Bundesfinanzhof Beschluss, 24. Juli 2017 - XI B 37/17
Gericht
Tenor
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Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts München vom 9. Februar 2017 14 K 2081/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) betrieb in den Streitjahren (2006 bis 2010) einen Grillstand in einem Biergarten i.S. der Bayerischen Biergartenverordnung vom 20. April 1999 (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1999, S. 142).
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Nach den tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts (FG) verkaufte der Kläger an seinem Grillstand gebratene Fische, Grillhähnchen, Spareribs und Pommes frites. Die Fische wurden in Papier eingewickelt den Kunden übergeben. Grillhähnchen und Spareribs waren ebenfalls entweder in Papier eingewickelt oder wurden auf Papptellern ausgereicht. Die Pommes frites wurden entweder in Tüten verpackt oder in Papierschalen angeboten. Mehrweggeschirr wurde nicht verwendet.
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Den Grillstand hatte der Kläger vom Betreiber des Biergartens gepachtet. Der Kläger war nach dem Pachtvertrag u.a. verpflichtet, seinen Stand während der Öffnungszeiten des Biergartens zu betreiben. Neben dem Pachtzins hatte er u.a. anteilige Pauschalen für die Müllabfuhr, die Reinigung und Sauberhaltung des Biergartens zu entrichten. Der Betreiber schloss daneben mit weiteren Unternehmern Verträge für Verkaufsstände mit weiteren Waren ab und verkaufte selbst Getränke.
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In seinen Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2006 bis 2009 wendete der Kläger auf seine Leistungen zunächst den Regelsteuersatz (16 % bzw. 19 %) an. Mit Schreiben vom 16. September 2011 beantragte er, die Umsatzsteuerfestsetzungen der Jahre 2006 bis 2009 nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung zu ändern und auf die Umsätze den ermäßigten Steuersatz (7 %) anzuwenden. In der Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2010 setzte er nur noch den ermäßigten Steuersatz an.
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Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) lehnte durch Bescheid vom 13. Oktober 2011 den Änderungsantrag für die Jahre 2006 bis 2009 ab und besteuerte im Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2010 vom 29. November 2011 die Umsätze mit dem Regelsteuersatz.
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Die Einsprüche des Klägers hatten insoweit Erfolg, als das FA in den Umsatzsteuer-Änderungsbescheiden für die Streitjahre vom 16. Dezember 2014 auf 10 % der Umsätze, die auf Kunden entfielen, die ihre Speisen nicht an Ort und Stelle verzehrten, sondern mitnahmen, den ermäßigten Steuersatz anwendete. Im Übrigen wies das FA die Einsprüche durch Einspruchsentscheidung vom 30. Juli 2015 als unbegründet zurück.
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Das FG wies die Klage ab und ließ die Revision nicht zu. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2017, 948 veröffentlicht. Es führte zur Begründung aus, die Abgabe von Standardspeisen, wie sie der Kläger ausgegeben habe, sei grundsätzlich eine Lieferung, wobei das FG gleichzeitig darauf hinwies, dass Art. 6 Abs. 2 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates vom 15. März 2011 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem nicht mehr auf die Komplexität der Speisen abstelle. Mit dem Bereitstellen von Bierzeltgarnituren, deren Auf- und Abbau sowie deren Reinigung einen gewissen personellen Einsatz erfordern, werde die Schwelle zum Restaurationsumsatz und damit zur Dienstleistung überschritten. Verzehrvorrichtungen seien bei der Abgrenzung zwischen Lieferung und Dienstleistung (nur) zu berücksichtigen, wenn sie vom Leistenden dazu bestimmt worden seien, den Verzehr von Lebensmitteln zu erleichtern. Jedenfalls dann, wenn ein Dritter an den Unternehmer und dieser wiederum an den Kunden leiste, handele es sich um ein Dienstleistungselement des die Speise abgebenden Unternehmers, das in die Gesamtbetrachtung mit einzubeziehen sei. Offen könne bleiben, ob bei der Bestimmung der Dienstleistungselemente dem Unternehmer auch solche Verzehrvorrichtungen eines Dritten wie eigene zuzurechnen seien, die aus objektiver Verbrauchersicht den Eindruck erweckten, ihm zu gehören.
