Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Mai 2017 - 1 StR 55/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:240517B1STR55.17.0
bei uns veröffentlicht am24.05.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 55/17
vom
24. Mai 2017
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2017:240517B1STR55.17.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 24. Mai 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 25. Oktober 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Beschuldigten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der im Jahr 1979 geborene Beschuldigte an einer leicht- bis mittelgradigen Intelligenzminderung mit gravierenden Verhaltensstörungen. In Anbetracht ihres „Ausprägungsgrades“ hat das sachverständig beratene Landgericht diese Erkrankung als „Schwachsinn“ im Sinne der §§ 20, 21 StGB eingestuft. Aufgrund dieser Er- krankung und der damit verbundenen Defizienzen war die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten zur Tatzeit nach der Wertung des Landgerichts mit Sicherheit erheblich vermindert im Sinne des § 21 StGB und nicht ausschließbar vollständig aufgehoben. Die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten war demgegenüber nicht beeinträchtigt.
3
Der Beschuldigte, der sich bereits als Kind in Heimeinrichtungen befunden und eine Schule für geistig Behinderte besucht hatte, befand sich von 1997 bis 1999 wegen zum Teil massiver selbst- und fremdgefährdender Vorfälle in einem Bezirkskrankenhaus. Er ist seit 1997 durchgängig auf zivilrechtlicher Grundlage untergebracht und steht unter Betreuung. Mehrfach kam es zu stationären Aufenthalten in psychiatrischen Kliniken. Zuletzt befand er sich seit März 2015 im I. Klinikum W. .
4
Dort nutzte er am Tattag, dem 18. Februar 2016, gegen 20.35 Uhr den Wechsel des Pflegepersonals aus, um bei der Mitpatientin und Geschädigten K. im hinteren Bereich der Herrentoilette den vaginalen oder analen Geschlechtsverkehr vollziehen zu können. Die Geschädigte leidet an einer schwergradigen Intelligenzminderung und ist nicht in der Lage zu kommunizieren. Sie vermag lediglich unverständliche Laute zu äußern. Zu einer eigenen Willensbildung bezüglich ihrer Sexualität war sie nicht in der Lage. Auch konnte sie einen Willensentschluss gegen ein sexuelles Ansinnen des Beschuldigten weder äußern noch durchsetzen, was der Beschuldigte bewusst ausnutzte. Er veranlasste sie vor den Toilettenkabinen, mit heruntergezogener Hose und Unterhose ihren Oberkörper nach vorne zu beugen. Der Beschuldigte stand, ebenfalls mit herunter gezogener Hose und Unterhose, mit erigiertem Penis unmittelbar hinter der Geschädigten. Als eine Krankenpflegerin, die durch ein deutlich hörbares Wimmern der Geschädigten auf den Vorfall aufmerksam ge- worden war, die Herrentoilette betrat, ließ der Beschuldigte von seinem Vorhaben ab.
5
Das Landgericht konnte weder feststellen, ob die Geschädigte eigenständig in die Herrentoilette gegangen war, noch ob der Beschuldigte mit seinem Penis vaginal oder anal in die Geschädigte eingedrungen war. Es hat das Verhalten des Beschuldigten als versuchten schweren sexuellen Missbrauch widerstandsunfähiger Personen in der zur Tatzeit geltenden Gesetzesfassung gewertet, für das der Beschuldigte aber nicht bestraft werden könne, weil er sich zur Tatzeit nicht ausschließbar im Zustand der Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB befunden habe.
6
2. Die Entscheidung zur Frage der Schuldfähigkeit und zur Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus hat das Landgericht auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. G. gestützt. Nach dessen Ausführungen sei beim Beschuldigten von einer leicht- bis mittelgradigen Intelligenzminderung auszugehen, wobei eine eindeutige Ursache für seine Intelligenzminderung nicht bekannt sei. Diese sei aus forensisch-psychiatrischer Sicht dem biologischen Merkmal des „Schwachsinns“ zuzuordnen. Zwar sei sich der Beschuldigte bei Tatbegehung trotz seiner Intelligenzminderung darüber im Klaren gewesen, dass sein Vorgehen nicht statthaft gewesen sei und die Geschädigte weder Einverständnis noch Missfallen zum Ausdruck habe bringen können; seine Einsichtsfähigkeit sei daher noch erhalten gewesen. „Aufgrund des diagnostizierten Schwachsinns“ und der damit verbundenen De- fizienzen mit impulshaftem Ausagieren und fehlender Fähigkeit zum Bedürfnisaufschub bzw. suffizienter Antizipation seines Handelns sei aber sicher von erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB und nicht ausschließbar aufgehobener Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 20 StGB zum Tatzeitpunkt auszugehen. Das Landgericht schloss sich dem Gutachten „aufgrund eigener Bewertung“ in vollem Umfang an.

