Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Sept. 2019 - 4 StR 408/19

bei uns veröffentlicht am25.09.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 408/19
vom
25. September 2019
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2019:250919B4STR408.19.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 25. September 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 9. April 2019 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bleiben bestehen. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine hiergegen gerichtete Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen lernte der Beschuldigte im Herbst 2014 den damals acht Jahre alten Geschädigten G. kennen. In der Folgezeit wurde er in dessen Familie als „guter Freund“ integriert und hielt sich dort fast täglich auf. Teilweise schlief er mit dem Geschädigten mit Zustimmung von dessen Mutter in einem Einzelbett. In der Zeit von Januar bis Juni 2015 kam es zu mehreren sexuellen Handlungen zwischen dem Beschuldigten und dem Geschädigten.
3
In einem Fall folgte der Beschuldigte dem Geschädigten, als sich dieser zum Urinieren in ein Gebüsch begab. Dort zog er ihm Hose undBoxershorts herunter und bat ihn, in seinen Mund zu urinieren. Der Geschädigte kam der Bitte nach. Der Beschuldigte verspürte hierbei sexuelle Befriedigung (Fall II. 1. der Urteilsgründe). Als sich der Beschuldigte bei einer anderen Gelegenheit allein mit dem Geschädigten in dessen Familienwohnung aufhielt, folgte er ihm in das Badezimmer. Dort nahm er mit dem Einverständnis des Geschädigten dessen Penis in den Mund und manipulierte daran (Fall II. 2. der Urteilsgründe). Bei zwei verschiedenen Gelegenheiten manipulierte der Beschuldigte an dem Penis des Geschädigten. Dabei hielten sich beide in dem einen Fall allein in der Wohnung des Betreuers des Beschuldigten auf (Fall II. 3. der Urteilsgründe). Der andere Fall ereignete sich in der Umkleidekabine eines Schwimmbades (Fall II. 5. der Urteilsgründe). Schließlich veranlasste der Beschuldigte den Geschädigten in dessen Wohnung auch noch dazu, das Geschlechtsteil des Beschuldigten anzufassen und daran zu manipulieren (Fall II. 4. der Urteilsgründe

).

4
Das Landgericht hat die Handlungen des Beschuldigten als schweren sexuellen Missbrauch von Kindern in zwei Fällen (Fälle II. 1. und 2. der Urteilsgründe ) und sexuellen Missbrauch von Kindern in drei Fällen bewertet (Fälle II. 3. bis 5. der Urteilsgründe). Dabei ist es davon ausgegangen, dass der Beschuldigte in allen Fällen wegen einer bei ihm bestehenden Minderbegabung, die die Voraussetzungen des Schwachsinns im Sinne des § 20 StGB erfülle, nicht in der Lage gewesen sei, das Unrecht seiner Taten einzusehen. Da von ihm aufgrund seines Zustands weitere gleichartige Taten zu erwarten seien, müsse davon ausgegangen werden, dass er auch für die Allgemeinheit gefährlich sei.
5
2. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
6
a) Die Urteilsgründe belegen bereits nicht, dass bei dem Beschuldigten ein „Schwachsinn“ im Sinne des § 20 StGB vorliegt.
7
aa) Zwar kann eine Intelligenzminderung ohne nachweisbaren Organbefund – wie bei dem Beschuldigten festgestellt – dem Eingangsmerkmal des Schwachsinns unterfallen und damit eine besondere Erscheinungsform schwerer anderer seelischer Abartigkeiten darstellen. Die bloße Minderung der geistigen Leistungsfähigkeit begründet eine solche Beeinträchtigung aber noch nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Mai 2017 – 1 StR 55/17, Rn. 8; Urteil vom 31. August 1994 – 2 StR 366/94, BGHR StGB § 63 Zustand 17). Dazu bedarf es einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters (vgl. BGH, Beschluss vom 19. September 2017 – 1 StR 299/17, Rn. 12; Beschluss vom 5. Juli 2011 – 3 StR 173/11). Dabei ist darzulegen, wie sich die festgestellte Intelligenzminderung auf Handlungs- und Erkenntnismöglichkeiten des Täters auswirkt (vgl. BGH, Beschluss vom 10. September 2013 – 4 StR 287/13, Rn. 8) und warum das sich daraus ergebende Störungsbild bei wertender Betrachtung in seiner Gesamtheit ein Ausmaß erreicht hat, das die Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit in der Erscheinungsform des Schwachsinns rechtfertigt.
