Bundesgerichtshof Beschluss, 31. Juli 2018 - 1 StR 260/18

bei uns veröffentlicht am31.07.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 260/18
vom
31. Juli 2018
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:310718B1STR260.18.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 31. Juli 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ulm vom 24. Januar 2018 mit den Feststellungen – mit Ausnahme der Adhäsionsentscheidungen – aufgehoben; aufrecht erhalten bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen. 2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere – als Schwurgericht zuständige – Strafkammer des Landgerichts Ulm zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen.
2
Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 14. Juni 2018 unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
3
1. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte, nachdem er nachts heimlich in das Schlafzimmer des Lebensgefährten seiner früheren Freundin eingedrungen war, und nach deren Äußerung, er solle sich „verpissen“, mit niedrigen Beweggründen handelte, weil die tatauslösende Gefühlsregung nach Auffassung des Landgerichts auf dem exklusiven Besitzanspruch an seiner früheren Freundin beruhte und er ihr mit einem Messer einen kraftvollen Schnitt an der Halsseite zufügte, der vom Kinn bis zur Wirbelsäule reichte und fünf Zentimeter tief sowie 15 cm lang war.
4
Diese Begründung, mit der das Landgericht das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe bejaht hat, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat insoweit den Sachverhalt nicht erschöpfend gewürdigt und insbesondere im Rahmen einer Gesamtwürdigung nicht erörtert, welche weiteren Motive bei dem Angeklagten zum Zeitpunkt der mit Tötungsvorsatz ausgeführten Handlung vorgelegen haben.
5
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Beweggründe im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB niedrig, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtens- wert sind. Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat „niedrig” sind und in deutlich weiter reichendem Maße als bei einem Totschlag als verachtenswert erscheinen, hat auf Grund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren, insbe- sondere der Umstände der Tat, der Lebensverhältnisse des Täters und seiner Persönlichkeit zu erfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2017 – 2 StR 656/13, StV 2017, 516; Urteil vom 19. Oktober 2001 – 2 StR 259/01, BGHSt 47, 128, 130). Bei einer Tötung aus Wut, Ärger, Hass oder Rache kommt es darauf an, ob diese Antriebsregungen ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruhen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 22. März 2017 – 2 StR 656/13, StV 2017, 516 mwN). In subjektiver Hinsicht muss hinzukommen, dass der Täter die Umstände , die die Niedrigkeit seiner Beweggründe ausmachen, in ihrer Bedeutung für die Tatausführung in sein Bewusstsein aufgenommen hat und, soweit gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen in Betracht kommen, diese gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern kann (BGH, Urteil vom 22. März 2017 – 2 StR 656/13, StV 2017, 516 mwN).
6
b) Diesem Maßstab werden die Erwägungen des Landgerichts zur Bejahung des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe nicht gerecht.
7
Das Landgericht hat zum Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe allein darauf abgestellt, dass die tatauslösende Gefühlsregung des Angeklagten auf dem nach seiner Auffassung bestehenden exklusiven Besitzanspruch an R. beruhte, was nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehe (UA S. 42). Damit wurden aber nicht im Rahmen einer notwendigen Gesamtwürdigung alle äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Gesichtspunkte in den Blick genommen. Vielmehr ist das Landgericht vom vermeintlichen Besitzanspruch des Angeklagten als einzigem Tatmotiv ausgegangen und hat sich nicht mit den denkbaren weiteren Tatmotiven des Angeklagten hinreichend auseinandergesetzt, obwohl die vom Landgericht festgestellte Tatausführung nach der Äußerung des Tatopfers unmittelbar vor der Tat, dass sich der Angeklagte „verpissen“ solle (UA S. 18), durchaus darauf hindeutet, dass bei dem Angeklagten auch andere Motive bei der Tat- begehung – wie eine Provokation durch das Opfer oder Wut – eine Rolle spielten , die der Angeklagte in einer Bestrafung der Nebenklägerin abreagieren wollte. Bei dieser Sachlage hätte daher im Rahmen einer Gesamtwürdigung erörtert werden müssen, ob die tatauslösende Gefühlsregung des Angeklagten letztlich auf einer Grundhaltung beruhte, die durch eine ungehemmte Eigensucht, exklusive Besitzansprüche und eine unduldsame Selbstgerechtigkeit gekennzeichnet ist. Nur eine solche Grundhaltung steht nach allgemeiner sittlicher Bewertung auf tiefster Stufe.
8
2. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt auch zur Aufhebung des an sich rechtsfehlerfreien Schuldspruchs wegen tateinheitlich verwirklichter gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen.
9
Die Aufhebung des strafrechtlichen Teils der angefochtenen Entscheidung führt aber nicht zur Aufhebung der zu Gunsten des Adhäsionsklägers G. ergangenen – für sich rechtsfehlerfreien – Adhäsionsentscheidung (§ 406a Abs. 3 Satz 1 StPO); deren Aufhebung bleibt gegebenenfalls dem neuen Tatrichter vorbehalten (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 26. Juni 2018 – 1 StR 208/18 undvom 7. Juni 2017 – 4 StR 197/17, NStZ-RR 2017, 270 mwN).
10
3. Die Feststellungen des Landgerichts zum objektiven Tatgeschehen sind ordnungsgemäß getroffen und werden durch den aufgezeigten Rechtsfehler nicht berührt. Sie können daher bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Die Feststellungen zur inneren Tatseite werden aufgehoben, um dem neuen Tatrichter insgesamt widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen.
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(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren

