Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Okt. 2016 - 1 StR 470/16
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 12. Oktober 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung in Tatmehrheit mit schwerer räuberischer Erpressung unter Einbeziehung von sieben Vorverurteilungen zu einer Einheitsjugendstrafe von fünf Jahren und zwei Monaten verurteilt.
- 2
- Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 16. September 2016 unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
- 3
- Die Nichtanordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Dies führt hier auch zur Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs.
- 4
- 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts (UA S. 9) verspürte der Angeklagte während seiner letzten Inhaftierung das Bedürfnis, Alkohol und Drogen konsumieren zu müssen; ohne Joint habe er nicht einschlafen können, weshalb es auch zu Zittern und Schwitzen als Entzugserscheinungen gekommen sei. Nach seiner Haftentlassung im September 2015 konsumierte der Angeklagte deshalb wieder sechs bis sieben Halbe Bier täglich, an den Wochen- enden auch „Härteres“. Daneben nahm der Angeklagte auch je vier Gramm Marihuana und Haschisch sowie ein Gramm Kokain pro Woche zu sich. Auch vor Begehung des verfahrensgegenständlichen ersten Überfalls trank der Angeklagte vier bis sechs Flaschen Bier und vor der zweiten Tat weitere ein bis zwei Flaschen. Zuvor hatte er ca. sechs Stunden vor der Tat auch noch Kokain in unbekannter Menge konsumiert und im Abstand von drei Stunden vor der Tat einen Joint Marihuana geraucht (UA S. 35). Sein zuletzt erzieltes Nettoeinkommen von 1.300 Euro gab der Angeklagte für Essen, Alkohol und Drogen aus. Daneben hatte der Angeklagte Schulden in Höhe von 3.000 bis 4.000 Euro , derentwegen auch bereits der Gerichtsvollzieher beim Angeklagten nach seiner Haftentlassung vorstellig wurde (UA S. 8/9).
- 5
- Das nicht sachverständig beratene Landgericht sieht die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt als nicht gegeben an (UA S. 47). Zwar sprächen seine früheren unter Alkoholeinfluss begangenen Taten für das Vorliegen eines Hangs, alkoholische Getränke und Drogen zu sich zu nehmen, es fehle jedoch an einem symptomatischen Zusammenhang zwischen einem möglichen Hang und den abgeurteilten Taten. Die Taten seien langfristig in nüchternem Zustand geplant worden und dienten dem Ziel, Geldmittel für die Begleichung von Schulden zu erlangen, so dass kein Zusammenhang mit dem Hang zum Alkohol- und Drogenkonsum bestehe.
- 6
- 2. Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft zu hohe Anforderungen an die Bejahung eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen Tat und Hang im Sinn des § 64 StGB gestellt.
- 7
- a) Ein symptomatischer Zusammenhang liegt vor, wenn der Hang allein oder zusammen mit anderen Umständen dazu beigetragen hat, dass der Täter eine erhebliche rechtswidrige Tat begangen hat und dies bei unverändertem Verhalten auch für die Zukunft zu erwarten ist (BGH, Beschlüsse vom 25. November 2015 – 1 StR 379/15, NStZ-RR 2016, 113; vom 6. November 2013 – 5StR 432/13 und vom 25. Mai 2011 – 4 StR 27/11, NStZ-RR 2011, 309), mithin die konkrete Tat in dem Hang ihre Wurzel findet (vgl. BGH, Beschluss vom 28. August 2013 – 4 StR 277/13, NStZ-RR 2014, 75). Dieser Zusammenhang liegt bei Delikten, die begangen werden, um Rauschmittel selbst oder Geld für ihre Beschaffung zu erlangen, nahe (BGH, Urteil vom 18. Februar 1997 – 1 StR 693/96, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Rausch 1; Beschluss vom 28. August 2013 – 4 StR 277/13, NStZ-RR 2014, 75).