8
bb) Dem werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Das Landgericht hat lediglich mitgeteilt, dass der Beschuldigte bei der durchgeführten Testung einen Gesamtintelligenzquotienten von 67 IQ-Punkten aufgewiesen habe. Die Leistungen des Verbalteils seien dabei schlechter als die knapp über der Grenze zur Intelligenzminderung liegenden Leistungen im Handlungsteil gewesen. Bei den verschiedenen Subtests habe er teilweise durchschnittliche, aber auch sehr weit unterdurchschnittliche Leistungen gezeigt (UA 13). Der Beschuldigte sei deshalb in seiner Urteils- und Kritikfähigkeit erheblich eingeschränkt (UA 14). Angesichts dieses offensichtlich eine sehr hohe Schwankungsbreite aufweisenden Testergebnisses hätte näher dargestellt werden müssen, in welchen Bereichen der Beschuldigte deutlich unterdurchschnittliche kognitive Fähigkeiten aufweist, wie sich diese Defizite in den verschiedenen Lebensbereichen auswirken und welches Ausmaß das Störungsbild in seiner Gesamtheit tatsächlich hat.
9
b) Auch die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine Aufhebung der Einsichtsfähigkeit bei den jeweiligen Taten begründet hat, erweisen sich als durchgreifend rechtsfehlerhaft.
10
Die Strafkammer hat angenommen, der Beschuldigte sei von einer „Legitimierung“ seiner Taten ausgegangen,weil seine gemeinsamen Übernachtungen mit dem Geschädigten in einem Einzelbett von dessen Mutter gebilligt worden seien. Dies ergebe sich schon daraus, dass der Beschuldigte keine Anstalten gemacht habe, um einer Entdeckung seiner Taten vorzubeugen (UA 14). Diese Schlussfolgerung wird von den Feststellungen nicht getragen. Die dem Beschuldigten zur Last gelegten Taten fanden jeweils in eins-zu-einsSituationen mit dem Geschädigten statt. Auch wurden jeweils abgeschirmte Örtlichkeiten (Gebüsch, Umkleidekabine, Wohnung des Betreuers in dessen Abwesenheit, alleiniger Aufenthalt in der Familienwohnung) für die Tatbegehung ausgewählt. Schließlich hätte sich die Strafkammer an dieser Stelle auch damit auseinandersetzen müssen, dass es während der gemeinsamen Übernachtungen offensichtlich zu keinen Übergriffen kam.
11
c) Zuletzt begegnet auch die Gefährlichkeitsprognose durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

12
aa) Die für die Maßregelanordnung erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters , seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338 mwN). Dazu sind alle wesentlichen prognoserelevanten Umstände in den Urteilsgründen darzustellen und zusammenfassend zu würdigen. Als prognoseungünstig herangezogene tatsächliche Umstände aus dem Vorleben des Täters müssen dabei rechtsfehlerfrei festgestellt und belegt sein (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juli 1992 – 2 StR 293/92, BGHR § 56 Abs. 1 Sozialprognose 24).