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(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. (2) Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitt

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(1) Gegen den Beschluss, mit dem nach § 406 Abs. 5 Satz 2 von einer Entscheidung über den Antrag abgesehen wird, ist sofortige Beschwerde zulässig, wenn der Antrag vor Beginn der Hauptverhandlung gestellt worden und solange keine den Rechtszug abschl

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 656/13
vom
22. März 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
ECLI:DE:BGH:2017:220317U2STR656.13.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. März 2017, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl als Vorsitzender,
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Krehl, Dr. Eschelbach, Zeng, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Bartel,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt , Rechtsanwältin als Verteidiger,
Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 3. Juli 2013 wird verworfen. 2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenkläger zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Seine auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision bleibt ohne Erfolg.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts tötete der Angeklagte seine Ehefrau am 22. September 2012 durch insgesamt 60 Stiche und Schnitte mit einem Messer. Hintergrund der Tat war die Eifersucht des Angeklagten auf einen Nebenbuhler, mit dem seine Ehefrau seit längerer Zeit eine auch intime Beziehung unterhielt, und seine mangelnde Bereitschaft, eine von dem Tatopfer angekündigte Trennung hinzunehmen. Das Schwurgericht hat insoweit angenommen, der Angeklagte habe aus niedrigen Beweggründen gehandelt.

II.

3
Die Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg, soweit er die Verletzung formellen Rechts beanstandet. Nach der Entscheidung des Großen Senats vom 15. Juli 2016 (GSSt 1/16) enthält § 252 StPO kein umfassendes Verwertungsverbot , das die Vernehmung eines Richters über den Inhalt der Aussage eines Zeugen ausschließt, den der Richter in dem die konkrete Tat betreffenden Ermittlungsverfahren vor der Hauptverhandlung vernommen hat. Die Einführung und Verwertung des Inhalts der Bekundungen des (Angaben in der Hauptverhandlung verweigernden) Zeugen erfordert lediglich, dass der Richter ihn über sein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO belehrt hat; einer weitergehenden (qualifizierten) Belehrung auch über die Möglichkeit der Einführung und Verwertung seiner Aussage im weiteren Verfahren bedarf es hierfür nicht. Die Rügen des Angeklagten, mit denen er sich gegen die Verwertung der Angaben seiner Tochter, die in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO Gebrauch gemacht und sich mit einer Verwertung ihrer Angaben im Ermittlungsverfahren nicht einverstanden erklärt hatte, greifen demnach nicht durch. Die Angaben des Ermittlungsrichters, der die Tochter vor ihrer Vernehmung zwar über das ihr zustehende Auskunftsverweigerungsrecht belehrt, sie aber nicht darauf hingewiesen hatte, dass bei späterer Zeugnisverweigerung in der Hauptverhandlung ihre zuvor beim Richter gemachten Angaben verwertet werden könnten, durfte das Landgericht seiner Überzeugungsbildung zugrunde legen.

III.

