Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Apr. 2018 - 1 StR 88/18

ECLI:ECLI:DE:BGH:2018:060418B1STR88.18.0
bei uns veröffentlicht am06.04.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 88/18
vom
6. April 2018
in der Strafsache
gegen
wegen Untreue u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:060418B1STR88.18.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 6. April 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 19. Oktober 2017 mit den der Schadenswiedergutmachung zugehörigen Feststellungen im Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall III. 1 der Urteilsgründe (Tatkomplex Eheleute H. ) und im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird mit der Maßgabe verworfen, dass unter Aufhebung des Ausspruchs über einen Vollstreckungsabschlag in Höhe von sechs Monaten weitere drei Monate als vollstreckt gelten.

Gründe:

1
Der Angeklagte war im ersten Rechtsgang wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung , Betrugs in sechs Fällen, davon in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit Untreue, sowie wegen Untreue in zwei weiteren Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlichem Bankrott, zu einer Gesamtfreiheits- strafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Davon hatte das Landgericht drei Monate wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung für vollstreckt erklärt.
2
Dieses Urteil hatte der Senat auf die Revision des Angeklagten mit Beschluss vom 19. August 2015 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen Betrugs in sechs Fällen, in zwei Fällen davon in Tateinheit mit Untreue, verurteilt worden war, sowie im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
3
Die nunmehr zuständige Strafkammer hat die Betrugsstraftaten nach §§ 154, 154a StPO behandelt und den Angeklagten wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung , Untreue in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlichem Bankrott, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt und davon (insgesamt) sechs Monate als vollstreckt erklärt.
4
Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
5
1. Der Angeklagte beanstandet zutreffend, dass die Strafkammer im Fall III. 1 der Urteilsgründe (Tatkomplex Eheleute H. ) einen Beweisantrag mit rechtsfehlerhafter Begründung abgelehnt hat.
6
a) Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:
7
Im Hauptverhandlungstermin vom 19. Oktober 2017 hat der Angeklagte beantragt, O. als Zeugen zu vernehmen. Dieser werde in seiner Eigenschaft als (vormaliger) Aufsichtsratsvorsitzender bestätigen, dass die aus der Versteigerung der Immobilie mit dem vormaligen Restaurant P. erzielten Erlöse vollständig an die Gläubiger der J. AG geflossen seien, somit aus dem Erlös keine Beträge oder Teilbeträge beim Angeklagten persönlich verblieben seien. Weiter werde er bestätigen, dass der Geschädigte H. aus dem vorgenannten Versteigerungserlös eine Teilzahlung in Höhe von 40.000 € er- halten habe.
8
Diesen Antrag hat die Strafkammer mit der Begründung zurückgewiesen , es handele sich nur scheinbar um einen förmlichen Beweisantrag, da die insoweit unter Beweis gestellte Tatsache ohne jede tatsächliche Grundlage aufs Geratewohl ins Blaue hinein behauptet worden sei. Auch unter Berücksichtigung der Aktenlage und des bisherigen Beweisergebnisses bestehe kein Anhaltspunkt dafür, dass der Geschädigte H. aus der Versteigerung 40.000 € erhalten haben könnte. Der Geschädigte habe in seiner Zeugenver- nehmung vielmehr ausdrücklich und glaubhaft dargelegt, aus der Zwangsversteigerung des Restaurants letztlich faktisch nichts erhalten zu haben. Auch unter Aufklärungsgesichtspunkten sehe die Kammer keine Veranlassung, dem Antrag nachzugehen.
9
b) Die Verfahrensrüge ist begründet. Bei dem gegenständlichen Beweisbegehren handelt es sich um einen Beweisantrag, nicht nur um einen Beweisermittlungsantrag.
10
Zwar muss einem in die Form eines Beweisantrags gekleideten Beweisbegehren ausnahmsweise nicht oder allenfalls nach Maßgabe der Aufklärungspflicht nachgegangen werden, wenn die Beweisbehauptung ohne jeden tatsächlichen Anhaltspunkt und ohne jede begründete Vermutung aufs Geratewohl ins Blaue hinein aufgestellt wurde, so dass es sich nur um einen nicht ernstlich gemeinten, zum Schein gestellten Beweisantrag handelt. Für die Beurteilung , ob ein aufs Geratewohl gestellter Antrag vorliegt, ist die Sichtweise eines verständigen Antragstellers entscheidend. Es kommt nicht darauf an, ob das Tatgericht eine beantragte Beweiserhebung für erforderlich hält (vgl. BGH, Beschluss vom 11. April 2013 – 2 StR 504/12 mwN, NStZ 2013, 536, 537).
11
Nach diesem Maßstab lässt sich die Beweisbehauptung nicht als aufs Geratewohl aufgestellt ansehen. Die Beweisbehauptung hatte einen tatsächlichen Anhaltspunkt, da die Eheleute H. jedenfalls einen nicht konkret bezifferten Betrag aus der Versteigerung des Restaurants erhalten haben („ge- ringfügiger Betrag“, UA S. 44; „letztlich faktisch nichts“, ablehnender Beschluss RB S. 3). Sie konnte deshalb ungeachtet der Gründe, die die Strafkammer in ihrem Beschluss nach Würdigung des gesamten Beweisergebnisses gegen die Zahlung von 40.000 € an die Geschädigten H. aus der Versteigerung des Restaurants angeführt hat, nicht als nicht ernstlich gemeint gewertet werden. Jedenfalls hat das Landgericht mit seiner Erwägung, dass die unter Beweis gestellte Tatsache ohne jede tatsächliche Grundlage behauptet worden sei, die Grenzen der vorgenannten Rechtsprechung missachtet. Danach kann es dem Antragsteller grundsätzlich nicht verwehrt sein, auch solche Tatsachen zum Gegenstand eines Beweisantrags zu machen, deren Richtigkeit er lediglich vermutet oder für möglich hält (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 11. April 2013 – 2 StR 504/12 mwN, NStZ 2013, 536, 537).
12
c) Auf der rechtsfehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags kann der Strafausspruch im Fall III. 1 (Eheleute H. ) beruhen. Das Landgericht hat zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass der Schaden in Höhe von 40.000 € durch die Abtretung von Forderungen und Übertragung einer Eigen- tümergrundschuld nachträglich vermindert worden ist. Der Senat kann daher nicht ausschließen, dass die Strafkammer eine niedrigere Einzelstrafe verhängt hätte, wenn es den beantragten Beweis erhoben und sich die Beweisbehauptung , die Geschädigten H. hätten weitere 40.000 € als Schadensausgleich erhalten, bestätigt hätte.
13
Mit der Aufhebung dieser Einzelstrafe ist auch dem Gesamtstrafausspruch die Grundlage entzogen.
14
2. Die Entscheidung des Landgerichts über die Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung enthält keine dem Angeklagten nachteiligen Rechtsfehler, bedarf aber der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Neufassung.
15
Die Strafkammer hat zwar nicht übersehen, dass sie lediglich über eine Kompensation für eine nach dem Urteil im ersten Rechtsgang eingetretene Verfahrensverzögerung zu entscheiden hatte, hat aber dennoch eine einheitliche, auf die gesamte Verfahrensdauer bezogene – den Angeklagten aber nicht belastende – Entscheidung über die Kompensation der Verfahrensverzögerung getroffen.
16
Der Ausspruch im landgerichtlichen Urteil vom 19. März 2015, dass drei Monate der dort verhängten Gesamtfreiheitsstrafe als vollstreckt gelten, war bereits in Rechtskraft erwachsen. Der Aufhebungsbeschluss des Senats betraf lediglich den Schuld- und Strafausspruch hinsichtlich der Betrugsstraftaten nebst der hiermit in Tateinheit stehenden Untreuedelikte und der zugehörigen Feststellungen. Dazu gehört die Entscheidung über die Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung durch die Anordnung, dass ein Teil der Strafe als vollstreckt gilt, nicht (BGH, Urteile vom 9. August 2016 – 1 StR 121/16, wistra 2016, 486, 487 f. und vom 27. August 2009 – 3 StR 250/09, BGHSt 54, 135; Beschlüsse vom 18. Februar 2014 – 3 StR 381/13 und vom 25. November 2015 – 1 StR 79/15, NStZ 2016, 428, 429). Daher konnte das Landgericht lediglich noch über die zusätzliche Kompensation für die danach eingetretene Verzögerung entscheiden. Hierfür hat die Strafkammer eine Kompensation von drei Monaten für erforderlich erachtet. Sie hätte daher eine weitere Kompensation von drei Monaten anordnen müssen. Der Anregung des Generalbundesanwalts folgend hat der Senat eine entsprechende Klarstellung des Tenors des angefochtenen Urteils vorgenommen. Raum Graf Jäger Fischer Hohoff

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

(1) Fallen einzelne abtrennbare Teile einer Tat oder einzelne von mehreren Gesetzesverletzungen, die durch dieselbe Tat begangen worden sind,

1.
für die zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung oder
2.
neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat,
nicht beträchtlich ins Gewicht, so kann die Verfolgung auf die übrigen Teile der Tat oder die übrigen Gesetzesverletzungen beschränkt werden. § 154 Abs. 1 Nr. 2 gilt entsprechend. Die Beschränkung ist aktenkundig zu machen.