II.


7
Die Revision des Beschuldigten führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Maßregelausspruchs. Bereits die Ausführungen des Landgerichts zur erheblich verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) als Grundlage für die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
8
Die Urteilsgründe ergeben nicht zweifelsfrei, dass der Beschuldigte bei Tatbegehung an einem geistigen oder seelischen Zustand litt, der die Voraussetzungen des § 21 StGB sicher begründete. Zwar kann eine Intelligenzminderung ohne nachweisbaren Organbefund, wie das Landgericht sie für den Beschuldigten angenommen hat, dem Eingangsmerkmal des „Schwachsinns“ unterfallen und damit eine besondere Erscheinungsform schwerer anderer seelischer Abartigkeiten darstellen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 2014 – 4 StR497/14, Rn. 15, NStZ-RR 2015, 71), die zu einer erheblich verminderten oder sogar aufgehobenen Schuldfähigkeit führen kann. Die bloße Minderung der geistigen Leistungsfähigkeit begründet eine solche Beeinträchtigung aber nicht (vgl. BGH, Urteil vom 31. August 1994 – 2 StR 366/94, BGHR StGB § 63 Zustand 17; Beschlüsse vom 22. August2012 – 4 StR 308/12, Rn. 9 und vom 10. September 2013 – 4 StR 287/13, Rn. 8).
9
Wie sich die „leicht- bis mittelgradige Intelligenzminderung“ des Beschuldigten und deren „Ausprägungsgrad“ (UA S. 5) konkret auswirken, wird nicht näher beschrieben. Auch enthält das Urteil keine Angabe, welchen Intelli- genzquotienten der Beschuldigte erreicht. Schon im Hinblick auf die denkbare Schwankungsbreite dieser Behinderung (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 – 5 StR 240/10 für die Diagnose „Schwachsinn“) sind die Urteilsausführungen wenig aussagekräftig und für die revisionsgerichtliche Überprüfung unzureichend, zumal nicht mitgeteilt wird, aufgrund welcher Untersuchungsverfahren und Kriterien der Sachverständige zu seiner Diagnose gelangt ist. Es bleibt zudem offen, ob der Beschuldigte entgegen der vom Landgericht angenommenen fehlenden Fähigkeit zum Bedürfnisaufschub in der Lage war, gerade den Zeitpunkt des Personalwechsels abzuwarten und mit der Geschädigten einen unbeobachteten Ort aufzusuchen, um „heimlich“ (UA S. 12) vorgehen zu können. Eine solche Fähigkeit könnte gegen die im Urteil angenommene erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit aufgrund intellektueller Minderbegabung sprechen. Überhaupt fehlen neben einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Beschuldigten (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 2011 – 3 StR 173/11, NStZ 2012, 209 mwN) Ausführungen dazu, welchen Einfluss die Intelligenzminderung auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten in der konkreten Tatsituation hatte (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 2015 – 2StR 393/14, NStZ-RR 2015, 306). Ferner erörtert das Landgericht rechtsfehlerhaft nicht, in welchem Zusammenhang die Intelligenzminderung mit den beim Beschuldigten ebenfalls angenommenen Verhaltensstörungen (UA S. 5) steht.

