Bundesfinanzhof Beschluss, 19. Jan. 2012 - VII B 88/11

bei uns veröffentlicht am19.01.2012

Tatbestand

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I. Die miteinander verheirateten Kläger und Beschwerdeführer (Klägerin und Kläger) wurden vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) wegen rückständiger Lohnsteuer und steuerlicher Nebenforderungen einer in Insolvenz geratenen Betriebsstätte einer kroatischen Aktiengesellschaft (AG) als Haftungsschuldner in Anspruch genommen. Dabei vertrat das FA die Ansicht, die Kläger seien ausweislich des Inhalts eines von Beamten der Steuerfahndung erstellten Protokolls über die Vernehmung des Klägers als Verfügungsberechtigte nach § 35 der Abgabenordnung (AO) anzusehen. Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte zum überwiegenden Teil ebenfalls keinen Erfolg.

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Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass sich die Verfügungsbefugnis der Kläger insbesondere aus den eigenen Angaben des Klägers bei seiner Vernehmung ergebe. Danach hätten die Kläger --nachdem die einzig vertretungsberechtigte Person die Geschäftsführung niedergelegt hatte-- die AG weitergeführt. Sie hätten noch vorhandene Aufträge abgewickelt, Arbeitnehmer der AG bezahlt und Steueranmeldungen nachgereicht. Zudem weise eine Auskunft der das Gewerberegister führenden Stelle sowie eine Gewerbeabmeldung die Klägerin als vertretungsberechtigte Person der unselbständigen Zweigniederlassung aus. Unstreitig habe die Klägerin die Zweigstelle der AG zeitweilig geleitet. Der in der mündlichen Verhandlung durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers erklärte Widerruf der Aussage ändere an diesem Sachverhalt nichts. Der Widerruf sei ohne Rücksprache mit dem Kläger erfolgt; zudem bestünden an dem ordnungsgemäßen Zustandekommen der Aussage des Klägers keine Zweifel. Darüber hinaus hätte ein solcher Widerruf früher geltend gemacht werden müssen, um Zweifel an der Aussage zu begründen. Seit mehreren Jahren sei das Vernehmungsprotokoll Bestandteil der Akten gewesen, in die die Prozessbevollmächtigten des Klägers auch Einsicht genommen hätten.

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Mit ihrer Beschwerde begehren die Kläger die Zulassung der Revision wegen Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und vermeintlicher Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Die in der Urteilsbegründung zitierten Entscheidungen des Bundesfinanzhofs --BFH-- (Beschlüsse vom 10. Oktober 1994 I B 228/93, BFH/NV 1995, 662, und vom 13. August 2007 VII B 20/07, BFH/NV 2008, 10) habe das FG völlig fehlerhaft auf den Streitfall angewandt. Das FG habe nicht dargelegt, aus welchen Gründen die Kläger als Verfügungsberechtigte i.S. des § 35 AO anzusehen seien. Handlungen für die AG seien vom Kläger nicht vorgenommen worden. Die vom FG in Bezug genommene Gewerbeauskunft befinde sich nicht bei den Akten. Lediglich aus einer Gewerbeabmeldung gehe der Name der Klägerin hervor. Die Ausführungen des FG erschöpften sich lediglich in Behauptungen, ohne auf die vom BFH aufgestellten Kriterien für die Annahme einer haftungsrechtlich relevanten Verfügungsbefugnis näher einzugehen. Da die protokollierte Aussage des Klägers in der mündlichen Verhandlung widerrufen worden sei, hätte das FG die Beamten, die die Vernehmung durchgeführt hätten, als Zeugen vernehmen müssen. Zusammen mit anderen Unterlagen habe das FG das Vernehmungsprotokoll dem Prozessbevollmächtigten erst mit Schreiben vom 17. Januar 2011 übersandt. Durch die verspätete Übermittlung sei gegen § 77 Abs. 2 FGO verstoßen worden. Schließlich habe das FG den Vortrag der Kläger nicht hinreichend berücksichtigt. Der Kläger sei lediglich Aufsichtsratsvorsitzender der AG gewesen und könne allein deshalb kein Verfügungsberechtigter i.S. des § 35 AO sein.

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Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

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II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die behauptete Divergenz ist nicht hinreichend dargelegt, wie dies § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erfordert. Im Übrigen liegen die gerügten Verfahrensfehler nicht vor.

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1. Macht der Beschwerdeführer geltend, dass eine Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich sei (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO), muss er in der Beschwerdebegründung darlegen, inwiefern über eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage unterschiedliche Auffassungen bei den Gerichten bestehen und welche sonstigen Gründe eine höchstrichterliche Entscheidung gebieten. Rügt er eine Abweichung von Entscheidungen des BFH, so muss er nach ständiger Rechtsprechung des BFH tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits herausarbeiten und einander gegenüberstellen, um so eine Abweichung zu verdeutlichen (BFH-Beschlüsse vom 7. Oktober 2003 X B 52/03, BFH/NV 2004, 80, und vom 5. Juli 2002 XI B 67/00, BFH/NV 2002, 1479).

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Diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht. Ohne abstrakte Rechtssätze aus den in Bezug genommenen BFH-Entscheidungen herauszuarbeiten, behaupten die Kläger lediglich, das FG sei von den Beschlüssen des BFH in BFH/NV 1995, 662 und BFH/NV 2008, 10 abgewichen. Im Kern ihres Vorbringens rügen sie eine rechtsfehlerhafte Anwendung der den Entscheidungen zugrundeliegenden Rechtssätze auf den vorliegenden Streitfall und eine unzureichende Subsumtion des festgestellten Sachverhalts im Hinblick auf die von der Rechtsprechung des BFH entwickelten Kriterien für die Annahme der Stellung des nach § 69 AO in Anspruch genommenen Haftungsschuldners als Verfügungsberechtigter i.S. von § 35 AO. Die behauptete Divergenz wird damit jedoch nicht hinreichend bezeichnet.

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2. Entgegen der Behauptung der Beschwerde liegt ein Verstoß gegen die dem FG nach § 76 Abs. 1 FGO obliegende Sachaufklärungspflicht nicht allein deshalb vor, weil das FG seinem Urteil die in einem Vernehmungsprotokoll festgehaltene Aussage des Klägers zugrunde gelegt hat, ohne den vom Prozessvertreter erklärten Widerruf zu berücksichtigen und ohne die Vernehmungsbeamten als Zeugen zu hören. Nach der Rechtsprechung des BFH ist es grundsätzlich zulässig, die in strafrechtlichen Ermittlungen oder in einem Strafurteil getroffenen Feststellungen im finanzgerichtlichen Verfahren zu verwerten, es sei denn, die Beteiligten erheben gegen die Feststellungen substantiierte Einwendungen und stellen entsprechende Beweisanträge, die das FG nicht nach den allgemeinen für die Beweiserhebung geltenden Grundsätzen unbeachtet lassen kann (BFH-Urteile vom 11. August 2011 V R 50/09, BFH/NV 2011, 1989; vom 10. Januar 1978 VII R 106/74, BFHE 124, 305, BStBl II 1978, 311, und vom 18. August 1981 VII R 45/79, nicht veröffentlicht). Vernehmungsprotokolle aus anderen Verfahren dürfen dabei nicht ohne weiteres als Zeugenbeweis bezeichnet und gewertet werden (BFH-Beschluss vom 26. Juli 2010 VIII B 198/09, BFH/NV 2010, 2096).