13
bb) Diesen Anforderungen genügen die Urteilsgründe nicht. Soweit die Strafkammer darauf abgestellt hat, dass es bei dem Beschuldigten bereits seit 2010 zu Schwierigkeiten bei der „Einhaltung von Distanz und Nähe zu anderen Personen“ gekommen sei und dabei auch Vorwürfe „möglicher sexueller Missbrauchshandlungen im Sinne von grenzüberschreitendem Verhalten“ (UA 14) erhoben worden seien, fehlt es dafür an hinreichend konkreten tatsächlichen Feststellungen und entsprechenden Belegen. Auch wird nicht dargelegt, warum dem Umstand, dass die „partnerschaftlichen Aktivitäten“ des Beschuldigten in- zwischen mehr im Bereich der Prostitution liegen, eine prognoseungünstige Bewertungsrichtung im Hinblick auf die Wiederholung von Missbrauchstaten zum Nachteil von Kindern zukommen soll. Schließlich hätte die Strafkammer auch erörtern und in ihre Gesamtwürdigung einstellen müssen, dass die Anlasstaten vor dem Hintergrund einer besonderen Täter-Opfer-Konstellation begangen wurden (Integration die Familie des Geschädigten, Billigung von gemeinsamen Übernachtungen durch die Mutter des Geschädigten), die sich nicht ohne weiteres wiederholen wird.

14
3. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Geschehen bei den Anlasstaten können bestehen bleiben.
Sost-Scheible Roggenbuck Bender
Quentin Feilcke

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Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

8
Die Urteilsgründe ergeben nicht zweifelsfrei, dass der Beschuldigte bei Tatbegehung an einem geistigen oder seelischen Zustand litt, der die Voraussetzungen des § 21 StGB sicher begründete. Zwar kann eine Intelligenzminderung ohne nachweisbaren Organbefund, wie das Landgericht sie für den Beschuldigten angenommen hat, dem Eingangsmerkmal des „Schwachsinns“ unterfallen und damit eine besondere Erscheinungsform schwerer anderer seelischer Abartigkeiten darstellen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 2014 – 4 StR497/14, Rn. 15, NStZ-RR 2015, 71), die zu einer erheblich verminderten oder sogar aufgehobenen Schuldfähigkeit führen kann. Die bloße Minderung der geistigen Leistungsfähigkeit begründet eine solche Beeinträchtigung aber nicht (vgl. BGH, Urteil vom 31. August 1994 – 2 StR 366/94, BGHR StGB § 63 Zustand 17; Beschlüsse vom 22. August2012 – 4 StR 308/12, Rn. 9 und vom 10. September 2013 – 4 StR 287/13, Rn. 8).

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 173/11
vom
5. Juli 2011
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter Vergewaltigung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - mit Ausnahme von 1. b) cc) auf dessen
Antrag - am 5. Juli 2011 gemäß § 154 Abs. 2, § 349 Abs. 2 und 4, § 354
Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 21. Januar 2011 wird
a) das Verfahren in den Fällen II. 1. und 2. der Urteilsgründe eingestellt; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last,
b) das vorgenannte Urteil aa) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der versuchten Vergewaltigung und der Sachbeschädigung schuldig ist, bb) im Strafausspruch dahin geändert, dass der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten verurteilt wird, cc) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben im Strafausspruch, soweit eine Strafaussetzung zur Bewährung versagt worden ist, sowie im Ausspruch über die Maßregel.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter Vergewaltigung sowie wegen Sachbeschädigung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt und die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die dagegen gerichtete , auf die allgemeine Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
1. Dem Antrag des Generalbundesanwalts folgend stellt der Senat das Verfahren ein, soweit der Angeklagte in den Fällen II. 1. und 2. der Urteilsgründe wegen Sachbeschädigung verurteilt worden ist. Da der danach verbleibende Schuldspruch und die insoweit verhängten Einzelstrafen von einem Jahr und sechs Monaten sowie von drei Monaten rechtlicher Überprüfung standhalten, bildet der Senat aus diesen Einzelstrafen - ebenfalls entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts - gemäß § 354 Abs. 1 StPO die geringstmögliche neue Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten.
3
2. Dagegen können der Maßregelausspruch - und daran anknüpfend - die Entscheidung über die Nichtaussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung nicht bestehen bleiben. Hierzu im Einzelnen:
4
a) Das Landgericht hat - sachverständig beraten - die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus damit begründet, bei dem Angeklagten bestehe eine mittelgradige Intelligenzminderung und eine damit im Zusammenhang stehende Störung der Impulskontrolle; die ohnehin schwache Impulskontrolle sei unter dem bei allen Taten bestehenden Alkoholeinfluss weiter herabgesetzt worden, so dass jeweils eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit sicher vorgelegen habe. Im Zustand der Alkoholisierung sei der Angeklagte in seiner Fähigkeit, sich aggressiven Impulsen zu widersetzen, erheblich eingeschränkt. Da er seinem Alkoholkonsum unkritisch gegenüberstehe, seien in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten im Sinne der Anlassdelikte zu erwarten.