(2) Nach Einreichung der Anklageschrift kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft die Beschränkung vornehmen.

(3) Das Gericht kann in jeder Lage des Verfahrens ausgeschiedene Teile einer Tat oder Gesetzesverletzungen in das Verfahren wieder einbeziehen. Einem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Einbeziehung ist zu entsprechen. Werden ausgeschiedene Teile einer Tat wieder einbezogen, so ist § 265 Abs. 4 entsprechend anzuwenden.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 504/12
vom
11. April 2013
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Untreue u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Beschwerdeführer am 11. April 2013 gemäß §§ 349 Abs. 2
und 4, 354 Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten P. M. wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 23. April 2012, soweit es sie betrifft,
a) mit den zugehörigen Feststellungen in den Fällen II. 114 , 19-23, 26-33, 35-131, 133-142, 147-160, 164-253, 255-267, 273-289, 295-303, 307-319, 322-393 und 397-472 der Urteilsgründe sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe und über die Feststellung gemäß § 111i Abs. 2 StPO aufgehoben,
b) in den Fällen II. 15-18, 24, 25, 34, 132, 143-146, 161163 , 254, 268-272, 290-294, 304-306, 320, 321, 394396 und 473 der Urteilsgründe im Schuldspruch dahin abgeändert, dass die Angeklagte jeweils des Betruges schuldig ist, im Fall 132 in Tateinheit mit Urkundenfälschung.
Ihre weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
2. Auf die Revision des Angeklagten M. M. wird das vorgenannte Urteil, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
3. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagte P. M. wegen Untreue in 473 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und den Angeklagten M. M. wegen Beihilfe zur Untreue zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Weiter hat das Landgericht festgestellt, dass bei der Angeklagten P. M. hinsichtlich eines Betrages von 21.505 € und bei dem Angeklagten M. M. hinsichtlich eines Betrages von 39.190 € Ansprüche des Verletzten der Anordnung des Verfalls entgegenstehen. Die Beschwerdeführer rügen die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel der Angeklagten P. M. hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Das Rechtsmittel des Angeklagten M. M. hat in vollem Umfang Erfolg.

I.

2
1. Nach den Feststellungen war die Angeklagte P. M. ab Mai 2009 als Sachbearbeiterin beim H. kreis im Fachbereich Soziale Dienste tätig. Dort war sie als persönliche Ansprechpartnerin für Langzeitarbeitslose eingesetzt und damit zuständig für die nach dem Zweiten Sozialge- setzbuch (SGB II) zu gewährenden Leistungen zur Eingliederung in Arbeit. Sie hatte Eingliederungsvereinbarungen mit Leistungsberechtigten abzuschließen und in diesem Rahmen über die Teilnahme an Fördermaßnahmen zu entscheiden. Hierzu war die Angeklagte ermächtigt, über ein Budget von 5.000 € je Eingliederungsmaßnahme allein zu entscheiden. Sie konnte sowohl die Maßnahme als auch den ausführenden Träger frei bestimmen. Die Kostenbeträge für die Eingliederungsmaßnahmen, die von den persönlichen Ansprechpartnern bewilligt worden waren, wurden von ihnen nach Leistungserbringung und Rechnungsstellung in ein Datenverarbeitungsprogramm eingegeben und an die Maßnahmeträger per Überweisung ausgezahlt.
3
Die Angeklagte entschloss sich, zur Aufbesserung ihrer Einkünfte die ihr eingeräumten Entscheidungsbefugnisse auszunutzen. Auf ihren Vorschlag hin gründete ihr Ehemann, der Angeklagte M. M. , Anfang Juni 2009 ein Einzelunternehmen unter dem Namen „B. I. H. “ (BIH),für das er unter seiner Wohnanschrift ein Gewerbe anmeldete und ein Konto einrichtete. Danach beauftragte die Angeklagte im Namen des Kreisausschusses des H. kreises das Unternehmen mit der Durchführung von Schulungen für Langzeitarbeitslose. Der Angeklagte M. M. hielt bis Ende September 2009 in eigens dafür angemieteten Räumen Deutsch- und Mathematik-Kurse ab.
4
Um ihre Einkünfte weiter zu steigern, wies die Angeklagte P. M. in der Zeit vom 16. Juni 2009 bis zum 23. März 2010 in 438 Fällen Zahlungen auch für nicht erbrachte Leistungen zu Lasten des H. kreises an (Fälle II. 1-14, 19-23, 26-33, 35-131, 133-142, 147-160, 164-253, 255-267, 273-289, 295-303, 307-319, 322-393 und 397-472 der Urteilsgründe). Sie erstellte in diesem ersten Tatkomplex zunächst für fiktive Leistungen des Unternehmens des Angeklagten M. M. zur Verschleierung ihres Vorgehens im Namen des Kreisausschusses Kostenübernahmen und heftete diese in die Fallakten der Leistungsempfänger. Dort legte die Angeklagte ebenfalls die im Zusammenwirken mit dem Angeklagten M. M. aufgesetzten Scheinrechnungen ab, deren Beträge sie an die BIH überweisen ließ. Einige der insgesamt 74 im gesamten Tatzeitraum an die BIH geleisteten Zahlungen wies sie aufgrund sog. Vorschussrechnungen an, für die nachfolgend Gegenleistungen nicht erbracht wurden; teilweise veranlasste sie Zahlungen an die BIH auch ohne Rechnungen. Außerdem meldete die Angeklagte P. M. im August 2009 selbst ein Gewerbe für „Coaching“ an und gründete in der Folgezeit fünf eigene Schein- unternehmen. Deren Namen verwendete sie ab August 2009 ebenfalls, um Zahlungen für angeblich gegenüber Leistungsempfängern erbrachte Fortbildungsmaßnahmen auf ihre eigenen Konten veranlassen zu können. Auch hier erstellte sie zur Verschleierung ihres Vorgehens KostenübernahmeErklärungen des Kreisausschusses und Scheinrechnungen über fiktive Leistungen.
5
Weiterhin buchte die Angeklagte P. M. in einem zweiten Tatkomplex in der Zeit vom 3. Juli 2009 bis zum 19. März 2010 in 35 Fällen über Datenverarbeitungsprogramme auch Bar-Auszahlungen für Leistungsempfänger (Fälle II. 15-18, 24, 25, 34, 132, 143-146, 161-163, 254, 268-272, 290-294, 304-306, 320, 321, 394-396 und 473 der Urteilsgründe). Den Sachbearbeitern des Fachbereichs Soziale Dienste war die Möglichkeit derartiger Geldauszahlungen zur Beseitigung dringender Notlagen eingeräumt. Die entsprechenden Auszahlungsanordnungen waren nach einem Vier-Augen-Prinzip von einem Sachbearbeiter mit Feststellungsbefugnis und einem Sachbearbeiter mit Anordnungsbefugnis zu unterzeichnen. Die Angeklagte hatte selbst keine der beiden Befugnisse. Aufgrund falscher Angaben zur Notwendigkeit der Auszahlungen und einer nur oberflächlichen Plausibilitätsprüfung auf sachliche und rech- nerische Richtigkeit erlangte die Angeklagte jeweils die beiden erforderlichen Unterschriften. Zur Verschleierung ihres wahren Vorhabens erstellte die Angeklagte auch Aktenvermerke über die angeblich wichtigen Gründe. Die Auszahlungsbeträge wurden jeweils auf Chipkarten aufgeladen, die regulär an die Leistungsempfänger gegen Quittung auszuhändigen gewesen wären. Mit den entsprechend aufgeladenen Karten zog die Angeklagte selbst das Bargeld an den hierfür vorgesehenen Kassenautomaten, die in den Räumen der Dienststelle videoüberwacht aufgestellt waren. Um ihre Vorgehensweise plausibel zu machen, bat sie Ende Juni 2009 ihren Vorgesetzten unter einem Vorwand um die Erlaubnis, selbst anstelle der Hilfeempfänger das Bargeld ziehen zu dürfen. Ihr Vorgesetzter durchschaute ihre wahre Absicht nicht und erhob keine Einwände. Außerdem sorgte sie jeweils für Unterschriften, mit denen sie auf den Auszahlungsanordnungen eine Quittung der angeblichen Zahlungsempfänger über einen Erhalt der Chipkarte vortäuschte. Im Fall 132 fälschte sie hierzu die Unterschrift des betreffenden Leistungsempfängers.
6
Durch die von der Angeklagten P. M. durchgeführten Überweisungen und Barauszahlungen im Rahmen vorgetäuschter Betreuungsmaßnahmen bei insgesamt 120 Leistungsbeziehern entstand in den 473 Fällen dem H. kreis ein Gesamtschaden in einer Höhe von 514.736 €. Dabei be- trug der Schaden in den 74 Fällen, in denen die Angeklagte Überweisungen an die BIH auf das Konto des Angeklagten M. M. für nicht erbrachte Leis- tungen veranlasste, insgesamt 39.190 €.
7
2. Die Angeklagte P. M. hatte sich in der Hauptverhandlung zu den von ihr veranlassten Überweisungen dahin eingelassen, schon kurznach ihrem Dienstantritt ihrem Vorgesetzten, dem Zeugen Ha. , eine Verbesserung der Fördermaßnahmen vorgeschlagen und ihm die Durchführung von Schulungen und Coachings durch das Unternehmen ihres Mannes und durch ein eigenes Unternehmen angeboten zu haben. Anschließend habe ihr der Zeuge Ha. am 8. Juni 2009 per E-Mail bestätigt, dass ein Pilotprojekt durchgeführt werden solle. Die Kosten für die von ihren Firmen noch zu erbringenden Leistungen sollten vorab bis spätestens zum 1. Quartal 2010 zur Abrechnung gebracht werden, um ein befristet zur Verfügung stehendes Budget ausschöpfen zu können. Alle Maßnahmen seien mit dem Zeugen Ha. abgesprochen worden. Sie habe die als Vorschuss in Rechnung gestellten Leistungen nicht mehr wie vorgesehen bis November 2010 erbringen können, weil sie zuvor vom Dienst freigestellt worden sei.
8
Das Landgericht hat diese Darstellung insbesondere aufgrund der sie bestreitenden Aussage des Zeugen Ha. als widerlegt erachtet und eine von der Angeklagten am achten Hauptverhandlungstag vorgelegte Mehrfachkopie einer angeblich durch den Zeugen Ha. versandten E-Mail vom 8. Juni 2009 unter anderem wegen ihres äußeren Erscheinungsbildes als Fälschung angesehen.

