründe = Nr. 4 bis 6 der Anklageschrift).
10
Der Angeklagte H. erklärte schließlich weder die aus den Provisionen erlangten Beträge als sonstige Einkünfte noch die daraus in den Jahren 2005 bis 2008 erzielten Kapitalerträge in seinen Einkommensteuererklärungen für die betreffenden Jahre und verursachte hierdurch einen vom Landgericht im Einzelnen dargelegten Hinterziehungsschaden von insgesamt 1.644.195 € (Fälle II. 8. bis 11. der Urteilsgründe = Nr. 7 bis 10 der Anklageschrift).

II.

11
Der Senat ist für die Entscheidung über die Revision zuständig (1.). Die danach eröffnete Prüfung des Urteils ergibt, dass sich das Landgericht weder wegen Unwirksamkeit der Anklageschrift (2.) noch wegen fehlenden staatsanwaltschaftlichen Verfolgungswillens (3.) an einer Aburteilung der in der Anklageschrift unter Nr. 1 a und 2 a erhobenen Untreue-Vorwürfe gehindert sehen durfte. Es hätte daher über diese bzw. den Vorwurf der Beteiligung hieran entscheiden müssen. Indem es dies nicht getan hat, hat es seiner Kognitionspflicht (§ 264 StPO) nicht entsprochen und die angeklagten Taten nicht erschöpfend gewürdigt; dies stellt zugleich einen sachlich-rechtlichen Mangel dar (vgl. BGH, Urteil vom 9. August 2011 - 1 StR 194/11 mwN). Dem steht auch nicht entgegen , dass das Landgericht in seinem Eröffnungsbeschluss vom 9. November 2010 insoweit einen hinreichenden Tatverdacht verneint hat, weil hierdurch die Eröffnung des Hauptverfahrens und Zulassung der Anklageschrift die beiden prozessualen Taten insgesamt betreffend nicht gehindert wurde.
12
Während der Schuldspruch wegen der als Fall II. 4. der Urteilsgründe festgestellten Untreue des Angeklagten H. (4.) und die Strafzumessung für sich genommen nicht zu beanstanden sind (5.), wäre die unterbliebene Prüfung des Verfalls hinsichtlich der Angeklagten B. und S. ebenfalls rechtlich geboten gewesen (6.). Die Rechtsfehler führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im tenorierten Umfang (7.).
13
1. Nach einem entsprechenden Hinweis des Senats hat der Verteidiger des Angeklagten B. schriftlich und - ebenso wie der Verteidiger des Angeklagten S. - in der Hauptverhandlung die Zuständigkeit des Senats gerügt. Der Einwand greift nicht durch.
14
a) Der Senat ist zur Entscheidung über die den Angeklagten H. betreffende Revision zuständig, denn ihm sind nach dem Geschäftsplan des Bundesgerichtshofs für das Jahr 2011 (vgl. www.bundesgerichtshof.de) namentlich die Revisionen in Steuerstrafsachen zugewiesen. Allerdings hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 10. Juni 2011 zutreffend dargelegt, dass der - bei Zweifeln über den Umfang einer Revision maßgeblichen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. August 2011 – 1 StR 153/11) - Begründung der Revision trotz des umfassenden Aufhebungsantrages zu entnehmen ist, dass die Generalstaatsanwaltschaft die Verurteilung des Angeklagten H. wegen der Bilanzfälschungs- und Steuerhinterziehungsdelikte nicht angreifen möchte (vgl. BGH, Urteil vom 14. April 2011 - 4 StR 571/10 = StV 2011, 453).
15
Die Auslegung des Rechtsmittels ergibt, dass jedoch die insofern verhängten Einzelstrafen angefochten sind. Denn die Generalstaatsanwaltschaft hat im Rahmen der Rüge sachlichen Rechts näher dargelegt, weshalb das Landgericht nach ihrer Ansicht im Urteil rechtsfehlerhaft nicht alle für seine Strafzumessung bestimmenden Umstände angeführt hat. Der geltend gemachte Einwand, das Landgericht habe durch - außerhalb einer formgerechten Absprache - zugesicherte Strafobergrenzen „den gesetzlichen Strafrahmen nicht ausschöpfen“ können, bezieht sich auf die verhängten Einzelstrafen insgesamt, also auch auf die wegen der Steuerhinterziehungen ausgesprochenen. Da somit die deliktsspezifische Strafzumessung und nicht lediglich noch die Bildung einer Gesamtstrafe (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Dezember 2010 - 1 StR 614/10) Gegenstand des Revisionsverfahrens ist, handelt es sich bei dem eingelegten Rechtsmittel um ein solches in einer Steuerstrafsache. In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob die Rüge mit Aussicht auf Erfolg vorgetragen wird (hierzu 5.).
16
b) Aus der Zuständigkeit des Senats für die Revision hinsichtlich des Angeklagten H. folgt wegen des bestehenden Sachzusammenhangs (§ 3 StPO; vgl. Ullenbruch in Radtke/Hohmann, StPO, § 3 Rn. 7 f.) auch seine Zuständigkeit für die Entscheidung über die Revisionen gegen das angefochtene Urteil, soweit dieses die Angeklagten B. und S. betrifft.
17
c) Der Senat bemerkt, dass - zumal bei einer Revision der Generalstaatsanwaltschaft - der Revisionsantrag deckungsgleich mit den Ausführungen zur Revisionsbegründung sein sollte. Das Revisionsverfahren wird nicht unerheblich erleichtert, wenn der Umfang der Anfechtung nicht erst durch Auslegung der Revisionsbegründung ermittelt werden muss (BGH, Urteil vom 8. November 2006 - 1 StR 441/06 mwN).
18
2. Das Landgericht hat hinsichtlich der von ihm nicht geprüften Untreuedelikte bzw. der hierzu geleisteten Beihilfe zu Unrecht das Verfahrenshindernis einer insoweit unwirksamen Anklageschrift angenommen.
19
a) Die Generalstaatsanwaltschaft hat dem Angeklagten H. mit ihrer Anklageschrift vom 23. August 2010 einerseits (dort Nr. 1 a) zur Last gelegt, als Geschäftsführer der KWL Teile des Abwassernetzes durch vom 31. Januar bis 15. Juni 2005 geschlossene Verträge in ein sog. UK-Lease eingebracht und dabei dem Aufsichtsrat pflichtwidrig insbesondere die Zwischengesellschaften - die als Briefkastenfirmen fungierenden „Hu. “ und „Co. “ - einbeziehende Leasingstruktur und den Umstand verheimlicht zu haben, dass in die Transaktion ein überflüssiger „Credit Default Swap“ eingebunden war, mit dem die KWL ge- genüber der Bayerischen Landesbank für einen Ausfall der Hu. , deren Zahlungsverpflichtungen wenigstens 134.000.000 GBP betrugen, bürgte. Aus den Verträgen an sich der KWL als sog. Barwertvorteil zustehende Gelder von 5.140.560 € seien bis Mitte 2005 über ein als „schwarze Kasse“ dienendes Transaktionskostenkonto der „Co. “ auf Konten anderer Firmen „umgeleitet“ worden. Hinter den beiden Briefkastenfirmen hätte die von den Angeklagten B. und S. beherrschte VPG gestanden.
20
Zum anderen hat die Generalstaatsanwaltschaft dem Angeklagten H. vorgeworfen (Nr. 2 a der Anklageschrift), die für die KWL höchst risikobehafteten , mit dem Unternehmenszweck nicht vereinbaren CDO-Verträge am 8. Juni und 8. September 2006 sowie am 28. März 2007 satzungswidrig, nämlich ohne vorherige Zustimmung der Gesellschafterversammlung und des Aufsichtsrats abgeschlossen, ferner eine „Wette“ auf einen geringen Risikoaus- fall zulasten der KWL in mehrstelliger Millionenhöhe eingegangen sowie am 14. Juni 2006 völlig überhöhte Provisionen von 21,1 Millionen US-$ und 6,4 Mil- lionen € vereinbart und diese Summen an der KWL vorbei am 9. Juni bzw. 12. September 2006 auf zwei Konten der Wilmington-Trust-Bank in die USA geleitet zu haben. Auf diese Konten hätten die Angeklagten B. und S. , die beim Abschluss der CDO-Verträge beratend und unterstützend tätig geworden seien, aufgrund einer u.a. von ihrem Mitangeklagten unterschriebenen Vollmacht ungehindert Zugriff gehabt. Letztlich sei der KWL allein durch die Provisionsvereinbarungen ein Schaden von umgerechnet mindestens 13.662.900 € entstanden.
21
Das Verhalten des Angeklagten H. hat die Generalstaatsanwaltschaft als jeweils in Tateinheit mit den unter Nr. 1 b und c bzw. 2 b der Anklageschrift beschriebenen und vom Landgericht festgestellten Bestechlichkeitstaten begangene Untreuehandlungen bewertet. Hierzu hätten die Angeklagten B. und S. - tateinheitlich zu ihren Bestechungen - Beihilfe geleistet.
22
b) Hinsichtlich der bezeichneten Untreuevorwürfe liegt nach Auffassung des Landgerichts „wegen Verstoßes gegen § 184 GVG keine wirksame Ankla- ge“ vor. Da die Gerichtssprache deutsch sei, dürften „keinem Angeklagten Beweismittel in einer fremden Sprache … aufgezwungen werden …, auch nicht durch fremdsprachige Urkunden“, die daher „mit der Anklageerhebung … in deutscher Sprache vorzuliegen“ hätten. Eine Anklageschrift, die Passagen fremdsprachiger Schriftstücke enthalte oder sich zumindest teilweise auf nicht übersetzte fremdsprachige Schriftstücke stütze, sei mit einem Verfahrensman- gel behaftet. Dieser „funktionale Mangel“ führe jedenfalls dann zu einem Verfahrenshindernis , wenn sich die Anklageschrift mit dem Inhalt der Urkunden auseinandersetze oder dieser von hohem Belang für die Bewertung der Vorwür- fe sei, also wenn „die Staatsanwaltschaft aus dem Inhalt und dem Wortlaut der Urkunden selbst die Unrechtsvorwürfe herleiten“ wolle.
23
Diese Voraussetzungen hat das Landgericht vorliegend als erfüllt angesehen. Die Unterlagen zu dem Leasinggeschäft sowie zu den Provisionsvereinbarungen seien ausschließlich in englischer Sprache vorgelegt worden (Nr. 1 a der Anklageschrift). Von den in den Jahren 2006 und 2007 abgeschlossenen CDO-Verträgen habe die Staatsanwaltschaft nur zwei in die deutsche Sprache übersetzen lassen. Jedoch seien auch die englischsprachigen Verträge „in der Auflistung der Beweismittel enthalten, die nur die für die Aufklärung des Sachverhaltes und für die Beurteilung des Angeklagten wesentlichen Beweismittel aufführen soll (vgl. Nr. 111 Abs. 1 RiStBV)“.
24
c) Diese Bewertung war rechtsfehlerhaft. Denn die Anklageschrift wird nicht nur ihrer Umgrenzungsfunktion gerecht, sondern sie leidet auch sonst an keinem zu einem Verfahrenshindernis führenden Mangel.
25
Ein Verfahrenshindernis wegen Nichterfüllung der Umgrenzungsfunktion liegt nicht vor. Nach der den Anforderungen des § 200 Abs. 1 StPO entsprechenden Anklage stehen die angeschuldigten Personen und die historischen Geschehen, die Gegenstand der gerichtlichen Untersuchung sein sollen, und damit der Prozessgegenstand hinreichend deutlich fest (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 - 1 StR 94/98 = BGHSt 44, 153, 154 f.; Urteil vom 9. August 2011 - 1 StR 194/11 mwN). Das gilt insbesondere für die wesentlichen Abläufe der verschiedenen Taten und deren zeitliche Eingrenzung. Insofern verweist der Senat auf die oben zu a) dargelegten Einzelheiten, die sämtlich dem noch weitaus ausführlicheren konkreten Anklagesatz (dort S. 5 f., 7 f.) der Anklageschrift vom 23. August 2010 entnommen sind.
26
Einer Anklageschrift kommt darüber hinaus eine Informationsfunktion zu. Im Hinblick darauf wäre es vorliegend beispielsweise geboten gewesen, die näheren Umstände der Abschlüsse der Verträge, insbesondere deren genaue Ausgestaltung darzulegen. Es ist jedoch anerkannt, dass insoweit bestehende Defizite grundsätzlich nicht zu einem Verfahrenshindernis führen, diese vielmehr im weiteren Verfahrensverlauf insbesondere durch gerichtliche Hinweise zur Gewährung rechtlichen Gehörs behoben werden können (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 - 1 StR 94/98 = BGHSt 44, 153, 156).
27
Sonstige Mängel, etwa im Aufbau, in der Darstellung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen oder im Äußeren der Anklageschrift machen diese ebenfalls nicht unwirksam und begründen deshalb kein Verfahrenshindernis (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 200 Rn. 27).
28
Aber auch gemessen an den Anforderungen des - vom Landgericht als verletzt angesehenen - § 184 GVG leidet die vorliegende Anklageschrift unter keinem Mangel, der zudem von besonderem Gewicht sein müsste, um die An- nahme eines Verfahrenshindernisses rechtfertigen und damit dem Fortgang des Verfahrens insgesamt entgegenstehen zu können.
29
Gemäß § 184 GVG ist die Gerichtssprache deutsch. Die Regelung betrifft auch Zuschriften an das Gericht und namentlich staatsanwaltschaftliche Anklageschriften (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 184 GVG Rn. 3). Die Generalstaatsanwaltschaft hat jedoch dieser gesetzlichen Vorgabe hinreichend entsprochen. Die Anklageschrift vom 23. Oktober 2010 ist in allen maßgeblichen Teilen in deutscher Sprache verfasst worden. Dies gilt speziell für den gesamten Anklagesatz und das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen. In diese werden weder nichtdeutsche Texte durch ausdrückliche Bezugnahme quasi integriert noch enthalten sie gar eigenständig englisch- oder sonst fremdsprachige Passagen. Soweit die drei folgenden Ausnahmen bestehen, stellen diese unter dem Gesichtspunkt des § 184 GVG keinen Mangel der Anklageschrift dar:
30
Bei den an den diversen relevanten Verträgen und Vorgängen Beteiligten handelt es sich häufig um im englischen Sprachraum angesiedelte Firmen. Soweit sie in der Anklageschrift ausdrücklich benannt werden, wird der von ihnen gewählte Name verwendet (z.B. „G. “, „V. P. G. “, „Co. “, „F. “). Es versteht sich - wie bei in Anklagen bezeichneten Privatpersonen, deren Name schon zur Vermeidung von Missverständnissen nicht übersetzt werden muss (z.B. „Blackwood“ oder „Whitehouse“) - von selbst, dass es insofern selbst dann kei- ner Übersetzung ins Deutsche bedurfte, wenn diese möglich gewesen wäre.
31
Nichts anderes gilt für in der Anklageschrift erwähnte Ortsangaben (etwa „British Virgin Islands“), die zweckmäßigerweise unübersetzt bleiben durften.
32
Schließlich wird ein Teil der durchgeführten Geschäfte bzw. der dabei verwendeten Papiere mit englischen Bezeichnungen beschrieben (z.B. „Cross- Border-Leasing“, „UK-Lease“, „Credit Default Swap“, „Collateralized Debt Obli- gations“). Insoweit kann offen bleiben, ob es sich bei den verwendeten Begriffen nicht schon um im deutschen Wirtschafts- und Bankbereich ohnehin gängige Bezeichnungen handelt, deren Übersetzung bereits deshalb nicht geboten oder gar zu vermeiden war. Jedenfalls werden sämtliche relevanten Vorgänge schon im konkreten Anklagesatz in deutscher Sprache unmissverständlich klar erläutert, so dass keiner der - bezüglich der vom Landgericht festgestellten Taten im Übrigen geständigen - Angeklagten über die Art der in Rede stehenden wirtschaftlichen Vorgänge und über die vor diesem Hintergrund erhobenen Vorwürfe im Zweifel und in seiner Verteidigung beeinträchtigt sein konnte (zu diesem Gesichtspunkt BGH, Urteil vom 17. August 2000 - 4 StR 245/00 = BGHSt 46, 130, 134).
33
Ist die Anklageschrift somit in allen wesentlichen Teilen in Deutsch verfasst , so verstößt es nicht gegen § 184 GVG, wenn sie inhaltlich auf in einer fremden Sprache errichteten Urkunde fußt. Diese werden hierdurch nicht etwa zu ihrem „integralen Bestandteil“ mit der Folge, dass die Anklageschrift wegen eines „funktionalen“ Mangels als Prozessvoraussetzung unwirksam ist (vgl. Eschelbach, HRRS 2007, 466, 469 f.). Die Bestimmung betrifft vielmehr außerhalb des Verfahrens entstandene, ggf. als Beweismittel in Betracht kommende Schriftstücke gerade nicht (Wickern in Löwe/Rosenberg, 26. Aufl., § 184 GVG Rn. 5). Sie zwingt die Staatsanwaltschaft insbesondere nicht dazu, derartige Urkunden bei Erhebung der Anklage nicht nur in der Ursprungssprache, sondern zudem in deutscher Übersetzung vorzulegen (vgl. Wickern in Löwe/ Rosenberg, 26. Aufl., § 184 GVG Rn. 5 und 17 a.E.; Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht , 3. Aufl., § 184 GVG Rn. 5).
34
Dies wäre in vielen Fällen zudem wenig prozessökonomisch. Denn zu diesem Zeitpunkt ist es offen, ob sie im Wege des Strengbeweises in die Hauptverhandlung eingeführt werden müssen. Häufig wird das Tatgericht aufgrund der (namentlich geständigen) Angaben des Angeklagten oder auf der Basis der im Übrigen erzielten Beweislage gar nicht oder nur zu einem Teil auf die den erhobenen Vorwurf betreffenden Urkunden zurückgreifen müssen. Erst wenn dies von der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) geboten wird, sind sie von einem Sachverständigen zu übersetzen (Wickern in Löwe/Rosenberg, 26. Aufl., § 184 GVG Rn. 5; s. auch BGH, Urteil vom 29. Mai 1985 - 2 StR 804/84 = NStZ 1985, 466; BGH, Urteil vom 9. Juli 1991 - 1 StR 666/90; jeweils zur - erst - in der Hauptverhandlung erfolgten Übersetzung von Mitschnitten in ausländischer Sprache geführten Telefonaten). § 184 GVG selbst verlangt jedenfalls nicht, sämtliche anfallenden Aktenteile von Amts wegen in die deutsche Sprache übersetzen zu lassen (BGH, Urteil vom 22. Juli 1980 - 1 StR 804/79; s. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. März 1986 - 1 Ws 182/86 = JZ 1986, 508).
35
Daraus folgt zugleich, dass fremdsprachige Urkunden - wie hier - in ihrer Originalbezeichnung in der Liste der Beweismittel aufgeführt werden dürfen. Denn die Aufnahme eines Beweismittels zeigt nur, dass die Staatsanwaltschaft es als entscheidungserheblich ansieht, und gewährleistet nicht seine spätere Verwendung in der mündlichen Hauptverhandlung.
36
Allerdings werden in anderen Prozessordnungen und anderen strafprozessualen Verfahrensarten an ein Gericht adressierte Schriftsätze wegen Verstoßes gegen § 184 GVG als unzulässig angesehen, wenn sie auf ihnen beigefügte nichtdeutsche Urkunden verweisen. Dies findet aber seinen Grund in den abweichenden Verfahrensregelungen. Diese Handhabung lässt sich folglich auf die Anklageschrift nicht übertragen. Denn diese zielt auf die spätere, insbesondere durch das Mündlichkeitsprinzip und die gerichtliche Pflicht zu umfassender Aufklärung geprägte Hauptverhandlung ab. Hierin besteht ein wesentlicher Un- terschied beispielsweise zum Klageerzwingungsverfahren, das mit einem Beschluss endet (§§ 174, 175 StPO). In diesem herrscht zudem - wie insbesondere auch im Zivilprozessverfahren, in dem das Gericht von einer Partei eine Übersetzung verlangen kann (§ 142 Abs. 3 ZPO) - der Beibringungsgrundsatz mit der Folge, dass ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung unzulässig ist, wenn zur Ergänzung des Sachvortrags nicht in Deutsch verfasste Urkunden in Bezug genommen werden (vgl. ausdrücklich OLG Stuttgart, Beschluss vom 21. Februar 2007 - 1 Ws 47/07 = NStZ 2007, 664).
37
3. Darüber hinaus hat das Landgericht zu Unrecht angenommen, es brauche nicht zu entscheiden, ob es sich bei den unter Nr. 2 a der Anklageschrift angesprochenen zwei Konten bei der Wilmington-Trust-Bank um eine vom Angeklagten H. mit Hilfe der beiden Mitangeklagten eingerichtete „schwarze Kasse“ handele und die Angeklagten dadurch eine Untreue began- gen bzw. hierzu Beihilfe geleistet haben. Denn das die Einrichtung und Nutzung dieser Konten betreffende Geschehen war vom staatsanwaltschaftlichen Verfolgungswillen umfasst.
38
Im konkreten Anklagesatz wird dargelegt (S. 8 der Anklageschrift), dass die „im Zusammenhang mit dem Abschluss der ersten beiden CDS/CDO- Transaktionen entstandenen Überschüsse … komplett als Provisionen von 21,1 Mio. US-$ am 09.06.2006 und von 6,4 Mio. EUR am 12.09.2006 auf zwei Konten der Wilmington-Trust-Bank in den USA“ geflossen seien. Für diese „formal“ der KWL zugeordneten Konten hätten die Angeklagten B. und S. eine umfangreiche Vollmacht u.a. des Angeklagten H. besessen, „mit der sie beliebig und unkontrolliert über die Gelder verfügen konnten“. Der KWL sei „allein durch die Provisionsvereinbarungen ein Schaden … zwischen 13.662.900 EUR und 22.868.900 EUR“ entstanden.
39
Mit der Aufnahme eines tatsächlichen Geschehens in den Anklagesatz bringt die Staatsanwaltschaft regelmäßig zum Ausdruck, dieses Geschehen verfolgen zu wollen. Die gesamten im Anklagesatz beschriebenen geschichtlichen Vorgänge bilden daher den Gegenstand der gerichtlichen Untersuchung. Etwas anderes gilt namentlich dann, wenn dem Anklagesatz oder den Ausführungen zum wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen eindeutig entnehmen lässt, dass die Staatsanwaltschaft ein bestimmtes, als selbständige prozessuale Tat (§ 264 StPO) zu wertendes Geschehen gerade nicht der Kognition des Gerichts unterwerfen will (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juni 1995 - 2 StR 157/95 = NStZ 1995, 500).
40
Ein derartiger Ausnahmefall ist nicht gegeben. Er lässt sich entgegen der landgerichtlichen Ansicht (UA S. 38 f.) insbesondere nicht aus der für den An- klagepunkt 2 a) gewählten Überschrift „CDS-/CDO-Transaktionen - Provisionen“ ableiten. Denn die in der Überschrift durch den Gedankenstrich vorge- nommene Differenzierung zwischen den bezeichneten Transaktionen einerund den Provisionen andererseits deutet vielmehr darauf hin, dass es der Generalstaatsanwaltschaft auf die Verfolgung beider Komplexe ankommt. Dafür spricht außerdem, dass die Vorgänge um die Provisionen im konkreten Anklagesatz nahezu ebenso ausführlich dargestellt werden wie die Umstände und Folgen der CDS-/CDO-Transaktionen.
41
Gegen den Verfolgungswillen der Generalstaatsanwaltschaft spricht schließlich nicht, dass sie bei der von ihr im Rahmen des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen vorgenommenen rechtlichen Würdigung der Untreuedelikte lediglich zwei andere Konten, nicht aber diejenigen bei der Wilmington-Trust-Bank als „schwarze Kassen“ (s. hierzu BGH, Beschluss vom 11. November 2004 - 5 StR 299/03 = BGHSt 49, 317; BGH, Urteil vom 29. August 2008 - 2 StR 587/07 = BGHSt 52, 323; BGH, Urteil vom 27. August 2010 - 2 StR 111/09 = NStZ 2010, 700) kategorisiert hat. Denn abgesehen davon , dass es Aufgabe des Gerichts ist, die ihm zur Beurteilung unterbreitete Tat rechtlich umfassend zu würdigen (§§ 155 Abs. 2, 264 Abs. 2 StPO), ließen die staatsanwaltschaftlichen Rechtsausführungen nicht den Schluss zu, das im konkreten Anklagesatz ausführlich dargelegte Geschehen um die Konten bei der Wilmington-Trust-Bank solle nicht verfolgt werden. Denn dieses wurde dort nicht nur beiläufig oder lediglich zum besseren Verständnis geschildert, sondern betraf den verschleiernden Fluss der Provisionen und damit einen wesentlichen Teil des verwirklichten Unrechts. In Übereinstimmung hiermit beziffert die Generalstaatsanwaltschaft nicht nur am Ende des konkreten Anklagesatzes zu 2 a) den der KWL durch die Provisionsvereinbarungen - und nicht nur durch die vor- und nachher durchgeführten „CDS-/CDO-Transaktionen“ - (tatsächlich) zuge- fügten finanziellen Nachteil, sondern bezeichnet diesen im Rahmen des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen, das zur Ergänzung und Auslegung des Anklagesatzes herangezogen werden darf (vgl. BGH, Urteil vom 9. August 2011 - 1 StR 194/11 mwN), ausdrücklich als „Untreueschaden“ (S. 21 f.).
42
Unabhängig davon wäre das Landgericht aber schon deshalb verpflichtet gewesen, die Vorgänge - hinsichtlich derer von § 154a Abs. 2 StPO nicht Gebrauch gemacht worden war - um die Provisionszahlungen rechtlich umfassend zu würdigen, weil diese ihm jedenfalls zur Begründung einer Strafbarkeit wegen Bestechlichkeit bzw. Bestechung zur Beurteilung unterbreitet worden waren (Nr. 2 b der Anklageschrift). Dementsprechend hat es das Fordern einer Provision durch den Angeklagten H. „spätestens im Juni 2006“ und deren durch die Mitangeklagten veranlassten Eingang auf einem ihm zugänglichen Konto am 21. Juni 2006 festgestellt und rechtsfehlerfrei als Bestechlichkeit bzw. Bestechung verurteilt.
43
Zu diesem Lebenssachverhalt gehörten aber auch die Wege, auf denen diese Zuwendung erfolgt ist. Insofern teilt die Anklageschrift mit, es seien am 9. Juni 2006 zunächst 21,1 Mio. US-$ auf die bei der Wilmington-Trust-Bank geführten Konten gelangt (Nr. 2 a der Anklageschrift). Angesichts dieser engen sachlichen und zeitlichen Verknüpfung handelte es sich bei den bezeichneten Abläufen um eine Tat im prozessualen Sinn. Deren einheitliche Untersuchung und Aburteilung war daher nicht nur - wie das Landgericht selbst einräumt - „sinnvoll“ (UA 40), sondern geboten, weil eine prozessuale Tat nicht nach Tat- beständen differenziert, sondern umfassend, hier also auch unter dem Gesichtspunkt der Untreue, zu würdigen ist, um dem verwirklichten Unrechts- und Schuldgehalt gerecht zu werden. Dies gilt in besonderem Maße dann, wenn die in Betracht kommenden Delikte - wovon die Anklageschrift naheliegend ausgeht (vgl. BGH, Urteil vom 11. Mai 2001 - 3 StR 549/00 = BGHSt 47, 22, 26) - aus materiell-rechtlicher Sicht in Tateinheit zueinander verwirklicht worden sein könnten, so dass sich eine Aburteilung in getrennten Verfahren ohnehin verbieten würde (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 2001 - 2 StR 513/00 = BGHSt 47, 68,

82).