4
Die umfassende Überprüfung der angegriffenen Entscheidung aufgrund der Sachrüge deckt ebenfalls keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Dies gilt auch, soweit das Landgericht niedrige Beweggründe angenommen und den Angeklagten wegen Mordes verurteilt hat.
5
Das Landgericht ist davon ausgegangen, das prägende Hauptmotiv der Tat sei die Eifersucht des Angeklagten und seine Weigerung gewesen, die Trennung von seiner Ehefrau zu akzeptieren; diese Motivation stehe sittlich auf niedrigster Stufe; sie sei Ausdruck der Geisteshaltung des Angeklagten, seine Frau als sein Eigentum zu begreifen, über das er verfügen könne. Zudem ergebe sich auch ein deutliches Missverhältnis zwischen dem Tatanlass, den erneuten Trennungsabsichten seiner Ehefrau und der Tat.
6
Beweggründe sind im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB niedrig, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert sind. Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat „niedrig” sind und – indeutlich weiter reichendem Maße als bei einem Totschlag – als verachtenswert erscheinen, hat auf Grund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren, insbesondere der Umstände der Tat, der Lebensverhältnisse des Täters und seiner Persönlichkeit zu erfolgen (vgl. BGHSt 47, 128, 130). Bei einer Tötung aus Wut, Ärger, Hass oder Rache kommt es darauf an, ob diese Antriebsregungen ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruhen (st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 47, 128, 130; BGH, NJW 2006, 1008, 1011; NStZ-RR 2006, 340, 341). In subjektiver Hinsicht muss hinzukommen, dass der Täter die Umstände, die die Niedrigkeit seiner Beweggründe ausmachen, in ihrer Bedeutung für die Tatausführung ins Bewusstsein aufgenommen hat und, soweit gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen in Betracht kommen, diese gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern kann. Dies ist nicht der Fall, wenn der Täter außer Stande ist, sich von seinen gefühlsmäßigen und triebhaften Regungen freizumachen (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 26 mwN).
7
Nach diesem Maßstab, den das Landgericht seiner Bewertung zugrunde gelegt hat, ist die Annahme niedriger Beweggründe nicht zu beanstanden. Die Würdigung, mit der das Landgericht zu der Feststellung gelangt ist, dass Eifersucht und der Unwillen des Angeklagten, die Trennung zu akzeptieren, bei einem Motivbündel ganz im Vordergrund standen und nicht etwa Niedergeschlagenheit oder Verzweiflung die Tat maßgeblich bestimmt haben, weist keinen Rechtsfehler auf. Die Strafkammer hat in ihrer Gesamtwürdigung alle maßgeblichen Gesichtspunkte in den Blick genommen und dabei auch das ambivalente Verhalten des Tatopfers, das sich trotz vorangegangener Gewalttätigkeiten durch den Angeklagten mehrfach auf neuerliche Beziehungsversuche einließ und ihn in Trennungsphasen vermisste, berücksichtigt. Dass sie gleichwohl die Beweggründe für das Verhalten des Angeklagten als niedrig eingestuft hat, ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Soweit das Landgericht in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen hat, der Angeklagte habe „dennoch Hand- lungsalternativen gehabt und hätte die Situation anders als durch die Tötung seiner Ehefrau lösen können“, ist dies nicht – was bedenklich wäre – als bloßer Vorwurf, die Tat überhaupt begangen zu haben, zu verstehen. Die Strafkammer hat hiermit lediglich zum Ausdruck gebracht, dass sich der Angeklagte nicht in einer als „ausweglos empfundenen“ Situation befunden habe, was die Annahme niedriger Beweggründe in Frage gestellt hätte. Angesichts des nach Ansicht des Landgerichts im Vordergrund stehenden Handlungsmotivs beim Angeklagten ist es im Übrigen – auch wenn die Strafkammer den unmittelbaren Tatauslöser in der konkreten Situation nicht festzustellen vermochte – nicht zu bean- standen, dass sie von einem deutlichen Missverhältnis zwischen Tatanlass und Tat ausgegangen ist. Appl Krehl Eschelbach Zeng Bartel

(1) Gegen den Beschluss, mit dem nach § 406 Abs. 5 Satz 2 von einer Entscheidung über den Antrag abgesehen wird, ist sofortige Beschwerde zulässig, wenn der Antrag vor Beginn der Hauptverhandlung gestellt worden und solange keine den Rechtszug abschließende Entscheidung ergangen ist. Im Übrigen steht dem Antragsteller ein Rechtsmittel nicht zu.

(2) Soweit das Gericht dem Antrag stattgibt, kann der Angeklagte die Entscheidung auch ohne den strafrechtlichen Teil des Urteils mit dem sonst zulässigen Rechtsmittel anfechten. In diesem Falle kann über das Rechtsmittel durch Beschluss in nichtöffentlicher Sitzung entschieden werden. Ist das zulässige Rechtsmittel die Berufung, findet auf Antrag des Angeklagten oder des Antragstellers eine mündliche Anhörung der Beteiligten statt.