II.

9
1. Beide Beschwerdeführer beanstanden mit einer Verfahrensrüge zu Recht eine Verletzung des § 244 Abs. 3 und Abs. 4 Satz 1 StPO. Dies führt hinsichtlich des Angeklagten M. M. zu einer Aufhebung des Urteils insgesamt; die Revision der Angeklagten P. M. hat hinsichtlich ihrer Verurteilung wegen Untreue in den 438 im Tenor benannten Fällen im ersten Tatkomplex Erfolg.
10
a) Der Verfahrensrüge liegt folgender Verfahrensgang zugrunde: Im Hauptverhandlungstermin vom 21. Februar 2012 hatte dieAngeklagte P. M. die Einholung eines Sachverständigengutachtens unter anderem be- züglich des sicherzustellenden und technisch zu untersuchenden Dienstcomputers des Zeugen Ha. zum Beweis für die Tatsache beantragt, dass auf diesem Dienstcomputer eine von dem Zeugen an die Angeklagte gerichtete E-Mail vom 8. Juni 2009 gespeichert oder gespeichert gewesen sei, aber inzwischen gelöscht worden sei. Das Landgericht wies diesen Beweisantrag mit der Be- gründung zurück, dass „das Beweisthema auf bloßen Vermutungen beruht“. Im Hauptverhandlungstermin vom 5. April 2012 wandte sich der Verteidiger mit einem erneuten Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur technischen Untersuchung des Dienstcomputers des Zeugen Ha. gegen diese Ablehnungsbegründung des Landgerichts und wiederholte der Sache nach den ersten Beweisantrag. Das Landgericht wies den Antrag erneut zu- rück, nunmehr mit der Begründung, dass „die Kammer die Beweisfrage aus eigener Sachkunde beurteilen kann“.
11
b) Die Verfahrensrüge ist jeweils zulässig erhoben.
12
Die Revisionen haben dieBeweisanträge der Angeklagten P. M. und ihres Verteidigers sowie die Ablehnungsentscheidungen des Landgerichts mitgeteilt und damit die zur Nachprüfung des Verfahrensmangels erforderlichen Tatsachen im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO angegeben. Für die Rüge der fehlerhaften Ablehnung von Beweisanträgen genügen dieser Darlegungslast grundsätzlich schon eine Wiedergabe des Antrags und des Ablehnungsbeschlusses sowie eine Mitteilung der Tatsachen, aus denen sich die Fehlerhaftigkeit des Beschlusses ergibt (vgl. BGH, Urteil vom dem 24. Juli 1998 - 3 StR 78/98, NJW 1998, 3284; Becker in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 372).
13
Da sich hier die Fehlerhaftigkeit der gerichtlichen Ablehnungsbeschlüsse schon aus deren Begründung ergab, bedurfte es der Darlegung weiterer Tatsa- chen nicht. Insbesondere war zur Nachprüfung der Ablehnungsbeschlüsse eine Kenntnis einer E-Mail vom 29. Juni 2009 und eines Beweisantrags Nr. 10 vom 22. März 2012 nicht erforderlich, deren Inhalte die Revision zur Begründung der Beweisantragsrüge in Bezug genommen, aber in ihrem unmittelbaren Kontext nicht mitgeteilt hat. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts verletzt es auch nicht die strengen Formerfordernisse des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, dass von den Beschwerdeführern die angeblich von dem Zeugen Ha. an die Angeklagte gesandte E-Mail vom 8. Juni 2009, auf die sich die Beweisanträge beziehen, unter Wiedergabe ihres genauen Wortlauts und äußeren Erscheinungsbildes lediglich in einem gesonderten Schriftsatz als Anlage zu den Revisionsbegründungsschriften mitgeteilt wird. Denn die von den Beweisanträgen in Bezug genommene Kopie einer E-Mail vom 8. Juni 2009, deren Inhalt ohnehin sinngemäß in dem von der Revision im unmittelbaren Zusammenhang mit der Beweisantragsrüge mitgeteilten Beweisantrag Nr. 1 vom 21. Februar 2012 wiedergegeben worden ist, hat Bedeutung allein für die Frage des Beruhens nach § 337 Abs. 1 StPO. Zum Beruhen des Urteils auf der fehlerhaften Ablehnung muss die Revision jedoch regelmäßig nicht vortragen (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juli 1998 - 3 StR 78/98, aaO; Beschluss vom 24. Januar 2010 - 1 StR 587/09; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 344 Rn. 27; Becker, aaO).
14
c) Die Verfahrensrüge ist auch begründet. Die Anträge genügen den an einen Beweisantrag zu stellenden Anforderungen. Ihre Ablehnung durch die Strafkammer hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
15
Zwar muss einem in die Form eines Beweisantrags gekleideten Beweisbegehren nach bisheriger Rechtsprechung ausnahmsweise nicht oder allenfalls nach Maßgabe der Aufklärungspflicht nachgegangen werden, wenn die Beweisbehauptung ohne jeden tatsächlichen Anhaltspunkt und ohne jede begrün- dete Vermutung aufs Geratewohl ins Blaue hinein aufgestellt wurde, so dass es sich nur um einen nicht ernstlich gemeinten, zum Schein gestellten Beweisantrag handelt. Für die Beurteilung, ob ein aufs Geratewohl gestellter Antrag vorliegt , ist die Sichtweise eines verständigen Antragstellers entscheidend. Es kommt nicht darauf an, ob das Tatgericht eine beantragte Beweiserhebung für erforderlich hält (vgl. Senat, Beschlüsse vom 5. März 2003 - 2 StR 405/02, NStZ 2003, 497; vom 23. März 2008 - 2 StR 549/07, NStZ 2008, 474; BGH, Beschlüsse vom 10. November 1992 - 5 StR 474/92, NStZ 1993, 143; vom 2. Februar 2002 - 3 StR 482/01, StV 2002, 233; Urteil vom 13. Juni 2007 - 4 StR 100/07, NStZ 2008, 52, 53; Meyer-Goßner, aaO, § 244 Rn. 20 mwN; ein Festhalten an der bisherigen Rechtsprechung offen lassend BGH, Beschlüsse vom 19. September 2007 - 3 StR 354/07, StV 2008, 9, vom 20. Juli 2010 - 3 StR 218/10, Strafo 2010, 466, und vom 3. November 2010 - 1 StR 497/10, NJW 2011, 1239, 1240; kritisch gegenüber der bisherigen Rechtsprechung auch Becker, aaO, Rn. 112; Fischer in Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Aufl., § 244 Rn. 72).
16
Jedoch lässt sich selbst nach den Maßstäben der bisherigen Rechtsprechung entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts die Beweisbehauptung nicht als aufs Geratewohl aufgestellt ansehen. Die Anträge knüpften an eine zur Akte gereichte Kopie der in Frage stehenden E-Mail vom 8. Juni 2009 an. Die Beweisbehauptung hatte somit einen tatsächlichen Anhaltspunkt und konnte schon deshalb ungeachtet der zahlreichen Umstände, die vom Landgericht auch erst nach Würdigung des gesamten Beweisergebnisses in den Urteilsgründen gegen die Authentizität der E-Mail angeführt worden sind, nicht als nicht ernstlich gemeint gewertet werden. Jedenfalls hat das Landgericht mit seiner zur Begründung des ersten Ablehnungsbeschlusses angeführten Erwägung, dass das Beweisthema auf bloßen Vermutungen beruhe, die Grenzen der vorgenannten Rechtsprechung missachtet. Danach kann es dem Antragsteller grundsätzlich nicht verwehrt sein, auch solche Tatsachen zum Gegenstand eines Beweisantrags zu machen, deren Richtigkeit er lediglich vermutet oder für möglich hält (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 3. August 1966 - 2 StR 242/66, BGHSt 21, 118, 125; vom 17. September 1982 - 2 StR 139/82, NJW 1983, 126, 127; Beschlüsse vom 10. November 1992 - 5 StR 474/92, aaO; vom 2. Februar 2002 - 3 StR 482/01, aaO; vom 4. April 2006 - 4 StR 30/06, NStZ 2006, 405; Fischer, aaO, Rn. 73 mwN).
17
Auch soweit das Landgericht den der Sache nach wiederholten Beweisantrag mit seiner zweiten Entscheidung unter Berufung auf eigene Sachkunde zurückgewiesen hat, hat es sich, worauf bereits der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend hingewiesen hat, auf einen untauglichen Ablehnungsgrund gestützt. Dem Senat ist nicht bekannt, ob überhaupt eine technische Untersuchung des betreffenden Computers erfolgte und hierdurch entsprechende Befundtatsachen festgestellt wurden. Schon deshalb ist nicht zu erkennen, dass die Beurteilung der Beweisbehauptung nicht mehr als Allgemeinwissen erfordert hätte. Da im Übrigen schon die Feststellung, ob sich bestimmte Daten bzw. deren Spuren auf den Speichermedien eines Computers befinden, spezifisches Fachwissen erfordert, das nicht Allgemeingut von Richtern ist, hätte die eigene Sachkunde einer näheren Darlegung bedurft (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 1958 - 4 StR 211/58, BGHSt 12, 18, 20; Beschluss vom 26. April 2000 - 3 StR 152/00, StV 2001, 665). Eine solche ist auch den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.
18
d) Auf der danach rechtsfehlerhaften Ablehnung der Beweisanträge können die Verurteilung der Angeklagten P. M. wegen Untreue in den 438 im Tenor benannten Fällen im ersten Tatkomplex und die Verurteilung des Angeklagten M. M. wegen Beihilfe zur Untreue beruhen. Das Landgericht hat der Tatsache, dass der Zeuge Ha. bestritten hat, die fragliche E- Mail vom 8. Juni 2009 geschrieben zu haben, und dem Umstand, dass es sich bei der von der Verteidigung vorgelegten E-Mail-Kopie offensichtlich um eine Fälschung gehandelt habe, maßgebliche Bedeutung für die Widerlegung der Einlassung der Angeklagten P. M. beigemessen. Der Senat kann daher nicht ausschließen, dass das Landgericht zu einer abweichenden Überzeugungsbildung gelangt wäre, wenn es den beantragten Beweis erhoben und sich dabei die Beweisbehauptung bestätigt hätte. In diesem Fall wäre ein tragendes Argument der Beweiswürdigung der Kammer entfallen.
19
2. Die Aufhebung der Verurteilung der Angeklagten P. M. in den vorgenannten Fällen zieht die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe und über die Feststellung gemäß § 111i Abs. 2 StPO nach sich.
20
3. Weiterhin führt die Revision der Angeklagten P. M. mit der Sachrüge in den 35 im Tenor benannten Fällen im zweiten Tatkomplex zu einer Änderung des Schuldspruchs.
21
a) Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen insoweit nicht die Verurteilung der Angeklagten wegen Untreue.
22
Das Landgericht hat zwar rechtsfehlerfrei dargelegt, dass die Angeklagte in ihrer Funktion als persönliche Ansprechpartnerin für Langzeitarbeitslose ihrem Dienstherrn gegenüber vermögensbetreuungspflichtig im Sinne von § 266 StGB war, soweit es um die ihr zur eigenständigen Entscheidung übertragene Zuweisung von Langzeitarbeitslosen in Eingliederungs- und Fördermaßnahmen ging. Insoweit bildete die fremdnützige Vermögensfürsorge einen Hauptgegenstand ihres Dienstauftrags, bei dessen Wahrnehmung sie bis zu der Betrags- grenze von 5.000 € die Möglichkeit zur verantwortlichen Entscheidung inner- halb eines Ermessensspielraums hatte (vgl. zu den Voraussetzungen einer Vermögensbetreuungspflicht nach st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 13. Sep- tember 2010 - 1 StR 220/09, BGHSt 55, 288, 297 f. mwN und vom 3. Mai 2012 - 2 StR 446/11, NStZ 2013, 40).
23
Zu dem Bereich der von der Angeklagten selbstständig und eigenverantwortlich wahrgenommenen Aufgaben zählten jedoch nicht die für akute Notfälle vorgesehenen Bargeldauszahlungen an Langzeitarbeitslose, und zwar auch nicht hinsichtlich der rein technischen Abwicklung der Auszahlungen durch die allein bei den Sachbearbeitern liegende Aushändigung der ChipGeldkarten an die Leistungsempfänger, die das Landgericht bei seiner rechtlichen Bewertung in den Blick genommen hat. Für solche Auszahlungen hatte die Angeklagte weder eine Feststellungs- noch eine Anordnungsbefugnis, sondern sie benötigte die Unterschriften von zwei hierzu ermächtigten Sachbearbeitern bzw. Teamleitern, die aufgrund ihrer Angaben zur Notwendigkeit einer Barauszahlung deren sachliche und rechnerische Richtigkeit zu prüfen hatten. Nur durch Täuschung dieser Dienststellenmitarbeiter erlangte die Angeklagte die von ihnen unterzeichneten Auszahlungsanordnungen, auf deren Grundlage sie über ein elektronisches Zahlungssystem jeweils die Aufladungen der Geldkarten vornehmen konnte. Mit der erschlichenen Aufladung der Geldkarten, mit denen sie unmittelbar die zugewiesenen Beträge abheben konnte, war der Vermögensschaden des H. kreises auch bereits eingetreten.
24
b) Diese Täuschungen gegenüber den feststellungs- und anordnungsbefugten Sachbearbeitern über angeblich bei Leistungsbeziehern aufgetretene Notfälle und die hierdurch bewirkte Unterzeichnung der Anordnung von Bargeldauszahlungen , die sie anschließend für sich selbst vereinnahmte, begründen stattdessen eine Strafbarkeit der Angeklagten wegen Betruges nach § 263 Abs.1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 4 StGB.
25
Der Senat hat daher in analoger Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO den Schuldspruch entsprechend geändert. § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen. Der Senat schließt aus, dass die Angeklagte sich bei Erteilung eines entsprechenden rechtlichen Hinweises in tatsächlicher Hinsicht anders verteidigt hätte. Becker Fischer Appl Berger Krehl