44
4. Der von der Generalstaatsanwaltschaft ohne Begründung angegriffene Schuldspruch wegen der als Fall II. 4. der Urteilsgründe festgestellten Untreue des Angeklagten H. hält rechtlicher Überprüfung stand. Die Verfahrensrügen betreffen diesen Teil des Urteils nicht.
45
5. Die Strafzumessung weist für sich genommen keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Soweit die Revisionsführerin im Rahmen der Begründung ihrer Sachrüge vorbringt, das Landgericht habe, nachdem Verständigungsbemühungen gemäß § 257c StPO an fehlender Mitwirkung der Staatsanwaltschaft gescheitert waren, den drei Angeklagten jeweils eigenständig Strafobergrenzen zugesagt und dadurch die Obergrenzen der anzuwendenden Strafrahmen zu Unrecht verringert, veranlasst dies den Senat zu folgendem Hinweis: Eine der- artige „informelle“, d.h. außerhalb des gesetzlich geregelten, insbesondere eine Mitwirkung der Staatsanwaltschaft vorsehenden Verfahrens getroffene „Ver- ständigung“ allein zwischen Gericht und Angeklagten widerspräche der Straf- prozessordnung. Sie könnte weder eine gerichtliche Bindung an die in Aussicht gestellte Strafobergrenze noch einen durch den fair-trial-Grundsatz geschützten Vertrauenstatbestand bei den Angeklagten hervorrufen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juli 2011 - 1 StR 274/11 mwN).
46
Das gerügte gerichtliche Vorgehen lässt sich jedoch ausschließlich dem staatsanwaltschaftlichen Revisionsvorbringen, nicht aber dem mit der Sachrüge dem Senat allein zur Prüfung unterbreiteten schriftlichen Urteil entnehmen. Eine Verfahrensrüge ist insoweit nicht ausdrücklich erhoben worden. Einer grundsätzlich möglichen Umdeutung der Sachrüge in eine entsprechende Verfahrensrüge steht entgegen, dass diese bereits unzulässig wäre, weil der diesbezügliche Vortrag nicht alle zur revisionsgerichtlichen Prüfung notwendigen Tatsachen mitteilen und daher den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht entsprechen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 23. August 2011 - 1 StR 153/11; Hanack in Löwe/Rosenberg, 25. Aufl., § 344 Rn. 72). Beispielsweise wird nicht vorgetragen, mit welcher Begründung die Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung den ursprünglichen, dem nunmehr gerügten Procedere vorausgehenden landgerichtlichen Verständigungsvorschlag abgelehnt hat.
47
6. Die Revision rügt dagegen zu Recht, dass das Landgericht nicht umfassend geprüft hat, ob auch hinsichtlich der Angeklagten B. und S. die Voraussetzungen des Verfalls bzw. des Wertersatzverfalls vorliegen. Denn das Landgericht hat sich dabei infolge seiner - unzutreffenden - Annahme von Verfahrenshindernissen bezüglich der angeklagten Untreuetaten auf die Prüfung der Frage beschränkt, ob die Angeklagten B. und S. durch ihre an den Mitangeklagten geleisteten Bestechungszahlungen unmittelbar „etwas“ i.S.d. § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB erlangt haben, und dies verneint (UA S. 51). Damit aber hat es jedenfalls die Möglichkeit außer Betracht gelassen, dass die beiden Angeklagten durch die dem Angeklagten H. zur Last gelegten Untreue- handlungen „etwas“, nämlich zumindest Teile der von diesem gezahlten Provi- sionen erlangt haben; nach der Anklageschrift sollen sie hierzu - in Tateinheit zu zwei ihrer Bestechungstaten stehend (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 11. Mai 2001 - 3 StR 549/00 = BGHSt 47, 22, 26; s. auch BGH, Urteil vom 2. Dezember 2005 - 5 StR 119/05 = BGHR StGB § 299 Abs. 1 Konkurrenzen 1) - Beihilfe geleistet haben.
48
7. Die bezeichneten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Urteils, soweit das Landgericht über die Beteiligung der Angeklagten an den ihnen zur Last gelegten Untreuedelikten nicht entschieden hat (Nr. 1 a und 2 a der Anklageschrift ). Daher waren auch die - für sich genommen rechtlich nicht zu beanstandenden - Schuldsprüche zu den unter II. 1. bis 3. festgestellten Bestechlichkeits - bzw. Bestechungstaten und die zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben, da insofern - wie oben dargelegt - von zwei einheitlichen prozessualen Taten auszugehen ist.
49
Dies zieht die Aufhebung der hierfür verhängten Einzelstrafen, der gegen den Angeklagten H. ausgesprochenen Verfallsentscheidung sowie der Gesamtstrafen nach sich. Ferner wird das Urteil aufgehoben, soweit eine Entscheidung nach den §§ 73 ff. StGB betreffend die Angeklagten B. und S. unterblieben ist. Darüber hinaus hebt der Senat die gegen den Angeklagten H. für die drei Bilanzfälschungsdelikte (Taten II. 5. bis 7. der Urteilsgründe ), die vier Steuerhinterziehungen (Taten II. 8. bis 11. der Urteilsgründe) sowie die zu II. 4. festgestellte Untreue an sich rechtsfehlerfrei festgesetzten Einzelstrafen wegen des zwischen sämtlichen Taten bestehenden inneren Zusam- menhangs auf, um dem neuen Tatgericht eine umfassende und in sich stimmige neue Rechtsfolgenentscheidung zu ermöglichen (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Februar 2002 - 2 StR 10/02 = NStZ-RR 2002, 165).

III.

50
Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 StPO). Das neue Tatgericht wird Gelegenheit haben, bei seiner Entscheidung die weiteren vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 10. Juni 2011 (S. 7 ff.) erörterten Gesichtspunkte zu beachten und im Übrigen die der Anklageschrift - ungeachtet der oben zur Frage eines Verfahrenshindernisses gemachten Ausführungen - anhaftenden Mängel hinsichtlich ihrer Informationsfunktion durch entsprechende Hinweise zu beheben. Sollte die Beweislage, wie sie den Urteilsgründen zu entnehmen ist, unverändert bleiben, wird die Aufklärungspflicht die Übersetzung der entscheidungserheblichen Urkunden ins Deutsche erfordern. Im Übrigen bemerkt der Senat, dass es zweckmäßig gewesen wäre, wenn die Generalstaatsanwaltschaft bereits bei der Anklageerhebung zumindest die zentralen Schriftstücke ins Deutsche übersetzt mit vorgelegt hätte. Wahl Hebenstreit Graf Jäger Sander

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.

(1) Wer als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer als Arbeitgeber

1.
der für den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder
2.
die für den Einzug der Beiträge zuständige Stelle pflichtwidrig über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt
und dadurch dieser Stelle vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält.

(3) Wer als Arbeitgeber sonst Teile des Arbeitsentgelts, die er für den Arbeitnehmer an einen anderen zu zahlen hat, dem Arbeitnehmer einbehält, sie jedoch an den anderen nicht zahlt und es unterlässt, den Arbeitnehmer spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach über das Unterlassen der Zahlung an den anderen zu unterrichten, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Satz 1 gilt nicht für Teile des Arbeitsentgelts, die als Lohnsteuer einbehalten werden.

(4) In besonders schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
aus grobem Eigennutz in großem Ausmaß Beiträge vorenthält,
2.
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Beiträge vorenthält,
3.
fortgesetzt Beiträge vorenthält und sich zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege von einem Dritten verschafft, der diese gewerbsmäßig anbietet,
4.
als Mitglied einer Bande handelt, die sich zum fortgesetzten Vorenthalten von Beiträgen zusammengeschlossen hat und die zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege vorhält, oder
5.
die Mithilfe eines Amtsträgers ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht.

(5) Dem Arbeitgeber stehen der Auftraggeber eines Heimarbeiters, Hausgewerbetreibenden oder einer Person, die im Sinne des Heimarbeitsgesetzes diesen gleichgestellt ist, sowie der Zwischenmeister gleich.

(6) In den Fällen der Absätze 1 und 2 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn der Arbeitgeber spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach der Einzugsstelle schriftlich

1.
die Höhe der vorenthaltenen Beiträge mitteilt und
2.
darlegt, warum die fristgemäße Zahlung nicht möglich ist, obwohl er sich darum ernsthaft bemüht hat.
Liegen die Voraussetzungen des Satzes 1 vor und werden die Beiträge dann nachträglich innerhalb der von der Einzugsstelle bestimmten angemessenen Frist entrichtet, wird der Täter insoweit nicht bestraft. In den Fällen des Absatzes 3 gelten die Sätze 1 und 2 entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 283/09
vom
10. November 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. November 2009 beschlossen
:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Stuttgart vom 19. Februar 2009 mit den Feststellungen
aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 20 Fällen, wegen Steuerhinterziehung in 20 Fällen und wegen Betrugs in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Daneben hat es den Verfall von Wertersatz in Höhe von 66.186,59 Euro angeordnet. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, führt zur Aufhebung des Urteils.

I.

2
1) Nach den Urteilsfeststellungen war der Angeklagte faktischer Geschäftsführer der Firma Ay. GmbH. Geschäftsgegenstand der Gesellschaft war die Durchführung von Baustahlarmierungs- und Bewehrungsar- beiten. Die Gesellschaft beschäftigte mehrere Arbeitnehmer, für die die vorgeschriebenen Meldungen nach § 28f Abs. 3, § 28a SGB IV und nach § 41a EStG abgegeben wurden, daneben aber auch zwischen November 2005 und Juni 2007 eine Vielzahl nicht näher individualisierbarer Arbeitnehmer, ohne diese Arbeitsverhältnisse den zuständigen Sozialversicherungsträgern und dem zuständigen Finanzamt zu melden. Möglicherweise wurden auch an Arbeitnehmer , die ordnungsgemäß gemeldet waren, zusätzlich zu dem Lohn, der angemeldet und für den Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer abgeführt wurden , weitere Schwarzlohnzahlungen geleistet. Zur Verschleierung der Schwarzlohnzahlungen ließ der Angeklagte Rechnungen der Firma A. Bau an die Ay. GmbH in der Buchhaltung einbuchen, die sich auf einen Gesamtbetrag von 402.263,12 Euro beliefen. Diesen Rechnungen lagen keine tatsächlich erbrachten Leistungen der Rechnungsstellerin zu Grunde. Sie dienten lediglich dem Zweck, die Ausgaben des Unternehmens für Schwarzlohnzahlungen „abzudecken“.
3
Durch die pflichtwidrig unterlassenen Meldungen an die Sozialversicherungsträger wurden Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 937.125,25 Euro vorenthalten. Lohnsteuer wurde in Höhe von insgesamt 177.341,18 Euro und Solidaritätszuschlag in Höhe von insgesamt 10.491,66 Euro hinterzogen.
4
Darüber hinaus ließ der Angeklagte gegenüber der BG Bau - Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft für die Beitragsjahre 2005 und 2006 jeweils bewusst pflichtwidrig zu niedrige Lohnnachweise zur Bemessung der Umlagebeträge für die gesetzliche Unfallversicherung abgeben, was zur Folge hatte, dass die Umlage nicht in voller Höhe berechnet wurde und der Berufsgenossenschaft ein Schaden in Höhe von 38.910,69 Euro entstand.
5
2) Der Angeklagte hat die Taten dem Grunde nach eingeräumt. Er bezifferte die von ihm veranlassten Lohnzahlungen, für die keine Sozialversicherungsbeiträge und Steuern angemeldet und abgeführt wurden, auf etwa 20.000 bis 30.000 Euro pro Monat.
6
Dieser Einlassung ist die Strafkammer nicht gefolgt. Sie hat vielmehr die Lohnsummen, hinsichtlich der Sozialversicherungsbeiträge vorenthalten und Steuern hinterzogen worden waren, geschätzt, da die Buchhaltung der Ay. GmbH manipuliert sei, so dass sie nicht als verlässliche Quelle für die Bestimmung der tatsächlich gezahlten Schwarzlöhne herangezogen werden könne.
7
Die der Schadensberechnung zu Grunde gelegten Lohnsummen errechnete das Landgericht daher auf der Grundlage einer branchenüblichen Lohnquote von 66,66 % bezogen auf die um anerkannte Subunternehmerleistungen bereinigten monatlichen Nettoumsätze. Die so ermittelten Lohnsummen wurden für die Berechnung der vorenthaltenen Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherungsbeiträge nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV auf ein Bruttogehalt hochgerechnet. Auf der Grundlage dieser fiktiven Bruttolohnsumme wurden die vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge errechnet, von denen in einem letzten Schritt die Sozialversicherungsbeiträge, die für die angemeldeten Arbeitsverhältnisse gezahlt worden waren, abgezogen wurden. Für die Berechnung der hinterzogenen Steuern und die vorenthaltenen Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung erfolgte demgegenüber keine Hochrechnung der geschätzten Lohnsumme nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV.

II.


