Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 28. Juni 2016 - 10 B 13.1982

bei uns veröffentlicht am28.06.2016
vorgehend
Verwaltungsgericht München, M 4 K 10.1960, 18.01.2011

Gericht

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Gründe

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Aktenzeichen: 10 B 13.1982

Im Namen des Volkes

Urteil

vom 28. Juni 2016

VG München, Entscheidung vom 18. Januar 2011, Az.: M 4 K 10.1960

10. Senat

Sachgebietsschlüssel: 600

Hauptpunkte: Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen; geänderte Rechtslage zum 1. Januar 2016; gegenwärtige, schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung; Gefahrenprognose; Wiederholungsgefahr (hier: verneint); Unerlässlichkeit der Ausweisung (hier: ebenfalls verneint); enge familiäre Bindungen; besonders schützenswerte Vater-Sohn-Beziehung

Rechtsquellen:

In der Verwaltungsstreitsache

gegen

Landeshauptstadt M.,

vertreten durch den Oberbürgermeister,

dieser vertreten durch … Ausländerangelegenheiten, R-str. …, M.,

- Beklagte -

beteiligt:

Landesanwaltschaft … als Vertreter des öffentlichen Interesses, L-str. …, M.,

wegen Ausweisung;

hier: Berufung des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 18. Januar 2011,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 10. Senat, durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Senftl, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Zimmerer, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dihm aufgrund mündlicher Verhandlung vom 27. Juni 2016 am 28. Juni 2016 folgendes

Urteil:

I.

Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 18. Januar 2011 und der Bescheid der Beklagten vom 25. März 2010 (mit Ausnahme der durch Änderungsbescheid der Beklagten vom 23. Juni 2016 geänderten Befristungsregelung) werden aufgehoben.

II.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des vollsteckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrags leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet.

Der 1979 in M. geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger, dem am 29. Mai 1995 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde. Er wuchs zusammen mit seinen drei Geschwistern bei den Eltern im Bundesgebiet auf und besuchte hier die Grund- und Hauptschule; letztere beendete er mit dem (normalen) Hauptschulabschluss. Anschließend arbeitete er im Imbissstand seines Vaters, jobbte bei verschiedenen Firmen und war als Gabelstaplerfahrer beschäftigt, zeitweise bezog er auch Sozialleistungen. Bis zu seiner Festnahme im November 2008 lebte er mit seiner (damaligen) deutschen Lebensgefährtin zusammen, mit der er zwei Kinder, eine am 30. Januar 1998 geborene Tochter und einen am 19. Januar 2001 geborenen Sohn, beide deutsche Staatsangehörige, hat.

Neben früheren, bereits aus dem Strafregister getilgten Verurteilungen wegen Diebstahls, Betäubungsmittel- und Körperverletzungsdelikten in den Jahren 1997 und 1998 trat der Kläger strafrechtlich insbesondere wie folgt in Erscheinung:

- Amtsgericht München, Urteil vom 12.2.2001, rechtskräftig seit 12.2.2001, wegen Unterschlagung und Bedrohung, Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 30 DM

- Amtsgericht München, Urteil vom 20.11.2001, rechtskräftig seit 28.11.2001, wegen gefährlicher Körperverletzung in einem minder schweren Fall, Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 50 DM

- Amtsgericht München, Strafbefehl vom 26.6.2002, rechtskräftig seit 2.8.2002, wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln, Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 15 Euro

- Amtsgericht München, Urteil vom 24.9.2003, rechtskräftig seit 24.9.2003, wegen Bedrohung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsstrafe von 6 Monaten (zur Bewährung ausgesetzt, Bewährungszeit 2 Jahre)

- Amtsgericht München, Urteil vom 2.12.2003, rechtskräftig seit 2.12.2003, wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in Tatmehrheit mit vorsätzlichem unerlaubten Erwerb von Betäubungsmitteln, Gesamtfreiheitsstrafe (unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts München vom 24.9.2003) von 9 Monaten (zur Bewährung ausgesetzt, Bewährungszeit 2 Jahre)

- Amtsgericht München, Urteil vom 27.6.2005, rechtskräftig seit 16.2.2006, wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in 3 Fällen, Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Monaten

- Amtsgericht München, Urteil vom 30.5.2006, wegen Unterschlagung in 2 tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, im Rechtsfolgenausspruch abgeändert durch Urteil des Landgerichts München I vom 10.11.2006, rechtskräftig seit 10.11.2006, Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Monaten (unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts München vom 27.6.2005)

- Landgericht München I, Urteil vom 12.5.2009, rechtskräftig seit 12.5.2009, wegen schweren Raubes, Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 10 Monaten

Dem Urteil vom 12. Mai 2009 lag zugrunde, dass der Kläger und drei weitere von ihm ausgesuchte und mitgebrachte Männer am Abend des 5. November 2008 den Geschädigten, der unter einem Vorwand auf das Gelände der Ruderregattastrecke in M. gebracht worden war, verabredungsgemäß bedrohten, um ihn einzuschüchtern. Dabei hielt der Kläger, dessen Gesicht verdeckt war, einen Schlagstock dergestalt in der Hand, dass der Geschädigte diesen für eine scharfe Waffe hielt. Während der Geschädigte am Boden lag, wobei jeweils einer der vier Männer auf seinem Rücken kniete, drückte ihm der Kläger den Schlagstock so ins Genick, dass dieser meinte, ihm würde eine scharfe Waffe an den Kopf gehalten. Dem völlig verängstigten Geschädigten wurden dabei verschiedene Gegenstände (Personalausweis, zwei Handys, Taschenmesser, EC-Karte, Geldschein) entwendet. Der Kläger, der das Geschehen koordinierte und seinen Mittätern Anweisungen gab, drückte dem Geschädigten schließlich eine Pistolenpatrone in die Hand und äußerte sinngemäß, eine zweite Kugel würde in den Kopf des Geschädigten gehen, wenn er nochmals die Familie eines weiteren Mittäters, der das Geschehen aus der Entfernung beobachtete, bedrohte. Als der Geschädigte entgegen vorheriger Anweisung vom Boden aufstand, nachdem die Täter sich von ihm entfernt hatten, kehrte der Kläger zurück, riss dem Geschädigten eine Halskette vom Hals und sagte zu ihm: „Ich nimm dir alles, wenn es sein muss, auch dein Kind! Ich weiß alles über dich, und jetzt bleibt liegen, du Fotze.“ Der nicht ortskundige Geschädigte wurde dann in der Dunkelheit zurückgelassen.

Wegen dieser Tat wurde der Kläger am 12. November 2008 festgenommen und befand sich bis zu seiner Entlassung am 14. August 2013 in Haft.

Neun weitere Verfahren gegen den Kläger, unter anderem wegen Bedrohung und gefährlicher Körperverletzung, wurden gemäß §§ 153,154 StPO eingestellt. Der Kläger war von der Beklagten bereits mehrfach verwarnt und auf die ausländerrechtlichen Folgen strafrechtlicher Verurteilungen hingewiesen worden.

Nach erfolgter Anhörung wies die Beklagte den Kläger mit Bescheid vom 25. März 2010 aus der Bundesrepublik Deutschland aus, untersagte ihm (zunächst) die Wiedereinreise für sechs Jahre (ab Ausreise) unter der Bedingung, dass keine neuen Ausweisungsgründe verwirklicht und die Kosten der Abschiebung im Falle einer Abschiebung gemäß Leistungsbescheid beglichen werden, und drohte ihm im Fall der nicht fristgerechten Ausreise nach Haftentlassung und Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht die Abschiebung in die Türkei an. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Ausweisung erfolge aus spezialpräventiven Gründen im Wege einer Ermessensentscheidung nach § 55 AufenthG in Verbindung mit Art. 14 ARB 1/80. Der Kläger habe durch seine im Bereich der Schwerkriminalität anzusiedelnden Straftaten schwerwiegend gegen die öffentliche Ordnung der Bundesrepublik verstoßen. Es besteht die konkrete Gefahr weiterer schwerwiegender Straftaten nach seiner Haftentlassung. Die Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen führe zu dem Ergebnis, dass der Schutz der in Deutschland lebenden Bevölkerung vor Beeinträchtigungen von Leben und Gesundheit höher anzusiedeln sei als die Interessen des Klägers am Schutz seines Privat- und Familienlebens im Bundesgebiet.

Die hiergegen erhobene Anfechtungsklage des Klägers hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 18. Januar 2011 abgewiesen. Der streitgegenständliche Bescheid sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Ausweisung sei auch unter Berücksichtigung der dem Kläger zustehenden Rechtsposition nach Art. 7 Satz 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 rechtlich nicht zu beanstanden. Bei den von ihm begangenen Straftaten handle es sich um eine besonders schwerwiegende, das Grundinteresse der Gemeinschaft berührende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Durch die Ausweisung solle verhindert werden, dass der Kläger im Bundesgebiet weitere schwerwiegende Straftaten, insbesondere Gewalttaten, die Leben und Gesundheit anderer Menschen bedrohten, begehe. Es sei zu erwarten, dass der Kläger nach seiner Haftentlassung erneut solche schwerwiegenden Delikte begehen werde. Trotz zahlreicher Verurteilungen und der Verbüßung einer Freiheitsstrafe habe er sich von weiteren schweren Straftaten nicht abhalten lassen. Er habe bei seinen Taten erhebliche Gewaltbereitschaft und ein hohes Aggressionspotenzial gezeigt und sei auch früher schon durch nicht unerhebliche Körperverletzungsdelikte und Bedrohungen strafrechtlich in Erscheinung getreten. Weder habe der Kläger eine abgeschlossene Berufsausbildung noch habe er beruflich bisher ausreichend Fuß gefasst. Vor seinen Inhaftierungen in den Jahren 2006 und 2008 habe er von Sozialleistungen gelebt. Die Ausweisung sei auch unter Berücksichtigung des Rechts auf Achtung seines Familien- und Privatlebens nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK verhältnismäßig. Zwar stelle die Ausweisung einen massiven Eingriff in seine persönlichen und sozialen Verhältnisse dar. Der im Bundesgebiet geborene Kläger habe hier seither seinen Lebensmittelpunkt. Seine Eltern, Geschwister, seine (bisherige) deutsche Lebensgefährtin sowie seine beiden Kinder mit deutscher Staatsangehörigkeit, mit denen der Kläger vor seiner Inhaftierung in familiärer Gemeinschaft gelebt habe und mit denen er auch in der Haft regelmäßigen Brief- und Besuchskontakt pflege, lebten hier. Die familiären Bindungen zur (bisherigen) Lebensgefährtin, die inzwischen ein Kind von einem anderen Mann habe, seien jedoch nicht gefestigt. Es bestünden erhebliche Zweifel daran, dass der Kläger mit der Lebensgefährtin und seinen Kindern auch künftig in häuslicher Gemeinschaft leben werde. Er habe viele Jahre hinweg keine Verantwortung für seine Familie und seine Kinder übernommen und sich durch sie nicht von der Begehung von Straftaten abhalten lassen. Die Kinder hätten deshalb schon über mehrere Jahre hinweg ohne ihren Vater leben müssen. Auch finanziell habe der Kläger keine ausreichende Verantwortung für die Kinder übernommen; seiner Unterhaltspflicht sei er nicht nachgekommen. Der Kläger spreche fließend Türkisch, habe noch familiäre Bindungen zum Herkunftsstaat und sei in der Lage, in der Türkei zurechtzukommen. Nach alledem sei aufgrund der ernsthaften Gefahr der Begehung weiterer schwerwiegender Straftaten dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Rahmen der Interessenabwägung der Vorrang gegenüber den privaten Interessen einzuräumen. Auch die Ermessensausübung der Beklagten sei rechtlich nicht zu beanstanden.

Die vom Senat mit Beschluss vom 19. September 2013 zugelassene Berufung begründet der Kläger im Wesentlichen wie folgt: Mit Beschluss vom 12. Juni 2013 habe die zuständige Auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts A. die Vollstreckung des Rests der Freiheitsstrafe ab dem 1. September 2013 zur Bewährung (mit einer Bewährungszeit von 4 Jahren) ausgesetzt, weil dies unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit verantwortet werden könne. Am 14. August 2013 sei er aus der Haft entlassen worden. Er habe zunächst wieder bei seinen Eltern gewohnt. Seit etwa eineinhalb Jahren wohne er mit seiner (neuen) Lebensgefährtin, einer türkischen Staatsangehörigen, zusammen, die über eine Niederlassungserlaubnis verfüge und die er nach deren Scheidung heiraten wolle. Straftaten habe er nicht mehr begangen. Seinen türkischen Reisepass habe er bei der Beklagten abgegeben. Seine beiden Kinder lebten zwar bei ihrer Mutter, übernachteten jedoch auch bei ihm und seiner neuen Lebensgefährtin, mit der sie sich gut verstünden. Er sehe seine Kinder mindestens vier Mal jede Woche und übe nach wie vor das gemeinsame Sorgerecht mit der Mutter aus. Wirtschaftlich gehe es ihm nicht gut, da er bisher keine Arbeitserlaubnis erteilt bekommen habe. Gegenwärtig lebe er von Unterstützungen seiner Eltern und seiner jetzigen Lebensgefährtin; Geldleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz habe er aus eigenem Entschluss seit etwa acht Monaten nicht mehr in Anspruch genommen. Er habe, sofern er einen Aufenthaltstitel bekommen sollte, das schriftliche Angebot einer Beschäftigung als Objektleiter in einem Sicherheitsunternehmen. Seine Bewährungszeit habe er entsprechend der schriftlichen Stellungnahme seines Bewährungshelfers vom 10. Juni 2016 erfolgreich abgeschlossen. Es bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass er auch weiterhin straffrei leben werde. Die Ausweisung greife im Übrigen in unverhältnismäßiger Weise in sein Recht auf Achtung des Familienlebens aus Art. 8 EMRK ein. Dabei sei zu berücksichtigen, dass er sich hinsichtlich seiner Straftat reuig gezeigt und in der Haft sowie danach bewährt habe, sich auch während der Haftzeit stets intensiv um den Kontakt zu seinen Kindern bemüht und diesen gepflegt habe und diesen eine erneute Unterbrechung der intensiven Vater-Kind-Beziehung nicht zuzumuten sei. Durch seine Lebensgestaltung habe er unter Beweis gestellt, dass er zu einem straffreien Leben gewillt und in der Lage sei. Eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft sei ohne Schwierigkeiten möglich. Dabei unterstützten ihn nicht zuletzt seine jetzige Lebensgefährtin und seine Eltern in jeglicher Weise.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 18. Januar 2011 und den Bescheid der Beklagten vom 25. März 2010 (mit Ausnahme der durch Änderungsbescheid der Beklagten vom 23.6.2016 geänderten Befristungsregelung) aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts sei nunmehr auf §§ 53 ff. AufenthG in der aktuellen Fassung abzustellen, wonach über die Ausweisung nicht mehr nach Ermessen, sondern aufgrund einer Abwägung zwischen dem Ausweisungsinteresse und dem Bleibeinteresse des Ausländers zu entscheiden sei. Die Befristung der Ausweisungswirkungen sei mit (dem hier nicht streitgegenständlichen) Änderungsbescheid vom 23. Juni 2016 der aktuellen Gesetzeslage angepasst worden. Die Bleibeinteressen des im Bundesgebiet geborenen Klägers würden zwar erhebliches Gewicht besitzen, da er sich nie über einen längeren Zeitraum im Heimatstaat aufgehalten habe und gewichtige familiäre Bindungen insbesondere zu den beiden Kindern bestünden, die sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsangehörigkeit besäßen. Die Beklagte gehe jedenfalls im Fall des 15-jährigen Sohnes von einer engen Vater-Kind-Beziehung aus. Die beiden Kinder wohnten - jedenfalls gegenwärtig - in der Wohnung ihrer Mutter und besuchten den Vater lediglich, wobei der persönliche Kontakt zwischen Vater und Sohn deutlich intensiver sein solle. Den persönlichen Umgang mit seinen Kindern könne der Kläger aber auch durch E-Mail, Telefon, Briefe und gegebenenfalls Betretenserlaubnisse, die nach ständiger Praxis der Beklagten zum Besuch der Kinder erteilt würden, aufrechterhalten. Demgemäß sei die Ausweisung auch nicht wegen Verstoßes gegen Art. 8 EMRK unverhältnismäßig. Nach wie vor besäßen die Ausweisungsinteressen beim Kläger überwiegendes Gewicht, da die konkrete Gefahr weiterer schwerer Straftaten bestehe. Zwar seien seit der Haftentlassung am 13. August 2013 keine weiteren Strafverfahren anhängig geworden. Dies widerlege jedoch den Fortbestand einer konkreten Gefahr weiterer schwerer Straftaten nicht. Der Kläger sei besonders schwerwiegend strafrechtlich in Erscheinung getreten und insgesamt zu Jugend- oder Freiheitsstrafen von ca. 6,3 Jahren und Geldstrafen in Höhe von 350 Tagessätzen verurteilt worden. Maßgeblich für den Erlass der Ausweisungsverfügung sei ein schwerer Raub und damit ein besonders schwerwiegendes Delikt gewesen. Auch sei der Kläger über einen langen Zeitraum immer wieder strafrechtlich in Erscheinung getreten. Der Bewährungsbeschluss widerlege die Gefahrenprognose nicht, weil davon auszugehen sei, dass diese Entscheidung nicht aufgrund einer positiven Prognose, sondern vielmehr zwecks Erprobung des Klägers getroffen worden sei. Die angeordnete Bewährungsaufsicht werde zudem erst am 1. September 2017 auslaufen. Der Kläger habe bisher weder eine Gewalt- noch eine Sozialtherapie absolviert. Auch der bereits als Jugendlicher begonnene Konsum von Betäubungsmitteln sei zu keinem Zeitpunkt erfolgreich therapiert worden. Die Geburt seiner beiden Kinder habe beim Kläger offensichtlich keine Zäsur im Verhalten bewirken können. Aufgrund der schwerwiegenden Delinquenz und der fortbestehenden konkreten Wiederholungsgefahr überwiege das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse trotz der familiären Bindungen.

Mit Beschluss vom 28. Oktober 2013 hat der Verwaltungsgerichtshof dem Kläger für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt.

In der mündlichen Verhandlung am 27. Juni 2016 wurde mit den Beteiligten die Sach- und Rechtslage eingehend erörtert. Der Kläger und sein Sohn D. wurden zu den aktuellen Lebensverhältnissen und insbesondere der Vater-Sohn-Beziehung informatorisch angehört. Der Bevollmächtigte des Klägers erklärte, die mit Änderungsbescheid der Beklagten vom 23. Juni 2016 verfügte aktuelle Befristungsregelung nicht in das vorliegende Verwaltungsstreitverfahren mit einzubeziehen. Auf die Sitzungsniederschrift wird insoweit Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen, die Behördenakten sowie die beigezogenen Strafakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache Erfolg. Seine auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 25. März 2010 (mit Ausnahme der durch Bescheid der Beklagten vom 23. Juni 2016 geänderten Befristungsregelung) gerichtete Klage ist begründet, weil die darin verfügte Ausweisung im für die rechtliche Beurteilung dieser Anordnung maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (1.) gemessen an den in diesem Zeitpunkt maßgeblichen Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386), zuletzt geändert durch das Gesetz zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11. März 2016 (BGBl I S. 394), rechtswidrig ist und den Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO; 2.). Daraus ergibt sich auch die Rechtswidrigkeit der weiter verfügten Abschiebungsandrohung.

1. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der angefochtenen Ausweisung und der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder der Entscheidung des Berufungsgerichts (st. Rspr.; vgl. z. B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 12; BayVGH, U.v. 8.3.2016 - 10 B 15.180 - juris Rn. 25).

2. Gemessen an den im Zeitpunkt Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs maßgeblichen Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG in der aktuell gültigen Fassung (2.1.) erweist sich die angefochtene Ausweisung als rechtswidrig (2.2.).

2.1. Seit der Rechtsänderung zum 1. Januar 2016 differenziert das Aufenthaltsgesetz nicht mehr zwischen der zwingenden Ausweisung, der Ausweisung im Regelfall und der Ermessensausweisung, sondern verlangt für eine Ausweisung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, die für ein Ermessen der Ausländerbehörde keinen Raum mehr lässt. Die Ausweisungsentscheidung ist durch das Gericht in vollem Umfang nachprüfbar (st. Rspr.; vgl. z. B. BayVGH, U.v. 8.3.2016 - 10 B 15.180 - juris Rn. 26; B.v. 11.7.2016 - 10 ZB 15.837 - Rn. 9; HessVGH, B.v. 15.2.2016 - 3 A 368/16.ZT u. 3 B 509/16 - InfAuslR 2016, 220/222; Welte, InfAuslR 2015, 426; Cziersky-Reis in Hofmann, Kommentar zum Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl. 2016, § 53 Rn. 30; Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Kommentar, 11. Aufl. 2016, Vorbem. §§ 53 - 56 Rn. 13 und § 53 Rn. 5 ff.). Eine - wie hier - nach altem Recht verfügte Ermessensausweisung (§ 55 Abs. 1 AufenthG a. F. i. V. m. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80) wird nach Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG in ihrer Neufassung am 1. Januar 2016 nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht, also gemäß der zentralen Ausweisungsnorm des § 53 Abs. 1 AufenthG (als Grundtatbestand; vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/4097 S. 49 f.) der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Steht dem Ausländer ein Aufenthaltsrecht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) zu, sind an die Qualität der erforderlichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erhöhte Anforderungen zu stellen, denn er darf nach § 53 Abs. 3 AufenthG nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und wenn die Ausweisung zur Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Damit gibt die Neufassung von § 53 Abs. 3 AufenthG exakt die Voraussetzungen wieder, die nach ständiger Rechtsprechung (z. B. EuGH, U.v. 8.12.2011 - Rs. C-371/08 Ziebell -, juris Rn. 80; BayVGH‚ U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris) für die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen erfüllt sein mussten (BayVGH, U.v. 8.3.2016 - 10 B 15.180 - juris Rn. 26; B.v. 11.7.2016 - 10 ZB 15.837 - Rn. 9).

Der Senat hat demgemäß bereits wiederholt entschieden, dass gegen die Anwendung der ab 1. Januar 2016 geltenden neuen Ausweisungsvorschriften auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige auch mit Blick auf Art. 13 ARB 1/80 (sog. Stillhalteklausel) keine Bedenken bestehen, weil sich die materiellen Anforderungen, unter denen diese Personen ausgewiesen werden dürfen, nicht zu ihren Lasten geändert haben und jedenfalls in der Gesamtschau eine Verschlechterung der Rechtspositionen eines durch Art. 13, 14 ARB 1/80 geschützten türkischen Staatsangehörigen nicht feststellbar ist (vgl. BayVGH, U.v. 8.3.2016 - 10 B 15.180 - juris Rn. 28; B.v. 13.5.2016 - 10 ZB 15.492 - juris Rn. 14; B.v. 11.7.2016 - 10 ZB 15.837 - Rn. 11 jeweils m. w. N.).

2.2. Nach diesen Maßstäben erweist sich die Ausweisung des Klägers, dem als Familienangehörigen seiner dem regulären Arbeitsmarkt der Bundesrepublik angehörenden Mutter (vgl. dazu auch die Feststellungen in der mündlichen Verhandlung vom 27.6.2016, Bl. 6 der Sitzungsniederschrift) unstreitig ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 zustand, als rechtswidrig. Denn eine gegenwärtige, tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland geht von dem zu erwartenden persönlichen Verhalten des Klägers nach der aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) nicht mehr aus (2.2.1.). Selbst wenn man anders als der Senat noch von einer gegenwärtigen hinreichenden (Rest-)Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft ausginge, wäre die Ausweisung im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats rechtswidrig, weil sie zur Wahrung dieses Interesses jedenfalls nicht unerlässlich ist (2.2.2.).

2.2.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei einer spezialpräventiven Ausweisungsentscheidung und ihrer gerichtlichen Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. z. B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, U.v. 8.3.2016 - 10 B 15.180 - juris Rn. 26; U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 33 m. w. N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (st. Rspr.; vgl. z. B. BVerwG, U.v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - Rn. 18; BayVGH, U.v. 8.3.2016 - 10 B 15.180 - juris Rn. 31; U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 34 und B.v. 3.3.2016 - 10 ZB 14.844 - juris Rn. 11). Auch der Rang des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen; an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts dürfen andererseits keine zu geringen Anforderungen gestellt werden.

Gemessen an diesen Vorgaben geht eine gegenwärtige, tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft von dem zu erwartenden persönlichen Verhalten des Klägers nach der aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) nicht mehr aus.

Zwar würde die erneute Begehung vergleichbarer Straftaten, wie sie der angefochtenen Ausweisung zugrunde liegen, ohne Zweifel eine hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellen. Denn die Körperverletzungs- und Gewaltdelikte des Klägers, zuletzt seine Verurteilung wegen schweren Raubes, gefährden das Schutzgut der körperlichen Unversehrtheit (s. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Die Gesundheit der Bürger nimmt aber in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Werteordnung einen hohen Rang ein; ihr Schutz ist daher ein Grundinteresse der Gesellschaft, das durch Straftaten, wie sie der Kläger über einen längeren Zeitraum begangen hat, erheblich beeinträchtigt wird (st. Rspr.; vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 19; BayVGH, U.v. 3.2.2015 - 10 BV 13.421 - juris Rn. 57).

Insbesondere aufgrund nach der angefochtenen Behördenentscheidung eingetretener Umstände und des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks kommt der Senat zum maßgeblichen Zeitpunkt seiner Entscheidung zu der Bewertung, dass nach dem persönlichen Verhalten des Klägers aber nicht mehr mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass er erneut durch vergleichbare Delikte ein Grundinteresse der Gesellschaft gefährdet.

Angesichts der Entwicklung, die der Kläger seit der inzwischen über siebeneinhalb Jahre zurückliegenden Anlasstat genommen hat, besteht nach Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs nur noch die eher entfernte Möglichkeit, dass er erneut solche gravierenden Straftaten begehen wird. Der Kläger, bei dem durch Beschluss der Auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts A. beim Amtsgericht N. vom 12. Juni 2013 die Vollstreckung des Rests der Freiheitsstrafe (von 4 Jahren 10 Monaten) ab dem 1. September 2013 zur Bewährung (mit einer Bewährungszeit von 4 Jahren) ausgesetzt worden ist, hat inzwischen die für die Dauer von drei Jahren verfügte Unterstellung der Aufsicht und Leitung der für seinen Wohnsitz zuständigen Bewährungshilfe erfolgreich absolviert. Ausweislich der vorgelegten Stellungnahme seines Bewährungshelfers beim Landgericht M. I vom 10. Juni 2016 ist der Kläger dabei den Auflagen und Weisungen gewissenhaft nachgekommen, so dass von einem positiven Bewährungsverlauf gesprochen werden könne. Das soziale Umfeld scheine ausreichend stabil; der Kläger lebe in einer festen Partnerschaft und teile sich mit seiner ehemaligen Lebensgefährtin das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder. Nach Einschätzung des Bewährungshelfers habe in der Bewährungszeit ein Veränderungsprozess stattfinden können, bei dem der Kläger sein altes strafrechtliches Leben reflexiv habe bearbeiten können.

Auch nach Überzeugung des Senats bestehen mit der neuen Lebensgefährtin, der Familie des Klägers, insbesondere seinen Eltern, den beiden Kindern und vor allem dem 15-jährigen Sohn D. nunmehr offensichtlich die erforderlichen haltgebenden Strukturen, die es ihm ermöglichen, seit der Haftentlassung ein einigermaßen geordnetes und vor allem straffreies Leben zu führen. Der Kläger, der nach seiner Haftentlassung wieder bei seinen ihn nicht nur finanziell unterstützenden Eltern gewohnt hat, lebt seit ca. eineinhalb Jahren in einer festen Beziehung mit seiner neuen Lebensgefährtin zusammen, die er nach eigenen Angaben nach deren Scheidung heiraten will. Seine in der mündlichen Verhandlung anwesende Lebensgefährtin ist strafrechtlich nicht vorbelastet und in Vollzeit bei einem Sicherheitsdienst beschäftigt, bei dem der Kläger - allerdings ohne entsprechende Erlaubnis der Beklagten - ebenfalls bereits vorübergehend aushilfsweise beschäftigt war und bei dem er künftig eine feste Anstellung erhalten kann. Die während der Haft durch regelmäßige Besuche sowie ein Eltern-Kind-Seminar aufrecht erhaltene familiäre Beziehung zu seiner inzwischen volljährigen Tochter und seinem 15-jährigen Sohn wurde seit Haftende nochmals intensiviert. Insbesondere zwischen dem Kläger und seinem Sohn D. besteht zur Überzeugung des Senats auch emotional eine sehr enge Bindung. Dies haben der Kläger und sein Sohn D. bei ihrer informatorischen Anhörung im Rahmen der mündlichen Verhandlung glaubhaft geschildert. Danach finden zwischen den Kindern und dem Kläger, der mit seiner früheren Lebensgefährtin und Mutter der Kinder nach wie vor das gemeinsame Sorgerecht ausübt, häufige, im Fall des Sohnes D. fast tägliche Besuche und Kontakte statt. Der Kläger kümmert sich auch nach den überzeugenden Schilderungen seines Sohnes in der mündlichen Verhandlung offensichtlich sehr um die Belange seiner Kinder, nimmt intensiv an ihrem Leben teil und unterstützt sie in den verschiedensten Lebenssituationen. Auch das Verhältnis zur Mutter seiner Kinder, die inzwischen ebenfalls mit einem neuen Lebensgefährten zusammenlebt und mit diesem gemeinsame Kinder hat, ist offensichtlich zum Wohle der Kinder des Klägers gut.

Auch wenn das Verhalten des Klägers während der Zeit seines Strafvollzugs nicht beanstandungsfrei war (Disziplinarmaßnahme wegen unerlaubten Besitzes einer Tätowiermaschine und weiterer Gegenstände), hat er sich ansonsten in der Haft gut geführt, an seiner Gewaltproblematik durch die Teilnahme an einem Anti-Gewalt-Training gearbeitet und neben einem Seminar zur Stärkung persönlicher und sozialer Kompetenzen ein soziales Kompetenztraining absolviert. In gewalttätige Auseinandersetzungen während der Haftzeit war er jedenfalls nie verwickelt. Sein Verhalten gegenüber den Bediensteten der Justizvollzugsanstalt wurde als höflich und gegenüber seinen Mitgefangenen als friedlich geschildert. Zwar kommt einer positiven Führung während der Zeit des Strafvollzugs an sich keine erhebliche Bedeutung für die durch die Ausländerbehörde und die Gerichte anzustellende Gefahrenprognose zu. Findet wie hier das grundsätzlich positive Verhalten während der Haft nach deren Ende aber seine Fortsetzung, kann es bei der Gesamtbeurteilung entsprechend mit berücksichtigt werden. Auch während seiner 3-jährigen Unterstellung unter die Bewährungshilfe hat der vom zuständigen Bewährungshelfer beim Kläger festgestellte Veränderungsprozess (vgl. dessen Stellungnahme vom 10.6.2016) seit Oktober 2013 zu einem positiven Bewährungsverlauf geführt. Den Auflagen und Weisungen der Bewährungshilfe ist er gewissenhaft nachgekommen. Straftaten hat er seither nicht mehr begangen. Die Auffassung bzw. Einschätzung der Beklagten, angesichts einer hohen Dunkelziffer bei etlichen Strafdelikten komme dieser Feststellung nur eine geringe Aussagekraft zu, teilt der Verwaltungsgerichtshof nicht.

Gerade auch aufgrund des Eindrucks, den der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 27. Juni 2016 hinterlassen hat, geht der Senat davon aus, dass die verschiedenen verhaltensbezogenen therapeutischen Maßnahmen während der Haft, vor allem aber die engen familiären Bindungen und die ihm durch seine Eltern und Kinder während der Haft gewährte (psychische) Unterstützung einen Veränderungsprozess eingeleitet haben, der es ihm ermöglicht hat, nicht wieder straffällig zu werden. So hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung glaubhaft und überzeugend angegeben, für ihn sei es genauso wie für seine Kinder sehr schwer gewesen, dass sie ihn nur in der Haftanstalt hätten besuchen und sehen können; ihm sei dort deutlich vor Augen geführt worden, dass es so nicht weitergehen könne.

Auch wenn die zuständige Auswärtige Strafvollstreckungskammer im Bewährungsbeschluss vom 12. Juni 2013 (Bl. 178 ff. der VGH-Akte) keine ausdrückliche positive Prognose für den Kläger anstellt, sondern lediglich in den Gründen des Beschlusses feststellt, unter Berücksichtigung der übereinstimmend befürwortenden Stellungnahmen von Vollzugs- und Vollstreckungsbehörde könne bei Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit die Aussetzung der Vollstreckung des Rests der Freiheitsstrafe zur Bewährung vom Gericht verantwortet werden, spricht dies jedenfalls nicht gegen die vom Senat aufgrund der weiteren Entwicklung getroffene Beurteilung.

Die von der Beklagten beim Kläger nach wie vor angenommene Drogenproblematik und den Bedarf einer entsprechenden Therapie sieht der Senat nicht. Zwar hat der Kläger bereits als Jugendlicher mit dem Konsum von Betäubungsmitteln begonnen und vor allem im Zeitraum 2002 bis 2005 Betäubungsmitteldelikte (unerlaubter Erwerb und Besitz) begangen. Eine Drogenproblematik bzw. einen Hang zum Drogenkonsum hat jedoch bereits das Landgericht M. I im Strafurteil vom 12. Mai 2009 beim Kläger verneint. Auch während der Zeit seines Strafvollzugs gab es keine Hinweise auf eine Drogenproblematik. Bewährungsauflagen hinsichtlich eines etwaigen Drogenkonsums enthält auch der Bewährungsbeschluss der Auswärtigen Strafvollstreckungskammer vom 12. Juni 2013 nicht. Schließlich hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof glaubhaft angegeben, bereits seit 2004 keine Drogen mehr zu konsumieren.

Auch wenn die Bewährungszeit von vier Jahren beim Kläger noch nicht vollständig abgelaufen ist, ist der Senat aufgrund der dargelegten Umstände und des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger inzwischen reifer geworden ist und dass ihm die Situation, in die er sich und seine Familie durch seine schwerwiegenden Straftaten gebracht hat, klar geworden ist. Demgemäß muss zur Überzeugung des Senats inzwischen nicht mehr mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden, dass er erneut durch vergleichbare Delikte ein Grundinteresse der Gesellschaft gefährdet.

2.2.2. Selbst wenn man jedoch anders als der Verwaltungsgerichtshof noch von einer gegenwärtigen hinreichenden (Rest-)Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft ausgeht, ist die Ausweisung im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats rechtswidrig, weil sie zur Wahrung dieses Interesses jedenfalls nicht im Sinne von § 53 Abs. 3 AufenthG unerlässlich ist.