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 121/16
vom
9. August 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Untreue
ECLI:DE:BGH:2016:090816U1STR121.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. August 2016, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Graf als Vorsitzender,
die Richterin am Bundesgerichtshof Cirener, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Radtke, Prof. Dr. Mosbacher und die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Fischer,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – , Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 9. Oktober 2015 wird mit der Maßgabe verworfen, dass unter Aufhebung des Ausspruchs über einen Vollstreckungsabschlag in Höhe von acht Monaten von der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe weitere zwei Monate der Strafe als vollstreckt gelten.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Der Angeklagte war im ersten Rechtsgang wegen Untreue in 567 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Davon hatte das Landgericht sechs Monate wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung für vollstreckt erklärt. Dieses Urteil hatte der Senat auf die Revision des Angeklagten mit Beschluss vom 23. Februar 2012 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2
Die nunmehr zuständige Strafkammer hat den Angeklagten wegen der vorgenannten Taten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und davon (insgesamt) acht Monate als vollstreckt erklärt.
3
Die auf sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg.

I.

4
Das Landgericht ist von folgenden Feststellungen und Wertungen ausgegangen :
5
1. Nach den für die jetzt zuständige Strafkammer bindenden, im ersten Rechtsgang getroffenen Feststellungen zum Schuldspruch folgte der Angeklagte seinem Vater im Jahr 1993 als Geschäftsführer der G. GmbH nach. Bei dieser Gesellschaft handelte es sich um die Komplementär -GmbH der als Familiengesellschaft geführten L. GmbH & Co. KG. Zwischen 2002 und 2005 entzog der Angeklagte auf unterschiedliche Weise jeweils pflichtwidrig durch 567 Einzelhandlungen dem Vermögen der Kommanditgesellschaft rund 5,4 Mio. Euro. Einen Teil dieses Betrages, den er u.a. für teils hochspekulative Wertpapiergeschäfte aber auch für die Teilnahme an Glücksspielen eingesetzt hatte, führte er später an das Gesellschaftsvermögen zurück.
6
Der Senat hob das im ersten Rechtsgang ergangene Urteil im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen auf, weil die zuständige Strafkammer unberücksichtigt gelassen hatte, dass nach der Rechtsprechung der Strafsenate des Bundesgerichtshofs bei § 266 StGB zu Lasten des Gesamthandsvermögens einer Kommanditgesellschaft ein Vermögensnachteil lediglich in dem Umfang eintreten soll, in dem auch die Vermögen der Gesellschafter betroffen sind. Hinsichtlich der Untreue des Angeklagten war dies nicht bezüglich der gesamten Entnahmen, sondern lediglich insoweit der Fall, als es sich um die Vermögen derjenigen Kommanditisten handelte, die nicht in einer von § 247 StGB privilegierten Beziehung zum Angeklagten standen. Dies betraf lediglich Kommanditanteile im Gesamtumfang von 48 %.
7
2. Nach den ergänzenden Feststellungen der jetzt zuständigen Strafkammer schlossen die an der L. GmbH & Co. KG beteiligten Kommanditisten unter Mitwirkung des Angeklagten im Oktober 2011 eine notarielle Rahmenvereinbarung zur Neuordnung der gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse mit dem Ziel, die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft sicher- und den Familienfrieden innerhalb der Familie Le. wiederherzustellen. Aufgrund dieser Vereinbarung schieden u.a. der Angeklagte und seine Kinder, aber auch seine Mutter, als Gesellschafter aus. Die Kommanditgesellschaft verzichtete auf etwaige Ansprüche gegen den Angeklagten aufgrund seiner als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH begangenen Pflichtverletzungen. Er verzichtete seinerseits auf ein ihm übertragenes Wohnrecht an einem näher bezeichneten Grundstück. Den Wert dieses Rechts hat das Landgericht mit sachverständiger Beratung auf 560.000 Euro geschätzt.
8
3. Für die Strafzumessung hat das Landgericht lediglich einen strafrechtlich bedeutsamen Nachteil im Umfang von 48 % der dem Gesellschaftsvermögen entzogenen Beträge, mithin rund 2,6 Mio. Euro, zugrunde gelegt. Es ist im Hinblick auf das verwirklichte, über § 266 Abs. 2 StGB anwendbare Regelbeispiel aus § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB grundsätzlich von dem durch § 266 Abs. 2, § 263 Abs. 3 eröffneten Strafrahmen ausgegangen. Lediglich bei den 26 Taten mit einem – unter Berücksichtigung der vorstehend angesprochenen „48 %-Grenze“ – unter 100 Euro liegenden Vermögensnachteil ist es nicht von der Regelwirkung ausgegangen. Eine Verschiebung der damit jeweils eröffneten Strafrahmen über § 46a Nr. 2, § 49 Abs. 1 StGB ist von der Strafkammer nicht vorgenommen worden.
9
4. Seiner Entscheidung über die Kompensation für eine eingetretene rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung hat das Landgericht eine insgesamt eingetretene Verzögerung von drei Jahren und zehn Monaten zugrunde gelegt. Davon entfallen zwei Jahre und drei Monate auf das Verfahren vor dem Urteil des Landgerichts im ersten Rechtsgang. Dafür waren bereits sechs Monate der dort verhängten Strafe in dem im ersten Rechtsgang ergangenen Urteil für vollstreckt erklärt worden. Die nach diesem Urteil eingetretene Verzögerung hat das Landgericht unter näherer Darlegung mit einem Jahr und sieben Monaten bemessen. Unter Berücksichtigung der Dauer des gesamten Verfahrens sowie der damit für den Angeklagten verbundenen Belastungen ist es davon ausgegangen , dass allein eine Berücksichtigung der Gesamtverzögerung bei der Strafzumessung im engeren Sinne zur Kompensation nicht genügt und hat insgesamt acht Monate der nunmehr verhängten Freiheitsstrafe für vollstreckt erklärt.

II.