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In seiner Urteilsbegründung hat das FG die Verwertung des Vernehmungsprotokolls nicht als Zeugenbeweis bezeichnet. Auch ist zu berücksichtigen, dass es sich um die Vernehmung des Klägers und nicht um die Vernehmung eines unbeteiligten Dritten gehandelt hat. Dem Kläger, der sich nach den Angaben seines Prozessvertreters zumindest zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Ausland aufgehalten hat, wäre es unbenommen gewesen, zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen und seine damals gemachten Aussagen zu berichtigen. Zudem hat das FG nachvollziehbar dargelegt, warum es dem erst in der mündlichen Verhandlung erklärten Widerruf der Aussage des Klägers durch den Prozessbevollmächtigten keine Bedeutung beigemessen hat. Ausweislich des Sitzungsprotokolls hat der Prozessbevollmächtigte lediglich erklärt, er widerrufe die Aussage seines Mandanten, weil er ernsthafte Zweifel daran habe, dass sein Mandant das in dieser Form gesagt haben soll. Substantiierte Einwendungen gegen die Richtigkeit des Inhalts des Vernehmungsprotokolls sind darin nicht zu erblicken. Auch in der Beschwerdebegründung haben die Kläger nicht substantiiert dargelegt, worauf die geäußerten Zweifel an der Richtigkeit des Protokolls beruhen. Bei diesem Befund konnte das FG das Vernehmungsprotokoll verwerten, ohne gegen seine Sachaufklärungspflicht oder den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme zu verstoßen.

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Auch die mit der Vernehmung des Klägers beauftragten Beamten der Steuerfahndung musste das FG nicht von Amts wegen hören. Wie das Sitzungsprotokoll belegt, hat der Prozessvertreter der Kläger in der mündlichen Verhandlung keine Anträge auf Vernehmung dieser Beamten gestellt. Einem Beteiligten, der in der Tatsacheninstanz anwaltlich vertreten war, ist es im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde in der Regel verwehrt, sich mit Erfolg auf die Unterlassung einer Beweiserhebung zu berufen, die er selbst hätte beantragen können. Die Verletzung der Sachaufklärungspflicht gehört nämlich zu den verzichtbaren Verfahrensmängeln, bei denen das Rügerecht bereits durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge verloren geht (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 103, m.w.N.).

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Schließlich hat das FG die tragenden Erwägungen seiner Entscheidung nicht ausschließlich auf die protokollierte Aussage des Klägers gestützt. Vielmehr hat es die Verfügungsberechtigung der Kläger auch aus den im Streitfall vorliegenden Umständen, die über einen längeren Zeitraum fehlende Geschäftsführung der AG und die sich daraus ergebenden Zwänge sowie auf den Inhalt der Gewerbeabmeldung abgeleitet. In Bezug auf diese Erwägungen sind der Beschwerde keine substantiierten Einwendungen zu entnehmen, die zur Zulassung der Revision führen könnten.

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3. Selbst wenn eine vorherige Einsichtnahme in das Vernehmungsprotokoll nicht möglich gewesen wäre, läge auch insoweit kein Verfahrensmangel vor, als das FG das Vernehmungsprotokoll zusammen mit anderen Unterlagen dem Prozessvertreter der Kläger erst mit Schriftsatz vom 17. Januar 2011 übersandt hat. Die mündliche Verhandlung fand am 9. Februar 2011 statt, so dass ausreichend Zeit bestand, den Inhalt der Unterlagen zur Kenntnis zu nehmen. Eine Verletzung von § 77 Abs. 2 FGO und des Gehörsanspruchs ist somit nicht ersichtlich. Zudem hatte der Prozessvertreter vor der mündlichen Verhandlung Gelegenheit, unter Berufung auf die seiner Ansicht nach verspätete Aktenübermittlung Einwände zu erheben und gegebenenfalls eine Verlegung des Termins zu beantragen. Von dieser Möglichkeit hat er indes keinen Gebrauch gemacht. Wie der Widerruf der Aussage belegt, war er durchaus in der Lage die Bedeutung des Protokolls zu erkennen und zu dessen Inhalt Stellung zu nehmen.

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Finanzgerichtsordnung - FGO | § 115


(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat. (2) Die Revision ist nu

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 116


(1) Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden. (2) Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 76


(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen. Die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Sie haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben und sich auf Anforderung des Gerichts zu den von de

Abgabenordnung - AO 1977 | § 69 Haftung der Vertreter


Die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt

Abgabenordnung - AO 1977 | § 35 Pflichten des Verfügungsberechtigten


Wer als Verfügungsberechtigter im eigenen oder fremden Namen auftritt, hat die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters (§ 34 Abs. 1), soweit er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen kann.

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 77


(1) Die Beteiligten sollen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Schriftsätze einreichen. Hierzu kann der Vorsitzende sie unter Fristsetzung auffordern. Den Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden. Die Schr

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Wer als Verfügungsberechtigter im eigenen oder fremden Namen auftritt, hat die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters (§ 34 Abs. 1), soweit er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen kann.

(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.

Wer als Verfügungsberechtigter im eigenen oder fremden Namen auftritt, hat die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters (§ 34 Abs. 1), soweit er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen kann.

(1) Die Beteiligten sollen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Schriftsätze einreichen. Hierzu kann der Vorsitzende sie unter Fristsetzung auffordern. Den Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden. Die Schriftsätze sind den Beteiligten von Amts wegen zu übermitteln.

(2) Den Schriftsätzen sind die Urkunden oder elektronischen Dokumente, auf die Bezug genommen wird, in Abschrift ganz oder im Auszug beizufügen. Sind die Urkunden dem Gegner bereits bekannt oder sehr umfangreich, so genügt die genaue Bezeichnung mit dem Anerbieten, Einsicht bei Gericht zu gewähren.

Wer als Verfügungsberechtigter im eigenen oder fremden Namen auftritt, hat die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters (§ 34 Abs. 1), soweit er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen kann.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder Abschrift des Urteils, gegen das Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht im Falle der elektronischen Beschwerdeeinlegung.

(3) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. In der Begründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 dargelegt werden. Die Begründungsfrist kann von dem Vorsitzenden auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag um einen weiteren Monat verlängert werden.

(4) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Der Bundesfinanzhof entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch den Bundesfinanzhof wird das Urteil rechtskräftig.

(6) Liegen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann der Bundesfinanzhof in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

(7) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt, wenn nicht der Bundesfinanzhof das angefochtene Urteil nach Absatz 6 aufhebt; der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt für den Beschwerdeführer die Revisionsbegründungsfrist, für die übrigen Beteiligten die Revisions- und die Revisionsbegründungsfrist. Auf Satz 1 und 2 ist in dem Beschluss hinzuweisen.

(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.

Die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.

Wer als Verfügungsberechtigter im eigenen oder fremden Namen auftritt, hat die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters (§ 34 Abs. 1), soweit er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen kann.