Dabei ist im Rahmen der Prüfung der Unerlässlichkeit zu beachten, dass die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein müssen, wobei sämtliche konkreten Umstände, die für die Situation des Betroffenen gekennzeichnet sind, zu berücksichtigen sind (vgl. BayVGH, U.v. 3.2.2015 - 10 BV 13.421 - juris Rn. 77 m.w. Rsprnachweisen). Auch im Rahmen des (neuen) § 53 Abs. 3 AufenthG ist unter Berücksichtigung des besonderen Gefährdungsmaßstabs für die darin bezeichneten Gruppen von Ausländern eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach § 53 Abs. 1 (i. V. m. Abs. 2) AufenthG durchzuführen (vgl. dazu die Gesetzesbegründung zu § 53 Abs. 3, BT-Drs. 18/4097 S. 50; BayVGH, U.v. 8.3.2016 - 10 B 15.180 - juris Rn. 37). Danach ist die Ausweisung zur Wahrung des hier betroffenen Grundinteresses der Gesellschaft nach Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs aber nicht (mehr) unerlässlich, weil die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung vor allem mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznormen des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und des Art. 8 Abs. 1 EMRK ergibt, dass das Interesse des Klägers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

Ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG ist beim Kläger infolge seiner rechtskräftigen Verurteilung vom 12. Mai 2009 zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gegeben. Sein Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG wiegt nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 AufenthG (ebenfalls) besonders schwer, weil er eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und er sein Umgangsrecht mit seinem minderjährigen ledigen deutschen Sohn D. ausübt; eine rein quantitative Gegenüberstellung der im Rahmen der Prüfung nach §§ 54 und 55 AufenthG verwirklichten typisierten Interessen hat dabei jedoch zu unterbleiben (BayVGH, U.v. 8.3.2016 - 10 B 15.180 - juris Rn. 40).

Zwar kommt dem mit der Ausweisung verfolgten Ziel, eine hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft - hier: Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Bevölkerung - durch weitere Körperverletzungs- und Gewaltdelikte des Klägers abzuwehren, angesichts des hohen Rangs dieses Rechtsguts (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) großes Gewicht zu. Dieses Gewicht ist aber dadurch deutlich vermindert, dass die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger erneut derartige Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit begeht, nur sehr gering ist. Denn aufgrund der oben unter 2.2.1. dargelegten Umstände besteht beim Kläger allenfalls noch eine sehr geringe bzw. entfernte Gefahr der Begehung erneuter Körperverletzungs- oder anderer Gewaltdelikte.

Demgegenüber beeinträchtigt die Ausweisung des in Deutschland geborenen und seit mehr als 37 Jahren hier lebenden Klägers neben seinem Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 sein Recht auf Privatleben nach Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK, sein Recht auf Familienleben nach Art. 8 Abs. 1 EMRK und sein Recht auf Pflege und Erziehung seines Kindes nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Die Beeinträchtigung dieser Rechte, insbesondere aber des Rechts auf Familienleben (Art. 8 Abs. 1 EMRK) und des Rechts auf Pflege und Erziehung seines noch minderjährigen Sohnes D. (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG), wiegen dabei besonders schwer. Die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm gebietet es, bei Entscheidungen über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen zu berücksichtigen; dabei ist maßgeblich auf die Sicht des Kindes abzustellen (st. Rspr.; vgl. z. B. BayVGH, U.v. 3.2.2015 - 10 BV 13.421 - juris Rn. 83 m.w. Rsprnachweisen).

Zwischen dem Kläger und seinen Kindern, insbesondere seinem noch minderjährigen Sohn D., besteht - wie oben dargelegt - emotional eine sehr enge familiäre Bindung, die auch während der Haft durch regelmäßige Besuche sowie ein Eltern-Kind-Seminar aufrecht erhalten und seit Haftende nochmals intensiviert wurde. Der Senat konnte sich in der mündlichen Verhandlung einen unmittelbaren Eindruck davon verschaffen, wie wichtig der nahezu tägliche Kontakt zwischen Vater und Sohn nicht nur für den Kläger selbst, sondern vor allem auch für seinen Sohn D. ist. Im Gegensatz zu einem noch sehr kleinen Kind könnte D. die Folgen der Ausweisung und der damit verbundenen räumlichen Trennung zwar durchaus begreifen und diese deshalb nicht als endgültigen Verlust des Vaters erfahren. Gleichwohl haben die Folgen einer Trennung des Klägers von seinem Sohn auch nur für die Dauer des befristeten Wiedereinreiseverbots zur Überzeugung des Senats hier noch so großes Gewicht, dass sich die Ausweisung angesichts der (allenfalls) nur noch sehr geringen Wahrscheinlichkeit erneuter Körperverletzungs- oder anderer Gewaltdelikte durch den Kläger letztlich als unverhältnismäßig erweist und damit auch nicht zur Wahrung des betroffenen Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist.

Demgemäß ist auch die Abschiebungsandrohung (§ 59 AufenthG) im streitbefangenen Bescheid rechtswidrig, weil infolge der Aufhebung der Ausweisungsverfügung der Kläger nicht mehr ausreisepflichtig ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Rechtsmittelbelehrung

Nach § 133 VwGO kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Beschwerde muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen. In der Beschwerdebegründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer in Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt nur die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen. Für die in § 67 Abs. 4 Satz 5 VwGO genannten Angelegenheiten (u. a. Verfahren mit Bezügen zu Dienst- und Arbeitsverhältnissen) sind auch die dort bezeichneten Organisationen und juristischen Personen als Bevollmächtigte zugelassen. Sie müssen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt (§ 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1 und § 52 Abs. 2 GKG).

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


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Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 47 Rechtsmittelverfahren


(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, inn

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 132


(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulas

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Aufenthaltsgesetz - AufenthG

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(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

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(1) Die Beteiligten können vor dem Verwaltungsgericht den Rechtsstreit selbst führen. (2) Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaate

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 6


(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinsc

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Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 59 Androhung der Abschiebung


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(1) Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden. (2) Die Beschwerde ist bei dem Gericht, gegen dessen Urteil Revision eingelegt werden soll, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils einzulegen.

Einführungsgesetz zum Rechtsdienstleistungsgesetz - RDGEG | § 3 Gerichtliche Vertretung


(1) Kammerrechtsbeistände stehen in den nachfolgenden Vorschriften einem Rechtsanwalt gleich: 1. § 79 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2 Satz 1, § 88 Absatz 2, § 121 Absatz 2 bis 4, § 122 Absatz 1, den §§ 126, 130d und 133 Absatz 2, den §§ 135, 157 und 169

Einführungsgesetz zum Rechtsdienstleistungsgesetz - RDGEG | § 5 Diplom-Juristen aus dem Beitrittsgebiet


Personen, die bis zum 9. September 1996 die fachlichen Voraussetzungen für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach § 4 des Rechtsanwaltsgesetzes vom 13. September 1990 (GBl. I Nr. 61 S. 1504) erfüllt haben, stehen in den nachfolgenden Vorschriften

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 8


(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. (2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 55 Bleibeinteresse


(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer 1. eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,2. eine Aufenthaltserlaubnis besitzt

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 53 Ausweisung


(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 54 Ausweisungsinteresse


(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer 1. wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden

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Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 28. Juni 2016 - 10 B 13.1982 zitiert oder wird zitiert von 18 Urteil(en).

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(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tenor

I.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich mit der Klage gegen seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet.

Der am 24. Dezember 1983 im Bundegebiet geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Sein Vater lebt mit seinen zwei Geschwistern‚ der Stiefmutter und drei Stiefgeschwistern in G.; seine Mutter ist 2006 verstorben. Der Kläger‚ der seit 19. Januar 2000 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis (jetzt: Niederlassungserlaubnis) ist‚ besitzt einen Hauptschulabschluss, hat jedoch keine Berufsausbildung abgeschlossen. In den Jahren zwischen 2001 und 2010 arbeitete er bei verschiedenen Unternehmen mit Unterbrechungen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit.

Im Bundesgebiet ist er strafrechtlich wie folgt in Erscheinung getreten:

1. Vorsätzlicher unerlaubter Besitz in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Führen und vorsätzlicher unerlaubter Einfuhr einer Schusswaffe (24.8.2000): von der Verfolgung abgesehen, § 45 Abs. 2 JGG

2. Vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs mit fahrlässiger Körperverletzung in zwei Fällen (14.12.2003): Amtsgericht Dillingen vom 16.2.2004 - Verurteilung zu 70 Tagessätzen Geldstrafe und Sperre für die Wiedererlangung der Fahrerlaubnis

3. Vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs (14.4.2005): Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 29.11.2005 - fünf Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung und Sperre für die Fahrerlaubnis

4. Sechs sachlich zusammentreffende Vergehen des vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln (29.10.2004): Amtsgericht Dillingen vom 11.1.2006 - Verwarnung und Auflage von Arbeitsleistungen

5. Vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis (27.8.2005): Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 2.5.2006 unter Einbeziehung des Urteils vom 29.11.2005 (s. 3.) - Freiheitsstrafe von sechs Monaten zwei Wochen auf Bewährung und Sperre für die Fahrerlaubnis

6. Nachstellung in Tateinheit mit Nötigung‚ Hausfriedensbruch‚ Beleidigung‚ versuchter Nötigung in Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung‚ Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung in Tatmehrheit mit Beleidigung (3.9.2009): Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 4.5.2010 - Freiheitsstrafe ein Jahr zehn Monate‚ Strafrest zur Bewährung ausgesetzt bis 27. August 2017

7. Nachstellung in zwei tateinheitlichen Fällen mit schwerer Nachstellung‚ gefährlicher Körperverletzung‚ Bedrohung‚ vorsätzlicher Körperverletzung und Nötigung sowie Beleidigung (25.4.2010): Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 2.3.2011 - Freiheitsstrafe von zwei Jahren zwei Monaten‚ Strafvollstreckung erledigt am 3. Juli 2013

Das Landratsamt belehrte den Kläger am 17. Dezember 2007 wegen der von ihm begangenen Straftaten im Hinblick auf eine mögliche Ausweisung. Den Straftaten (Nr. 6 und 7)‚ aus denen Verurteilungen zu Freiheitsstrafen ohne Aussetzung zur Bewährung resultierten‚ lag die vom Kläger mit der späteren Geschädigten vom April 2005 bis 2009 geführte Beziehung zugrunde. Da sich der Kläger mit der von ihr durchgeführten Trennung nicht abfinden wollte‚ stellte er ihr beständig nach‚ rief sie dauernd an und beleidigte sie‚ ihre Mutter und deren Freund. Trotz einer einstwei-ligen Verfügung vom 7. Juli 2009 nach dem Gewaltschutzgesetz‚ mit der dem Kläger untersagt worden war‚ sich seiner früheren Freundin zu nähern‚ ist er an sie in einer Gaststätte herangetreten und hat dort u. a. ihre ebenfalls anwesende Mutter und deren Freund mit einem Golfschläger bedroht und geschlagen. Zulasten des Klägers wurden seine Rücksichtslosigkeit und Penetranz gewertet‚ außerdem sein rücksichtsloses Vorgehen im Hinblick auf die körperliche Unversehrtheit dritter Personen. Die schlechte Sozialprognose und seine Rückfälligkeit ließen eine Bewährungsaussetzung nicht mehr zu. Der Kläger habe den Zeitraum nach der Außervollzug-setzung des Haftbefehls bis zur Hauptverhandlung für einen massiven tätlichen Angriff genutzt.

Der Verurteilung durch das Amtsgericht Augsburg vom 2. März 2011 (Nr. 7) lag ein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde. Demnach habe der Kläger seine ehemalige Freundin im Zeitraum von April bis Juni 2010 weiterhin mehrfach telefonisch kontaktiert‚ beleidigt und bedroht, außerdem zweimal mit seinem Auto verfolgt und sei des Öfteren an ihrer Wohnung vorbeigefahren. Schließlich habe er sie am 24. April 2010 an den Haaren aus ihrem Auto herausgerissen und über einen Platz gezogen. Einen Tag danach habe er seine Handlung wiederholt, außerdem mit beiden Händen um den Hals der Geschädigten gefasst und solange zugedrückt‚ bis sie Atemnot erlitten habe. Der Kläger habe sich im Laufe der Hauptverhandlung aufbrausend benommen und als das eigentliche Opfer hingestellt. Es liege bei ihm eine narzisstische Problematik vor, die mit einem unangepassten Geltungsbedürfnis und Anfälligkeit zur Kränkung einhergehe.

Der Beklagte wies den Kläger mit Bescheid vom 24. Oktober 2012 aus dem Bundesgebiet aus und befristete die Wirkung dieser Ausweisung auf drei Jahre; die Abschiebung aus der Strafhaft wurde angeordnet. Für den Fall‚ dass die Abschiebung nicht aus der Strafhaft durchgeführt werden könne‚ habe der Kläger das Bundesgebiet innerhalb eines Monats nach Eintritt der Bestandskraft des Bescheids zu verlassen‚ andernfalls die Abschiebung in die Türkei oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht werde. Da er assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger sei und damit besonderen Ausweisungsschutz genieße‚ dürfe er nur aus spezialpräventiven Gründen auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung ausgewiesen werden. Vor dem Hintergrund der über Jahre hinweg begangenen‚ schwerwiegenden Straftaten drohe die Gefahr wiederum gegen die körperliche Unversehrtheit gerichteter Straftaten. Obwohl eine Behandlung in einer sozialtherapeutischen Abteilung für Gewaltstraftäter erforderlich und auch vorgesehen sei‚ habe sie der Kläger bisher nicht aufgenommen. Die Teilnahme an einem anstaltsinternen sozialen Kompetenztraining reiche nicht aus. Die Straftaten des in vollem Umfang schuldfähigen Klägers stellten keine einmaligen Verfehlungen dar; er verfüge vor dem Hintergrund seiner narzisstischen Persönlichkeit vielmehr über ein erhebliches Gefährdungspotential. Selbst die Verurteilung zu einer Haftstrafe habe ihn nicht davon abhalten können‚ sofort nach der mündlichen Verhandlung erneut straffällig zu werden. Die Ausweisung sei auch unter Berücksichtigung der persönlichen Belange des Klägers im Hinblick auf Art. 8 EMRK verhältnismäßig. Seine Kenntnisse der türkischen Sprache würden ihm eine rasche Eingewöhnung in die türkischen Lebensverhältnisse ermöglichen.

Mit Urteil vom 27. März 2013 wies das Verwaltungsgericht Augsburg die gegen den Bescheid vom 24. Oktober 2012 gerichtete Anfechtungsklage ab. Der Kläger könne nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 ausgewiesen werden, weil sein persönliches Verhalten eine gegenwärtige und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstelle, zu dessen Wahrung die Ausweisung unerlässlich sei. Das erschreckende Maß an Aggressivität‚ das der Kläger nicht nur gegenüber seiner ehemaligen Freundin‚ sondern auch gegenüber deren Angehörigen an den Tag gelegt habe‚ stelle einen Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht dar. Die begangenen Straftaten deckten ein breites Spektrum ab‚ belegten ein außerordentlich rücksichtsloses und hartnäckiges Verhalten und erstreckten sich über einen erheblichen Zeitraum. Die in den Strafurteilen aufgezeigten charakterlichen Probleme führten zur Annahme schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinn von § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Der Kläger nehme zwar in der Justizvollzugsanstalt an einer Therapie teil‚ diese sei jedoch noch nicht abgeschlossen‚ so dass davon ausgegangen werden müsse‚ dass aufgrund der nach wie vor bestehenden Persönlichkeitsdefizite mit weiteren Straftaten‚ insbesondere gefährlichen Körperverletzungen‚ gegenüber seiner früheren Freundin oder einer künftigen Partnerin‚ falls diese sich von ihm trennen wolle‚ zu rechnen sei. Schließlich bewiesen auch sein Verhalten und seine Äußerungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht deutlich‚ dass er die in seinem bisherigen Leben begangenen Fehler noch nicht erkannt und aufgearbeitet habe. Die Ermessensentscheidung des Beklagten sei nicht zu beanstanden‚ da alle wesentlichen Gesichtspunkte in die Prüfung eingestellt und keine sachfremden Erwägungen angestellt worden seien. Die Ausweisung sei schließlich auch verhältnismäßig im Hinblick auf Art. 8 EMRK. Obwohl der Kläger als faktischer Inländer zu betrachten und im Besitz eine Niederlassungserlaubnis sei‚ sein Vater und seine Geschwister im Bundesgebiet wohnten und er seine wesentliche Prägung und Sozialisation in Deutschland erfahren habe‚ sei ihm eine Übersiedlung in die Türkei zu der dort lebenden Großmutter zuzumuten. Er werde jedenfalls in der Türkei nicht auf unüberwindbare Hindernisse stoßen. Auch die Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von drei Jahren begegne keinen rechtlichen Bedenken.

Der am 22. Juni 2010 inhaftierte Kläger wurde am 19. August 2013 nach voller Verbüßung der durch Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 2. März 2011 (s. Nr. 7) verhängten Freiheitsstrafe und mehr als hälftiger Verbüßung der durch das Amtsgericht Dillingen mit Urteil vom 4. Mai 2010 (Nr. 6) verhängten Freiheitsstrafe entlassen.

Der Kläger begründet seine mit Beschluss vom 19. Januar 2015 zugelassene Berufung in erster Linie mit dem Verweis auf den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg vom 9. August 2013‚ mit dem die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt und eine Bewährungszeit von vier Jahren angeordnet wurde. Der Kläger habe sämtliche ihm auferlegten Bewährungsauflagen erfüllt und erfülle sie immer noch. Insbesondere habe er die Therapie erfolgreich abgeschlossen‚ wohne nun zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern in G. und habe eine Ausbildung als Industriemechaniker begonnen‚ nachdem er noch während der Haft den qualifizierten Hauptschulabschluss sowie außerdem einen Staplerführerschein erworben habe. Während der Inhaftierung habe er im Rahmen eines Gewaltpräventionstrainings an zehn Einzel- und zehn Gruppensitzungen mit einem Therapeuten teilgenommen. Aus dem Beschluss vom 9. August 2013 ergebe sich‚ dass die Entlassung unter Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung angesichts der überwiegenden Wahrscheinlichkeit möglich sei‚ dass der Kläger künftig keine Straftaten mehr begehen werde. Der Kläger erfülle auch das im Hinblick auf besonders gefährliche Straftaten zu verlangende hohe Maß an Erfolgswahrscheinlichkeit wegen des erfolgreichen Therapieverlaufs‚ der damit einhergehenden Einsicht in das Tatunrecht und dessen Aufarbeitung. Außerdem bestehe offenbar keine Beziehung mehr zum Tatopfer. In der Haft habe eine deutliche Nachreifung bei beanstandungsfreier Führung stattgefunden. Nach der erstmaligen Verbüßung einer Haftstrafe müsse die Gefahrenprognose vor dem Hintergrund des Beschlusses vom 9. August 2013 zu seinen Gunsten ausgehen. Zum für die rechtliche und tatsächliche Beurteilung des angefochtenen Bescheides maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung sei klar‚ das der Kläger durch die erstmalige Inhaftierung so beeindruckt sei‚ das er künftig keine Straftaten mehr begehen werde. Bei lange andauerndem Strafvollzug komme den Umständen der Begehung der Straftaten nur noch eingeschränkte Aussagekraft zu; je länger die Freiheitsentziehung andauere‚ desto mehr Bedeutung erhielten die augenblicklichen Lebensverhältnisse der verurteilten Person für die anzustellende Prognose. Der Kläger habe sich seit seiner Haftentlassung straffrei geführt.

Der Kläger beantragt‚

das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 27. März 2013 und den Bescheid des Beklagten vom 24. Oktober 2012 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt‚

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte legte zuletzt ein Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 10. Dezember 2015 vor‚ mit dem der Kläger wegen des Vergehens des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Geldstrafe in Höhe von 140 Tagessätzen verurteilt wurde. Er war am 31. März 2015 im Rahmen einer Verkehrskontrolle wegen auffälligen Zustands seiner Pupillen aufgefordert worden‚ zur Feststellung seiner Fahrtauglichkeit einen Urintest durchzuführen. Infolge seiner Weigerung veranlasste die Polizei die richterliche Anordnung einer Blutentnahme‚ gegen die sich der Kläger zur Wehr setzte‚ so dass er zur Durchsetzung der Anordnung von fünf Polizeibeamten auf dem Boden fixiert werden musste. Währenddessen beleidigte er die anwesenden Beamten in türkischer Sprache. Im Rahmen der Strafzumessung wertete das Landgericht Dillingen sein Teilgeständnis und sein Bemühen um eine Entschuldigung in der mündlichen Verhandlung zu seinen Gunsten. Zu seinen Lasten gingen die zahlreichen Vorstrafen und der Umstand, dass er während offener Reststrafenbewährung gehandelt habe. Der Kläger habe ausweislich des mittels Blutprobe festgestellten geringen THC-Werts nicht den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit im Sinn von § 24a StVG verwirklicht. Aus der beigezogenen Bewährungsakte gehe hervor‚ das er der ihm auch nach Haftentlassung auferlegten Antigewalttherapie bei dem Therapeuten Dr. S. ambulant nachkomme. Aufgrund der Gesamtumstände werde eine Geldstrafe als noch ausreichend zur Ahndung angesehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegten Strafakten‚ die Ausländerakte sowie die Gerichtsakten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht die Anfechtungsklage abgewiesen, weil die Ausweisung den geltenden Vorschriften entspricht.

1. Die Rechtmäßigkeit der Ausweisung des Klägers ist an den im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs maßgeblichen Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG, also in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386), zu messen (1.1). Die neue Rechtslage kann ohne Verstoß gegen Art. 13 ARB 1/80 angewendet werden (1.2).

1.1 Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisung ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (vgl. z. B. BVerwG, U. v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 12). Eine während des Berufungsverfahrens bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats eingetretene Änderung der Sach- und Rechtslage ist daher zu berücksichtigen. Der Senat hat dementsprechend die streitbefangene Ausweisungsverfügung und das bestätigende verwaltungsgerichtliche Urteil mangels entgegenstehender Übergangsregelung anhand der §§ 53 ff. AufenthG in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386) zu überprüfen.

Seit dieser Rechtsänderung differenziert das Aufenthaltsgesetz nicht mehr zwischen der zwingenden Ausweisung, der Ausweisung im Regelfall und der Ermessens-ausweisung, sondern verlangt für eine Ausweisung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, die für ein Ermessen der Ausländerbehörde keinen Raum mehr lässt. Die Ausweisungsentscheidung ist durch das Gericht in vollem Umfang nachprüfbar (Welte, InfAuslR 2015, 426; Cziersky-Reis in Hofmann, Kommentar zum Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl. 2016, § 53 Rn. 30; Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Kommentar, 11. Aufl. 2016, Vorb §§ 53 - 56 Rn. 13 und § 53 Rn. 5 ff.; a.A. Marx, ZAR 2015, 245/246). Eine - wie hier - nach altem Recht verfügte Ermessensausweisung wird nach Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG in ihrer Neufassung am 1. Januar 2016 nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht, also gemäß der zentralen Ausweisungsnorm des § 53 Abs. 1 AufenthG (als Grundtatbestand; vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/4097 S. 49 f.) der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Steht dem Ausländer ein Aufenthaltsrecht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsratsabkommen vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) zu, sind an die Qualität der erforderlichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erhöhte Anforderungen zu stellen, denn er darf nach § 53 Abs. 3 AufenthG nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und wenn die Ausweisung zur Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Damit gibt die Neufassung von § 53 Abs. 3 AufenthG exakt die Voraussetzungen wieder, die nach ständiger Rechtsprechung (z. B. EuGH, U. v. 8.12.2011 - Rs. C - 371/08 Ziebell -, juris Rn. 80; BayVGH‚ U. v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris) für die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen erfüllt sein mussten.

1.2 Die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, dass dem Kläger im Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 zustand. Er kommt damit grundsätzlich in den Genuss der ihn gegenüber anderen Drittstaaten privilegierenden Vorschriften des Assoziationsratsbeschlusses, also auch des in Art. 13 ARB 1/80 enthaltenen Verschlechterungsverbots (sog. Stillhalteklausel). Danach dürfen die Mitgliedstaaten keine neuen innerstaatlichen Maßnahmen einführen, die bezwecken oder bewirken, dass die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch einen türkischen Staatsangehörigen oder einen Familienangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen unterworfen wird als denjenigen, die bei Inkrafttreten der Bestimmung am 1. Dezember 1980 in dem Mitgliedstaat galten (vgl. BVerwG, U. v. 28.4.2015 - 1 C 21. 14 - InfAuslR 2015, 327).

Allerdings bestehen auch mit Blick auf diese Bestimmung keine Bedenken gegen die Anwendung der ab 1. Januar 2016 geltenden neuen Ausweisungsvorschriften auf den Kläger als assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen. Geht man davon aus, dass Art. 13 ARB 1/80 auch im Zusammenhang mit der Änderung nationaler Ausweisungsvorschriften Gültigkeit beansprucht, obwohl diese keinen unmittelbaren Bezug zur Regelung des Arbeitsmarktzugangs aufweisen (vgl. hierzu Hailbronner, AuslR, Stand: Januar 2016, D 5.2, Art. 13 Rn. 10 f.), geht mit der Einführung des zum 1. Januar 2016 anwendbaren Ausweisungsrechts keine grundsätzliche Verschlechterung der Rechtsposition eines unter dem Schutz von Art. 14 ARB 1/80 stehenden türkischen Staatsangehörigen einher. Denn er kann auch künftig ausschließlich aus spezialpräventiven Gründen und nur dann ausgewiesen werden, wenn sein Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt (vgl. § 53 Abs. 3 AufenthG); außerdem ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, wie sich aus § 53 Abs. 3 letzter Halbsatz AufenthG und dem System von § 53 Abs. 2, §§ 54, 55 AufenthG ergibt. Dabei sind unter Abwägung der gegenläufigen Interessen alle Umstände und Besonderheiten des konkreten Einzelfalls einzustellen (Bauer in Bergmann/Dienelt, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 56 f.; bisher schon: BVerwG, U. v. 2.9.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3), so dass sich die materiellen Anforderungen, unter denen ein assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger ausgewiesen werden darf, nicht zu seinen Lasten geändert haben. Dass nach dem neuen Recht eine Ausweisung nach Betätigung des ausländerbehördlichen Ermessens nicht mehr in Betracht kommt, ist für einen betroffenen Ausländer nicht ungünstiger (Bauer in Bergmann/Dienelt, a. a. O., Rn. 59; a.A. Cziersky-Reis in Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 42), denn es lässt sich schon nicht feststellen, dass es in der Vergangenheit tatsächlich Fälle gab, in denen die Ausländerbehörde von einer eigentlich möglichen Ausweisung aus Ermessensgründen Abstand genommen hat. Im Übrigen ermöglicht das neue Ausweisungsrecht eine volle gerichtliche Kontrolle der Ausweisungsentscheidung, so dass jedenfalls in der Gesamtschau eine Verschlechterung der Rechtspositionen eines durch Art. 13, 14 ARB 1/80 geschützten türkischen Staatsangehörigen nicht feststellbar ist.

2. Die Ausweisung des Klägers ist unter Berücksichtigung des dargelegten Maßstabs rechtmäßig, weil die vom Verwaltungsgericht angenommene Gefahr der Begehung erneuter gravierender Straftaten nach wie vor gegenwärtig besteht (2.1) und nach der erforderlichen Interessenabwägung die Ausweisung für die Wahrung dieses Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist (2.2).

2.1 Gemessen an den unter 1.1 dargestellten Grundsätzen kommt der Senat zu der Bewertung, dass nach dem Gesamtbild des Klägers, das in erster Linie durch sein Verhalten gekennzeichnet ist, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass er erneut vergleichbare Straftaten begehen wird und damit gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellt. Die nach § 53 Abs. 1, 3 AufenthG vorausgesetzte erhöhte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist beim Kläger zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats in spezialpräventiver Hinsicht noch gegeben. Seine diesbezüglichen Einwendungen im Berufungsvorbringen greifen letztlich nicht durch. Die Ausweisungsentscheidung hat der Beklagte vor dem Hintergrund des nunmehr von § 53 Abs. 3 AufenthG geforderten persönlichen Verhaltens zu Recht nicht auf generalpräventive Gründe gestützt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei einer spezialpräventiven Ausweisungsentscheidung und ihrer gerichtlichen Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. z. B. BVerwG, U. v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, U. v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 33 m. w. N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (st. Rspr.; vgl. z. B. BVerwG, U. v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - Rn. 18; BayVGH, U. v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 34 und B. v. 3.3.2016 - 10 ZB 14.844 - juris). Auch der Rang des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen; an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts dürfen andererseits keine zu geringen Anforderungen gestellt werden.

Gemessen an den dargestellten Grundsätzen ist der Senat zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt zu der Überzeugung (§ 108 Abs. 1 VwGO) gelangt, dass eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Kläger erneut die öffentliche Sicherheit durch vergleichbare, insbesondere gegen die körperliche Unversehrtheit dritter Personen gerichtete Straftaten beeinträchtigen wird. Das vom Kläger insoweit geltend gemachte positive Verhalten während der Strafhaft, die dabei durchlaufene Entwicklung, weiter der Umstand, dass er erstmals eine Haftstrafe verbüßen musste, sowie die Aussagen im Bewährungsbeschlusses vom 9. August 2013, und schließlich die Erfüllung der ihm auferlegten Auflagen lassen die angenommene Wiederholungsgefahr nicht entfallen. Zu Recht hat demgegenüber das Verwaltungsgericht entscheidend darauf abgestellt, dass der Kläger eine ganze Reihe von Straftatbeständen gegenüber seiner ehemaligen Freundin und deren Angehörigen verwirklicht und dabei über einen erheblichen Zeitraum ein hohes Maß an Aggressivität an den Tag gelegt hat. Durch sein Verhalten mit sich steigernder Gewaltbereitschaft hat der Kläger Schutzgüter von hohem Rang (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) verletzt und den betroffenen Personen nicht nur körperliche, sondern auch erhebliche psychische Schäden zugefügt. Das vom Kläger ausgehende Gefährdungspotenzial berührt angesichts dessen ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die Gefahrenprognose wird auch dadurch gestützt, dass er sich in den Jahren 2003 und 2005 zweimal der vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs in massiver Weise durch rücksichtsloses Überholen schuldig gemacht hatte (vgl. Darstellung im Urteil des VG Augsburg v. 27.3.2013, S. 17, 18), wobei es einmal zu einem Frontalzusammenstoß kam. Es wurde deswegen eine Freiheitsstrafe auf Bewährung gegen ihn verhängt; die zudem ausgesprochene Entziehung der Fahrerlaubnis hat er offenbar nicht akzeptiert, wie eine weitere Verurteilung wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis beweist.

Triebfeder für das Verhalten des Klägers, das den den Anlass für die Ausweisung bildenden Taten zugrunde lag, war seine persönliche Unfähigkeit, die Beendigung der Beziehung durch seine Freundin zu akzeptieren und nicht gewaltsam auf die Rückgängigmachung ihres Entschlusses zu drängen. Die diesem Verhalten zugrunde liegende Disposition seiner Persönlichkeit hat der Kläger zwar in der Haft und auch anschließend entsprechend den ihm auferlegten Maßgaben bearbeitet; der Senat konnte gleichwohl nicht zu der Auffassung gelangen, dass der Kläger ein ähnliches Verhalten in einer vergleichbaren Situation nicht mehr zeigen wird. Zur Begründung ist insbesondere auf die neuerliche Verurteilung durch Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 10. Dezember 2015 wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu verweisen, der zwar offenbar keine aktiven Gewalthandlungen des Klägers zugrundelagen, als er sich der richterlich angeordneten Blutentnahme widersetzt hat und die Maßnahme nur nach Fixierung durch mehrere Polizeibeamte vollzogen werden konnte; auch hat er sich für sein Verhalten entschuldigt. Problematisch im Hinblick auf die hier anzustellende Gefahrenprognose ist seine in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat wiederholte Meinung, er habe ohne schriftliche richterliche Anordnung die Blutentnahme verweigern und danach handeln dürfen, weil er „im Recht gewesen“ sei. Die auch darin zum Ausdruck kommende Einstellung des Klägers lässt den Schluss zu, dass er auch künftig in bestimmten Konfliktsituationen im privaten wie im öffentlichen Raum - insbesondere wenn er sich „ungerecht behandelt fühlt“ - nach seinen eigenen rechtlichen und sonstigen Vorstellungen agieren wird und es so zu erneuten unkontrollierbaren Eskalationen für den Fall kommen kann, dass der Gegenüber nicht der Meinung des Klägers ist. In dieser Hinsicht haben die in und nach der Haft durchgeführten Therapiemaßnahmen (Persönlichkeits- und Antigewalttherapie), mit denen u. a. die vom Sachverständigen des Amtsgerichts Augsburg mit Gutachten vom 19. Dezember 2010 festgestellte erhebliche narzisstische Problematik bearbeitet werden sollte, noch keinen ausreichenden Erfolg gehabt.

Auch die im Bewährungsbeschlusses vom 9. August 2013 enthaltene Aussage, vor dem Hintergrund einer „deutlichen Nachreifung bei beanstandungsfreier Führung“ in der Haft und einer erfolgreichen Aufarbeitung der für die Straftaten maßgeblichen Defizite sei überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger künftig keine Straftaten mehr begehen werde, vermag nicht zu einer für ihn günstigen Gefahrenprognose zu führen. Bei ihrer Prognoseentscheidung sind die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte an die Feststellungen und Beurteilungen durch die Strafgerichte selbst dann nicht gebunden, wenn die Strafvollstreckungskammer zur Vorbereitung ihrer Entscheidung ein Sachverständigengutachten eingeholt hat. Bei der Frage, ob ein Strafrest nach § 57 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann, geht es um die Frage, ob die Wiedereingliederung eines inhaftierten Straftäters weiterhin im Vollzug stattfinden muss oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit in „offener Form“ inmitten der Gesellschaft verantwortet werden kann. Dabei stehen in erster Linie Gesichtspunkte der Resozialisierung im Vordergrund; zu prognostizieren ist, ob der Täter das Potenzial hat, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen. Im ausländerrechtlichen Ausweisungsverfahren geht es dagegen um die Frage, ob das Risiko eines Misserfolgs der Resozialisierung von der inländischen Gesellschaft getragen werden muss. Die ausweisungsrechtliche Prognoseentscheidung bezieht sich daher nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Denn es geht dabei um die Beurteilung, ob dem Ausländer über den Bewährungszeitraum hinaus ein straffreies Leben im Bundesgebiet möglich sein wird. Entscheidend ist, ob er im maßgeblichen Zeitpunkt auf ausreichende Integrationsfaktoren verweisen kann; die beanstandungsfreie Führung während der Haft genügt für sich genommen nicht (BVerwG, U. v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 19 f.; BayVGH, B. v. 3.3.2016 - 10 ZB 14.844 - juris).