10
Die Revision des Angeklagten, die die Nichtanwendung der §§ 63 ff. StGB vom Angriff ausgenommen hat, bleibt in der Sache ohne Erfolg (nachfolgend 1. - 4.). Der Strafausspruch und die Entscheidung über die Kompensation für eine eingetretene Verfahrensverzögerung weisen keine dem Angeklagten im Ergebnis nachteiligen Rechtsfehler auf. Allerdings bedarf es der Klarstellung des durch das hier angefochtene Urteil angeordneten Umfangs des als vollstreckt geltenden Teils der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe (nachfolgend 5.).
11
1. Soweit die Revision geltend macht, es bestünden u.a. aufgrund des langen Zeitablaufs seit Begehung der Taten und des vollständig abgeschlossenen erfolgreichen Resozialisierungsprozesses des Angeklagten keine präventiven Strafzwecke und damit kein Strafbedürfnis mehr, erfasst sie die Bedeu- tung der Kriminalstrafe nicht vollständig. Diese ist im Gegensatz zur reinen Präventionsmaßnahme dadurch gekennzeichnet, dass sie – wenn nicht ausschließlich , so doch auch – auf gerechte Vergeltung für ein rechtlich verbotenes Verhalten abzielt. Mit der Strafe wird dem Täter ein sozialethisches Fehlverhalten vorgeworfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2004 – 2 BvR 564/95, BVerfGE 110, 1, 13 und Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168, 198). Die verfassungsrechtliche Legitimität der Verhängung und Vollstreckung von Strafe folgt bereits aus dem Umstand, dass dem jeweiligen Täter die Begehung der Straftat als Fehlverhalten individuell vorgeworfen werden kann (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 9. Juli 1997 – 2 BvR 1371/96, BVerfGE 96, 245, 249). Die konkret verhängte Strafe muss dabei von Verfassungs wegen in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Verschulden des Täters stehen (vgl. BVerfG jeweils aaO, BVerfGE 96, 245, 249 und BVerfGE 133, 168, 198).
12
Angesichts des festgestellten erheblichen Ausmaßes des vom Angeklagten schuldhaft verursachten Unrechts bestehen an der Berechtigung und der Notwendigkeit der Verhängung von Strafe gegen ihn keinerlei Zweifel. Die verhängte Strafe löst sich auch nicht davon, gerechter Schuldausgleich zu sein.
13
2. Die Bestimmung der jeweils herangezogenen Strafrahmen durch das Landgericht ist durchgängig rechtsfehlerfrei.
14
a) Es ist nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer in sämtlichen verfahrensgegenständlichen Fällen mit einem – untreuestrafrechtlich relevanten – Vermögensnachteil von über 100 Euro vom Strafrahmen gemäß § 266 Abs. 2 i.V.m. § 263 Abs. 3 StGB ausgegangen ist. Die Feststellungen tragen ohne wei- teres die Annahme des Regelbeispiels „gewerbsmäßig“ nach § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB. Auch die Erwägungen, mit denen das Landgericht an der Regelwirkung festgehalten hat, halten rechtlicher Prüfung stand. Möglicherweise zum Wegfall des erhöhten Strafrahmens führende vertypte Milderungsgründe sind durch das Landgericht rechtsfehlerfrei verneint worden.
15
aa) Sachverständig beraten hat die Strafkammer bei dem Angeklagten für den Tatzeitraum zwar pathologisches Spielen (ICD-10: F 63.0) angenommen , aber anhand rechtlich zutreffender Maßstäbe die Voraussetzungen des Eingangsmerkmals der schweren anderen seelischen Abartigkeit i.S.v. § 20 StGB verneint.
16
bb) Auch die Ablehnung der Voraussetzungen eines Täter-OpferAusgleichs gemäß § 46a StGB trotz des Abschlusses der notariellen Rahmenvereinbarung vom 25. Oktober 2011 enthält keine dem Angeklagten nachteiligen Rechtsfehler. Das gilt sowohl im Hinblick auf den von der Strafkammer näher erörterten § 46a Nr. 2 StGB als auch auf den hier nicht einschlägigen § 46a Nr. 1 StGB.
17
(1) Das Landgericht hat die Bedeutung dieser Vereinbarung für einen Täter -Opfer-Ausgleich rechtlich zutreffend allein anhand von § 46a Nr. 2 StGB erörtert. Obwohl § 46a StGB nach seinem Wortlaut an sich in beiden Varianten für alle Delikte in Frage kommt, können sich aus den unterschiedlichen tatbestandlichen Voraussetzungen von Nummern 1 und 2 jeweils Beschränkungen im Anwendungsbereich ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Mai 1995 – 5 StR 156/95, NStZ 1995, 492). Dementsprechend versteht der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung § 46a Nr. 2 StGB als Regelung über den TäterOpfer -Ausgleich, die an den Ausgleich der durch die Tat entstandenen materiellen Schäden anknüpft (etwa BGH, Urteile vom 12. Januar 2012 – 4 StR 290/11, NStZ 2012, 439 f.; vom 8. August 2012 – 2 StR 526/11, NStZ 2013, 33f. und vom 4. Dezember 2014 – 4 StR 213/14, BGHSt 60, 84 ff.). Der Täter-Opfer- Ausgleich nach dieser Vorschrift verlangt auf der Seite der Opfer, dass sie „ganz oder zum überwiegenden Teil“ entschädigtworden sind sowie täterseitig „erhebliche persönliche Leistungen oder persönlichen Verzicht“. Damit eine er- folgte Schadenswiedergutmachung ihre friedenstiftende Wirkung entfalten kann, muss der Täter einen über eine rein rechnerische Kompensation hinausgehenden Beitrag erbringen. Dafür genügt die Erfüllung von Schadensersatzansprüchen allein nicht. Vielmehr muss sein Verhalten Ausdruck der Übernahme von Verantwortung sein (st. Rspr.; etwa BGH, Beschluss vom 20. Januar 2010 – 1 StR 634/09, NStZ-RR 2010, 147; BGH, Urteil vom 11. Februar 2009 – 2 StR 339/08, StV 2009, 405 jeweils mwN; vgl. auch BGH, Urteil vom 5. März 2014 – 2 StR 496/13 Rn. 14). Mit diesen Anforderungen wird den Vorstellungen des Gesetzgebers entsprochen, einen Täter-Opfer-Ausgleich dann anzunehmen , wenn die vollständige oder wenigstens teilweise Entschädigung des Opfers durch die persönliche Leistung oder den persönlichen Verzicht des Täters die materielle Entschädigung möglich geworden ist (siehe BT-Drucks. 12/6853 S. 22 sowie BGH, Beschluss vom 20. Januar 2010 – 1 StR 634/09, NStZ-RR 2010, 147).
18
(2) Diese Maßstäbe hat das Landgericht ohne Rechtsfehler auf die festgestellten Umstände der notariellen Rahmenvereinbarung angewendet.
19
Der Verzicht des Angeklagten auf ein ihm eingeräumtes Wohnrecht im Wert von 560.000 Euro begründet die Voraussetzungen des § 46a Nr. 2 StGB nicht. Werden wie hier mehrere Opfer durch die Straftat betroffen, muss hinsichtlich jedes Geschädigten jedenfalls eine der beiden Alternativen des § 46a StGB erfüllt sein (BGH, Urteile vom 12. Januar 2012 – 4 StR 290/11, NStZ 2012, 439 f. und vom 5. März 2014 – 2 StR 496/13, BGHR StGB § 46a Nr. 1 Ausgleich 10 mwN). Ein materieller Schadensausgleich gegenüber dem Familienstamm H. (zu dem neben diesem noch M. und La. gehören, UA S. 13) hat nicht stattgefunden. Da der Vermögensnachteil bei Untreuehandlungen zu Lasten des Vermögens von Personenhandelsgesellschaften nach einer originär strafrechtlichen Wertung nur dann untreuestrafrechtlich relevant sein soll, wenn auch die Vermögen der Gesellschafter (hier: der Kommanditisten) berührt sind (siehe nur BGH, Urteil vom 10. Juli 2013 – 1 StR 532/12, NJW 2013, 3590, 3593 mwN; dazu Ch. Brand NJW 2013, 3594 f. und ausführlich Karsten Schmidt JZ 2014, 878 ff.), bedurfte es für die Anwendung von § 46a Nr. 2 StGB der wenigstens teilweisen Wiedergutmachung gegenüber allen geschädigten Gesellschaftern.
20