(3) Die dem Antrag stattgebende Entscheidung ist aufzuheben, wenn der Angeklagte unter Aufhebung der Verurteilung wegen der Straftat, auf welche die Entscheidung über den Antrag gestützt worden ist, weder schuldig gesprochen noch gegen ihn eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet wird. Dies gilt auch, wenn das Urteil insoweit nicht angefochten ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 208/18
vom
26. Juni 2018
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen gefährlicher Körperverletzung
hier: Revision des Angeklagten H.
ECLI:DE:BGH:2018:260618B1STR208.18.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 26. Juni 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 357 Satz 1 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 15. Januar 2018 auch soweit es die Mitangeklagte G. betrifft – mit Ausnahme der Adhäsionsentscheidungen – mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Gegen die nicht revidierende Mitangeklagte G. hat das Landgericht wegen Beihilfe zu dieser Tat eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten verhängt. Zudem hat es den Angeklagten als Adhäsionsbeklagten verurteilt, ein Schmer- zensgeld in Höhe von 1.000 € nebst Zinsen an den Adhäsionskläger zu zahlen. Die Revision des Beschwerdeführers, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
3
Einige Tage vor dem 25. Februar 2017 entstand zwischen dem Angeklagten , seiner Lebensgefährtin, der nicht revidierenden Mitangeklagten G. und dem Geschädigten P. ein Streit wegen der Rückzahlung eines Geldbetrages. Hintergrund der Streitigkeiten war, dass die Mitangeklagte G. dem P. einige Zeit zuvor Tabletten überlassen hat- te, wofür dieser der Mitangeklagten ihrer Ansicht nach noch 20 € schuldete; der Geschädigte P. war der Meinung, er habe den Betrag gezahlt und schulde nichts mehr. Im Rahmen des Streits kam es zu gegenseitigen Beleidigungen und Beschimpfungen per SMS.
4
Am frühen Morgen des 25. Februar 2017 rief der Geschädigte bei dem Angeklagten an und beschimpfte und beleidigte ihn erneut, wobei es auch um den angeblich geschuldeten Geldbetrag ging. In dem Telefonat kündigte P. an, jetzt bei dem Angeklagten vorbeizukommen. Um 5.12 Uhr erhielt der Angeklagte eine SMS mit dem Inhalt „komm runter ich bin da“. Der Ange- klagte verließ daraufhin die Wohnung und nahm eine Metallstange, mutmaßlich eine Duschstange, mit, da er aufgrund vorausgegangener SMS-Nachrichten vermutete, dass P. nicht alleine auf der Straße auf ihn warten werde.Die Mitangeklagte G. folgte ihrem Lebensgefährten und nahm ein Messer mit, um sich zu schützen, aber auch um anderen Personen Angst einzuflößen. Beide gingen aufgrund der vorangegangenen Beschimpfungen und Beleidigungen zwischen den Beteiligten davon aus, dass es sich nicht nur um eine friedliche Aussprache handeln würde, sondern dass es auch zu einer körperlichen Auseinandersetzung kommen könnte.
5
Der Geschädigte wartete zusammen mit dem Zeugen F. in dessen Fahrzeug. Der Angeklagte ging zu dem Pkw und öffnete die Beifahrertür. P. stieg aus und verlangte von dem Angeklagten und der Mitangeklagten G. , dass sie in das Fahrzeug einsteigen sollten. Dabei führte er einen langen metallenen Schuhanzieher mit sich, mit dem er Schlagbewegungen in Richtung des Angeklagten und der Mitangeklagten machte, ohne sie jedoch tatsächlich anzugreifen. Daraufhin entwickelte sich ein kurzer Kampf zwischen dem Angeklagten und P. , im Zuge dessen der Angeklagte dem Geschädigten P. mit der Duschstange auf den Kopf schlug. Währenddessen stellte sich die Mitangeklagte G. zwischen die Kämpfenden und den Zeugen F. und hielt diesem das mitgeführte Messer entgegen. Dadurch verhinderte sie, wie von ihr beabsichtigt, dass der Zeuge F. dem Geschädigten P. zu Hilfe kommen konnte.
6
Nach dem kurzen Kampf gingen der Angeklagte und die Mitangeklagte zurück in ihre Wohnung. P. rief, sie sollten wieder zurückkommen und drohte „wehe, wenn ihr nicht nochmal runterkommt“. In der Wohnung bewaffne- te sich der Angeklagte mit einem Messer und ging wieder nach unten; ihm war dabei klar, dass die Auseinandersetzung nun weitergeführt wird und er wollte dies auch. Die Mitangeklagte G. folgte dem Angeklagten nach unten. Nunmehr kam es zu einer im Einzelnen nicht mehr genauer aufklärbaren körperlichen Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten P. . Nicht ausschließbar hatte P. sich zwischenzeitlich ebenfalls bewaffnet und führte einen Hammer und ein Messer bei sich. Ziel der Auseinandersetzung war es, zu klären, wer der Stärkere und damit wer im Recht ist. Im Zuge der Auseinandersetzung gewann der Angeklagte schnell die Oberhand und verletzte P. mehrfach mit dem mitgeführten Messer,unter anderem am Oberkörper und am Kopf. Schließlich versetzte erP. einen Stich in die linke Brustkorbseite, etwa 2 cm unterhalb der Achselfalte, wodurch es zu einer ca. 3 cm langen Hautdurchtrennung, zu einer Durchtrennung der 4. Rippe und zu einer Eröffnung der Brusthöhle ohne Beteiligung von Lungengewebe kam, wobei zu keinem Zeitpunkt konkrete Lebensgefahr bestand. Aufgrund der Stichverletzung sank der Geschädigte in sich zusammen und sagte „Hör auf, es ist genug“. Der Angeklagte ließ daraufhin von ihm ab. Der Geschä- digte P. befand sich vier Tage in stationärer Behandlung. Die Verletzungen sind zwischenzeitlich folgenlos ausgeheilt. Der Angeklagte erlitt eine Schnittverletzung unterhalb des linken Knies, eine kleinere Hautdefektstelle oberhalb der rechten Augenbraue sowie mehrere Hautverfärbungen und kratzerartige Verletzungen im Rumpfbereich, die auf die Einwirkung stumpfer Gewalt hindeuten.
7
Das Landgericht hat eine – durch eine Tat begangene – Strafbarkeit des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB angenommen. Es hat die Handlungen des Angeklagten als nicht durch Notwehr gerechtfertigt gewertet. Hinsichtlich der ersten Handlung, des Schlags mit der Duschstange, liege in dem „Herumfuchteln“ des P. mit dem metallenen Schuhlöffel bereits kein Angriff vor. Im Hinblick auf die zweite Auseinandersetzung könne zwar nicht ausgeschlossen werden, dass sich P. zwischenzeitlich ebenfalls bewaffnet habe, die Notwehr durch den Angeklagten sei aber nicht geboten gewesen, da er die Notwehrlage selbst verursacht habe. Der Angeklagte habe sich gewollt in dem Bewusstsein in die Auseinandersetzung begeben, dass es zu weiteren Tätlichkeiten kommen werde. Dem Angeklagten sei es jedoch jederzeit möglich und zumutbar gewesen, der weiteren Auseinandersetzung mit P. aus dem Weg zu gehen.