Zu keinem anderen Ergebnis führt deshalb auch der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung mitgeteilte Umstand, dass seine Bewährung nicht infolge der letzten strafrechtlichen Verurteilung widerrufen worden sei. Die soeben dargestellten Grundsätze zur unterschiedlichen Würdigung der Gefahrenprognose im Strafvollzugsrecht einerseits und Ausweisungsrecht andererseits können auch in der Situation des trotz erneuter Verurteilung unterbliebenen Widerrufs der Bewährung angewendet werden.

Auch wenn der Kläger nunmehr offenbar seiner ehemaligen Freundin nicht mehr nachstellt und sich mit den gegen sie und ihre Angehörigen gerichteten Taten, wegen derer er verurteilt wurde, auseinandergesetzt hat, genügt dieser Umstand dem Senat für eine positive Prognose alleine noch nicht. Ohne Überwindung der für das damalige Fehlverhalten maßgeblichen Persönlichkeitsdefizite besteht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit die gegenwärtige Gefahr der Begehung gleich oder ähnlich gelagerter Straftaten.

2.2 Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage nach § 53 Abs. 1 und 3 AufenthG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausreise überwiegt und die Ausweisung auch für die Wahrung des (unter 2.1) dargestellten Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist.

Entgegen dem Vortrag im Berufungsverfahren ist die streitbefangene Ausweisung weder unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG - allerdings nicht abschließend - aufgeführten Umstände noch mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznorm des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 8 EMRK unverhältnismäßig. Der Beklagte und nachfolgend das Verwaltungsgericht haben bei der vom Kläger angegriffenen Entscheidung sämtliche entscheidungsrelevanten Gesichtspunkte berücksichtigt, die in diese Interessenabwägung einzustellen sind, und sie im Ergebnis in nicht zu beanstandender Weise gewichtet.

2.2.1 Ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse (i. S. v. § 53 Abs. 1 AufenthG) ist beim Kläger infolge seiner rechtskräftigen Verurteilung vom 2. März 2011 durch das Amtsgericht Augsburg zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gegeben. Zu seinen Gunsten ergibt sich ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, weil er eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat.

Liegen darüber hinaus weitere Lebenssachverhalte vor, die noch andere Tatbestände eines besonders schwerwiegenden oder (nur) schwerwiegenden Ausweisungs- oder Bleibeinteresses erfüllen, sind diese erst bei der nachfolgenden Abwägung der einzelfallbezogenen Umstände im Rahmen des § 53 Abs. 2 AufenthG mit dem ihnen zukommenden Gewicht zu berücksichtigen; die Annahme eines „doppelt“ oder sogar mehrfach (besonders oder nur) schwerwiegenden Interesses ist weder systematisch geboten noch von seinem Sinngehalt her vorstellbar. Eine rein quantitative Gegenüberstellung der im Rahmen der Prüfung nach §§ 54, 55 AufenthG verwirklichten typisierten Interessen widerspräche auch dem Gebot der Abwägung aller Umstände des Einzelfalls. Deshalb kommt es an dieser Stelle nicht mehr darauf an, dass infolge der weiteren Verurteilung des Klägers durch das Amtsgericht Dillingen vom 4. Mai 2010 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten auch der Tatbestand des § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG verwirklicht ist. Entsprechendes gilt für die nicht den Anlass für die Ausweisung gebenden Verurteilungen durch das Amtsgericht Dillingen (vom 16.2.2004 und vom 2.5.2006), die möglicherweise für sich alleine gesehen - also ohne Vorliegen der zeitlich nachfolgenden Verurteilungen - ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG als strafbare Handlungen, die „einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften“ darstellen, begründen könnten.

2.2.2 Liegen also nach der durch die §§ 54, 55 AufenthG vorgegebenen typisierenden Betrachtung besonders schwerwiegende Gründe vor, die sowohl für die Ausreise des Klägers aus dem Bundesgebiet als auch für seinen weiteren Verbleib sprechen, fällt die in jedem Fall auch im Rahmen des § 53 Abs. 3 AufenthG vorzunehmende umfassende Abwägung der gegenläufigen Interessen (§ 53 Abs. 1, 2 AufenthG) hier zu Ungunsten des Klägers aus; danach ist seine Ausweisung für die Wahrung des betroffenen Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich.

Bei der Abwägungsentscheidung sind sämtliche nach den Umständen des Einzelfalls maßgeblichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen, in erster Linie die Dauer des Aufenthalts, die Bindungen persönlicher, wirtschaftlicher und sonstiger Art im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat sowie die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige (§ 53 Abs. 2 AufenthG). Vor diesem Hintergrund hat das Verwaltungsgericht zu Recht darauf abgestellt, dass der Kläger ein „faktischer Inländer“ ist, der seine wesentliche Prägung und Entwicklung in Deutschland erfahren hat, und seit mehr als einem Jahrzehnt ein Daueraufenthaltsrecht im Bundesgebiet besitzt. Sämtliche nahe Verwandte, insbesondere der Vater des Klägers und seine Geschwister sowie Stiefgeschwister leben im näheren Umfeld. Allerdings hat der Kläger bisher keine eigene Familie gegründet und lebt auch nicht mehr - wie noch während der Haft geplant - mit seinem Vater zusammen, sondern hat eine eigene Wohnung. Unter dem Aspekt der Achtung des Privatlebens (Art. 8 Abs. 1, 2 EMRK) ist zu beachten, dass der Kläger eine neue Beziehung zu einer Frau eingegangen ist, über die er in der mündlichen Verhandlung berichtet hat. Zu seinen Gunsten spricht auch sein nach der Haftentlassung an den Tag gelegtes Bemühen, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, auch wenn er die zunächst begonnene Ausbildung zum Industriemechaniker abgebrochen hat. Seinen Bewährungsauflagen kommt er offensichtlich nach; er unterzieht sich nach wie vor einmal monatlich einer Persönlichkeits- und Antigewalttherapie.

Zulasten des Klägers ist insbesondere seine während offener Bewährung begangene Straftat am 31. März 2015 hervorzuheben, die auch beweist, dass ihn die erstmalige Inhaftierung offenbar doch nicht derart beeindruckt hat, dass er künftig ein straffreies Leben führen kann, wie dies in der Begründung der Berufung behauptet wird. Die erstmalige Verbüßung einer Haftstrafe ist zwar grundsätzlich geeignet, die persönliche Reifung eines Straftäters zu fördern (vgl. BayVGH, U. v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris, Rn. 44); im vorliegenden Fall ist dies jedoch vor dem Hintergrund der nach wie vor problematischen Persönlichkeitsstruktur des Klägers zu verneinen. Das mit der Therapieauflage verfolgte Ziel, dem Kläger die Mittel für ein Leben ohne Straftaten an die Hand zu geben, ist noch nicht erreicht. Es bleibt daher auch im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung bei der zentralen Bedeutung der Anlassstraftaten, mit denen er über einen langen Zeitraum ein hochaggressives Verhalten an den Tag gelegt hat, dem nicht einmal durch die erste Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung Einhalt geboten werden konnte. In diesem Zusammenhang sind auch die bereits dargestellten Straftaten des Klägers im öffentlichen Straßenverkehr zu nennen, mit denen er eine erhebliche Rücksichtslosigkeit im Hinblick auf die Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit Dritter bewiesen hat. Auch die bisherige Erwerbsbiografie des Klägers spricht nicht zu seinen Gunsten; weder weist er eine abgeschlossene Berufsausbildung auf noch ist er in der Vergangenheit über einen längeren Zeitraum hinweg einer rentenversicherungspflichtigen Tätigkeit nachgegangen, woraus im angefochtenen Urteil nachvollziehbar gefolgert wird, dass der Kläger offenbar zum Aufbau einer gesicherten wirtschaftlichen Existenz im Bundesgebiet bisher nicht in der Lage war. Auch seine nach der Haftentlassung begonnene Ausbildung konnte er nicht zum Abschluss bringen. Der Senat ist der Auffassung, dass die von ihm bisher ein knappes Jahr lang ausgeübte selbstständige Tätigkeit (Handel mit Kfz-Teilen/Altreifenentsorgung), die durch öffentlichen Leistungen zur Existenzgründung unterstützt wird, noch nicht als dauerhaft nachgewiesene berufliche Existenz angesehen werden kann.

Schließlich hat das Verwaltungsgericht auch zu Recht angenommen, dass dem volljährigen Kläger trotz seiner ausschließlichen Sozialisierung in Deutschland zuzumuten ist, in das Land seiner Staatsangehörigkeit, dessen Sprache er zumindest spricht, zu übersiedeln. Dort wird er als 32-jähriger gesunder Mann trotz fehlender Beziehungen sein Auskommen finden können. Dabei ist hervorzuheben, dass von einer gelungenen sozialen und wirtschaftlichen Integration des Klägers schon in die hiesigen Verhältnisse trotz seines lebenslangen Aufenthalts im Bundesgebiet nicht ausgegangen werden kann; insoweit relativiert sich sein Einwand, er verfüge in der Türkei über keine wirtschaftlichen Beziehungen. Dass im Verlaufe des gerichtlichen Verfahrens inzwischen offenbar auch seine Großmutter in das Bundesgebiet übersiedelt ist und der Kläger damit eigenen Angaben zufolge keine Angehörigen in der Türkei mehr besitzt, erschwert zwar eine Eingewöhnung in die neuen Lebensumstände, führt aber nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Ausweisungsentscheidung. Den Kontakt zum Bundesgebiet und seinen hier lebenden Angehörigen kann der Kläger von der Türkei aus aufrechterhalten, auch wenn dies mit erhöhten Schwierigkeiten verbunden ist.

Im Ergebnis der Gesamtabwägung stellt sich die Ausweisung als verhältnismäßige Maßnahme dar, die zur Abwehr schwerwiegender Gefahren für die verfassungsrechtlichen Schutzgüter von Leben und körperlicher Unversehrtheit unerlässlich ist.

2.3 Keinen rechtlichen Bedenken begegnet schließlich die Befristung der Wirkungen des aus der Ausweisung folgenden Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG auf drei Jahre ab dem Zeitpunkt der Ausreise (vgl. Nr. 2 des angefochtenen Bescheids, S. 18). Die Befristungsentscheidung wurde in der mündlichen Verhandlung auf eine Entscheidung nach Ermessen umgestellt, ohne dass im Übrigen der Kläger Einwände gegen die Länge der Frist erhoben hat. Auch die unter Bestimmung einer Frist erfolgte Ausreiseaufforderung und die daran anknüpfende Abschiebungsandrohung (Nr. 4 des Bescheids) sind rechtmäßig. Die Anordnung der Abschiebung aus der Strafhaft (Nr. 3 des Bescheids) ist dagegen mit der Haftentlassung des Klägers gegenstandslos geworden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Rechtsmittelbelehrung

Nach § 133 VwGO kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Beschwerde muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen. In der Beschwerdebegründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer in Prozess-kostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt nur die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen. Für die in § 67 Abs. 4 Satz 5 VwGO genannten Angelegenheiten (u. a. Verfahren mit Bezügen zu Dienst- und Arbeitsverhältnissen) sind auch die dort bezeichneten Organisationen und juristischen Personen als Bevollmächtigte zugelassen. Sie müssen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 GKG i. V. m. Nr. 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 19. November 2014 weiter. Mit diesem Bescheid wurde der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, seine Abschiebung aus der Haft in die Türkei angeordnet und die Wirkungen von Ausweisung und Abschiebung auf zehn Jahre befristet.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.

Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor. Die Berufung ist weder wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; 1.) noch wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO; 2.) zuzulassen.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils, die die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO rechtfertigen könnten, lägen nur vor, wenn der Kläger einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hätte (vgl. BVerfG, B. v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11). Dies ist jedoch nicht der Fall.

1.1 Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisung des Klägers, der vom Landgericht M. mit Urteil vom 27. September 2012 rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten wegen schweren sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen in zwei Fällen verurteilt wurde, auf der Grundlage der §§ 53 ff. AufenthG in der bis 31. Dezember 2015 geltenden Fassung (a. F.) in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 bei Vorliegen eines zwingenden Ausweisungsgrundes nach § 53 Nr. 1 AufenthG und unter der Annahme eines assoziationsrechtlich begründeten Aufenthaltsrechts nach Ausübung von Ermessen als rechtmäßig erachtet. Der Beklagte sei zutreffend von einer konkreten Wiederholungsgefahr ausgegangen, die er zum Anlass für die ausschließlich spezialpräventiv motivierte Ausweisung genommen habe. Die Ausweisung erweise sich auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der 2001 geborene Sohn des Klägers im Bundesgebiet lebe, als verhältnismäßig, zumal dessen Mutter schon seit 2004 vom Kläger geschieden sei und das alleinige Sorgerecht besitze.

Im Zulassungsverfahren trägt der Kläger vor, das Verwaltungsgericht habe nicht ausreichend berücksichtigt, dass er erstmals eine Haftstrafe verbüße und die bisherige Führung in der Haft sowie seine persönliche Entwicklung die Annahme zuließen, dass ein Rückfallrisiko des Klägers als gering einzustufen sei. Das Urteil verletze auch das Recht des Klägers auf Achtung seines Familien- und Privatlebens, da er Vater eines deutschen Kindes sei, dessen Wohl im Hinblick auf die bestehende starke emotionale Bindung die weitere Anwesenheit des Klägers im Bundesgebiet erfordere; zwar bestehe derzeit nur postalischer Kontakt zwischen Vater und Sohn, was jedoch auf die Ablehnung entsprechender Besuchsanträge zurückzuführen sei. Das Verwaltungsgericht habe auch nicht berücksichtigt, dass bei einer Haftentlassung nach 2/3 der Haftzeit das Kind immer noch minderjährig sein werde. Die Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung ergebe sich nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) auch daraus, dass der Kläger schon seit 2001 im Bundesgebiet lebe und in der Türkei keinerlei Perspektive habe. So seien in einem Fall einem im Alter von 23 Jahren eingereisten Ausländer nach einem Aufenthalt von lediglich zehn Jahren zur Unverhältnismäßigkeit einer Ausweisung führende gefestigte Bindungen zugebilligt worden. Auch das Bundesverwaltungsgericht stelle bei Ausländern, die aufgrund ihrer gesamten Entwicklung faktisch zu Inländern geworden seien und denen ein Leben im Land ihrer Staatsangehörigkeit, zu dem sie keinen Bezug mehr hätten, nicht zugemutet werden könne, eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes fest. Das Verwaltungsgericht habe die besonderen Umstände in der Person des Klägers und das Allgemeininteresse im Ergebnis fehlerhaft abgewogen; dies folge bereits aus dem Umstand, dass weder die Mutter des deutschen Sohnes des Klägers als Zeugin vom Verwaltungsgericht vernommen worden sei noch das Gutachten des Landratsamts N. - Amt für Jugend und Familie - vom 8. September 2014 hinreichend gewürdigt worden sei.

1.2 Diese Ausführungen begründen aber - gemessen an den nunmehr maßgeblichen Regelungen der §§ 53 ff.. AufenthG in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386), zuletzt geändert durch das Gesetz zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11. März 2016 (BGBl I S. 394), - keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils.

1.2.1 Die Beurteilung, ob ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt, richtet sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts. Eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ist daher zu berücksichtigen. Die Änderung der Sach- und Rechtslage ist allerdings grundsätzlich nur in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen relevant (BayVGH, B. v. 24.2.2016 - 10 ZB 15.2080 - juris; Seibert in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl. 2014, § 124a Rn. 57). Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisung ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (vgl. z. B. BVerwG, U. v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 12), also hier der Entscheidung über den Zulassungsantrag.

Der Senat hat daher die streitbefangene Ausweisung (und das angefochtene verwaltungsgerichtliche Urteil) unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens in Ermangelung einer entgegenstehenden Übergangsregelung anhand der §§ 53 ff. AufenthG in der aktuell gültigen Fassung (s. 1.2) zu überprüfen. Seit der Rechtsänderung zum 1. Januar 2016 differenziert das Aufenthaltsgesetz nicht mehr zwischen der zwingenden Ausweisung, der Ausweisung im Regelfall und der Ermessensausweisung, sondern verlangt für eine Ausweisung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, die für ein Ermessen der Ausländerbehörde keinen Raum mehr lässt. Die Ausweisungsentscheidung ist durch das Gericht in vollem Umfang nachprüfbar (Welte, InfAuslR 2015, 426; Cziersky-Reis in Hofmann, Kommentar zum Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl. 2016, § 53 Rn. 30; Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Kommentar, 11. Aufl. 2016, Vorb §§ 53 - 56 Rn. 13 und § 53 Rn. 5 ff.; a.A. Marx, ZAR 2015, 245/246). Eine - wie hier - nach altem Recht verfügte Ermessensausweisung wird nach Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG in ihrer Neufassung am1. Januar 2016 nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht, also gemäß der zentralen Ausweisungsnorm des § 53 Abs. 1 AufenthG (als Grundtatbestand; vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/4097 S. 49 f.) der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Steht dem Ausländer ein Aufenthaltsrecht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) zu, sind an die Qualität der erforderlichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erhöhte Anforderungen zu stellen, denn er darf nach § 53 Abs. 3 AufenthG nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und wenn die Ausweisung zur Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Damit gibt die Neufassung von § 53 Abs. 3 AufenthG exakt die Voraussetzungen wieder, die nach ständiger Rechtsprechung (z. B. EuGH, U. v. 8.12.2011 - Rs. C-371/08 Ziebell -, juris Rn. 80; BayVGH‚ U. v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris) für die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen erfüllt sein mussten.

Die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, dass dem Kläger im Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 zustand. Er kommt damit grundsätzlich in den Genuss der ihn gegenüber anderen Drittstaaten privilegierenden Vorschriften des Assoziationsratsbeschlusses, also auch des Verschlechterungsverbots (sog. Stillhalte-Klausel) nach Art. 13 ARB 1/80. Danach dürfen die Mitgliedstaaten keine neuen innerstaatlichen Maßnahmen einführen, die bezwecken oder bewirken, dass die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch einen türkischen Staatsangehörigen oder einen Familienangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen unterworfen wird als denjenigen, die bei Inkrafttreten der Bestimmung am 1. Dezember 1980 in dem Mitgliedstaat galten (vgl. BVerwG, U. v. 28.4.2015 - 1 C 21. 14 - InfAuslR 2015, 327).

Allerdings bestehen auch mit Blick auf diese Bestimmung keine Bedenken gegen die Anwendung der ab 1. Januar 2016 geltenden neuen Ausweisungsvorschriften auf den Kläger als assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen. Geht man davon aus, dass Art. 13 ARB 1/80 auch im Zusammenhang mit der Änderung nationaler Ausweisungsvorschriften Gültigkeit beansprucht, obwohl diese keinen unmittelbaren Bezug zur Regelung des Arbeitsmarktzugangs aufweisen (vgl. hierzu Hailbronner, AuslR, Stand: Januar 2016, D 5.2, Art. 13 Rn. 10 f.), geht mit der Einführung des zum 1. Januar 2016 anwendbaren Ausweisungsrechts keine grundsätzliche Verschlechterung der Rechtsposition eines unter dem Schutz von Art. 14 ARB 1/80 stehenden türkischen Staatsangehörigen einher. Denn er kann auch künftig ausschließlich aus spezialpräventiven Gründen und nur dann ausgewiesen werden, wenn sein Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt (vgl. § 53 Abs. 3 AufenthG); außerdem ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, wie sich aus § 53 Abs. 3 letzter Halbsatz AufenthG und dem System von § 53 Abs. 2, §§ 54, 55 AufenthG ergibt. Dabei sind unter Abwägung der gegenläufigen Interessen alle Umstände und Besonderheiten des konkreten Einzelfalls einzustellen (Bauer in Bergmann/Dienelt, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 56 f.; bisher schon: BVerwG, U. v. 2.9.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3), so dass sich die materiellen Anforderungen, unter denen ein assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger ausgewiesen werden darf, nicht zu seinen Lasten geändert haben. Dass nach dem neuen Recht eine Ausweisung nach Betätigung des ausländerbehördlichen Ermessens nicht mehr in Betracht kommt, ist für einen betroffenen Ausländer nicht ungünstiger (Bauer in Bergmann/Dienelt, a. a. O., Rn. 59; a.A. Cziersky-Reis in Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 42), denn es lässt sich schon nicht feststellen, dass es in der Vergangenheit tatsächlich Fälle gab, in denen die Ausländerbehörde von einer eigentlich möglichen Ausweisung aus Ermessensgründen Abstand genommen hat. Im Übrigen ermöglicht das neue Ausweisungsrecht eine volle gerichtliche Kontrolle der Ausweisungsentscheidung, so dass jedenfalls in der Gesamtschau eine Verschlechterung der Rechtspositionen eines durch Art. 13, 14 ARB 1/80 geschützten türkischen Staatsangehörigen nicht feststellbar ist (vgl. BayVGH, U. v. 8.3.2014 - 10 B 15.180 - juris Rn. 28).

1.2.2 Die Ausweisung des Klägers ist unter Berücksichtigung des dargelegten Maßstabs rechtmäßig, weil die vom Verwaltungsgericht angenommene Wiederholungsgefahr nach wie vor gegenwärtig besteht und nach der erforderlichen Interessenabwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls (§ 53 Abs. 1, 2 AufenthG) die Ausweisung für die Wahrung dieses Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist (§ 53 Abs. 3 AufenthG).

Der Senat sieht auch unter Anwendung des § 53 Abs. 1 AufenthG eine erhebliche Gefahr der Begehung weiterer Straftaten durch den Kläger. Bei der insoweit zutreffenden Prognose sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. zuletzt: BayVGH, B. v. 16.3.2016 - 10 ZB 15. 2.1.2009 - juris). Gemessen hieran hat das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt, dass der Kläger sich schwerster, planvoll durchgeführter Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung schuldig gemacht hat und deshalb zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde; unter den gravierenden Tatfolgen haben die beiden Opfer bis heute zu leiden. Der Kläger, dessen Revision gegen das Strafurteil vor dem Bundesgerichtshof erfolglos geblieben ist, leugnet bis heute trotz eindeutiger gegenteiliger Beweislage seine Taten; zuletzt beteuerte er in der mündlichen Verhandlung vor dem Erstgericht am 11. März 2015 seine Unschuld. Vor dem Hintergrund dieses auf die den Ausweisungsanlass bildenden Straftaten bezogenen Verhaltens kann schlechterdings nicht davon die Rede sein, dass der Kläger in der Haft eine persönliche Entwicklung in eine positive Richtung durchgemacht habe, nach der das Rückfallrisiko als „gering und klar unterdurchschnittlich einzustufen“ sei; ebensowenig kann der Gefahrenprognose entgegengehalten werden, der Kläger sei als „Erstverbüßer“ besonders beeindruckt und stelle daher keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit mehr dar. Insbesondere die in der Strafhaft begangenen Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit lassen nicht den Schluss zu, der Kläger werde nach seiner Haftentlassung keine Straftaten mehr begehen; der Kläger ging im Jahr 2012 gegen einen Psychologen der Justizvollzugsanstalt tätlich vor und beleidigte ihn, was zu einer Geldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen durch Strafbefehl des Amtsgerichts Kempten vom 27. Mai 2013 wegen Beleidigung in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung geführt hat. Mit Urteil des Amtsgerichts Straubing vom 31. Juli 2014 wurde er des Weiteren zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten wegen vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt; Hintergrund war dabei eine Auseinandersetzung mit einem Justizvollzugsbeamten. Angesichts dieser Sachlage bedarf es keiner weiteren Begründung der Gefahrenprognose.

Soweit im Zulassungsantrag behauptet wird, es müsse ein Prognosegutachten zur konkreten Gefahr der Begehung weiterer Straftaten durch den Kläger eingeholt werden, führt dieser Vortrag nicht zur Zulassung der Berufung. Bei der gerichtlichen Überprüfung der Ausweisung eines strafgerichtlich verurteilten Ausländers ist hinsichtlich der gebotenen Gefahrenprognose nicht alleine auf das Strafurteil und die diesem zugrundeliegende Straftat, sondern auf die Gesamtpersönlichkeit des Täters abzustellen. Dabei sind auch nachträgliche Entwicklungen einzubeziehen. Bei dieser Prognoseentscheidung bewegt sich das Gericht regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die den Richtern allgemein zugänglich sind. Die inmitten stehende Frage der Wiederholungsgefahr nach strafrechtlichen Verurteilungen kann daher grundsätzlich von den Gerichten regelmäßig ohne Zuziehung eines Sachverständigen beurteilt werden (vgl. BayVGH, B. v. 18.3.2015 - 10 C 14.2655 - juris Rn. 22 m. w. N.). Ein Sachverständigengutachten kann die eigene Prognoseentscheidung des Tatrichters nicht ersetzen, sondern hierfür allenfalls eine Hilfestellung bieten (BVerwG, B. v. 13.3.2009 - 1 B 20.08 - juris Rn. 5). Der Zuziehung eines Sachverständigen bedarf es nur ausnahmsweise, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände - etwa bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen - nicht ohne spezielle, dem Gericht nicht zur Verfügung stehende fachliche Kenntnisse erstellt werden kann (vgl. BVerwG, U. v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - juris Rn. 11). Ein solcher Ausnahmefall liegt beim Kläger nicht vor. Vielmehr war es dem Erstgericht möglich, eine durch das Zulassungsvorbringen nicht erschütterte Prognoseentscheidung zur Wiederholungsgefahr auch ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens zu treffen.

Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage nach § 53 Abs. 1 AufenthG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausreise überwiegt. Entgegen dem Zulassungsvorbringen ist die Ausweisung weder unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG - allerdings nicht abschließend - aufgeführten Umstände noch mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznorm des Art. 6 Abs. 1 GG oder Art. 8 EMRK unverhältnismäßig. Das Verwaltungsgericht hat sämtliche entscheidungsrelevanten Gesichtspunkte berücksichtigt, die auch in diese Interessenabwägung einzustellen sind, und sie in nicht zu beanstandender Weise gewichtet.

Ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinn von § 53 Abs. 1 AufenthG liegt beim Kläger als Folge der rechtskräftigen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten (§ 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) vor. Allerdings wiegt auch sein Bleibeinteresse im Sinn von § 53 Abs. 1 AufenthG wegen des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis im Zeitpunkt der Ausweisung und seines mehr als fünf Jahre andauernden rechtmäßigen Aufenthalts besonders schwer. Im Rahmen der erforderlichen Gesamtabwägung kommt jedoch dem Ausweisungsinteresse überwiegendes Gewicht zu, das sich insbesondere aus der (bereits dargestellten) erheblichen Gefahr, die der Kläger durch die drohende Begehung weiterer Straftaten im Bundesgebiet darstellt, ergibt. Die Ausweisung entspricht daher auch der ab 1. Januar 2016 geltenden neuen Rechtslage.

Hieran ändern auch die Ausführungen des Klägers zur Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung nichts, die keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils rechtfertigen. Der bloße Verweis auf die Urteile des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), die in Sachen Beldjoudi (U. v. 26.3.1992 - 55/1990/246/317 - InfAuslR 1994, 86), Moustaquim (U. v. 18.2.1991 - 31/1989/191/291 - InfAuslR 1991, 149), Amrollahi (U. v. 11.7.2002 - 56811/00 - Inf-AuslR 2004, 180) sowie auf den Bericht der Europäischen Kommission für Menschenrechte in Sachen Lamguindaz (InfAusR 1995, 133) reicht nicht aus, um die Feststellungen des Erstgerichts zur Bindung des Klägers an die Bundesrepublik, zur Schwere seiner Straftat und zu seinen Beziehungen in die Türkei und die darauf beruhende Abwägungsentscheidung ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Insbesondere fehlt es an einer substantiierten Darlegung, inwieweit die vom Kläger angeführten Beispiele aus der Rechtsprechung des EGMR mit der Situation des Klägers vergleichbar sind. Im Fall Beldjoudi war der ausgewiesene Ausländer mit einer Staatsangehörigen des Aufnahmestaates verheiratet, der nicht zugemutet werden konnte, mit ihm ins Ausland zu ziehen. Auch im Fall Amrollahi hatte der Beschwerdeführer eine Staatsangehörige des Aufnahmestaates geheiratet und mit ihr gemeinsame Kinder. Der Kläger hat demgegenüber schon seit langem keine eigene Kernfamilie in der Bundesrepublik mehr. Die Entscheidung im Fall Moustaquim beruht darauf, dass der Beschwerdeführer die Straftaten als Jugendlicher begangen hatte; der Kläger hingegen war bei Begehung seiner Straftaten schon mehr als 40 Jahre alt. Im Fall Lamguindaz konnte der Beschwerdeführer die Sprache seines Heimatlandes kaum verstehen und nicht lesen und schreiben (vgl. zu den vorstehend angeführten Urteilen des EGMR: BayVGH, B. v. 26.1.2015 - 10 ZB 13.898 - juris). Der Kläger dagegen spricht fließend türkisch, nachdem er mehr als die ersten 30 Jahre seines Lebens in der Türkei zugebracht und demnach seine gesamte Sozialisation dort erfahren hat. Angesichts dieses Umstandes vermag der Senat die Behauptung, er habe keinerlei Perspektiven in der Türkei, nicht nachzuvollziehen. Im Übrigen kann auch nicht davon die Rede sein, dass dem Kläger „eine Trennung von seiner Familie“ zugemutet würde; schließlich ist er bereits seit dem Jahr 2004 von seiner damaligen Ehefrau geschieden, ohne dass er seither eine familiäre Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet - auch nicht mit seinem Sohn - geführt hätte.

Unzutreffend ist auch das Zulassungsvorbringen, das Verwaltungsgericht habe das Gutachten des Landratsamts N. - Jugend und Familie - vom 8. September 2014 in seiner Entscheidung nicht ausreichend gewürdigt. Vielmehr gibt das angefochtene Urteil (UA, Rn. 31) die wesentlichen Aussagen der genannten Stellungnahme wieder, und folgert daraus in nachvollziehbarere Weise, dass der Sohn für seine Entwicklung nicht auf den Vater angewiesen sei, zumal sich die Beziehung auch künftig während der Haftzeit vor allem auf telefonische und postalische Kontakte sowie auf gelegentliche Besuche beschränken werde. Der Frage, ob der Sohn zum voraussichtlichen Zeitpunkt der Haftentlassung des Klägers noch minderjährig oder bereits volljährig sein wird, kommt nicht die ihr im Zulassungsvorbringen zugemessene Bedeutung zu, weil der derzeit bereits fast 15-jährige Sohn auch bei frühester möglicher Entlassung des Klägers zum 2/3-Zeitpunkt seine persönliche Entwicklung ohne maßgeblichen Beistand seines Vaters weitestgehend abgeschlossen haben würde. Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, muss die Ausweisung des Klägers zum heutigen Zeitpunkt als „unerlässlich“ zur Wahrung eines Grundinteresses der Gesellschaft im Hinblick auf die von ihm ausgehende Gefahr der neuerlichen Begehung schwerer und schwerster Straftaten nach Haftentlassung angesehen werden.

Schließlich führt auch der Vorwurf, das Erstgericht habe die Einvernahme der Mutter des Sohns des Klägers als Zeugin „rechtsfehlerhaft“ versäumt, nicht zur Annahme ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Ungeachtet des Umstandes, dass der Kläger die Stellung eines entsprechenden Beweisantrags in der mündlichen Verhandlung (§ 86 Abs. 2 VwGO) unterlassen hat, wird schon nicht vorgetragen, welche besonderen, bisher nicht bekannten Umstände die Mutter als Zeugin vorgetragen hätte, die für die Annahme des Bestehens einer für das Kindeswohl bedeutsamen Beziehung zwischen dem Kläger und seinem Sohn sprechen könnten. Allein der (angebliche) Wunsch von Mutter und Sohn, den Kläger künftig häufig in der Haft zu besuchen, reicht hierfür nicht aus.

Auch zeigt das Zulassungsvorbringen keine ernstlichen Zweifel hinsichtlich der Länge (10 Jahre) der im Ausweisungsbescheid festgesetzten und durch das angefochtene Urteil gebilligten Befristung der Wirkungen der Ausweisung und der (geplanten) Abschiebung auf. Der pauschale Verweis auf die bereits im Zusammenhang mit der Ausweisung gemachten Umstände, die zugunsten des Klägers sprechen, reicht hierfür nicht aus.

2. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache ( § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist schon nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend hinreichend dargelegt. Um einen auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, erläutern, weshalb die vorformulierte Frage klärungsbedürftig ist und darlegen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt.

Der Kläger hat zwar eine Rechtsfrage formuliert, indem er als klärungsbedürftig erachtet, ob die Einführung der Zulassungsberufung gegen die Stillhalte-Klausel des Art. 13 ARB 1/80 verstößt. Allerdings ist diese Frage bereits durch den Senat entschieden (BayVGH, B. v. 26.1.2015 - 10 ZB 13.898 - juris Rn. 21 ff.; zuletzt: B. v. 19. Mai 2015 - 10 ZB 15.331 - juris). Auch hat der Kläger nicht dargelegt, dass diese Frage für den konkreten Rechtsstreit überhaupt entscheidungserheblich ist. Insbesondere zeigt er nicht auf, dass die Beurteilung der Sach- und Rechtslage zu unterschiedlichen Beurteilungszeitpunkten in seinem konkreten Ausweisungsfall zu einem unterschiedlichen Ergebnis geführt hätte, er insbesondere durch die Entscheidung im Zulassungsverfahren schlechter gestellt wäre als in einem Berufungsverfahren. Der Kläger unterstellt mit seinem Zulassungsvorbringen lediglich, die Berücksichtigung der „noch zu erzielenden Ergebnisse…bezüglich der Persönlichkeit und der Gefährlichkeit“ führe in einem Berufungsverfahren dazu, dass zum dann maßgeblichen Zeitpunkt die Gefahrenprognose für ihn vorteilhafter ausfallen werde.

Schließlich hat das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen seiner Entscheidungen vom 13. Dezember 2012 und vom 14. Mai 2013 (U. v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - und U. v. 14.5.2013 - 1 C 13.12 - beide juris Rn. 34 bzw. 23) unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, U. v. 19.2.2009 - Rs. C-228/06, Soysal; U. v. 17.9.2009 - Rs. C-242/06, Sahin - beide juris Rn. 61 bzw. 67). bereits zu verfahrensrechtlichen Regelungen, die sowohl ARB-berechtigte türkische Staatsangehörige als auch Unionsbürger in gleicher Weise betreffen, entschieden, dass der Erlass oder Wegfall von solchen Regelungen nicht im Widerspruch zu den Stillhalteklauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 ZP stehe.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

Tenor

I.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich mit der Klage gegen seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet.