(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen. Die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Sie haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben und sich auf Anforderung des Gerichts zu den von den anderen Beteiligten vorgebrachten Tatsachen zu erklären. § 90 Abs. 2, § 93 Abs. 3 Satz 2, § 97, §§ 99, 100 der Abgabenordnung gelten sinngemäß. Das Gericht ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

(2) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, dass Formfehler beseitigt, sachdienliche Anträge gestellt, unklare Anträge erläutert, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(3) Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf der von der Finanzbehörde nach § 364b Abs. 1 der Abgabenordnung gesetzten Frist im Einspruchsverfahren oder im finanzgerichtlichen Verfahren vorgebracht werden, kann das Gericht zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden. § 79b Abs. 3 gilt entsprechend.

(4) Die Verpflichtung der Finanzbehörde zur Ermittlung des Sachverhalts (§§ 88, 89 Abs. 1 der Abgabenordnung) wird durch das finanzgerichtliche Verfahren nicht berührt.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Personengesellschaft, handelte mit PKW und lieferte diese in den Streitjahren 2000 bis 2003 insbesondere nach Italien. Gesellschafter und Geschäftsführer der Klägerin waren S.R. und P.R.

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Als "Käufer" der Fahrzeuge traten mehrere in Italien ansässige "Gebietsimporteure" auf, die die PKW an unterschiedliche gleichfalls in Italien ansässige "Autohäuser" verkauften.

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Die Klägerin ging davon aus, dass ihre Lieferungen als innergemeinschaftliche Lieferungen an die Gebietsimporteure steuerfrei seien. Im Hinblick auf diese Lieferungen wurden die beiden Geschäftsführer der Klägerin vom zuständigen Landgericht (LG) wegen Umsatzsteuerhinterziehung im Inland zu jeweils zwei Jahren Gefängnis auf Bewährung verurteilt, da Abnehmer der Lieferungen nicht die Gebietsimporteure, sondern die Autohäuser gewesen seien. Das LG begründete sein Urteil insbesondere mit einem von den beiden Geschäftsführern abgelegten Geständnis: "Die beiden Angeklagten haben in der Hauptverhandlung ein umfassendes und glaubhaftes Geständnis abgelegt. Sie haben anhand von zahlreichen ihnen aus den Ermittlungsakten vorgehaltenen Urkunden und Schriftstücken ausführlich, detailliert und glaubhaft dargelegt, wie sie gegen Ende des Jahres 1999 in Kontakt zum Inhaber des italienischen Autohauses 'R...' kamen, wie dieser sie in die in Italien offensichtlich weitverbreiteten illegalen Geschäftspraktiken einführte, ihnen W.E. als Scheinabnehmer vorstellte und wie sie im weiteren Verlauf --vor allem mit W.E. als Kontaktmann und Scheinabnehmer-- zu weiteren Autohäusern in Kontakt kamen und auch bei Verkäufen an diese jeweils W.E. bzw. andere ihnen von ihren Geschäftspartnern vorgegebene Personen oder Firmen als Scheinabnehmer in ihre Ausgangsrechnungen aufnahmen. Ihnen sei immer klar gewesen, so die Angeklagten weiter, dass es vor allem um eine Steuerhinterziehung in Italien ging und dass die Autohäuser auf einem den Angeklagten nicht im Einzelnen bekannten Wege fingierte inneritalienische Rechnungen erhielten. Tatsächlich wurden einzelne solcher fingierter Rechnungen [...] bei der Durchsuchung der Geschäftsräume der Angeklagten auch aufgefunden."

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Der Bundesgerichtshof (BGH) bestätigte diese Verurteilung mit Urteil vom 12. Mai 2005  5 StR 36/05 (Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2005, 546), da mit einer inhaltlich falschen Angabe eines Abnehmers der Nachweis für eine innergemeinschaftliche Lieferung nicht geführt werde und daher die Voraussetzungen für eine steuerfreie Lieferung im vorliegenden Fall nicht vorlägen. Weiter stützte der BGH sein Urteil darauf, dass angesichts der in der Hauptverhandlung abgelegten umfassenden Geständnisse der Angeklagten, die sie anhand von Urkunden und Schriftstücken erläutert hätten, es keiner weiteren tatsächlichen Feststellung in den Urteilsgründen bedürfe. Insbesondere habe das LG ausdrücklich festgestellt, dass die Angeklagten eingeräumt hätten, ihnen sei auch klar gewesen, dass die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung der Lieferungen nach Italien nicht vorgelegen hätten und ihre diese Umsätze betreffenden Steuererklärungen und Voranmeldungen insoweit falsch gewesen seien.

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Mit den Umsatzsteuerbescheiden 2000 bis 2002 vom 22. März 2004 und den Umsatzsteuervorauszahlungsbescheiden Januar bis Juli 2003 vom 31. März 2004 versagte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen und setzte die Umsatzsteuer für die Streitjahre 2000 bis 2003 entsprechend höher fest. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Zwar seien die Fahrzeuge tatsächlich nach Italien verbracht worden. Die Lieferungen seien jedoch steuerpflichtig, da sich die Klägerin mit ihren Lieferungen an Warenumsätzen ihrer Abnehmer beteiligt habe, die auf Steuerhinterziehung angelegt gewesen seien. Die Klägerin habe mit ihren italienischen Abnehmern kollusiv zusammengewirkt, um Lieferungen an Zwischenhändler vorzutäuschen und dadurch die tatsächlichen Abnehmer zu verdecken. Sie habe einen Zwischenerwerb der Gebietsimporteure fingiert und durch entsprechende Rechnungsstellung vorgetäuscht, die PKW an diese zu liefern. Dabei stützte sich das FG auf die Feststellungen des LG im Strafverfahren. Danach sei den Geschäftsführern der Klägerin bewusst gewesen, dass die Autohäuser als wirkliche Abnehmer der Klägerin die Erwerbsumsatzsteuer dadurch umgingen, dass sie sich von den Gebietsimporteuren Rechnungen über Inlandslieferungen in Italien mit Ausweis italienischer Umsatzsteuer ausstellen ließen. Die Beteiligung der Klägerin an einer Mehrwertsteuerhinterziehung in Italien ergebe sich aus einer Zusammenschau der von der Klägerin vorgelegten, zweifelsfrei falschen Übernahme- und Beförderungserklärungen der angeblichen Abholer, den von der Klägerin gelöschten, aber wieder lesbar gemachten Daten, (Kauf-)Angeboten der Klägerin sowie den Annahmeerklärungen der objektiv wahren Abnehmer, der Tatsache, dass weitaus die überwiegende Zahl der Fälle Bargeldgeschäfte seien, bestätigt durch die Akquisition von Kunden auf der zweiten Händlerstufe, um dann angeblich Verträge mit Kunden auf der ersten Händlerstufe abzuschließen, sowie den bei den Durchsuchungen vorgefundenen weiteren Unterlagen, einschließlich der von der Gesellschafterin geführten Schwarzgeldliste. Die Einlassung der Klägerin, dass es sich bei den Angeboten an die "Kunden ihrer Gebietsimporteure" und deren Annahmeerklärungen lediglich um Werbeaktionen oder Akquisitionsmaßnahmen der Klägerin, um die "Übermittlung von Daten" an die Kunden der "Gebietsimporteure" oder um "Hinweis(e) auf eine Erwerbsmöglichkeit über den italienischen Gebietsimporteur" gehandelt habe, sei durch den objektiven Erklärungsinhalt der fraglichen Schriftstücke widerlegt worden. Es sei völlig unglaubwürdig, dass die Klägerin die Fahrzeuge an ihre angeblichen Kunden, die Gebietsimporteure, verkauft haben wolle, hierüber aber keinerlei Geschäftspapiere vorlegen könne, da diese Verkäufe ausschließlich mündlich oder telefonisch erfolgt seien. Weiter sei unerfindlich, wie diese Verkäufe angesichts der umfangreichen Beschreibungen der gehandelten PKW nach Motorisierung, Farben und Ausstattungen sowie 17-stelligen Fahrgestellnummern ohne jegliche Dokumentation praktikabel gehandhabt worden sein sollten.