5
Damit ist die Anordnung nach § 63 StGB nicht zu rechtfertigen. Das Landgericht hat den für eine Unterbringung notwendigen dauerhaften Zustand nicht allein in der Minderbegabung des Angeklagten, sondern im Zusammenwirken von Minderbegabung und Alkoholkonsum gesehen. In der Rechtsprechung ist zwar anerkannt, dass in diesen Fällen ein die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus rechtfertigender Zustand im Sinne des § 63 StGB vorliegen kann. Voraussetzung ist jedoch, dass der Täter an einer länger dauernden krankhaften geistig-seelischen Störung leidet, bei der bereits geringer Alkoholkonsum oder andere alltägliche Ereignisse die akute erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auslösen können und dies getan haben (BGH, Urteil vom 17. Februar 1999 - 2 StR 483/98, BGHSt 44, 369). Eine solche länger dauernde krankhafte geistig-seelische Störung ist jedoch nicht belegt. Das gilt auch für das vom Landgericht angenommene Merkmal des Schwachsinns. Nach den Feststellungen verfügte der Angeklagte über einen Intelligenzquotienten von "etwa 70". Abgesehen davon, dass damit noch nicht einmal der geringste Schweregrad der Behinderung, der Debilität (Bildungsfähige, IQ 50-69), erreicht ist (vgl. LK-Schöch, 12. Aufl., § 20 StGB Rn. 150 mwN), darf sich die Annahme des Eingangsmerkmals nicht auf die Feststellung eines niedrigen Intelligenzquotienten beschränken, sondern bedarf einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit (LK-Schöch aaO Rn. 151 mwN). Die im Urteil mitgeteilten Umstände - der Angeklagte arbeitete in verschiedenen Behindertenwerkstätten und hat seit 1997 einen Betreuer - rechtfertigen für sich die Annahme des Eingangsmerkmals nicht.
6
b) Gegen das Urteil bestehen auch insoweit durchgreifende Rechtsbedenken , als das Landgericht die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt damit begründet hat, es bestehe kein Hang im Sinne des § 64 StGB, vielmehr sei das Konsumverhalten des Angeklagten lediglich als schädlicher Alkoholgebrauch zu charakterisieren. Nach den Feststellungen war der Angeklagte indes bei allen vier ihm zur Last gelegten Taten alkoholisiert , bei dem Versuch der Vergewaltigung wurde bei ihm eineinhalb Stunden nach der Tat eine Blutalkoholkonzentration von 1,33 ‰ festgestellt. Die jeweils "mittelgradige Alkoholisierung" des Angeklagten führte im Zusammenwirken mit der mittelgradigen Intelligenzminderung und der damit zusammenhängenden Störung der Impulskontrolle zur erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten. Trotz des in der vom Angeklagten bewohnten Einrichtung bestehenden Alkoholverbots erwarb er von seinem Taschengeld zumeist Bier. Dieser Bierkonsum steht nach Auffassung des Landgerichts einer positiven Prognose und damit der Aussetzung von Maßregel und Freiheitsstrafe zur Bewährung entgegen. All dies spricht dafür, dass der Angeklagte eine ihn trei- bende oder beherrschende Neigung hat, Alkohol in einem Umfang zu konsumieren , durch welchen Gesundheit, Arbeits- oder Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 7. April 2010 - 3 StR 91/10; Beschluss vom 31. März 2011 - 1 StR 109/11, NStZ-RR 2011, 242).
7
Soweit das Landgericht ergänzend darauf abstellt, die Entwöhnungsbehandlung habe "angesichts der intellektuellen Minderbegabung" des Angeklagten keine hinreichende Erfolgsaussicht, so reicht dies hier angesichts der fehlenden näheren Darlegung zum Geisteszustand des Angeklagten zur Begründung für die Versagung der Maßregel ebenfalls nicht aus.