8
2. Diese Bewertung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
9
a) Bereits die Annahme, der Schlag des Angeklagten mit der Duschstange sei rechtswidrig, begegnet durchgreifenden Bedenken. Denn es ist nicht festgestellt und belegt, dass ein rechtswidriger Angriff seitens des Angeklagten vorlag. Das Landgericht hat insoweit lediglich festgestellt, dass in dem „Herumfuchteln“ mit dem Schuhlöffel kein Angriff seitens des P. vorliege und sich daraufhin ein kurzer Kampf zwischen dem Angeklagten und P. entwickelt habe (UA S. 14, 25). Weitere Feststellungen zu diesem „kurzen Kampf“ und dem dem Schlag mit der Duschstange vorausgehenden Geschehen hat das Landgericht nicht getroffen. Bei zeitlich aufeinanderfolgenden, wechselseitigen Angriffen der Beteiligten bedarf es zur Prüfung der Notwehrlage einer Gesamtbetrachtung unter Einschluss des der Tathandlung vorausgegangenen Geschehens ; derjenige kann sich nicht auf ein Notwehrrecht berufen, der zuvor einen anderen rechtswidrig angegriffen hat, so dass dieser seinerseits aus Notwehr handelt (vgl. BGH, Urteile vom 23. Januar 2003 – 4 StR 267/02, NStZ 2003, 599, 600; vom 22. November 2000 – 3 StR 331/00, NStZ 2001, 143, 144 und vom 26. Oktober 1993 – 5 StR 493/93, BGHSt 39, 374, 376 f.). Dies hat das Landgericht verkannt.
10
b) Auf Grundlage der getroffenen Feststellungen ist überdies die Annahme einer dem Angeklagten vorwerfbaren Provokation der Notwehrlage und einer damit einhergehenden Einschränkung seiner Notwehrbefugnisse im Hinblick auf die Messerstiche in den Oberkörper rechtsfehlerhaft.
11
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfährt das Notwehrrecht unter anderem dann eine Einschränkung, wenn der Verteidiger gegenüber dem Angreifer ein pflichtwidriges Vorverhalten an den Tag gelegt hat, das bei vernünftiger Würdigung aller Umstände des Einzelfalls den folgenden Angriff als eine adäquate und voraussehbare Folge der Pflichtverletzung des Angegriffenen erscheinen lässt. In einem solchen Fall muss der Verteidiger dem Angriff unter Umständen auszuweichen suchen und darf zur lebensgefährlichen Trutzwehr nur übergehen, wenn andere Abwehrmöglichkeiten erschöpft oder mit Sicherheit aussichtslos sind (vgl. BGH, Urteile vom 15. Mai 1975 – 4 StR 71/75, BGHSt 26, 143, 145 und vom 7. Februar 1991 – 4 StR 526/90, NStE Nr. 21 zu § 32 StGB). Darüber hinaus vermag ein sozialethisch zu missbilligendes Vorverhalten das Notwehrrecht nur einzuschränken, wenn zwischen diesem Vorverhalten und dem rechtswidrigen Angriff ein enger zeitlicher und räumlicher Ursachenzusammenhang besteht und es nach Kenntnis des Täters auch geeignet ist, einen Angriff zu provozieren (vgl. BGH, Urteile vom 2. November 2005 – 2 StR 237/05, NStZ 2006, 332, 333 und vom 21. März 1996 – 5 StR 432/95, BGHSt 42, 97, 100).
12
bb) Die Feststellungen des Landgerichts belegen nicht, dass der Angeklagte die – zu seinen Gunsten angenommene – Notwehrlage in rechtswidriger oder sonst sozialethisch zu missbilligender Weise vorwerfbar provoziert hätte.
13
Der Angeklagte hat in keiner Weise verbal zum Fortgang der Auseinandersetzung beigetragen und den anschließenden Angriff gegen ihn provoziert. Er ist im Gegenteil von dem Geschädigten aufgefordert worden, zurück zu kommen und die Auseinandersetzung fortzusetzen. Auch an das Verhalten des Angeklagten während des vorangegangenen ersten kurzen Kampfes kann nicht zu seinen Lasten angeknüpft werden. Denn diese Kampfsituation war für alle Beteiligten erkennbar abgeschlossen, da der Angeklagte den Kampfplatz verlassen hatte und gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin seine Wohnung aufgesucht hat. Überdies liegt insoweit – wie zuvor unter aa) ausgeführt – nach den bisherigen Feststellungen kein pflichtwidriges Vorverhalten des Angeklag- ten vor. Auch auf das Verhalten des Angeklagten vor dem ersten „kurzen Kampf“ kann nicht zu seinen Lasten abgestellt werden. Denn es war nach den Feststellungen vielmehr der Geschädigte P. , der den Angeklagten zuvor angerufen, beleidigt und zu der körperlichen Auseinandersetzung aufgefordert hatte. Allein der Umstand, dass der Angeklagte mit dem Geschädigten P. – Tagezuvor – eine verbale Auseinandersetzung mit wechselseitigen Beleidigungen geführt und sich am Tattag auf einen Kampf mit dem Geschädigten eingelassen hat, vermag keine vorwerfbare Provokation des nachfolgenden Angriffs gegen ihn zu begründen.
14
Das Notwehrrecht erfährt vorliegend auch nicht deshalb eine Beschränkung , weil sich der Angeklagte überhaupt in die zweite Auseinandersetzung bewaffnet mit einem Messer begeben hat. Denn die bloße Kenntnis oder die („billigende“) Annahme, ein bestimmtes eigenes Verhalten werde eine andere Person zu einem rechtswidrigen Angriff provozieren, kann für sich allein nicht zu einer Einschränkung des Rechts führen, sich gegen einen solchen Angriff mit den erforderlichen und gebotenen Mitteln zur Wehr zu setzen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. August 2010 – 2 StR 118/10, NStZ 2011, 82, 83; Urteile vom 2. November 2005 – 2 StR 237/05, NStZ 2006, 332, 333 und vom 12. Februar 2003 – 1 StR 403/02, NJW 2003, 1955, 1959; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 32 Rn. 43).
15
c) Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
16
3. Die Urteilsaufhebung war gemäß § 357 Satz 1 StPO auf die nicht revidierende Mitangeklagte G. zu erstrecken, denn der Rechtsfehler betrifft auch die wegen Beihilfe zu derselben Tat verurteilte Mitangeklagte.
17
4. Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass die Annahme einer einheitlichen Körperverletzungstat im Hinblick auf die zeitliche Zä- sur, die dadurch eingetreten ist, dass der Angeklagte nach dem ersten „kurzen Kampf“ seine Wohnung aufgesucht und anschließend das Tatmittel gewechselt hat, nicht zwingend sein dürfte. Im Übrigen dürfte vorliegend in den Blick zu nehmen sein, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Körperverletzungshandlungen durch eine Einwilligung des P. , der den Angeklagten zu der körperlichen Auseinandersetzung aufgefordert hat, unter Beachtung der sich aus § 228 StGB ergebenden Grenzen wirksamer Einwilligung gerechtfertigt sein könnten.