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Im Streitfall seien dem Kläger das Bereitstellen der Bierzeltgarnituren und weitere Dienstleistungen wie die Abfallbeseitigung und das Bereithalten von Toiletten zuzurechnen; denn nach dem Pachtvertrag habe der Kläger das Recht, seinen Kunden die Infrastruktur des Biergartens zur Verfügung zu stellen, was auch entsprechend geschehen sei. Dies ergebe die Auslegung des Vertrages nach §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) und folge bereits daraus, dass der Kläger nicht nur den Pachtzins für die Verkaufsfläche, sondern auch anteilig Kosten für die Müllabfuhr, Reinigung und Sauberhaltung des Biergartens zu tragen habe. Zudem habe der Kläger die Speisen während der Öffnungszeiten des Biergartens anbieten müssen. Sein Speisensortiment sei vorgegeben gewesen. Andere Stände hätten das Angebot ergänzt, während der Betreiber des Biergartens die Getränke verkaufte. Die Verpachtung sei damit in einem Gesamtkonzept "Biergarten" erfolgt, bei dem wesentlich sei, dass dem Besucher nicht nur Speisen und Getränke in Selbstbedienung, sondern eine angenehme Umgebung zum Verzehr im Freien geboten wird. Hieraus werde zugleich deutlich, dass der Kläger seinen Kunden das Recht eingeräumt habe, die Biergartengarnituren zum Verzehr sowie die weiteren Einrichtungen wie z.B. Toiletten zu nutzen.
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Ohne entscheidende Bedeutung sei, dass die Besucher den Biergarten auch dann nutzen durften, wenn sie keine Speisen beim Kläger erwarben, und sie eigene Brotzeiten, d.h. in der Regel kalte und einfache Speisen, mitbringen durften (vgl. Nr. 2.1 der Begründung --zu § 1-- der Bayerischen Biergartenverordnung). Denn dies ändere nichts daran, dass die Biergartengarnituren ausschließlich dazu dienten, den Verzehr von Lebensmitteln zu erleichtern. Der durchschnittliche Besucher gehe nämlich in den Biergarten, um dort zu essen und zu trinken. Außerdem seien die vom Kläger angebotenen Speisen keine Brotzeiten, sondern erworbene, warme Speisen. Die Besucher wären daher nicht berechtigt gewesen, solche mitgebrachten Speisen im Biergarten zu verzehren. Somit habe der Kläger seinen Kunden erst das Recht verschaffen müssen, den Biergarten insoweit zu nutzen.
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Mit seiner Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht der Kläger geltend, die Revision sei wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist --bei Zweifeln an ihrer Zulässigkeit-- jedenfalls unbegründet.
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1. Die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage, "ob Verzehrvorrichtungen auch demjenigen zuzurechnen sind, der eigenverantwortlich und auf eigene Rechnung Speisen zubereitet, aber ansonsten in die Zurverfügungstellung von Verzehrvorrichtungen, Toiletten, der Müllbeseitigung oder etwa auch der Einhaltung von Verkehrssicherungspflichten nicht involviert ist", ist im Streitfall nicht klärbar, weil sie einen Sachverhalt voraussetzt, der sich in den tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht wiederfindet.
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a) Fragen, die sich nur stellen könnten, wenn man von einem anderen als dem vom FG festgestellten Sachverhalt ausgeht, können im Revisionsverfahren nicht geklärt werden (vgl. Senatsbeschlüsse vom 18. Juli 2014 XI B 37/14, BFH/NV 2014, 1779, Rz 9; vom 19. Dezember 2014 XI B 12/14, BFH/NV 2015, 534, Rz 27), weil der Bundesfinanzhof (BFH) grundsätzlich an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden ist (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Auch an eine Vertragsauslegung ist der BFH gebunden, wenn sie den Auslegungsgrundsätzen der §§ 133, 157 BGB entspricht und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (vgl. BFH-Beschluss vom 17. Dezember 2009 V B 113/08, BFH/NV 2010, 939, Rz 23, m.w.N.).
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b) Gemessen daran ist die aufgeworfene Rechtsfrage nicht klärbar; denn das FG hat angenommen, dass nach dem Pachtvertrag der Kläger in die Bereitstellung der Verzehrvorrichtungen eingebunden war, weil er diese seinen Kunden zur Verfügung gestellt habe. Dieses Recht habe ihm aufgrund des Pachtvertrags mit dem Betreiber zugestanden.
