Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Aug. 2013 - 2 StR 108/13
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, und des sexuellen Missbrauchs von Kindern in zehn Fällen schuldig ist,
b) in den Einzelstrafaussprüchen in den Fällen 1 bis 7 und 9 bis 11 der Urteilsgründe und im Gesamtstrafenausspruch jeweils mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, versuchten schweren sexuellen Miss- brauchs von Kindern und sexuellen Missbrauchs von Kindern in neun Fällen – in allen Fällen jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbe- fohlenen – zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Sein Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
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- 1. a) Zutreffend weist der Generalbundesanwalt darauf hin, dass in den Fällen 1 bis 7 und 9 bis 11 der Urteilsgründe das jeweils tateinheitlich verwirklichte Vergehen des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen (§ 174 Abs. 1 StGB) nach den Urteilsfeststellungen verjährt und der Schuldspruch insoweit zu ändern ist. Diese nicht mehr genau datierbaren Taten sind im Zweifel zugunsten des Angeklagten innerhalb des vom Landgericht jeweils zu Grunde gelegten Tatzeitraums vor dem 1. April 1999 begangen (UA S. 8 ff. und UA S. 12 f.). Gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB ist demnach spätestens am 31. März 2004 Verfolgungsverjährung eingetreten. Da der Ablauf der Verjährungsfrist bereits vor Inkrafttreten der Regelung des § 78 b Abs. 1 Nr. 1 StGB am 1. April 2004 eingetreten war, kommt ein Ruhen der Verjährung nach dieser Vorschrift nicht in Frage (vgl. Senatsbeschluss vom 20. November 2012 – 2 StR 257/12; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 78 b Rn. 3, jeweils mwN).
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- b) Der Schuldspruch im Fall 7 der Urteilsgründe hält darüber hinaus rechtlicher Überprüfung nicht stand. Nach den landgerichtlichen Feststellungen forderte der Angeklagte die Geschädigte auf, sich Hose und Unterhose auszuziehen und sich vor die Couch zu knien. Das Kind gehorchte. Der Angeklagte, der sich ebenfalls entkleidet hatte, wollte mit dem Mädchen den Geschlechtsverkehr durchführen. Er rieb den Genitalbereich des Kindes mit Vaseline ein. Sodann kniete sich der Angeklagte hinter das Mädchen und berührte sie mit seinem Glied im Genitalbereich. „Ein tatsächliches Eindringen des Angeklagten in ihre Scheide oder ihren After konnte nicht sicher festgestellt werden“ (UA S. 11). Nach einem kurzen Moment erklärte der Angeklagte der Geschädigten, dass sie sich wieder anziehen dürfe, was sie dann auch tat.
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- Vor dem Hintergrund dieser Feststellungen hat das Landgericht zwar im Ansatz zu Recht angenommen, dass eine Strafbarkeit wegen des Versuchs des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Betracht kommt. Es hat jedoch Anlass zur Prüfung der Frage bestanden, ob der Angeklagte von diesem Versuch strafbefreiend zurückgetreten ist. Da der Versuch unbeendet war, genügte dafür hier das bloße Nichtweiterhandeln des Angeklagten. In einer neuen Hauptverhandlung sind weitere Feststellungen nicht zu erwarten, so dass davon auszugehen ist, dass der Angeklagte vom Versuch des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern freiwillig und daher strafbefreiend zurückgetreten ist (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB).
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- Zum Nachteil des Kindes hat der Angeklagte hier aber einen vollendeten sexuellen Missbrauch gemäß § 176 Abs. 1 StGB begangen (vgl. auch BGH, Urteil vom 21. November 2002 – 3 StR 318/02, bei Pfister NStZ-RR 2003, 354; Renzikowski in MünchKomm-StGB, 2. Aufl., § 176 a Rn. 45; Fischer, aaO, § 176 a Rn. 23). Der Senat entscheidet in der Sache und ändert den Schuldspruch auch insoweit. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da ausgeschlossen werden kann, dass sich der Angeklagte anders als geschehen verteidigt hätte.
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- 2. Die Änderung des Schuldspruchs in den Fällen 1 bis 7 und 9 bis 11 der Urteilsgründe hat die Aufhebung der betroffenen Einzelstrafen zur Folge. Das Landgericht hat es ausdrücklich als strafschärfend gewertet, dass der Angeklagte bei jeder der Taten zwei Straftatbestände verwirklicht hat. Auch wenn es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich möglich ist, verjährte Taten bei der Strafzumessung – wenn auch mit eingeschränktem Gewicht – zu berücksichtigen (vgl. Senatsbeschluss vom 20. November 2012 – 2 StR 257/12; Fischer, aaO, § 46 Rn. 38d mwN), kann der Senat hier nicht ausschließen , dass das Landgericht ohne die strafschärfende Verwertung der tateinheitlichen Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen auf niedrigere Einzelstrafen erkannt hätte.