Der am 24. Dezember 1983 im Bundegebiet geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Sein Vater lebt mit seinen zwei Geschwistern‚ der Stiefmutter und drei Stiefgeschwistern in G.; seine Mutter ist 2006 verstorben. Der Kläger‚ der seit 19. Januar 2000 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis (jetzt: Niederlassungserlaubnis) ist‚ besitzt einen Hauptschulabschluss, hat jedoch keine Berufsausbildung abgeschlossen. In den Jahren zwischen 2001 und 2010 arbeitete er bei verschiedenen Unternehmen mit Unterbrechungen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit.

Im Bundesgebiet ist er strafrechtlich wie folgt in Erscheinung getreten:

1. Vorsätzlicher unerlaubter Besitz in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Führen und vorsätzlicher unerlaubter Einfuhr einer Schusswaffe (24.8.2000): von der Verfolgung abgesehen, § 45 Abs. 2 JGG

2. Vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs mit fahrlässiger Körperverletzung in zwei Fällen (14.12.2003): Amtsgericht Dillingen vom 16.2.2004 - Verurteilung zu 70 Tagessätzen Geldstrafe und Sperre für die Wiedererlangung der Fahrerlaubnis

3. Vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs (14.4.2005): Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 29.11.2005 - fünf Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung und Sperre für die Fahrerlaubnis

4. Sechs sachlich zusammentreffende Vergehen des vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln (29.10.2004): Amtsgericht Dillingen vom 11.1.2006 - Verwarnung und Auflage von Arbeitsleistungen

5. Vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis (27.8.2005): Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 2.5.2006 unter Einbeziehung des Urteils vom 29.11.2005 (s. 3.) - Freiheitsstrafe von sechs Monaten zwei Wochen auf Bewährung und Sperre für die Fahrerlaubnis

6. Nachstellung in Tateinheit mit Nötigung‚ Hausfriedensbruch‚ Beleidigung‚ versuchter Nötigung in Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung‚ Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung in Tatmehrheit mit Beleidigung (3.9.2009): Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 4.5.2010 - Freiheitsstrafe ein Jahr zehn Monate‚ Strafrest zur Bewährung ausgesetzt bis 27. August 2017

7. Nachstellung in zwei tateinheitlichen Fällen mit schwerer Nachstellung‚ gefährlicher Körperverletzung‚ Bedrohung‚ vorsätzlicher Körperverletzung und Nötigung sowie Beleidigung (25.4.2010): Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 2.3.2011 - Freiheitsstrafe von zwei Jahren zwei Monaten‚ Strafvollstreckung erledigt am 3. Juli 2013

Das Landratsamt belehrte den Kläger am 17. Dezember 2007 wegen der von ihm begangenen Straftaten im Hinblick auf eine mögliche Ausweisung. Den Straftaten (Nr. 6 und 7)‚ aus denen Verurteilungen zu Freiheitsstrafen ohne Aussetzung zur Bewährung resultierten‚ lag die vom Kläger mit der späteren Geschädigten vom April 2005 bis 2009 geführte Beziehung zugrunde. Da sich der Kläger mit der von ihr durchgeführten Trennung nicht abfinden wollte‚ stellte er ihr beständig nach‚ rief sie dauernd an und beleidigte sie‚ ihre Mutter und deren Freund. Trotz einer einstwei-ligen Verfügung vom 7. Juli 2009 nach dem Gewaltschutzgesetz‚ mit der dem Kläger untersagt worden war‚ sich seiner früheren Freundin zu nähern‚ ist er an sie in einer Gaststätte herangetreten und hat dort u. a. ihre ebenfalls anwesende Mutter und deren Freund mit einem Golfschläger bedroht und geschlagen. Zulasten des Klägers wurden seine Rücksichtslosigkeit und Penetranz gewertet‚ außerdem sein rücksichtsloses Vorgehen im Hinblick auf die körperliche Unversehrtheit dritter Personen. Die schlechte Sozialprognose und seine Rückfälligkeit ließen eine Bewährungsaussetzung nicht mehr zu. Der Kläger habe den Zeitraum nach der Außervollzug-setzung des Haftbefehls bis zur Hauptverhandlung für einen massiven tätlichen Angriff genutzt.

Der Verurteilung durch das Amtsgericht Augsburg vom 2. März 2011 (Nr. 7) lag ein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde. Demnach habe der Kläger seine ehemalige Freundin im Zeitraum von April bis Juni 2010 weiterhin mehrfach telefonisch kontaktiert‚ beleidigt und bedroht, außerdem zweimal mit seinem Auto verfolgt und sei des Öfteren an ihrer Wohnung vorbeigefahren. Schließlich habe er sie am 24. April 2010 an den Haaren aus ihrem Auto herausgerissen und über einen Platz gezogen. Einen Tag danach habe er seine Handlung wiederholt, außerdem mit beiden Händen um den Hals der Geschädigten gefasst und solange zugedrückt‚ bis sie Atemnot erlitten habe. Der Kläger habe sich im Laufe der Hauptverhandlung aufbrausend benommen und als das eigentliche Opfer hingestellt. Es liege bei ihm eine narzisstische Problematik vor, die mit einem unangepassten Geltungsbedürfnis und Anfälligkeit zur Kränkung einhergehe.

Der Beklagte wies den Kläger mit Bescheid vom 24. Oktober 2012 aus dem Bundesgebiet aus und befristete die Wirkung dieser Ausweisung auf drei Jahre; die Abschiebung aus der Strafhaft wurde angeordnet. Für den Fall‚ dass die Abschiebung nicht aus der Strafhaft durchgeführt werden könne‚ habe der Kläger das Bundesgebiet innerhalb eines Monats nach Eintritt der Bestandskraft des Bescheids zu verlassen‚ andernfalls die Abschiebung in die Türkei oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht werde. Da er assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger sei und damit besonderen Ausweisungsschutz genieße‚ dürfe er nur aus spezialpräventiven Gründen auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung ausgewiesen werden. Vor dem Hintergrund der über Jahre hinweg begangenen‚ schwerwiegenden Straftaten drohe die Gefahr wiederum gegen die körperliche Unversehrtheit gerichteter Straftaten. Obwohl eine Behandlung in einer sozialtherapeutischen Abteilung für Gewaltstraftäter erforderlich und auch vorgesehen sei‚ habe sie der Kläger bisher nicht aufgenommen. Die Teilnahme an einem anstaltsinternen sozialen Kompetenztraining reiche nicht aus. Die Straftaten des in vollem Umfang schuldfähigen Klägers stellten keine einmaligen Verfehlungen dar; er verfüge vor dem Hintergrund seiner narzisstischen Persönlichkeit vielmehr über ein erhebliches Gefährdungspotential. Selbst die Verurteilung zu einer Haftstrafe habe ihn nicht davon abhalten können‚ sofort nach der mündlichen Verhandlung erneut straffällig zu werden. Die Ausweisung sei auch unter Berücksichtigung der persönlichen Belange des Klägers im Hinblick auf Art. 8 EMRK verhältnismäßig. Seine Kenntnisse der türkischen Sprache würden ihm eine rasche Eingewöhnung in die türkischen Lebensverhältnisse ermöglichen.

Mit Urteil vom 27. März 2013 wies das Verwaltungsgericht Augsburg die gegen den Bescheid vom 24. Oktober 2012 gerichtete Anfechtungsklage ab. Der Kläger könne nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 ausgewiesen werden, weil sein persönliches Verhalten eine gegenwärtige und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstelle, zu dessen Wahrung die Ausweisung unerlässlich sei. Das erschreckende Maß an Aggressivität‚ das der Kläger nicht nur gegenüber seiner ehemaligen Freundin‚ sondern auch gegenüber deren Angehörigen an den Tag gelegt habe‚ stelle einen Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht dar. Die begangenen Straftaten deckten ein breites Spektrum ab‚ belegten ein außerordentlich rücksichtsloses und hartnäckiges Verhalten und erstreckten sich über einen erheblichen Zeitraum. Die in den Strafurteilen aufgezeigten charakterlichen Probleme führten zur Annahme schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinn von § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Der Kläger nehme zwar in der Justizvollzugsanstalt an einer Therapie teil‚ diese sei jedoch noch nicht abgeschlossen‚ so dass davon ausgegangen werden müsse‚ dass aufgrund der nach wie vor bestehenden Persönlichkeitsdefizite mit weiteren Straftaten‚ insbesondere gefährlichen Körperverletzungen‚ gegenüber seiner früheren Freundin oder einer künftigen Partnerin‚ falls diese sich von ihm trennen wolle‚ zu rechnen sei. Schließlich bewiesen auch sein Verhalten und seine Äußerungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht deutlich‚ dass er die in seinem bisherigen Leben begangenen Fehler noch nicht erkannt und aufgearbeitet habe. Die Ermessensentscheidung des Beklagten sei nicht zu beanstanden‚ da alle wesentlichen Gesichtspunkte in die Prüfung eingestellt und keine sachfremden Erwägungen angestellt worden seien. Die Ausweisung sei schließlich auch verhältnismäßig im Hinblick auf Art. 8 EMRK. Obwohl der Kläger als faktischer Inländer zu betrachten und im Besitz eine Niederlassungserlaubnis sei‚ sein Vater und seine Geschwister im Bundesgebiet wohnten und er seine wesentliche Prägung und Sozialisation in Deutschland erfahren habe‚ sei ihm eine Übersiedlung in die Türkei zu der dort lebenden Großmutter zuzumuten. Er werde jedenfalls in der Türkei nicht auf unüberwindbare Hindernisse stoßen. Auch die Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von drei Jahren begegne keinen rechtlichen Bedenken.

Der am 22. Juni 2010 inhaftierte Kläger wurde am 19. August 2013 nach voller Verbüßung der durch Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 2. März 2011 (s. Nr. 7) verhängten Freiheitsstrafe und mehr als hälftiger Verbüßung der durch das Amtsgericht Dillingen mit Urteil vom 4. Mai 2010 (Nr. 6) verhängten Freiheitsstrafe entlassen.

Der Kläger begründet seine mit Beschluss vom 19. Januar 2015 zugelassene Berufung in erster Linie mit dem Verweis auf den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg vom 9. August 2013‚ mit dem die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt und eine Bewährungszeit von vier Jahren angeordnet wurde. Der Kläger habe sämtliche ihm auferlegten Bewährungsauflagen erfüllt und erfülle sie immer noch. Insbesondere habe er die Therapie erfolgreich abgeschlossen‚ wohne nun zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern in G. und habe eine Ausbildung als Industriemechaniker begonnen‚ nachdem er noch während der Haft den qualifizierten Hauptschulabschluss sowie außerdem einen Staplerführerschein erworben habe. Während der Inhaftierung habe er im Rahmen eines Gewaltpräventionstrainings an zehn Einzel- und zehn Gruppensitzungen mit einem Therapeuten teilgenommen. Aus dem Beschluss vom 9. August 2013 ergebe sich‚ dass die Entlassung unter Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung angesichts der überwiegenden Wahrscheinlichkeit möglich sei‚ dass der Kläger künftig keine Straftaten mehr begehen werde. Der Kläger erfülle auch das im Hinblick auf besonders gefährliche Straftaten zu verlangende hohe Maß an Erfolgswahrscheinlichkeit wegen des erfolgreichen Therapieverlaufs‚ der damit einhergehenden Einsicht in das Tatunrecht und dessen Aufarbeitung. Außerdem bestehe offenbar keine Beziehung mehr zum Tatopfer. In der Haft habe eine deutliche Nachreifung bei beanstandungsfreier Führung stattgefunden. Nach der erstmaligen Verbüßung einer Haftstrafe müsse die Gefahrenprognose vor dem Hintergrund des Beschlusses vom 9. August 2013 zu seinen Gunsten ausgehen. Zum für die rechtliche und tatsächliche Beurteilung des angefochtenen Bescheides maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung sei klar‚ das der Kläger durch die erstmalige Inhaftierung so beeindruckt sei‚ das er künftig keine Straftaten mehr begehen werde. Bei lange andauerndem Strafvollzug komme den Umständen der Begehung der Straftaten nur noch eingeschränkte Aussagekraft zu; je länger die Freiheitsentziehung andauere‚ desto mehr Bedeutung erhielten die augenblicklichen Lebensverhältnisse der verurteilten Person für die anzustellende Prognose. Der Kläger habe sich seit seiner Haftentlassung straffrei geführt.

Der Kläger beantragt‚

das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 27. März 2013 und den Bescheid des Beklagten vom 24. Oktober 2012 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt‚

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte legte zuletzt ein Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 10. Dezember 2015 vor‚ mit dem der Kläger wegen des Vergehens des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Geldstrafe in Höhe von 140 Tagessätzen verurteilt wurde. Er war am 31. März 2015 im Rahmen einer Verkehrskontrolle wegen auffälligen Zustands seiner Pupillen aufgefordert worden‚ zur Feststellung seiner Fahrtauglichkeit einen Urintest durchzuführen. Infolge seiner Weigerung veranlasste die Polizei die richterliche Anordnung einer Blutentnahme‚ gegen die sich der Kläger zur Wehr setzte‚ so dass er zur Durchsetzung der Anordnung von fünf Polizeibeamten auf dem Boden fixiert werden musste. Währenddessen beleidigte er die anwesenden Beamten in türkischer Sprache. Im Rahmen der Strafzumessung wertete das Landgericht Dillingen sein Teilgeständnis und sein Bemühen um eine Entschuldigung in der mündlichen Verhandlung zu seinen Gunsten. Zu seinen Lasten gingen die zahlreichen Vorstrafen und der Umstand, dass er während offener Reststrafenbewährung gehandelt habe. Der Kläger habe ausweislich des mittels Blutprobe festgestellten geringen THC-Werts nicht den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit im Sinn von § 24a StVG verwirklicht. Aus der beigezogenen Bewährungsakte gehe hervor‚ das er der ihm auch nach Haftentlassung auferlegten Antigewalttherapie bei dem Therapeuten Dr. S. ambulant nachkomme. Aufgrund der Gesamtumstände werde eine Geldstrafe als noch ausreichend zur Ahndung angesehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegten Strafakten‚ die Ausländerakte sowie die Gerichtsakten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht die Anfechtungsklage abgewiesen, weil die Ausweisung den geltenden Vorschriften entspricht.

1. Die Rechtmäßigkeit der Ausweisung des Klägers ist an den im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs maßgeblichen Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG, also in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386), zu messen (1.1). Die neue Rechtslage kann ohne Verstoß gegen Art. 13 ARB 1/80 angewendet werden (1.2).

1.1 Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisung ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (vgl. z. B. BVerwG, U. v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 12). Eine während des Berufungsverfahrens bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats eingetretene Änderung der Sach- und Rechtslage ist daher zu berücksichtigen. Der Senat hat dementsprechend die streitbefangene Ausweisungsverfügung und das bestätigende verwaltungsgerichtliche Urteil mangels entgegenstehender Übergangsregelung anhand der §§ 53 ff. AufenthG in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386) zu überprüfen.

Seit dieser Rechtsänderung differenziert das Aufenthaltsgesetz nicht mehr zwischen der zwingenden Ausweisung, der Ausweisung im Regelfall und der Ermessens-ausweisung, sondern verlangt für eine Ausweisung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, die für ein Ermessen der Ausländerbehörde keinen Raum mehr lässt. Die Ausweisungsentscheidung ist durch das Gericht in vollem Umfang nachprüfbar (Welte, InfAuslR 2015, 426; Cziersky-Reis in Hofmann, Kommentar zum Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl. 2016, § 53 Rn. 30; Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Kommentar, 11. Aufl. 2016, Vorb §§ 53 - 56 Rn. 13 und § 53 Rn. 5 ff.; a.A. Marx, ZAR 2015, 245/246). Eine - wie hier - nach altem Recht verfügte Ermessensausweisung wird nach Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG in ihrer Neufassung am 1. Januar 2016 nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht, also gemäß der zentralen Ausweisungsnorm des § 53 Abs. 1 AufenthG (als Grundtatbestand; vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/4097 S. 49 f.) der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Steht dem Ausländer ein Aufenthaltsrecht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsratsabkommen vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) zu, sind an die Qualität der erforderlichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erhöhte Anforderungen zu stellen, denn er darf nach § 53 Abs. 3 AufenthG nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und wenn die Ausweisung zur Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Damit gibt die Neufassung von § 53 Abs. 3 AufenthG exakt die Voraussetzungen wieder, die nach ständiger Rechtsprechung (z. B. EuGH, U. v. 8.12.2011 - Rs. C - 371/08 Ziebell -, juris Rn. 80; BayVGH‚ U. v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris) für die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen erfüllt sein mussten.

1.2 Die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, dass dem Kläger im Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 zustand. Er kommt damit grundsätzlich in den Genuss der ihn gegenüber anderen Drittstaaten privilegierenden Vorschriften des Assoziationsratsbeschlusses, also auch des in Art. 13 ARB 1/80 enthaltenen Verschlechterungsverbots (sog. Stillhalteklausel). Danach dürfen die Mitgliedstaaten keine neuen innerstaatlichen Maßnahmen einführen, die bezwecken oder bewirken, dass die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch einen türkischen Staatsangehörigen oder einen Familienangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen unterworfen wird als denjenigen, die bei Inkrafttreten der Bestimmung am 1. Dezember 1980 in dem Mitgliedstaat galten (vgl. BVerwG, U. v. 28.4.2015 - 1 C 21. 14 - InfAuslR 2015, 327).

Allerdings bestehen auch mit Blick auf diese Bestimmung keine Bedenken gegen die Anwendung der ab 1. Januar 2016 geltenden neuen Ausweisungsvorschriften auf den Kläger als assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen. Geht man davon aus, dass Art. 13 ARB 1/80 auch im Zusammenhang mit der Änderung nationaler Ausweisungsvorschriften Gültigkeit beansprucht, obwohl diese keinen unmittelbaren Bezug zur Regelung des Arbeitsmarktzugangs aufweisen (vgl. hierzu Hailbronner, AuslR, Stand: Januar 2016, D 5.2, Art. 13 Rn. 10 f.), geht mit der Einführung des zum 1. Januar 2016 anwendbaren Ausweisungsrechts keine grundsätzliche Verschlechterung der Rechtsposition eines unter dem Schutz von Art. 14 ARB 1/80 stehenden türkischen Staatsangehörigen einher. Denn er kann auch künftig ausschließlich aus spezialpräventiven Gründen und nur dann ausgewiesen werden, wenn sein Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt (vgl. § 53 Abs. 3 AufenthG); außerdem ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, wie sich aus § 53 Abs. 3 letzter Halbsatz AufenthG und dem System von § 53 Abs. 2, §§ 54, 55 AufenthG ergibt. Dabei sind unter Abwägung der gegenläufigen Interessen alle Umstände und Besonderheiten des konkreten Einzelfalls einzustellen (Bauer in Bergmann/Dienelt, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 56 f.; bisher schon: BVerwG, U. v. 2.9.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3), so dass sich die materiellen Anforderungen, unter denen ein assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger ausgewiesen werden darf, nicht zu seinen Lasten geändert haben. Dass nach dem neuen Recht eine Ausweisung nach Betätigung des ausländerbehördlichen Ermessens nicht mehr in Betracht kommt, ist für einen betroffenen Ausländer nicht ungünstiger (Bauer in Bergmann/Dienelt, a. a. O., Rn. 59; a.A. Cziersky-Reis in Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 42), denn es lässt sich schon nicht feststellen, dass es in der Vergangenheit tatsächlich Fälle gab, in denen die Ausländerbehörde von einer eigentlich möglichen Ausweisung aus Ermessensgründen Abstand genommen hat. Im Übrigen ermöglicht das neue Ausweisungsrecht eine volle gerichtliche Kontrolle der Ausweisungsentscheidung, so dass jedenfalls in der Gesamtschau eine Verschlechterung der Rechtspositionen eines durch Art. 13, 14 ARB 1/80 geschützten türkischen Staatsangehörigen nicht feststellbar ist.

2. Die Ausweisung des Klägers ist unter Berücksichtigung des dargelegten Maßstabs rechtmäßig, weil die vom Verwaltungsgericht angenommene Gefahr der Begehung erneuter gravierender Straftaten nach wie vor gegenwärtig besteht (2.1) und nach der erforderlichen Interessenabwägung die Ausweisung für die Wahrung dieses Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist (2.2).

2.1 Gemessen an den unter 1.1 dargestellten Grundsätzen kommt der Senat zu der Bewertung, dass nach dem Gesamtbild des Klägers, das in erster Linie durch sein Verhalten gekennzeichnet ist, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass er erneut vergleichbare Straftaten begehen wird und damit gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellt. Die nach § 53 Abs. 1, 3 AufenthG vorausgesetzte erhöhte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist beim Kläger zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats in spezialpräventiver Hinsicht noch gegeben. Seine diesbezüglichen Einwendungen im Berufungsvorbringen greifen letztlich nicht durch. Die Ausweisungsentscheidung hat der Beklagte vor dem Hintergrund des nunmehr von § 53 Abs. 3 AufenthG geforderten persönlichen Verhaltens zu Recht nicht auf generalpräventive Gründe gestützt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei einer spezialpräventiven Ausweisungsentscheidung und ihrer gerichtlichen Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. z. B. BVerwG, U. v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, U. v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 33 m. w. N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (st. Rspr.; vgl. z. B. BVerwG, U. v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - Rn. 18; BayVGH, U. v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 34 und B. v. 3.3.2016 - 10 ZB 14.844 - juris). Auch der Rang des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen; an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts dürfen andererseits keine zu geringen Anforderungen gestellt werden.

Gemessen an den dargestellten Grundsätzen ist der Senat zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt zu der Überzeugung (§ 108 Abs. 1 VwGO) gelangt, dass eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Kläger erneut die öffentliche Sicherheit durch vergleichbare, insbesondere gegen die körperliche Unversehrtheit dritter Personen gerichtete Straftaten beeinträchtigen wird. Das vom Kläger insoweit geltend gemachte positive Verhalten während der Strafhaft, die dabei durchlaufene Entwicklung, weiter der Umstand, dass er erstmals eine Haftstrafe verbüßen musste, sowie die Aussagen im Bewährungsbeschlusses vom 9. August 2013, und schließlich die Erfüllung der ihm auferlegten Auflagen lassen die angenommene Wiederholungsgefahr nicht entfallen. Zu Recht hat demgegenüber das Verwaltungsgericht entscheidend darauf abgestellt, dass der Kläger eine ganze Reihe von Straftatbeständen gegenüber seiner ehemaligen Freundin und deren Angehörigen verwirklicht und dabei über einen erheblichen Zeitraum ein hohes Maß an Aggressivität an den Tag gelegt hat. Durch sein Verhalten mit sich steigernder Gewaltbereitschaft hat der Kläger Schutzgüter von hohem Rang (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) verletzt und den betroffenen Personen nicht nur körperliche, sondern auch erhebliche psychische Schäden zugefügt. Das vom Kläger ausgehende Gefährdungspotenzial berührt angesichts dessen ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die Gefahrenprognose wird auch dadurch gestützt, dass er sich in den Jahren 2003 und 2005 zweimal der vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs in massiver Weise durch rücksichtsloses Überholen schuldig gemacht hatte (vgl. Darstellung im Urteil des VG Augsburg v. 27.3.2013, S. 17, 18), wobei es einmal zu einem Frontalzusammenstoß kam. Es wurde deswegen eine Freiheitsstrafe auf Bewährung gegen ihn verhängt; die zudem ausgesprochene Entziehung der Fahrerlaubnis hat er offenbar nicht akzeptiert, wie eine weitere Verurteilung wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis beweist.

Triebfeder für das Verhalten des Klägers, das den den Anlass für die Ausweisung bildenden Taten zugrunde lag, war seine persönliche Unfähigkeit, die Beendigung der Beziehung durch seine Freundin zu akzeptieren und nicht gewaltsam auf die Rückgängigmachung ihres Entschlusses zu drängen. Die diesem Verhalten zugrunde liegende Disposition seiner Persönlichkeit hat der Kläger zwar in der Haft und auch anschließend entsprechend den ihm auferlegten Maßgaben bearbeitet; der Senat konnte gleichwohl nicht zu der Auffassung gelangen, dass der Kläger ein ähnliches Verhalten in einer vergleichbaren Situation nicht mehr zeigen wird. Zur Begründung ist insbesondere auf die neuerliche Verurteilung durch Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 10. Dezember 2015 wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu verweisen, der zwar offenbar keine aktiven Gewalthandlungen des Klägers zugrundelagen, als er sich der richterlich angeordneten Blutentnahme widersetzt hat und die Maßnahme nur nach Fixierung durch mehrere Polizeibeamte vollzogen werden konnte; auch hat er sich für sein Verhalten entschuldigt. Problematisch im Hinblick auf die hier anzustellende Gefahrenprognose ist seine in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat wiederholte Meinung, er habe ohne schriftliche richterliche Anordnung die Blutentnahme verweigern und danach handeln dürfen, weil er „im Recht gewesen“ sei. Die auch darin zum Ausdruck kommende Einstellung des Klägers lässt den Schluss zu, dass er auch künftig in bestimmten Konfliktsituationen im privaten wie im öffentlichen Raum - insbesondere wenn er sich „ungerecht behandelt fühlt“ - nach seinen eigenen rechtlichen und sonstigen Vorstellungen agieren wird und es so zu erneuten unkontrollierbaren Eskalationen für den Fall kommen kann, dass der Gegenüber nicht der Meinung des Klägers ist. In dieser Hinsicht haben die in und nach der Haft durchgeführten Therapiemaßnahmen (Persönlichkeits- und Antigewalttherapie), mit denen u. a. die vom Sachverständigen des Amtsgerichts Augsburg mit Gutachten vom 19. Dezember 2010 festgestellte erhebliche narzisstische Problematik bearbeitet werden sollte, noch keinen ausreichenden Erfolg gehabt.

Auch die im Bewährungsbeschlusses vom 9. August 2013 enthaltene Aussage, vor dem Hintergrund einer „deutlichen Nachreifung bei beanstandungsfreier Führung“ in der Haft und einer erfolgreichen Aufarbeitung der für die Straftaten maßgeblichen Defizite sei überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger künftig keine Straftaten mehr begehen werde, vermag nicht zu einer für ihn günstigen Gefahrenprognose zu führen. Bei ihrer Prognoseentscheidung sind die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte an die Feststellungen und Beurteilungen durch die Strafgerichte selbst dann nicht gebunden, wenn die Strafvollstreckungskammer zur Vorbereitung ihrer Entscheidung ein Sachverständigengutachten eingeholt hat. Bei der Frage, ob ein Strafrest nach § 57 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann, geht es um die Frage, ob die Wiedereingliederung eines inhaftierten Straftäters weiterhin im Vollzug stattfinden muss oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit in „offener Form“ inmitten der Gesellschaft verantwortet werden kann. Dabei stehen in erster Linie Gesichtspunkte der Resozialisierung im Vordergrund; zu prognostizieren ist, ob der Täter das Potenzial hat, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen. Im ausländerrechtlichen Ausweisungsverfahren geht es dagegen um die Frage, ob das Risiko eines Misserfolgs der Resozialisierung von der inländischen Gesellschaft getragen werden muss. Die ausweisungsrechtliche Prognoseentscheidung bezieht sich daher nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Denn es geht dabei um die Beurteilung, ob dem Ausländer über den Bewährungszeitraum hinaus ein straffreies Leben im Bundesgebiet möglich sein wird. Entscheidend ist, ob er im maßgeblichen Zeitpunkt auf ausreichende Integrationsfaktoren verweisen kann; die beanstandungsfreie Führung während der Haft genügt für sich genommen nicht (BVerwG, U. v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 19 f.; BayVGH, B. v. 3.3.2016 - 10 ZB 14.844 - juris).

Zu keinem anderen Ergebnis führt deshalb auch der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung mitgeteilte Umstand, dass seine Bewährung nicht infolge der letzten strafrechtlichen Verurteilung widerrufen worden sei. Die soeben dargestellten Grundsätze zur unterschiedlichen Würdigung der Gefahrenprognose im Strafvollzugsrecht einerseits und Ausweisungsrecht andererseits können auch in der Situation des trotz erneuter Verurteilung unterbliebenen Widerrufs der Bewährung angewendet werden.

Auch wenn der Kläger nunmehr offenbar seiner ehemaligen Freundin nicht mehr nachstellt und sich mit den gegen sie und ihre Angehörigen gerichteten Taten, wegen derer er verurteilt wurde, auseinandergesetzt hat, genügt dieser Umstand dem Senat für eine positive Prognose alleine noch nicht. Ohne Überwindung der für das damalige Fehlverhalten maßgeblichen Persönlichkeitsdefizite besteht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit die gegenwärtige Gefahr der Begehung gleich oder ähnlich gelagerter Straftaten.

2.2 Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage nach § 53 Abs. 1 und 3 AufenthG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausreise überwiegt und die Ausweisung auch für die Wahrung des (unter 2.1) dargestellten Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist.

Entgegen dem Vortrag im Berufungsverfahren ist die streitbefangene Ausweisung weder unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG - allerdings nicht abschließend - aufgeführten Umstände noch mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznorm des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 8 EMRK unverhältnismäßig. Der Beklagte und nachfolgend das Verwaltungsgericht haben bei der vom Kläger angegriffenen Entscheidung sämtliche entscheidungsrelevanten Gesichtspunkte berücksichtigt, die in diese Interessenabwägung einzustellen sind, und sie im Ergebnis in nicht zu beanstandender Weise gewichtet.

2.2.1 Ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse (i. S. v. § 53 Abs. 1 AufenthG) ist beim Kläger infolge seiner rechtskräftigen Verurteilung vom 2. März 2011 durch das Amtsgericht Augsburg zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gegeben. Zu seinen Gunsten ergibt sich ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, weil er eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat.

Liegen darüber hinaus weitere Lebenssachverhalte vor, die noch andere Tatbestände eines besonders schwerwiegenden oder (nur) schwerwiegenden Ausweisungs- oder Bleibeinteresses erfüllen, sind diese erst bei der nachfolgenden Abwägung der einzelfallbezogenen Umstände im Rahmen des § 53 Abs. 2 AufenthG mit dem ihnen zukommenden Gewicht zu berücksichtigen; die Annahme eines „doppelt“ oder sogar mehrfach (besonders oder nur) schwerwiegenden Interesses ist weder systematisch geboten noch von seinem Sinngehalt her vorstellbar. Eine rein quantitative Gegenüberstellung der im Rahmen der Prüfung nach §§ 54, 55 AufenthG verwirklichten typisierten Interessen widerspräche auch dem Gebot der Abwägung aller Umstände des Einzelfalls. Deshalb kommt es an dieser Stelle nicht mehr darauf an, dass infolge der weiteren Verurteilung des Klägers durch das Amtsgericht Dillingen vom 4. Mai 2010 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten auch der Tatbestand des § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG verwirklicht ist. Entsprechendes gilt für die nicht den Anlass für die Ausweisung gebenden Verurteilungen durch das Amtsgericht Dillingen (vom 16.2.2004 und vom 2.5.2006), die möglicherweise für sich alleine gesehen - also ohne Vorliegen der zeitlich nachfolgenden Verurteilungen - ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG als strafbare Handlungen, die „einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften“ darstellen, begründen könnten.

2.2.2 Liegen also nach der durch die §§ 54, 55 AufenthG vorgegebenen typisierenden Betrachtung besonders schwerwiegende Gründe vor, die sowohl für die Ausreise des Klägers aus dem Bundesgebiet als auch für seinen weiteren Verbleib sprechen, fällt die in jedem Fall auch im Rahmen des § 53 Abs. 3 AufenthG vorzunehmende umfassende Abwägung der gegenläufigen Interessen (§ 53 Abs. 1, 2 AufenthG) hier zu Ungunsten des Klägers aus; danach ist seine Ausweisung für die Wahrung des betroffenen Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich.

Bei der Abwägungsentscheidung sind sämtliche nach den Umständen des Einzelfalls maßgeblichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen, in erster Linie die Dauer des Aufenthalts, die Bindungen persönlicher, wirtschaftlicher und sonstiger Art im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat sowie die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige (§ 53 Abs. 2 AufenthG). Vor diesem Hintergrund hat das Verwaltungsgericht zu Recht darauf abgestellt, dass der Kläger ein „faktischer Inländer“ ist, der seine wesentliche Prägung und Entwicklung in Deutschland erfahren hat, und seit mehr als einem Jahrzehnt ein Daueraufenthaltsrecht im Bundesgebiet besitzt. Sämtliche nahe Verwandte, insbesondere der Vater des Klägers und seine Geschwister sowie Stiefgeschwister leben im näheren Umfeld. Allerdings hat der Kläger bisher keine eigene Familie gegründet und lebt auch nicht mehr - wie noch während der Haft geplant - mit seinem Vater zusammen, sondern hat eine eigene Wohnung. Unter dem Aspekt der Achtung des Privatlebens (Art. 8 Abs. 1, 2 EMRK) ist zu beachten, dass der Kläger eine neue Beziehung zu einer Frau eingegangen ist, über die er in der mündlichen Verhandlung berichtet hat. Zu seinen Gunsten spricht auch sein nach der Haftentlassung an den Tag gelegtes Bemühen, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, auch wenn er die zunächst begonnene Ausbildung zum Industriemechaniker abgebrochen hat. Seinen Bewährungsauflagen kommt er offensichtlich nach; er unterzieht sich nach wie vor einmal monatlich einer Persönlichkeits- und Antigewalttherapie.

Zulasten des Klägers ist insbesondere seine während offener Bewährung begangene Straftat am 31. März 2015 hervorzuheben, die auch beweist, dass ihn die erstmalige Inhaftierung offenbar doch nicht derart beeindruckt hat, dass er künftig ein straffreies Leben führen kann, wie dies in der Begründung der Berufung behauptet wird. Die erstmalige Verbüßung einer Haftstrafe ist zwar grundsätzlich geeignet, die persönliche Reifung eines Straftäters zu fördern (vgl. BayVGH, U. v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris, Rn. 44); im vorliegenden Fall ist dies jedoch vor dem Hintergrund der nach wie vor problematischen Persönlichkeitsstruktur des Klägers zu verneinen. Das mit der Therapieauflage verfolgte Ziel, dem Kläger die Mittel für ein Leben ohne Straftaten an die Hand zu geben, ist noch nicht erreicht. Es bleibt daher auch im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung bei der zentralen Bedeutung der Anlassstraftaten, mit denen er über einen langen Zeitraum ein hochaggressives Verhalten an den Tag gelegt hat, dem nicht einmal durch die erste Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung Einhalt geboten werden konnte. In diesem Zusammenhang sind auch die bereits dargestellten Straftaten des Klägers im öffentlichen Straßenverkehr zu nennen, mit denen er eine erhebliche Rücksichtslosigkeit im Hinblick auf die Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit Dritter bewiesen hat. Auch die bisherige Erwerbsbiografie des Klägers spricht nicht zu seinen Gunsten; weder weist er eine abgeschlossene Berufsausbildung auf noch ist er in der Vergangenheit über einen längeren Zeitraum hinweg einer rentenversicherungspflichtigen Tätigkeit nachgegangen, woraus im angefochtenen Urteil nachvollziehbar gefolgert wird, dass der Kläger offenbar zum Aufbau einer gesicherten wirtschaftlichen Existenz im Bundesgebiet bisher nicht in der Lage war. Auch seine nach der Haftentlassung begonnene Ausbildung konnte er nicht zum Abschluss bringen. Der Senat ist der Auffassung, dass die von ihm bisher ein knappes Jahr lang ausgeübte selbstständige Tätigkeit (Handel mit Kfz-Teilen/Altreifenentsorgung), die durch öffentlichen Leistungen zur Existenzgründung unterstützt wird, noch nicht als dauerhaft nachgewiesene berufliche Existenz angesehen werden kann.