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Während des finanzgerichtlichen Verfahrens erging am 24. Juli 2008 der Umsatzsteuerjahresbescheid 2003, der gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Verfahrens wurde. Einen Protokollberichtigungsantrag lehnte das FG ab.

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Das Urteil des FG ist in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 2010, 673 veröffentlicht.

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Die Klägerin stützt ihre Revision auf die Verletzung materiellen und formellen Rechts. Der unmittelbare Kontakt zum jeweiligen Autohaus sei dadurch zustande gekommen, dass entweder der Gebietsimporteur die Klägerin aufgefordert habe, ein Verkaufsangebot für einen bestimmten Fahrzeugtyp für ein Autohaus abzugeben, wobei die Klägerin dann unmittelbar in Verbindung zum Autohaus getreten sei, oder dass Autohäuser die Klägerin unmittelbar angesprochen hätten, oder dass die Klägerin selbst, aber mit Wissen und Billigung der Gebietsimporteure, Autohäuser auf die Liefermöglichkeit "marktlich stark nachgefragter" Fahrzeuge hingewiesen habe. Sie habe es dabei übernommen, den "Abgabepreis" des Gebietsimporteurs für den "Verkauf" an das Autohaus "vorzuverhandeln". Dieser Preis habe für den Gebietsimporteur einen Aufschlag enthalten, der sich prozentual nach dem Verkaufspreis der Klägerin gerichtet habe. Sie, die Klägerin, habe den Gebietsimporteuren somit "Akquisitionstätigkeit" und "Kalkulationsarbeit" abgenommen. P.R. habe die Fahrzeuge nach Italien verbracht, sie dort dem Gebietsimporteur übergeben und den Kaufpreis bar vereinnahmt.

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Die mit den Autohäusern geführten Preisverhandlungen hätten nicht zum Abschluss von Kaufverträgen zwischen ihr, der Klägerin, und den Autohäusern geführt. Die Autohäuser hätten auf einer "Geschäftsabwicklung" über die Gebietsimporteure bestanden und vertragliche Beziehungen nur zu den Gebietsimporteuren unterhalten wollen; die Gebietsimporteure hätten Wert auf ihren "Gebietsschutz" gelegt. Es hätten keine rechtsgeschäftlichen Scheinbeziehungen vorgelegen. Die Beteiligten hätten mit Rechtsbindungswillen Lieferbeziehungen auf zwei Handelsstufen gewollt. Die Gebietsimporteure seien zur Zahlung der Kaufpreise verpflichtet gewesen. Ihre Geschäftsführer hätten im Strafverfahren nie eingeräumt, Scheingeschäfte mit den Gebietsimporteuren abgeschlossen zu haben, die unmittelbare Lieferungen an die Autohäuser verdecken sollten. Bei den Preisen, die sie den Autohäusern angeboten habe, habe es sich nur um allgemeine, unverbindliche Preisempfehlungen der Hersteller gehandelt. Auch Barzahlungsgeschäfte erfolgten mit gesetzlichen Zahlungsmitteln und seien nicht anrüchig. Die beiderseitigen Leistungen hätten Zug um Zug erfolgen sollen. Sie habe sich über die Identität ihrer Geschäftspartner, der Gebietsimporteure, Gewissheit verschafft und sich deren Umsatzsteuer-Identifikationsnummern bestätigen lassen. Diese hätten weiter versichert, ihren umsatzsteuerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen. Die Gebietsimporteure seien an den einzelnen Ausstattungsmerkmalen der Fahrzeuge nicht interessiert gewesen.

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Das FG habe nicht dargelegt, in welcher Weise der Steuerbetrug in Italien, an dem sie beteiligt gewesen sein soll, erfolgt sei. Im Übrigen lägen auch die objektiven Voraussetzungen der Steuerfreiheit vor. Die PKW seien den Gebietsimporteuren übergeben worden.

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Das FG habe weiter gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verstoßen und damit § 81 FGO verletzt. Der in Italien ansässige G, den die Klägerin als Zeugen benannt habe, hätte nach § 363 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) konsularisch vernommen werden müssen. Weiter habe das FG auch § 96 Abs. 1 Satz 3 FGO verletzt. Das FG habe sich keine eigene Überzeugung gebildet, sondern das Urteil des LG wie eine präjudizielle Entscheidung behandelt. Die Verwertung eines Strafurteils im Urkundenbeweis sei nicht zulässig, da sie gegen dessen Feststellungen substantiierte Einwendungen mit Beweisanträgen erhoben habe. Ihr seien die Ausgangsrechnungen der Gebietsimporteure und die dort ausgewiesenen Bruttopreise nicht bekannt gewesen. Die italienische Strafverfolgungsbehörde habe die Anklage wegen Steuerbetrugs gegen die Geschäftsführer der Klägerin und die italienischen Beteiligten eingestellt, wie sich aus erst jetzt vorliegenden Unterlagen ergebe.

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Die Klägerin beantragt,

das Urteil des FG aufzuheben und die Umsatzsteuerbescheide 2000 bis 2002 vom 22. März 2004 sowie den Umsatzsteuerbescheid 2003 vom 24. Juli 2008 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 2. April 2004 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer 2000 auf ./. 373.102,02 €, die Umsatzsteuer 2001 auf ./. 654.157,32 €, die Umsatzsteuer 2002 auf ./. 618.896,23 € und die Umsatzsteuer 2003 auf ./. 254.957,77 € festgesetzt wird,

hilfsweise, den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG Baden-Württemberg zurückzuverweisen und die Zuziehung des Bevollmächtigten für das außergerichtliche Vorverfahren für notwendig zu erklären,

hilfsweise ein Vorabentscheidungsersuchen zu folgender Frage an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zu richten: Ist ein Mitgliedstaat befugt, dem in seinem Hoheitsgebiet umsatzsteuerpflichtigen ansässigen Lieferanten die Umsatzsteuer-Befreiung für solche innergemeinschaftliche Lieferungen auch dann zu versagen, die tatsächlich an umsatzsteuerpflichtige Unternehmen eines anderen Mitgliedstaates durchgeführt, indes wiederum an andere Unternehmen desselben in Rechnung gestellt wurden, wodurch die tatsächliche Lieferbeziehung zwischen Lieferant und Abnehmer verschleiert und die Erwerbsumsatzsteuer im anderen Mitgliedstaat umgangen werden konnte, jedoch die Strafverfolgungsbehörden des anderen Mitgliedstaates in Kenntnis dieses Sachverhalts ihrer Beurteilung zufolge mangels strafrechtlicher Relevanz desselben die aufgenommenen Ermittlungen gegen sämtliche Beteiligten wieder eingestellt haben.

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Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

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Es liege weder ein Verfahrensfehler noch ein Verstoß gegen materielles Recht vor. Im Hinblick auf die Geständnisse komme es auf die Gründe, aus denen die Strafverfahren in Italien eingestellt worden seien, nicht an.