8
Der festgestellte Schuldumfang hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung aus zwei Gründen nicht stand: Die Voraussetzungen für die Schätzung der Schwarzlohnsumme waren vorliegend nicht gegeben (dazu nachfolgend 1.). Zudem enthalten die Rechenschritte bei der Berechnung der Hinterziehungsbeträge Rechtsfehler (dazu nachfolgend 2.).
9
1. Die Voraussetzungen für die Schätzung der Schwarzlohnsumme waren vorliegend nicht gegeben; deshalb ist die darauf aufbauende Beweiswürdigung nicht tragfähig.
10
Die Strafkammer hat die Höhe der Schwarzlöhne unter Heranziehung einer branchenüblichen Lohnquote geschätzt. Eine solche Schätzung ist dem Tatrichter zwar grundsätzlich gestattet. Hier hat das Landgericht allerdings betriebswirtschaftliche Parameter festgestellt, mittels derer die Möglichkeit bestand , die Höhe der Schwarzlöhne konkret - also tatsachenfundiert und den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechend - zu berechnen. Der Senat kann nicht ausschließen, dass auf der Grundlage einer tatsachenfundierten Berechnung der Schuldumfang nennenswert geringer ausgefallen wäre. Dies gilt auch deshalb, weil die Strafkammer die Einlassung des Angeklagten ohne ausreichende Erörterung für widerlegt hält, er habe monatliche Schwarzlohnzahlungen in einer Größenordnung zwischen 20.000 und 30.000 Euro geleistet.
11
a) Die Schätzung hinterzogener Lohnsteuer und vorenthaltener Sozialversicherungsbeiträge ist dem Tatrichter freilich grundsätzlich gestattet.
12
aa) In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass tatgerichtliche Feststellungen auf tragfähige Schätzgrundlagen gestützt werden dürfen (BVerfG - Kammer -, Beschl. vom 20. März 2007 - 2 BvR 162/07). Die für die Anwendung und Durchführung einer Schätzung maßgeblichen Kriterien sind: - Für eine annähernd genaue Berechnung fehlen aussagekräftige Beweismittel ; bei Vermögensdelikten im Rahmen eines Unternehmens sind das namentlich Belege und Aufzeichnungen. - Die Parameter der Schätzgrundlage müssen tragfähig sein. - Die Schätzung kann auch aus verfahrensökonomischen Gründen angezeigt sein, etwa dann, wenn eine exakte Berechnung einen unangemessenen Aufklärungsaufwand erfordert und bei exakter Berechnung für den Schuldumfang nur vernachlässigbare Abweichungen zu erwarten sind. - Im Rahmen der Gesamtwürdigung des Schätzergebnisses ist der Zweifelssatz zu beachten. - Die Grundlagen der Schätzung müssen im tatrichterlichen Urteil für das Revisionsgericht nachvollziehbar dargestellt werden.
13
Nach diesen Grundsätzen kann - und muss auch sehr häufig - bei Betäubungsmitteldelikten die Wirkstoffkonzentration anhand bestimmter Kriterien geschätzt werden (BGH, Beschl. vom 1. Oktober 2008 - 2 StR 360/08). Die Schätzung kann etwa anhand repräsentativer Stichproben erfolgen, auch um einen unverhältnismäßigen Untersuchungsaufwand zu vermeiden (BGH StV 2008, 9). Gerade dann, wenn sich solche Feststellungen bei angemessenem Aufklärungsaufwand nicht treffen lassen, darf das Tatgericht eine an den Um- ständen des Falles orientierte Schätzung unter Beachtung des Zweifelssatzes vornehmen (BGH NStZ 2002, 438, 439).
14
Eine Schätzung hat die Rechtsprechung auch bei Serientaten gebilligt, wenn zwar der strafbare Gesamtschaden feststeht, die Verteilung dieses Schadens auf Einzelakte sich aber einer genauen Feststellung entzieht. Danach ist es bei einem strafbaren Gesamtverhalten, das zahlreiche serienmäßig begangene Taten umfasst, zulässig, einen rechnerisch ermittelten Teil des Gesamtgeschehens bestimmten strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen im Wege der Schätzung zuzuordnen, wobei die Feststellung der Zahl der Einzelakte und die Verteilung des Gesamtschadens auf diese unter Beachtung des Zweifelssatzes zu erfolgen hat (BGH aaO).
15
Steht bei Vermögensstraftaten nach der Überzeugung des Tatrichters ein strafbares Verhalten des Täters fest, so kann auch hier die Bestimmung des Schuldumfangs im Wege der Schätzung erfolgen. Ein solches Verfahren ist stets zulässig, wenn sich Feststellungen auf andere Weise nicht treffen lassen. Die Schätzung ist dann sogar unumgänglich, wenn über die kriminellen Geschäfte keine Belege oder Aufzeichnungen vorhanden sind. In Fällen dieser Art hat der Tatrichter einen als erwiesen angesehenen Mindestschuldumfang festzustellen (BGH StV 2004, 578; NStZ 1999, 581).
16
bb) Dieselben Grundsätze gelten für die Schätzung von Bemessungsgrundlagen bei der Berechnung hinterzogener Lohnsteuer und vorenthaltener Sozialversicherungsbeiträge. Auch hier muss nach der Überzeugung des Tatgerichts ein strafbares Verhalten des Täters feststehen. Steht die Strafbarkeit fest, kommt eine Schätzung des Schuldumfangs namentlich dann in Betracht, wenn mangels entsprechender Buchführung des Angeklagten eine konkrete Berechnung der Bemessungsgrundlage nicht vorgenommen werden kann (vgl. BGHSt 40, 374, 376; NStZ 2001, 599, 600; wistra 2007, 220 f., jew. m.w.N.).
17
Die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen muss zudem nach steuerrechtlichen Grundsätzen in sich schlüssig sein. Das ist namentlich dann der Fall, wenn ihre Ergebnisse hinsichtlich aller Bemessungsgrundlagen wirtschaftlich vernünftig und möglich sind (BGH wistra 1992, 147; NStZ 1999, 581, BFH BStBl II 1986, 226).
18
Das Tatgericht darf dabei durchaus auch Schätzungen des Finanzamts oder der Steuerfahndungsstellen übernehmen. Freilich muss erkennbar sein, dass es diese eigenständig überprüft und sich von ihrer Richtigkeit auch unter Berücksichtigung der vom Besteuerungsverfahren abweichenden strafrechtlichen Verfahrensgrundsätze (§ 261 StPO) überzeugt hat (BGH wistra 1984, 182).
19
Liegen keine hinreichend verlässlichen Anknüpfungstatsachen für die nähere Bestimmung der Bemessungsgrundlagen vor, kann eine durchschnittliche , an Wahrscheinlichkeitskriterien ausgerichtete Schätzung erfolgen (BGH wistra 1992, 147). Bei der Entscheidung, welche Schätzungsmethode dem vorgegebenen Ziel, der Wirklichkeit durch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen möglichst nahe zu kommen, am besten gerecht wird, kommt dem Tatgericht ein Beurteilungsspielraum zu (vgl. BGH wistra 1992, 147). Die revisionsgerichtliche Überprüfung beschränkt sich dann darauf, ob das Tatgericht nachvollziehbar dargelegt hat, warum es sich der gewählten Schätzungsmethode bedient hat und weshalb diese dafür geeignet ist.
20
cc) Bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlagen zur Berechnung hinterzogener Lohnsteuer und vorenthaltener Sozialversicherungsbeiträge ist die Schätzung der Lohnsumme unter Anwendung eines Prozentsatzes bezogen auf den Nettoumsatz eines Unternehmens danach dann zulässig, wenn keine anderweitig verlässlichen Beweismittel zur Verfügung stehen oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand und ohne nennenswerten zusätzlichen Erkenntnisgewinn zu beschaffen sind. Für die Schätzung der Lohnsumme gilt danach:
21
Das Tatgericht darf eine branchenübliche Lohnquote - und zwar eine Nettolohnquote - des jeweils verfahrensgegenständlichen Gewerbes ermitteln und diese als Schätzgrundlage der weiteren Berechnung zugrunde legen. Im Bereich des lohnintensiven Baugewerbes kann das Tatgericht bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen in Form der Schwarzarbeit grundsätzlich zwei Drittel des Nettoumsatzes als Lohnsumme - und zwar als Nettolohnsumme - veranschlagen (Senat NJW 2009, 528, 529). Die gegen eine Nettolohnquote von 60 % und mehr erhobenen Einwände (Röthlein wistra 2009, 107, 113; Joecks JZ 2009 526, 531) hält der Senat nach nochmaliger Überprüfung nicht für berechtigt.
22
Aus dem Umstand, dass bei legalen Beschäftigungsverhältnissen erfahrungsgemäß eine Bruttolohnquote von zwei Dritteln des Nettoumsatzes angenommen wird und dort folglich deren Nettolohnquote niedriger ist, lässt sich nämlich nicht herleiten, dass auch bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen die Nettolohnquote unter zwei Dritteln des Nettoumsatzes liegen müsse. Das würde der unterschiedlichen Kostenstruktur von legalen und illegalen Beschäftigungsverhältnissen nicht gerecht.
23
Der illegal tätige Unternehmer wendet nämlich, anders als der legal tätige Unternehmer, außer den Nettolohnzahlungen keine nennenswerten anderweitigen Kosten auf, vor allem keine Lohnneben- und zusatzkosten sowie Fixkosten , die bei einem legal tätigen Unternehmen anfallen. Das hat zur Folge, dass bei ihm - anders als beim legal tätigen Unternehmer - ein wesentlich größerer Teil des Nettoumsatzes auf Nettolohnzahlungen an seine Arbeitnehmer entfällt, so dass seine Nettolohnquote deutlich höher liegt. Im Vergleich zu einem legal tätigen Unternehmen kann das illegal tätige Unternehmen seine Kosten anders kalkulieren: - Regelmäßig kann davon ausgegangen werden, dass der illegal tätige Arbeitgeber an seine Arbeitnehmer keine höheren Nettolöhne als am Markt üblich zahlt; dies gilt auch im Vergleich mit legal tätigen Unternehmen. - Der Einsatz nicht gemeldeter Arbeitnehmer bzw. die nicht vollständige Meldung gezahlter Löhne ermöglicht dem illegal tätigen Unternehmer, seine Leistungen günstiger als seine legal tätigen Mitbewerber anzubieten. Dies führt - wenn beide dieselbe Zahl von Arbeitern für denselben Auftrag einsetzen würden - zu einem niedrigeren Angebot und damit zu einem geringeren Umsatz. - Wollten hingegen beide Unternehmen denselben Nettoumsatz erzielen, dann könnte der illegal tätige Unternehmer für denselben Auftrag - bei gleicher Nettolohnsumme - mehr Arbeiter einsetzen, mithin den Auftrag schneller ausführen (günstigerer Zeitfaktor). - Weil der illegal tätige Unternehmer den Auftrag schneller ausführen kann, bedeutet das zugleich, dass er einen höheren Umsatz erwirt- schaften kann, wenn er die größere Zahl von zudem „billigeren“ Arbeitern genauso lange arbeiten lässt, wie der legal tätige Unternehmer.
24
Deswegen hält der Senat eine Schätzung des Tatgerichts, das die Nettolohnsumme bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen mit zwei Dritteln des Nettoumsatzes bemisst, für wirtschaftlich vernünftig und möglich.
25
Dies entspricht auch den Erfahrungen des Senats aus vergleichbaren Verfahren, wo aufgrund tatsachenfundierter Berechnungen Schwarzlöhne konkret festgestellt wurden, die sich auf mehr als 60 % des Nettoumsatzes belaufen (vgl. Senat, Beschl. vom 29. Oktober 2009 - 1 StR 501/09).
26
Der Senat hat auch bedacht, dass sich der Unternehmer der illegalen Beschäftigung bedient, um seine Gewinne zu maximieren. Dabei erscheint allerdings schon zweifelhaft, ob er aber am Markt tatsächlich signifikant höhere Gewinne erzielt als ein legal tätiges Unternehmen. Denn gerade im Baugewerbe konkurriert er häufig nicht nur mit legal tätigen, sondern auch mit anderen, gleichfalls illegal tätigen Unternehmen, was sich auf die von ihm erzielbaren Preise und damit seine Gewinnspanne auswirkt. Aber selbst wenn die Gewinnspanne illegal tätiger Unternehmen höher wäre, kann dieser Faktor in Fällen der vorliegenden Art in der Regel bei der Schätzung der Nettolohnquote in Höhe von zwei Dritteln des Nettoumsatzes vernachlässigt werden, denn es erscheint kaum vorstellbar, dass der Gewinn illegal tätiger Unternehmen auch nur annähernd ein Drittel des Nettoumsatzes ausmacht.
27
b) Bei der Ermittlung der Schwarzlohnsumme darf allerdings nicht vorschnell auf eine Schätzung der Lohnquote in Form eines Anteils an der Nettolohnsumme ausgewichen werden, wenn eine tatsachenfundierte Berechnung anhand der bereits vorliegenden und der erhebbaren Beweismittel möglich erscheint. Die zuverlässige Klärung, ob eine für die Berechnung verlässliche Tatsachengrundlage beschafft werden kann, ist dabei auch und besonders Aufgabe der Ermittlungsbehörden. Deshalb wäre es verfehlt und würde die Hauptverhandlung mit unnötigem Aufklärungsaufwand belasten, wenn die Ermittlungsbehörden sich darauf beschränkten, die Lohnquote zu schätzen, ohne zuvor ausermittelt zu haben, ob eine tatsachenfundierte Berechnung möglich ist.
28
aa) Beweismittel, anhand derer die Ermittlung des Nettoumsatzes und der konkrete Umfang der erbrachten Arbeiten möglich ist, sind im Baugewerbe insbesondere die Ausgangsrechnungen auf der Grundlage von Einheitspreisen.
29
Vollständig erfasste Ausgangsrechnungen können ein aussagekräftiges Indiz zur Ermittlung der tatsächlich erbrachten Arbeitsstunden sein. Die so ermittelten Arbeitsstunden dienen dann ihrerseits als Grundlage für die Berechnung des geleisteten Schwarzlohns, indem sie mit den gezahlten Stundenlöhnen multipliziert werden. Soweit sich keine Anhaltspunkte für die tatsächlich gezahlten Löhne ergeben, kann die Höhe des gezahlten Nettostundenlohns geschätzt werden. Hierbei können branchenübliche oder tarifvertragliche Stundenlöhne zugrunde gelegt werden. Wegen des dort geltenden Zuflussprinzips (vgl. insoweit Senat NJW 2009, 528, 530) sind namentlich im Hinblick auf die Berechnung der hinterzogenen Lohnsteuer dabei Nettolöhne anzusetzen.
30
bb) Die so gewonnenen Ergebnisse sind anhand anderer Betriebszahlen, soweit solche vorliegen, auf ihre Zuverlässigkeit zu überprüfen. Dies gilt insbesondere für die - mitunter in der Buchhaltung erfassten - Abdeckrechnungen, die der Unternehmer, der Arbeitnehmer gegen Zahlung von Schwarzlöhnen beschäftigt , sich bei anderen Unternehmen besorgt. Denn die Abdeckrechnungen dienen vornehmlich der buchhalterischen Verschleierung der Bargeldentnah- men, die erforderlich sind, um die Schwarzlöhne auszuzahlen. Sie können daher belastbare Erkenntnisquellen für die Höhe der geleisteten Schwarzlöhne sein.
31
cc) Soweit sich weitere Unterlagen in der Buchhaltung des jeweils betroffenen Unternehmens finden, sind auch diese mit in Bedacht zu nehmen. Selbst wenn in der Buchhaltung Manipulationen vorgenommen wurden, ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, die vorhandenen Unternehmensunterlagen für sich allein oder in der Gesamtschau im Rahmen einer tatsachenfundierten Schätzung zu verwenden, um im konkreten Einzelfall das der Wirklichkeit am ehesten entsprechende Ergebnis zu erreichen.
32
c) Im vorliegenden Fall sind Umstände festgestellt, anhand derer es möglich erscheint, die Höhe der gezahlten Schwarzlöhne tatsachenfundiert zu berechnen. Deshalb lagen die Voraussetzungen für eine Schätzung der Schwarzlohnsumme nicht vor, so dass sich Beweiswürdigung als rechtsfehlerhaft erweist.
33
aa) Die Strafkammer stellt fest, dass in der Buchhaltung der Ay. GmbH Schwarzlohnzahlungen verdeckt und verschleiert wurden, indem Eingangsrechnungen der Firma A. Bau in der Gesamthöhe von mehr als 400.000 Euro gebucht wurden. Hierbei handelt es sich um Scheinrechnungen, denen keine tatsächlich erbrachten Leistungen zu Grunde lagen und die vielmehr ausschließlich dazu dienten, die Ausgaben für die Zahlung von Schwarzlöhnen abzudecken. Das wäre Anlass gewesen, zu prüfen, ob diese Zahlen eine tatsachenfundierte Grundlage für die Schwarzlohnberechnung sein konnten. Allein der insoweit nicht näher ausgeführte Hinweis, die Buchhaltung sei manipuliert, macht die Prüfung - gerade mit Blick auf die Einlassung des Angeklagten - hier nicht entbehrlich.
34
bb) Denn es erscheint nicht ausgeschlossen, dass die Höhe der Abdeckrechnungen mit der von der Strafkammer für widerlegt erachteten Einlassung des Angeklagten in Einklang gebracht werden kann. Diese ging dahin, für die monatlichen Schwarzlohnzahlungen im Tatzeitraum - von 20 Monaten - monatlich zwischen 20.000 bis 30.000 Euro aufgewandt zu haben. Zwar erscheint es durchaus möglich, dass der Angeklagte damit nur den Umfang zugestanden hat, der wegen der objektiven Beweislage in Form der Abdeckrechnungen ohnehin nicht zu bestreiten war, und dass der tatsächliche Umsatz höher war, wofür die manipulierte Buchhaltung sprechen könnte. Das hätte aber einer näheren Erörterung bedurft.
35
cc) Eine solche Erörterung war hier auch deshalb angezeigt, weil weitere Feststellungen getroffen wurden, die für Würdigung der Einlassung des Angeklagten von Bedeutung sind. Denn aus der Bruttolohnsumme, die sich aus den festgestellten Sozialversicherungsbeiträgen ergibt, die von der Ay. GmbH angemeldet und abgeführt wurden, und der auf eine Bruttolohnsumme hochgerechneten Schwarzlohnzahlungen, die der Angeklagte eingestanden hat, ergibt sich eine Gesamtbruttolohnsumme, die nahezu zwei Drittel des Nettoumsatzes der Gesellschaft im Tatzeitraum ausmacht. Dieser Umstand lässt es als möglich erscheinen, dass der Angeklagte Schwarzlohnzahlungen in Höhe des in seinem Unternehmen üblicherweise gezahlten Nettolohns leistete.
36
dd) Da sich die Strafkammer trotz dieser Umstände, die eine tatsachenfundierte Schätzung orientiert an den konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls als möglich erscheinen lassen, einer pauschalen, an Durchschnittswerten orien- tierten Schätzung bedient hat, erweist sich das Urteil als rechtsfehlerhaft. Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich dies zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat, weil die pauschale Schätzung zu nennenswert höheren Hinterziehungsbeträgen geführt haben kann.
37
2. Unabhängig davon wurden zu Lasten des Angeklagten bei der Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge auch Teile des Lohns, für den Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden waren, von der Hochrechnung auf einen Bruttolohn erfasst. Auch dies erweist sich zum Nachteil des Angeklagten als rechtsfehlerhaft.
38
Das Landgericht hat bei der Ermittlung der Schwarzlohnsumme, die gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV auf eine Bruttolohnsumme hochzurechnen ist (vgl. Senat NJW 2009, 528, 529 ff.), auch Lohnzahlungen berücksichtigt, die den zuständigen Stellen gemeldet und für die Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden waren. Zwar ist eine Hochrechnung der Schwarzlohnsumme nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV auch dann zulässig, wenn ein Unternehmer lediglich teilweise Schwarzlohnzahlungen leistet (Senat, Beschl. vom 7. Oktober 2009 - 1 StR 320/09). Insoweit kann aber nur die Lohnsumme hochgerechnet werden, die nicht angemeldet und für die daher auch keine Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer abgeführt wurden. Demgegenüber darf der Teil der Lohnsumme, der gemeldet und für den Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer abgeführt worden waren, bei der Hochrechnung nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV nicht miteinbezogen werden. Dies würde im Ergebnis zu einer doppelten Hinzurechnung von Arbeitnehmeranteilen und Lohnsteuer zum Nettogehalt führen. Der Abzug der tatsächlich gezahlten Sozialversicherungsbeiträge gleicht dies nicht aus. Der gemeldete Bruttolohn ist daher von der im Wege der Schätzung gewonnenen Lohnsumme abzuziehen. Insoweit ist zu beach- ten, ob es sich bei der im Wege der Schätzung gewonnenen Lohnsumme um eine Brutto- oder Nettolohnsumme handelt. Abhängig davon wird der Lohnsummenteil , für den Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer gezahlt worden waren, netto oder brutto abzuziehen sein.
39
Auf diesem Berechnungsfehler beruht das Urteil auch, da das Landgericht den Schuldumfang zum Nachteil des Angeklagten fehlerhaft bestimmt hat.

III.

40
Wenngleich auf der Grundlage der Einlassung des Angeklagten ausgeschlossen werden kann, dass es in den Einzelfällen nicht zur Hinterziehung von Steuern und dem Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen kam, ist hier auch der Schuldspruch aufzuheben, um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen. Denn soweit die Schadensberechnung auf der Grundlage einer auf pauschalen, an Durchschnittswerten orientierten Schätzung der Bemessungsgrundlagen erfolgt, ist jedenfalls in einzelnen Beitragsmonaten möglich, dass zumindest Sozialversicherungsbeiträge nicht vorenthalten wurden.

IV.

41
Keinen Bestand hat auch die Anordnung des Verfalls von Wertersatz.
42
Der Generalbundesanwalt hat insoweit ausgeführt: „1. Das Landgericht hat in Höhe gesicherter Vermögenswerte den Verfall von Wertersatz angeordnet, da Gläubiger 'auf diese' keinen Anspruch hätten. 2. Ungeachtet der Frage, ob die Voraussetzungen der §§ 73 Abs. 1 bis 3, 73a StGB ausreichend dargelegt sind, steht dem Verfall (von Wertersatz) § 73 Abs. 1 S. 2 StGB entgegen. Verletzter i.S.d. Vorschrift kann auch eine juristische Person öffentlichen Rechts einschließlich des Fiskus sein (Fischer StGB 56. Aufl. § 73 Rn. 21; BGH NStZ 2001, 155; Harms/Jäger NStZ 2001, 181). Es ist (bislang) nicht erkennbar, warum der Fiskus, die Krankenkasse und die Berufsgenossenschaften den Angeklagten nicht in Anspruch nehmen können (§§ 72 AO, 823 Abs. 2 BGB; vgl. Fischer StGB 56. Aufl. § 266a Rn. 2).“
43
Dem schließt sich der Senat an.

V.


44
Für die neue Verhandlung weist der Senat auf folgendes hin:
45
1. Auch soweit Beiträge, die an die BG Bau-Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft für die Beitragsjahre 2005 und 2006 abzuführen waren, dadurch verkürzt wurden, dass jeweils bewusst pflichtwidrig zu niedrige Lohnnachweise zur Bemessung der Umlagebeträge für die gesetzliche Unfallversicherung abgegeben wurden, ist der Tatbestand des § 266a Abs. 2 StGB verwirklicht. Denn bei den Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung i.S.v. § 150 Abs. 1 SGB VII handelt es sich um Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung (vgl. Fischer StGB 56. Aufl. § 266a Rdn. 19). § 266a Abs. 2 StGB verdrängt als die speziellere Norm § 263 StGB (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 236; wistra 2008, 180).
46
Das bei der Bemessung der Beiträge an die BG Bau nach § 153 SGB VII zu Grunde zu legende Arbeitsentgelt bestimmt sich nach § 14 SGB IV (Marschner in BeckOK SGB VII § 153). Demnach kann auch insoweit eine Hochrechnung des im Wege der Schätzung ermittelten Nettoschwarzlohns nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV erfolgen.
47
2. Für die Strafzumessung gilt: Es ist ein bestimmender Strafschärfungsgrund (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO), wenn in Fällen der vorliegenden Art ein Arbeitgeber nach Gesetz buchungs- oder aufzeichnungspflichtige Vorgänge nicht oder nicht richtig verbucht oder verbuchen lässt, d.h. Lohnunterlagen nicht oder unrichtig führt.
48
Denn der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer illegal beschäftigt, verwirklicht dadurch neben den Straftaten nach § 266a StGB, § 370 AO Ordnungswidrigkeitentatbestände. So führt er die nach § 28f SGB IV erforderlichen Lohnunterlagen nicht (Ordnungswidrigkeit nach § 111 Abs. 1 Nr. 3 bzw. Nr. 3a SGB IV; siehe auch § 5 Abs. 1 Nr. 6 AEntG). Daneben kommen Ordnungswidrigkeiten nach § 379 AO in Betracht.
49
Wenngleich die Ordnungswidrigkeiten regelmäßig durch die verwirklichten Straftatbestände verdrängt (§ 21 Abs. 1 OWiG) oder im Hinblick auf die Straferwartung von der Verfolgung ausgenommen werden, kann bei der Strafzumessung - nach entsprechendem Hinweis an den Angeklagten - strafschärfend berücksichtigt werden, dass zur Ermöglichung und Verschleierung der Straftaten Ordnungswidrigkeiten begangen wurden (vgl. BGHSt 23, 342, 345).
50
Der Strafschärfungsgrund kann sich bei der Strafzumessung innerhalb des gefundenen Strafrahmens, aber auch schon bei der Strafrahmenwahl auswirken. Für die Strafrahmenwahl gilt: Sowohl § 266a Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 StGB als auch § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 AO nennen als Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall eine fortgesetzte Verkürzung unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege. Eine bewusste und nachhaltige Manipulation von Lohnunterlagen - unter Verstoß gegen gesetzliche Aufzeichnungspflichten - zum Zwecke der Verschleierung von Schwarzarbeit mag zwar zu- meist das benannte Regelbeispiel nicht erfüllen (vgl. BGH StV 2005, 213), legt aber gleichwohl bei unternehmerischer Tätigkeit mit namhaften Hinterziehungsbeträgen die Annahme eines unbenannten Regelbeispiels des besonders schweren Falles nahe.
Nack Wahl Hebenstreit
Jäger Sander

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 1/16
vom
20. April 2016
in dem selbständigen Verfallsverfahren
gegen
wegen Verfalls
ECLI:DE:BGH:2016:200416B1STR1.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. April 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Verfallsbeteiligten wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 10. September 2015 mit den Feststellungen zur Höhe der vorenthaltenen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat in dem selbständigen Verfallsverfahren festgestellt, dass die Verfallsbeteiligte durch Taten des Angeklagten B. Vermögenswerte im Gesamtwert von 458.407,34 € erlangt hat und der Verfall von Wertersatz nicht angeordnet werden kann, weil Ansprüche der Verletzten entgegenstehen. Die Revision der Verfallsbeteiligten rügt die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet das Verfahren. Sie hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie gemäß § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde die Verfallsbeteiligte – eine türkische Gesellschaft mit beschränkter Haftung und selbständiger Zweigniederlassung in G. – am 21. Februar 1997 von dem Angeklagten B. gegründet, der 95 % der Gesellschaftsanteile hielt. Das Verfahren wurde zunächst gegen den Angeklagten B. betrieben, wobei die Nebenbeteiligung der Verfallsbeteiligten angeordnet war. Infolge unbekannten Aufenthalts wurde das Verfahren vom Landgericht gegen den Angeklagten B. gemäß § 205 StPO vorläufig eingestellt und gegen die Verfallsbeteiligte im selbständigen Verfallsverfahren fortgesetzt. Der Angeklagte B. war zumindest bis Mitte 2008 alleiniger faktischer Geschäftsführer der Verfallsbeteiligten und formal als Einzelprokurist der selbständigen Zweigniederlassung der Verfallsbeteiligten im Handelsregister eingetragen. Die Verfallsbeteiligte beschäftigte von April 2003 bis Mai 2008 insgesamt 98 türkische Arbeitnehmer im Rahmen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses auf verschiedenen Baustellen in Deutschland und führte mit diesen insgesamt 36 Werkverträge über Rohbauarbeiten aus. Den vorgenannten türkischen Arbeitnehmern standen im Tatzeitraum nach dem jeweils gültigen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag für das Bauhauptgewerbe Mindeststundenlöhne (brutto) in Höhe von 10,12 € bis 10,40 € zu. Ihre regelmäßige monatliche Arbeitszeit belief sich auf 200 bis 220 Arbeitsstunden. Sämtliche türkische Arbeitnehmer wurden für die Verfallsbeteiligte in der Türkei ausschließlich für eine Tätigkeit auf deutschen Baustellen angeworben und waren weder vor noch nach dieser Beschäftigung für die Verfallsbeteiligte in der Türkei tätig. Gegenüber den türkischen und deutschen Behörden wurde die Tätigkeit aller 98 türkischen Arbeitnehmer mit Wissen und Wollen des Angeklagten B. als sog. „Entsendefall“ dargestellt; d.h. als ein Sachverhalt, bei welchem ein Arbeitneh- mer eines Unternehmens mit Sitz in der Türkei vorübergehend zur Arbeitsleis- tung in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland entsandt wird, um dort eine Arbeit für Rechnung dieses Unternehmens auszuführen. Die türkischen Behörden stellten den türkischen Arbeitnehmern auf Antrag der Verfallsbeteiligten bzw. der jeweiligen Arbeitnehmer sog. A/T 1 oder A/T 11-Entsendebescheinigungen aus. Der Angeklagte B. wusste, dass es bei keinem der türkischen Arbeitnehmer eine Vorbeschäftigung oder eine von vornherein vorgesehene Anschlussbeschäftigung bei der Verfallsbeteiligten in der Türkei gab. Er unterließ die Anmeldung der türkischen Arbeitnehmer zur deutschen Sozialversicherung unter Berufung auf das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über soziale Sicherheit vom 30. April 1964 (BGBl. 1965 II, S. 1170), zuletzt ergänzt durch Zusatzabkommen vom 2. November 1984 (BGBl. 1984 II, S. 1040) und entrichtete für die 98 türkischen Arbeitnehmer in der Türkei Sozialversicherungsbeiträge für die Dauer der „Entsendezeit“ nach Deutschland. Der alleinige faktische Geschäftsführer der Ver- fallsbeteiligten, der Angeklagte B. , war jedoch tatsächlich verpflichtet, die türkischen Arbeitnehmer bei der zuständigen Einzugsstelle – der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) – als sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer anzumelden und der genannten Einzugsstelle gemäß § 28a SGB IV monatlich für jeden in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung bzw. nach dem Recht der Arbeitsförderung kraft Gesetzes versicherten Beschäftigten Meldung zu erstatten. Darüber hinaus war er verpflichtet, die Beiträge zur Sozialversicherung und zur Bundesagentur für Arbeit entsprechend diesen Meldungen bei Fälligkeit monatlich an die genannte Einzugsstelle abzuführen. Diesen Verpflichtungen kam der Angeklagte B. im Zeitraum April 2003 bis Mai 2008 nicht nach, wodurch er der Verfallsbeteiligten die Abführung entsprechender Sozialversicherungsbeiträge ersparte.
3
Als Bemessungsgrundlage für die Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge legte das Landgericht den tariflichen Mindestbruttolohn und die von den türkischen Arbeitnehmern für die Verfallsbeteiligte geleisteten Arbeitsstunden zugrunde. Die durchschnittliche monatliche Arbeitszeit der türkischen Arbeitnehmer ermittelte das Landgericht im Wege der Schätzung unter Hinzuziehung der vom Zoll aufgefundenen Arbeitsstundenaufzeichnungen und entsprechenden zeugenschaftlichen Bekundungen türkischer Arbeitnehmer zu ihren Arbeitszeiten. Die danach festgestellten vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge führte das Landgericht für die einzelnen Monate – getrennt nach Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil – tabellarisch auf, ohne allerdings die Berechnung im Einzelnen darzulegen und die maßgeblichen Beitragssätze der örtlich zuständigen Krankenkasse sowie die gesetzlichen Beitragssätze der Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung anzuführen. Ausweislich der tatrichterlichen Feststellungen beläuft sich der Gesamtbetrag nicht abgeführter Sozialversicherungsbeiträge auf 801.030,57 €, wobei sich ein Arbeitgeberanteil in Höhe von 323.997,47 € und ein Arbeitnehmeranteil in Höhe von 477.033,10 € ergibt. Von dieser Summe hat das Landgericht – ohne konkrete Anhaltspunkte – einen Sicherheitsabschlag in Höhe von 20 % vorgenommen, um auszugleichen , dass einzelne Arbeitnehmer weniger gearbeitet haben könnten, so dass sich ein Gesamtbetrag nicht abgeführter Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 640.824,45 € ergibt. Letztlich wurde der vom Landgericht als erlangt festgestellte Betrag auf 458.407,34 € beschränkt, weil in dieser Höhe Vermögenswerte der Verfallsbeteiligten gesichert worden waren.
4
Im Rahmen der Beweiswürdigung hat sich das Landgericht im Hinblick auf die Feststellungen zu den vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträgen für den Zeitraum April 2003 bis Mai 2008 auf die Bekundungen des ZeugenM. gestützt, der bei der Deutschen Rentenversicherung für die Berechnung der Beitragsforderungen zuständig ist und dem Landgericht im Rahmen der Beweisaufnahme den Berechnungsvorgang erläuterte. Der Zeuge M. habe die monatliche Bruttolohnsumme errechnet, indem er die vom Zoll ermittelten Ar- beitsstunden der türkischen Arbeitnehmer mit den jeweils gültigen Mindestlöhnen der niedrigsten Lohngruppe (Lohngruppe I) des gültigen allgemeinverbindlichen Tarifvertrags für das Bauhauptgewerbe multipliziert habe. Sodann habe er „unter Anwendung der jeweiligen im Urteil nicht näher genannten Arbeitge- ber- und Arbeitnehmerbeitragssätze zur Sozialversicherung“ die offenen Sozialversicherungsbeiträge – gegliedert nach Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil – für jeden der 62 verfahrensgegenständlichen Monate errechnet. Dieser Berechnungsmethode ist das Landgericht gefolgt, wobei es zum einen davon abgesehen hat, für die Monate April 2003 bis Juli 2004 Arbeitgeberanteile als vorenthalten zu berücksichtigen, und zum anderen – ohne konkrete Anhaltspunkte – den bereits erwähnten Sicherheitsabschlag von 20 % vorgenommen hat.