Schließlich hat das Verwaltungsgericht auch zu Recht angenommen, dass dem volljährigen Kläger trotz seiner ausschließlichen Sozialisierung in Deutschland zuzumuten ist, in das Land seiner Staatsangehörigkeit, dessen Sprache er zumindest spricht, zu übersiedeln. Dort wird er als 32-jähriger gesunder Mann trotz fehlender Beziehungen sein Auskommen finden können. Dabei ist hervorzuheben, dass von einer gelungenen sozialen und wirtschaftlichen Integration des Klägers schon in die hiesigen Verhältnisse trotz seines lebenslangen Aufenthalts im Bundesgebiet nicht ausgegangen werden kann; insoweit relativiert sich sein Einwand, er verfüge in der Türkei über keine wirtschaftlichen Beziehungen. Dass im Verlaufe des gerichtlichen Verfahrens inzwischen offenbar auch seine Großmutter in das Bundesgebiet übersiedelt ist und der Kläger damit eigenen Angaben zufolge keine Angehörigen in der Türkei mehr besitzt, erschwert zwar eine Eingewöhnung in die neuen Lebensumstände, führt aber nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Ausweisungsentscheidung. Den Kontakt zum Bundesgebiet und seinen hier lebenden Angehörigen kann der Kläger von der Türkei aus aufrechterhalten, auch wenn dies mit erhöhten Schwierigkeiten verbunden ist.

Im Ergebnis der Gesamtabwägung stellt sich die Ausweisung als verhältnismäßige Maßnahme dar, die zur Abwehr schwerwiegender Gefahren für die verfassungsrechtlichen Schutzgüter von Leben und körperlicher Unversehrtheit unerlässlich ist.

2.3 Keinen rechtlichen Bedenken begegnet schließlich die Befristung der Wirkungen des aus der Ausweisung folgenden Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG auf drei Jahre ab dem Zeitpunkt der Ausreise (vgl. Nr. 2 des angefochtenen Bescheids, S. 18). Die Befristungsentscheidung wurde in der mündlichen Verhandlung auf eine Entscheidung nach Ermessen umgestellt, ohne dass im Übrigen der Kläger Einwände gegen die Länge der Frist erhoben hat. Auch die unter Bestimmung einer Frist erfolgte Ausreiseaufforderung und die daran anknüpfende Abschiebungsandrohung (Nr. 4 des Bescheids) sind rechtmäßig. Die Anordnung der Abschiebung aus der Strafhaft (Nr. 3 des Bescheids) ist dagegen mit der Haftentlassung des Klägers gegenstandslos geworden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Rechtsmittelbelehrung

Nach § 133 VwGO kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Beschwerde muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen. In der Beschwerdebegründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer in Prozess-kostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt nur die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen. Für die in § 67 Abs. 4 Satz 5 VwGO genannten Angelegenheiten (u. a. Verfahren mit Bezügen zu Dienst- und Arbeitsverhältnissen) sind auch die dort bezeichneten Organisationen und juristischen Personen als Bevollmächtigte zugelassen. Sie müssen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 GKG i. V. m. Nr. 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 19. November 2014 weiter. Mit diesem Bescheid wurde der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, seine Abschiebung aus der Haft in die Türkei angeordnet und die Wirkungen von Ausweisung und Abschiebung auf zehn Jahre befristet.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.

Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor. Die Berufung ist weder wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; 1.) noch wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO; 2.) zuzulassen.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils, die die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO rechtfertigen könnten, lägen nur vor, wenn der Kläger einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hätte (vgl. BVerfG, B. v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11). Dies ist jedoch nicht der Fall.

1.1 Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisung des Klägers, der vom Landgericht M. mit Urteil vom 27. September 2012 rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten wegen schweren sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen in zwei Fällen verurteilt wurde, auf der Grundlage der §§ 53 ff. AufenthG in der bis 31. Dezember 2015 geltenden Fassung (a. F.) in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 bei Vorliegen eines zwingenden Ausweisungsgrundes nach § 53 Nr. 1 AufenthG und unter der Annahme eines assoziationsrechtlich begründeten Aufenthaltsrechts nach Ausübung von Ermessen als rechtmäßig erachtet. Der Beklagte sei zutreffend von einer konkreten Wiederholungsgefahr ausgegangen, die er zum Anlass für die ausschließlich spezialpräventiv motivierte Ausweisung genommen habe. Die Ausweisung erweise sich auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der 2001 geborene Sohn des Klägers im Bundesgebiet lebe, als verhältnismäßig, zumal dessen Mutter schon seit 2004 vom Kläger geschieden sei und das alleinige Sorgerecht besitze.

Im Zulassungsverfahren trägt der Kläger vor, das Verwaltungsgericht habe nicht ausreichend berücksichtigt, dass er erstmals eine Haftstrafe verbüße und die bisherige Führung in der Haft sowie seine persönliche Entwicklung die Annahme zuließen, dass ein Rückfallrisiko des Klägers als gering einzustufen sei. Das Urteil verletze auch das Recht des Klägers auf Achtung seines Familien- und Privatlebens, da er Vater eines deutschen Kindes sei, dessen Wohl im Hinblick auf die bestehende starke emotionale Bindung die weitere Anwesenheit des Klägers im Bundesgebiet erfordere; zwar bestehe derzeit nur postalischer Kontakt zwischen Vater und Sohn, was jedoch auf die Ablehnung entsprechender Besuchsanträge zurückzuführen sei. Das Verwaltungsgericht habe auch nicht berücksichtigt, dass bei einer Haftentlassung nach 2/3 der Haftzeit das Kind immer noch minderjährig sein werde. Die Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung ergebe sich nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) auch daraus, dass der Kläger schon seit 2001 im Bundesgebiet lebe und in der Türkei keinerlei Perspektive habe. So seien in einem Fall einem im Alter von 23 Jahren eingereisten Ausländer nach einem Aufenthalt von lediglich zehn Jahren zur Unverhältnismäßigkeit einer Ausweisung führende gefestigte Bindungen zugebilligt worden. Auch das Bundesverwaltungsgericht stelle bei Ausländern, die aufgrund ihrer gesamten Entwicklung faktisch zu Inländern geworden seien und denen ein Leben im Land ihrer Staatsangehörigkeit, zu dem sie keinen Bezug mehr hätten, nicht zugemutet werden könne, eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes fest. Das Verwaltungsgericht habe die besonderen Umstände in der Person des Klägers und das Allgemeininteresse im Ergebnis fehlerhaft abgewogen; dies folge bereits aus dem Umstand, dass weder die Mutter des deutschen Sohnes des Klägers als Zeugin vom Verwaltungsgericht vernommen worden sei noch das Gutachten des Landratsamts N. - Amt für Jugend und Familie - vom 8. September 2014 hinreichend gewürdigt worden sei.

1.2 Diese Ausführungen begründen aber - gemessen an den nunmehr maßgeblichen Regelungen der §§ 53 ff.. AufenthG in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386), zuletzt geändert durch das Gesetz zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11. März 2016 (BGBl I S. 394), - keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils.

1.2.1 Die Beurteilung, ob ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt, richtet sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts. Eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ist daher zu berücksichtigen. Die Änderung der Sach- und Rechtslage ist allerdings grundsätzlich nur in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen relevant (BayVGH, B. v. 24.2.2016 - 10 ZB 15.2080 - juris; Seibert in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl. 2014, § 124a Rn. 57). Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisung ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (vgl. z. B. BVerwG, U. v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 12), also hier der Entscheidung über den Zulassungsantrag.

Der Senat hat daher die streitbefangene Ausweisung (und das angefochtene verwaltungsgerichtliche Urteil) unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens in Ermangelung einer entgegenstehenden Übergangsregelung anhand der §§ 53 ff. AufenthG in der aktuell gültigen Fassung (s. 1.2) zu überprüfen. Seit der Rechtsänderung zum 1. Januar 2016 differenziert das Aufenthaltsgesetz nicht mehr zwischen der zwingenden Ausweisung, der Ausweisung im Regelfall und der Ermessensausweisung, sondern verlangt für eine Ausweisung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, die für ein Ermessen der Ausländerbehörde keinen Raum mehr lässt. Die Ausweisungsentscheidung ist durch das Gericht in vollem Umfang nachprüfbar (Welte, InfAuslR 2015, 426; Cziersky-Reis in Hofmann, Kommentar zum Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl. 2016, § 53 Rn. 30; Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Kommentar, 11. Aufl. 2016, Vorb §§ 53 - 56 Rn. 13 und § 53 Rn. 5 ff.; a.A. Marx, ZAR 2015, 245/246). Eine - wie hier - nach altem Recht verfügte Ermessensausweisung wird nach Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG in ihrer Neufassung am1. Januar 2016 nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht, also gemäß der zentralen Ausweisungsnorm des § 53 Abs. 1 AufenthG (als Grundtatbestand; vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/4097 S. 49 f.) der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Steht dem Ausländer ein Aufenthaltsrecht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) zu, sind an die Qualität der erforderlichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erhöhte Anforderungen zu stellen, denn er darf nach § 53 Abs. 3 AufenthG nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und wenn die Ausweisung zur Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Damit gibt die Neufassung von § 53 Abs. 3 AufenthG exakt die Voraussetzungen wieder, die nach ständiger Rechtsprechung (z. B. EuGH, U. v. 8.12.2011 - Rs. C-371/08 Ziebell -, juris Rn. 80; BayVGH‚ U. v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris) für die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen erfüllt sein mussten.

Die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, dass dem Kläger im Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 zustand. Er kommt damit grundsätzlich in den Genuss der ihn gegenüber anderen Drittstaaten privilegierenden Vorschriften des Assoziationsratsbeschlusses, also auch des Verschlechterungsverbots (sog. Stillhalte-Klausel) nach Art. 13 ARB 1/80. Danach dürfen die Mitgliedstaaten keine neuen innerstaatlichen Maßnahmen einführen, die bezwecken oder bewirken, dass die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch einen türkischen Staatsangehörigen oder einen Familienangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen unterworfen wird als denjenigen, die bei Inkrafttreten der Bestimmung am 1. Dezember 1980 in dem Mitgliedstaat galten (vgl. BVerwG, U. v. 28.4.2015 - 1 C 21. 14 - InfAuslR 2015, 327).

Allerdings bestehen auch mit Blick auf diese Bestimmung keine Bedenken gegen die Anwendung der ab 1. Januar 2016 geltenden neuen Ausweisungsvorschriften auf den Kläger als assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen. Geht man davon aus, dass Art. 13 ARB 1/80 auch im Zusammenhang mit der Änderung nationaler Ausweisungsvorschriften Gültigkeit beansprucht, obwohl diese keinen unmittelbaren Bezug zur Regelung des Arbeitsmarktzugangs aufweisen (vgl. hierzu Hailbronner, AuslR, Stand: Januar 2016, D 5.2, Art. 13 Rn. 10 f.), geht mit der Einführung des zum 1. Januar 2016 anwendbaren Ausweisungsrechts keine grundsätzliche Verschlechterung der Rechtsposition eines unter dem Schutz von Art. 14 ARB 1/80 stehenden türkischen Staatsangehörigen einher. Denn er kann auch künftig ausschließlich aus spezialpräventiven Gründen und nur dann ausgewiesen werden, wenn sein Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt (vgl. § 53 Abs. 3 AufenthG); außerdem ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, wie sich aus § 53 Abs. 3 letzter Halbsatz AufenthG und dem System von § 53 Abs. 2, §§ 54, 55 AufenthG ergibt. Dabei sind unter Abwägung der gegenläufigen Interessen alle Umstände und Besonderheiten des konkreten Einzelfalls einzustellen (Bauer in Bergmann/Dienelt, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 56 f.; bisher schon: BVerwG, U. v. 2.9.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3), so dass sich die materiellen Anforderungen, unter denen ein assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger ausgewiesen werden darf, nicht zu seinen Lasten geändert haben. Dass nach dem neuen Recht eine Ausweisung nach Betätigung des ausländerbehördlichen Ermessens nicht mehr in Betracht kommt, ist für einen betroffenen Ausländer nicht ungünstiger (Bauer in Bergmann/Dienelt, a. a. O., Rn. 59; a.A. Cziersky-Reis in Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 42), denn es lässt sich schon nicht feststellen, dass es in der Vergangenheit tatsächlich Fälle gab, in denen die Ausländerbehörde von einer eigentlich möglichen Ausweisung aus Ermessensgründen Abstand genommen hat. Im Übrigen ermöglicht das neue Ausweisungsrecht eine volle gerichtliche Kontrolle der Ausweisungsentscheidung, so dass jedenfalls in der Gesamtschau eine Verschlechterung der Rechtspositionen eines durch Art. 13, 14 ARB 1/80 geschützten türkischen Staatsangehörigen nicht feststellbar ist (vgl. BayVGH, U. v. 8.3.2014 - 10 B 15.180 - juris Rn. 28).

1.2.2 Die Ausweisung des Klägers ist unter Berücksichtigung des dargelegten Maßstabs rechtmäßig, weil die vom Verwaltungsgericht angenommene Wiederholungsgefahr nach wie vor gegenwärtig besteht und nach der erforderlichen Interessenabwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls (§ 53 Abs. 1, 2 AufenthG) die Ausweisung für die Wahrung dieses Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist (§ 53 Abs. 3 AufenthG).

Der Senat sieht auch unter Anwendung des § 53 Abs. 1 AufenthG eine erhebliche Gefahr der Begehung weiterer Straftaten durch den Kläger. Bei der insoweit zutreffenden Prognose sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. zuletzt: BayVGH, B. v. 16.3.2016 - 10 ZB 15. 2.1.2009 - juris). Gemessen hieran hat das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt, dass der Kläger sich schwerster, planvoll durchgeführter Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung schuldig gemacht hat und deshalb zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde; unter den gravierenden Tatfolgen haben die beiden Opfer bis heute zu leiden. Der Kläger, dessen Revision gegen das Strafurteil vor dem Bundesgerichtshof erfolglos geblieben ist, leugnet bis heute trotz eindeutiger gegenteiliger Beweislage seine Taten; zuletzt beteuerte er in der mündlichen Verhandlung vor dem Erstgericht am 11. März 2015 seine Unschuld. Vor dem Hintergrund dieses auf die den Ausweisungsanlass bildenden Straftaten bezogenen Verhaltens kann schlechterdings nicht davon die Rede sein, dass der Kläger in der Haft eine persönliche Entwicklung in eine positive Richtung durchgemacht habe, nach der das Rückfallrisiko als „gering und klar unterdurchschnittlich einzustufen“ sei; ebensowenig kann der Gefahrenprognose entgegengehalten werden, der Kläger sei als „Erstverbüßer“ besonders beeindruckt und stelle daher keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit mehr dar. Insbesondere die in der Strafhaft begangenen Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit lassen nicht den Schluss zu, der Kläger werde nach seiner Haftentlassung keine Straftaten mehr begehen; der Kläger ging im Jahr 2012 gegen einen Psychologen der Justizvollzugsanstalt tätlich vor und beleidigte ihn, was zu einer Geldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen durch Strafbefehl des Amtsgerichts Kempten vom 27. Mai 2013 wegen Beleidigung in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung geführt hat. Mit Urteil des Amtsgerichts Straubing vom 31. Juli 2014 wurde er des Weiteren zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten wegen vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt; Hintergrund war dabei eine Auseinandersetzung mit einem Justizvollzugsbeamten. Angesichts dieser Sachlage bedarf es keiner weiteren Begründung der Gefahrenprognose.

Soweit im Zulassungsantrag behauptet wird, es müsse ein Prognosegutachten zur konkreten Gefahr der Begehung weiterer Straftaten durch den Kläger eingeholt werden, führt dieser Vortrag nicht zur Zulassung der Berufung. Bei der gerichtlichen Überprüfung der Ausweisung eines strafgerichtlich verurteilten Ausländers ist hinsichtlich der gebotenen Gefahrenprognose nicht alleine auf das Strafurteil und die diesem zugrundeliegende Straftat, sondern auf die Gesamtpersönlichkeit des Täters abzustellen. Dabei sind auch nachträgliche Entwicklungen einzubeziehen. Bei dieser Prognoseentscheidung bewegt sich das Gericht regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die den Richtern allgemein zugänglich sind. Die inmitten stehende Frage der Wiederholungsgefahr nach strafrechtlichen Verurteilungen kann daher grundsätzlich von den Gerichten regelmäßig ohne Zuziehung eines Sachverständigen beurteilt werden (vgl. BayVGH, B. v. 18.3.2015 - 10 C 14.2655 - juris Rn. 22 m. w. N.). Ein Sachverständigengutachten kann die eigene Prognoseentscheidung des Tatrichters nicht ersetzen, sondern hierfür allenfalls eine Hilfestellung bieten (BVerwG, B. v. 13.3.2009 - 1 B 20.08 - juris Rn. 5). Der Zuziehung eines Sachverständigen bedarf es nur ausnahmsweise, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände - etwa bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen - nicht ohne spezielle, dem Gericht nicht zur Verfügung stehende fachliche Kenntnisse erstellt werden kann (vgl. BVerwG, U. v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - juris Rn. 11). Ein solcher Ausnahmefall liegt beim Kläger nicht vor. Vielmehr war es dem Erstgericht möglich, eine durch das Zulassungsvorbringen nicht erschütterte Prognoseentscheidung zur Wiederholungsgefahr auch ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens zu treffen.

Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage nach § 53 Abs. 1 AufenthG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausreise überwiegt. Entgegen dem Zulassungsvorbringen ist die Ausweisung weder unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG - allerdings nicht abschließend - aufgeführten Umstände noch mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznorm des Art. 6 Abs. 1 GG oder Art. 8 EMRK unverhältnismäßig. Das Verwaltungsgericht hat sämtliche entscheidungsrelevanten Gesichtspunkte berücksichtigt, die auch in diese Interessenabwägung einzustellen sind, und sie in nicht zu beanstandender Weise gewichtet.

Ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinn von § 53 Abs. 1 AufenthG liegt beim Kläger als Folge der rechtskräftigen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten (§ 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) vor. Allerdings wiegt auch sein Bleibeinteresse im Sinn von § 53 Abs. 1 AufenthG wegen des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis im Zeitpunkt der Ausweisung und seines mehr als fünf Jahre andauernden rechtmäßigen Aufenthalts besonders schwer. Im Rahmen der erforderlichen Gesamtabwägung kommt jedoch dem Ausweisungsinteresse überwiegendes Gewicht zu, das sich insbesondere aus der (bereits dargestellten) erheblichen Gefahr, die der Kläger durch die drohende Begehung weiterer Straftaten im Bundesgebiet darstellt, ergibt. Die Ausweisung entspricht daher auch der ab 1. Januar 2016 geltenden neuen Rechtslage.

Hieran ändern auch die Ausführungen des Klägers zur Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung nichts, die keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils rechtfertigen. Der bloße Verweis auf die Urteile des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), die in Sachen Beldjoudi (U. v. 26.3.1992 - 55/1990/246/317 - InfAuslR 1994, 86), Moustaquim (U. v. 18.2.1991 - 31/1989/191/291 - InfAuslR 1991, 149), Amrollahi (U. v. 11.7.2002 - 56811/00 - Inf-AuslR 2004, 180) sowie auf den Bericht der Europäischen Kommission für Menschenrechte in Sachen Lamguindaz (InfAusR 1995, 133) reicht nicht aus, um die Feststellungen des Erstgerichts zur Bindung des Klägers an die Bundesrepublik, zur Schwere seiner Straftat und zu seinen Beziehungen in die Türkei und die darauf beruhende Abwägungsentscheidung ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Insbesondere fehlt es an einer substantiierten Darlegung, inwieweit die vom Kläger angeführten Beispiele aus der Rechtsprechung des EGMR mit der Situation des Klägers vergleichbar sind. Im Fall Beldjoudi war der ausgewiesene Ausländer mit einer Staatsangehörigen des Aufnahmestaates verheiratet, der nicht zugemutet werden konnte, mit ihm ins Ausland zu ziehen. Auch im Fall Amrollahi hatte der Beschwerdeführer eine Staatsangehörige des Aufnahmestaates geheiratet und mit ihr gemeinsame Kinder. Der Kläger hat demgegenüber schon seit langem keine eigene Kernfamilie in der Bundesrepublik mehr. Die Entscheidung im Fall Moustaquim beruht darauf, dass der Beschwerdeführer die Straftaten als Jugendlicher begangen hatte; der Kläger hingegen war bei Begehung seiner Straftaten schon mehr als 40 Jahre alt. Im Fall Lamguindaz konnte der Beschwerdeführer die Sprache seines Heimatlandes kaum verstehen und nicht lesen und schreiben (vgl. zu den vorstehend angeführten Urteilen des EGMR: BayVGH, B. v. 26.1.2015 - 10 ZB 13.898 - juris). Der Kläger dagegen spricht fließend türkisch, nachdem er mehr als die ersten 30 Jahre seines Lebens in der Türkei zugebracht und demnach seine gesamte Sozialisation dort erfahren hat. Angesichts dieses Umstandes vermag der Senat die Behauptung, er habe keinerlei Perspektiven in der Türkei, nicht nachzuvollziehen. Im Übrigen kann auch nicht davon die Rede sein, dass dem Kläger „eine Trennung von seiner Familie“ zugemutet würde; schließlich ist er bereits seit dem Jahr 2004 von seiner damaligen Ehefrau geschieden, ohne dass er seither eine familiäre Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet - auch nicht mit seinem Sohn - geführt hätte.

Unzutreffend ist auch das Zulassungsvorbringen, das Verwaltungsgericht habe das Gutachten des Landratsamts N. - Jugend und Familie - vom 8. September 2014 in seiner Entscheidung nicht ausreichend gewürdigt. Vielmehr gibt das angefochtene Urteil (UA, Rn. 31) die wesentlichen Aussagen der genannten Stellungnahme wieder, und folgert daraus in nachvollziehbarere Weise, dass der Sohn für seine Entwicklung nicht auf den Vater angewiesen sei, zumal sich die Beziehung auch künftig während der Haftzeit vor allem auf telefonische und postalische Kontakte sowie auf gelegentliche Besuche beschränken werde. Der Frage, ob der Sohn zum voraussichtlichen Zeitpunkt der Haftentlassung des Klägers noch minderjährig oder bereits volljährig sein wird, kommt nicht die ihr im Zulassungsvorbringen zugemessene Bedeutung zu, weil der derzeit bereits fast 15-jährige Sohn auch bei frühester möglicher Entlassung des Klägers zum 2/3-Zeitpunkt seine persönliche Entwicklung ohne maßgeblichen Beistand seines Vaters weitestgehend abgeschlossen haben würde. Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, muss die Ausweisung des Klägers zum heutigen Zeitpunkt als „unerlässlich“ zur Wahrung eines Grundinteresses der Gesellschaft im Hinblick auf die von ihm ausgehende Gefahr der neuerlichen Begehung schwerer und schwerster Straftaten nach Haftentlassung angesehen werden.

Schließlich führt auch der Vorwurf, das Erstgericht habe die Einvernahme der Mutter des Sohns des Klägers als Zeugin „rechtsfehlerhaft“ versäumt, nicht zur Annahme ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Ungeachtet des Umstandes, dass der Kläger die Stellung eines entsprechenden Beweisantrags in der mündlichen Verhandlung (§ 86 Abs. 2 VwGO) unterlassen hat, wird schon nicht vorgetragen, welche besonderen, bisher nicht bekannten Umstände die Mutter als Zeugin vorgetragen hätte, die für die Annahme des Bestehens einer für das Kindeswohl bedeutsamen Beziehung zwischen dem Kläger und seinem Sohn sprechen könnten. Allein der (angebliche) Wunsch von Mutter und Sohn, den Kläger künftig häufig in der Haft zu besuchen, reicht hierfür nicht aus.

Auch zeigt das Zulassungsvorbringen keine ernstlichen Zweifel hinsichtlich der Länge (10 Jahre) der im Ausweisungsbescheid festgesetzten und durch das angefochtene Urteil gebilligten Befristung der Wirkungen der Ausweisung und der (geplanten) Abschiebung auf. Der pauschale Verweis auf die bereits im Zusammenhang mit der Ausweisung gemachten Umstände, die zugunsten des Klägers sprechen, reicht hierfür nicht aus.

2. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache ( § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist schon nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend hinreichend dargelegt. Um einen auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, erläutern, weshalb die vorformulierte Frage klärungsbedürftig ist und darlegen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt.

Der Kläger hat zwar eine Rechtsfrage formuliert, indem er als klärungsbedürftig erachtet, ob die Einführung der Zulassungsberufung gegen die Stillhalte-Klausel des Art. 13 ARB 1/80 verstößt. Allerdings ist diese Frage bereits durch den Senat entschieden (BayVGH, B. v. 26.1.2015 - 10 ZB 13.898 - juris Rn. 21 ff.; zuletzt: B. v. 19. Mai 2015 - 10 ZB 15.331 - juris). Auch hat der Kläger nicht dargelegt, dass diese Frage für den konkreten Rechtsstreit überhaupt entscheidungserheblich ist. Insbesondere zeigt er nicht auf, dass die Beurteilung der Sach- und Rechtslage zu unterschiedlichen Beurteilungszeitpunkten in seinem konkreten Ausweisungsfall zu einem unterschiedlichen Ergebnis geführt hätte, er insbesondere durch die Entscheidung im Zulassungsverfahren schlechter gestellt wäre als in einem Berufungsverfahren. Der Kläger unterstellt mit seinem Zulassungsvorbringen lediglich, die Berücksichtigung der „noch zu erzielenden Ergebnisse…bezüglich der Persönlichkeit und der Gefährlichkeit“ führe in einem Berufungsverfahren dazu, dass zum dann maßgeblichen Zeitpunkt die Gefahrenprognose für ihn vorteilhafter ausfallen werde.

Schließlich hat das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen seiner Entscheidungen vom 13. Dezember 2012 und vom 14. Mai 2013 (U. v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - und U. v. 14.5.2013 - 1 C 13.12 - beide juris Rn. 34 bzw. 23) unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, U. v. 19.2.2009 - Rs. C-228/06, Soysal; U. v. 17.9.2009 - Rs. C-242/06, Sahin - beide juris Rn. 61 bzw. 67). bereits zu verfahrensrechtlichen Regelungen, die sowohl ARB-berechtigte türkische Staatsangehörige als auch Unionsbürger in gleicher Weise betreffen, entschieden, dass der Erlass oder Wegfall von solchen Regelungen nicht im Widerspruch zu den Stillhalteklauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 ZP stehe.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Tenor

I.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich mit der Klage gegen seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet.

Der am 24. Dezember 1983 im Bundegebiet geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Sein Vater lebt mit seinen zwei Geschwistern‚ der Stiefmutter und drei Stiefgeschwistern in G.; seine Mutter ist 2006 verstorben. Der Kläger‚ der seit 19. Januar 2000 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis (jetzt: Niederlassungserlaubnis) ist‚ besitzt einen Hauptschulabschluss, hat jedoch keine Berufsausbildung abgeschlossen. In den Jahren zwischen 2001 und 2010 arbeitete er bei verschiedenen Unternehmen mit Unterbrechungen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit.

Im Bundesgebiet ist er strafrechtlich wie folgt in Erscheinung getreten:

1. Vorsätzlicher unerlaubter Besitz in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Führen und vorsätzlicher unerlaubter Einfuhr einer Schusswaffe (24.8.2000): von der Verfolgung abgesehen, § 45 Abs. 2 JGG

2. Vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs mit fahrlässiger Körperverletzung in zwei Fällen (14.12.2003): Amtsgericht Dillingen vom 16.2.2004 - Verurteilung zu 70 Tagessätzen Geldstrafe und Sperre für die Wiedererlangung der Fahrerlaubnis

3. Vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs (14.4.2005): Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 29.11.2005 - fünf Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung und Sperre für die Fahrerlaubnis

4. Sechs sachlich zusammentreffende Vergehen des vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln (29.10.2004): Amtsgericht Dillingen vom 11.1.2006 - Verwarnung und Auflage von Arbeitsleistungen

5. Vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis (27.8.2005): Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 2.5.2006 unter Einbeziehung des Urteils vom 29.11.2005 (s. 3.) - Freiheitsstrafe von sechs Monaten zwei Wochen auf Bewährung und Sperre für die Fahrerlaubnis

6. Nachstellung in Tateinheit mit Nötigung‚ Hausfriedensbruch‚ Beleidigung‚ versuchter Nötigung in Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung‚ Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung in Tatmehrheit mit Beleidigung (3.9.2009): Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 4.5.2010 - Freiheitsstrafe ein Jahr zehn Monate‚ Strafrest zur Bewährung ausgesetzt bis 27. August 2017

7. Nachstellung in zwei tateinheitlichen Fällen mit schwerer Nachstellung‚ gefährlicher Körperverletzung‚ Bedrohung‚ vorsätzlicher Körperverletzung und Nötigung sowie Beleidigung (25.4.2010): Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 2.3.2011 - Freiheitsstrafe von zwei Jahren zwei Monaten‚ Strafvollstreckung erledigt am 3. Juli 2013

Das Landratsamt belehrte den Kläger am 17. Dezember 2007 wegen der von ihm begangenen Straftaten im Hinblick auf eine mögliche Ausweisung. Den Straftaten (Nr. 6 und 7)‚ aus denen Verurteilungen zu Freiheitsstrafen ohne Aussetzung zur Bewährung resultierten‚ lag die vom Kläger mit der späteren Geschädigten vom April 2005 bis 2009 geführte Beziehung zugrunde. Da sich der Kläger mit der von ihr durchgeführten Trennung nicht abfinden wollte‚ stellte er ihr beständig nach‚ rief sie dauernd an und beleidigte sie‚ ihre Mutter und deren Freund. Trotz einer einstwei-ligen Verfügung vom 7. Juli 2009 nach dem Gewaltschutzgesetz‚ mit der dem Kläger untersagt worden war‚ sich seiner früheren Freundin zu nähern‚ ist er an sie in einer Gaststätte herangetreten und hat dort u. a. ihre ebenfalls anwesende Mutter und deren Freund mit einem Golfschläger bedroht und geschlagen. Zulasten des Klägers wurden seine Rücksichtslosigkeit und Penetranz gewertet‚ außerdem sein rücksichtsloses Vorgehen im Hinblick auf die körperliche Unversehrtheit dritter Personen. Die schlechte Sozialprognose und seine Rückfälligkeit ließen eine Bewährungsaussetzung nicht mehr zu. Der Kläger habe den Zeitraum nach der Außervollzug-setzung des Haftbefehls bis zur Hauptverhandlung für einen massiven tätlichen Angriff genutzt.

Der Verurteilung durch das Amtsgericht Augsburg vom 2. März 2011 (Nr. 7) lag ein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde. Demnach habe der Kläger seine ehemalige Freundin im Zeitraum von April bis Juni 2010 weiterhin mehrfach telefonisch kontaktiert‚ beleidigt und bedroht, außerdem zweimal mit seinem Auto verfolgt und sei des Öfteren an ihrer Wohnung vorbeigefahren. Schließlich habe er sie am 24. April 2010 an den Haaren aus ihrem Auto herausgerissen und über einen Platz gezogen. Einen Tag danach habe er seine Handlung wiederholt, außerdem mit beiden Händen um den Hals der Geschädigten gefasst und solange zugedrückt‚ bis sie Atemnot erlitten habe. Der Kläger habe sich im Laufe der Hauptverhandlung aufbrausend benommen und als das eigentliche Opfer hingestellt. Es liege bei ihm eine narzisstische Problematik vor, die mit einem unangepassten Geltungsbedürfnis und Anfälligkeit zur Kränkung einhergehe.

Der Beklagte wies den Kläger mit Bescheid vom 24. Oktober 2012 aus dem Bundesgebiet aus und befristete die Wirkung dieser Ausweisung auf drei Jahre; die Abschiebung aus der Strafhaft wurde angeordnet. Für den Fall‚ dass die Abschiebung nicht aus der Strafhaft durchgeführt werden könne‚ habe der Kläger das Bundesgebiet innerhalb eines Monats nach Eintritt der Bestandskraft des Bescheids zu verlassen‚ andernfalls die Abschiebung in die Türkei oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht werde. Da er assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger sei und damit besonderen Ausweisungsschutz genieße‚ dürfe er nur aus spezialpräventiven Gründen auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung ausgewiesen werden. Vor dem Hintergrund der über Jahre hinweg begangenen‚ schwerwiegenden Straftaten drohe die Gefahr wiederum gegen die körperliche Unversehrtheit gerichteter Straftaten. Obwohl eine Behandlung in einer sozialtherapeutischen Abteilung für Gewaltstraftäter erforderlich und auch vorgesehen sei‚ habe sie der Kläger bisher nicht aufgenommen. Die Teilnahme an einem anstaltsinternen sozialen Kompetenztraining reiche nicht aus. Die Straftaten des in vollem Umfang schuldfähigen Klägers stellten keine einmaligen Verfehlungen dar; er verfüge vor dem Hintergrund seiner narzisstischen Persönlichkeit vielmehr über ein erhebliches Gefährdungspotential. Selbst die Verurteilung zu einer Haftstrafe habe ihn nicht davon abhalten können‚ sofort nach der mündlichen Verhandlung erneut straffällig zu werden. Die Ausweisung sei auch unter Berücksichtigung der persönlichen Belange des Klägers im Hinblick auf Art. 8 EMRK verhältnismäßig. Seine Kenntnisse der türkischen Sprache würden ihm eine rasche Eingewöhnung in die türkischen Lebensverhältnisse ermöglichen.