II.

18
Die Aufhebung des strafrechtlichen Teils des angefochtenen Urteils führt nicht zur Aufhebung der zu Gunsten des Nebenklägers ergangenen – für sich rechtsfehlerfreien – Adhäsionsentscheidung (§ 406a Abs. 3 Satz 1 StPO); deren Aufhebung bleibt gegebenenfalls dem neuen Tatrichter vorbehalten (vgl. nur BGH, Beschluss vom 7. Juni 2017 – 4 StR 197/17, Rn. 13, NStZ-RR 2017, 270; Urteil vom 23. Juli 2015 – 3 StR 470/14, Rn. 56 mwN, StraFo 2016, 25). Insoweit ist im Hinblick auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts lediglich darauf hinzuweisen, dass der Adhäsionsantrag ausreichend bestimmt im Sinne von § 404 Abs. 1 Satz 2 StPO und damit zulässig ist, da der Adhäsionskläger ausweislich des Protokolls im Hauptverhandlungstermin am 15. Januar 2018 erklärt hat, dass er sich ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 15.000 € vorstelle (Bd. IV Bl. 719).
19
Der Senat kann über die Revision des Angeklagten durch Beschluss nach § 349 Abs. 2 und 4 StPO befinden, obwohl der Generalbundesanwalt die Aufhebung des angefochtenen Urteils im Adhäsionsausspruch beantragt hat. Kann das Revisionsgericht über den strafrechtlichen Teil des Urteils im Beschlussverfahren entscheiden, so kann es hierbei auch über das Rechtsmittel gegen die Zubilligung einer Entschädigung des Verletzten ohne Bindung an den Antrag des Generalbundesanwalts mitbefinden (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2013 – 4 StR 368/13, NStZ-RR 2014, 90 mwN; Schmitt in MeyerGoßner /Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 349 Rn. 22). RiBGH Prof. Dr. Graf ist al- Radtke Fischer tersbedingt aus dem Dienst ausgeschieden und deshalb an der Unterschriftsleistung gehindert. Radtke Bär Hohoff

