Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Sept. 2015 - 2 ARs 142/15

bei uns veröffentlicht am08.09.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 A R s 1 4 2 / 1 5
2 A R 9 5 / 1 5
vom
8. September 2015
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Betruges
Az.: 391 Ds 38/15 jug Amtsgericht Tiergarten
Az.: 2 Ds 43 Js 12118/13 jug. (2) Amtsgericht Ulm
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
am 8. September 2015 beschlossen:
Für die Untersuchung und Entscheidung der Sache ist das Amtsgericht - Jugendrichter - Tiergarten zuständig.

Gründe:


1
Die Vorlage des Amtsgerichts Ulm ist zulässig und führt zu der Entscheidung , dass das Amtsgericht - Jugendrichter - Tiergarten für die Verhandlung und Entscheidung der Sache zuständig ist, weil der Angeklagte sich im dortigen Bezirk aufhält. Insoweit hat der Generalbundesanwalt ausgeführt: "Nach § 42 Abs. 3 Satz 1 JGG - der hier in Verbindung mit § 108 JGG anwendbar ist - kann der Richter das Verfahren mit Zustimmung des Staatsanwalts an den Richter abgeben, in dessen Bezirk sich der Angeklagte aufhält, wenn dieser seinen Aufenthalt wechselt. Der in dieser Bestimmung zum Ausdruck kommende Grundsatz, dass Heranwachsende sich vor dem für ihren Aufenthaltsort zuständigen Gericht verantworten sollen, darf grundsätzlich nur durchbrochen werden, wenn sonst erhebliche Erschwernisse das Verfahren belasten würden (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Mai 2006 - 2 ARs 176/06 -). Für die Zuständigkeit kommt es lediglich auf den faktischen Aufenthaltsort an, nicht - wie nach § 8 StPO - auf den Wohnsitz oder auf die Meldeanschrift des Jugendlichen oder Heranwachsenden, so dass die Zuständigkeit auch dann begründet werden kann, wenn dieser ohne festen Wohnsitz an einem bestimmten Ort lebt (vgl. Senat, Beschluss vom 26. Juni 2014 - 2 ARs 114/14, 2 AR 81/14 -; Beschluss vom 10. Januar 2007 - 2 ARs 545/06 -).

a) Der Angeklagte hat nach Anklageerhebung seinen Aufenthaltsort gewechselt. Es ist auch davon auszugehen, dass er im Zeitpunkt der Abgabe seinen Aufenthalt in Berlin und damit im Bezirk des Amtsgerichts Tiergarten gehabt hat. Zwar ist die genaue Anschrift, unter welcher der Angeklagte sich derzeit aufhält, unbekannt, seine eigenen Angaben hierzu und zu einer angeblichen Anmeldung in Berlin haben sich als unzutreffend erwiesen. Dies ändert indes nichts daran, dass die Angabe des Angeklagten, er halte sich in Berlin auf, als solche glaubhaft ist. Gestützt wird dies zum einen durch den Umstand , dass sich der Angeklagte nach den Ermittlungen des Polizeipräsidenten in Berlin zumindest zeitweise bis Juli 2014 in der kirchlichen Einrichtung D. in Berlin aufgehalten hat (SA Bl. 110), zum anderen dadurch, dass er im Zeitraum seit Dezember 2013 mehrfach unter Umständen , die auf einen Aufenthalt hindeuteten, in Berlin angetroffen wurde. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sich der Angeklagte tatsächlich nicht mehr in Berlin aufhält, sind nicht erkennbar.

b) Gewichtige Gründe des Strafverfahrens - einschließlich des in Sachen von geringerer Bedeutung zu beachtenden Gesichtspunkts der beschleunigten und daher wirkungsvollen Ahndung - stehen der Abgabe nicht entgegen. Im Ermittlungsverfahren hat sich der Angeklagte in vollem Umfang geständig gezeigt (SA Bl. 13 ff.). Derzeit deutet nichts darauf hin, dass der Angeklagte seinen Aufenthalt wieder von Berlin wegverlegen wird, so dass auch nicht das Ziel einer Vermeidung wiederholter Abgaben (vgl. Senat, Beschluss vom 15. Januar 2015 - 2 ARs 275/14 -) es angezeigt erschienen ließe, dass
die Zuständigkeit des Amtsgerichts Ulm aufrechterhalten bleibt."
2
Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an.
Appl Eschelbach Ott
Zeng Bartel