Mit Urteil vom 27. März 2013 wies das Verwaltungsgericht Augsburg die gegen den Bescheid vom 24. Oktober 2012 gerichtete Anfechtungsklage ab. Der Kläger könne nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 ausgewiesen werden, weil sein persönliches Verhalten eine gegenwärtige und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstelle, zu dessen Wahrung die Ausweisung unerlässlich sei. Das erschreckende Maß an Aggressivität‚ das der Kläger nicht nur gegenüber seiner ehemaligen Freundin‚ sondern auch gegenüber deren Angehörigen an den Tag gelegt habe‚ stelle einen Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht dar. Die begangenen Straftaten deckten ein breites Spektrum ab‚ belegten ein außerordentlich rücksichtsloses und hartnäckiges Verhalten und erstreckten sich über einen erheblichen Zeitraum. Die in den Strafurteilen aufgezeigten charakterlichen Probleme führten zur Annahme schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinn von § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Der Kläger nehme zwar in der Justizvollzugsanstalt an einer Therapie teil‚ diese sei jedoch noch nicht abgeschlossen‚ so dass davon ausgegangen werden müsse‚ dass aufgrund der nach wie vor bestehenden Persönlichkeitsdefizite mit weiteren Straftaten‚ insbesondere gefährlichen Körperverletzungen‚ gegenüber seiner früheren Freundin oder einer künftigen Partnerin‚ falls diese sich von ihm trennen wolle‚ zu rechnen sei. Schließlich bewiesen auch sein Verhalten und seine Äußerungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht deutlich‚ dass er die in seinem bisherigen Leben begangenen Fehler noch nicht erkannt und aufgearbeitet habe. Die Ermessensentscheidung des Beklagten sei nicht zu beanstanden‚ da alle wesentlichen Gesichtspunkte in die Prüfung eingestellt und keine sachfremden Erwägungen angestellt worden seien. Die Ausweisung sei schließlich auch verhältnismäßig im Hinblick auf Art. 8 EMRK. Obwohl der Kläger als faktischer Inländer zu betrachten und im Besitz eine Niederlassungserlaubnis sei‚ sein Vater und seine Geschwister im Bundesgebiet wohnten und er seine wesentliche Prägung und Sozialisation in Deutschland erfahren habe‚ sei ihm eine Übersiedlung in die Türkei zu der dort lebenden Großmutter zuzumuten. Er werde jedenfalls in der Türkei nicht auf unüberwindbare Hindernisse stoßen. Auch die Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von drei Jahren begegne keinen rechtlichen Bedenken.

Der am 22. Juni 2010 inhaftierte Kläger wurde am 19. August 2013 nach voller Verbüßung der durch Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 2. März 2011 (s. Nr. 7) verhängten Freiheitsstrafe und mehr als hälftiger Verbüßung der durch das Amtsgericht Dillingen mit Urteil vom 4. Mai 2010 (Nr. 6) verhängten Freiheitsstrafe entlassen.

Der Kläger begründet seine mit Beschluss vom 19. Januar 2015 zugelassene Berufung in erster Linie mit dem Verweis auf den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg vom 9. August 2013‚ mit dem die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt und eine Bewährungszeit von vier Jahren angeordnet wurde. Der Kläger habe sämtliche ihm auferlegten Bewährungsauflagen erfüllt und erfülle sie immer noch. Insbesondere habe er die Therapie erfolgreich abgeschlossen‚ wohne nun zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern in G. und habe eine Ausbildung als Industriemechaniker begonnen‚ nachdem er noch während der Haft den qualifizierten Hauptschulabschluss sowie außerdem einen Staplerführerschein erworben habe. Während der Inhaftierung habe er im Rahmen eines Gewaltpräventionstrainings an zehn Einzel- und zehn Gruppensitzungen mit einem Therapeuten teilgenommen. Aus dem Beschluss vom 9. August 2013 ergebe sich‚ dass die Entlassung unter Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung angesichts der überwiegenden Wahrscheinlichkeit möglich sei‚ dass der Kläger künftig keine Straftaten mehr begehen werde. Der Kläger erfülle auch das im Hinblick auf besonders gefährliche Straftaten zu verlangende hohe Maß an Erfolgswahrscheinlichkeit wegen des erfolgreichen Therapieverlaufs‚ der damit einhergehenden Einsicht in das Tatunrecht und dessen Aufarbeitung. Außerdem bestehe offenbar keine Beziehung mehr zum Tatopfer. In der Haft habe eine deutliche Nachreifung bei beanstandungsfreier Führung stattgefunden. Nach der erstmaligen Verbüßung einer Haftstrafe müsse die Gefahrenprognose vor dem Hintergrund des Beschlusses vom 9. August 2013 zu seinen Gunsten ausgehen. Zum für die rechtliche und tatsächliche Beurteilung des angefochtenen Bescheides maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung sei klar‚ das der Kläger durch die erstmalige Inhaftierung so beeindruckt sei‚ das er künftig keine Straftaten mehr begehen werde. Bei lange andauerndem Strafvollzug komme den Umständen der Begehung der Straftaten nur noch eingeschränkte Aussagekraft zu; je länger die Freiheitsentziehung andauere‚ desto mehr Bedeutung erhielten die augenblicklichen Lebensverhältnisse der verurteilten Person für die anzustellende Prognose. Der Kläger habe sich seit seiner Haftentlassung straffrei geführt.

Der Kläger beantragt‚

das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 27. März 2013 und den Bescheid des Beklagten vom 24. Oktober 2012 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt‚

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte legte zuletzt ein Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 10. Dezember 2015 vor‚ mit dem der Kläger wegen des Vergehens des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Geldstrafe in Höhe von 140 Tagessätzen verurteilt wurde. Er war am 31. März 2015 im Rahmen einer Verkehrskontrolle wegen auffälligen Zustands seiner Pupillen aufgefordert worden‚ zur Feststellung seiner Fahrtauglichkeit einen Urintest durchzuführen. Infolge seiner Weigerung veranlasste die Polizei die richterliche Anordnung einer Blutentnahme‚ gegen die sich der Kläger zur Wehr setzte‚ so dass er zur Durchsetzung der Anordnung von fünf Polizeibeamten auf dem Boden fixiert werden musste. Währenddessen beleidigte er die anwesenden Beamten in türkischer Sprache. Im Rahmen der Strafzumessung wertete das Landgericht Dillingen sein Teilgeständnis und sein Bemühen um eine Entschuldigung in der mündlichen Verhandlung zu seinen Gunsten. Zu seinen Lasten gingen die zahlreichen Vorstrafen und der Umstand, dass er während offener Reststrafenbewährung gehandelt habe. Der Kläger habe ausweislich des mittels Blutprobe festgestellten geringen THC-Werts nicht den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit im Sinn von § 24a StVG verwirklicht. Aus der beigezogenen Bewährungsakte gehe hervor‚ das er der ihm auch nach Haftentlassung auferlegten Antigewalttherapie bei dem Therapeuten Dr. S. ambulant nachkomme. Aufgrund der Gesamtumstände werde eine Geldstrafe als noch ausreichend zur Ahndung angesehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegten Strafakten‚ die Ausländerakte sowie die Gerichtsakten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht die Anfechtungsklage abgewiesen, weil die Ausweisung den geltenden Vorschriften entspricht.

1. Die Rechtmäßigkeit der Ausweisung des Klägers ist an den im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs maßgeblichen Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG, also in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386), zu messen (1.1). Die neue Rechtslage kann ohne Verstoß gegen Art. 13 ARB 1/80 angewendet werden (1.2).

1.1 Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisung ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (vgl. z. B. BVerwG, U. v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 12). Eine während des Berufungsverfahrens bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats eingetretene Änderung der Sach- und Rechtslage ist daher zu berücksichtigen. Der Senat hat dementsprechend die streitbefangene Ausweisungsverfügung und das bestätigende verwaltungsgerichtliche Urteil mangels entgegenstehender Übergangsregelung anhand der §§ 53 ff. AufenthG in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386) zu überprüfen.

Seit dieser Rechtsänderung differenziert das Aufenthaltsgesetz nicht mehr zwischen der zwingenden Ausweisung, der Ausweisung im Regelfall und der Ermessens-ausweisung, sondern verlangt für eine Ausweisung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, die für ein Ermessen der Ausländerbehörde keinen Raum mehr lässt. Die Ausweisungsentscheidung ist durch das Gericht in vollem Umfang nachprüfbar (Welte, InfAuslR 2015, 426; Cziersky-Reis in Hofmann, Kommentar zum Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl. 2016, § 53 Rn. 30; Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Kommentar, 11. Aufl. 2016, Vorb §§ 53 - 56 Rn. 13 und § 53 Rn. 5 ff.; a.A. Marx, ZAR 2015, 245/246). Eine - wie hier - nach altem Recht verfügte Ermessensausweisung wird nach Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG in ihrer Neufassung am 1. Januar 2016 nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht, also gemäß der zentralen Ausweisungsnorm des § 53 Abs. 1 AufenthG (als Grundtatbestand; vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/4097 S. 49 f.) der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Steht dem Ausländer ein Aufenthaltsrecht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsratsabkommen vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) zu, sind an die Qualität der erforderlichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erhöhte Anforderungen zu stellen, denn er darf nach § 53 Abs. 3 AufenthG nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und wenn die Ausweisung zur Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Damit gibt die Neufassung von § 53 Abs. 3 AufenthG exakt die Voraussetzungen wieder, die nach ständiger Rechtsprechung (z. B. EuGH, U. v. 8.12.2011 - Rs. C - 371/08 Ziebell -, juris Rn. 80; BayVGH‚ U. v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris) für die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen erfüllt sein mussten.

1.2 Die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, dass dem Kläger im Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 zustand. Er kommt damit grundsätzlich in den Genuss der ihn gegenüber anderen Drittstaaten privilegierenden Vorschriften des Assoziationsratsbeschlusses, also auch des in Art. 13 ARB 1/80 enthaltenen Verschlechterungsverbots (sog. Stillhalteklausel). Danach dürfen die Mitgliedstaaten keine neuen innerstaatlichen Maßnahmen einführen, die bezwecken oder bewirken, dass die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch einen türkischen Staatsangehörigen oder einen Familienangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen unterworfen wird als denjenigen, die bei Inkrafttreten der Bestimmung am 1. Dezember 1980 in dem Mitgliedstaat galten (vgl. BVerwG, U. v. 28.4.2015 - 1 C 21. 14 - InfAuslR 2015, 327).

Allerdings bestehen auch mit Blick auf diese Bestimmung keine Bedenken gegen die Anwendung der ab 1. Januar 2016 geltenden neuen Ausweisungsvorschriften auf den Kläger als assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen. Geht man davon aus, dass Art. 13 ARB 1/80 auch im Zusammenhang mit der Änderung nationaler Ausweisungsvorschriften Gültigkeit beansprucht, obwohl diese keinen unmittelbaren Bezug zur Regelung des Arbeitsmarktzugangs aufweisen (vgl. hierzu Hailbronner, AuslR, Stand: Januar 2016, D 5.2, Art. 13 Rn. 10 f.), geht mit der Einführung des zum 1. Januar 2016 anwendbaren Ausweisungsrechts keine grundsätzliche Verschlechterung der Rechtsposition eines unter dem Schutz von Art. 14 ARB 1/80 stehenden türkischen Staatsangehörigen einher. Denn er kann auch künftig ausschließlich aus spezialpräventiven Gründen und nur dann ausgewiesen werden, wenn sein Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt (vgl. § 53 Abs. 3 AufenthG); außerdem ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, wie sich aus § 53 Abs. 3 letzter Halbsatz AufenthG und dem System von § 53 Abs. 2, §§ 54, 55 AufenthG ergibt. Dabei sind unter Abwägung der gegenläufigen Interessen alle Umstände und Besonderheiten des konkreten Einzelfalls einzustellen (Bauer in Bergmann/Dienelt, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 56 f.; bisher schon: BVerwG, U. v. 2.9.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3), so dass sich die materiellen Anforderungen, unter denen ein assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger ausgewiesen werden darf, nicht zu seinen Lasten geändert haben. Dass nach dem neuen Recht eine Ausweisung nach Betätigung des ausländerbehördlichen Ermessens nicht mehr in Betracht kommt, ist für einen betroffenen Ausländer nicht ungünstiger (Bauer in Bergmann/Dienelt, a. a. O., Rn. 59; a.A. Cziersky-Reis in Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 42), denn es lässt sich schon nicht feststellen, dass es in der Vergangenheit tatsächlich Fälle gab, in denen die Ausländerbehörde von einer eigentlich möglichen Ausweisung aus Ermessensgründen Abstand genommen hat. Im Übrigen ermöglicht das neue Ausweisungsrecht eine volle gerichtliche Kontrolle der Ausweisungsentscheidung, so dass jedenfalls in der Gesamtschau eine Verschlechterung der Rechtspositionen eines durch Art. 13, 14 ARB 1/80 geschützten türkischen Staatsangehörigen nicht feststellbar ist.

2. Die Ausweisung des Klägers ist unter Berücksichtigung des dargelegten Maßstabs rechtmäßig, weil die vom Verwaltungsgericht angenommene Gefahr der Begehung erneuter gravierender Straftaten nach wie vor gegenwärtig besteht (2.1) und nach der erforderlichen Interessenabwägung die Ausweisung für die Wahrung dieses Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist (2.2).

2.1 Gemessen an den unter 1.1 dargestellten Grundsätzen kommt der Senat zu der Bewertung, dass nach dem Gesamtbild des Klägers, das in erster Linie durch sein Verhalten gekennzeichnet ist, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass er erneut vergleichbare Straftaten begehen wird und damit gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellt. Die nach § 53 Abs. 1, 3 AufenthG vorausgesetzte erhöhte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist beim Kläger zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats in spezialpräventiver Hinsicht noch gegeben. Seine diesbezüglichen Einwendungen im Berufungsvorbringen greifen letztlich nicht durch. Die Ausweisungsentscheidung hat der Beklagte vor dem Hintergrund des nunmehr von § 53 Abs. 3 AufenthG geforderten persönlichen Verhaltens zu Recht nicht auf generalpräventive Gründe gestützt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei einer spezialpräventiven Ausweisungsentscheidung und ihrer gerichtlichen Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. z. B. BVerwG, U. v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, U. v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 33 m. w. N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (st. Rspr.; vgl. z. B. BVerwG, U. v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - Rn. 18; BayVGH, U. v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 34 und B. v. 3.3.2016 - 10 ZB 14.844 - juris). Auch der Rang des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen; an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts dürfen andererseits keine zu geringen Anforderungen gestellt werden.

Gemessen an den dargestellten Grundsätzen ist der Senat zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt zu der Überzeugung (§ 108 Abs. 1 VwGO) gelangt, dass eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Kläger erneut die öffentliche Sicherheit durch vergleichbare, insbesondere gegen die körperliche Unversehrtheit dritter Personen gerichtete Straftaten beeinträchtigen wird. Das vom Kläger insoweit geltend gemachte positive Verhalten während der Strafhaft, die dabei durchlaufene Entwicklung, weiter der Umstand, dass er erstmals eine Haftstrafe verbüßen musste, sowie die Aussagen im Bewährungsbeschlusses vom 9. August 2013, und schließlich die Erfüllung der ihm auferlegten Auflagen lassen die angenommene Wiederholungsgefahr nicht entfallen. Zu Recht hat demgegenüber das Verwaltungsgericht entscheidend darauf abgestellt, dass der Kläger eine ganze Reihe von Straftatbeständen gegenüber seiner ehemaligen Freundin und deren Angehörigen verwirklicht und dabei über einen erheblichen Zeitraum ein hohes Maß an Aggressivität an den Tag gelegt hat. Durch sein Verhalten mit sich steigernder Gewaltbereitschaft hat der Kläger Schutzgüter von hohem Rang (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) verletzt und den betroffenen Personen nicht nur körperliche, sondern auch erhebliche psychische Schäden zugefügt. Das vom Kläger ausgehende Gefährdungspotenzial berührt angesichts dessen ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die Gefahrenprognose wird auch dadurch gestützt, dass er sich in den Jahren 2003 und 2005 zweimal der vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs in massiver Weise durch rücksichtsloses Überholen schuldig gemacht hatte (vgl. Darstellung im Urteil des VG Augsburg v. 27.3.2013, S. 17, 18), wobei es einmal zu einem Frontalzusammenstoß kam. Es wurde deswegen eine Freiheitsstrafe auf Bewährung gegen ihn verhängt; die zudem ausgesprochene Entziehung der Fahrerlaubnis hat er offenbar nicht akzeptiert, wie eine weitere Verurteilung wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis beweist.

Triebfeder für das Verhalten des Klägers, das den den Anlass für die Ausweisung bildenden Taten zugrunde lag, war seine persönliche Unfähigkeit, die Beendigung der Beziehung durch seine Freundin zu akzeptieren und nicht gewaltsam auf die Rückgängigmachung ihres Entschlusses zu drängen. Die diesem Verhalten zugrunde liegende Disposition seiner Persönlichkeit hat der Kläger zwar in der Haft und auch anschließend entsprechend den ihm auferlegten Maßgaben bearbeitet; der Senat konnte gleichwohl nicht zu der Auffassung gelangen, dass der Kläger ein ähnliches Verhalten in einer vergleichbaren Situation nicht mehr zeigen wird. Zur Begründung ist insbesondere auf die neuerliche Verurteilung durch Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 10. Dezember 2015 wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu verweisen, der zwar offenbar keine aktiven Gewalthandlungen des Klägers zugrundelagen, als er sich der richterlich angeordneten Blutentnahme widersetzt hat und die Maßnahme nur nach Fixierung durch mehrere Polizeibeamte vollzogen werden konnte; auch hat er sich für sein Verhalten entschuldigt. Problematisch im Hinblick auf die hier anzustellende Gefahrenprognose ist seine in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat wiederholte Meinung, er habe ohne schriftliche richterliche Anordnung die Blutentnahme verweigern und danach handeln dürfen, weil er „im Recht gewesen“ sei. Die auch darin zum Ausdruck kommende Einstellung des Klägers lässt den Schluss zu, dass er auch künftig in bestimmten Konfliktsituationen im privaten wie im öffentlichen Raum - insbesondere wenn er sich „ungerecht behandelt fühlt“ - nach seinen eigenen rechtlichen und sonstigen Vorstellungen agieren wird und es so zu erneuten unkontrollierbaren Eskalationen für den Fall kommen kann, dass der Gegenüber nicht der Meinung des Klägers ist. In dieser Hinsicht haben die in und nach der Haft durchgeführten Therapiemaßnahmen (Persönlichkeits- und Antigewalttherapie), mit denen u. a. die vom Sachverständigen des Amtsgerichts Augsburg mit Gutachten vom 19. Dezember 2010 festgestellte erhebliche narzisstische Problematik bearbeitet werden sollte, noch keinen ausreichenden Erfolg gehabt.

Auch die im Bewährungsbeschlusses vom 9. August 2013 enthaltene Aussage, vor dem Hintergrund einer „deutlichen Nachreifung bei beanstandungsfreier Führung“ in der Haft und einer erfolgreichen Aufarbeitung der für die Straftaten maßgeblichen Defizite sei überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger künftig keine Straftaten mehr begehen werde, vermag nicht zu einer für ihn günstigen Gefahrenprognose zu führen. Bei ihrer Prognoseentscheidung sind die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte an die Feststellungen und Beurteilungen durch die Strafgerichte selbst dann nicht gebunden, wenn die Strafvollstreckungskammer zur Vorbereitung ihrer Entscheidung ein Sachverständigengutachten eingeholt hat. Bei der Frage, ob ein Strafrest nach § 57 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann, geht es um die Frage, ob die Wiedereingliederung eines inhaftierten Straftäters weiterhin im Vollzug stattfinden muss oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit in „offener Form“ inmitten der Gesellschaft verantwortet werden kann. Dabei stehen in erster Linie Gesichtspunkte der Resozialisierung im Vordergrund; zu prognostizieren ist, ob der Täter das Potenzial hat, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen. Im ausländerrechtlichen Ausweisungsverfahren geht es dagegen um die Frage, ob das Risiko eines Misserfolgs der Resozialisierung von der inländischen Gesellschaft getragen werden muss. Die ausweisungsrechtliche Prognoseentscheidung bezieht sich daher nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Denn es geht dabei um die Beurteilung, ob dem Ausländer über den Bewährungszeitraum hinaus ein straffreies Leben im Bundesgebiet möglich sein wird. Entscheidend ist, ob er im maßgeblichen Zeitpunkt auf ausreichende Integrationsfaktoren verweisen kann; die beanstandungsfreie Führung während der Haft genügt für sich genommen nicht (BVerwG, U. v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 19 f.; BayVGH, B. v. 3.3.2016 - 10 ZB 14.844 - juris).

Zu keinem anderen Ergebnis führt deshalb auch der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung mitgeteilte Umstand, dass seine Bewährung nicht infolge der letzten strafrechtlichen Verurteilung widerrufen worden sei. Die soeben dargestellten Grundsätze zur unterschiedlichen Würdigung der Gefahrenprognose im Strafvollzugsrecht einerseits und Ausweisungsrecht andererseits können auch in der Situation des trotz erneuter Verurteilung unterbliebenen Widerrufs der Bewährung angewendet werden.

Auch wenn der Kläger nunmehr offenbar seiner ehemaligen Freundin nicht mehr nachstellt und sich mit den gegen sie und ihre Angehörigen gerichteten Taten, wegen derer er verurteilt wurde, auseinandergesetzt hat, genügt dieser Umstand dem Senat für eine positive Prognose alleine noch nicht. Ohne Überwindung der für das damalige Fehlverhalten maßgeblichen Persönlichkeitsdefizite besteht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit die gegenwärtige Gefahr der Begehung gleich oder ähnlich gelagerter Straftaten.

2.2 Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage nach § 53 Abs. 1 und 3 AufenthG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausreise überwiegt und die Ausweisung auch für die Wahrung des (unter 2.1) dargestellten Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist.

Entgegen dem Vortrag im Berufungsverfahren ist die streitbefangene Ausweisung weder unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG - allerdings nicht abschließend - aufgeführten Umstände noch mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznorm des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 8 EMRK unverhältnismäßig. Der Beklagte und nachfolgend das Verwaltungsgericht haben bei der vom Kläger angegriffenen Entscheidung sämtliche entscheidungsrelevanten Gesichtspunkte berücksichtigt, die in diese Interessenabwägung einzustellen sind, und sie im Ergebnis in nicht zu beanstandender Weise gewichtet.

2.2.1 Ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse (i. S. v. § 53 Abs. 1 AufenthG) ist beim Kläger infolge seiner rechtskräftigen Verurteilung vom 2. März 2011 durch das Amtsgericht Augsburg zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gegeben. Zu seinen Gunsten ergibt sich ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, weil er eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat.

Liegen darüber hinaus weitere Lebenssachverhalte vor, die noch andere Tatbestände eines besonders schwerwiegenden oder (nur) schwerwiegenden Ausweisungs- oder Bleibeinteresses erfüllen, sind diese erst bei der nachfolgenden Abwägung der einzelfallbezogenen Umstände im Rahmen des § 53 Abs. 2 AufenthG mit dem ihnen zukommenden Gewicht zu berücksichtigen; die Annahme eines „doppelt“ oder sogar mehrfach (besonders oder nur) schwerwiegenden Interesses ist weder systematisch geboten noch von seinem Sinngehalt her vorstellbar. Eine rein quantitative Gegenüberstellung der im Rahmen der Prüfung nach §§ 54, 55 AufenthG verwirklichten typisierten Interessen widerspräche auch dem Gebot der Abwägung aller Umstände des Einzelfalls. Deshalb kommt es an dieser Stelle nicht mehr darauf an, dass infolge der weiteren Verurteilung des Klägers durch das Amtsgericht Dillingen vom 4. Mai 2010 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten auch der Tatbestand des § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG verwirklicht ist. Entsprechendes gilt für die nicht den Anlass für die Ausweisung gebenden Verurteilungen durch das Amtsgericht Dillingen (vom 16.2.2004 und vom 2.5.2006), die möglicherweise für sich alleine gesehen - also ohne Vorliegen der zeitlich nachfolgenden Verurteilungen - ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG als strafbare Handlungen, die „einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften“ darstellen, begründen könnten.

2.2.2 Liegen also nach der durch die §§ 54, 55 AufenthG vorgegebenen typisierenden Betrachtung besonders schwerwiegende Gründe vor, die sowohl für die Ausreise des Klägers aus dem Bundesgebiet als auch für seinen weiteren Verbleib sprechen, fällt die in jedem Fall auch im Rahmen des § 53 Abs. 3 AufenthG vorzunehmende umfassende Abwägung der gegenläufigen Interessen (§ 53 Abs. 1, 2 AufenthG) hier zu Ungunsten des Klägers aus; danach ist seine Ausweisung für die Wahrung des betroffenen Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich.

Bei der Abwägungsentscheidung sind sämtliche nach den Umständen des Einzelfalls maßgeblichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen, in erster Linie die Dauer des Aufenthalts, die Bindungen persönlicher, wirtschaftlicher und sonstiger Art im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat sowie die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige (§ 53 Abs. 2 AufenthG). Vor diesem Hintergrund hat das Verwaltungsgericht zu Recht darauf abgestellt, dass der Kläger ein „faktischer Inländer“ ist, der seine wesentliche Prägung und Entwicklung in Deutschland erfahren hat, und seit mehr als einem Jahrzehnt ein Daueraufenthaltsrecht im Bundesgebiet besitzt. Sämtliche nahe Verwandte, insbesondere der Vater des Klägers und seine Geschwister sowie Stiefgeschwister leben im näheren Umfeld. Allerdings hat der Kläger bisher keine eigene Familie gegründet und lebt auch nicht mehr - wie noch während der Haft geplant - mit seinem Vater zusammen, sondern hat eine eigene Wohnung. Unter dem Aspekt der Achtung des Privatlebens (Art. 8 Abs. 1, 2 EMRK) ist zu beachten, dass der Kläger eine neue Beziehung zu einer Frau eingegangen ist, über die er in der mündlichen Verhandlung berichtet hat. Zu seinen Gunsten spricht auch sein nach der Haftentlassung an den Tag gelegtes Bemühen, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, auch wenn er die zunächst begonnene Ausbildung zum Industriemechaniker abgebrochen hat. Seinen Bewährungsauflagen kommt er offensichtlich nach; er unterzieht sich nach wie vor einmal monatlich einer Persönlichkeits- und Antigewalttherapie.

Zulasten des Klägers ist insbesondere seine während offener Bewährung begangene Straftat am 31. März 2015 hervorzuheben, die auch beweist, dass ihn die erstmalige Inhaftierung offenbar doch nicht derart beeindruckt hat, dass er künftig ein straffreies Leben führen kann, wie dies in der Begründung der Berufung behauptet wird. Die erstmalige Verbüßung einer Haftstrafe ist zwar grundsätzlich geeignet, die persönliche Reifung eines Straftäters zu fördern (vgl. BayVGH, U. v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris, Rn. 44); im vorliegenden Fall ist dies jedoch vor dem Hintergrund der nach wie vor problematischen Persönlichkeitsstruktur des Klägers zu verneinen. Das mit der Therapieauflage verfolgte Ziel, dem Kläger die Mittel für ein Leben ohne Straftaten an die Hand zu geben, ist noch nicht erreicht. Es bleibt daher auch im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung bei der zentralen Bedeutung der Anlassstraftaten, mit denen er über einen langen Zeitraum ein hochaggressives Verhalten an den Tag gelegt hat, dem nicht einmal durch die erste Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung Einhalt geboten werden konnte. In diesem Zusammenhang sind auch die bereits dargestellten Straftaten des Klägers im öffentlichen Straßenverkehr zu nennen, mit denen er eine erhebliche Rücksichtslosigkeit im Hinblick auf die Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit Dritter bewiesen hat. Auch die bisherige Erwerbsbiografie des Klägers spricht nicht zu seinen Gunsten; weder weist er eine abgeschlossene Berufsausbildung auf noch ist er in der Vergangenheit über einen längeren Zeitraum hinweg einer rentenversicherungspflichtigen Tätigkeit nachgegangen, woraus im angefochtenen Urteil nachvollziehbar gefolgert wird, dass der Kläger offenbar zum Aufbau einer gesicherten wirtschaftlichen Existenz im Bundesgebiet bisher nicht in der Lage war. Auch seine nach der Haftentlassung begonnene Ausbildung konnte er nicht zum Abschluss bringen. Der Senat ist der Auffassung, dass die von ihm bisher ein knappes Jahr lang ausgeübte selbstständige Tätigkeit (Handel mit Kfz-Teilen/Altreifenentsorgung), die durch öffentlichen Leistungen zur Existenzgründung unterstützt wird, noch nicht als dauerhaft nachgewiesene berufliche Existenz angesehen werden kann.

Schließlich hat das Verwaltungsgericht auch zu Recht angenommen, dass dem volljährigen Kläger trotz seiner ausschließlichen Sozialisierung in Deutschland zuzumuten ist, in das Land seiner Staatsangehörigkeit, dessen Sprache er zumindest spricht, zu übersiedeln. Dort wird er als 32-jähriger gesunder Mann trotz fehlender Beziehungen sein Auskommen finden können. Dabei ist hervorzuheben, dass von einer gelungenen sozialen und wirtschaftlichen Integration des Klägers schon in die hiesigen Verhältnisse trotz seines lebenslangen Aufenthalts im Bundesgebiet nicht ausgegangen werden kann; insoweit relativiert sich sein Einwand, er verfüge in der Türkei über keine wirtschaftlichen Beziehungen. Dass im Verlaufe des gerichtlichen Verfahrens inzwischen offenbar auch seine Großmutter in das Bundesgebiet übersiedelt ist und der Kläger damit eigenen Angaben zufolge keine Angehörigen in der Türkei mehr besitzt, erschwert zwar eine Eingewöhnung in die neuen Lebensumstände, führt aber nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Ausweisungsentscheidung. Den Kontakt zum Bundesgebiet und seinen hier lebenden Angehörigen kann der Kläger von der Türkei aus aufrechterhalten, auch wenn dies mit erhöhten Schwierigkeiten verbunden ist.

Im Ergebnis der Gesamtabwägung stellt sich die Ausweisung als verhältnismäßige Maßnahme dar, die zur Abwehr schwerwiegender Gefahren für die verfassungsrechtlichen Schutzgüter von Leben und körperlicher Unversehrtheit unerlässlich ist.

2.3 Keinen rechtlichen Bedenken begegnet schließlich die Befristung der Wirkungen des aus der Ausweisung folgenden Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG auf drei Jahre ab dem Zeitpunkt der Ausreise (vgl. Nr. 2 des angefochtenen Bescheids, S. 18). Die Befristungsentscheidung wurde in der mündlichen Verhandlung auf eine Entscheidung nach Ermessen umgestellt, ohne dass im Übrigen der Kläger Einwände gegen die Länge der Frist erhoben hat. Auch die unter Bestimmung einer Frist erfolgte Ausreiseaufforderung und die daran anknüpfende Abschiebungsandrohung (Nr. 4 des Bescheids) sind rechtmäßig. Die Anordnung der Abschiebung aus der Strafhaft (Nr. 3 des Bescheids) ist dagegen mit der Haftentlassung des Klägers gegenstandslos geworden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Rechtsmittelbelehrung

Nach § 133 VwGO kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Beschwerde muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen. In der Beschwerdebegründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer in Prozess-kostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt nur die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen. Für die in § 67 Abs. 4 Satz 5 VwGO genannten Angelegenheiten (u. a. Verfahren mit Bezügen zu Dienst- und Arbeitsverhältnissen) sind auch die dort bezeichneten Organisationen und juristischen Personen als Bevollmächtigte zugelassen. Sie müssen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 GKG i. V. m. Nr. 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Tenor

I.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 10. Februar 2015 wird zugelassen, soweit damit Ziffer 3. des Bescheids vom 1. September 2014 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet wird, die Wirkungen der Ausweisung auf eineinhalb Jahre zu befristen (Zi. I. Satz 1 u. 2 des Urteils).

II.

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

III.

Der Kläger trägt die Kosten seines Zulassungsverfahrens.

IV.

Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 10. Februar 2015 wird der Streitwert für das Verfahren erster Instanz auf 10.000 Euro festgesetzt. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren des Klägers wird auf 5000 Euro, der Streitwert für das Berufungsverfahren vorläufig auf 5000 Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung (II.) verfolgt der Kläger seine in erster Instanz mit dem Hauptbegehren erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 1. September 2014 weiter, mit dem er unter Anordnung seiner Abschiebung aus der Haft bzw. Androhung der Abschiebung aus dem Bundesgebiet ausgewiesen wurde (Nr. 1 und 2). Die Wirkungen der Ausweisung wurden auf fünf Jahre ab Ausreise befristet (Nr. 3 Satz 1); die Befristung wurde unter dem Vorbehalt des mit mehreren Maßgaben verbundenen Nachweises dauernder Drogenfreiheit verfügt (Nr. 3 Satz 2).

Die Beklagte beantragt demgegenüber, die Berufung zuzulassen (I.), soweit mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 10. Februar 2015 die Nummer 3. des Bescheids aufgehoben und die Wirkungen der Ausweisung auf eineinhalb Jahre ab Ausreise befristet wurden (I.).

I. Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung hat Erfolg, weil an der Richtigkeit des Urteils insoweit ernstliche Zweifel bestehen (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), als das Verwaltungsgericht die Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot von fünf Jahren ab Ausreise auf eineinhalb Jahre herabgesetzt und darüber hinaus die getroffenen Nebenbestimmungen aufgehoben hat.

Die Ausführungen im angefochtenen Urteil, wonach als Orientierung für die Fristlänge die Höhe der zuletzt verhängten Freiheitsstrafe des Klägers dienen könne, steht nicht in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach bei der Bemessung der Frist im Rahmen des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG (in der bis 31.7.2015 geltenden Fassung) in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen sind und es danach einer prognostischen Einschätzung bedürfe, wie lange das Verhalten des Klägers, das der aus spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liege, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermöge (vgl. BVerwG, U. v. 14.5.2013 - 1 C 13.12 - juris Rn. 32; U. v. 25.3.2015 - 1 B 18.14 - juris Rn. 27; BayVGH, B. v. 19.5.2015 - 10 ZB 14.2019 - juris Rn. 5; B. v. 17.12.2015 - 10 ZB 15.1394 - juris). Zudem ist nach der im vorliegenden Fall maßgeblichen, zum 1. August 2015 in Kraft getretenen Änderung des § 11 AufenthG über die Länge der Frist nunmehr nach Ermessen zu entscheiden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG; a.A. VGH BW, U. v. 9.12.2015 - 11 S 1857/15 - InfAuslR 2016, 138 im Hinblick auf die systemkonform nur im Rahmen einer gebundenen Entscheidung sicherzustellende Verhältnismäßigkeit der Befristung - Revision zugelassen), während noch im angefochtenen Urteil von einer in vollem Umfang gerichtlich überprüfbaren Dauer der Befristung ausgegangen wurde (UA, S. 12, Rn. 33). Es ist auch nicht offensichtlich, dass sich die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Festsetzung der Frist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf eineinhalb Jahre aus anderen Gründen als rechtmäßig erweisen könnte. Ernstliche Zweifel an der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts zur Rechtswidrigkeit (auch) der Bedingung ergeben sich außerdem aus der zum 1. August 2015 in Kraft getretenen Erweiterung des § 11 AufenthG um Absatz 2 Satz 5, der ausdrücklich die Beifügung einer Bedingung (i. S. v. Art. 36 Abs. 2 Nr. 2 BayVwVfG) zur Befristung ermöglicht und hierfür beispielhaft eine „nachweisliche Straf- oder Drogenfreiheit“ benennt.