8
c) Nachdem über Zustand, Hang und Gefährlichkeit des Angeklagten erneut zu entscheiden ist und davon auch die Legalprognose im Sinne von § 56 StGB abhängt, hebt der Senat den Strafausspruch insoweit auf, als dem Angeklagten eine Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung versagt worden ist.
Becker Pfister RiBGH von Lienen befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Schäfer Menges
8
a) Die Urteilsfeststellungen ergeben nicht zweifelsfrei, dass der Angeklagte an einem geistigen oder seelischen Zustand leidet, der die Voraussetzungen des § 21 StGB sicher begründet. Die Urteilsgründe lassen nicht erkennen , ob das Landgericht die Feststellung, der Angeklagte sei allein aufgrund seiner Minderbegabung vermindert schuldfähig, zu Recht getroffen hat. Zwar kann Schwachsinn zu einer solchen Beeinträchtigung führen. Die bloße Minde- rung der geistigen Leistungsfähigkeit begründet sie aber nicht (BGH, Urteil vom 31. August 1994 – 2 StR 366/94, BGHR StGB § 63 Zustand 17; Beschluss vom 22. August 2012 – 4 StR 308/12 Rn. 9). Das Landgericht hat nicht dargelegt, aufgrund welcher Untersuchungsverfahren und Kriterien die Sachverständige zu ihrer Diagnose gelangt ist. Wie sich die „leichte bis mittelgradige Intelligenzminderung“ konkret auswirkt, wird nicht näher beschrieben, auch enthält das Urteil keine Angabe, welchen Intelligenzquotienten der Angeklagte erreicht. Gegen die im Urteil ohne nähere Begründung angenommene Erheblichkeit der intellektuellen Minderbegabung könnte demgegenüber sprechen, dass der An- geklagte bis Sommer 2011 eine Schule mit Förderschwerpunkt „Lernen“, wenn auch mit mäßigen Leistungen, besucht hat und offenbar in der Lage war, den Anforderungen an seinen Arbeitsplätzen nachzukommen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 224/12
vom
4. Juli 2012
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 4. Juli 2012 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 16. März 2012 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Mit seiner Revision rügt der Beschuldigte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen trat der obdachlose Beschuldigte am 16. November 2010 in der Innenstadt von P. gegen einen Stromkasten. Als er deshalb von den Zeugen A. und H. He. zur Rede gestellt wurde, reagierte er mit den Worten: „Halt's Maul, sonst steche ich euch ab“. Anschließend entfernte er sich. Als ihm die beiden Zeugen und zwei weitere Personen nachliefen, blieb der Beschuldigte stehen, zog mit der rechten Hand ein Messer und richtete es auf seine Verfolger. Dabei rief er: „Haut ab, oder ich steche euch alle ab“ und fuchtelte mit dem Messer hin und her. Kurze Zeit später erschien die zwischenzeitlich alarmierte Polizei. Der Aufforderung, das Messer fallenzulassen , kam der Beschuldigte nicht nach, sodass schließlich gegen ihn Pfefferspray eingesetzt und zu seiner Entwaffnung körperliche Gewalt angewendet werden musste (Fall II. 1). Am 7. Dezember 2010 bezeichnete der Beschuldigte während einer gemeinsamen Zugfahrt die Zeugin S. ohne jeden Anlassals „Hure“ und „Schlampe“. Zugleich trat er ihr mit dem Fuß gegen den rechten Unterschenkel, wobei er schwere, massive Stiefel trug. Als ihn die Zeugin auf sein Verhalten ansprach, äußerte er „Ich bringe dich um“ und „Ich mache dich kalt“. Die Zeugin erlitt durch den Tritt mehrere Tage andauernde, nicht unerheb- liche Schmerzen und einen Schock. Auf der von der Polizei begleiteten Weiterfahrt kam es bei ihr mehrfach zu Weinkrämpfen (Fall II. 2). Am 23. März 2011 versetzte der Beschuldigte in F. auf offener Straße einer ihm unbekannten Schülerin, die sich mit zwei Mitschülerinnen auf dem Nachhauseweg befand, einen massiven Tritt in den Rücken. Dabei trug er erneut schwere Schnürstiefel. Da der Tritt durch den Schulranzen gedämmt wurde, kam es nicht zu länger andauernden Schmerzen. Die Schülerin erlitt einen Weinkrampf und war – wie ihre beiden Begleiterinnen – von dem Verhalten des Beschuldigten geschockt (Fall II. 3). Am 26. Oktober 2011 zeigte der Beschuldigte in der P. Innenstadt einem Polizeibeamten den ausgestreckten Mittelfinger und bezeich- nete ihn bei der anschließenden Personalienfeststellung als „Arschloch“ (Fall II. 4). Das Landgericht hat die festgestellten Vorfälle als Bedrohung (Fall II. 1), vorsätzliche Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung und Bedrohung (Fall II. 2), vorsätzliche Körperverletzung (Fall II. 3) und Beleidigung (Fall II. 4) gewertet.