- 8
- b) Diese Anforderungen an eine Symptomtat hat das Landgericht verkannt. Zwar spricht die Planung der Taten im nüchternen Zustand gegen einen symptomatischen Zusammenhang. Die Annahme des Landgerichts, ein solcher Zusammenhang bestehe auch deshalb nicht, weil die Taten dem Ziel dienten, Geldmittel für die Begleichung von Schulden zu erlangen, lässt aber unberücksichtigt , dass der Angeklagte ausweislich der Feststellungen trotz regelmäßiger Einkünfte gerade deshalb nicht zur Tilgung seiner Schulden mit legalen Mitteln in der Lage war, weil er sein Einkommen vorrangig für Alkohol und Drogen ausgeben musste. Der Angeklagte beging die Taten damit nicht, um vorrangig seine allgemeine Lebenssituation zu verbessern, sondern um mit deliktisch generierten Einkünften zu gewährleisten, große Teile seines Einkommens auch weiterhin für Alkohol und Rauschgift einsetzen zu können. Damit handelte der Angeklagte zumindest mittelbar auch, um Geld für die Beschaffung von Rauschmitteln zu erlangen.
- 9
- c) Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte nicht gefährlich im Sinne des § 64 StGB ist und keine hinreichend konkrete Aussicht besteht, ihn durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt von seinem Hang zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren (§ 64 Satz 2 StGB), bestehen nicht.
- 10
- d) Der Umstand, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (BGH, Beschlüsse vom 25. November 2015 – 1 StR 379/15, NStZ-RR 2016, 113 und vom 11. Juli 2013 – 3 StR 193/13; Urteil vom 10. April 1990 – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5). Der Be- schwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.
- 11
- 3. Wegen des durch § 5 Abs. 3 JGG vorgegebenen sachlichen Zusammenhangs zwischen Strafe und Unterbringung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Dezember 2013 – 2 StR 154/13 für § 64 StGB, vom 19. Dezember 2012 – 4StR 494/12, BGHR JGG § 5 Abs. 3 Absehen 3 und vom 18. Januar1993 – 5StR 682/92, BGHR JGG § 5 Abs. 3 Absehen 1, jeweils für § 63 StGB) ist auch der Strafausspruch aufzuheben. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt in Anwendung von § 5 Abs. 3 JGG davon abgesehen hätte, eine Jugendstrafe zu verhängen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2013 – 2 StR 154/13 mwN).
- 12
- Die zum Rechtsfolgenausspruch getroffenen Feststellungen werden mit aufgehoben, um dem neuen Tatrichter widerspruchsfreie eigene Feststellungen zu ermöglichen. Zur Frage der Prüfung einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt wird es in der neuen Verhandlung auch der Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) bedürfen. Graf Jäger Cirener Mosbacher Bär
moreResultsText
moreResultsText
Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
(1) Aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden.
(2) Die Straftat eines Jugendlichen wird mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe geahndet, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen.
(3) Von Zuchtmitteln und Jugendstrafe wird abgesehen, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt die Ahndung durch den Richter entbehrlich macht.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
(1) Aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden.
(2) Die Straftat eines Jugendlichen wird mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe geahndet, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen.
(3) Von Zuchtmitteln und Jugendstrafe wird abgesehen, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt die Ahndung durch den Richter entbehrlich macht.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
(1) Aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden.
(2) Die Straftat eines Jugendlichen wird mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe geahndet, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen.
(3) Von Zuchtmitteln und Jugendstrafe wird abgesehen, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt die Ahndung durch den Richter entbehrlich macht.
(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen. Gleiches gilt, wenn das Gericht erwägt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.
(2) Ist Anklage erhoben worden wegen einer in § 181b des Strafgesetzbuchs genannten Straftat zum Nachteil eines Minderjährigen und kommt die Erteilung einer Weisung nach § 153a dieses Gesetzes oder nach den §§ 56c, 59a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 oder § 68b Absatz 2 Satz 2 des Strafgesetzbuchs in Betracht, wonach sich der Angeklagte psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen hat (Therapieweisung), soll ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten vernommen werden, soweit dies erforderlich ist, um festzustellen, ob der Angeklagte einer solchen Betreuung und Behandlung bedarf.
(3) Hat der Sachverständige den Angeklagten nicht schon früher untersucht, so soll ihm dazu vor der Hauptverhandlung Gelegenheit gegeben werden.