Anhaltspunkte für das Eingreifen von § 46a Nr. 1 StGB in Bezug auf diese durch die Untreuetaten Verletzten bestehen ungeachtet des mit der Rahmenvereinbarung auch verfolgten Ziels, den Familienfrieden wiederherzustellen , nicht. Zwar sind immaterielle Schäden aufgrund der Begehung von Vermögensdelikten nicht von vornherein ausgeschlossen (BGH, Urteil vom 8. August 2012 – 2 StR 526/11, NStZ 2013, 33, 34 mwN). Wie sich aus der geschlossenen Rahmenvereinbarung ergibt, deren wesentliche Inhalte das angefochtene Urteil mitteilt, stand bei dieser jedoch die materielle Neuordnung der Verhältnisse der L. GmbH & Co. KG im Vordergrund. So ist etwa das Ausscheiden der Mutter des Angeklagten und seiner Kinder aus dem Kreis der Gesellschafter jeweils gegen Abfindungen (teils in Geld/teils in Gestalt von Eigentum an Wohnimmobilien) erfolgt. Die den Angeklagten selbst unmittelbar berührenden Regelungen der Vereinbarung sind vorrangig ebenfalls solche einer materiellen Auseinandersetzung. Seinem Verzicht auf das angesprochene Wohnrecht steht der Verzicht der Gesellschaft auf Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit Pflichtwidrigkeiten des Angeklagten als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH gegenüber. Die Beseitigung immaterieller Schäden war nicht wesentliches Ziel der Vereinbarung. Gelangt damit auch § 46a Nr. 1 StGB nicht zur Anwendung, fehlt es hinsichtlich eines Teils der Geschädigten, näm- lich den Angehörigen des Familienstamms H. , an den Voraussetzungen beider Alternativen des Täter-Opfer-Ausgleichs.
21
Darüber hinaus sind auch die übrigen Erwägungen der Strafkammer zur Nichtanwendung von § 46a Nr. 2 StGB nicht zu beanstanden. Bei dem – zudem mindestens teilweise entgoltenen – Verzicht der Mutter des Angeklagten handelt es sich nicht um eine persönliche Leistung oder einen persönlichen Verzicht des Angeklagten. Die Einigung zwischen den Beteiligten der notariellen Vereinbarung, die dem Angeklagten 1986 durch Gesellschafterbeschluss zugesagte Altersvorsorge könne nicht mehr eintreten (UA S. 8), kann sich unabhän- gig davon, ob der „Verzicht“ der Gesellschaft oder den Gesellschaftern zu Gute käme, nicht als für § 46a Nr. 2 StGB bedeutsame persönliche Leistung oder persönlicher Verzicht erweisen. Denn zugesagte Ruhegeldansprüche können ohnehin versagt werden, wenn es an der erwarteten Gegenleistung für die versprochenen Ansprüche fehlt. Das kommt namentlich dann in Betracht, wenn der Anspruchsberechtigte unter Missbrauch seiner Stellung im Unternehmen, aus dessen Erträgen diese Ansprüche bestritten werden sollen, fortgesetzt schädigt und dadurch dessen wirtschaftliche Grundlage gefährdet (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 1983 – II ZR 71/83, BB 1984, 366, 367 f.). Diese Voraussetzungen lagen nach den bereits im ersten Rechtsgang zum Schuldspruch getroffenen Feststellungen nahe.
22
(3) Entgegen der Auffassung der Revision bedurfte es eines ausdrücklichen Eingehens auf § 46a Nr. 1 StGB nicht (soweit UA S. 14 oben „§ 46a Ziff. 1 StGB“ genannt wird, handelt es sich um ein Schreibversehen, wie aus dem Ab- stellen auf die persönliche Leistung oder den persönlichen Verzicht ersichtlich ist). Aus den bereits genannten Gründen ging es nicht primär um den Ausgleich durch die Vermögensstraftaten möglicherweise verursachte immaterielle Schäden bei den geschädigten Gesellschaftern.
23
b) Da nach dem Vorstehenden vertypte Milderungsgründe nicht vorliegen , hat das Landgericht für die 26 Taten mit einem unter 100 Euro liegenden untreuestrafrechtlich bedeutsamen Vermögensnachteil der Gesellschafter die Strafen beanstandungsfrei dem nicht gemilderten Strafrahmen des § 266 Abs. 1 StGB entnommen.
24
3. Die Bemessung der Einzelstrafen ist ohne Rechtsfehler erfolgt. Das gilt auch für die Verhängung von Strafen von je einem Monat in drei Fällen unter 30 Euro und von je drei Monaten in 23 Fällen von über 30 aber unter 100 Euro liegenden Vermögensnachteilen. Das Landgericht hat die Unerlässlichkeit kurzer Freiheitsstrafen im Sinne von § 47 StGB in den genannten Fällen mit der systematischen und mit hoher kriminellen Energie verbundenen Vorgehensweise des Angeklagten sowie der Begehung einer Vielzahl von Taten über einen langen Zeitraum hinweg begründet (UA S. 15). Weiterer Ausführungen zu den Voraussetzungen des § 47 StGB bedurfte es vorliegend nicht. Eine eng zusammenhängende umfangreiche Serie von Vermögensdelikten lässt schon für sich die Notwendigkeit einer entsprechenden Einwirkung auf den Täter deutlich zu Tage treten (vgl. BGH, Urteil vom 8. April 2004 – 3 StR 465/03, NStZ 2004, 554 mwN).
25
Die Strafkammer durfte angesichts der Gesamtserie der von dem Angeklagten verübten Straftaten bereits bei der Bemessung der Einzelstrafen den vorwerfbar verursachten Gesamtschaden in den Blick nehmen (BGH, Urteil vom 22. Mai 2012 – 1 StR 103/12, NStZ 2012, 637, 639 mwN). Für die „Befürchtung“ der Revision, das Landgericht könne eigentlich von einem oberhalb von 2,6 Mio. Euro liegenden berücksichtigungsfähigen Vermögensnachteil ausgegangen sein, bietet das angefochtene Urteil keinen Anlass. Im Übrigen ergaben die bindenden Feststellungen im ersten Rechtsgang, dass der Angeklagte dem Gesellschaftsvermögen der Kommanditgesellschaft über 5,4 Mio. Euro entzogen hat. Lediglich im Hinblick auf die – der gesellschaftsrechtlichen Rechtsstellung der Kommanditgesellschaft möglicherweise nicht (mehr) vollständig gerecht werdenden – Rechtsprechung der Strafsenate zur Untreue zu Lasten von Personenhandelsgesellschaften (BGH, Urteil vom 10. Juli 2013 – 1 StR 532/12, NJW 2013, 3590, 3593 mwN; krit. mit bedenkenswerten Erwä- gungen Karsten Schmidt JZ 2014, 878 ff.) war untreuestrafrechtlich allein von einem die Vermögen nur eines Teils der Kommanditisten betreffenden Vermögensnachteil auszugehen.
26
4. Die Gesamtstrafenbildung weist ersichtlich keine Rechtsfehler auf. Von der oberen Grenze der rechtlich zulässigen Gesamtstrafe ist die konkret verhängte Strafe weit entfernt. Entgegen der Auffassung der Revision bestand daher keinerlei erhöhter Begründungsbedarf an die Bestimmung der Höhe der Gesamtstrafe.
27
5. Die Entscheidung des Landgerichts über die Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung enthält keine dem Angeklagten nachteiligen Rechtsfehler, bedarf aber der aus der Urteilsformel ersichtlichen – in der Sache klarstellenden – Neufassung.
28
a) Die Strafkammer hat zwar übersehen, dass sie lediglich über eine Kompensation für eine nach Urteil im ersten Rechtsgang eingetretene Verfahrensverzögerung zu entscheiden hatte. Denn der Aufhebungsbeschluss des Senats vom 23. Februar 2012 betraf lediglich den Strafausspruch und die zugrunde liegenden Feststellungen. Dazu gehört die Entscheidung über die Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung durch die Anordnung , dass ein Teil der Strafe als vollstreckt gilt, nicht (BGH, Beschluss vom 18. Februar 2014 – 3 StR 381/13; siehe auch BGH, Urteil vom 27. August 2009 – 3 StR 250/09, BGHSt 54, 135 und BGH, Beschluss vom 25. November 2015 – 1 StR 79/15, NStZ 2016, 428, 429). Der Senat hat die Kompensationsent- scheidung der im ersten Rechtsgang zuständigen Strafkammer gerade aufrechterhalten. Dementsprechend war im hier angefochtenen Urteil lediglich noch über eine Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung nach dem ersten Urteil vom 20. Mai 2011 zu entscheiden.
29
b) Dass das Landgericht eine einheitliche, auf die gesamte Verfahrensdauer bezogene Entscheidung über die Kompensation für Verfahrensverzögerungen getroffenen hat, wirkt sich nicht zu Lasten des Angeklagten aus. Die Strafkammer hat die vor dem Urteil des Landgerichts vom 10. Mai 2011 eingetretene rechtsstaatswidrige Verzögerung in Übereinstimmung mit den Feststellungen dieses Urteils als zwei Jahre und drei Monate umfassend zugrunde gelegt. Die nach diesem Urteil entstandene Verzögerung hat es unter näherer Darlegung der einzelnen Zeiträume mit insgesamt einem Jahr und sieben Monaten bemessen. Es ist nicht rechtsfehlerhaft, die darauf entfallende Kompensation – über die Berücksichtigung bei der Strafzumessung hinaus – mit rechnerisch zwei Monaten zu bemessen und sich dabei an der Gesamtverfahrensdauer sowie den mit dem Verfahren verbundenen Belastungen für den nicht inhaftierten Angeklagten zu orientieren. Diese sind für den Angeklagten nach dem Eintritt der Rechtskraft des Schuldspruchs durch den Beschluss des Senats vom 23. Februar 2012 nicht mehr in gleicher Weise gegeben wie vor dem Urteil im ersten Rechtsgang (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Mai 2016 – 5 StR 186/16 Rn. 3).