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Die Lieferungen der Klägerin sind nicht als innergemeinschaftliche Lieferungen steuerfrei.

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1. Innergemeinschaftliche Lieferungen sind unter den Voraussetzungen von § 6a des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) steuerfrei.

18

a) Die Steuerfreiheit für die innergemeinschaftliche Lieferung setzt gemäß § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG voraus, dass der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet. Darüber hinaus bestehen bei Lieferungen an Unternehmer oder juristische Personen weitere, in der Person des Erwerbers zu erfüllende Voraussetzungen. Nach § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a und b, Nr. 3 UStG muss es sich beim Abnehmer der Lieferung entweder um einen Unternehmer, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat, oder um eine juristische Person handeln, die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstand der Lieferung nicht für ihr Unternehmen erworben hat; der Erwerb des Gegenstands der Lieferung muss in allen Fällen beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung unterliegen.

19

Die Steuerfreiheit beruht auf Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG). Danach sind steuerfrei "a) die Lieferungen von Gegenständen im Sinne des Artikels 5, die durch den Verkäufer oder durch den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb des in Artikel 3 bezeichneten Gebietes, aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden, wenn diese Lieferungen an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt werden, der/die als solcher/solche in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns des Versands oder der Beförderung der Gegenstände handelt".

20

b) Der Unternehmer hat die Voraussetzungen der Steuerfreiheit nach § 6a Abs. 1 UStG gemäß § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung 1999 durch Belege und buchmäßige Aufzeichnungen nachzuweisen. Dieser Beleg- und Buchnachweis beruht auf dem ersten Satzteil des Art. 28c Teil A der Richtlinie 77/388/EWG (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 12. Mai 2009 V R 65/06, BFHE 225, 264, BStBl II 2010, 511, unter II.B.1.b). Danach legen die Mitgliedstaaten Bedingungen "zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Mißbrauch" fest, wobei sie die Grundsätze der Rechtssicherheit, der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes zu beachten haben (EuGH-Urteil vom 7. Dezember 2010 C-285/09, R, UR 2011, 15 Rdnr. 45). Der Unternehmer hat den Beweis für die Steuerfreiheit einschließlich der von den Mitgliedstaaten aufgestellten Bedingungen zu erbringen (EuGH-Urteil R in UR 2011, 15 Rdnr. 46).

21

c) Erbringt der Unternehmer den Beleg- und Buchnachweis nicht vollständig, erweisen sich Nachweisangaben als unzutreffend oder bestehen berechtigte und nicht durch den Unternehmer ausgeräumte Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der Angaben (vgl. BFH-Urteile in BFHE 225, 264, BStBl II 2010, 511, unter II.B.2.b; vom 17. Februar 2011 V R 28/10, BFH/NV 2011, 1448, unter II.2.c), ist die Lieferung steuerpflichtig, wenn diese Mängel den "sicheren Nachweis" der materiellen Anforderungen verhindern (EuGH-Urteil vom 27. September 2009 C-146/05, Collée, Slg. 2007, I-7861 Rdnr. 31).

22

Darüber hinaus ist die Lieferung auch steuerpflichtig, wenn --obwohl die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung objektiv vorliegen-- der Steuerpflichtige unter Verstoß gegen die auf dem ersten Satzteil des Art. 28c Teil A der Richtlinie 77/388/EWG beruhenden Pflichten zum Beleg- und Buchnachweis die Identität des Erwerbers verschleiert, um diesem im Bestimmungsmitgliedstaat eine Mehrwertsteuerhinterziehung zu ermöglichen (EuGH-Urteil R in UR 2011, 15 Rdnr. 51 und Leitsatz; BFH-Urteile in BFH/NV 2011, 1448 und vom 17. Februar 2011 V R 30/10, BFH/NV 2011, 1451, jeweils unter II.2.c).

23

2. Die Klägerin ist nach diesen Grundsätzen nicht berechtigt, die Steuerfreiheit ihrer Lieferungen objektiv nachzuweisen, wie das FG zutreffend entschieden hat. Ihre Lieferungen sind aufgrund ihrer Beteiligung an einer Umsatzsteuerhinterziehung steuerpflichtig.

24

a) Der EuGH begründet in seinem Urteil R in UR 2011, 15 die Steuerpflicht trotz Vorliegens der objektiven Voraussetzungen für die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung damit, dass die Vorlage von Scheinrechnungen oder die Übermittlung unrichtiger Angaben sowie sonstige Manipulationen die genaue Erhebung der Steuer verhindern und das ordnungsgemäße Funktionieren des Mehrwertsteuersystems in Frage stellen. Das Ausstellen unrichtiger Rechnungen berechtigt dabei die Mitgliedstaaten aufgrund der ihnen nach dem ersten Satzteil des Art. 28c Teil A der Richtlinie 77/388/EWG eingeräumten Befugnisse, die Steuerfreiheit zu versagen, wobei die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Neutralität, der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes der Steuerpflicht nicht entgegenstehen, wenn sich der Lieferer dadurch vorsätzlich an einer Steuerhinterziehung beteiligt, dass er die Identität des wahren Erwerbers verschleiert, um diesem zu ermöglichen, Mehrwertsteuer zu hinterziehen (EuGH-Urteil R in UR 2011, 15 Rdnrn. 48 bis 55). Dementsprechend geht auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) davon aus, dass "die Steuerfreiheit jedenfalls nicht eingreift, wenn die Erwerbsbesteuerung in einem anderen Mitgliedstaat unterlaufen wird" (BVerfG-Beschluss vom 16. Juni 2011  2 BvR 542/09, juris, unter C.I.1.b bb). Maßgeblich ist insoweit der zwischen innergemeinschaftlicher Lieferung und innergemeinschaftlichem Erwerb bestehende Besteuerungszusammenhang und die damit bezweckte Verlagerung des Steueraufkommens auf den Bestimmungsmitgliedstaat durch die dort beim Abnehmer als Steuerschuldner vorzunehmende Besteuerung, die es nicht zulässt, die Steuerfreiheit nach § 6a UStG trotz absichtlicher Täuschung über die Person des Abnehmers (Erwerbers) in Anspruch zu nehmen (BFH-Urteile in BFH/NV 2011, 1448, und in BFH/NV 2011, 1451, jeweils unter II.2.).

25

b) Im Streitfall hat das FG die Steuerfreiheit der von der Klägerin ausgeführten Lieferungen zu Recht verneint.