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- Die Aufhebung der Einzelstrafen zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich, die zudem ihrerseits nicht rechtsfehlerfrei ist. Das Landgericht hat zwar gesehen, dass eine (weitere) Gesamtstrafenbildung wegen vollständiger Vollstreckung der Strafen aus den Vorverurteilungen nicht in Betracht kommt; dieses hätte indes einen Härteausgleich nach sich ziehen müssen (vgl. BGH Beschluss vom 17. August 2011 – 5 StR 322/11; Schäfer/Sander/van Gemmeren , Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 1242 mwN). Überdies hat die Strafkammer zur Begründung der als schuldangemessen angesehenen Gesamtfreiheitsstrafe nahezu ausschließlich mildernde Gesichtspunkte angeführt (UA S. 41 f.), so dass der Senat nicht nachvollziehen kann, weswegen die Einsatzstrafe von zwei Jahren und acht Monaten derart massiv erhöht wurde (vgl. auch BGH, Beschluss vom 25. Juni 2013 – 5 StR 232/13).
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- Der Senat merkt an, dass die zu Lasten des Angeklagten angeführte Strafzumessungserwägung, er habe „mit zornerfüllter, lauter Stimme ausge- führt, selbst im Falle eines Freispruches aus Zweifelsgründen das Urteil anfechten und keine Ruhe geben zu wollen, bis klargestellt sei, dass die beiden Ne- benklägerinnen Lügnerinnen seien“ (UA S. 39), imHinblick auf das Bestreiten der Tatvorwürfe durch den Angeklagten nicht unbedenklich ist (vgl. auch BGH, Urteil vom 8. April 2004 – 4 StR 576/03, NStZ 2004, 616 f.; Beschluss vom 2. Mai 2000 – 1 StR 136/00).
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Wer sexuelle Handlungen
- 1.
an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist, - 2.
an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm im Rahmen eines Ausbildungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist, unter Missbrauch einer mit dem Ausbildungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit oder - 3.
an einer Person unter achtzehn Jahren, die sein leiblicher oder rechtlicher Abkömmling ist oder der seines Ehegatten, seines Lebenspartners oder einer Person, mit der er in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft lebt,
(2) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird eine Person bestraft, der in einer dazu bestimmten Einrichtung die Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung von Personen unter achtzehn Jahren anvertraut ist, und die sexuelle Handlungen
- 1.
an einer Person unter sechzehn Jahren, die zu dieser Einrichtung in einem Rechtsverhältnis steht, das ihrer Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung dient, vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt oder - 2.
unter Ausnutzung ihrer Stellung an einer Person unter achtzehn Jahren, die zu dieser Einrichtung in einem Rechtsverhältnis steht, das ihrer Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung dient, vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt.
(3) Wer unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 oder 2
- 1.
sexuelle Handlungen vor dem Schutzbefohlenen vornimmt, um sich oder den Schutzbefohlenen hierdurch sexuell zu erregen, oder - 2.
den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, daß er sexuelle Handlungen vor ihm vornimmt,
(4) Der Versuch ist strafbar.
(5) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1, des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 oder des Absatzes 3 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 oder mit Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn das Unrecht der Tat gering ist.
(1) Die Verjährung schließt die Ahndung der Tat und die Anordnung von Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8) aus. § 76a Absatz 2 bleibt unberührt.
(2) Verbrechen nach § 211 (Mord) verjähren nicht.
(3) Soweit die Verfolgung verjährt, beträgt die Verjährungsfrist
- 1.
dreißig Jahre bei Taten, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind, - 2.
zwanzig Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als zehn Jahren bedroht sind, - 3.
zehn Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als fünf Jahren bis zu zehn Jahren bedroht sind, - 4.
fünf Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als einem Jahr bis zu fünf Jahren bedroht sind, - 5.
drei Jahre bei den übrigen Taten.
(4) Die Frist richtet sich nach der Strafdrohung des Gesetzes, dessen Tatbestand die Tat verwirklicht, ohne Rücksicht auf Schärfungen oder Milderungen, die nach den Vorschriften des Allgemeinen Teils oder für besonders schwere oder minder schwere Fälle vorgesehen sind.
(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern.
(2) Sind an der Tat mehrere beteiligt, so wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die Vollendung verhindert. Jedoch genügt zu seiner Straflosigkeit sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie ohne sein Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird.
(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer
- 1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, - 2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt, - 3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.
(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.
(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn
- 1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen, - 2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder - 3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.
(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.
(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.