II.

5
Das Urteil hält rechtlicher Überprüfung nicht vollumfänglich stand.
6
Dem Tatgericht obliegt es nach ständiger Rechtsprechung, die geschuldeten Beiträge – für die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte gesondert – nach Anzahl , Beschäftigungszeiten, Löhnen der Arbeitnehmer und der Höhe des Beitragssatzes der örtlich zuständigen Krankenkasse festzustellen, um eine revisionsgerichtliche Nachprüfung zu ermöglichen (BGH, Beschlüsse vom 4. März 1993 - 1 StR 16/93 und vom 22. März 1994 - 1 StR 31/94; Urteil vom 20. März 1996 - 2 StR 4/96, NStZ 1996, 543; Radtke in MüKo StGB, 2. Aufl., § 266a Rn. 61, 133), weil die Höhe der geschuldeten Beiträge auf der Grundlage des Arbeitsentgelts nach den Beitragssätzen der jeweiligen Krankenkassen sowie den gesetzlich geregelten Beitragssätzen der Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung zu berechnen ist (BGH, Urteil vom 11. August 2010 - 1 StR 199/10, NStZ-RR 2010, 376). Falls solche Feststellungen im Einzelfall nicht möglich sind, kann die Höhe der vorenthaltenen Beiträge auf Grundlage der tatsächlichen Umstände geschätzt werden (BGH, Beschluss vom 10. November 2009 - 1 StR 283/09, NStZ 2010, 635; Radtke in MüKo StGB, 2. Aufl., § 266a Rn. 136). Die Grundsätze, die die Rechtsprechung bei Taten nach § 370 AO für die Darlegung der Berechnungsgrundlagen der verkürzten Steuern entwickelt hat, gelten insoweit entsprechend (BGH, Beschluss vom 4. März 1993 - 1 StR 16/93, StV 1993, 364; Urteil vom 11. August 2010 - 1 StR 199/10, NStZ-RR 2010, 376). Dementsprechend genügt es gerade nicht, die vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge lediglich der Höhe nach anzugeben (BGH, Beschluss vom 28. Mai 2002 - 5 StR 16/02, BGHSt 47, 318). Vielmehr müssen die Urteilsgründe die Berechnungsgrundlagen und Berechnungen im Einzelnen wiedergeben (BGH, Beschluss vom 4. März 1993 - 1 StR 16/93, StV 1993, 364; Radtke in MüKo StGB, 2. Aufl., § 266a Rn. 133).
7
Den vorgenannten Anforderungen trägt das Urteil nicht ausreichend Rechnung. Zwar bestehen gegen die Schätzung des Landgerichts hinsichtlich der durchschnittlichen monatlichen Arbeitszeit der türkischen Arbeitnehmer unter Berücksichtigung der aufgefundenen Arbeitsstundenaufzeichnungen und der zeugenschaftlichen Bekundungen türkischer Arbeitnehmer zu ihren Arbeitszeiten keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Allerdings stützt das Landgericht seine Feststellungen zur Höhe der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge allein auf die Bekundungen und Berechnung des Zeugen M. von der Deutschen Rentenversicherung, ohne die Berechnung für das Revisionsgericht im Einzelnen nachvollziehbar darzulegen. Im Rahmen der Beweiswürdigung hat das Landgericht lediglich ausgeführt, dass die vorenthaltenen Sozialversiche- rungsbeiträge anhand der ermittelten Bruttolohnsumme „unter Anwendung der jeweiligen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeitragssätze zur Sozialversicherung“ errechnet worden seien. Welche Beitragssätze letztlich der Berechnung zugrunde liegen, führt das Urteil nicht aus, weshalb eine Berechnung der vorent- haltenen Sozialversicherungsbeiträge nicht möglich ist und diese unzureichenden Feststellungen damit einer vollumfänglichen revisionsgerichtlichen Nachprüfung entgegenstehen.
8
Auch ist es im vorliegenden Fall nicht ausnahmsweise ausreichend, lediglich die Höhe der vorenthaltenen Gesamtsozialversicherungsbeiträge und die darin enthaltenen Arbeitnehmeranteile, die geschädigten Krankenkassen und die betroffenen Beitragsmonate festzustellen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2010 - 1 StR 424/10, NStZ 2011, 161), weil es sich gerade nicht um einen Fall des schlichten Nichtzahlens ordnungsgemäß angemeldeter Beiträge handelt, bei welchem der vom Arbeitgeber eingereichte Beitragsnachweis gemäß § 28f Abs. 3 S. 3 SGB IV die geschuldeten und in der Regel vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge belegt.
9
Der Senat kann infolge der fehlenden revisionsgerichtlichen Nachprüfbarkeit – auch in Anbetracht des großzügigen Sicherheitsabschlags in Höhe von 20 % und der wenig nachvollziehbaren Beschränkung auf den Betrag, in dessen Höhe Vermögenswerte der Verfallsbeteiligten gesichert werden konnten – nicht ausschließen, dass das angefochtene Urteil auf dem vorgenannten Mangel beruht und möglicherweise bei richtiger Anwendung des Gesetzes anders ausgefallen wäre.
10
Das neue Tatgericht wird dementsprechend unter Beachtung obiger Ausführungen neue Feststellungen zur Höhe der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge zu treffen haben. Die übrigen Feststellungen des Landgerichts sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und bleiben insoweit bestehen.
11
Da das Urteil im Übrigen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufweist, war die weitergehende Revision der Verfallsbeteiligten gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen. Raum Graf Jäger Cirener RinBGH Dr. Fischer ist im Urlaub und deshalb an der Unterschriftsleistung gehindert. Raum

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
1 StR 199/10
vom
11. August 2010
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen zu 1.: Steuerhinterziehung u.a.
zu 2.: Betruges u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlungen
vom 10. und 11. August 2010, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Hebenstreit,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
der Angeklagte ,
- in der Verhandlung vom 10. August 2010 -
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung vom 10. August 2010 -
als Verteidiger des Angeklagten A. C. ,
die Angeklagte ,
- in der Verhandlung vom 10. August 2010 -
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung vom 10. August 2010 -
als Verteidiger der Angeklagten E. C. ,
Herr
- in der Verhandlung vom 10. August 2010 -
als Dolmetscher für Türkisch,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten A. C. wird das Urteil des Landgerichts Detmold vom 30. November 2009, soweit es ihn betrifft, im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte
a) im Fall II. 8 der Urteilsgründe wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt und
b) im Fall II. 83 der Urteilsgründe wegen Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition schuldig ist. 2. Die weitergehende Revision des Angeklagten A. C. und die Revision der Angeklagten E. C. werden verworfen. 3. Die Angeklagten haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen. Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten A. C. wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 55 Fällen, wegen Betruges in zehn Fällen , davon in sieben Fällen in Tateinheit mit Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt, wegen Steuerhinterziehung in 15 Fällen, wegen versuchter Steuerhinterziehung in drei Fällen und wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Angeklagte E. C. hat es wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in zwölf Fällen und wegen Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.
2
Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren jeweils auf Sachrügen gestützten Revisionen. Die Revision des Angeklagten A. C. hat zum Schuldspruch den aus dem Tenor ersichtlichen geringfügigen Teilerfolg. Im Übrigen sind die Revisionen unbegründet.

I.


3
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
1. Der Angeklagte A. C. - ein in der Türkei ausgebildeter Steuerberater - betrieb im Zeitraum von 1998 bis 2008 - zum Teil zeitlich überlappend - mehrere Unternehmen im Baugewerbe, deren Gewinne er mit illegalen Mitteln maximieren wollte. Außer bei seiner Einzelfirma verschleierte er bei den Firmen jeweils seine beherrschende Stellung als tatsächlicher Inhaber und faktischer Geschäftsführer, indem er jeweils andere Personen als Inhaber bzw. als Geschäftsführer auftreten ließ. Bei der Firma C. Bau trat seine Ehefrau, die An- geklagte E. C. , nach außen als Firmeninhaberin auf. Daneben betrieb der Angeklagte eine Tabledance-Bar, in der er mindestens zwei weibliche Arbeitnehmer beschäftigte, die ein monatliches Gehalt von jeweils mindestens 140 Euro erhielten.
5
Um seinen Gewinn zu erhöhen, kam der Angeklagte A. C. bei diesen Unternehmen den ihm obliegenden steuerlichen Erklärungspflichten nicht nach und meldete auch den ganz überwiegenden Teil der bei den Firmen beschäftigten Arbeitnehmer nicht den Einzugsstellen der Sozialversicherungsträger. Bei der C. Bau handelte er dabei im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit der Angeklagten E. C. .
6
Indem er für die von ihm beherrschten Firmen in den Veranlagungszeiträumen 2003 und 2004 trotz getätigter Umsätze keine Umsatzsteuererklärungen abgab, verkürzte der Angeklagte A. C. Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt mehr als 47.000 Euro. Daneben verkürzte er zugunsten der Es. GmbH, für die er im Veranlagungszeitraum 2004 weder eine Körperschaftsteuer - noch eine Gewerbesteuererklärung abgab, Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer von insgesamt mehr als 19.000 Euro. Ebenfalls für den Veranlagungszeitraum 2004 gab der Angeklagte A. C. keine Einkommensteuererklärung ab und verkürzte dadurch Einkommensteuer in Höhe von 3.642 Euro. Indem er die in den von ihm beherrschten Baufirmen beschäftigen Arbeitnehmer bei den zuständigen Stellen nicht anmeldete, bewirkte er, dass mehr als 238.000 Euro an Sozialversicherungsbeiträgen vorenthalten und Lohnsteuer in Höhe von 19.130 Euro verkürzt wurden.
7
2. Darüber hinaus veranlasste der Angeklagte A. C. , indem er in entsprechenden Anträgen bewusst wahrheitswidrige Angaben über seine Be- schäftigungs- und Vermögensverhältnisse machte, zum einen die Bundesagentur für Arbeit zur ungerechtfertigten Bewilligung und Zahlung von Arbeitslosengeld I in Höhe von mehr als 9.000 Euro und zum anderen - gemeinschaftlich mit der Angeklagten E. C. handelnd - die L. GmbH zur Bewilligung und Zahlung von Sozialleistungen nach dem Sozialgesetzbuch II in Höhe von insgesamt mehr als 31.000 Euro, auf die er ebenfalls keinen Anspruch hatte. Gegenüber der Landesbrandversicherungsanstalt, bei der er eine Wohngebäudeversicherung unterhielt, meldete der Angeklagte wahrheitswidrig einen Sturmschaden und veranlasste dadurch die Versicherung zur Zahlung einer nicht gerechtfertigten Versicherungsleistung in Höhe von mehr als 2.300 Euro.
8
3. Schließlich besaß der Angeklagte A. C. im Jahr 2008 eine Pistole Kaliber 7,65 mm und insgesamt 13 Patronen Munition, ohne die dafür erforderliche Erlaubnis zu besitzen.

II.


9
Die Revision des Angeklagten A. C. bleibt, abgesehen von einer Schuldspruchberichtigung in den Fällen II. 8 und II. 83 der Urteilsgründe, im Ergebnis ohne Erfolg. Zwar sind die Feststellungen zum Teil sehr knapp und teilweise sogar lückenhaft. Der Senat kann jedoch sowohl zum Schuldspruch als auch zum Strafausspruch ausschließen, dass dies den Angeklagten beschwert.
10
1. Die Verurteilung des Angeklagten A. C. in den Fällen II. 1, 14, 15 und 18 der Urteilsgründe wegen Steuerhinterziehung bzw. versuchter Steuerhinterziehung und in den Fällen II. 9 bis 13 sowie 31 bis 80 der Urteilsgründe wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt hält rechtlicher Nachprüfung noch stand. Soweit das Landgericht der Strafzumessung einen geringfügig zu großen Schuldumfang zu Grunde gelegt hat, kann der Senat ausschließen, dass sich dies auf den Strafausspruch ausgewirkt hat.
11
a) Bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung durch Abgabe unrichtiger Steuererklärungen (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) sind in den Urteilsgründen diejenigen Parameter festzustellen, die die Grundlage für die Steuerberechnung bilden (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2009 - 1 StR 718/08, NStZ 2009, 639, 640). Liegt dem Angeklagten demgegenüber - wie hier - eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen i.S.v. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO zur Last, sind zunächst die Umstände festzustellen, aus denen sich ergibt, dass der Angeklagte zur Abgabe der fraglichen Steuererklärungen verpflichtet war. Sodann sind in den Urteilsgründen die Tatsachen mitzuteilen, aus denen sich die Höhe der durch die pflichtwidrige Nichtabgabe der Erklärungen hinterzogenen Steuer ergibt.
12
Bei einem geständigen Angeklagten ist auch in den Fällen des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO hinsichtlich des Umfangs der Sachdarstellung zwischen der Feststellung der Besteuerungsgrundlagen und der Beweiswürdigung zu unterscheiden. Während die Darstellung der steuerlich erheblichen Tatsachen regelmäßig nicht verkürzt erfolgen kann, weil die Subsumtion sonst nicht mehr nachprüfbar ist, bedarf es bei einem geständigen Angeklagten zumeist keiner ausführlichen Würdigung der Beweise, die diesen Feststellungen zugrunde liegen. Räumt der Angeklagte die Besteuerungsgrundlagen ein und hat sich der Tatrichter von der Richtigkeit des Geständnisses überzeugt, dann genügt eine knappe Würdigung der so gefundenen Überzeugung. Jedenfalls, soweit es um das „reine Zahlenwerk” - etwa den Umsatz, die Betriebseinnahmen oder die Betriebsausgaben - geht, wird regelmäßig davon ausgegangen werden können, dass selbst ein steuerrechtlich nicht versierter Angeklagter diese Parameter aus eigener Kenntnis bekunden kann. Der Tatrichter kann seine Überzeugung insoweit auch auf verlässliche Wahrnehmungen von Beamten der Finanzverwaltung zu den tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen stützen. Angaben von Finanzbeamten zu tatsächlichen Gegebenheiten können - wie bei sonstigen Zeugen auch - taugliche Grundlage der Überzeugung des Tatrichters sein.
13
b) Dieselben Grundsätze gelten für die Straftaten des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 1 und Abs. 2 StGB. Hier sind zunächst diejenigen Feststellungen zu treffen, aus denen sich die Arbeitgeberstellung des Täters und - daraus folgend - die diesem obliegenden Meldepflichten gegenüber den Sozialversicherungsträgern ergeben. Festzustellen sind weiter die im jeweiligen Beitragsmonat gezahlten Löhne oder Gehälter. Bei der Feststellung der monatlichen Beiträge ist für jeden Fälligkeitszeitpunkt die Anzahl der Arbeitnehmer und die Höhe des Beitragssatzes der jeweils zuständigen Krankenkasse anzugeben (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2007 - 5 StR 544/06, wistra 2007, 220 mwN), weil sich die Höhe der geschuldeten Beiträge auf der Grundlage des Arbeitsentgelts nach den Beitragssätzen der jeweiligen Krankenkasse sowie den gesetzlich geregelten Beitragssätzen der Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung errechnet. Nur so wird dem Revisionsgericht die Nachprüfung der Höhe der den Sozialversicherungsträgern vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge ermöglicht.
14
Auch bei einem geständigen Angeklagten ist die Nennung der Höhe der gezahlten Löhne und Gehälter sowie der Beitragssätze der zuständigen Krankenkasse regelmäßig unverzichtbar. Demgegenüber kann die Beweiswürdigung hierzu bei Vorliegen eines glaubhaften Geständnisses knapp gehalten werden, denn diese Umstände können Gegenstand eines Geständnisses sein. Im Rah- men seiner Überzeugungsbildung zu den Bemessungsgrundlagen kann sich der Tatrichter auch auf verlässliche Wahrnehmungen von Ermittlungsbeamten stützen.
15
Liegen - z.B. wegen unvollständiger oder fehlender Buchhaltung des Arbeitgebers - keine tragfähigen Erkenntnisse über die tatsächlich gezahlten Löhne und Gehälter vor, steht aber nach der Überzeugung des Tatrichters ein strafbares Verhalten des Angeklagten fest, kann - wie auch sonst bei Vermögensdelikten - die Bestimmung des Schuldumfangs im Wege der Schätzung erfolgen. Ein solches Verfahren ist stets zulässig, wenn sich Feststellungen auf andere Weise nicht treffen lassen. Die Schätzung ist sogar unumgänglich, wenn keine Belege oder Aufzeichnungen vorhanden sind. In Fällen dieser Art hat der Tatrichter einen als erwiesen angesehenen Schuldumfang festzustellen. Dabei hat er auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisse die Höhe der Löhne und Gehälter zu schätzen und daraus den Umfang der jeweils vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge zu berechnen. Die Schätzung kann - wie hier - auch aus verfahrensökonomischen Gründen angezeigt sein, etwa dann, wenn eine genaue Ermittlung der Sozialversicherungsbeiträge einen erheblichen Aufklärungsaufwand erfordern würde, sie aber gegenüber der Schätzung voraussichtlich nur zu nicht erheblich abweichenden Werten führen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2009 - 1 StR 283/09, wistra 2010, 148 mwN).
16
c) Gemessen an diesen Grundsätzen halten Schuldspruch und Strafausspruch in den vorgenannten Fällen rechtlicher Nachprüfung stand.
17
aa) Die Verurteilung des Angeklagten A. C. in den Fällen II. 1, 14 und 18 der Urteilsgründe wegen Hinterziehung von Umsatzsteuer gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ist frei von Rechtsfehlern. Das Landgericht hat die in den jeweiligen Besteuerungszeiträumen erzielten Umsätze mitgeteilt und sodann unter Anwendung des sich aus dem Gesetz ergebenden Umsatzsteuersatzes die verkürzte Umsatzsteuer zutreffend berechnet. Der Angeklagte hat - was ihm möglich war, weil er die Umsätze kannte - die Höhe der verkürzten Umsatzsteuern auch eingeräumt. Dieses Geständnis hat das Landgericht unter Heranziehung des übrigen Ermittlungsergebnisses rechtsfehlerfrei als glaubhaft angesehen.
18
bb) Demgegenüber sind die Urteilsfeststellungen lückenhaft, soweit das Landgericht den Angeklagten in den Fällen II. 9 bis 13 und 31 bis 80 der Urteilsgründe wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt und im Fall II. 15 der Urteilsgründe wegen versuchter Steuerhinterziehung verurteilt hat. In den Fällen II. 9 bis 13 und 31 bis 80 der Urteilsgründe hat das Landgericht nicht festgestellt, welche Beitragssätze der Krankenkassen es der Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge zu Grunde gelegt hat. Im Fall II. 15 der Urteilsgründe (Hinterziehung von Einkommensteuer für das Jahr 2004) hat das Landgericht nicht alle Besteuerungsgrundlagen, die für die Bestimmung des zu versteuernden Einkommens bedeutsam sind, mitgeteilt. Der Senat kann auf Grundlage der getroffenen Feststellungen jedoch sicher ausschließen , dass sich diese Darstellungsmängel auf den Schuldspruch und den Strafausspruch ausgewirkt haben.
19
(1) Im Fall II. 15 der Urteilsgründe (Einkommensteuerhinterziehung für das Jahr 2004) hat das Landgericht zwar nicht alle zur Berechnung der verkürzten Steuer erforderlichen Besteuerungsgrundlagen mitgeteilt. Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt sich aber, dass weitere als die vom Landgericht berücksichtigten Faktoren, die sich einkommensteuerrechtlich zugunsten des Angeklagten auswirken könnten, nicht vorhanden waren. Solche hat der steuerlich vorgebildete und kaufmännisch versierte, zudem anwaltlich verteidigte Angeklagte auch nicht geltend gemacht. Vielmehr hat er ein vollumfängliches Geständnis abgelegt, das sich auch auf die festgestellten Umsätze und Gewinne bezogen hat und für das er ersichtlich auch eine ausreichende Sachkunde besaß. Angesichts der festgestellten Höhe des von dem Angeklagten nicht erklärten Arbeitslohnes und der von ihm vereinnahmten verdeckten Gewinnausschüttung aus der Es. GmbH schließt der Senat aus, dass das Landgericht bei vollständiger Darstellung der maßgeblichen Besteuerungsgrundlagen zu einem Hinterziehungsumfang gelangt wäre, bei dem es eine noch mildere Strafe als die in diesem Fall verhängte Einzelstrafe von 90 Tagessätzen festgesetzt hätte. Der Senat hat dabei berücksichtigt, dass sich ausgehend von den vom Landgericht mitgeteilten Besteuerungsgrundlagen ein geringfügig niedrigerer Verkürzungsumfang als vom Landgericht angenommen ergibt.
20
(2) In den Fällen II. 9 bis 13, 31 bis 38 und 40 bis 50 der Urteilsgründe (Straftaten gemäß § 266a StGB) kann der Senat trotz der vorhandenen Darstellungsmängel zu den sozialversicherungsrechtlichen Bemessungsgrundlagen sicher ausschließen, dass das Landgericht bei der Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge zum Nachteil des Angeklagten einen zu großen Schuldumfang angenommen hat. Denn das Landgericht hat in den Urteilsgründen die der Beitragsberechnung zu Grunde liegenden Schwarzlohnsummen mitgeteilt. Ausgehend von diesen Beträgen kann der Senat die nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71, Rn. 9 ff.) gebotene Hochrechnung der ausgezahlten Löhne auf ein fiktives Bruttoarbeitsentgelt selbst vornehmen und davon ausgehend den Beitragsschaden auch selbst berechnen.
21
(3) Demgegenüber hat das Landgericht in den Fällen II. 39 sowie 51 bis 80 der Urteilsgründe (Straftaten gemäß § 266a StGB) der Strafzumessung einen zu großen Schuldumfang zu Grunde gelegt. Der Senat kann jedoch ausschließen , dass das Landgericht niedrigere als die verhängten Einzelstrafen festgesetzt hätte, wenn es in diesen Fällen von einem zutreffenden Schuldumfang ausgegangen wäre.
22
(a) Bei Fall II. 39 der Urteilsgründe (Straftat gemäß § 266a StGB) hat das Landgericht - was grundsätzlich zulässig ist (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2009 - 1 StR 283/09, wistra 2010, 148 Rn. 21) - die Schwarzlohnsumme auf zwei Drittel der Nettoumsätze geschätzt. Allerdings lässt sich hier die festgestellte Schwarzlohnsumme mit den festgestellten Nettoumsätzen nicht in Einklang bringen, weshalb auch die weiteren Berechnungen fehlerhaft sind. Angesichts einer Abweichung von etwa 2.000 Euro gegenüber der zutreffenden Schadenssumme kann der Senat im Hinblick auf die seitens der Strafkammer vorgenommene, an der Schadenshöhe ausgerichtete Staffelung der verhängten Einzelstrafen ausschließen, dass das Landgericht bei fehlerfreier Berechnung für diese Tat eine niedrigere Einzelstrafe verhängt hätte.
23
(b) In den Fällen II. 51 bis 80 der Urteilsgründe (Straftaten gemäß § 266a StGB) hat das Landgericht die Zahlungen an die weiblichen Beschäftigten der Tabledance-Bar in Höhe von jeweils 140 Euro pro Monat als Nettolöhne gewertet und diese nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV auf ein fiktives Bruttogehalt hochgerechnet. Dieses Bruttogehalt wurde der Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge zu Grunde gelegt; dabei wurden die regelmäßigen Beitragssätze http://beck-online.beck.de/?typ=reference&y=100&g=SGB_V&p=249b [Link] http://beck-online.beck.de/?typ=reference&y=100&g=SGB_VI&p=172 [Link] http://beck-online.beck.de/?typ=reference&y=100&g=SGB_VI&p=172&x=3 - 13 - angewendet, wie sie für ein in vollem Umfang sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis gelten.
24
Dieses Vorgehen erweist sich als rechtsfehlerhaft. Denn die Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV findet in Fällen der vorliegenden Art - jedenfalls für die Bestimmung des strafrechtlich relevanten Beitragsschadens - keine Anwendung , weil es sich bei den fraglichen Arbeitsverhältnissen nach den Feststellungen um geringfügig entlohnte Beschäftigungsverhältnisse i.S.v. § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV handelte. Einer Hochrechnung nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV auf ein Bruttoarbeitsentgelt steht insoweit sowohl der Wortlaut des § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IV, auf den § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV verweist, als auch der Zweck, den der Gesetzgeber bei Einführung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV verfolgte (vgl. insoweit BT-Drucks. 14/8221 S. 14), entgegen. Die Anwendung von § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV ist in diesen Fällen insbesondere nicht zur Verhinderung und Beseitigung von Wettbewerbsvorteilen geboten. Denn auch bei rechtmäßigem Verhalten müsste der Arbeitgeber nicht mehr als die Pauschalbeiträge und -steuern tragen. Eine Vereinbarung, nach der dem Arbeitnehmer das tatsächlich ausgezahlte Entgelt verbleibt, ohne dass hierfür Sozialversicherungsbeiträge aus einem Bruttoentgelt ermittelt werden müssten, kann somit rechtmäßig getroffen werden (vgl. insoweit BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71, Rn. 14). Hierin liegt der Unterschied zu sonstigen Fällen illegaler Beschäftigung.
25
Die im Tatzeitraum i.S.v. § 266a Abs. 2 StGB vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge betrugen daher auf Grundlage der getroffenen Feststellungen zu den ausgezahlten Löhnen nach Maßgabe von § 249b Satz 1 SGB V (Pauschalbeitrag zur Krankenversicherung in Höhe von 13 % bzw. bis 30. Juni 2006 11 % des Arbeitsentgelts) und § 172 Abs. 3 Satz 1 SGB VI (Pauschalbei- trag zur Rentenversicherung in Höhe von 15 % bzw. bis 30. Juni 2006 12 %) bis einschließlich Juni 2006 lediglich 64,40 Euro und ab Juli 2006 78,40 Euro pro Monat. Auch insoweit kann der Senat im Hinblick auf vom Landgericht vorgenommene , an der Schadenshöhe ausgerichtete Staffelung der verhängten Einzelstrafen ausschließen, dass das Landgericht bei zutreffender Berechnung in diesen Fällen noch niedrigere Einzelstrafen festgesetzt hätte.
26
2. In den Fällen II. 19 bis 30 der Urteilsgründe (Hinterziehung von Lohnsteuer) wird der vom Landgericht angenommene tatbestandliche Schuldumfang von den Feststellungen getragen. Die der Berechnung der Lohnsteuer zu Grunde liegenden Schwarzlohnzahlungen hat das Landgericht im Zusammenhang mit der Verurteilung wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in den Fällen II. 2 bis 13 der Urteilsgründe festgestellt. Ausgehend von diesen rechtsfehlerfrei festgestellten Lohnsummen, die nicht auf ein Bruttoentgelt nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV hochzurechnen sind (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71, Rn. 16), hat das Landgericht die hinterzogene Lohnsteuer zutreffend berechnet.
27
3. In den Fällen II. 16 und 17 der Urteilsgründe (Hinterziehung von Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer betreffend die Es. GmbH im Veranlagungszeitraum 2004) hat das Landgericht bei der Berechnung der verkürzten Steuern zwar die in diesem Veranlagungszeitraum noch vorzunehmende Gewerbesteuerrückstellung nicht berücksichtigt (vgl. BGH, Beschluss vom 17. April 2004 - 5 StR 547/07, wistra 2008, 310, 313 sowie § 4 Abs. 5b i.V.m. § 52 Abs. 12 Satz 7 EStG). Wegen der lediglich geringfügigen Abweichungen zum tatsächlichen Verkürzungsumfang ist der Angeklagte aber nicht beschwert.
28
4. In den übrigen Fällen enthält das Urteil - abgesehen von den aus der Urteilsformel ersichtlichen Schuldspruchberichtigungen - keine durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten A. C. .
29
a) In den Fällen II. 2 bis 7 der Urteilsgründe (Straftaten zum Nachteil von Sozialversicherungsträgern) betreffend die Beitragsmonate November und Dezember 2003 sowie März bis Juni 2004 tragen die Feststellungen des Landgerichts die Verurteilung wegen Betruges gemäß § 263 StGB. Der Angeklagte hat in diesen Fällen die von ihm beschäftigten Arbeitnehmer nicht den zuständigen Sozialversicherungsträgern gemeldet, obwohl er hierzu gemäß § 28a SGB IV verpflichtet war. Infolgedessen haben diese von der Beitreibung der geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge abgesehen. Die auch bei Betrug durch Unterlassen erforderliche Täuschung mit Irrtumserregung beim Getäuschten (hier: Einzugsstelle) hat das Landgericht vorliegend ausdrücklich festgestellt.
30
Von einer Schuldspruchberichtigung in diesen Fällen im Hinblick auf die Verurteilung des Angeklagten gemäß § 266a StGB hinsichtlich der Arbeitnehmerbeiträge (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Februar 2003 - 5 StR 165/02, NJW 2003, 1821, 1823; Beschluss vom 13. Juli 2006 - 5 StR 173/06, NStZ-RR 2006, 308) sieht der Senat ab. Bei der gebotenen konkreten Betrachtungsweise bei Anwendung des § 2 Abs. 3 StGB im Hinblick auf die Änderung des § 266a StGB mit Wirkung vom 1. August 2004 (vgl. BGH, Beschluss vom 24. April 2007 - 1 StR 639/06, NStZ 2007, 527; Beschluss vom 20. Dezember 2007 - 5 StR 482/07, wistra 2008, 180, 181) kann ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte insoweit beschwert ist.
31
b) Im Fall II. 8 der Urteilsgründe betreffend den Beitragsmonat Juli 2004 verdrängt der am 1. August 2004 in Kraft getretene § 266a Abs. 2 StGB den Betrugstatbestand des § 263 Abs. 1 StGB (BGH, Beschluss vom 24. April 2007 - 1 StR 639/06, NStZ 2007, 527). Der Senat ändert deshalb den Schuldspruch insoweit auf Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 1 und Abs. 2 StGB ab.
32
c) Im Fall II. 83 der Urteilsgründe rechtfertigen die Urteilsfeststellungen die Verurteilung des Angeklagten wegen Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b WaffenG. Da das Landgericht in den Tenor lediglich einen „Verstoß gegen das Waffengesetz“ aufgenommen hat, berichtigt der Senat die Urteilsformel zur Klarstellung entsprechend.