30
c) Da der Ausspruch im landgerichtlichen Urteil vom 20. Mai 2011, dass sechs Monate der (dort) verhängten Gesamtstrafe als vollstreckt gelten, bereits in Rechtskraft erwachsen war, konnte das Landgericht im hier angefochtenen Urteil lediglich noch über die zusätzliche Kompensation für die danach eingetretenen Verzögerungen entscheiden. Wie sich aus dem Vergleich der bereits durch die im ersten Rechtsgang zuständigen Strafkammer angeordneten Kompensation (sechs Monate) und der durch den jetzt zuständigen Tatrichter ausgesprochenen Gesamtkompensation (acht Monate) ergibt, ist Letzterer von einem Ausgleich von zwei Monaten für die nach dem Urteil vom 20. Mai 2011 eingetretenen Verzögerungen ausgegangen. Der Anregung des Generalbundesanwalts folgend hat der Senat eine entsprechende Klarstellung des Tenors des angefochtenen Urteils vorgenommen. Aufgrund des insoweit bereits rechtskräftigen Tenors des Urteils vom 20. Mai 2011 gelten sechs Monate als vollstreckt und aufgrund des durch den Senat neugefassten Tenors des Urteils vom 9. Oktober 2015 (weitere) zwei Monate. Graf Cirener Radtke Mosbacher Fischer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 250/09
vom
27. August 2009
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
_________________________
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1; StPO § 353 Abs. 1
Die Aufhebung eines tatrichterlichen Urteils durch das Revisionsgericht allein im
Strafausspruch erfasst grundsätzlich nicht die Frage der Kompensation einer bis zur
revisionsgerichtlichen Entscheidung eingetretenen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung.
BGH, Urt. vom 27. August 2009 - 3 StR 250/09 - LG Hannover
wegen besonders schwerer Vergewaltigung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. August
2009, an der teilgenommen haben:
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als Vorsitzende,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Hubert,
Dr. Schäfer,
Mayer
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 16. Februar 2009 im Ausspruch über die Entschädigung für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung aufgehoben; der Ausspruch entfällt. Die Kosten des Rechtsmittels hat der Angeklagte zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten, der bereits rechtskräftig wegen besonders schwerer Vergewaltigung schuldig gesprochen worden war, zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und ausgesprochen, dass wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung von der verhängten Freiheitsstrafe neun Monate als verbüßt gelten. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten , auf die Sachrüge gestützten und vom Generalbundesanwalt vertretenen Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft, das Landgericht habe zu Unrecht einen Teil der verhängten Strafe als vollstreckt angesehen. Das trotz des umfassenden Aufhebungsantrags ausweislich der Revisionsbegründung wirksam auf den Kompensationsausspruch beschränkte (vgl. BGH, Urt. vom 18. Juni 2009 - 3 StR 89/09) Rechtsmittel hat Erfolg.
2
Die angefochtene Kompensationsentscheidung kann nicht bestehen bleiben; denn ihr steht die auch insoweit eingetretene Teilrechtskraft des in die- sem Verfahren zuvor ergangenen landgerichtlichen Urteils vom 15. Februar 2008 entgegen.
3
1. Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
4
Das Landgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom 15. Februar 2008 wegen besonders schwerer Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision hatte der Angeklagte unter anderem mit einer Verfahrensrüge einen Verstoß gegen Art. 6 MRK geltend gemacht, weil das Verfahren durch unzureichende Ermittlungen des Aufenthalts der Geschädigten durch die Polizeibehörden rechtsstaatswidrig verzögert worden sei; dies habe das Landgericht im Urteil feststellen und festlegen müssen, welcher Teil der Strafe zur Kompensation als vollstreckt gelte. Der Generalbundesanwalt hatte beantragt, die Revision als offensichtlich unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen, und ausgeführt , die dargestellte Verfahrensrüge sei weder in der erforderlichen Form erhoben noch in der Sache begründet. Mit einer weiteren verfahrensrechtlichen Beanstandung hatte der Angeklagte gerügt, dass ein auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Schuldfähigkeit gerichteter Beweisantrag rechtsfehlerhaft abgelehnt worden sei. Auf diese Rüge hatte der Senat mit Beschluss vom 7. August 2008 (3 StR 274/08) das Urteil mit den zugehörigen Feststellungen im Strafausspruch und soweit eine Entscheidung über eine Unterbringung des Angeklagten nach § 64 StGB unterblieben war aufgehoben sowie die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen; die weitergehende Revision hatte er verworfen.
5
Nach der Zurückverweisung hat das Landgericht das nunmehr von der Staatsanwaltschaft im Kompensationsausspruch angegriffene Urteil erlassen.
Die nach seiner Ansicht gegebene rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung hat es damit begründet, dass die Polizeibehörden während des Ermittlungsverfahrens den Aufenthaltsort der Geschädigten nicht intensiv genug ermittelt hätten.
6
2. Das Landgericht durfte die angefochtene Kompensationsentscheidung nicht treffen. Hierzu gilt:
7
Führt die Revision nur teilweise zur Urteilsaufhebung, erwächst der bestehen bleibende Teil in Rechtskraft; dieser ist im neuen Verfahren nicht mehr nachzuprüfen (vgl. Kuckein in KK 6. Aufl. § 353 Rdn. 32). Der neue Tatrichter, an den das Verfahren nach der Zurückverweisung gelangt, hat lediglich den noch offenen Verfahrensgegenstand neu zu verhandeln und zu entscheiden (vgl. Wohlers in SK-StPO § 354 Rdn. 87). Hieraus folgt etwa, dass der Schuldspruch rechtskräftig wird, wenn das angefochtene Urteil allein im Strafausspruch aufgehoben wird (sog. horizontale Teilrechtskraft). Auch innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs kann horizontale Teilrechtskraft bezüglich einzelner Tatfolgen eintreten, wenn lediglich der Strafausspruch aufgehoben wird und weitere Rechtsfolgen, auf die das Tatgericht erkannt hat, von Art und Höhe der Strafe unabhängig sind. Dies richtet sich nach den für die Rechtsmittelbschränkung geltenden Grundsätzen (vgl. Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 353 Rdn. 8) und kann etwa der Fall sein bei Einziehungs- (vgl. BGH, Beschl. vom 16. Dezember 1998 - 2 StR 536/98 Rdn. 5) sowie Unterbringungsanordnungen (vgl. BGH bei Holtz MDR 1980, 454 f.; NStZ 1982, 483) oder sonstigen Maßregeln wie der Entziehung der Fahrerlaubnis (vgl. BGH, Beschl. vom 8. Juli 1983 - 3 StR 215/83 Rdn. 4 ff.). Maßgebend für den Umfang der Aufhebung ist die Formulierung im Urteilstenor bzw. der Beschlussformel der revisionsgerichtlichen Entscheidung. Die Aufhebung des Strafausspruchs betrifft regelmäßig nur die Strafe, die Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs die gesamten Rechts- folgen der Tat (vgl. Kuckein aaO Rdn. 21 m. w. N.; weitergehend für § 76 a StGB aF noch BGHSt 14, 381, 382).
8