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Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 42 Örtliche Zuständigkeit


(1) Neben dem Richter, der nach dem allgemeinen Verfahrensrecht oder nach besonderen Vorschriften zuständig ist, sind zuständig 1. der Richter, dem die familiengerichtlichen Erziehungsaufgaben für den Beschuldigten obliegen,2. der Richter, in dessen

Strafprozeßordnung - StPO | § 8 Gerichtsstand des Wohnsitzes oder Aufenthaltsortes


(1) Der Gerichtsstand ist auch bei dem Gericht begründet, in dessen Bezirk der Angeschuldigte zur Zeit der Erhebung der Klage seinen Wohnsitz hat. (2) Hat der Angeschuldigte keinen Wohnsitz im Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes, so wird der Geric

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 108 Zuständigkeit


(1) Die Vorschriften über die Zuständigkeit der Jugendgerichte (§§ 39 bis 42) gelten auch bei Verfehlungen Heranwachsender. (2) Der Jugendrichter ist für Verfehlungen Heranwachsender auch zuständig, wenn die Anwendung des allgemeinen Strafrechts

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(1) Neben dem Richter, der nach dem allgemeinen Verfahrensrecht oder nach besonderen Vorschriften zuständig ist, sind zuständig

1.
der Richter, dem die familiengerichtlichen Erziehungsaufgaben für den Beschuldigten obliegen,
2.
der Richter, in dessen Bezirk sich der auf freiem Fuß befindliche Beschuldigte zur Zeit der Erhebung der Anklage aufhält,
3.
solange der Beschuldigte eine Jugendstrafe noch nicht vollständig verbüßt hat, der Richter, dem die Aufgaben des Vollstreckungsleiters obliegen.

(2) Der Staatsanwalt soll die Anklage nach Möglichkeit vor dem Richter erheben, dem die familiengerichtlichen Erziehungsaufgaben obliegen, solange aber der Beschuldigte eine Jugendstrafe noch nicht vollständig verbüßt hat, vor dem Richter, dem die Aufgaben des Vollstreckungsleiters obliegen.

(3) Wechselt der Angeklagte seinen Aufenthalt, so kann der Richter das Verfahren mit Zustimmung des Staatsanwalts an den Richter abgeben, in dessen Bezirk sich der Angeklagte aufhält. Hat der Richter, an den das Verfahren abgegeben worden ist, gegen die Übernahme Bedenken, so entscheidet das gemeinschaftliche obere Gericht.

(1) Die Vorschriften über die Zuständigkeit der Jugendgerichte (§§ 39 bis 42) gelten auch bei Verfehlungen Heranwachsender.

(2) Der Jugendrichter ist für Verfehlungen Heranwachsender auch zuständig, wenn die Anwendung des allgemeinen Strafrechts zu erwarten ist und nach § 25 des Gerichtsverfassungsgesetzes der Strafrichter zu entscheiden hätte.

(3) Ist wegen der rechtswidrigen Tat eines Heranwachsenden das allgemeine Strafrecht anzuwenden, so gilt § 24 Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes. Ist im Einzelfall eine höhere Strafe als vier Jahre Freiheitsstrafe oder die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus, allein oder neben einer Strafe, oder in der Sicherungsverwahrung (§ 106 Absatz 3, 4, 7) zu erwarten, so ist die Jugendkammer zuständig. Der Beschluss einer verminderten Besetzung in der Hauptverhandlung (§ 33b) ist nicht zulässig, wenn die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, deren Vorbehalt oder die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu erwarten ist.

(1) Der Gerichtsstand ist auch bei dem Gericht begründet, in dessen Bezirk der Angeschuldigte zur Zeit der Erhebung der Klage seinen Wohnsitz hat.