III.


33
Die Revision der Angeklagten E. C. bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Wie bereits hinsichtlich des Angeklagten A. C. ausgeführt, kann der Senat bezüglich der Fälle II. 40 bis 50 der Urteilsgründe - in Mittäterschaft begangene Taten der Angeklagten A. und E. C. - trotz der vorhandenen Darstellungsmängel ausschließen, dass das Landgericht der Strafzumessung einen zu großen Schuldspruch zugrunde gelegt hat. Im Fall II. 39 der Urteilsgründe schließt der Senat - ebenfalls wie beim Angeklagten A. C. - angesichts der an der Schadenshöhe ausgerichteten Staffelung der verhängten Einzelstrafen aus, dass das Landgericht bei fehlerfreier Berechnung für diese Tat eine niedrigere Einzelstrafe verhängt hätte. Auch im Übrigen ist die Revision der Angeklagten E. C. unbegründet.
Nack Wahl Hebenstreit
Graf Jäger

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 283/09
vom
10. November 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. November 2009 beschlossen
:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Stuttgart vom 19. Februar 2009 mit den Feststellungen
aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 20 Fällen, wegen Steuerhinterziehung in 20 Fällen und wegen Betrugs in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Daneben hat es den Verfall von Wertersatz in Höhe von 66.186,59 Euro angeordnet. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, führt zur Aufhebung des Urteils.

I.

2
1) Nach den Urteilsfeststellungen war der Angeklagte faktischer Geschäftsführer der Firma Ay. GmbH. Geschäftsgegenstand der Gesellschaft war die Durchführung von Baustahlarmierungs- und Bewehrungsar- beiten. Die Gesellschaft beschäftigte mehrere Arbeitnehmer, für die die vorgeschriebenen Meldungen nach § 28f Abs. 3, § 28a SGB IV und nach § 41a EStG abgegeben wurden, daneben aber auch zwischen November 2005 und Juni 2007 eine Vielzahl nicht näher individualisierbarer Arbeitnehmer, ohne diese Arbeitsverhältnisse den zuständigen Sozialversicherungsträgern und dem zuständigen Finanzamt zu melden. Möglicherweise wurden auch an Arbeitnehmer , die ordnungsgemäß gemeldet waren, zusätzlich zu dem Lohn, der angemeldet und für den Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer abgeführt wurden , weitere Schwarzlohnzahlungen geleistet. Zur Verschleierung der Schwarzlohnzahlungen ließ der Angeklagte Rechnungen der Firma A. Bau an die Ay. GmbH in der Buchhaltung einbuchen, die sich auf einen Gesamtbetrag von 402.263,12 Euro beliefen. Diesen Rechnungen lagen keine tatsächlich erbrachten Leistungen der Rechnungsstellerin zu Grunde. Sie dienten lediglich dem Zweck, die Ausgaben des Unternehmens für Schwarzlohnzahlungen „abzudecken“.
3
Durch die pflichtwidrig unterlassenen Meldungen an die Sozialversicherungsträger wurden Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 937.125,25 Euro vorenthalten. Lohnsteuer wurde in Höhe von insgesamt 177.341,18 Euro und Solidaritätszuschlag in Höhe von insgesamt 10.491,66 Euro hinterzogen.
4
Darüber hinaus ließ der Angeklagte gegenüber der BG Bau - Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft für die Beitragsjahre 2005 und 2006 jeweils bewusst pflichtwidrig zu niedrige Lohnnachweise zur Bemessung der Umlagebeträge für die gesetzliche Unfallversicherung abgeben, was zur Folge hatte, dass die Umlage nicht in voller Höhe berechnet wurde und der Berufsgenossenschaft ein Schaden in Höhe von 38.910,69 Euro entstand.
5
2) Der Angeklagte hat die Taten dem Grunde nach eingeräumt. Er bezifferte die von ihm veranlassten Lohnzahlungen, für die keine Sozialversicherungsbeiträge und Steuern angemeldet und abgeführt wurden, auf etwa 20.000 bis 30.000 Euro pro Monat.
6
Dieser Einlassung ist die Strafkammer nicht gefolgt. Sie hat vielmehr die Lohnsummen, hinsichtlich der Sozialversicherungsbeiträge vorenthalten und Steuern hinterzogen worden waren, geschätzt, da die Buchhaltung der Ay. GmbH manipuliert sei, so dass sie nicht als verlässliche Quelle für die Bestimmung der tatsächlich gezahlten Schwarzlöhne herangezogen werden könne.
7
Die der Schadensberechnung zu Grunde gelegten Lohnsummen errechnete das Landgericht daher auf der Grundlage einer branchenüblichen Lohnquote von 66,66 % bezogen auf die um anerkannte Subunternehmerleistungen bereinigten monatlichen Nettoumsätze. Die so ermittelten Lohnsummen wurden für die Berechnung der vorenthaltenen Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherungsbeiträge nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV auf ein Bruttogehalt hochgerechnet. Auf der Grundlage dieser fiktiven Bruttolohnsumme wurden die vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge errechnet, von denen in einem letzten Schritt die Sozialversicherungsbeiträge, die für die angemeldeten Arbeitsverhältnisse gezahlt worden waren, abgezogen wurden. Für die Berechnung der hinterzogenen Steuern und die vorenthaltenen Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung erfolgte demgegenüber keine Hochrechnung der geschätzten Lohnsumme nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV.

II.


8
Der festgestellte Schuldumfang hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung aus zwei Gründen nicht stand: Die Voraussetzungen für die Schätzung der Schwarzlohnsumme waren vorliegend nicht gegeben (dazu nachfolgend 1.). Zudem enthalten die Rechenschritte bei der Berechnung der Hinterziehungsbeträge Rechtsfehler (dazu nachfolgend 2.).
9
1. Die Voraussetzungen für die Schätzung der Schwarzlohnsumme waren vorliegend nicht gegeben; deshalb ist die darauf aufbauende Beweiswürdigung nicht tragfähig.
10
Die Strafkammer hat die Höhe der Schwarzlöhne unter Heranziehung einer branchenüblichen Lohnquote geschätzt. Eine solche Schätzung ist dem Tatrichter zwar grundsätzlich gestattet. Hier hat das Landgericht allerdings betriebswirtschaftliche Parameter festgestellt, mittels derer die Möglichkeit bestand , die Höhe der Schwarzlöhne konkret - also tatsachenfundiert und den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechend - zu berechnen. Der Senat kann nicht ausschließen, dass auf der Grundlage einer tatsachenfundierten Berechnung der Schuldumfang nennenswert geringer ausgefallen wäre. Dies gilt auch deshalb, weil die Strafkammer die Einlassung des Angeklagten ohne ausreichende Erörterung für widerlegt hält, er habe monatliche Schwarzlohnzahlungen in einer Größenordnung zwischen 20.000 und 30.000 Euro geleistet.
11
a) Die Schätzung hinterzogener Lohnsteuer und vorenthaltener Sozialversicherungsbeiträge ist dem Tatrichter freilich grundsätzlich gestattet.
12
aa) In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass tatgerichtliche Feststellungen auf tragfähige Schätzgrundlagen gestützt werden dürfen (BVerfG - Kammer -, Beschl. vom 20. März 2007 - 2 BvR 162/07). Die für die Anwendung und Durchführung einer Schätzung maßgeblichen Kriterien sind: - Für eine annähernd genaue Berechnung fehlen aussagekräftige Beweismittel ; bei Vermögensdelikten im Rahmen eines Unternehmens sind das namentlich Belege und Aufzeichnungen. - Die Parameter der Schätzgrundlage müssen tragfähig sein. - Die Schätzung kann auch aus verfahrensökonomischen Gründen angezeigt sein, etwa dann, wenn eine exakte Berechnung einen unangemessenen Aufklärungsaufwand erfordert und bei exakter Berechnung für den Schuldumfang nur vernachlässigbare Abweichungen zu erwarten sind. - Im Rahmen der Gesamtwürdigung des Schätzergebnisses ist der Zweifelssatz zu beachten. - Die Grundlagen der Schätzung müssen im tatrichterlichen Urteil für das Revisionsgericht nachvollziehbar dargestellt werden.
13
Nach diesen Grundsätzen kann - und muss auch sehr häufig - bei Betäubungsmitteldelikten die Wirkstoffkonzentration anhand bestimmter Kriterien geschätzt werden (BGH, Beschl. vom 1. Oktober 2008 - 2 StR 360/08). Die Schätzung kann etwa anhand repräsentativer Stichproben erfolgen, auch um einen unverhältnismäßigen Untersuchungsaufwand zu vermeiden (BGH StV 2008, 9). Gerade dann, wenn sich solche Feststellungen bei angemessenem Aufklärungsaufwand nicht treffen lassen, darf das Tatgericht eine an den Um- ständen des Falles orientierte Schätzung unter Beachtung des Zweifelssatzes vornehmen (BGH NStZ 2002, 438, 439).
14
Eine Schätzung hat die Rechtsprechung auch bei Serientaten gebilligt, wenn zwar der strafbare Gesamtschaden feststeht, die Verteilung dieses Schadens auf Einzelakte sich aber einer genauen Feststellung entzieht. Danach ist es bei einem strafbaren Gesamtverhalten, das zahlreiche serienmäßig begangene Taten umfasst, zulässig, einen rechnerisch ermittelten Teil des Gesamtgeschehens bestimmten strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen im Wege der Schätzung zuzuordnen, wobei die Feststellung der Zahl der Einzelakte und die Verteilung des Gesamtschadens auf diese unter Beachtung des Zweifelssatzes zu erfolgen hat (BGH aaO).
15
Steht bei Vermögensstraftaten nach der Überzeugung des Tatrichters ein strafbares Verhalten des Täters fest, so kann auch hier die Bestimmung des Schuldumfangs im Wege der Schätzung erfolgen. Ein solches Verfahren ist stets zulässig, wenn sich Feststellungen auf andere Weise nicht treffen lassen. Die Schätzung ist dann sogar unumgänglich, wenn über die kriminellen Geschäfte keine Belege oder Aufzeichnungen vorhanden sind. In Fällen dieser Art hat der Tatrichter einen als erwiesen angesehenen Mindestschuldumfang festzustellen (BGH StV 2004, 578; NStZ 1999, 581).
16
bb) Dieselben Grundsätze gelten für die Schätzung von Bemessungsgrundlagen bei der Berechnung hinterzogener Lohnsteuer und vorenthaltener Sozialversicherungsbeiträge. Auch hier muss nach der Überzeugung des Tatgerichts ein strafbares Verhalten des Täters feststehen. Steht die Strafbarkeit fest, kommt eine Schätzung des Schuldumfangs namentlich dann in Betracht, wenn mangels entsprechender Buchführung des Angeklagten eine konkrete Berechnung der Bemessungsgrundlage nicht vorgenommen werden kann (vgl. BGHSt 40, 374, 376; NStZ 2001, 599, 600; wistra 2007, 220 f., jew. m.w.N.).
17
Die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen muss zudem nach steuerrechtlichen Grundsätzen in sich schlüssig sein. Das ist namentlich dann der Fall, wenn ihre Ergebnisse hinsichtlich aller Bemessungsgrundlagen wirtschaftlich vernünftig und möglich sind (BGH wistra 1992, 147; NStZ 1999, 581, BFH BStBl II 1986, 226).
18
Das Tatgericht darf dabei durchaus auch Schätzungen des Finanzamts oder der Steuerfahndungsstellen übernehmen. Freilich muss erkennbar sein, dass es diese eigenständig überprüft und sich von ihrer Richtigkeit auch unter Berücksichtigung der vom Besteuerungsverfahren abweichenden strafrechtlichen Verfahrensgrundsätze (§ 261 StPO) überzeugt hat (BGH wistra 1984, 182).
19
Liegen keine hinreichend verlässlichen Anknüpfungstatsachen für die nähere Bestimmung der Bemessungsgrundlagen vor, kann eine durchschnittliche , an Wahrscheinlichkeitskriterien ausgerichtete Schätzung erfolgen (BGH wistra 1992, 147). Bei der Entscheidung, welche Schätzungsmethode dem vorgegebenen Ziel, der Wirklichkeit durch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen möglichst nahe zu kommen, am besten gerecht wird, kommt dem Tatgericht ein Beurteilungsspielraum zu (vgl. BGH wistra 1992, 147). Die revisionsgerichtliche Überprüfung beschränkt sich dann darauf, ob das Tatgericht nachvollziehbar dargelegt hat, warum es sich der gewählten Schätzungsmethode bedient hat und weshalb diese dafür geeignet ist.
20
cc) Bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlagen zur Berechnung hinterzogener Lohnsteuer und vorenthaltener Sozialversicherungsbeiträge ist die Schätzung der Lohnsumme unter Anwendung eines Prozentsatzes bezogen auf den Nettoumsatz eines Unternehmens danach dann zulässig, wenn keine anderweitig verlässlichen Beweismittel zur Verfügung stehen oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand und ohne nennenswerten zusätzlichen Erkenntnisgewinn zu beschaffen sind. Für die Schätzung der Lohnsumme gilt danach:
21
Das Tatgericht darf eine branchenübliche Lohnquote - und zwar eine Nettolohnquote - des jeweils verfahrensgegenständlichen Gewerbes ermitteln und diese als Schätzgrundlage der weiteren Berechnung zugrunde legen. Im Bereich des lohnintensiven Baugewerbes kann das Tatgericht bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen in Form der Schwarzarbeit grundsätzlich zwei Drittel des Nettoumsatzes als Lohnsumme - und zwar als Nettolohnsumme - veranschlagen (Senat NJW 2009, 528, 529). Die gegen eine Nettolohnquote von 60 % und mehr erhobenen Einwände (Röthlein wistra 2009, 107, 113; Joecks JZ 2009 526, 531) hält der Senat nach nochmaliger Überprüfung nicht für berechtigt.
22
Aus dem Umstand, dass bei legalen Beschäftigungsverhältnissen erfahrungsgemäß eine Bruttolohnquote von zwei Dritteln des Nettoumsatzes angenommen wird und dort folglich deren Nettolohnquote niedriger ist, lässt sich nämlich nicht herleiten, dass auch bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen die Nettolohnquote unter zwei Dritteln des Nettoumsatzes liegen müsse. Das würde der unterschiedlichen Kostenstruktur von legalen und illegalen Beschäftigungsverhältnissen nicht gerecht.
23
Der illegal tätige Unternehmer wendet nämlich, anders als der legal tätige Unternehmer, außer den Nettolohnzahlungen keine nennenswerten anderweitigen Kosten auf, vor allem keine Lohnneben- und zusatzkosten sowie Fixkosten , die bei einem legal tätigen Unternehmen anfallen. Das hat zur Folge, dass bei ihm - anders als beim legal tätigen Unternehmer - ein wesentlich größerer Teil des Nettoumsatzes auf Nettolohnzahlungen an seine Arbeitnehmer entfällt, so dass seine Nettolohnquote deutlich höher liegt. Im Vergleich zu einem legal tätigen Unternehmen kann das illegal tätige Unternehmen seine Kosten anders kalkulieren: - Regelmäßig kann davon ausgegangen werden, dass der illegal tätige Arbeitgeber an seine Arbeitnehmer keine höheren Nettolöhne als am Markt üblich zahlt; dies gilt auch im Vergleich mit legal tätigen Unternehmen. - Der Einsatz nicht gemeldeter Arbeitnehmer bzw. die nicht vollständige Meldung gezahlter Löhne ermöglicht dem illegal tätigen Unternehmer, seine Leistungen günstiger als seine legal tätigen Mitbewerber anzubieten. Dies führt - wenn beide dieselbe Zahl von Arbeitern für denselben Auftrag einsetzen würden - zu einem niedrigeren Angebot und damit zu einem geringeren Umsatz. - Wollten hingegen beide Unternehmen denselben Nettoumsatz erzielen, dann könnte der illegal tätige Unternehmer für denselben Auftrag - bei gleicher Nettolohnsumme - mehr Arbeiter einsetzen, mithin den Auftrag schneller ausführen (günstigerer Zeitfaktor). - Weil der illegal tätige Unternehmer den Auftrag schneller ausführen kann, bedeutet das zugleich, dass er einen höheren Umsatz erwirt- schaften kann, wenn er die größere Zahl von zudem „billigeren“ Arbeitern genauso lange arbeiten lässt, wie der legal tätige Unternehmer.
24
Deswegen hält der Senat eine Schätzung des Tatgerichts, das die Nettolohnsumme bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen mit zwei Dritteln des Nettoumsatzes bemisst, für wirtschaftlich vernünftig und möglich.
25
Dies entspricht auch den Erfahrungen des Senats aus vergleichbaren Verfahren, wo aufgrund tatsachenfundierter Berechnungen Schwarzlöhne konkret festgestellt wurden, die sich auf mehr als 60 % des Nettoumsatzes belaufen (vgl. Senat, Beschl. vom 29. Oktober 2009 - 1 StR 501/09).
26
Der Senat hat auch bedacht, dass sich der Unternehmer der illegalen Beschäftigung bedient, um seine Gewinne zu maximieren. Dabei erscheint allerdings schon zweifelhaft, ob er aber am Markt tatsächlich signifikant höhere Gewinne erzielt als ein legal tätiges Unternehmen. Denn gerade im Baugewerbe konkurriert er häufig nicht nur mit legal tätigen, sondern auch mit anderen, gleichfalls illegal tätigen Unternehmen, was sich auf die von ihm erzielbaren Preise und damit seine Gewinnspanne auswirkt. Aber selbst wenn die Gewinnspanne illegal tätiger Unternehmen höher wäre, kann dieser Faktor in Fällen der vorliegenden Art in der Regel bei der Schätzung der Nettolohnquote in Höhe von zwei Dritteln des Nettoumsatzes vernachlässigt werden, denn es erscheint kaum vorstellbar, dass der Gewinn illegal tätiger Unternehmen auch nur annähernd ein Drittel des Nettoumsatzes ausmacht.
27
b) Bei der Ermittlung der Schwarzlohnsumme darf allerdings nicht vorschnell auf eine Schätzung der Lohnquote in Form eines Anteils an der Nettolohnsumme ausgewichen werden, wenn eine tatsachenfundierte Berechnung anhand der bereits vorliegenden und der erhebbaren Beweismittel möglich erscheint. Die zuverlässige Klärung, ob eine für die Berechnung verlässliche Tatsachengrundlage beschafft werden kann, ist dabei auch und besonders Aufgabe der Ermittlungsbehörden. Deshalb wäre es verfehlt und würde die Hauptverhandlung mit unnötigem Aufklärungsaufwand belasten, wenn die Ermittlungsbehörden sich darauf beschränkten, die Lohnquote zu schätzen, ohne zuvor ausermittelt zu haben, ob eine tatsachenfundierte Berechnung möglich ist.
28
aa) Beweismittel, anhand derer die Ermittlung des Nettoumsatzes und der konkrete Umfang der erbrachten Arbeiten möglich ist, sind im Baugewerbe insbesondere die Ausgangsrechnungen auf der Grundlage von Einheitspreisen.
29
Vollständig erfasste Ausgangsrechnungen können ein aussagekräftiges Indiz zur Ermittlung der tatsächlich erbrachten Arbeitsstunden sein. Die so ermittelten Arbeitsstunden dienen dann ihrerseits als Grundlage für die Berechnung des geleisteten Schwarzlohns, indem sie mit den gezahlten Stundenlöhnen multipliziert werden. Soweit sich keine Anhaltspunkte für die tatsächlich gezahlten Löhne ergeben, kann die Höhe des gezahlten Nettostundenlohns geschätzt werden. Hierbei können branchenübliche oder tarifvertragliche Stundenlöhne zugrunde gelegt werden. Wegen des dort geltenden Zuflussprinzips (vgl. insoweit Senat NJW 2009, 528, 530) sind namentlich im Hinblick auf die Berechnung der hinterzogenen Lohnsteuer dabei Nettolöhne anzusetzen.
30
bb) Die so gewonnenen Ergebnisse sind anhand anderer Betriebszahlen, soweit solche vorliegen, auf ihre Zuverlässigkeit zu überprüfen. Dies gilt insbesondere für die - mitunter in der Buchhaltung erfassten - Abdeckrechnungen, die der Unternehmer, der Arbeitnehmer gegen Zahlung von Schwarzlöhnen beschäftigt , sich bei anderen Unternehmen besorgt. Denn die Abdeckrechnungen dienen vornehmlich der buchhalterischen Verschleierung der Bargeldentnah- men, die erforderlich sind, um die Schwarzlöhne auszuzahlen. Sie können daher belastbare Erkenntnisquellen für die Höhe der geleisteten Schwarzlöhne sein.
31
cc) Soweit sich weitere Unterlagen in der Buchhaltung des jeweils betroffenen Unternehmens finden, sind auch diese mit in Bedacht zu nehmen. Selbst wenn in der Buchhaltung Manipulationen vorgenommen wurden, ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, die vorhandenen Unternehmensunterlagen für sich allein oder in der Gesamtschau im Rahmen einer tatsachenfundierten Schätzung zu verwenden, um im konkreten Einzelfall das der Wirklichkeit am ehesten entsprechende Ergebnis zu erreichen.
32
c) Im vorliegenden Fall sind Umstände festgestellt, anhand derer es möglich erscheint, die Höhe der gezahlten Schwarzlöhne tatsachenfundiert zu berechnen. Deshalb lagen die Voraussetzungen für eine Schätzung der Schwarzlohnsumme nicht vor, so dass sich Beweiswürdigung als rechtsfehlerhaft erweist.
33
aa) Die Strafkammer stellt fest, dass in der Buchhaltung der Ay. GmbH Schwarzlohnzahlungen verdeckt und verschleiert wurden, indem Eingangsrechnungen der Firma A. Bau in der Gesamthöhe von mehr als 400.000 Euro gebucht wurden. Hierbei handelt es sich um Scheinrechnungen, denen keine tatsächlich erbrachten Leistungen zu Grunde lagen und die vielmehr ausschließlich dazu dienten, die Ausgaben für die Zahlung von Schwarzlöhnen abzudecken. Das wäre Anlass gewesen, zu prüfen, ob diese Zahlen eine tatsachenfundierte Grundlage für die Schwarzlohnberechnung sein konnten. Allein der insoweit nicht näher ausgeführte Hinweis, die Buchhaltung sei manipuliert, macht die Prüfung - gerade mit Blick auf die Einlassung des Angeklagten - hier nicht entbehrlich.
34
bb) Denn es erscheint nicht ausgeschlossen, dass die Höhe der Abdeckrechnungen mit der von der Strafkammer für widerlegt erachteten Einlassung des Angeklagten in Einklang gebracht werden kann. Diese ging dahin, für die monatlichen Schwarzlohnzahlungen im Tatzeitraum - von 20 Monaten - monatlich zwischen 20.000 bis 30.000 Euro aufgewandt zu haben. Zwar erscheint es durchaus möglich, dass der Angeklagte damit nur den Umfang zugestanden hat, der wegen der objektiven Beweislage in Form der Abdeckrechnungen ohnehin nicht zu bestreiten war, und dass der tatsächliche Umsatz höher war, wofür die manipulierte Buchhaltung sprechen könnte. Das hätte aber einer näheren Erörterung bedurft.
35
cc) Eine solche Erörterung war hier auch deshalb angezeigt, weil weitere Feststellungen getroffen wurden, die für Würdigung der Einlassung des Angeklagten von Bedeutung sind. Denn aus der Bruttolohnsumme, die sich aus den festgestellten Sozialversicherungsbeiträgen ergibt, die von der Ay. GmbH angemeldet und abgeführt wurden, und der auf eine Bruttolohnsumme hochgerechneten Schwarzlohnzahlungen, die der Angeklagte eingestanden hat, ergibt sich eine Gesamtbruttolohnsumme, die nahezu zwei Drittel des Nettoumsatzes der Gesellschaft im Tatzeitraum ausmacht. Dieser Umstand lässt es als möglich erscheinen, dass der Angeklagte Schwarzlohnzahlungen in Höhe des in seinem Unternehmen üblicherweise gezahlten Nettolohns leistete.
36
dd) Da sich die Strafkammer trotz dieser Umstände, die eine tatsachenfundierte Schätzung orientiert an den konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls als möglich erscheinen lassen, einer pauschalen, an Durchschnittswerten orien- tierten Schätzung bedient hat, erweist sich das Urteil als rechtsfehlerhaft. Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich dies zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat, weil die pauschale Schätzung zu nennenswert höheren Hinterziehungsbeträgen geführt haben kann.
37
2. Unabhängig davon wurden zu Lasten des Angeklagten bei der Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge auch Teile des Lohns, für den Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden waren, von der Hochrechnung auf einen Bruttolohn erfasst. Auch dies erweist sich zum Nachteil des Angeklagten als rechtsfehlerhaft.
38
Das Landgericht hat bei der Ermittlung der Schwarzlohnsumme, die gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV auf eine Bruttolohnsumme hochzurechnen ist (vgl. Senat NJW 2009, 528, 529 ff.), auch Lohnzahlungen berücksichtigt, die den zuständigen Stellen gemeldet und für die Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden waren. Zwar ist eine Hochrechnung der Schwarzlohnsumme nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV auch dann zulässig, wenn ein Unternehmer lediglich teilweise Schwarzlohnzahlungen leistet (Senat, Beschl. vom 7. Oktober 2009 - 1 StR 320/09). Insoweit kann aber nur die Lohnsumme hochgerechnet werden, die nicht angemeldet und für die daher auch keine Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer abgeführt wurden. Demgegenüber darf der Teil der Lohnsumme, der gemeldet und für den Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer abgeführt worden waren, bei der Hochrechnung nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV nicht miteinbezogen werden. Dies würde im Ergebnis zu einer doppelten Hinzurechnung von Arbeitnehmeranteilen und Lohnsteuer zum Nettogehalt führen. Der Abzug der tatsächlich gezahlten Sozialversicherungsbeiträge gleicht dies nicht aus. Der gemeldete Bruttolohn ist daher von der im Wege der Schätzung gewonnenen Lohnsumme abzuziehen. Insoweit ist zu beach- ten, ob es sich bei der im Wege der Schätzung gewonnenen Lohnsumme um eine Brutto- oder Nettolohnsumme handelt. Abhängig davon wird der Lohnsummenteil , für den Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer gezahlt worden waren, netto oder brutto abzuziehen sein.
39
Auf diesem Berechnungsfehler beruht das Urteil auch, da das Landgericht den Schuldumfang zum Nachteil des Angeklagten fehlerhaft bestimmt hat.