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 197/17
vom
7. Juni 2017
in der Strafsache
gegen
alias:
wegen gefährlicher Körperverletzung
ECLI:DE:BGH:2017:070617B4STR197.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 7. Juni 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 10. Januar 2017 mit Ausnahme der Adhäsionsentscheidung mit den Feststellungen aufgehoben; insoweit wird die Urteilsformel dahin ergänzt, dass hinsichtlich der weiter gehenden Schmerzensgeldforderung von einer Entscheidung abgesehen wird.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt. Es hat die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt und den Angeklagten als Adhäsionsbeklagten dem Grunde nach verurteilt, Schmerzensgeld an den Adhäsionskläger zu zahlen.
2
Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen überwiegenden Erfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


3
Nach den Feststellungen des Landgerichts sah sich der Angeklagte am Abend des 9. August 2015 aus Anlass einer Festveranstaltung mit etwa 200 Gästen in einer Halle in M. seitens des Nebenklägers mit dem – tatsächlich unzutreffenden – Vorwurf konfrontiert, diesem auf der Veranstal- tung das Mobiltelefon entwendet zu haben. Auf die wütende Aufforderung des Nebenklägers, stehen zu bleiben, bekam es der Angeklagte mit der Angst zu tun und wich zurück. Der Nebenkläger und einige seiner Bekannten bedrängten den Angeklagten weiter und forderten ihn zur Rückgabe des Telefons auf, woraufhin der Angeklagte erwiderte, er habe es nicht. Als einer der Begleiter des Nebenklägers dem Angeklagten ins Gesicht fasste, wich dieser weiter zurück und trat schließlich die Flucht aus der Festhalle an. Er wurde vom Nebenkläger verfolgt, dem es vor der Halle gelang, den Angeklagten einzuholen. Auf die erneut und nachdrücklich erhobene Aufforderung zur Rückgabe des Mobiltelefons bestritt der Angeklagte, dieses entwendet zu haben, woraufhin der Nebenkläger antwortete, dass er ihm nicht glaube und ihn nunmehr durchsuchen wolle. Das wollte der Angeklagte seinerseits nicht zulassen und beschloss wegzulaufen. Der Nebenkläger beharrte auf einer Klärung der Angelegenheit und fasste den Angeklagten an der Schulter. Nunmehr entschied sich der Angeklagte, die beabsichtigte Flucht auch gewaltsam durchzusetzen und den Nebenkläger daran zu hindern, weiter auf ihn einzuwirken. Er zog ein unbekanntes Schneidwerkzeug mit kurzer Klinge aus seiner Tasche und fügte dem Nebenkläger damit zwei Schnitte im rechten Brustbereich zu, wodurch zwei klaffende und binnen kurzem stark blutende Wunden entstanden. Kurz darauf überbrachte ein Begleiter des Nebenklägers diesem sein Telefon mit dem Bemerken, er habe es gerade auf dem Boden gefunden. Diese Situation nutzte der Angeklagte zur Flucht.

II.