26

aa) Das FG stützt die Steuerpflicht der innergemeinschaftlichen Lieferungen darauf, dass nicht die Gebietsimporteure, die die Klägerin nach ihren Belegen und buchmäßigen Aufzeichnungen als Abnehmer geführt hat, sondern die Autohäuser Abnehmer ihrer Lieferungen waren. Hierfür hat das FG insbesondere die Angebote der Klägerin an die Autohäuser sowie deren Annahmeerklärungen, das Vorliegen von Bargeldgeschäften und die Akquisition von Kunden auf der zweiten Händlerstufe (Autohäuser), um dann angeblich Verträge mit Kunden auf der ersten Händlerstufe (Gebietsimporteure) abzuschließen, angeführt. Die Einlassung der Klägerin, dass es sich bei den Angeboten an die Autohäuser und deren Annahmeerklärungen lediglich um Werbeaktionen oder Akquisitionsmaßnahmen der Klägerin oder um die "Übermittlung von Daten" an die Autohäuser oder um "Hinweis(e) auf eine Erwerbsmöglichkeit über den italienischen Gebietsimporteur" gehandelt habe, sah das FG als durch den objektiven Erklärungsinhalt der nach ihrer Vernichtung durch die Klägerin wieder rekonstruierten Schriftstücke als widerlegt an. Das FG hielt es weiter für unglaubwürdig, dass die Klägerin die fraglichen Fahrzeuge an ihre angeblichen Kunden, die Gebietsimporteure, verkauft haben wolle, hierüber aber keinerlei Geschäftspapiere vorlägen. Es sei unerfindlich, wie diese Verkäufe angesichts der umfangreichen Beschreibungen der gehandelten Kfz nach Motorisierung, Farben und Ausstattungen sowie 17-stelligen Fahrgestellnummern ohne jegliche Dokumentation praktikabel gehandhabt worden sein sollten.

27

Die Feststellung, welcher Leistungsbeziehung die Verschaffung der Verfügungsmacht zuzurechnen ist, und mithin die Feststellung, ob Rechnungsempfänger und Leistungsempfänger identisch sind, obliegt dem FG als Tatsacheninstanz und ist im Wesentlichen das Ergebnis einer tatsächlichen Würdigung. Der BFH kann solche Tatsachenwürdigungen nur daraufhin überprüfen, ob sie verfahrensfehlerfrei zustande gekommen sind und mit den Denkgesetzen und den allgemeinen Erfahrungssätzen im Einklang stehen. Ist das zu bejahen, so ist die Tatsachenwürdigung selbst dann bindend, wenn sie nicht zwingend, sondern nur möglich wäre (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 4. September 2003 V R 9, 10/02, BFHE 203, 389, BStBl II 2004, 627, unter II.3.).

28

Danach ist es im Streitfall revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das FG entgegen der Belege und buchmäßigen Aufzeichnungen der Klägerin die Autohäuser und nicht die Gebietsimporteure als Abnehmer der durch die Klägerin ausgeführten Lieferungen angesehen hat und weiter die von der Klägerin behaupteten mündlichen Vertragsabschlüsse mit den Gebietsimporteuren nicht der Besteuerung zugrunde zu legen waren. Die Feststellungen des FG rechtfertigen insoweit die Annahme, dass es sich bei diesen Vertragsabschlüssen allenfalls um Scheingeschäfte i.S. von § 41 der Abgabenordnung (AO) handelte (vgl. hierzu BFH-Urteile in BFH/NV 2011, 1448, und in 2011, 1451, jeweils unter II.2.b).

29

bb) Im Hinblick auf die Geständnisse der beiden Geschäftsführer im Strafverfahren bestehen auch keine revisionsrechtlichen Bedenken gegen das Urteil des FG, soweit es hieraus die vorsätzliche Beteiligung der Klägerin an einer Steuerhinterziehung in Italien abgeleitet hat. Daher kam es auch nicht auf die Verfahrenseinstellungen in Italien an.

30

cc) Die Klägerin hat in Bezug auf die Feststellungen des FG keine begründeten Verfahrensrügen vorgebracht.

31

(1) Das FG hat nicht gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweiserhebung (§ 81 FGO) verstoßen.

32

Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 10. Januar 1978 VII R 106/74, BFHE 124, 305, 308, BStBl II 1978, 311) ist es grundsätzlich zulässig, strafgerichtliche Feststellungen im finanzgerichtlichen Verfahren zu verwerten; allerdings dürfen Feststellungen, gegen die unter Beweisangebot substantiierte Einwendungen vorgebracht werden, nicht ohne eigene Beweisaufnahme (§ 76 Abs. 1, § 81 FGO) übernommen werden.

33

Diesen Grundsätzen entsprechend ist es nicht zu beanstanden, dass das FG seinem Urteil die in dem Strafurteil gegen die beiden Geschäftsführer der Klägerin enthaltenen Feststellungen zugrunde gelegt hat, aufgrund derer die Vereinbarungen der Klägerin mit den Gebietsimporteuren als Scheingeschäfte anzusehen sind, die die tatsächlich bestehenden Lieferbeziehungen zwischen der Klägerin und den Autohäusern verdecken sollten.

34

Die Feststellungen des Strafurteils des LG beruhten insbesondere auf dem Geständnis der Geschäftsführer der Klägerin und den --nach ihrer Vernichtung durch die Geschäftsführer der Klägerin-- wieder lesbar gemachten digitalen Geschäftsunterlagen. Es kann dahingestellt bleiben, ob in dem Vorbringen der Klägerin vor dem FG ein Widerruf des Geständnisses liegt oder ob darin nur Einwendungen gegen die Richtigkeit der Feststellungen des LG zu sehen sind. Denn mangels plausibler Darlegung von Gründen, aus denen sich die Unrichtigkeit der gegenüber dem LG gemachten Angaben ergibt, ist die im Kern lediglich abweichende Würdigung der unstrittig zwischen der Klägerin und den Autohäusern unmittelbar bestehenden Kontakte kein substantiierter Angriff gegen die Grundlagen des Strafurteils, durch das die Geschäftsführer der Klägerin wegen Umsatzsteuerhinterziehung verurteilt wurden. Daher ist die Einlassung der Klägerin im Verfahren vor dem FG nur als schlichtes Bestreiten zu werten, das nicht geeignet ist, Zweifel an den Tatsachenfeststellungen des LG aufkommen zu lassen (vgl. BFH-Beschluss vom 22. März 1988 VII B 193/87, BFH/NV 1988, 722).

35

(2) Auch die Aufklärungsrüge der Klägerin hat keinen Erfolg.

36

(3) Nur solche Verfahrensfehler sind zu prüfen, die der Beteiligte innerhalb der Revisionsbegründungsfrist in einer den Anforderungen des § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b FGO genügenden Weise schlüssig gerügt hat (BFH-Urteile vom 17. Dezember 2008 XI R 64/06, BFH/NV 2009, 798, m.w.N.; vom 5. Oktober 1999 VII R 25/98, BFH/NV 2000, 235).

37

Zur schlüssigen Darlegung bei verzichtbaren Verfahrensfehlern (§ 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO) --hier die Rüge, das FG habe seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) durch Nichtvernehmung von Zeugen bzw. der Klägerin verletzt-- gehört auch der Vortrag, dass die Verletzung der betreffenden Verfahrensvorschrift in der Vorinstanz gerügt wurde, sofern sich die Rüge nicht schon aus dem angegriffenen Urteil ergibt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 29. April 2009 VI B 126/08, BFH/NV 2009, 1267; vom 10. Oktober 2008 VIII B 20-22/08, BFH/NV 2009, 183; vom 16. Juli 2008 X B 202/07, BFH/NV 2008, 1681; vom 9. September 2005 I B 40/05, BFH/NV 2006, 101; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 103). Die bloße Behauptung, den Verfahrensmangel gerügt zu haben, genügt nicht; die Rüge muss aus dem Protokoll oder aus dem angefochtenen Urteil ersichtlich sein (BFH-Urteil vom 14. September 1993 VIII R 84/90, BFHE 174, 233, BStBl II 1994, 764). Darüber hinaus ist gegebenenfalls weiter vorzutragen, dass eine Protokollierung der Rüge verlangt und --im Falle der Weigerung des Gerichts, die Protokollierung vorzunehmen-- eine Protokollberichtigung gemäß § 94 FGO i.V.m. den §§ 160 Abs. 4, 164 ZPO beantragt worden sei (BFH-Beschlüsse vom 6. April 2006 XI S 21/05, BFH/NV 2006, 1330; vom 5. November 2004 VIII B 172/04, juris; vom 9. November 1999 II B 14/99, BFH/NV 2000, 582; vom 4. März 1992 II B 201/91, BFHE 166, 574, BStBl II 1992, 562). Um diese Rüge vornehmen zu können, ist es Sache des jeweiligen Beteiligten, sich über den Inhalt des Protokolls zu informieren und von sich aus das Protokoll einzusehen.