Die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO im Hinblick auf die Aufhebung der Bedingung wegen der von der Beklagten geltend gemachten Abweichung des angefochtenen Urteils vom im Prozesskostenhilfeverfahren ergangenen Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofsvom 21. November 2013 (19 C 13.1206) kommt schon deshalb mangels Entscheidungserheblichkeit nicht in Betracht, weil über den gerügten divergierenden Rechtssatz infolge der inzwischen eingetretenen Rechtsänderung (§ 11 Abs. 2 Satz 5 AufenthG) nicht mehr zu befinden wäre.

II. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen im Zulassungsantrag (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine Zulassung der Berufung. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne dieser Bestimmung bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hätte (BVerfG, B. v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11). Dies ist jedoch nicht der Fall.

1. Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisung des Klägers nach umfassender Ausübung des Ermessens für rechtmäßig erachtet. Es hat auf der Grundlage der §§ 53 ff. AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung (a. F.) das Vorliegen eines zwingenden Ausweisungsgrundes nach § 53 Nr. 1 AufenthG a. F. im Hinblick auf die beiden rechtskräftigen Verurteilungen des Klägers durch die Urteile des Amtsgerichts Augsburg vom 29. September 2011 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr drei Monaten (wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln und Körperverletzung) und vom 21. November 2012 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren (wegen unerlaubten Besitzes von und unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln) bejaht. Wegen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 AufenthG a. F. komme nur eine auf spezialpräventiven Gründen beruhende Ermessensentscheidung über die Ausweisung in Betracht. Sie sei rechtmäßig, weil auch in Zukunft vom Kläger eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch erneute Straftaten im Betäubungsmittelbereich (insbesondere Handeltreiben mit Heroin) drohe, so dass von ihm gegenwärtig eine Gefahr für hochrangige Schutzgüter ausgehe. Sämtlichen Straftaten lägen die nach wie vor nicht therapierte Drogensucht des nun fast 40-jährigen Klägers zugrunde. Angesichts vier erfolgloser stationärer Drogentherapien müsse davon ausgegangen werden, dass er auch in Zukunft nicht drogen- und straffrei leben könne. Die Ausweisung sei auch unter Betrachtung sämtlicher biografischen Umstände unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK nicht unverhältnismäßig. Auch der positive Verlauf der seit August 2014 andauernden Drogentherapie, deren Abschluss von zentraler Bedeutung für die Gefahrenprognose sei, lasse angesichts der bisherigen Rückfallhäufigkeit und -geschwin-digkeit noch keine positiven Schlussfolgerungen zu.

Dagegen bringt der Kläger im Zulassungsverfahren vor, die Gefahrenprognose sei unzutreffend, seine Integrationsleistungen nicht ausreichend gewürdigt und seine Eigenschaft als faktischer Inländer nicht richtig gewichtet worden. Er habe von 2005 bis 2009 ein drogenfreies bürgerliches Leben geführt, woran er nun nach mehr als dreijähriger Inhaftierung, während der er keinen Drogenrückfall gehabt habe, wieder anknüpfen wolle. Er empfinde einen erheblichen Widerwillen gegen Drogen und sei während dieser langen Haftstrafe gereift; bisher habe er nur einmal Anfang der 2000er Jahre etwa eineinhalb Jahre im Gefängnis verbracht. Seine erste Therapie habe er im Jahr 2000 nach wenigen Tagen, die zweite 2003 nach etwa fünf Monaten abgebrochen, während die dritte und vierte Therapie erfolgreich gewesen seien. Allerdings habe er anlässlich „persönlicher Niederlagen“ wieder einen Rückfall erlitten. Die letzte Verurteilung zu einer zweijährigen Haftstrafe beruhe auf einem auf Anraten seines Strafverteidigers abgegebenen falschen Geständnis, als er im Glauben, eine niedrigere Haftstrafe zu erhalten, angegeben habe, von den aufgefundenen 34,4 g Heroin habe er die Hälfte weiterverkaufen wollen, obwohl die gesamte Menge zum Eigenverbrauch gedacht gewesen sei. Schließlich sei zu rügen, dass die Ausländerbehörde der Beklagten die maßgeblichen Strafakten des Klägers nicht beigezogen habe. Ergänzend verweist der Kläger darauf, dass die unzureichende Berücksichtigung der Integrationsleistungen des Klägers bei der Ermessensausübung auch bei die Anwendung des ab 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrechts zur Rechtswidrigkeit der Ausweisung führen müssten.

2. Mit diesem Vorbringen wird aber die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Kläger dürfe grundsätzlich wegen des Vorliegens schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden, gemessen an den nunmehr maßgeblichen Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386), zuletzt geändert durch das am 17. März 2016 in Kraft getretene Gesetz zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11. März 2016 (BGBl I S. 394), im Ergebnis nicht ernsthaft in Zweifel gezogen.

2.1 Die Beurteilung, ob ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt, richtet sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsge-richts. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisung ist daher nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (vgl. z. B. BVerwG, U. v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 12), also hier der Entscheidung über den Zulassungsantrag. Rechtsänderungen während des Zulassungsverfahrens sind zu beachten; allerdings sind Änderungen der Sach- und Rechtslage grundsätzlich nur in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen relevant (Seibert in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl. 2014, § 124a Rn. 57; vgl. a. BVerwG, B. v. 15.12.2003 - 7 AV 2.03 - NVwZ 2004, 744; BayVGH, B. v. 16.3.2016 - 10 ZB 15.2109 - juris).

2.2 Der Senat hat daher die streitbefangene Ausweisungsverfügung (und das diese als rechtmäßig bestätigende verwaltungsgerichtliche Urteil) unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens mangels entgegenstehender Übergangsregelung anhand der §§ 53 ff. AufenthG in der ab 17. März 2016 gültigen Fassung des Aufenthaltsgesetzes zu überprüfen. Seit dem ab 1. Januar 2016 geltenden Rechtszustand differenziert das Aufenthaltsgesetz nicht mehr zwischen der zwingenden Ausweisung, der Ausweisung im Regelfall und der Ermessensausweisung, sondern verlangt für eine Ausweisung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, die für ein Ermessen der Ausländerbehörde keinen Raum mehr lässt. Die Ausweisungsentscheidung ist durch das Gericht in vollem Umfang nachprüfbar (Welte, InfAuslR 2015, 426; Cziersky-Reis in Hoffmann, Kommentar zum Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl. 2016, § 53 Rn. 30; Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Kommentar, 11. Aufl. 2016, Vorb §§ 53 - 56 Rn. 13 und § 53 Rn. 5 ff.; a.A. Marx, ZAR 2015, 245/246). Eine nach altem Recht nach Ausübung von Ermessen verfügte Ausweisung wird nicht infolge des Inkrafttretens der §§ 53 bis 55 AufenthG in ihrer Neufassung am 1. Januar 2016 rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht, also gemäß der zentralen Ausweisungsnorm des § 53 Abs. 1 AufenthG (als Grundtatbestand; vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/4097 S. 49 f.) der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt (BayVGH, B. v. 24.2.2016 - 10 ZB 15.2080 - juris Rn. 8).

2.3 Steht dem Ausländer - wie hier dem Kläger als türkischem Staatsangehörigen - ein Aufenthaltsrecht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) zu, sind an die Qualität der erforderlichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erhöhte Anforderungen zu stellen, denn er darf nach § 53 Abs. 3 AufenthG nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und wenn die Ausweisung zur Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Damit gibt die Neufassung von § 53 Abs. 3 AufenthG exakt die Voraussetzungen wieder, die nach ständiger Rechtsprechung (z. B. EuGH, U. v. 8.12.2011 -Rs. C - 371/08 Ziebell -, juris Rn. 80; BayVGH‚ U. v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris) für die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen erfüllt sein mussten.

Weil dem Kläger ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 zustand, kommt er grundsätzlich in den Genuss der ihn gegenüber anderen Drittstaaten privilegierenden Vorschriften des Assoziationsratsbeschlusses, also auch des in Art. 13 ARB 1/80 enthaltenen Verschlechterungsverbots (sog. Stillhalteklausel). Danach dürfen die Mitgliedstaaten keine neuen innerstaatlichen Maßnahmen einführen, die bezwecken oder bewirken, dass die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch einen türkischen Staatsangehörigen oder einen Familienangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen unterworfen wird als denjenigen, die bei Inkrafttreten der Bestimmung am 1. Dezember 1980 in dem Mitgliedstaat galten (vgl. BVerwG, U. v. 28.4.2015 - 1 C 21. 14 - InfAuslR 2015, 327). Allerdings bestehen auch mit Blick auf diese Bestimmung keine Bedenken gegen die Anwendung der ab 1. Januar 2016 geltenden neuen Ausweisungsvorschriften auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige. Geht man davon aus, dass Art. 13 ARB 1/80 auch im Zusammenhang mit der Änderung nationaler Ausweisungsvorschriften Gültigkeit beansprucht, obwohl diese keinen unmittelbaren Bezug zur Regelung des Arbeitsmarktzugangs aufweisen (vgl. hierzu Hailbronner, AuslR, Stand: Januar 2016, D 5.2, Art. 13 Rn. 10 f.), geht mit der Einführung des zum 1. Januar 2016 anwendbaren Ausweisungsrechts keine grundsätzliche Verschlechterung der Rechtsposition eines unter dem Schutz von Art. 14 ARB 1/80 stehenden türkischen Staatsangehörigen einher. Denn er kann auch künftig ausschließlich aus spezialpräventiven Gründen und nur dann ausgewiesen werden, wenn sein Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt (vgl. § 53 Abs. 3 AufenthG); außerdem ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, wie sich aus § 53 Abs. 3 letzter Halbsatz AufenthG und dem System von § 53 Abs. 2, §§ 54, 55 AufenthG ergibt. Dabei sind unter Abwägung der gegenläufigen Interessen alle Umstände und Besonderheiten des konkreten Einzelfalls einzustellen (Bauer in Bergmann/Dienelt, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 56 f.; bisher schon: BVerwG, U. v. 2.9.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3), so dass sich die materiellen Anforderungen, unter denen ein assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger ausgewiesen werden darf, nicht zu seinen Lasten geändert haben. Dass nach dem neuen Recht eine Ausweisung nach Betätigung des ausländerbehördlichen Ermessens nicht mehr in Betracht kommt, ist für einen betroffenen Ausländer nicht ungünstiger (Bauer in Bergmann/Dienelt, a. a. O., Rn. 59; a.A. Cziersky-Reis in Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 42), denn es lässt sich schon nicht feststellen, dass es in der Vergangenheit tatsächlich Fälle gab, in denen die Ausländerbehörde von einer eigentlich möglichen Ausweisung aus Ermessensgründen Abstand genommen hat. Im Übrigen ermöglicht das neue Ausweisungsrecht eine volle gerichtliche Kontrolle der Ausweisungsentscheidung, so dass jedenfalls in der Gesamtschau eine Verschlechterung der Rechtspositionen eines durch Art. 13, 14 ARB 1/80 geschützten türkischen Staatsangehörigen nicht feststellbar ist (vgl. BayVGH, U. v. 8.3.2016 - 10 B 15.180 - juris Rn. 28).

2.4 Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. z. B. BVerwG, U. v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, U. v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 33 m. w. N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (st. Rspr.; vgl. z. B. BayVGH, U. v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 34; BVerwG, U. v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - Rn. 18).

3. Gemessen an diesen Grundsätzen lassen die vom Kläger zu seinen Gunsten geltend gemachten Umstände, insbesondere seine beanstandungsfreie und grundsätzlich positiv zu bewertende Entwicklung während der Strafhaft und die Tatsache der erstmaligen Verbüßung einer langen Haftstrafe, die vom Verwaltungsgericht angenommene Wiederholungsgefahr nicht als ernstlich zweifelhaft erscheinen; vielmehr muss nach dem Verhalten des Klägers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden, dass von ihm auch künftig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, ausgeht und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (§ 53 Abs. 1, 3 AufenthG). Seine diesbezüglichen Einwendungen im Zulassungsvorbringen vermögen keine ernstlichen Zweifel an der vom Verwaltungsgericht nachvollzogenen Gefahrenprognose des Beklagten hervorzurufen.

Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. BayVGH‚ B. v. 26.11.2015 - 10 ZB 14.1800 - ; B. v. 18.7.2014 - 10 ZB 13.2440 - juris; B. v. 14.11.2012 -10 ZB 12.1172 - jeweils juris) kann von einem Fortfall der Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden‚ solange der Kläger seine (letzte) Drogentherapie nicht erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende nicht glaubhaft gemacht hat. Hiervon kann im für die maßgeblichen Umstände grundsätzlich relevanten Zeitpunkt des Ablaufs der Begründungsfrist für die Zulassung der Berufung (17. April 2015) nicht ausgegangen werden; auch zum Zeitpunkt des vorliegenden Beschlusses sind keine neuen Erkenntnisse, die die Aussicht auf ein dauerhaft drogenfreies Leben des Klägers begründen könnten, bekannt geworden, zumal die vom Bevollmächtigten angekündigte Bestätigung der Therapieeinrichtung (vgl. Schriftsatz vom 9.4.2015, S. 8) nicht nachgereicht wurde. Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet‚ dass der Kläger bereits im Alter von 14 Jahren begonnen hat, illegale Betäubungsmittel - seit dem 16. Lebensjahr auch Heroin - zu konsumieren. Die mit seiner Drogensucht einhergehende Kriminalität hat sich nicht nur auf den Erwerb und den Besitz von Betäubungsmitteln sowie das Handeltreiben bezogen, sondern bestand wiederholt in Körperverletzungsdelikten. Auch wenn man den nun fast 40-jährigen Kläger als therapiewillig und -einsichtig ansehen wollte, ist damit ein in die Zukunft gerichteter anhaltender Erfolg der letzten Therapiebemühungen in keiner Weise wahrscheinlicher geworden, wenn man bedenkt, dass er neben zahlreichen stationären Entgiftungen schon vier erfolglose Therapien hinter sich gebracht hat. Selbst wenn man die beiden in den Jahren 2002 und 2003 bereits nach kurzer Zeit abgebrochenen Therapien ausblendet, lebte er in den Zeiträumen nach den am 30. November 2005 bzw. 14. Juni 2010 abgeschlossenen Therapien für höchstens drei Jahre bzw. ein Jahr ohne Drogen. Der Vortrag, er habe ja immerhin von 2005 bis 2009 ein drogenfreies bürgerliches Leben geführt, ist zum einen unrichtig, denn der Verurteilung durch das Amtsgericht Augsburg zu einer Bewährungsstrafe mit Urteil vom 29. September 2011 lag eine bereits am 17. August 2008 begangene Gewaltstraftat zugrunde, bei der die Steuerungsfähigkeit des Klägers ausweislich der strafrichterlichen Feststellungen durch vorangegangenen Drogen- und Alkoholkonsum in erheblichem Umfang gemindert war; insbesondere aber beweisen beide Rückfalle, dass von einer dauerhaften Drogenabstinenz noch nicht ausgegangen werden kann. Hieran ändern auch nichts die für die Rückfälle gegebenen Begründungen des Klägers (aussichtslos erscheinende Lebenssituation nach Verlust des Arbeitsplatzes bzw. Trennung von der Freundin). Weil derartige Situationen auch in Zukunft wieder eintreten können, erscheint ein neuerlicher Rückfall in der entsprechenden Situation sehr wahrscheinlich. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass der Kläger die längste Haftstrafe (mehr als drei Jahre) seines bisherigen Lebens verbüßt, dabei seine Therapiewilligkeit und -fähigkeit unter Beweis gestellt und keinen Drogenrückfall erlitten hat.

Auch die die bislang nicht geglückte dauerhafte Integration des Klägers, der keine abgeschlossene Ausbildung aufweist, in die Berufswelt spricht ungeachtet der ihm vorliegenden Arbeitsangebote dafür, dass er doch wieder zu Drogen greifen könnte, sollten sich etwa im Rahmen einer Erwerbstätigkeit problematische Situationen ergeben. Vor dem dargestellten Hintergrund sieht der Senat eine nach wie vor vom Kläger ausgehende ernsthafte Gefahr für bedeutsame Schutzgüter durch die Begehung schwerwiegender, ein Grundinteresse der Gesellschaft berührender Straftaten, zu dessen Wahrung die Ausweisung unerlässlich ist (§ 53 Abs. 1, 3 AufenthG).

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat auch unter Hinweis auf die Eigenschaft des Klägers als faktischer Inländer, dessen Integrationsleistungen nicht ausreichend gewürdigt worden seien, keinen Erfolg. Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet anhand sämtlicher Umstände des Einzelfalls ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt (vgl. § 53 Abs. 2, § 54 Abs. 1 Nr. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG).

Ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresses (i. S. v. § 53 Abs. 1 AufenthG) ergibt sich aus der rechtskräftigen Verurteilung des Klägers durch das Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 21. November 2012 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Allerdings besteht demgegenüber auch ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, weil der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Liegen nach der durch die §§ 54, 55 AufenthG vorgegebenen typisierenden Betrachtung besonders schwerwiegende Gründe vor, die sowohl für die Ausreise des Klägers aus dem Bundesgebiet als auch für seinen weiteren Verbleib sprechen, fällt die in jedem Fall auch im Rahmen des § 53 AufenthG vorzunehmende umfassende Abwägung der gegenläufigen Interessen (§ 53 Abs. 1, 2 AufenthG; vgl. BayVGH, U. v. 8.3.2016 - 10 ZB 15.180 - juris) hier zu seinen Ungunsten aus.

Bei der Abwägungsentscheidung sind sämtliche nach den Umständen des Einzelfalls maßgeblichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen, in erster Linie die Dauer des Aufenthalts, die Bindungen persönlicher, wirtschaftlicher und sonstiger Art im Bundesgebiet und im Land der Staatsangehörigkeit sowie die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige. Danach hat das Verwaltungsgericht zu Recht darauf abgestellt, dass der Kläger zwar als faktischer Inländer seine wesentliche Prägung und Entwicklung in Deutschland erfahren hat und seit langem ein Daueraufenthaltsrecht im Bundesgebiet besitzt, wo auch seine nächsten Familienangehörigen - seine Mutter und Schwester, während der Vater 2010 verstorben ist - leben, wenn er auch keine Ehe führt oder Kinder hat. Demgegenüber sind jedoch zulasten des Klägers seine jahrzehntelang andauernde Straffälligkeit (vgl. im einzelnen: Strafurteil des AG Augsburg v. 21.11.2012, S. 3 bis 11), die nur vor dem Hintergrund einer zwar immer wieder bekämpften, aber letztlich nicht erfolgreich überwundenen Drogenabhängigkeit zu verstehen und zu würdigen ist. Drogenfreiheit während der Inhaftierung oder laufender Therapiemaßnahmen lässt angesichts der langjährigen Abhängigkeit ebenso wenig Rückschlüsse auf ein drogenfreie Zukunft außerhalb eines „überwachten“ Lebens zu wie der insoweit behauptete positive Wille. Zu beachten ist auch, dass der Kläger große Lücken in seiner Erwerbsbiographie aufweist, so dass von einer nachhaltigen Eingliederung in den Arbeitsmarkt trotz erfolgversprechender Ansätze nicht ausgegangen werden kann. Es ist weiter nicht ersichtlich, dass er kein Auskommen in der Türkei finden wird, auch wenn gewisse Anfangsschwierigkeiten nicht in Abrede gestellt werden können. Der Senat geht jedenfalls nicht davon aus, dass der Kläger - wie er vorträgt - „in der Türkei weder wirtschaftlich noch sozial noch emotional Fuß fassen könnte“, zumal er dort offenbar bereits 1999/2000 sechs Monate mit dem Ziel zugebracht hat, seine Drogensucht zu überwinden. Ohne Belang im Rahmen der abzuwägenden Umstände bleibt der von ihm geltend gemachte Umstand, die letzte strafrechtliche Verurteilung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln beruhe auf einem unrichtigen Geständnis; zum einen ist nämlich das entsprechende Strafurteil rechtskräftig geworden, zum anderen vermag auch die Annahme, die gesamte aufgefundene Menge an Heroin sei ausschließlich zum Eigenverbrauch und nicht zur Hälfte zum Weiterverkauf gedacht gewesen, zu keiner entscheidenden Änderung der Gesamtwürdigung der maßgeblichen Umstände zu führen.

Die Kostenentscheidung für den Zulassungsantrag des Klägers beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Kostenentscheidung für das Zulassungsverfahren der Beklagten bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 47 Abs. 1 und 3, § 39 Abs. 1, § 45 Abs. 1 Satz 2 sowie § 52 Abs. 2 GKG. Das Verwaltungsgericht hat auch über den vom Kläger hilfsweise gestellten, nach § 88 VwGO ermittelten Klageantrag, der auf Aufhebung der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gerichtet war, soweit mit ihr eine längere Frist als angemessen festgesetzt wurde, entschieden (vgl. BayVGH B. v. 8.10.2014 - 10 ZB 12.2742 - juris Rn. 59). Somit war der Wert des hilfsweise geltend gemachten Streitgegenstandes nach § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG hinzuzurechnen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Hinblick auf die Ausweisung und die Regelungen zur Abschiebung (Nr. 1 und 2 des

angefochtenen Bescheids) und im Hinblick auf den Ausschluss einer eineinhalb Jahre noch unterschreitenden Länge der Befristung (Nr. 3) rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Belehrung

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Wegen der Verpflichtung, sich im Berufungsverfahren vertreten zu lassen, wird auf die einschlägigen, jeweils geltenden Vorschriften Bezug genommen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

Hinsichtlich der im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung kann auf die Begründung des Zulassungsantrags Bezug genommen werden.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 19. November 2014 weiter. Mit diesem Bescheid wurde der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, seine Abschiebung aus der Haft in die Türkei angeordnet und die Wirkungen von Ausweisung und Abschiebung auf zehn Jahre befristet.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.

Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor. Die Berufung ist weder wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; 1.) noch wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO; 2.) zuzulassen.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils, die die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO rechtfertigen könnten, lägen nur vor, wenn der Kläger einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hätte (vgl. BVerfG, B. v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11). Dies ist jedoch nicht der Fall.

1.1 Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisung des Klägers, der vom Landgericht M. mit Urteil vom 27. September 2012 rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten wegen schweren sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen in zwei Fällen verurteilt wurde, auf der Grundlage der §§ 53 ff. AufenthG in der bis 31. Dezember 2015 geltenden Fassung (a. F.) in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 bei Vorliegen eines zwingenden Ausweisungsgrundes nach § 53 Nr. 1 AufenthG und unter der Annahme eines assoziationsrechtlich begründeten Aufenthaltsrechts nach Ausübung von Ermessen als rechtmäßig erachtet. Der Beklagte sei zutreffend von einer konkreten Wiederholungsgefahr ausgegangen, die er zum Anlass für die ausschließlich spezialpräventiv motivierte Ausweisung genommen habe. Die Ausweisung erweise sich auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der 2001 geborene Sohn des Klägers im Bundesgebiet lebe, als verhältnismäßig, zumal dessen Mutter schon seit 2004 vom Kläger geschieden sei und das alleinige Sorgerecht besitze.

Im Zulassungsverfahren trägt der Kläger vor, das Verwaltungsgericht habe nicht ausreichend berücksichtigt, dass er erstmals eine Haftstrafe verbüße und die bisherige Führung in der Haft sowie seine persönliche Entwicklung die Annahme zuließen, dass ein Rückfallrisiko des Klägers als gering einzustufen sei. Das Urteil verletze auch das Recht des Klägers auf Achtung seines Familien- und Privatlebens, da er Vater eines deutschen Kindes sei, dessen Wohl im Hinblick auf die bestehende starke emotionale Bindung die weitere Anwesenheit des Klägers im Bundesgebiet erfordere; zwar bestehe derzeit nur postalischer Kontakt zwischen Vater und Sohn, was jedoch auf die Ablehnung entsprechender Besuchsanträge zurückzuführen sei. Das Verwaltungsgericht habe auch nicht berücksichtigt, dass bei einer Haftentlassung nach 2/3 der Haftzeit das Kind immer noch minderjährig sein werde. Die Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung ergebe sich nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) auch daraus, dass der Kläger schon seit 2001 im Bundesgebiet lebe und in der Türkei keinerlei Perspektive habe. So seien in einem Fall einem im Alter von 23 Jahren eingereisten Ausländer nach einem Aufenthalt von lediglich zehn Jahren zur Unverhältnismäßigkeit einer Ausweisung führende gefestigte Bindungen zugebilligt worden. Auch das Bundesverwaltungsgericht stelle bei Ausländern, die aufgrund ihrer gesamten Entwicklung faktisch zu Inländern geworden seien und denen ein Leben im Land ihrer Staatsangehörigkeit, zu dem sie keinen Bezug mehr hätten, nicht zugemutet werden könne, eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes fest. Das Verwaltungsgericht habe die besonderen Umstände in der Person des Klägers und das Allgemeininteresse im Ergebnis fehlerhaft abgewogen; dies folge bereits aus dem Umstand, dass weder die Mutter des deutschen Sohnes des Klägers als Zeugin vom Verwaltungsgericht vernommen worden sei noch das Gutachten des Landratsamts N. - Amt für Jugend und Familie - vom 8. September 2014 hinreichend gewürdigt worden sei.

1.2 Diese Ausführungen begründen aber - gemessen an den nunmehr maßgeblichen Regelungen der §§ 53 ff.. AufenthG in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386), zuletzt geändert durch das Gesetz zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11. März 2016 (BGBl I S. 394), - keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils.

1.2.1 Die Beurteilung, ob ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt, richtet sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts. Eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ist daher zu berücksichtigen. Die Änderung der Sach- und Rechtslage ist allerdings grundsätzlich nur in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen relevant (BayVGH, B. v. 24.2.2016 - 10 ZB 15.2080 - juris; Seibert in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl. 2014, § 124a Rn. 57). Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisung ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (vgl. z. B. BVerwG, U. v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 12), also hier der Entscheidung über den Zulassungsantrag.

Der Senat hat daher die streitbefangene Ausweisung (und das angefochtene verwaltungsgerichtliche Urteil) unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens in Ermangelung einer entgegenstehenden Übergangsregelung anhand der §§ 53 ff. AufenthG in der aktuell gültigen Fassung (s. 1.2) zu überprüfen. Seit der Rechtsänderung zum 1. Januar 2016 differenziert das Aufenthaltsgesetz nicht mehr zwischen der zwingenden Ausweisung, der Ausweisung im Regelfall und der Ermessensausweisung, sondern verlangt für eine Ausweisung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, die für ein Ermessen der Ausländerbehörde keinen Raum mehr lässt. Die Ausweisungsentscheidung ist durch das Gericht in vollem Umfang nachprüfbar (Welte, InfAuslR 2015, 426; Cziersky-Reis in Hofmann, Kommentar zum Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl. 2016, § 53 Rn. 30; Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Kommentar, 11. Aufl. 2016, Vorb §§ 53 - 56 Rn. 13 und § 53 Rn. 5 ff.; a.A. Marx, ZAR 2015, 245/246). Eine - wie hier - nach altem Recht verfügte Ermessensausweisung wird nach Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG in ihrer Neufassung am1. Januar 2016 nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht, also gemäß der zentralen Ausweisungsnorm des § 53 Abs. 1 AufenthG (als Grundtatbestand; vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/4097 S. 49 f.) der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Steht dem Ausländer ein Aufenthaltsrecht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) zu, sind an die Qualität der erforderlichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erhöhte Anforderungen zu stellen, denn er darf nach § 53 Abs. 3 AufenthG nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und wenn die Ausweisung zur Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Damit gibt die Neufassung von § 53 Abs. 3 AufenthG exakt die Voraussetzungen wieder, die nach ständiger Rechtsprechung (z. B. EuGH, U. v. 8.12.2011 - Rs. C-371/08 Ziebell -, juris Rn. 80; BayVGH‚ U. v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris) für die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen erfüllt sein mussten.

Die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, dass dem Kläger im Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 zustand. Er kommt damit grundsätzlich in den Genuss der ihn gegenüber anderen Drittstaaten privilegierenden Vorschriften des Assoziationsratsbeschlusses, also auch des Verschlechterungsverbots (sog. Stillhalte-Klausel) nach Art. 13 ARB 1/80. Danach dürfen die Mitgliedstaaten keine neuen innerstaatlichen Maßnahmen einführen, die bezwecken oder bewirken, dass die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch einen türkischen Staatsangehörigen oder einen Familienangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen unterworfen wird als denjenigen, die bei Inkrafttreten der Bestimmung am 1. Dezember 1980 in dem Mitgliedstaat galten (vgl. BVerwG, U. v. 28.4.2015 - 1 C 21. 14 - InfAuslR 2015, 327).

Allerdings bestehen auch mit Blick auf diese Bestimmung keine Bedenken gegen die Anwendung der ab 1. Januar 2016 geltenden neuen Ausweisungsvorschriften auf den Kläger als assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen. Geht man davon aus, dass Art. 13 ARB 1/80 auch im Zusammenhang mit der Änderung nationaler Ausweisungsvorschriften Gültigkeit beansprucht, obwohl diese keinen unmittelbaren Bezug zur Regelung des Arbeitsmarktzugangs aufweisen (vgl. hierzu Hailbronner, AuslR, Stand: Januar 2016, D 5.2, Art. 13 Rn. 10 f.), geht mit der Einführung des zum 1. Januar 2016 anwendbaren Ausweisungsrechts keine grundsätzliche Verschlechterung der Rechtsposition eines unter dem Schutz von Art. 14 ARB 1/80 stehenden türkischen Staatsangehörigen einher. Denn er kann auch künftig ausschließlich aus spezialpräventiven Gründen und nur dann ausgewiesen werden, wenn sein Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt (vgl. § 53 Abs. 3 AufenthG); außerdem ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, wie sich aus § 53 Abs. 3 letzter Halbsatz AufenthG und dem System von § 53 Abs. 2, §§ 54, 55 AufenthG ergibt. Dabei sind unter Abwägung der gegenläufigen Interessen alle Umstände und Besonderheiten des konkreten Einzelfalls einzustellen (Bauer in Bergmann/Dienelt, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 56 f.; bisher schon: BVerwG, U. v. 2.9.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3), so dass sich die materiellen Anforderungen, unter denen ein assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger ausgewiesen werden darf, nicht zu seinen Lasten geändert haben. Dass nach dem neuen Recht eine Ausweisung nach Betätigung des ausländerbehördlichen Ermessens nicht mehr in Betracht kommt, ist für einen betroffenen Ausländer nicht ungünstiger (Bauer in Bergmann/Dienelt, a. a. O., Rn. 59; a.A. Cziersky-Reis in Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 42), denn es lässt sich schon nicht feststellen, dass es in der Vergangenheit tatsächlich Fälle gab, in denen die Ausländerbehörde von einer eigentlich möglichen Ausweisung aus Ermessensgründen Abstand genommen hat. Im Übrigen ermöglicht das neue Ausweisungsrecht eine volle gerichtliche Kontrolle der Ausweisungsentscheidung, so dass jedenfalls in der Gesamtschau eine Verschlechterung der Rechtspositionen eines durch Art. 13, 14 ARB 1/80 geschützten türkischen Staatsangehörigen nicht feststellbar ist (vgl. BayVGH, U. v. 8.3.2014 - 10 B 15.180 - juris Rn. 28).

1.2.2 Die Ausweisung des Klägers ist unter Berücksichtigung des dargelegten Maßstabs rechtmäßig, weil die vom Verwaltungsgericht angenommene Wiederholungsgefahr nach wie vor gegenwärtig besteht und nach der erforderlichen Interessenabwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls (§ 53 Abs. 1, 2 AufenthG) die Ausweisung für die Wahrung dieses Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist (§ 53 Abs. 3 AufenthG).

Der Senat sieht auch unter Anwendung des § 53 Abs. 1 AufenthG eine erhebliche Gefahr der Begehung weiterer Straftaten durch den Kläger. Bei der insoweit zutreffenden Prognose sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. zuletzt: BayVGH, B. v. 16.3.2016 - 10 ZB 15. 2.1.2009 - juris). Gemessen hieran hat das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt, dass der Kläger sich schwerster, planvoll durchgeführter Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung schuldig gemacht hat und deshalb zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde; unter den gravierenden Tatfolgen haben die beiden Opfer bis heute zu leiden. Der Kläger, dessen Revision gegen das Strafurteil vor dem Bundesgerichtshof erfolglos geblieben ist, leugnet bis heute trotz eindeutiger gegenteiliger Beweislage seine Taten; zuletzt beteuerte er in der mündlichen Verhandlung vor dem Erstgericht am 11. März 2015 seine Unschuld. Vor dem Hintergrund dieses auf die den Ausweisungsanlass bildenden Straftaten bezogenen Verhaltens kann schlechterdings nicht davon die Rede sein, dass der Kläger in der Haft eine persönliche Entwicklung in eine positive Richtung durchgemacht habe, nach der das Rückfallrisiko als „gering und klar unterdurchschnittlich einzustufen“ sei; ebensowenig kann der Gefahrenprognose entgegengehalten werden, der Kläger sei als „Erstverbüßer“ besonders beeindruckt und stelle daher keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit mehr dar. Insbesondere die in der Strafhaft begangenen Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit lassen nicht den Schluss zu, der Kläger werde nach seiner Haftentlassung keine Straftaten mehr begehen; der Kläger ging im Jahr 2012 gegen einen Psychologen der Justizvollzugsanstalt tätlich vor und beleidigte ihn, was zu einer Geldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen durch Strafbefehl des Amtsgerichts Kempten vom 27. Mai 2013 wegen Beleidigung in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung geführt hat. Mit Urteil des Amtsgerichts Straubing vom 31. Juli 2014 wurde er des Weiteren zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten wegen vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt; Hintergrund war dabei eine Auseinandersetzung mit einem Justizvollzugsbeamten. Angesichts dieser Sachlage bedarf es keiner weiteren Begründung der Gefahrenprognose.