4
Die Verurteilung des Angeklagten begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
5
1. Nach den bisherigen Feststellungen ist nicht auszuschließen, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Messerstiche einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff ausgesetzt war und sich daher in einer Notwehrsituation im Sinne des § 32 StGB befand.
6
a) Gegenwärtig kann auch ein Verhalten sein, das zwar noch kein Recht verletzt, aber unmittelbar in eine Verletzung umschlagen kann und deshalb ein Hinausschieben der Abwehrhandlung unter den gegebenen Umständen entweder deren Erfolg gefährden oder den Verteidiger zusätzlichen, nicht mehr hinnehmbaren Risiken aussetzen würde (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 2017 – 1 StR 486/16, juris Rn. 28 mwN). Hat der Angreifer bereits eine Verletzungshandlung begangen, dauert der Angriff so lange an, wie eine Wiederholung und damit ein erneutes Umschlagen in eine Verletzung unmittelbar zu befürchten ist (BGH, Urteil vom 21. März 2017 aaO). Dabei kommt es auf die objektive Sach- lage an. Entscheidend sind daher nicht die Befürchtungen des Angegriffenen, sondern die Absichten des Angreifers und die von ihm ausgehende Gefahr einer (neuerlichen oder unverändert fortdauernden) Rechtsgutsverletzung (BGH aaO mwN).
7
b) Danach hätte das Landgericht das Vorliegen einer Notwehrlage hier nicht unerörtert lassen dürfen. Denn dem Angeklagten drohte zu dem Zeitpunkt, als er sich zum Einsatz des unbekannt gebliebenen Schneidwerkzeugs entschloss , eine Verletzung seiner rechtlich geschützten Interessen. Er musste weder hinnehmen, dass der – sich in Begleitung weiterer Personen befindliche – Nebenkläger ihn, wie angekündigt, durchsuchen, noch dass dieser ihn deshalb durch Festhalten am Verlassen des Festgeländes hindern wollte.
8
2. Es kommt hinzu, dass die Urteilsgründe zu den genauen Umständen der Auseinandersetzung, der sog. Kampflage, an durchgreifenden Widersprüchen leiden. Es bleibt deshalb unklar, ob der Einsatz des Schneidwerkzeugs das Maß des Erforderlichen überschritten hat und eine Rechtfertigung des Angeklagten durch Notwehr jedenfalls aus diesem Grund nicht in Betracht kommt.
9
a) Welche Reaktion auf einen Angriff durch Notwehr gerechtfertigt ist, lässt sich nur bei einer umfassenden und widerspruchsfreien Bewertung der gesamten Auseinandersetzung in objektiver und subjektiver Hinsicht beurteilen. In diese Bewertung der sog. Kampflage sind diejenigen tatsächlichen Umstände einzubeziehen, unter denen sich Angriff und Abwehr abspielen, sowie die Stärke und Gefährlichkeit des Angreifers einerseits und die Verteidigungsmöglichkeiten des Angegriffenen andererseits (vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 1987 – 1 StR 582/87, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 2; Beschluss vom 29. Januar 2003 – 2 StR 529/02, NStZ 2003, 420, 421). Ob sich der Angeklagte im vorlie- genden Fall auf Notwehr (§ 32 StGB) oder etwa auch auf entschuldigende Notwehrüberschreitung (§ 33 StGB) berufen kann, hängt danach entscheidend davon ab, wie sich diese Kampflage im Zeitpunkt des Einsatzes des Schneidwerkzeugs objektiv und insbesondere auch in der Vorstellung des Angeklagten darstellte (BGH, Urteil vom 1. Dezember 1987 – 1 StR 582/87, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 2).
10
b) Eine solche widerspruchsfreie Feststellung und Bewertung der Kampflage ist dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Das Landgericht stellt insoweit zunächst fest, der Angeklagte habe seine Durchsuchung durch den Nebenkläger nicht zulassen wollen und sich deshalb entschlossen, die Feier zu verlassen und wegzulaufen. Bereits zuvor habe er es angesichts des ihn verfolgenden Nebenklägers und der ihn bedrängenden weiteren Personen „mit der Angst zu tun“ bekommen. Damit sind die beweiswürdigenden Erwägungen, auf die die Strafkammer ihre Schlussfolgerung stützt, der Nebenkläger habe dem Angeklagten seinerseits keinen Anlass gegeben, die Verletzungshandlungen aus Angst vor Gewalthandlungen durch ihn, den Nebenkläger, auszuüben, nicht vereinbar. Insoweit stellt das Urteil darauf ab, der Angeklagte selbst habe nicht geäußert, sich vom Nebenkläger bedroht gefühlt zu haben. Er habe keine Tätlichkeiten des Nebenklägers geschildert; nach seiner eigenen Darstellung habe er zwar eine gereizte Atmosphäre wahrgenommen, jedoch keine Angst vor Übergriffen gehabt.
11
Der neue Tatrichter wird daher genauere Feststellungen zur sog. Kampflage treffen und vor diesem Hintergrund die Frage der Rechtfertigung des Angeklagten nach § 32 StGB umfassend neu prüfen müssen.
12
3. Sollte der neue Tatrichter die Voraussetzungen einer Rechtfertigung nach § 32 StGB wiederum verneinen, wird er, anders als im angefochtenen Urteil geschehen, die Prüfung der Voraussetzungen eines minder schweren Falles im Sinne von § 224 Abs. 1 2. Halbsatz StGB auch unter Berücksichtigung einer möglichen Provokation des Angeklagten durch den Nebenkläger vorzunehmen haben (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 19. Juni 2012 – 3 StR 206/12, BGHR StGB § 224 Abs. 1 Minder schwerer Fall 1).

III.


13
1. Die Aufhebung des strafrechtlichen Teils des angefochtenen Urteils führt nicht zur Aufhebung der zu Gunsten des Nebenklägers ergangenen Adhäsionsentscheidung (§ 406a Abs. 3 Satz 1 StPO); dessen Aufhebung bleibt gegebenenfalls dem neuen Tatrichter vorbehalten (vgl. nur BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 – 3 StR 470/14, juris Rn. 56 mwN; SSW-StPO/Schöch, 2. Aufl., § 406a Rn. 7).
14
2. Jedoch bedurfte es in Bezug auf die Adhäsionsentscheidung der aus der Beschlussformel ersichtlichen Ergänzung des Tenors. Da der Nebenkläger ein Leistungsurteil begehrt hatte, aber nur ein Grundurteil ergangen ist, hat das Landgericht der Sache nach im Übrigen von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag gemäß § 406 Abs. 1 Satz 3 und 4 StPO abgesehen; diesen Ausspruch holt der Senat nach (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 aaO).
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
RiBGH Dr. Feilcke ist urlaubsbedingt ortsabwesend und deshalb gehindert zu unterschreiben. Quentin Sost-Scheible

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.