(2) Hat der Angeschuldigte keinen Wohnsitz im Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes, so wird der Gerichtsstand auch durch den gewöhnlichen Aufenthaltsort und, wenn ein solcher nicht bekannt ist, durch den letzten Wohnsitz bestimmt.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 A R s 1 1 4 / 1 4
2 A R 8 1 / 1 4
vom
26. Juni 2014
in der Jugendstrafsache
gegen
wegen Diebstahls
Az.: 2 Ds 45 Js 12986/13 Jug Amtsgericht Ulm
Az.: 45 Js 12986/13 Staatsanwaltschaft Ulm
Az.: 226 Js 19365/13 Staatsanwaltschaft Memmingen
Az.: 3 Ds 226 Js 19365/13 jug Amtsgericht Günzburg
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
am 26. Juni 2014 beschlossen:
Für die Untersuchung und Entscheidung der Sache ist das Amtsgericht - Jugendgericht - Ulm zuständig.

Gründe:

1
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Zuschrift vom 25. April 2014 an den Senat folgendes ausgeführt: „Maßgeblich ist der faktische Aufenthaltsort und nicht die Meldeanschrift des Jugendlichen (BGH StraFo 2007, 162), weshalb nicht das Amtsgericht Günzburg, sondern das Amtsgericht Ulm zuständig ist. Es ist auch nicht zweckmäßig, die Zuständigkeit für die Untersuchung und Entscheidung in dieser Sache bei dem Amtsgericht Günzburg zu belassen (§12 Abs. 2 StPO). Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte seinen Aufenthalt bereits vor Anklageerhebung gewechselt hat, was dazu führen würde, dass das Amtsgericht Günzburg von vornherein nicht zuständig wäre und der Übernahmebeschluss damit auch keine Bindungswirkung hätte (siehe Beschluss des Senats vom 27. Juni 2012 - 2 ARs 223/12).“
2
Dem tritt der Senat bei.
Appl Schmitt Krehl Ott Zeng

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 A R s 2 7 5 / 1 4
2 A R 2 1 5 / 1 4
vom
15. Januar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Erschleichens von Leistungen
Az.: 700 Ds 701 Js 391/13 - 137/13 Amtsgericht - Jugendrichter - Moers
Az.: 63 Ds 65 Js 560/14 - 191/14 - Amtsgericht Essen
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. Januar 2015 beschlossen
:
Der Abgabebeschluss des Amtsgerichts - Jugendrichters - Moers
vom 9. April 2014 wird aufgehoben.
Dieses Gericht bleibt für die Untersuchung und Entscheidung der
Sachen zuständig.

Gründe:

1
Dem Angeklagten liegen aufgrund von fünf an das Amtsgericht - Jugendrichter - Moers gerichteten Anklageschriften Vergehen der Leistungserschleichung an verschiedenen Orten zur Last. Das Amtsgericht Moers hat das Verfahren zunächst gemäß § 205 StPO vorläufig eingestellt, weil der Aufenthaltsort des Angeschuldigten unbekannt war. Nachdem ein Aufenthalt des Angeklagten in einem Wohnheim in Essen bekannt geworden war, hat es die Verfahren verbunden, das Hauptverfahren eröffnet und die Sache gemäß § 42 Abs. 3 JGG an das Amtsgericht Essen abgegeben. Die anschließende Aufenthaltsüberprüfung ergab, dass der Angeklagte sich bereits nicht mehr in dem Wohnheim in Essen aufhält und sein neuer Aufenthaltsort unbekannt ist. Das Amtsgericht Essen hat die Sache deshalb an das Amtsgericht Moers zurückgegeben. Das Amtsgericht Moers beantragt die Bestimmung der Zuständigkeit.
2
Der Bundesgerichtshof ist als gemeinsames oberstes Gericht zur Entscheidung über die Zuständigkeit berufen, weil die Amtsgerichte Moers und Essen in den Bezirken verschiedener Oberlandesgerichte liegen.
3
Die Überprüfung ergibt in Übereinstimmung mit dem Antrag des Generalbundesanwalts , auf dessen Begründung der Senat Bezug nimmt, dass die Abgabe durch das Amtsgericht Moers an das Amtsgericht Essen nicht zweckmäßig ist. Es ist bereits längere Zeit mit dem Verfahren befasst. Der Angeklagte hat seinen Aufenthalt wiederholt gewechselt und keinen festen Wohnsitz. Bei dieser Sachlage ist es auch zur Vermeidung wiederholter Abgaben angezeigt, dass die Zuständigkeit des Amtsgerichts Moers aufrechterhalten bleibt. Appl Schmitt Krehl Eschelbach Zeng