Nach diesen Maßstäben erfasst die Aufhebung allein des Strafausspruchs durch das Revisionsgericht grundsätzlich die Frage eines Ausgleichs für eine bis dahin eingetretene rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung nicht; vielmehr tritt insoweit horizontale (Teil-)Rechtskraft ein. Zwar wurde nach der früheren Rechtsprechung die übermäßige und von dem Angeklagten nicht zu vertretende Verzögerung des Verfahrens bei der Strafzumessung berücksichtigt. Demgemäß umfasste damals die Aufhebung eines tatgerichtlichen Urteils im Strafausspruch auch die Frage der Kompensation eines rechtsstaatswidrigen Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot. Jedoch hat der Große Senat für Strafsachen dieses sog. Strafabschlagsmodell mit seiner Entscheidung vom 17. Januar 2008 (BGHSt 52, 124) aufgegeben und es durch die sog. Vollstreckungslösung ersetzt. Danach ist der Ausgleich für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung nunmehr getrennt und unabhängig von der Strafzumessung vorzunehmen. Er lässt die Frage des Unrechts, der Schuld und der Strafhöhe unberührt und stellt eine rein am Entschädigungsgedanken orientierte eigene Rechtsfolge neben der Strafzumessung dar. Das Gewicht der Tat und das Maß der Schuld spielen weder für die Frage, ob das Verfahren rechtsstaatswidrig verzögert ist, noch für Art und Umfang der zu gewährenden Kompensation eine Rolle (vgl. Meyer-Goßner aaO Art. 6 MRK Rdn. 9 a). Deshalb sind der Strafausspruch und die Kompensationsentscheidung grundsätzlich je für sich auf Rechtsfehler überprüfbar (vgl. BGH, Urt. vom 18. Juni 2009 - 3 StR 89/09 Rdn. 27). Hieraus folgt im Einzelnen:
9
Enthält ein landgerichtliches Urteil - wie hier die ursprüngliche Entscheidung der Strafkammer vom 15. Februar 2008 - keine Kompensationsentscheidung für eine bis zur Urteilsverkündung eingetretene Verzögerung, kann der Angeklagte, wenn er dies für rechtsfehlerhaft hält, sich hiergegen mit seiner Revision wenden. Zu diesem Zweck muss er grundsätzlich - wenn sich die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung nicht bereits aus den Urteilsgründen ergibt und deshalb mit der Sachrüge zur Prüfung durch das Revisionsgericht gestellt werden kann (vgl. BGHSt 49, 342) - eine Verfahrensrüge erheben (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 50, 56). Dringt er wie hier mit seiner Beanstandung nicht durch, und hebt das Revisionsgericht das erstinstanzliche Urteil insoweit auch nicht wegen einer erheblichen Verletzung des Beschleunigungsgebotes nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist auf eine zulässige Revision von Amts wegen auf (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 320), steht rechtskräftig fest, dass der Angeklagte nicht wegen eines Verstoßes gegen Art. 6 MRK vor Ergehen der Revisionsentscheidung zu entschädigen ist. Gleiches gilt, wenn das Revisionsgericht das erstinstanzliche Urteil neben dem Strafausspruch aufhebt, soweit eine Entscheidung über eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB unterblieben ist; denn die Frage, ob eine solche Maßregel anzuordnen ist, berührt die Kompensation wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung aus den genannten Gründen ebenfalls nicht. Es liegt zudem nahe, dass die vorgenannten Grundsätze auch dann Anwendung finden, wenn der Angeklagte keine Verfahrensrüge erhoben hat und für das Revisionsgericht auch sonst kein Anlass besteht, die Frage der Verfahrensverzögerung ausdrücklich in den Blick zu nehmen; denn diese Umstände sind für den Eintritt und die Wirkungen der Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung grundsätzlich ohne Belang.
10
Dem neuen Tatrichter ist es deshalb verwehrt, dem Angeklagten nach der Teilaufhebung eines Urteils ausschließlich im Strafausspruch und soweit eine Entscheidung über eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB unterblieben ist allein wegen eines zeitlich vor der Entscheidung des Revisionsgerichts liegenden Verstoßes gegen Art. 6 MRK eine Entschädigung zuzusprechen; er hat vielmehr lediglich neu über die Strafzumessung und den Maßregelausspruch zu befinden. Daneben hat er, sofern hierzu Anlass besteht, allerdings zu prüfen und zu entscheiden, ob nach der Entscheidung des Revisionsgerichts eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung eingetreten und zu kompensieren ist; denn der Umstand, dass eine Entschädigungspflicht wegen eines bis zur revisionsgerichtlichen Entscheidung gegebenen Verstoßes gegen Art. 6 MRK nicht besteht, schließt es nicht aus, dass eine Kompensation aufgrund einer erst danach aufgetretenen Verzögerung ausgesprochen werden kann. Diese Frage hat das Tatgericht nach den insoweit allgemein geltenden Grundsätzen zu beurteilen (vgl. BGHSt 52, 124, 146 ff.); demgemäß hat es bei seiner Bewertung das gesamte Verfahren und damit auch diejenigen Teile in den Blick zu nehmen, die vor der revisionsgerichtlichen Entscheidung liegen. Diese Gesamtbetrachtung ist ihm nicht deshalb verschlossen, weil bereits rechtskräftig entschieden ist, dass dem Angeklagten allein aufgrund von Umständen, die zeitlich vor der revisionsgerichtlichen Entscheidung liegen, kein Ausgleich für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zu gewähren ist.
11
Aus alldem ergibt sich, dass die nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen zur sog. Vollstreckungslösung ergangene teilweise Aufhebung des landgerichtlichen Urteils durch den Beschluss des Senats vom 7. August 2008 die Frage der Entschädigung des Angeklagten für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung in der Zeit bis zur revisionsgerichtlichen Entscheidung nicht betroffen hat; insoweit ist vielmehr (Teil-)Rechtskraft eingetreten. Das Landgericht durfte deshalb nach der Zurückverweisung der Sache nicht einen - vermeintlichen - Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot im Ermittlungsverfahren kompensieren. Der entsprechende Ausspruch muss somit entfallen; dies hat der Senat in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO selbst entschieden.
12
3. Der Senat hat deshalb nicht mehr in der Sache zu entscheiden, ob die Feststellungen des Landgerichts die Annahme einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung tragen. Die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils geben jedoch Anlass zu bemerken, dass nicht jedes Versäumnis der Ermittlungsbehörden einen zu kompensierenden Verstoß gegen Art. 6 MRK zu begründen vermag. Dies gilt insbesondere dann, wenn diese wie hier nicht völlig untätig waren und der Vorwurf allein dahin geht, sie hätten möglicherweise noch intensiver ermitteln können. Der Senat neigt dazu, in solchen Fällen eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung - in Anlehnung an die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Kompensation von Verfahrensverzögerungen , die allein durch eine auf die Revision des Angeklagten erfolgte Aufhebung des tatgerichtlichen Urteils und Zurückverweisung der Sache entstehen (vgl. BGH NStZ 2009, 104) - allenfalls bei ganz erheblichen, kaum verständlichen Ermittlungsfehlern in Betracht zu ziehen. In diesem Sinne gravierende Versäumnisse hat das Landgericht nicht festgestellt. Sost-Scheible Pfister Hubert Schäfer Mayer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 S t R 3 8 1 / 1 3
vom
18. Februar 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Betrugs u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 18. Februar 2014 einstimmig beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Rostock vom 6. August 2013 wird als unbegründet verworfen, da die
Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat:
Die Aufhebung eines tatrichterlichen Urteils durch das Revisionsgericht
allein im Strafausspruch erfasst grundsätzlich nicht die Frage der Kompensation
einer bis zur revisionsgerichtlichen Entscheidung eingetretenen
rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung (BGH, Urteil vom
27. August 2009 - 3 StR 250/09, BGHSt 54, 135). Die Kompensationsentscheidung
des Landgerichts Rostock aus dem Urteil vom 10. Juni
2011 war mithin bereits rechtskräftig, so dass die nunmehr zur Ent-
auf das Verschlechterungsverbot aus § 358 Abs. 2 StPO zu einer abweichenden
Entscheidung nicht berufen war.
Becker Hubert Schäfer
Gericke Spaniol