III.

10
Das Landgericht hat wegen Zweifeln an der Glaubhaftigkeit der Angaben des Beschuldigten nicht angenommen, dass der Beschuldigte in die Geschädigte eingedrungen ist. Im Hinblick darauf, dass bei einer abweichenden Beurteilung des geistigen und seelischen Zustands des Beschuldigten das neue Tatgericht auch die Frage der Glaubhaftigkeit seiner Angaben anders beant- worten könnte, hebt der Senat auch die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen auf, um dem neuen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen. Zudem weist der Senat für die neue Hauptverhandlung auf die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO hin. Jäger Bellay Radtke Fischer Bär

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Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


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Strafprozeßordnung - StPO | § 358 Bindung des Tatgerichts; Verbot der Schlechterstellung


(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen. (2) Das angefochtene Urte

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

8
a) Die Urteilsfeststellungen ergeben nicht zweifelsfrei, dass der Angeklagte an einem geistigen oder seelischen Zustand leidet, der die Voraussetzungen des § 21 StGB sicher begründet. Die Urteilsgründe lassen nicht erkennen , ob das Landgericht die Feststellung, der Angeklagte sei allein aufgrund seiner Minderbegabung vermindert schuldfähig, zu Recht getroffen hat. Zwar kann Schwachsinn zu einer solchen Beeinträchtigung führen. Die bloße Minde- rung der geistigen Leistungsfähigkeit begründet sie aber nicht (BGH, Urteil vom 31. August 1994 – 2 StR 366/94, BGHR StGB § 63 Zustand 17; Beschluss vom 22. August 2012 – 4 StR 308/12 Rn. 9). Das Landgericht hat nicht dargelegt, aufgrund welcher Untersuchungsverfahren und Kriterien die Sachverständige zu ihrer Diagnose gelangt ist. Wie sich die „leichte bis mittelgradige Intelligenzminderung“ konkret auswirkt, wird nicht näher beschrieben, auch enthält das Urteil keine Angabe, welchen Intelligenzquotienten der Angeklagte erreicht. Gegen die im Urteil ohne nähere Begründung angenommene Erheblichkeit der intellektuellen Minderbegabung könnte demgegenüber sprechen, dass der An- geklagte bis Sommer 2011 eine Schule mit Förderschwerpunkt „Lernen“, wenn auch mit mäßigen Leistungen, besucht hat und offenbar in der Lage war, den Anforderungen an seinen Arbeitsplätzen nachzukommen.
5 StR 240/10

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 20. Juli 2010
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Juli 2010