III.

40
Wenngleich auf der Grundlage der Einlassung des Angeklagten ausgeschlossen werden kann, dass es in den Einzelfällen nicht zur Hinterziehung von Steuern und dem Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen kam, ist hier auch der Schuldspruch aufzuheben, um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen. Denn soweit die Schadensberechnung auf der Grundlage einer auf pauschalen, an Durchschnittswerten orientierten Schätzung der Bemessungsgrundlagen erfolgt, ist jedenfalls in einzelnen Beitragsmonaten möglich, dass zumindest Sozialversicherungsbeiträge nicht vorenthalten wurden.

IV.

41
Keinen Bestand hat auch die Anordnung des Verfalls von Wertersatz.
42
Der Generalbundesanwalt hat insoweit ausgeführt: „1. Das Landgericht hat in Höhe gesicherter Vermögenswerte den Verfall von Wertersatz angeordnet, da Gläubiger 'auf diese' keinen Anspruch hätten. 2. Ungeachtet der Frage, ob die Voraussetzungen der §§ 73 Abs. 1 bis 3, 73a StGB ausreichend dargelegt sind, steht dem Verfall (von Wertersatz) § 73 Abs. 1 S. 2 StGB entgegen. Verletzter i.S.d. Vorschrift kann auch eine juristische Person öffentlichen Rechts einschließlich des Fiskus sein (Fischer StGB 56. Aufl. § 73 Rn. 21; BGH NStZ 2001, 155; Harms/Jäger NStZ 2001, 181). Es ist (bislang) nicht erkennbar, warum der Fiskus, die Krankenkasse und die Berufsgenossenschaften den Angeklagten nicht in Anspruch nehmen können (§§ 72 AO, 823 Abs. 2 BGB; vgl. Fischer StGB 56. Aufl. § 266a Rn. 2).“
43
Dem schließt sich der Senat an.

V.


44
Für die neue Verhandlung weist der Senat auf folgendes hin:
45
1. Auch soweit Beiträge, die an die BG Bau-Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft für die Beitragsjahre 2005 und 2006 abzuführen waren, dadurch verkürzt wurden, dass jeweils bewusst pflichtwidrig zu niedrige Lohnnachweise zur Bemessung der Umlagebeträge für die gesetzliche Unfallversicherung abgegeben wurden, ist der Tatbestand des § 266a Abs. 2 StGB verwirklicht. Denn bei den Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung i.S.v. § 150 Abs. 1 SGB VII handelt es sich um Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung (vgl. Fischer StGB 56. Aufl. § 266a Rdn. 19). § 266a Abs. 2 StGB verdrängt als die speziellere Norm § 263 StGB (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 236; wistra 2008, 180).
46
Das bei der Bemessung der Beiträge an die BG Bau nach § 153 SGB VII zu Grunde zu legende Arbeitsentgelt bestimmt sich nach § 14 SGB IV (Marschner in BeckOK SGB VII § 153). Demnach kann auch insoweit eine Hochrechnung des im Wege der Schätzung ermittelten Nettoschwarzlohns nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV erfolgen.
47
2. Für die Strafzumessung gilt: Es ist ein bestimmender Strafschärfungsgrund (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO), wenn in Fällen der vorliegenden Art ein Arbeitgeber nach Gesetz buchungs- oder aufzeichnungspflichtige Vorgänge nicht oder nicht richtig verbucht oder verbuchen lässt, d.h. Lohnunterlagen nicht oder unrichtig führt.
48
Denn der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer illegal beschäftigt, verwirklicht dadurch neben den Straftaten nach § 266a StGB, § 370 AO Ordnungswidrigkeitentatbestände. So führt er die nach § 28f SGB IV erforderlichen Lohnunterlagen nicht (Ordnungswidrigkeit nach § 111 Abs. 1 Nr. 3 bzw. Nr. 3a SGB IV; siehe auch § 5 Abs. 1 Nr. 6 AEntG). Daneben kommen Ordnungswidrigkeiten nach § 379 AO in Betracht.
49
Wenngleich die Ordnungswidrigkeiten regelmäßig durch die verwirklichten Straftatbestände verdrängt (§ 21 Abs. 1 OWiG) oder im Hinblick auf die Straferwartung von der Verfolgung ausgenommen werden, kann bei der Strafzumessung - nach entsprechendem Hinweis an den Angeklagten - strafschärfend berücksichtigt werden, dass zur Ermöglichung und Verschleierung der Straftaten Ordnungswidrigkeiten begangen wurden (vgl. BGHSt 23, 342, 345).
50
Der Strafschärfungsgrund kann sich bei der Strafzumessung innerhalb des gefundenen Strafrahmens, aber auch schon bei der Strafrahmenwahl auswirken. Für die Strafrahmenwahl gilt: Sowohl § 266a Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 StGB als auch § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 AO nennen als Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall eine fortgesetzte Verkürzung unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege. Eine bewusste und nachhaltige Manipulation von Lohnunterlagen - unter Verstoß gegen gesetzliche Aufzeichnungspflichten - zum Zwecke der Verschleierung von Schwarzarbeit mag zwar zu- meist das benannte Regelbeispiel nicht erfüllen (vgl. BGH StV 2005, 213), legt aber gleichwohl bei unternehmerischer Tätigkeit mit namhaften Hinterziehungsbeträgen die Annahme eines unbenannten Regelbeispiels des besonders schweren Falles nahe.
Nack Wahl Hebenstreit
Jäger Sander

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht,
2.
die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt oder
3.
pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlässt
und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,
2.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) missbraucht,
3.
die Mithilfe eines Amtsträgers oder Europäischen Amtsträgers (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht,
4.
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,
5.
als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Taten nach Absatz 1 verbunden hat, Umsatz- oder Verbrauchssteuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Umsatz- oder Verbrauchssteuervorteile erlangt oder
6.
eine Drittstaat-Gesellschaft im Sinne des § 138 Absatz 3, auf die er alleine oder zusammen mit nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Absatz 2 des Außensteuergesetzes unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss ausüben kann, zur Verschleierung steuerlich erheblicher Tatsachen nutzt und auf diese Weise fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

(4) Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden; dies gilt auch dann, wenn die Steuer vorläufig oder unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wird oder eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Steuervorteile sind auch Steuervergütungen; nicht gerechtfertigte Steuervorteile sind erlangt, soweit sie zu Unrecht gewährt oder belassen werden. Die Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 sind auch dann erfüllt, wenn die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können.

(5) Die Tat kann auch hinsichtlich solcher Waren begangen werden, deren Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr verboten ist.

(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten auch dann, wenn sich die Tat auf Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden oder die einem Mitgliedstaat der Europäischen Freihandelsassoziation oder einem mit dieser assoziierten Staat zustehen. Das Gleiche gilt, wenn sich die Tat auf Umsatzsteuern oder auf die in Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG (ABl. L 9 vom 14.1.2009, S. 12) genannten harmonisierten Verbrauchsteuern bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden.

(7) Die Absätze 1 bis 6 gelten unabhängig von dem Recht des Tatortes auch für Taten, die außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes begangen werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
1 StR 199/10
vom
11. August 2010
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen zu 1.: Steuerhinterziehung u.a.
zu 2.: Betruges u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlungen
vom 10. und 11. August 2010, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Hebenstreit,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
der Angeklagte ,
- in der Verhandlung vom 10. August 2010 -
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung vom 10. August 2010 -
als Verteidiger des Angeklagten A. C. ,
die Angeklagte ,
- in der Verhandlung vom 10. August 2010 -
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung vom 10. August 2010 -
als Verteidiger der Angeklagten E. C. ,
Herr
- in der Verhandlung vom 10. August 2010 -
als Dolmetscher für Türkisch,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten A. C. wird das Urteil des Landgerichts Detmold vom 30. November 2009, soweit es ihn betrifft, im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte
a) im Fall II. 8 der Urteilsgründe wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt und
b) im Fall II. 83 der Urteilsgründe wegen Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition schuldig ist. 2. Die weitergehende Revision des Angeklagten A. C. und die Revision der Angeklagten E. C. werden verworfen. 3. Die Angeklagten haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen. Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten A. C. wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 55 Fällen, wegen Betruges in zehn Fällen , davon in sieben Fällen in Tateinheit mit Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt, wegen Steuerhinterziehung in 15 Fällen, wegen versuchter Steuerhinterziehung in drei Fällen und wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Angeklagte E. C. hat es wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in zwölf Fällen und wegen Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.
2
Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren jeweils auf Sachrügen gestützten Revisionen. Die Revision des Angeklagten A. C. hat zum Schuldspruch den aus dem Tenor ersichtlichen geringfügigen Teilerfolg. Im Übrigen sind die Revisionen unbegründet.

I.


3
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
1. Der Angeklagte A. C. - ein in der Türkei ausgebildeter Steuerberater - betrieb im Zeitraum von 1998 bis 2008 - zum Teil zeitlich überlappend - mehrere Unternehmen im Baugewerbe, deren Gewinne er mit illegalen Mitteln maximieren wollte. Außer bei seiner Einzelfirma verschleierte er bei den Firmen jeweils seine beherrschende Stellung als tatsächlicher Inhaber und faktischer Geschäftsführer, indem er jeweils andere Personen als Inhaber bzw. als Geschäftsführer auftreten ließ. Bei der Firma C. Bau trat seine Ehefrau, die An- geklagte E. C. , nach außen als Firmeninhaberin auf. Daneben betrieb der Angeklagte eine Tabledance-Bar, in der er mindestens zwei weibliche Arbeitnehmer beschäftigte, die ein monatliches Gehalt von jeweils mindestens 140 Euro erhielten.
5
Um seinen Gewinn zu erhöhen, kam der Angeklagte A. C. bei diesen Unternehmen den ihm obliegenden steuerlichen Erklärungspflichten nicht nach und meldete auch den ganz überwiegenden Teil der bei den Firmen beschäftigten Arbeitnehmer nicht den Einzugsstellen der Sozialversicherungsträger. Bei der C. Bau handelte er dabei im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit der Angeklagten E. C. .
6
Indem er für die von ihm beherrschten Firmen in den Veranlagungszeiträumen 2003 und 2004 trotz getätigter Umsätze keine Umsatzsteuererklärungen abgab, verkürzte der Angeklagte A. C. Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt mehr als 47.000 Euro. Daneben verkürzte er zugunsten der Es. GmbH, für die er im Veranlagungszeitraum 2004 weder eine Körperschaftsteuer - noch eine Gewerbesteuererklärung abgab, Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer von insgesamt mehr als 19.000 Euro. Ebenfalls für den Veranlagungszeitraum 2004 gab der Angeklagte A. C. keine Einkommensteuererklärung ab und verkürzte dadurch Einkommensteuer in Höhe von 3.642 Euro. Indem er die in den von ihm beherrschten Baufirmen beschäftigen Arbeitnehmer bei den zuständigen Stellen nicht anmeldete, bewirkte er, dass mehr als 238.000 Euro an Sozialversicherungsbeiträgen vorenthalten und Lohnsteuer in Höhe von 19.130 Euro verkürzt wurden.
7
2. Darüber hinaus veranlasste der Angeklagte A. C. , indem er in entsprechenden Anträgen bewusst wahrheitswidrige Angaben über seine Be- schäftigungs- und Vermögensverhältnisse machte, zum einen die Bundesagentur für Arbeit zur ungerechtfertigten Bewilligung und Zahlung von Arbeitslosengeld I in Höhe von mehr als 9.000 Euro und zum anderen - gemeinschaftlich mit der Angeklagten E. C. handelnd - die L. GmbH zur Bewilligung und Zahlung von Sozialleistungen nach dem Sozialgesetzbuch II in Höhe von insgesamt mehr als 31.000 Euro, auf die er ebenfalls keinen Anspruch hatte. Gegenüber der Landesbrandversicherungsanstalt, bei der er eine Wohngebäudeversicherung unterhielt, meldete der Angeklagte wahrheitswidrig einen Sturmschaden und veranlasste dadurch die Versicherung zur Zahlung einer nicht gerechtfertigten Versicherungsleistung in Höhe von mehr als 2.300 Euro.
8
3. Schließlich besaß der Angeklagte A. C. im Jahr 2008 eine Pistole Kaliber 7,65 mm und insgesamt 13 Patronen Munition, ohne die dafür erforderliche Erlaubnis zu besitzen.

II.