38

Im Streitfall hat die Klägerin innerhalb der Revisionsbegründungsfrist zwar behauptet, die Nichterhebung beantragter Beweise in der mündlichen Verhandlung gerügt zu haben. Dies ergibt sich aber weder aus dem Sitzungsprotokoll noch aus dem angefochtenen Urteil selbst. Dass sie eine Protokollierung der Rüge verlangt und --im Falle der Weigerung des Gerichts, die Protokollierung vorzunehmen-- eine Protokollberichtigung gemäß § 94 FGO i.V.m. den §§ 160 Abs. 4, 164 ZPO beantragt habe, hat sie nicht vorgetragen, vielmehr hat sie erst nach Erhalt der Ladung zu der --auf ihren Antrag nach § 90a Abs. 2 Satz 1 FGO anberaumten-- mündlichen Verhandlung die Berichtigung des Protokolls beim FG beantragt. Über die Verfahrensrüge war danach nicht zu entscheiden.

39

Im Übrigen hat das FG den von der Klägerin gestellten Protokollberichtigungsantrag mit Beschluss vom 25. Juli 2011 abgelehnt.

40

(4) Soweit die von der Klägerin für erforderlich gehaltene Einvernahme des in Italien ansässigen Zeugen G unterblieben ist, liegt gleichfalls kein Verfahrensfehler vor.

41

Nach ständiger Rechtsprechung ist ein im Ausland ansässiger Zeuge bei Auslandssachverhalten nicht von Amts wegen zu laden, sondern muss nach § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO i.V.m. § 90 Abs. 2 AO in der mündlichen Verhandlung gestellt werden (BFH-Beschlüsse vom 26. Oktober 1998 I B 48/97, BFH/NV 1999, 506; vom 3. Dezember 1996 I B 8, 9/96, BFH/NV 1997, 580). Dies ist im Streitfall nicht erfolgt. Da insoweit die Klägerin ihrer erhöhten Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO nicht nachgekommen ist, durfte das FG ohne Berücksichtigung dieses Beweismittels den Sachverhalt nach freier Überzeugung (§ 96 Abs. 1 FGO) würdigen. Ein verfahrensfehlerhaftes Übergehen eines Beweisantrags liegt nicht vor (BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 506).

42

Abweichendes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Vernehmung eines Zeugen im Ausland prozessrechtlich zulässig ist (§ 155 FGO i.V.m. §§ 363, 364 ZPO). Hieraus folgt nicht, dass eine Vernehmung im Ausland bei Nichtverfügbarkeit eines Zeugen ohne weiteres geboten ist. Das FG muss vielmehr nach pflichtgemäßem Ermessen prüfen, ob es von dieser Möglichkeit Gebrauch machen oder von einer solchen Vorgehensweise Abstand nehmen will (BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 506). Diese Prüfung hat das FG vorgenommen und hat hierzu im Urteil ausgeführt, dass, da es entscheidend auf den persönlichen Eindruck und die Glaubwürdigkeit des G angekommen wäre, eine konsularische Vernehmung nicht in Betracht zu ziehen sei. Dies lässt Ermessensfehler nicht erkennen (vgl. BFH-Beschluss vom 20. Juni 2006 VIII B 185/05, juris).

43

(5) Schließlich liegt auch insoweit kein Verfahrensfehler vor, als das FG in seinem Urteil auf das Protokoll zur Hauptverhandlung vor dem LG Bezug genommen hat, da diesem gegenüber dem der Klägerin und ihren Geschäftsführern bekannten Urteil des LG keine eigenständige Bedeutung zukommt, die Klägerin gegen die Feststellungen des LG keine substantiierten Einwendungen erhoben hat und das FG die Einlassungen der Klägerin für nicht glaubhaft hielt.

44

3. Im Hinblick auf die strafrechtlichen Geständnisse der beiden Geschäftsführer der Klägerin kam es auf das von der Klägerin angeregte Vorabentscheidungsersuchen nicht an.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Garten- und Landschaftsbauarchitekt. In den Streitjahren betrieb er als Einzelunternehmer einen Gartenbaubetrieb und ermittelte seinen Gewinn durch Einnahme-Überschuss-Rechnung nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes. Der Kläger sowie seine 2005 verstorbene Ehefrau waren an verschiedenen Gesellschaften beteiligt. Im Zeitraum von Oktober 1999 bis Mai 2001 führte das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen bei dem Kläger sowie der K GmbH und der G GmbH ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren durch. In der Folgezeit änderte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) die Einkommensteuerbescheide 1993 bis 1997 in Bezug auf die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit sowie in Bezug auf die Kapitaleinkünfte, wobei das FA für das Jahr 1996 die Eheleute antragsgemäß getrennt veranlagte.

2

Die gegen die Einspruchsbescheide gerichteten Klagen hatten teilweise Erfolg. Der Kläger unterlag vor dem Finanzgericht (FG) nur noch hinsichtlich folgender Streitpunkte:

3

1. Zahlungen an das Unternehmen S in den Jahren 1993 und 1994 erkannte das FG nicht als Betriebsausgaben im Einzelunternehmen des Klägers an, weil es von fingierten Vertragsverhältnissen ausging. Zur Sachverhaltsaufklärung verwies das FG umfassend auf die Ergebnisse des Steuerstrafverfahrens sowie der Umsatzsteuerverfahren gegen den Kläger. Das FG würdigte die aktenkundigen Aussagen von Zeugen aus diesen Verfahren als "nachvollziehbar und glaubhaft", obwohl es keine eigene Zeugenvernehmung durchführte.

4

2. Zahlungen der K GmbH in den Streitjahren 1993 und 1994 erfasste das FG als verdeckte Gewinnausschüttungen beim Kläger. Streitig ist, ob den Zahlungen ein Darlehen des Klägers zugrunde liegt. Auch hier stützte sich das FG auf Zeugenaussagen im Strafverfahren, ohne selbst Zeugen vernommen zu haben.

5

3. In den Streitjahren 1994 bis 1997 rechnete das FG dem Kläger Einkünfte aus einer Kapitalanlage in Luxemburg zu. Diese Anlage erfolgte im Namen des Klägers. Aus Sicht des FG bestand kein Treuhandverhältnis zugunsten der G GmbH.

6

4. Eine Einzahlung in 1996 wertete das FG nicht als Bareinlage, da der Kläger nicht nachweisen konnte, woher das Geld stamme.

7

Mit der gegen das Urteil gerichteten Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

8

Das FA beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Beschwerde ist teilweise begründet. Hinsichtlich der Streitjahre 1993 und 1994 beruht die Vorentscheidung auf einem Verfahrensfehler. Dieser führt insoweit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG gemäß § 116 Abs. 6 FGO.