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kiel vom 4. Februar 2010 nach § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum jeweiligen Tatgeschehen aufrecht erhalten. Insoweit wird die weitergehende Revision nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Diebstahl, wegen Sachbeschädigung, Körperverletzung in zwei Fällen, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung und wegen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten ist im Umfang der Beschlussformel erfolgreich.
2
1. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils leidet der 27 Jahre alte Angeklagte unter Schwachsinn (IQ „von ungefähr 50“) und verfügt über keine „so genannten kulturbedingten Fertigkeiten wie Rechnen, Schreiben und Lesen“ (UA S. 15). Sein eigenes Alter kann er nicht nennen, die Wochentage und die Monate des Jahres nicht aufzählen. Mit der geistigen Behinderung gehen deutliche Verhaltensauffälligkeiten einher; da der Angeklagte nicht über soziale Kompetenz verfügt und kaum in der Lage ist, sich verbal verständlich zu machen, wählt er andere Kommunikationsformen, insbesondere seine Körperkraft. Er ist emotional instabil, leicht zu provozieren und reagiert auf jegliche Reize spontan und impulsiv. Er agiert intuitiv, bedürfnis- und erlebnisorientiert. „Dabei ist er nicht in der Lage, Ursache und Wirkung seines Verhaltens zu erkennen und auseinander zu halten“ (UA S. 16).
3
In der Zeit von Juli 2008 bis März 2009 beging der Angeklagte die abgeurteilten Taten: Da er sich von ihnen provoziert fühlte, wurde er in mehreren Fällen gegen Bekannte gewalttätig, schlug sie, in einem Fall mit einem langen Stock oder einer langen Holzlatte, und trat sie; dabei trug er teilweise Sicherheitsschuhe mit Stahlkappen. Im August 2008 zündete er in einem Unterstand lagernde Strohreste an; dadurch fing der gesamte Unterstand Feuer und brannte vollständig nieder. In einem weiteren Fall brach er einen Schuppen auf, den ein Supermarkt als Warenlager nutzte, und entnahm der Tiefkühltruhe zahlreiche Pakete Tiefkühlware, die er zum Teil selbst verzehrte , zum Teil verschenkte.
4
Das sachverständig beratene Landgericht geht davon aus, dass der Angeklagte zwar in der Lage ist, das Unrecht seines Tuns einzusehen, jedoch seine Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln, wegen Schwachsinns erheblich vermindert ist (§ 21 StGB).
5
2. Die Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung der Schuldsprüche und des gesamten Rechtsfolgenausspruchs.
6
a) Rechtsfehlerfrei sind die Feststellungen des Landgerichts zu den Tatgeschehen, die deshalb aufrecht erhalten bleiben können. Sie beruhen auf einer schlüssigen Beweiswürdigung.
7
b) Das Urteil belegt bei noch ausreichend eigenständiger Auseinandersetzung mit dem Sachverständigengutachten auch in nachvollziehbarer Weise, dass der Angeklagte seine Taten im Zustand – zumindest – sicher erheblich verminderter Schuldfähigkeit begangen hat. Indes hat das Landgericht eine mögliche Schuldunfähigkeit des Angeklagten nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.
8
Zum einen belegt es nicht näher die Feststellung, dass der Angeklagte in der Lage war, das Unrecht seines Tuns einzusehen. Eine eingehende Prüfung der Verbotskenntnis des Angeklagten im Zeitpunkt der jeweiligen Taten war angesichts der Schwere seiner intellektuellen Beeinträchtigung jedoch erforderlich, auch wenn im Verlauf einzelner Taten Anhaltspunkte für eine vorhandene Unrechtseinsicht aufscheinen (Tat 3: Versuch, den Zeugen H. zum „Schmiere stehen“ zu veranlassen).
9
Zum anderen sind die Feststellungen zur Steuerungsfähigkeit des Angeklagten widersprüchlich und weisen auf deren Ausschluss hin. Hierfür sprechen insbesondere auch die wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen , der Angeklagte sei „ohne nachhaltige therapeutische und vor allem pädagogische Betreuung nicht in der Lage, seine impulsiven, unkontrollierten und auch gewaltsamen Reaktionen auf von ihm empfundene Reize Provokationen und Bedürfnisse zu steuern“ (UA S. 19).
10
Da die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) rechtlich untrennbar auf der Beurteilung seiner Schuldfähigkeit beruht, war auch sie aufzuheben.
11
3. Sollte das neue Tatgericht wiederum zu einem Ausschluss der völligen Schuldunfähigkeit des Angeklagten gelangen, so wird es zu beachten haben, das bei der Bildung der Einzelstrafe für die zweite Tat eine strafschärfende Berücksichtigung des hohen Gefährdungspotenzials der Tat (Anzünden trockenen Strohs in einem Holzschuppen im Hochsommer) nur in Frage kommt, wenn der Angeklagte zu einer Einsicht in die besondere Gefährlichkeit seines Handels in der Lage war.
Brause Sander Schneider
König Bellay

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.