9
Die Revision des Angeklagten A. C. bleibt, abgesehen von einer Schuldspruchberichtigung in den Fällen II. 8 und II. 83 der Urteilsgründe, im Ergebnis ohne Erfolg. Zwar sind die Feststellungen zum Teil sehr knapp und teilweise sogar lückenhaft. Der Senat kann jedoch sowohl zum Schuldspruch als auch zum Strafausspruch ausschließen, dass dies den Angeklagten beschwert.
10
1. Die Verurteilung des Angeklagten A. C. in den Fällen II. 1, 14, 15 und 18 der Urteilsgründe wegen Steuerhinterziehung bzw. versuchter Steuerhinterziehung und in den Fällen II. 9 bis 13 sowie 31 bis 80 der Urteilsgründe wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt hält rechtlicher Nachprüfung noch stand. Soweit das Landgericht der Strafzumessung einen geringfügig zu großen Schuldumfang zu Grunde gelegt hat, kann der Senat ausschließen, dass sich dies auf den Strafausspruch ausgewirkt hat.
11
a) Bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung durch Abgabe unrichtiger Steuererklärungen (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) sind in den Urteilsgründen diejenigen Parameter festzustellen, die die Grundlage für die Steuerberechnung bilden (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2009 - 1 StR 718/08, NStZ 2009, 639, 640). Liegt dem Angeklagten demgegenüber - wie hier - eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen i.S.v. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO zur Last, sind zunächst die Umstände festzustellen, aus denen sich ergibt, dass der Angeklagte zur Abgabe der fraglichen Steuererklärungen verpflichtet war. Sodann sind in den Urteilsgründen die Tatsachen mitzuteilen, aus denen sich die Höhe der durch die pflichtwidrige Nichtabgabe der Erklärungen hinterzogenen Steuer ergibt.
12
Bei einem geständigen Angeklagten ist auch in den Fällen des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO hinsichtlich des Umfangs der Sachdarstellung zwischen der Feststellung der Besteuerungsgrundlagen und der Beweiswürdigung zu unterscheiden. Während die Darstellung der steuerlich erheblichen Tatsachen regelmäßig nicht verkürzt erfolgen kann, weil die Subsumtion sonst nicht mehr nachprüfbar ist, bedarf es bei einem geständigen Angeklagten zumeist keiner ausführlichen Würdigung der Beweise, die diesen Feststellungen zugrunde liegen. Räumt der Angeklagte die Besteuerungsgrundlagen ein und hat sich der Tatrichter von der Richtigkeit des Geständnisses überzeugt, dann genügt eine knappe Würdigung der so gefundenen Überzeugung. Jedenfalls, soweit es um das „reine Zahlenwerk” - etwa den Umsatz, die Betriebseinnahmen oder die Betriebsausgaben - geht, wird regelmäßig davon ausgegangen werden können, dass selbst ein steuerrechtlich nicht versierter Angeklagter diese Parameter aus eigener Kenntnis bekunden kann. Der Tatrichter kann seine Überzeugung insoweit auch auf verlässliche Wahrnehmungen von Beamten der Finanzverwaltung zu den tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen stützen. Angaben von Finanzbeamten zu tatsächlichen Gegebenheiten können - wie bei sonstigen Zeugen auch - taugliche Grundlage der Überzeugung des Tatrichters sein.
13
b) Dieselben Grundsätze gelten für die Straftaten des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 1 und Abs. 2 StGB. Hier sind zunächst diejenigen Feststellungen zu treffen, aus denen sich die Arbeitgeberstellung des Täters und - daraus folgend - die diesem obliegenden Meldepflichten gegenüber den Sozialversicherungsträgern ergeben. Festzustellen sind weiter die im jeweiligen Beitragsmonat gezahlten Löhne oder Gehälter. Bei der Feststellung der monatlichen Beiträge ist für jeden Fälligkeitszeitpunkt die Anzahl der Arbeitnehmer und die Höhe des Beitragssatzes der jeweils zuständigen Krankenkasse anzugeben (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2007 - 5 StR 544/06, wistra 2007, 220 mwN), weil sich die Höhe der geschuldeten Beiträge auf der Grundlage des Arbeitsentgelts nach den Beitragssätzen der jeweiligen Krankenkasse sowie den gesetzlich geregelten Beitragssätzen der Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung errechnet. Nur so wird dem Revisionsgericht die Nachprüfung der Höhe der den Sozialversicherungsträgern vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge ermöglicht.
14
Auch bei einem geständigen Angeklagten ist die Nennung der Höhe der gezahlten Löhne und Gehälter sowie der Beitragssätze der zuständigen Krankenkasse regelmäßig unverzichtbar. Demgegenüber kann die Beweiswürdigung hierzu bei Vorliegen eines glaubhaften Geständnisses knapp gehalten werden, denn diese Umstände können Gegenstand eines Geständnisses sein. Im Rah- men seiner Überzeugungsbildung zu den Bemessungsgrundlagen kann sich der Tatrichter auch auf verlässliche Wahrnehmungen von Ermittlungsbeamten stützen.
15
Liegen - z.B. wegen unvollständiger oder fehlender Buchhaltung des Arbeitgebers - keine tragfähigen Erkenntnisse über die tatsächlich gezahlten Löhne und Gehälter vor, steht aber nach der Überzeugung des Tatrichters ein strafbares Verhalten des Angeklagten fest, kann - wie auch sonst bei Vermögensdelikten - die Bestimmung des Schuldumfangs im Wege der Schätzung erfolgen. Ein solches Verfahren ist stets zulässig, wenn sich Feststellungen auf andere Weise nicht treffen lassen. Die Schätzung ist sogar unumgänglich, wenn keine Belege oder Aufzeichnungen vorhanden sind. In Fällen dieser Art hat der Tatrichter einen als erwiesen angesehenen Schuldumfang festzustellen. Dabei hat er auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisse die Höhe der Löhne und Gehälter zu schätzen und daraus den Umfang der jeweils vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge zu berechnen. Die Schätzung kann - wie hier - auch aus verfahrensökonomischen Gründen angezeigt sein, etwa dann, wenn eine genaue Ermittlung der Sozialversicherungsbeiträge einen erheblichen Aufklärungsaufwand erfordern würde, sie aber gegenüber der Schätzung voraussichtlich nur zu nicht erheblich abweichenden Werten führen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2009 - 1 StR 283/09, wistra 2010, 148 mwN).
16
c) Gemessen an diesen Grundsätzen halten Schuldspruch und Strafausspruch in den vorgenannten Fällen rechtlicher Nachprüfung stand.
17
aa) Die Verurteilung des Angeklagten A. C. in den Fällen II. 1, 14 und 18 der Urteilsgründe wegen Hinterziehung von Umsatzsteuer gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ist frei von Rechtsfehlern. Das Landgericht hat die in den jeweiligen Besteuerungszeiträumen erzielten Umsätze mitgeteilt und sodann unter Anwendung des sich aus dem Gesetz ergebenden Umsatzsteuersatzes die verkürzte Umsatzsteuer zutreffend berechnet. Der Angeklagte hat - was ihm möglich war, weil er die Umsätze kannte - die Höhe der verkürzten Umsatzsteuern auch eingeräumt. Dieses Geständnis hat das Landgericht unter Heranziehung des übrigen Ermittlungsergebnisses rechtsfehlerfrei als glaubhaft angesehen.
18
bb) Demgegenüber sind die Urteilsfeststellungen lückenhaft, soweit das Landgericht den Angeklagten in den Fällen II. 9 bis 13 und 31 bis 80 der Urteilsgründe wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt und im Fall II. 15 der Urteilsgründe wegen versuchter Steuerhinterziehung verurteilt hat. In den Fällen II. 9 bis 13 und 31 bis 80 der Urteilsgründe hat das Landgericht nicht festgestellt, welche Beitragssätze der Krankenkassen es der Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge zu Grunde gelegt hat. Im Fall II. 15 der Urteilsgründe (Hinterziehung von Einkommensteuer für das Jahr 2004) hat das Landgericht nicht alle Besteuerungsgrundlagen, die für die Bestimmung des zu versteuernden Einkommens bedeutsam sind, mitgeteilt. Der Senat kann auf Grundlage der getroffenen Feststellungen jedoch sicher ausschließen , dass sich diese Darstellungsmängel auf den Schuldspruch und den Strafausspruch ausgewirkt haben.
19
(1) Im Fall II. 15 der Urteilsgründe (Einkommensteuerhinterziehung für das Jahr 2004) hat das Landgericht zwar nicht alle zur Berechnung der verkürzten Steuer erforderlichen Besteuerungsgrundlagen mitgeteilt. Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt sich aber, dass weitere als die vom Landgericht berücksichtigten Faktoren, die sich einkommensteuerrechtlich zugunsten des Angeklagten auswirken könnten, nicht vorhanden waren. Solche hat der steuerlich vorgebildete und kaufmännisch versierte, zudem anwaltlich verteidigte Angeklagte auch nicht geltend gemacht. Vielmehr hat er ein vollumfängliches Geständnis abgelegt, das sich auch auf die festgestellten Umsätze und Gewinne bezogen hat und für das er ersichtlich auch eine ausreichende Sachkunde besaß. Angesichts der festgestellten Höhe des von dem Angeklagten nicht erklärten Arbeitslohnes und der von ihm vereinnahmten verdeckten Gewinnausschüttung aus der Es. GmbH schließt der Senat aus, dass das Landgericht bei vollständiger Darstellung der maßgeblichen Besteuerungsgrundlagen zu einem Hinterziehungsumfang gelangt wäre, bei dem es eine noch mildere Strafe als die in diesem Fall verhängte Einzelstrafe von 90 Tagessätzen festgesetzt hätte. Der Senat hat dabei berücksichtigt, dass sich ausgehend von den vom Landgericht mitgeteilten Besteuerungsgrundlagen ein geringfügig niedrigerer Verkürzungsumfang als vom Landgericht angenommen ergibt.
20
(2) In den Fällen II. 9 bis 13, 31 bis 38 und 40 bis 50 der Urteilsgründe (Straftaten gemäß § 266a StGB) kann der Senat trotz der vorhandenen Darstellungsmängel zu den sozialversicherungsrechtlichen Bemessungsgrundlagen sicher ausschließen, dass das Landgericht bei der Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge zum Nachteil des Angeklagten einen zu großen Schuldumfang angenommen hat. Denn das Landgericht hat in den Urteilsgründen die der Beitragsberechnung zu Grunde liegenden Schwarzlohnsummen mitgeteilt. Ausgehend von diesen Beträgen kann der Senat die nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71, Rn. 9 ff.) gebotene Hochrechnung der ausgezahlten Löhne auf ein fiktives Bruttoarbeitsentgelt selbst vornehmen und davon ausgehend den Beitragsschaden auch selbst berechnen.
21
(3) Demgegenüber hat das Landgericht in den Fällen II. 39 sowie 51 bis 80 der Urteilsgründe (Straftaten gemäß § 266a StGB) der Strafzumessung einen zu großen Schuldumfang zu Grunde gelegt. Der Senat kann jedoch ausschließen , dass das Landgericht niedrigere als die verhängten Einzelstrafen festgesetzt hätte, wenn es in diesen Fällen von einem zutreffenden Schuldumfang ausgegangen wäre.
22
(a) Bei Fall II. 39 der Urteilsgründe (Straftat gemäß § 266a StGB) hat das Landgericht - was grundsätzlich zulässig ist (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2009 - 1 StR 283/09, wistra 2010, 148 Rn. 21) - die Schwarzlohnsumme auf zwei Drittel der Nettoumsätze geschätzt. Allerdings lässt sich hier die festgestellte Schwarzlohnsumme mit den festgestellten Nettoumsätzen nicht in Einklang bringen, weshalb auch die weiteren Berechnungen fehlerhaft sind. Angesichts einer Abweichung von etwa 2.000 Euro gegenüber der zutreffenden Schadenssumme kann der Senat im Hinblick auf die seitens der Strafkammer vorgenommene, an der Schadenshöhe ausgerichtete Staffelung der verhängten Einzelstrafen ausschließen, dass das Landgericht bei fehlerfreier Berechnung für diese Tat eine niedrigere Einzelstrafe verhängt hätte.
23
(b) In den Fällen II. 51 bis 80 der Urteilsgründe (Straftaten gemäß § 266a StGB) hat das Landgericht die Zahlungen an die weiblichen Beschäftigten der Tabledance-Bar in Höhe von jeweils 140 Euro pro Monat als Nettolöhne gewertet und diese nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV auf ein fiktives Bruttogehalt hochgerechnet. Dieses Bruttogehalt wurde der Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge zu Grunde gelegt; dabei wurden die regelmäßigen Beitragssätze http://beck-online.beck.de/?typ=reference&y=100&g=SGB_V&p=249b [Link] http://beck-online.beck.de/?typ=reference&y=100&g=SGB_VI&p=172 [Link] http://beck-online.beck.de/?typ=reference&y=100&g=SGB_VI&p=172&x=3 - 13 - angewendet, wie sie für ein in vollem Umfang sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis gelten.
24
Dieses Vorgehen erweist sich als rechtsfehlerhaft. Denn die Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV findet in Fällen der vorliegenden Art - jedenfalls für die Bestimmung des strafrechtlich relevanten Beitragsschadens - keine Anwendung , weil es sich bei den fraglichen Arbeitsverhältnissen nach den Feststellungen um geringfügig entlohnte Beschäftigungsverhältnisse i.S.v. § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV handelte. Einer Hochrechnung nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV auf ein Bruttoarbeitsentgelt steht insoweit sowohl der Wortlaut des § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IV, auf den § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV verweist, als auch der Zweck, den der Gesetzgeber bei Einführung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV verfolgte (vgl. insoweit BT-Drucks. 14/8221 S. 14), entgegen. Die Anwendung von § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV ist in diesen Fällen insbesondere nicht zur Verhinderung und Beseitigung von Wettbewerbsvorteilen geboten. Denn auch bei rechtmäßigem Verhalten müsste der Arbeitgeber nicht mehr als die Pauschalbeiträge und -steuern tragen. Eine Vereinbarung, nach der dem Arbeitnehmer das tatsächlich ausgezahlte Entgelt verbleibt, ohne dass hierfür Sozialversicherungsbeiträge aus einem Bruttoentgelt ermittelt werden müssten, kann somit rechtmäßig getroffen werden (vgl. insoweit BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71, Rn. 14). Hierin liegt der Unterschied zu sonstigen Fällen illegaler Beschäftigung.
25
Die im Tatzeitraum i.S.v. § 266a Abs. 2 StGB vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge betrugen daher auf Grundlage der getroffenen Feststellungen zu den ausgezahlten Löhnen nach Maßgabe von § 249b Satz 1 SGB V (Pauschalbeitrag zur Krankenversicherung in Höhe von 13 % bzw. bis 30. Juni 2006 11 % des Arbeitsentgelts) und § 172 Abs. 3 Satz 1 SGB VI (Pauschalbei- trag zur Rentenversicherung in Höhe von 15 % bzw. bis 30. Juni 2006 12 %) bis einschließlich Juni 2006 lediglich 64,40 Euro und ab Juli 2006 78,40 Euro pro Monat. Auch insoweit kann der Senat im Hinblick auf vom Landgericht vorgenommene , an der Schadenshöhe ausgerichtete Staffelung der verhängten Einzelstrafen ausschließen, dass das Landgericht bei zutreffender Berechnung in diesen Fällen noch niedrigere Einzelstrafen festgesetzt hätte.
26
2. In den Fällen II. 19 bis 30 der Urteilsgründe (Hinterziehung von Lohnsteuer) wird der vom Landgericht angenommene tatbestandliche Schuldumfang von den Feststellungen getragen. Die der Berechnung der Lohnsteuer zu Grunde liegenden Schwarzlohnzahlungen hat das Landgericht im Zusammenhang mit der Verurteilung wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in den Fällen II. 2 bis 13 der Urteilsgründe festgestellt. Ausgehend von diesen rechtsfehlerfrei festgestellten Lohnsummen, die nicht auf ein Bruttoentgelt nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV hochzurechnen sind (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71, Rn. 16), hat das Landgericht die hinterzogene Lohnsteuer zutreffend berechnet.
27
3. In den Fällen II. 16 und 17 der Urteilsgründe (Hinterziehung von Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer betreffend die Es. GmbH im Veranlagungszeitraum 2004) hat das Landgericht bei der Berechnung der verkürzten Steuern zwar die in diesem Veranlagungszeitraum noch vorzunehmende Gewerbesteuerrückstellung nicht berücksichtigt (vgl. BGH, Beschluss vom 17. April 2004 - 5 StR 547/07, wistra 2008, 310, 313 sowie § 4 Abs. 5b i.V.m. § 52 Abs. 12 Satz 7 EStG). Wegen der lediglich geringfügigen Abweichungen zum tatsächlichen Verkürzungsumfang ist der Angeklagte aber nicht beschwert.
28
4. In den übrigen Fällen enthält das Urteil - abgesehen von den aus der Urteilsformel ersichtlichen Schuldspruchberichtigungen - keine durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten A. C. .
29
a) In den Fällen II. 2 bis 7 der Urteilsgründe (Straftaten zum Nachteil von Sozialversicherungsträgern) betreffend die Beitragsmonate November und Dezember 2003 sowie März bis Juni 2004 tragen die Feststellungen des Landgerichts die Verurteilung wegen Betruges gemäß § 263 StGB. Der Angeklagte hat in diesen Fällen die von ihm beschäftigten Arbeitnehmer nicht den zuständigen Sozialversicherungsträgern gemeldet, obwohl er hierzu gemäß § 28a SGB IV verpflichtet war. Infolgedessen haben diese von der Beitreibung der geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge abgesehen. Die auch bei Betrug durch Unterlassen erforderliche Täuschung mit Irrtumserregung beim Getäuschten (hier: Einzugsstelle) hat das Landgericht vorliegend ausdrücklich festgestellt.
30
Von einer Schuldspruchberichtigung in diesen Fällen im Hinblick auf die Verurteilung des Angeklagten gemäß § 266a StGB hinsichtlich der Arbeitnehmerbeiträge (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Februar 2003 - 5 StR 165/02, NJW 2003, 1821, 1823; Beschluss vom 13. Juli 2006 - 5 StR 173/06, NStZ-RR 2006, 308) sieht der Senat ab. Bei der gebotenen konkreten Betrachtungsweise bei Anwendung des § 2 Abs. 3 StGB im Hinblick auf die Änderung des § 266a StGB mit Wirkung vom 1. August 2004 (vgl. BGH, Beschluss vom 24. April 2007 - 1 StR 639/06, NStZ 2007, 527; Beschluss vom 20. Dezember 2007 - 5 StR 482/07, wistra 2008, 180, 181) kann ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte insoweit beschwert ist.
31
b) Im Fall II. 8 der Urteilsgründe betreffend den Beitragsmonat Juli 2004 verdrängt der am 1. August 2004 in Kraft getretene § 266a Abs. 2 StGB den Betrugstatbestand des § 263 Abs. 1 StGB (BGH, Beschluss vom 24. April 2007 - 1 StR 639/06, NStZ 2007, 527). Der Senat ändert deshalb den Schuldspruch insoweit auf Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 1 und Abs. 2 StGB ab.
32
c) Im Fall II. 83 der Urteilsgründe rechtfertigen die Urteilsfeststellungen die Verurteilung des Angeklagten wegen Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b WaffenG. Da das Landgericht in den Tenor lediglich einen „Verstoß gegen das Waffengesetz“ aufgenommen hat, berichtigt der Senat die Urteilsformel zur Klarstellung entsprechend.

III.


33
Die Revision der Angeklagten E. C. bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Wie bereits hinsichtlich des Angeklagten A. C. ausgeführt, kann der Senat bezüglich der Fälle II. 40 bis 50 der Urteilsgründe - in Mittäterschaft begangene Taten der Angeklagten A. und E. C. - trotz der vorhandenen Darstellungsmängel ausschließen, dass das Landgericht der Strafzumessung einen zu großen Schuldspruch zugrunde gelegt hat. Im Fall II. 39 der Urteilsgründe schließt der Senat - ebenfalls wie beim Angeklagten A. C. - angesichts der an der Schadenshöhe ausgerichteten Staffelung der verhängten Einzelstrafen aus, dass das Landgericht bei fehlerfreier Berechnung für diese Tat eine niedrigere Einzelstrafe verhängt hätte. Auch im Übrigen ist die Revision der Angeklagten E. C. unbegründet.
Nack Wahl Hebenstreit
Graf Jäger
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung: ja
Nach § 266a Abs. 1 StGB macht sich auch strafbar,
wer zwar zum Fälligkeitszeitpunkt nicht leistungsfähig war,
es aber bei Anzeichen von Liquiditätsproblemen unterlassen
hat, Sicherungsvorkehrungen für die Zahlung der
Arbeitnehmerbeiträge zu treffen, und dabei billigend in
Kauf genommen hat, daß diese später nicht mehr erbracht
werden können. Das Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen
setzt nicht voraus, daß an die Arbeitnehmer
tatsächlich Lohn abgeführt wurde.
BGH, Beschl. vom 28. Mai 2002 - 5 StR 16/02
LG Neuruppin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 28. Mai 2002
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Betruges u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. Mai 2002

beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 18. Juli 2001 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) soweit die Angeklagten wegen Betruges und versuchten Betruges sowie wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt verurteilt wurden und
b) in den gesamten Strafaussprüchen.
1. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen.
2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten W B wegen Betruges in zwölf Fällen (davon in drei Fällen wegen Versuchs), Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in fünf Fällen, wegen Verstoßes gegen ein Berufsverbot und wegen falscher Angaben nach dem GmbH-Gesetz in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Seine Ehefrau K B hat es wegen Betruges in zwei Fällen, wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in fünf Fällen, wegen falscher Angaben nach dem GmbH-Gesetz in zwei Fällen und wegen Beihilfe zum Verstoû gegen das Berufsverbot schuldig gesprochen und gegen sie eine – zur Bewährung ausgesetzte – Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verhängt. Die hiergegen gerichteten Revisionen der Angeklagten haben in dem aus dem Beschluûtenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


Die Schuldsprüche gegen beide Angeklagten wegen Betruges bzw. wegen versuchten Betruges sowie wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Bezüglich der Fälle II.2 bis 14 (Fälle des versuchten bzw. vollendeten Betruges) hat die von den Angeklagten jeweils inhaltsgleich erhobene Verfahrensrüge Erfolg. Insoweit tritt der Senat der Begründung des Generalbundesanwalts bei. Dieser hat in seiner Antragsschrift vom 26. März 2002 folgendes ausgeführt:
“Die von beiden Beschwerdeführern zulässig erhobene Verfahrensrüge , das Landgericht habe entgegen § 261 StPO für seine Überzeugungsbildung Kontounterlagen verwertet, ohne diese prozeûordnungsgemäû in die Hauptverhandlung eingeführt zu haben, muû durchgreifen.
Die Strafprozeûordnung sieht zur Beweiserhebung über den Inhalt von Urkunden und anderen als Beweismittel dienenden Schriftstücken grundsätzlich die Verlesung gemäû § 249 Abs. 1 StPO vor (BGHR
StPO § 249 Abs. 1 Verlesung, unterbliebene 1). Der Vorgang der Verlesung stellt im übrigen eine wesentliche Förmlichkeit im Sinne von § 273 Abs. 1 StPO dar, deren Beachtung regelmäûig nur durch den Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls bewiesen werden kann (Pfeiffer, StPO, 3. Aufl., Rdn. 3 Mitte). Eine solche förmliche Verlesung der Kontounterlagen zu den verschiedenen Geschäftskonten, über die die Angeklagten ihre geschäftlichen Aktivitäten abwickelten, hat entgegen den Ausführungen im Urteil (UA S. 31) nicht stattgefunden. Im Hauptverhandlungsprotokoll vom 8. Mai 2001 ist insoweit, worauf die Beschwerdeführer zutreffend hinweisen, lediglich vermerkt, daû die entsprechenden Unterlagen aus dem Beweismittelordner II aus Anlaû der Vernehmung der zuständigen Sachbearbeiter der beteiligten Banken erörtert wurden (Protokollheft/Bl. 3 und 4 des Hauptverhandlungstages 8. Mai 2001). Zwar enthält das Hauptverhandlungsprotokoll noch an verschiedenen Stellen den Eintrag, aus den Beweismittelordnern seien Schriftstücke (auszugsweise) verlesen worden (vgl. nur Protokollheft/Bl. 2 des Hauptverhandlungsprotokolls 22. Mai 2001; Bl. 2 des Hauptverhandlungsprotokolls 7. Juni 2001; Bl. 3 des Hauptverhandlungsprotokolls 12. Juni 2001; Bl. 2 des Hauptverhandlungsprotokolls 27. Juni 2001). In allen Fällen handelt es sich hier aber ersichtlich nicht um die im Beweismittelordner II abgelegten umfangreichen Unterlagen über die Kontobewegungen. Ob die Kontounterlagen den als Zeugen vernommenen Bankmitarbeitern vorgehalten wurden, kann dahinstehen. Der Inhalt der betreffenden Urkunden wäre durch ihre Erörterung mit den Zeugen jedenfalls im vorliegenden Fall nicht ordnungsgemäû Gegenstand der Hauptverhandlung geworden. Zwar ist es nicht ausgeschlossen, Urkunden im Wege des Vorhalts in die Hauptverhandlung einzuführen (BGH, Urt. vom 7. November 1991 ± 4 StR 252/91, insoweit in BGHSt 38, 111 nicht abgedruckt). Be-
weisgrundlage ist dann allerdings nicht der Vorhalt, sondern die bestätigende Erklärung desjenigen, dem der Vorhalt gemacht wird (st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 11, 159, 160 und 11, 338, 340/341). In einem solchen Fall bedarf es keiner Verlesung der Urkunde. Der Tatrichter kann vielmehr die Erklärungen seiner Überzeugungsbildung zugrundelegen , die die Beweisperson auf die nicht protokollierungspflichtigen Vorhalte über den Inhalt der Schriftstücke abgegeben hat (BGHR StPO § 249 Abs. 1 Verlesung, unterbliebene 1 m. w. N.). Der Einführung des Inhalts eines Schriftstücks in die Hauptverhandlung im Wege des Vorhalts sind jedoch dann Grenzen gesetzt, wenn es sich bei dem vorgehaltenen Schriftstück um ein längeres oder ein solches handelt, das sprachlich oder inhaltlich schwer zu verstehen ist. Es bestünde da nicht die Gewähr dafür, daû die Auskunftsperson den Sinn der schriftlichen Erklärung auf den bloûen inhaltlichen Vorhalt hin richtig erfaût hat (BGH aaO m. w. N.). Dies könnte die Wahrheitsfindung gefährden und das rechtliche Gehör und damit die Verteidigung des Angeklagten beeinträchtigen. So liegt es hier. Ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls vom 8. Mai 2001 wurde eine insgesamt nicht näher eingrenzbare, jedoch insgesamt groûe Zahl von Kontoauszügen und anderen Kontounterlagen aus dem Beweismittelordner II mit den Zeugen erörtert. Es ist nicht anzunehmen, daû die jeweils vernommenen Zeugen angesichts der Komplexität der Materie den Sinn der jeweiligen Erklärungen auf den bloûen inhaltlichen Vorhalt hin in jedem Fall richtig erfaût haben. Auf dem Verfahrensverstoû beruht auch das Urteil.”
2. Die Sachrügen der beiden Angeklagten führen zur Aufhebung der Verurteilung wegen Vorenthaltens von Arbeitnehmerbeiträgen in fünf Fällen. Insoweit tragen die vom Landgericht getroffenen Feststellungen den Schuldspruch nicht, weil das Landgericht die Leistungsfähigkeit der Angeklagten nicht geprüft hat.