3
Dem Gutachten des angehörten Sachverständigen folgend geht das Landgericht davon aus, dass der Beschuldigte „seit vielen Jahren“ an einer paranoiden Schizophrenie mit chronischem Residuum leidet. Aufgrund der Erkrankung treten bei ihm unterschiedlich akzentuierte Symptome wahnhafter Überzeugtheit auf. Die dadurch generierten Impulse werden von ihm, dem Grundmuster der festgestellten Taten entsprechend, in aggressiv feindseliger Weise umgesetzt. Stationären Aufenthalten in psychiatrischen Krankenhäusern in den Jahren 1987, 1994 und 1995 gingen jeweils „massive aggressive Übergriffe auf Dritte“ voraus, insbesondere auf Waldwegen, zumTeil mit Messern, durch Schubsen oder Fußtritte sowie Bedrohungen. Ein gegen den Beschuldigten im Jahr 1994 wegen des Verdachts der Körperverletzung geführtes Ermittlungsverfahren wurde wegen Schuldunfähigkeit eingestellt. Aufgrund dieser Erkrankung war die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten bei sämtlichen Taten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erheblich beeinträchtigt (§ 21 StGB) und nicht ausschließbar aufgehoben (§ 20 StGB).
4
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB angeordnet, weil die unter II. 1 bis II. 3 festgestellten Taten dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen seien und davon auszugehen sei, dass der Angeklagte ohne Intervention auch in Zukunft ähnlich gelagerte Taten begehen werde.
5
2. Diese Feststellungen belegen nicht hinreichend, dass von dem Beschuldigten aufgrund seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist (§ 63 StGB).
6
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist aufgrund ihrer zeitlichen Unbegrenztheit eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Sie darf deshalb nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Urteil vom 7. Januar 1997 – 5 StR 508/96, NStZ-RR 1997, 230).
7
Ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Beschluss vom 26. April 2001 – 4 StR 538/00, StV 2002, 477 f.). Dabei kann sich – wie in aller Regel bei Verbrechen oder Gewalt- und Aggressionsdelikten – eine schwere Störung des Rechtsfriedens bereits allein aus dem Gewicht des Straftatbestandes ergeben, mit dessen Verwirklichung gerechnet werden muss (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Urteil vom 12. Juni 2008 – 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564; Beschluss vom 24. November 2004 – 1 StR 493/04, NStZ-RR 2005, 72, 73). Sind die zu erwartenden Delikte nicht wenigstens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen, ist die Annahme einer schweren Störung des Rechtsfriedens dagegen nur in Ausnahmefällen begründbar (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 18. März 2008 – 4 StR 6/08; Beschluss vom 18. Februar 1992 – 4 StR 27/92, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 16; Beschluss vom 28. Juni 2005 – 4 StR 223/05, NStZ-RR 2005, 303, 304).