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c) Verfahrensrügen, die die Bindung des Senats an diese Feststellungen entfallen lassen könnten (vgl. BFH-Beschluss vom 1. August 2016 VI B 18/16, BFH/NV 2016, 1708, Rz 5, m.w.N.), hat der Kläger nicht erhoben. Sonstige Gründe, die die Bindungswirkung entfallen lassen könnten, sind nicht ersichtlich.
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2. Da das Erfordernis einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) ein Unterfall des Zulassungsgrunds der grundsätzlichen Bedeutung ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 11. Dezember 2014 XI B 49/14, BFH/NV 2015, 363, Rz 12; vom 21. Oktober 2015 V B 36/15, BFH/NV 2016, 223, Rz 10; jeweils m.w.N.), kommt die Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts aus denselben Gründen nicht in Frage.
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3. Die angefochtene Vorentscheidung weicht auch --entgegen der Auffassung des Klägers-- nicht vom BFH-Urteil vom 8. Juni 2011 XI R 33/08 (BFH/NV 2011, 1927) ab, so dass die Revision auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) zuzulassen ist. Denn jenes Urteil betraf einen anders gelagerten Sachverhalt. Im dortigen Fall waren nach Rz 34 des BFH-Urteils in BFH/NV 2011, 1927 die vorhandenen Verzehreinrichtungen nicht ausschließlich dazu bestimmt, den Verzehr von (im Fußballstadion verkauften) Speisen oder Getränken zu erleichtern. Im Streitfall dienten die Biergartengarnituren nach den Feststellungen des FG ausschließlich dazu, den Verzehr von Lebensmitteln zu erleichtern.
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Auch eine (vom Kläger nicht gerügte) Abweichung vom Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union Bog u.a. vom 10. März 2011 C-497/09 (EU:C:2011:135, BStBl II 2013, 256) oder den BFH-Urteilen vom 30. Juni 2011 V R 18/10 (BFHE 234, 496, BStBl II 2013, 246), vom 12. Oktober 2011 V R 66/09 (BFHE 235, 525, BStBl II 2013, 250) und vom 11. April 2013 V R 28/12 (BFH/NV 2013, 1638) liegt deshalb nicht vor.
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5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
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(1) Die Steuern können, solange der Steuerfall nicht abschließend geprüft ist, allgemein oder im Einzelfall unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt werden, ohne dass dies einer Begründung bedarf. Die Festsetzung einer Vorauszahlung ist stets eine Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung.
(2) Solange der Vorbehalt wirksam ist, kann die Steuerfestsetzung aufgehoben oder geändert werden. Der Steuerpflichtige kann die Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung jederzeit beantragen. Die Entscheidung hierüber kann jedoch bis zur abschließenden Prüfung des Steuerfalls, die innerhalb angemessener Frist vorzunehmen ist, hinausgeschoben werden.
(3) Der Vorbehalt der Nachprüfung kann jederzeit aufgehoben werden. Die Aufhebung steht einer Steuerfestsetzung ohne Vorbehalt der Nachprüfung gleich; § 157 Abs. 1 Satz 1 und 3 gilt sinngemäß. Nach einer Außenprüfung ist der Vorbehalt aufzuheben, wenn sich Änderungen gegenüber der Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung nicht ergeben.
(4) Der Vorbehalt der Nachprüfung entfällt, wenn die Festsetzungsfrist abläuft. § 169 Absatz 2 Satz 2, § 170 Absatz 6 und § 171 Absatz 7, 8 und 10 sind nicht anzuwenden.
Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.
Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung von Bundesrecht beruhe. Soweit im Fall des § 33 Abs. 1 Nr. 4 die Vorschriften dieses Unterabschnitts durch Landesgesetz für anwendbar erklärt werden, kann die Revision auch darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung von Landesrecht beruhe.
(2) Der Bundesfinanzhof ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, es sei denn, dass in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.
(3) Wird die Revision auf Verfahrensmängel gestützt und liegt nicht zugleich eine der Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 vor, so ist nur über die geltend gemachten Verfahrensmängel zu entscheiden. Im Übrigen ist der Bundesfinanzhof an die geltend gemachten Revisionsgründe nicht gebunden.
Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.
Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.