a) Das Landgericht, das keine Feststellungen zu tatsächlichen Lohnzahlungen getroffen hat, stellt für die Strafbarkeit nach § 266a StGB zutreffend allein auf die sozialversicherungsrechtliche Pflicht zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge ab. Die Strafbarkeit hängt nämlich nicht davon ab, daû Lohn ausbezahlt wurde (so aber Gribbohm JR 1997, 479 ff.; Bittmann wistra 1999, 441; Bente wistra 1996, 115; jeweils mit umfänglichen Nachweisen ). Die sozialversicherungsrechtliche Beitragspflicht entsteht nach § 22 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 1 und § 7 Abs. 1 SGB IV allein durch die versicherungspflichtige Beschäftigung eines Arbeitnehmers gegen Entgelt. Der Anspruch wird gemäû § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB IV unabhängig von der tatsächlichen Zahlung von Arbeitslohn fällig (BSGE 75, 61, 65). Jedenfalls seit Änderung der ursprünglichen Strafbestimmung und Einfügung des § 266a Abs. 1 StGB in das Strafgesetzbuch (durch das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 15. Mai 1986 ± BGBl. I 721) ist das Merkmal entfallen, wonach es sich um “einbehaltene Beiträge” handeln muû (vgl. zum früheren Rechtszustand BGHSt 30, 265, 266 f. m. w. N.). Maûgebend ist seither allein noch das “Vorenthalten” von Beiträgen des Arbeitnehmers (vgl. ausführlich zur Entstehungsgeschichte BGHZ 144, 311).
Alleiniger Schuldner des Arbeitnehmeranteils ist gemäû § 28e Abs. 1 SGB IV der Arbeitgeber. Damit fehlt auch ein irgendwie geartetes Treuhandverhältnis des Arbeitgebers gegenüber seinem Arbeitnehmer im Hinblick auf die Arbeitnehmerbeiträge. Diese hat der Arbeitgeber nicht von einem gedachten Bruttolohn zu separieren, sondern er selbst ist originär zur Leistung der Sozialversicherungsbeiträge verpflichtet und darf dann seinerseits erst im Rückgriff (und nur für einen bestimmten Zeitraum) nach § 28g SGB IV seine Leistungen vom Bruttoarbeitslohn des Arbeitnehmers abziehen. Da die Schuld hinsichtlich der Arbeitnehmerbeiträge unabhängig vom gezahlten Lohn besteht und sich auch aus dem Tatbestand des § 266a Abs. 1 StGB eine solche Einschränkung nicht entnehmen läût, ist kein Raum für eine ein-
engende Auslegung, die eine Strafbarkeit nach § 266a StGB von der tatsächlichen Lohnzahlung abhängig macht (BGHZ 144, 311; vgl. auch BGH ZIP 2002, 261, 262).

b) Das Landgericht hat jedoch keine Feststellungen zur Leistungsfähigkeit der ª B º getroffen , die Arbeitgeberin der Zeugin F war. Es hat allein auf die verspätete Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge abgehoben. Dies reicht nicht aus, weil der Straftatbestand des § 266a Abs. 1 StGB nur dann gegeben ist, wenn der verpflichtete Arbeitgeber auch die tatsächliche und rechtliche Möglichkeit zur Erfüllung dieser sozialversicherungsrechtlichen Verbindlichkeit hatte. Insoweit gelten für das echte Unterlassen des § 266a StGB die allgemeinen Grundsätze, wonach als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung hinzutreten muû, daû den Handlungspflichtigen die Erfüllung seiner gesetzlichen Pflicht möglich und zumutbar ist (BGH NJW 1998, 1306; BGH ZIP 2002, 261, 262). Eine unmögliche Leistung darf dem Verpflichteten nicht abverlangt werden.
Eine Unmöglichkeit in diesem Sinne liegt insbesondere dann vor, wenn der Handlungspflichtige zahlungsunfähig ist (BGHZ 134, 304, 307; BGH NJW 2002, 1123, 1124). Eine eingehende Auseinandersetzung mit der Zahlungsfähigkeit der Verpflichteten wäre hier schon deshalb erforderlich gewesen, weil das Landgericht für einen tatnahen Zeitraum festgestellt hat, daû keinerlei liquide Mittel mehr vorhanden waren, die Firmenkonten nicht mehr belastet werden konnten oder auf andere Weise Mittel hätten beschafft werden können. Auch wenn ± worauf der Generalbundesanwalt abhebt ± die jeweilige monatliche Zahllast gering war, enthebt dies angesichts der im Rahmen der Betrugstaten und der Vergehen nach § 82 GmbH-Gesetz geschilderten desolaten finanziellen Verhältnisse den Tatrichter nicht von der Verpflichtung, die tatsächliche Möglichkeit der Zahlung nachvollziehbar darzulegen. Dabei sind ± die Angaben des Landgerichts zur Unternehmensform
sind widersprüchlich ± nur die Betriebsmittel und das Betriebsvermögen heranzuziehen. Soweit ein persönlich haftender Gesellschafter vorhanden ist, wird weiterhin auch dessen finanzielle Leistungskraft zu berücksichtigen sein.

c) Allerdings kann der Tatbestand des § 266a StGB auch dann verwirklicht werden, wenn der Handlungspflichtige zwar zum Fälligkeitstag zahlungsunfähig ist, sein pflichtwidriges Verhalten jedoch praktisch vorverlagert ist (sogenannte omissio libera in causa ± vgl. hierzu Stree in Schönke /Schröder, StGB 26. Aufl. Vorbemerkung §§ 13 ff. Rdn. 144 f. m. w. N.).
aa) Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im Rahmen der Prüfung von haftungsrechtlichen Ansprüchen nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB eine Verwirklichung des Tatbestandes auch darin gesehen, daû der Handlungspflichtige durch anderweitige Zahlungen sich seiner Zahlungsverpflichtung zum Fälligkeitszeitpunkt begeben hat. Der Arbeitgeber sei nämlich verpflichtet, notfalls durch besondere Maûnahmen (etwa die Aufstellung eines Liquiditätsplanes und die Bildung von Rücklagen) die Zahlung zum Fälligkeitstag sicherzustellen. Diese Mittel dürften auch nicht zur Begleichung anderer Verbindlichkeiten eingesetzt werden. Insoweit gehe die Pflicht zur Abführung der sozialversicherungsrechtlichen Arbeitnehmerbeiträge im Sinne des § 266a Abs. 1 StGB anderen Verbindlichkeiten vor (BGHZ 134, 304 ff.).
bb) Dieser Auffassung des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs, die in der Literatur kritisiert wurde (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 266a Rdn. 12), tritt der Senat bei. Der Vorrang der in § 266a Abs. 1 StGB genannten Ansprüche wird nicht nur durch den strafbewehrten Normbefehl deutlich, der schon die nicht fristgerechte Erfüllung dieser Verbindlichkeiten erfaût. Durch ihren besonderen strafrechtlichen Schutz sind diese Ansprüche hervorgehoben. Das besondere Sicherungsbedürfnis dieser Ansprüche
erschlieût sich auch aus der Regelung des § 266a Abs. 5 StGB, die von dem Arbeitgeber im Falle wirtschaftlicher Schwierigkeiten verlangt, seine Bemühungen um die Begleichung der sozialversicherungsrechtlichen Verbindlichkeiten darzutun, um selbst im Falle einer späteren Zahlung eine Strafbefreiung zu erlangen. Auch diese Regelung wäre nicht verständlich, wären sämtliche Verbindlichkeiten jeweils gleichrangig; denn dann lieûe bereits die bloûe Erfüllung einer anderen (kongruenten) Verbindlichkeit die Tatbestandmäûigkeit entfallen. Eines besonders ausgestalteten bedingten persönlichen Strafausschlieûungsgrundes, der zudem an weitere Voraussetzungen gebunden ist, bedürfte es dann nicht nur nicht mehr, es ergäbe sich sogar ein normativer Widerspruch.
Schlieûlich wird dieses Ergebnis aus den Gesetzgebungsmaterialien bestätigt. Trotz einer ausdrücklich geäuûerten Kritik an der Besserstellung der Gläubiger dieser sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche hat der Gesetzgeber an dem besonderen strafrechtlichen Schutz festgehalten, um das Beitragsaufkommen der Sozialkassen sicherzustellen (BT-Drucks. 10/5058, S. 31). Wenn das Gesetz für diese Ansprüche aber einen strafrechtlichen Schutz vorsieht, kann der jeweilige Normadressat eine Befriedigung des Anspruchs nur dann verweigern, wenn er nach den allgemeinen Regeln des Strafrechts gerechtfertigt ist. Eine strafrechtlich gebotene Pflicht darf der Handlungspflichtige nur im Falle einer unvermeidbaren Kollision verweigern, wenn er damit letztlich einem gleichwertigen Rechtsgut genügt. Insoweit gilt auch hier der Gedanke, daû bei einer Pflichtenkollision der Täter nur gerechtfertigt ist, wenn er eine zumindest gleichwertige Pflicht erfüllt (vgl. Lenckner in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. Vorbemerkung §§ 32 ff. Rdn. 71 ff.). Der strafrechtliche Schutz eines Rechtsgutes begründet indes seine Höherwertigkeit gegenüber einer bloû zivilrechtlichen Handlungspflicht , was umgekehrt wiederum zur Folge hat, daû die Erfüllung eines zivilrechtlichen Anspruchs nicht die Verletzung eines Straftatbestands rechtfertigen kann.

cc) Der Umstand, daû der Arbeitgeber die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge zum Fälligkeitsstichtag sicherstellen muû, bedeutet aber nicht, daû schon aus dem Fehlen einer entsprechenden Deckung ohne weiteres auf einen schuldhaften Verstoû gegen die Pflichten aus § 266a Abs. 1 StGB geschlossen werden kann. Der Arbeitgeber muû nicht schlechthin für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einstehen. Die Beweisregel des § 279 BGB a.F. gilt hier nicht (vgl. auch BGH NJW 2002, 1123, 1125; a.A. OLG Celle JR 1997, 478, 479). Vielmehr ist insoweit die vorsätzlich begangene Pflichtwidrigkeit nach den für das Schuldstrafrecht maûgeblichen Grundsätzen festzustellen.
(1) Eine Pflicht, besondere Sicherungsmaûnahmen zu ergreifen, setzt sich abzeichnende Liquiditätsprobleme in dem Unternehmen voraus. Denn ein Unternehmen mit geregelten wirtschaftlichen und organisatorischen Verhältnissen wird zur Erfüllung seiner sozialversicherungsrechtlichen Pflichten keiner auûergewöhnlichen Vorkehrungen bedürfen. Welche Vorkehrungen in welchem Umfang zu treffen sind, richtet sich nach der Eigenart des jeweiligen Einzelfalles. Entscheidend ist dabei, welche Liquiditätsprognose zum Fälligkeitsstichtag zu stellen ist und ob Hinderungsgründe bestehen könnten , die Sozialbeiträge im Sinne des § 266a Abs. 1 StGB abzuführen. Dabei wird es auf die jeweils zu erwartenden Einnahmen (ebenso wie auf Kapitalabflüsse durch Pfändungen, Ver- oder Aufrechnungen) ankommen. Pflichtwidrigkeit liegt dabei nur dann vor, wenn sich ein Liquiditätsengpaû abzeichnete und durch entsprechende angemessene finanztechnische Maûnahmen hätte abgewendet werden können (a.A. Lenckner/Perron in Schönke /Schröder, StGB 26. Aufl. § 266a Rdn. 10, die nur bei gänzlich unerwarteten Ereignissen die Tatbestandsmäûigkeit entfallen lassen wollen). Dabei muû der Arbeitgeber zwar sicherstellen, daû die Sozialversicherungsbeiträge vorrangig abgeführt werden. Dies geht jedoch nicht soweit, daû er Vermögenswerte wegen der Drohung von Pfändungen für titulierte Forderungen
dem Zugriff von Gläubigern entziehen darf. Gleichfalls muû er sich zur Erfüllung seiner sozialversicherungsrechtlichen Pflichten keine Kreditmittel beschaffen, falls er deren Rückzahlung nicht gewährleisten kann (weitergehend BGH NJW 1997, 133, 134; dort verlangt der VI. Zivilsenat ± in einem obiter dictum ± offenbar die Ausschöpfung eines noch offenen Kreditrahmens ). Nur soweit dem Arbeitgeber überhaupt im Zeitpunkt des Offenbarwerdens der Liquiditätsprobleme die Möglichkeit verbleibt, die Abführung der Sozialbeiträge seiner Arbeitnehmer durch rechtlich zulässige Maûnahmen noch sicherzustellen, handelt er pflichtwidrig, wenn er dies unterläût.
(2) Der Straftatbestand des § 266a Abs. 1 StGB ist ein Vorsatzdelikt. Der Handlungspflichtige muû deshalb die Anzeichen von Liquiditätsproblemen , die besondere Anstrengungen zur Sicherstellung der Abführung der Arbeitnehmerbeiträge verlangten, erkannt haben (vgl. Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 266a Rdn. 17; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 266a Rdn. 17). Nimmt er dabei zumindest billigend in Kauf, daû bei Unterlassung von Sicherheitsvorkehrungen später möglicherweise die Arbeitnehmerbeiträge nicht mehr rechtzeitig erbracht werden können, ist hinsichtlich des Merkmals der Pflichtwidrigkeit auch Vorsatz gegeben (vgl. BGH NJW 2002, 1123, 1125). Der Verantwortliche muû demnach die Zuspitzung der wirtschaftlichen Situation und die daraus resultierende Gefährdung der Arbeitnehmerbeiträge sehen (was auch durch ungeordnete Verhältnisse im Unternehmen begründet sein kann ± vgl. BGHZ 134, 304, 315). Unterläût er es dann dennoch, Maûnahmen zu ergreifen, die eine Befried igung dieser vorrangigen sozialversicherungsrechtlichen Verbindlichkeiten gewährleisten, handelt er vorsätzlich.
dd) Das Landgericht hat vorliegend weder geprüft, ob zum Zeitpunkt der Fälligkeit eine entsprechende Leistungskraft vorhanden war, noch ± wenn diese Voraussetzung verneint werden muû ± hilfsweise zu einem früheren Zeitpunkt die Sicherstellung der Abführung der Arbeitnehmerbei-
träge hätte veranlaût werden müssen und die Angeklagten dies auch erkannt haben. In diesem Zusammenhang kann auch der Umstand Bedeutung erlangen, daû die zu zahlenden Beiträge monatlich relativ niedrig bemessen waren. Das kann die Angeklagten möglicherweise zu der Einschätzung veranlaût haben, zum Fälligkeitszeitpunkt über genügende Mittel zu verfügen. Selbst wenn dies zunächst hingenommen werden könnte, würde für spätere Zeiträume in Rechnung zu stellen sein, daû zunächst nicht einmal die geringen Beiträge abgeführt wurden. Dabei werden auch die an die Firma der Angeklagten geflossenen ABM-Mittel Beachtung finden müssen, die über den Arbeitnehmerbeiträgen lagen. Ob sie wegen des erheblichen Schuldsaldos auf den Firmenkonten darüber überhaupt verfügen konnten, ergeben die Feststellungen allerdings nicht. Jedenfalls nachdem zunächst die Arbeitnehmerbeiträge nicht mehr geleistet werden konnten, muûte der Umstand allerdings die Angeklagten veranlassen, diese Fördermittel vorrangig für die Begleichung der Sozialversicherungsbeiträge heranzuziehen und sie entsprechend zu sichern.

d) Das Landgericht hat im Ergebnis zutreffend beide Angeklagte als strafrechtlich verantwortlich im Sinne des § 14 StGB für die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge angesehen. Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe wird ausreichend deutlich, daû der Angeklagte B die internen kaufmännischen Angelegenheiten eigenständig erledigt hat. Seine Stellung als mit diesen Fragen auch tatsächlich befaûter faktischer Geschäftsführer trägt bei ihm die Annahme einer strafrechtlich relevanten Verantwortlichkeit (vgl. BGHSt 21, 101, 103). Die Verantwortlichkeit der Angeklagten B ergibt sich hier daraus, daû sie bewuût den mit einem Berufsverbot belasteten W B die ihr obliegende Pflicht zur Beitragsabführung überlassen hat, obwohl die wirtschaftliche Situation der Firma bereits angespannt war.
Zwar begründet schon allein die Stellung der Angeklagten K B als formelle Geschäftsführerin ihre Verantwortlichkeit als Organ der Gesellschaft nach auûen, was insbesondere auch ihre Einstandspflicht für die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten einschlieût (BGH wistra 1990, 97 f.). Der Geschäftsführer braucht jedoch die in sein Ressort fallenden Pflichten nicht in eigener Person erfüllen (vgl. BGHSt 37, 106, 123 f. grundlegend zur strafrechtlichen Relevanz von Ressortzuständigkeiten). Er kann sie auch delegieren, ihre Erfüllung anderen Personen überlassen (BGHZ 133, 370, 378; hinsichtlich steuerlicher Pflichten vgl. auch BFHE 141, 443). In diesen Fällen muû er durch geeignete organisatorische Maûnahmen die Begleichung sozialversicherungsrechtlicher Verbindlichkeiten sicherstellen. Jedenfalls nach einer angemessenen und beanstandungsfreien Einarbeitungszeit darf er sich dann grundsätzlich auf die Erledigung dieser Aufgaben durch den von ihm Betrauten verlassen, solange zu Zweifeln kein Anlaû besteht (vgl. BGHZ 133, 370, 378). Es trifft ihn dann jedoch eine Überwachungspflicht. Wie diese ausgestaltet ist, wird nach den Umständen des Einzelfalles zu bestimmen sein.
Diese Grundsätze müssen auch dann gelten, wenn der Geschäftsführer eine Person mit so weitreichenden Handlungsvollmachten gewähren läût, daû diese ihrerseits als faktischer Geschäftsführer zu qualifizieren ist. Selbst wenn der Geschäftsführer hinnimmt, daû sich ein faktischer Geschäftsführer etablieren kann, führt dies nicht zwangsläufig zu einer Zurechenbarkeit von dessen Straftaten. Auch insoweit ist die strafrechtliche Schuld nach allgemeinen Grundsätzen festzustellen. Der formelle Geschäftsführer handelt demnach nur dann vorsätzlich pflichtwidrig im Sinne des § 266a StGB, wenn er Anhaltspunkte für eine unzureichende Erfüllung der sozialversicherungsrechtlichen Pflichten durch den faktischen Geschäftsführer erlangt und dennoch nicht die notwendigen Maûnahmen ergriffen hat. Solche sich dem formellen Geschäftsführer aufdrängende Verdachtsmomente brauchen sich nicht unmittelbar auf die Verletzung sozial-
versicherungsrechtlicher Pflichten beziehen. Es kann nach den Umständen des Einzelfalls auch ausreichen, wenn für den formellen Geschäftsführer schon Anzeichen dafür bestehen, daû die Verbindlichkeiten nicht ordnungsgemäû erfüllt werden (vgl. BGHZ 133, 370, 379). Dies gilt insbesondere dann, wenn die Handlungsweise des faktischen Geschäftsführers ± wie hier durch den andauernden Verstoû gegen ein Berufsverbot ± in einem rechtswidrigen Gesamtzusammenhang steht und dem formellen Geschäftsführer dies bekannt ist. Im vorliegenden Fall muûte deshalb die Angeklagte B in Anbetracht der schwierigen wirtschaftlichen Situation die Abführung der Beiträge selbst sicherstellen.
3. Die Verurteilungen wegen der Verstöûe des Berufsverbots sowie gegen das GmbH-Gesetz können dagegen bestehen bleiben, weil die Feststellungen hierzu von den vorgenannten Rechtsfehlern unberührt bleiben. Der Senat hat jedoch die hierfür verhängten Einzelstrafen aufgehoben, um dem neuen Tatrichter eine insgesamt eigenständige Strafzumessung zu ermöglichen.

II.


Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat noch auf folgendes hin:
1. Die bloûe Mitteilung des geschuldeten Sozialversicherungsbeitrages reicht nicht aus. Im Falle einer erneuten Verurteilung sind neben der Anzahl der Beschäftigten auch deren Beschäftigungszeiten, das zu zahlende Arbeitsentgelt und die Höhe des Beitragssatzes der örtlich zuständigen AOK darzustellen (BGHR StGB § 266a Sozialabgaben 4).
2. Hinsichtlich der Betrugsvorwürfe ist zu beachten, daû ein Eingehungsbetrug zu Lasten einzelner Subunternehmer nicht ohne weiteres ange-
nommen werden kann, wenn die Zahlungsverpflichtungen gegenüber den Subunternehmern durch entsprechende Zahlungsansprüche gegen die jeweiligen Bauherren wirtschaftlich abgedeckt waren (vgl. BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vermögensschaden 5). In diesen Fällen könnte der Angeklagte, auch wenn er über kein wesentliches Vermögen verfügen sollte, jedenfalls von einer Deckung seiner Verbindlichkeiten durch den Anspruch gegenüber dem Bauherrn ausgehen. Etwas anderes wird nur dann gelten, wenn der Angeklagte jedenfalls zum Zeitpunkt des Abschlusses des Subunternehmervertrages die mangelnde Bonität des Bauherrn erkannt hat oder er trotz ausreichender Sicherung seiner Forderung gegen den Bauherrn zumindest damit rechnet, Zahlungen hierauf wegen einer Vielzahl anderer (vor allem titulierter ) Verbindlichkeiten nicht mehr an den Subunternehmer weiterleiten zu können (vgl. BGHR StGB § 263 Abs. 1 Täuschung 1, 5).
Soweit das Landgericht auf eine (allerdings nicht näher belegte) Vorleistungspflicht der Firma des Angeklagten gegenüber dem Bauherrn abgestellt hat, ist dieser Gesichtspunkt jedenfalls nicht ohne weiteres tragfähig. Der dem Angeklagten verpflichtete Subunternehmer ist nämlich gleichfalls vorleistungspflichtig. In beiden Rechtsbeziehungen werden die Werklohnvergütungen zwar jeweils mit Abnahme fällig (§ 641 Abs. 1 BGB), wobei in der Baupraxis die Fertigstellung einzelner Gewerke eine Zahlungspflicht des Bauherrn auslöst (§ 641 Abs. 1 Satz 2 BGB) und deshalb aber häufig eine Gesamtabnahme stattfindet. Auch soweit in einigen Fällen die Fälligkeitszeitpunkte gegenüber den Subunternehmern bis zu 30 Tage früher lagen, wäre dies nicht ohne weiteres ein so erheblicher Zwischenraum, daû sich schon hieraus eine schadensgleiche Vermögensgefährdung im Sinne des § 263 StGB herleiten lieûe.
3. Wenn nach den oben dargestellten Grundsätzen bei den einzelnen Verträgen von einem Eingehungsbetrug auszugehen ist, kommt es für die tatbestandliche Vollendung nicht mehr darauf an, ob dem betreffenden Ver-
tragspartner tatsächlich ein Schaden entstanden ist (vgl. BGHSt 23, 300). Der tatsächlich eingetretene Schaden wird dann nur noch für die Strafzumessung Relevanz haben. Soweit der neue Tatrichter als zum Zwecke der Feststellung von Strafzumessungstatsachen den Wert der erbrachten Bauleistung ermitteln sollte, ist der Einschätzung der beteiligten Subunternehmer zur Qualität ihrer eigenen Werkleistung mit äuûerster Zurückhaltung zu begegnen. Im Regelfall bietet sich eine Verifizierung ihrer Angaben dadurch an, daû geklärt wird, ob von den Angeklagten behauptete Mängel gleichzeitig vom jeweiligen Bauherrn gerügt wurde.
In diesem Zusammenhang ist auch darauf Bedacht zu nehmen, daû grundsätzlich Werklohnansprüche erst nach einer Abnahme fällig werden. Die Erwägung des Landgerichts, es entspreche allgemeiner Übung in der Baupraxis, Mängel förmlich anzuzeigen, betrifft allenfalls die Zeit nach der Abnahme. Deshalb wird die Feststellung der jeweiligen Abnahmetermine unumgänglich sein; umgekehrt können gerade immer wiederkehrende Strategien zur Vermeidung einer Abnahme indiziell auf die Absicht bloûer Zahlungsverweigerung hindeuten.
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