10

1. Die Vorentscheidung ist hinsichtlich der Einkommensteuer 1993 und 1994 aufzuheben, weil das FG den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verletzt hat.

11

a) Nach § 81 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das Gericht den Beweis in der mündlichen Verhandlung zu erheben. Der Sinn des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und des aus ihm folgenden Gebots, Zeugen grundsätzlich selbst zu hören und sich nicht mit nur schriftlich übermittelten Bekundungen derselben zu begnügen, besteht darin, es dem Gericht zu ermöglichen, aufgrund des persönlichen Eindrucks von den Zeugen und durch kritische Nachfrage die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen zu überprüfen (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 23. Januar 1985 I R 30/81, BFHE 143, 117, BStBl II 1985, 305; vom 17. Mai 2005 VII R 76/04, BFHE 210, 70).

12

b) Zeugenprotokolle aus anderen Verfahren können im Finanzprozess grundsätzlich als Urkundsbeweis im finanzgerichtlichen Verfahren verwertet werden, wenn die Beteiligten damit einverstanden sind (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 18. November 1971 VIII 21/65, BFHE 104, 409, BStBl II 1972, 399; vom 22. Februar 1972 VII R 80/69, BFHE 105, 220, BStBl II 1972, 544; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 81 FGO Rz 27, m.w.N.).

13

Die Rechtsprechung lässt es damit zu, dass sich das FG die tatsächlichen Feststellungen, Beweiswürdigungen und rechtlichen Beurteilungen eines Strafverfahrens zu eigen machen kann, wenn und soweit es zu der Überzeugung gelangt ist, dass diese zutreffend sind und keine substantiierten Einwendungen gegen die Feststellungen des Strafurteils erhoben werden (vgl. hierzu BFH-Urteile vom 13. Juli 1994 I R 112/93, BFHE 175, 489, BStBl II 1995, 198; vom 2. Dezember 2003 VII R 17/03, BFHE 204, 380; BFH-Beschlüsse vom 5. Februar 1993 VIII B 103/92, BFH/NV 1993, 351; vom 14. November 2003 VIII B 70/02, BFH/NV 2004, 513; vom 20. April 2006 VIII B 33/05, BFH/NV 2006, 1338; vom 17. März 2010 X B 120/09, BFH/NV 2010, 1240).

14

c) Das FG begeht aber einen Verfahrensfehler, wenn es Vernehmungsprotokolle aus anderen Verfahren als Zeugenbeweis bezeichnet und daher im Urteil nicht zum Ausdruck kommt, dass der unterschiedliche Beweiswert von Urkunden- und Zeugenbeweis vom FG gesehen und berücksichtigt wurde (vgl. zum Verwaltungsgerichtsprozess Böhm in Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1996, S. 427, 429).

15

2. Im Streitfall verwies das FG zur Sachverhaltsaufklärung umfassend auf die Ergebnisse des Steuerstrafverfahrens sowie der Umsatzsteuerverfahren gegen den Kläger. Obwohl das FG in der mündlichen Verhandlung keine Zeugen vernommen hat, würdigte es in den Entscheidungsgründen auf S. 18 des Urteils die Aussage der Zeugin X, die diese im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren abgelegt hatte, als nachvollziehbar und glaubhaft. Ebenso werden --ohne tatsächliche Vernehmung in der mündlichen Verhandlung-- auf S. 22 die Aussagen weiterer Zeugen gewürdigt. Damit verstieß das FG gegen den Grundsatz der formellen Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme.

16

3. Da das FG den protokollierten Zeugenaussagen wesentliches Gewicht beigelegt hat, beruht das Urteil auf dem Verfahrensverstoß. Die Möglichkeit, dass es ohne den Fehler anders ausgefallen wäre, lässt sich nicht mit Sicherheit ausschließen. Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO liegen damit vor. Der Senat hält es für angezeigt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO).

III.

17

Hinsichtlich der Streitjahre 1996 und 1997 ist die Beschwerde unbegründet und daher zurückzuweisen.

18

1. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor.

19

a) Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO gewährleisten den Verfahrensbeteiligten die Gelegenheit, sich zu den der Entscheidung zu Grunde liegenden Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern und ihre für wesentlich gehaltenen Rechtsansichten vorzutragen (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 119 Rz 10a, m.w.N.).

20

Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liegt nach der Rechtsprechung nur vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht rechnen musste. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt jedoch nicht, dass das Gericht die maßgebenden Rechtsfragen mit den Beteiligten umfassend erörtert oder sogar die einzelnen für die Entscheidung erheblichen (rechtlichen oder tatsächlichen) Gesichtspunkte im Voraus andeutet (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2010, 1240, m.w.N.).

21

b) Nach diesen Grundsätzen liegt kein Verfahrensverstoß vor. Der Kläger trägt vor, er habe die mündliche Verhandlung lediglich als Vorbesprechung angesehen. Aus der Gerichtsakte des FG ergibt sich aber, dass das Gericht den Kläger bereits einige Monate vor der mündlichen Verhandlung aufforderte, genau bezeichnete Unterlagen beizubringen. Ferner wurde er ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen. Es sind keine Gründe ersichtlich, wonach der Kläger lediglich von einer Vorbesprechung ausgehen konnte. Insbesondere konnte der Kläger aus der unterlassenen Ladung von Zeugen keine Schlüsse ziehen, da es im Hinblick auf die oben unter II.1.b zitierte Rechtsprechung denkbar ist, dass das FG die Ergebnisse des Strafverfahrens im Wege des Urkundsbeweises hätte übernehmen können. Ein Urteil ist schließlich nicht deshalb Überraschungsentscheidung, weil es nicht den Erwartungen und Hoffnungen eines Beteiligten entspricht.

22

c) Soweit der Kläger das Unterlassen von Hinweisen nach § 76 Abs. 2 FGO rügt, fehlt es an Ausführungen, welche (weiteren) Anträge der Kläger gestellt hätte.

23

2. In Wirklichkeit wendet sich der Kläger gegen die materielle Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde sind Einwände gegen die Richtigkeit des angefochtenen Urteils, die nur im Rahmen einer Revisionsbegründung relevant sein können, von vornherein unbeachtlich. Gleiches gilt hinsichtlich der vom Kläger behaupteten unzulänglichen Beweiswürdigung. Die Beweiswürdigung ist revisionsrechtlich ebenfalls dem materiellen Recht zuzuordnen (vgl. BFH-Beschluss vom 17. Januar 2006 VIII B 172/05, BFH/NV 2006, 799, m.w.N.) und kann daher im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde grundsätzlich nicht angegriffen werden.

IV.

24

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.

(1) Die Beteiligten sollen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Schriftsätze einreichen. Hierzu kann der Vorsitzende sie unter Fristsetzung auffordern. Den Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden. Die Schriftsätze sind den Beteiligten von Amts wegen zu übermitteln.

(2) Den Schriftsätzen sind die Urkunden oder elektronischen Dokumente, auf die Bezug genommen wird, in Abschrift ganz oder im Auszug beizufügen. Sind die Urkunden dem Gegner bereits bekannt oder sehr umfangreich, so genügt die genaue Bezeichnung mit dem Anerbieten, Einsicht bei Gericht zu gewähren.