8
Die für die Maßregelanordnung erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters , seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (BGH, Urteil vom 17. August 1977 – 2 StR 300/77, BGHSt 27, 246, 248 f.; Urteil vom 17. November 1999 – 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27). Dabei sind an die Darlegungen umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 8. November 2006 – 2 StR 465/06, NStZ-RR 2007, 73,

74).


9
b) Gemessen an diesen Maßstäben hat das Landgericht seine Überzeugung von der zukünftigen Gefährlichkeit des Beschuldigten nicht tragfähig begründet.
10
Im Grundsatz zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass die gewalttätigen Übergriffe des Beschuldigten in den Fällen II. 2 und II. 3 der Urteilsgründe von erheblichem Gewicht sind. Dass auch eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Beschuldigte künftig diesen Anlasstaten gleich gelagerte Straftaten begehen wird, hat es jedoch nicht hinreichend dargelegt.
11
Die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts beruht auf der Erwägung, dass es sich bei den für die Anlasstaten ursächlichen psychotischen Impulsen um ein Symptom der bei dem Beschuldigten schon seit 1987 bestehenden Grunderkrankung handelt, das aufgrund seines regelhaften Auftretens auch in Zukunft immer wieder zu gleich gelagerten Taten führen wird (UA 7). Bei dieser Sachlage hätte es näherer Erörterung bedurft, warum der Beschuldigte in der Vergangenheit nicht häufiger durch Aggressionsdelikte in Erscheinung getreten ist und welche prognoserelevanten Schlüsse hieraus zu ziehen sind. Dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine Straftaten begangen hat, ist ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Straftaten (BGH, Beschluss vom 11. März 2009 – 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198, 199; Urteil vom 17. November 1999 – 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit

27).


12
Die Feststellung, dass den stationären Aufenthalten des Beschuldigten in den Jahren 1987, 1994 und 1995 „massive aggressive Übergriffe auf Dritte“ vorausgegangen sind, ist ohne Aussagekraft, weil es an einer nachvollziehbaren Darstellung einzelner Vorfälle und ihrer Genese fehlt. Gleiches gilt für den Vorgang, der dem wegen Körperverletzung geführten Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Straubing aus dem Jahr 1994 zugrunde lag, das wegen Schuldunfähigkeit eingestellt worden ist. Grundsätzlich kann auch lange zurückliegenden Taten eine indizielle Bedeutung für die Gefährlichkeitsprognose zukommen (BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11, Rn. 14; vgl.BGH, Urteil vom 12. Juni 2008 – 4 StR 140/08, BeckRS 2008, 13076, insoweit in NStZ 2008, 563 nicht abgedruckt), doch setzt dies regelmäßig voraus, dass diese Taten in einem inneren Zusammenhang zu der festgestellten Erkrankung gestanden haben und ihre Ursache nicht vornehmlich in anderen nicht krankheitsbedingten Umständen zu finden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2001 – 4 StR 540/01, BeckRS 2001, 30228853). Dies ist in den Urteilsgründen darzustellen und mit Tatsachen zu belegen.
13
Soweit das Landgericht auch die Todesdrohungen zum Nachteil der Zeugen He. (Fall II. 1) der mittleren Kriminalität zugeordnet hat, wird dies von den Feststellungen nicht belegt. Todesdrohungen gehören nur dann zu den erheblichen Straftaten, wenn sie geeignet sind, den Bedrohten nachhaltig und massiv in seinem elementaren Sicherheitsempfinden zu beeinträchtigen; dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sie aus der Sicht des Betroffenen die nahe liegende Gefahr ihrer Verwirklichung in sich tragen (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202, 203; Urteil vom 12. Juni 2008 – 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564). Dass die bedrohten Zeugen mit tödlichen Messerstichen gerechnet haben, lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen. Die Tatsache, dass sie nach der ersten Drohung die Verfolgung des Beschuldigten aufnahmen, spricht eher für das Gegenteil.
14
Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Eine abschließende Entscheidung vermochte der Senat nicht zu treffen, weil es nicht fernliegend ist, dass weitere Feststellungen getroffen werden können , die eine Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB rechtfertigen.
Mutzbauer Roggenbuck Schmitt
Bender Quentin