Soweit im Zulassungsantrag behauptet wird, es müsse ein Prognosegutachten zur konkreten Gefahr der Begehung weiterer Straftaten durch den Kläger eingeholt werden, führt dieser Vortrag nicht zur Zulassung der Berufung. Bei der gerichtlichen Überprüfung der Ausweisung eines strafgerichtlich verurteilten Ausländers ist hinsichtlich der gebotenen Gefahrenprognose nicht alleine auf das Strafurteil und die diesem zugrundeliegende Straftat, sondern auf die Gesamtpersönlichkeit des Täters abzustellen. Dabei sind auch nachträgliche Entwicklungen einzubeziehen. Bei dieser Prognoseentscheidung bewegt sich das Gericht regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die den Richtern allgemein zugänglich sind. Die inmitten stehende Frage der Wiederholungsgefahr nach strafrechtlichen Verurteilungen kann daher grundsätzlich von den Gerichten regelmäßig ohne Zuziehung eines Sachverständigen beurteilt werden (vgl. BayVGH, B. v. 18.3.2015 - 10 C 14.2655 - juris Rn. 22 m. w. N.). Ein Sachverständigengutachten kann die eigene Prognoseentscheidung des Tatrichters nicht ersetzen, sondern hierfür allenfalls eine Hilfestellung bieten (BVerwG, B. v. 13.3.2009 - 1 B 20.08 - juris Rn. 5). Der Zuziehung eines Sachverständigen bedarf es nur ausnahmsweise, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände - etwa bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen - nicht ohne spezielle, dem Gericht nicht zur Verfügung stehende fachliche Kenntnisse erstellt werden kann (vgl. BVerwG, U. v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - juris Rn. 11). Ein solcher Ausnahmefall liegt beim Kläger nicht vor. Vielmehr war es dem Erstgericht möglich, eine durch das Zulassungsvorbringen nicht erschütterte Prognoseentscheidung zur Wiederholungsgefahr auch ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens zu treffen.

Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage nach § 53 Abs. 1 AufenthG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausreise überwiegt. Entgegen dem Zulassungsvorbringen ist die Ausweisung weder unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG - allerdings nicht abschließend - aufgeführten Umstände noch mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznorm des Art. 6 Abs. 1 GG oder Art. 8 EMRK unverhältnismäßig. Das Verwaltungsgericht hat sämtliche entscheidungsrelevanten Gesichtspunkte berücksichtigt, die auch in diese Interessenabwägung einzustellen sind, und sie in nicht zu beanstandender Weise gewichtet.

Ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinn von § 53 Abs. 1 AufenthG liegt beim Kläger als Folge der rechtskräftigen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten (§ 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) vor. Allerdings wiegt auch sein Bleibeinteresse im Sinn von § 53 Abs. 1 AufenthG wegen des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis im Zeitpunkt der Ausweisung und seines mehr als fünf Jahre andauernden rechtmäßigen Aufenthalts besonders schwer. Im Rahmen der erforderlichen Gesamtabwägung kommt jedoch dem Ausweisungsinteresse überwiegendes Gewicht zu, das sich insbesondere aus der (bereits dargestellten) erheblichen Gefahr, die der Kläger durch die drohende Begehung weiterer Straftaten im Bundesgebiet darstellt, ergibt. Die Ausweisung entspricht daher auch der ab 1. Januar 2016 geltenden neuen Rechtslage.

Hieran ändern auch die Ausführungen des Klägers zur Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung nichts, die keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils rechtfertigen. Der bloße Verweis auf die Urteile des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), die in Sachen Beldjoudi (U. v. 26.3.1992 - 55/1990/246/317 - InfAuslR 1994, 86), Moustaquim (U. v. 18.2.1991 - 31/1989/191/291 - InfAuslR 1991, 149), Amrollahi (U. v. 11.7.2002 - 56811/00 - Inf-AuslR 2004, 180) sowie auf den Bericht der Europäischen Kommission für Menschenrechte in Sachen Lamguindaz (InfAusR 1995, 133) reicht nicht aus, um die Feststellungen des Erstgerichts zur Bindung des Klägers an die Bundesrepublik, zur Schwere seiner Straftat und zu seinen Beziehungen in die Türkei und die darauf beruhende Abwägungsentscheidung ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Insbesondere fehlt es an einer substantiierten Darlegung, inwieweit die vom Kläger angeführten Beispiele aus der Rechtsprechung des EGMR mit der Situation des Klägers vergleichbar sind. Im Fall Beldjoudi war der ausgewiesene Ausländer mit einer Staatsangehörigen des Aufnahmestaates verheiratet, der nicht zugemutet werden konnte, mit ihm ins Ausland zu ziehen. Auch im Fall Amrollahi hatte der Beschwerdeführer eine Staatsangehörige des Aufnahmestaates geheiratet und mit ihr gemeinsame Kinder. Der Kläger hat demgegenüber schon seit langem keine eigene Kernfamilie in der Bundesrepublik mehr. Die Entscheidung im Fall Moustaquim beruht darauf, dass der Beschwerdeführer die Straftaten als Jugendlicher begangen hatte; der Kläger hingegen war bei Begehung seiner Straftaten schon mehr als 40 Jahre alt. Im Fall Lamguindaz konnte der Beschwerdeführer die Sprache seines Heimatlandes kaum verstehen und nicht lesen und schreiben (vgl. zu den vorstehend angeführten Urteilen des EGMR: BayVGH, B. v. 26.1.2015 - 10 ZB 13.898 - juris). Der Kläger dagegen spricht fließend türkisch, nachdem er mehr als die ersten 30 Jahre seines Lebens in der Türkei zugebracht und demnach seine gesamte Sozialisation dort erfahren hat. Angesichts dieses Umstandes vermag der Senat die Behauptung, er habe keinerlei Perspektiven in der Türkei, nicht nachzuvollziehen. Im Übrigen kann auch nicht davon die Rede sein, dass dem Kläger „eine Trennung von seiner Familie“ zugemutet würde; schließlich ist er bereits seit dem Jahr 2004 von seiner damaligen Ehefrau geschieden, ohne dass er seither eine familiäre Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet - auch nicht mit seinem Sohn - geführt hätte.

Unzutreffend ist auch das Zulassungsvorbringen, das Verwaltungsgericht habe das Gutachten des Landratsamts N. - Jugend und Familie - vom 8. September 2014 in seiner Entscheidung nicht ausreichend gewürdigt. Vielmehr gibt das angefochtene Urteil (UA, Rn. 31) die wesentlichen Aussagen der genannten Stellungnahme wieder, und folgert daraus in nachvollziehbarere Weise, dass der Sohn für seine Entwicklung nicht auf den Vater angewiesen sei, zumal sich die Beziehung auch künftig während der Haftzeit vor allem auf telefonische und postalische Kontakte sowie auf gelegentliche Besuche beschränken werde. Der Frage, ob der Sohn zum voraussichtlichen Zeitpunkt der Haftentlassung des Klägers noch minderjährig oder bereits volljährig sein wird, kommt nicht die ihr im Zulassungsvorbringen zugemessene Bedeutung zu, weil der derzeit bereits fast 15-jährige Sohn auch bei frühester möglicher Entlassung des Klägers zum 2/3-Zeitpunkt seine persönliche Entwicklung ohne maßgeblichen Beistand seines Vaters weitestgehend abgeschlossen haben würde. Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, muss die Ausweisung des Klägers zum heutigen Zeitpunkt als „unerlässlich“ zur Wahrung eines Grundinteresses der Gesellschaft im Hinblick auf die von ihm ausgehende Gefahr der neuerlichen Begehung schwerer und schwerster Straftaten nach Haftentlassung angesehen werden.

Schließlich führt auch der Vorwurf, das Erstgericht habe die Einvernahme der Mutter des Sohns des Klägers als Zeugin „rechtsfehlerhaft“ versäumt, nicht zur Annahme ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Ungeachtet des Umstandes, dass der Kläger die Stellung eines entsprechenden Beweisantrags in der mündlichen Verhandlung (§ 86 Abs. 2 VwGO) unterlassen hat, wird schon nicht vorgetragen, welche besonderen, bisher nicht bekannten Umstände die Mutter als Zeugin vorgetragen hätte, die für die Annahme des Bestehens einer für das Kindeswohl bedeutsamen Beziehung zwischen dem Kläger und seinem Sohn sprechen könnten. Allein der (angebliche) Wunsch von Mutter und Sohn, den Kläger künftig häufig in der Haft zu besuchen, reicht hierfür nicht aus.

Auch zeigt das Zulassungsvorbringen keine ernstlichen Zweifel hinsichtlich der Länge (10 Jahre) der im Ausweisungsbescheid festgesetzten und durch das angefochtene Urteil gebilligten Befristung der Wirkungen der Ausweisung und der (geplanten) Abschiebung auf. Der pauschale Verweis auf die bereits im Zusammenhang mit der Ausweisung gemachten Umstände, die zugunsten des Klägers sprechen, reicht hierfür nicht aus.

2. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache ( § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist schon nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend hinreichend dargelegt. Um einen auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, erläutern, weshalb die vorformulierte Frage klärungsbedürftig ist und darlegen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt.

Der Kläger hat zwar eine Rechtsfrage formuliert, indem er als klärungsbedürftig erachtet, ob die Einführung der Zulassungsberufung gegen die Stillhalte-Klausel des Art. 13 ARB 1/80 verstößt. Allerdings ist diese Frage bereits durch den Senat entschieden (BayVGH, B. v. 26.1.2015 - 10 ZB 13.898 - juris Rn. 21 ff.; zuletzt: B. v. 19. Mai 2015 - 10 ZB 15.331 - juris). Auch hat der Kläger nicht dargelegt, dass diese Frage für den konkreten Rechtsstreit überhaupt entscheidungserheblich ist. Insbesondere zeigt er nicht auf, dass die Beurteilung der Sach- und Rechtslage zu unterschiedlichen Beurteilungszeitpunkten in seinem konkreten Ausweisungsfall zu einem unterschiedlichen Ergebnis geführt hätte, er insbesondere durch die Entscheidung im Zulassungsverfahren schlechter gestellt wäre als in einem Berufungsverfahren. Der Kläger unterstellt mit seinem Zulassungsvorbringen lediglich, die Berücksichtigung der „noch zu erzielenden Ergebnisse…bezüglich der Persönlichkeit und der Gefährlichkeit“ führe in einem Berufungsverfahren dazu, dass zum dann maßgeblichen Zeitpunkt die Gefahrenprognose für ihn vorteilhafter ausfallen werde.

Schließlich hat das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen seiner Entscheidungen vom 13. Dezember 2012 und vom 14. Mai 2013 (U. v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - und U. v. 14.5.2013 - 1 C 13.12 - beide juris Rn. 34 bzw. 23) unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, U. v. 19.2.2009 - Rs. C-228/06, Soysal; U. v. 17.9.2009 - Rs. C-242/06, Sahin - beide juris Rn. 61 bzw. 67). bereits zu verfahrensrechtlichen Regelungen, die sowohl ARB-berechtigte türkische Staatsangehörige als auch Unionsbürger in gleicher Weise betreffen, entschieden, dass der Erlass oder Wegfall von solchen Regelungen nicht im Widerspruch zu den Stillhalteklauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 ZP stehe.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

Tenor

I.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich mit der Klage gegen seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet.

Der am 24. Dezember 1983 im Bundegebiet geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Sein Vater lebt mit seinen zwei Geschwistern‚ der Stiefmutter und drei Stiefgeschwistern in G.; seine Mutter ist 2006 verstorben. Der Kläger‚ der seit 19. Januar 2000 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis (jetzt: Niederlassungserlaubnis) ist‚ besitzt einen Hauptschulabschluss, hat jedoch keine Berufsausbildung abgeschlossen. In den Jahren zwischen 2001 und 2010 arbeitete er bei verschiedenen Unternehmen mit Unterbrechungen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit.

Im Bundesgebiet ist er strafrechtlich wie folgt in Erscheinung getreten:

1. Vorsätzlicher unerlaubter Besitz in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Führen und vorsätzlicher unerlaubter Einfuhr einer Schusswaffe (24.8.2000): von der Verfolgung abgesehen, § 45 Abs. 2 JGG

2. Vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs mit fahrlässiger Körperverletzung in zwei Fällen (14.12.2003): Amtsgericht Dillingen vom 16.2.2004 - Verurteilung zu 70 Tagessätzen Geldstrafe und Sperre für die Wiedererlangung der Fahrerlaubnis

3. Vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs (14.4.2005): Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 29.11.2005 - fünf Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung und Sperre für die Fahrerlaubnis

4. Sechs sachlich zusammentreffende Vergehen des vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln (29.10.2004): Amtsgericht Dillingen vom 11.1.2006 - Verwarnung und Auflage von Arbeitsleistungen

5. Vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis (27.8.2005): Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 2.5.2006 unter Einbeziehung des Urteils vom 29.11.2005 (s. 3.) - Freiheitsstrafe von sechs Monaten zwei Wochen auf Bewährung und Sperre für die Fahrerlaubnis

6. Nachstellung in Tateinheit mit Nötigung‚ Hausfriedensbruch‚ Beleidigung‚ versuchter Nötigung in Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung‚ Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung in Tatmehrheit mit Beleidigung (3.9.2009): Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 4.5.2010 - Freiheitsstrafe ein Jahr zehn Monate‚ Strafrest zur Bewährung ausgesetzt bis 27. August 2017

7. Nachstellung in zwei tateinheitlichen Fällen mit schwerer Nachstellung‚ gefährlicher Körperverletzung‚ Bedrohung‚ vorsätzlicher Körperverletzung und Nötigung sowie Beleidigung (25.4.2010): Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 2.3.2011 - Freiheitsstrafe von zwei Jahren zwei Monaten‚ Strafvollstreckung erledigt am 3. Juli 2013

Das Landratsamt belehrte den Kläger am 17. Dezember 2007 wegen der von ihm begangenen Straftaten im Hinblick auf eine mögliche Ausweisung. Den Straftaten (Nr. 6 und 7)‚ aus denen Verurteilungen zu Freiheitsstrafen ohne Aussetzung zur Bewährung resultierten‚ lag die vom Kläger mit der späteren Geschädigten vom April 2005 bis 2009 geführte Beziehung zugrunde. Da sich der Kläger mit der von ihr durchgeführten Trennung nicht abfinden wollte‚ stellte er ihr beständig nach‚ rief sie dauernd an und beleidigte sie‚ ihre Mutter und deren Freund. Trotz einer einstwei-ligen Verfügung vom 7. Juli 2009 nach dem Gewaltschutzgesetz‚ mit der dem Kläger untersagt worden war‚ sich seiner früheren Freundin zu nähern‚ ist er an sie in einer Gaststätte herangetreten und hat dort u. a. ihre ebenfalls anwesende Mutter und deren Freund mit einem Golfschläger bedroht und geschlagen. Zulasten des Klägers wurden seine Rücksichtslosigkeit und Penetranz gewertet‚ außerdem sein rücksichtsloses Vorgehen im Hinblick auf die körperliche Unversehrtheit dritter Personen. Die schlechte Sozialprognose und seine Rückfälligkeit ließen eine Bewährungsaussetzung nicht mehr zu. Der Kläger habe den Zeitraum nach der Außervollzug-setzung des Haftbefehls bis zur Hauptverhandlung für einen massiven tätlichen Angriff genutzt.

Der Verurteilung durch das Amtsgericht Augsburg vom 2. März 2011 (Nr. 7) lag ein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde. Demnach habe der Kläger seine ehemalige Freundin im Zeitraum von April bis Juni 2010 weiterhin mehrfach telefonisch kontaktiert‚ beleidigt und bedroht, außerdem zweimal mit seinem Auto verfolgt und sei des Öfteren an ihrer Wohnung vorbeigefahren. Schließlich habe er sie am 24. April 2010 an den Haaren aus ihrem Auto herausgerissen und über einen Platz gezogen. Einen Tag danach habe er seine Handlung wiederholt, außerdem mit beiden Händen um den Hals der Geschädigten gefasst und solange zugedrückt‚ bis sie Atemnot erlitten habe. Der Kläger habe sich im Laufe der Hauptverhandlung aufbrausend benommen und als das eigentliche Opfer hingestellt. Es liege bei ihm eine narzisstische Problematik vor, die mit einem unangepassten Geltungsbedürfnis und Anfälligkeit zur Kränkung einhergehe.

Der Beklagte wies den Kläger mit Bescheid vom 24. Oktober 2012 aus dem Bundesgebiet aus und befristete die Wirkung dieser Ausweisung auf drei Jahre; die Abschiebung aus der Strafhaft wurde angeordnet. Für den Fall‚ dass die Abschiebung nicht aus der Strafhaft durchgeführt werden könne‚ habe der Kläger das Bundesgebiet innerhalb eines Monats nach Eintritt der Bestandskraft des Bescheids zu verlassen‚ andernfalls die Abschiebung in die Türkei oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht werde. Da er assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger sei und damit besonderen Ausweisungsschutz genieße‚ dürfe er nur aus spezialpräventiven Gründen auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung ausgewiesen werden. Vor dem Hintergrund der über Jahre hinweg begangenen‚ schwerwiegenden Straftaten drohe die Gefahr wiederum gegen die körperliche Unversehrtheit gerichteter Straftaten. Obwohl eine Behandlung in einer sozialtherapeutischen Abteilung für Gewaltstraftäter erforderlich und auch vorgesehen sei‚ habe sie der Kläger bisher nicht aufgenommen. Die Teilnahme an einem anstaltsinternen sozialen Kompetenztraining reiche nicht aus. Die Straftaten des in vollem Umfang schuldfähigen Klägers stellten keine einmaligen Verfehlungen dar; er verfüge vor dem Hintergrund seiner narzisstischen Persönlichkeit vielmehr über ein erhebliches Gefährdungspotential. Selbst die Verurteilung zu einer Haftstrafe habe ihn nicht davon abhalten können‚ sofort nach der mündlichen Verhandlung erneut straffällig zu werden. Die Ausweisung sei auch unter Berücksichtigung der persönlichen Belange des Klägers im Hinblick auf Art. 8 EMRK verhältnismäßig. Seine Kenntnisse der türkischen Sprache würden ihm eine rasche Eingewöhnung in die türkischen Lebensverhältnisse ermöglichen.

Mit Urteil vom 27. März 2013 wies das Verwaltungsgericht Augsburg die gegen den Bescheid vom 24. Oktober 2012 gerichtete Anfechtungsklage ab. Der Kläger könne nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 ausgewiesen werden, weil sein persönliches Verhalten eine gegenwärtige und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstelle, zu dessen Wahrung die Ausweisung unerlässlich sei. Das erschreckende Maß an Aggressivität‚ das der Kläger nicht nur gegenüber seiner ehemaligen Freundin‚ sondern auch gegenüber deren Angehörigen an den Tag gelegt habe‚ stelle einen Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht dar. Die begangenen Straftaten deckten ein breites Spektrum ab‚ belegten ein außerordentlich rücksichtsloses und hartnäckiges Verhalten und erstreckten sich über einen erheblichen Zeitraum. Die in den Strafurteilen aufgezeigten charakterlichen Probleme führten zur Annahme schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinn von § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Der Kläger nehme zwar in der Justizvollzugsanstalt an einer Therapie teil‚ diese sei jedoch noch nicht abgeschlossen‚ so dass davon ausgegangen werden müsse‚ dass aufgrund der nach wie vor bestehenden Persönlichkeitsdefizite mit weiteren Straftaten‚ insbesondere gefährlichen Körperverletzungen‚ gegenüber seiner früheren Freundin oder einer künftigen Partnerin‚ falls diese sich von ihm trennen wolle‚ zu rechnen sei. Schließlich bewiesen auch sein Verhalten und seine Äußerungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht deutlich‚ dass er die in seinem bisherigen Leben begangenen Fehler noch nicht erkannt und aufgearbeitet habe. Die Ermessensentscheidung des Beklagten sei nicht zu beanstanden‚ da alle wesentlichen Gesichtspunkte in die Prüfung eingestellt und keine sachfremden Erwägungen angestellt worden seien. Die Ausweisung sei schließlich auch verhältnismäßig im Hinblick auf Art. 8 EMRK. Obwohl der Kläger als faktischer Inländer zu betrachten und im Besitz eine Niederlassungserlaubnis sei‚ sein Vater und seine Geschwister im Bundesgebiet wohnten und er seine wesentliche Prägung und Sozialisation in Deutschland erfahren habe‚ sei ihm eine Übersiedlung in die Türkei zu der dort lebenden Großmutter zuzumuten. Er werde jedenfalls in der Türkei nicht auf unüberwindbare Hindernisse stoßen. Auch die Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von drei Jahren begegne keinen rechtlichen Bedenken.

Der am 22. Juni 2010 inhaftierte Kläger wurde am 19. August 2013 nach voller Verbüßung der durch Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 2. März 2011 (s. Nr. 7) verhängten Freiheitsstrafe und mehr als hälftiger Verbüßung der durch das Amtsgericht Dillingen mit Urteil vom 4. Mai 2010 (Nr. 6) verhängten Freiheitsstrafe entlassen.

Der Kläger begründet seine mit Beschluss vom 19. Januar 2015 zugelassene Berufung in erster Linie mit dem Verweis auf den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg vom 9. August 2013‚ mit dem die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt und eine Bewährungszeit von vier Jahren angeordnet wurde. Der Kläger habe sämtliche ihm auferlegten Bewährungsauflagen erfüllt und erfülle sie immer noch. Insbesondere habe er die Therapie erfolgreich abgeschlossen‚ wohne nun zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern in G. und habe eine Ausbildung als Industriemechaniker begonnen‚ nachdem er noch während der Haft den qualifizierten Hauptschulabschluss sowie außerdem einen Staplerführerschein erworben habe. Während der Inhaftierung habe er im Rahmen eines Gewaltpräventionstrainings an zehn Einzel- und zehn Gruppensitzungen mit einem Therapeuten teilgenommen. Aus dem Beschluss vom 9. August 2013 ergebe sich‚ dass die Entlassung unter Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung angesichts der überwiegenden Wahrscheinlichkeit möglich sei‚ dass der Kläger künftig keine Straftaten mehr begehen werde. Der Kläger erfülle auch das im Hinblick auf besonders gefährliche Straftaten zu verlangende hohe Maß an Erfolgswahrscheinlichkeit wegen des erfolgreichen Therapieverlaufs‚ der damit einhergehenden Einsicht in das Tatunrecht und dessen Aufarbeitung. Außerdem bestehe offenbar keine Beziehung mehr zum Tatopfer. In der Haft habe eine deutliche Nachreifung bei beanstandungsfreier Führung stattgefunden. Nach der erstmaligen Verbüßung einer Haftstrafe müsse die Gefahrenprognose vor dem Hintergrund des Beschlusses vom 9. August 2013 zu seinen Gunsten ausgehen. Zum für die rechtliche und tatsächliche Beurteilung des angefochtenen Bescheides maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung sei klar‚ das der Kläger durch die erstmalige Inhaftierung so beeindruckt sei‚ das er künftig keine Straftaten mehr begehen werde. Bei lange andauerndem Strafvollzug komme den Umständen der Begehung der Straftaten nur noch eingeschränkte Aussagekraft zu; je länger die Freiheitsentziehung andauere‚ desto mehr Bedeutung erhielten die augenblicklichen Lebensverhältnisse der verurteilten Person für die anzustellende Prognose. Der Kläger habe sich seit seiner Haftentlassung straffrei geführt.

Der Kläger beantragt‚

das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 27. März 2013 und den Bescheid des Beklagten vom 24. Oktober 2012 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt‚

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte legte zuletzt ein Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 10. Dezember 2015 vor‚ mit dem der Kläger wegen des Vergehens des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Geldstrafe in Höhe von 140 Tagessätzen verurteilt wurde. Er war am 31. März 2015 im Rahmen einer Verkehrskontrolle wegen auffälligen Zustands seiner Pupillen aufgefordert worden‚ zur Feststellung seiner Fahrtauglichkeit einen Urintest durchzuführen. Infolge seiner Weigerung veranlasste die Polizei die richterliche Anordnung einer Blutentnahme‚ gegen die sich der Kläger zur Wehr setzte‚ so dass er zur Durchsetzung der Anordnung von fünf Polizeibeamten auf dem Boden fixiert werden musste. Währenddessen beleidigte er die anwesenden Beamten in türkischer Sprache. Im Rahmen der Strafzumessung wertete das Landgericht Dillingen sein Teilgeständnis und sein Bemühen um eine Entschuldigung in der mündlichen Verhandlung zu seinen Gunsten. Zu seinen Lasten gingen die zahlreichen Vorstrafen und der Umstand, dass er während offener Reststrafenbewährung gehandelt habe. Der Kläger habe ausweislich des mittels Blutprobe festgestellten geringen THC-Werts nicht den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit im Sinn von § 24a StVG verwirklicht. Aus der beigezogenen Bewährungsakte gehe hervor‚ das er der ihm auch nach Haftentlassung auferlegten Antigewalttherapie bei dem Therapeuten Dr. S. ambulant nachkomme. Aufgrund der Gesamtumstände werde eine Geldstrafe als noch ausreichend zur Ahndung angesehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegten Strafakten‚ die Ausländerakte sowie die Gerichtsakten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht die Anfechtungsklage abgewiesen, weil die Ausweisung den geltenden Vorschriften entspricht.

1. Die Rechtmäßigkeit der Ausweisung des Klägers ist an den im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs maßgeblichen Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG, also in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386), zu messen (1.1). Die neue Rechtslage kann ohne Verstoß gegen Art. 13 ARB 1/80 angewendet werden (1.2).

1.1 Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisung ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (vgl. z. B. BVerwG, U. v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 12). Eine während des Berufungsverfahrens bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats eingetretene Änderung der Sach- und Rechtslage ist daher zu berücksichtigen. Der Senat hat dementsprechend die streitbefangene Ausweisungsverfügung und das bestätigende verwaltungsgerichtliche Urteil mangels entgegenstehender Übergangsregelung anhand der §§ 53 ff. AufenthG in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386) zu überprüfen.

Seit dieser Rechtsänderung differenziert das Aufenthaltsgesetz nicht mehr zwischen der zwingenden Ausweisung, der Ausweisung im Regelfall und der Ermessens-ausweisung, sondern verlangt für eine Ausweisung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, die für ein Ermessen der Ausländerbehörde keinen Raum mehr lässt. Die Ausweisungsentscheidung ist durch das Gericht in vollem Umfang nachprüfbar (Welte, InfAuslR 2015, 426; Cziersky-Reis in Hofmann, Kommentar zum Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl. 2016, § 53 Rn. 30; Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Kommentar, 11. Aufl. 2016, Vorb §§ 53 - 56 Rn. 13 und § 53 Rn. 5 ff.; a.A. Marx, ZAR 2015, 245/246). Eine - wie hier - nach altem Recht verfügte Ermessensausweisung wird nach Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG in ihrer Neufassung am 1. Januar 2016 nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht, also gemäß der zentralen Ausweisungsnorm des § 53 Abs. 1 AufenthG (als Grundtatbestand; vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/4097 S. 49 f.) der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Steht dem Ausländer ein Aufenthaltsrecht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsratsabkommen vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) zu, sind an die Qualität der erforderlichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erhöhte Anforderungen zu stellen, denn er darf nach § 53 Abs. 3 AufenthG nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und wenn die Ausweisung zur Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Damit gibt die Neufassung von § 53 Abs. 3 AufenthG exakt die Voraussetzungen wieder, die nach ständiger Rechtsprechung (z. B. EuGH, U. v. 8.12.2011 - Rs. C - 371/08 Ziebell -, juris Rn. 80; BayVGH‚ U. v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris) für die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen erfüllt sein mussten.

1.2 Die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, dass dem Kläger im Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 zustand. Er kommt damit grundsätzlich in den Genuss der ihn gegenüber anderen Drittstaaten privilegierenden Vorschriften des Assoziationsratsbeschlusses, also auch des in Art. 13 ARB 1/80 enthaltenen Verschlechterungsverbots (sog. Stillhalteklausel). Danach dürfen die Mitgliedstaaten keine neuen innerstaatlichen Maßnahmen einführen, die bezwecken oder bewirken, dass die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch einen türkischen Staatsangehörigen oder einen Familienangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen unterworfen wird als denjenigen, die bei Inkrafttreten der Bestimmung am 1. Dezember 1980 in dem Mitgliedstaat galten (vgl. BVerwG, U. v. 28.4.2015 - 1 C 21. 14 - InfAuslR 2015, 327).

Allerdings bestehen auch mit Blick auf diese Bestimmung keine Bedenken gegen die Anwendung der ab 1. Januar 2016 geltenden neuen Ausweisungsvorschriften auf den Kläger als assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen. Geht man davon aus, dass Art. 13 ARB 1/80 auch im Zusammenhang mit der Änderung nationaler Ausweisungsvorschriften Gültigkeit beansprucht, obwohl diese keinen unmittelbaren Bezug zur Regelung des Arbeitsmarktzugangs aufweisen (vgl. hierzu Hailbronner, AuslR, Stand: Januar 2016, D 5.2, Art. 13 Rn. 10 f.), geht mit der Einführung des zum 1. Januar 2016 anwendbaren Ausweisungsrechts keine grundsätzliche Verschlechterung der Rechtsposition eines unter dem Schutz von Art. 14 ARB 1/80 stehenden türkischen Staatsangehörigen einher. Denn er kann auch künftig ausschließlich aus spezialpräventiven Gründen und nur dann ausgewiesen werden, wenn sein Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt (vgl. § 53 Abs. 3 AufenthG); außerdem ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, wie sich aus § 53 Abs. 3 letzter Halbsatz AufenthG und dem System von § 53 Abs. 2, §§ 54, 55 AufenthG ergibt. Dabei sind unter Abwägung der gegenläufigen Interessen alle Umstände und Besonderheiten des konkreten Einzelfalls einzustellen (Bauer in Bergmann/Dienelt, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 56 f.; bisher schon: BVerwG, U. v. 2.9.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3), so dass sich die materiellen Anforderungen, unter denen ein assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger ausgewiesen werden darf, nicht zu seinen Lasten geändert haben. Dass nach dem neuen Recht eine Ausweisung nach Betätigung des ausländerbehördlichen Ermessens nicht mehr in Betracht kommt, ist für einen betroffenen Ausländer nicht ungünstiger (Bauer in Bergmann/Dienelt, a. a. O., Rn. 59; a.A. Cziersky-Reis in Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 42), denn es lässt sich schon nicht feststellen, dass es in der Vergangenheit tatsächlich Fälle gab, in denen die Ausländerbehörde von einer eigentlich möglichen Ausweisung aus Ermessensgründen Abstand genommen hat. Im Übrigen ermöglicht das neue Ausweisungsrecht eine volle gerichtliche Kontrolle der Ausweisungsentscheidung, so dass jedenfalls in der Gesamtschau eine Verschlechterung der Rechtspositionen eines durch Art. 13, 14 ARB 1/80 geschützten türkischen Staatsangehörigen nicht feststellbar ist.

2. Die Ausweisung des Klägers ist unter Berücksichtigung des dargelegten Maßstabs rechtmäßig, weil die vom Verwaltungsgericht angenommene Gefahr der Begehung erneuter gravierender Straftaten nach wie vor gegenwärtig besteht (2.1) und nach der erforderlichen Interessenabwägung die Ausweisung für die Wahrung dieses Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist (2.2).

2.1 Gemessen an den unter 1.1 dargestellten Grundsätzen kommt der Senat zu der Bewertung, dass nach dem Gesamtbild des Klägers, das in erster Linie durch sein Verhalten gekennzeichnet ist, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass er erneut vergleichbare Straftaten begehen wird und damit gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellt. Die nach § 53 Abs. 1, 3 AufenthG vorausgesetzte erhöhte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist beim Kläger zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats in spezialpräventiver Hinsicht noch gegeben. Seine diesbezüglichen Einwendungen im Berufungsvorbringen greifen letztlich nicht durch. Die Ausweisungsentscheidung hat der Beklagte vor dem Hintergrund des nunmehr von § 53 Abs. 3 AufenthG geforderten persönlichen Verhaltens zu Recht nicht auf generalpräventive Gründe gestützt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei einer spezialpräventiven Ausweisungsentscheidung und ihrer gerichtlichen Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. z. B. BVerwG, U. v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, U. v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 33 m. w. N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (st. Rspr.; vgl. z. B. BVerwG, U. v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - Rn. 18; BayVGH, U. v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 34 und B. v. 3.3.2016 - 10 ZB 14.844 - juris). Auch der Rang des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen; an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts dürfen andererseits keine zu geringen Anforderungen gestellt werden.

Gemessen an den dargestellten Grundsätzen ist der Senat zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt zu der Überzeugung (§ 108 Abs. 1 VwGO) gelangt, dass eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Kläger erneut die öffentliche Sicherheit durch vergleichbare, insbesondere gegen die körperliche Unversehrtheit dritter Personen gerichtete Straftaten beeinträchtigen wird. Das vom Kläger insoweit geltend gemachte positive Verhalten während der Strafhaft, die dabei durchlaufene Entwicklung, weiter der Umstand, dass er erstmals eine Haftstrafe verbüßen musste, sowie die Aussagen im Bewährungsbeschlusses vom 9. August 2013, und schließlich die Erfüllung der ihm auferlegten Auflagen lassen die angenommene Wiederholungsgefahr nicht entfallen. Zu Recht hat demgegenüber das Verwaltungsgericht entscheidend darauf abgestellt, dass der Kläger eine ganze Reihe von Straftatbeständen gegenüber seiner ehemaligen Freundin und deren Angehörigen verwirklicht und dabei über einen erheblichen Zeitraum ein hohes Maß an Aggressivität an den Tag gelegt hat. Durch sein Verhalten mit sich steigernder Gewaltbereitschaft hat der Kläger Schutzgüter von hohem Rang (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) verletzt und den betroffenen Personen nicht nur körperliche, sondern auch erhebliche psychische Schäden zugefügt. Das vom Kläger ausgehende Gefährdungspotenzial berührt angesichts dessen ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die Gefahrenprognose wird auch dadurch gestützt, dass er sich in den Jahren 2003 und 2005 zweimal der vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs in massiver Weise durch rücksichtsloses Überholen schuldig gemacht hatte (vgl. Darstellung im Urteil des VG Augsburg v. 27.3.2013, S. 17, 18), wobei es einmal zu einem Frontalzusammenstoß kam. Es wurde deswegen eine Freiheitsstrafe auf Bewährung gegen ihn verhängt; die zudem ausgesprochene Entziehung der Fahrerlaubnis hat er offenbar nicht akzeptiert, wie eine weitere Verurteilung wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis beweist.

Triebfeder für das Verhalten des Klägers, das den den Anlass für die Ausweisung bildenden Taten zugrunde lag, war seine persönliche Unfähigkeit, die Beendigung der Beziehung durch seine Freundin zu akzeptieren und nicht gewaltsam auf die Rückgängigmachung ihres Entschlusses zu drängen. Die diesem Verhalten zugrunde liegende Disposition seiner Persönlichkeit hat der Kläger zwar in der Haft und auch anschließend entsprechend den ihm auferlegten Maßgaben bearbeitet; der Senat konnte gleichwohl nicht zu der Auffassung gelangen, dass der Kläger ein ähnliches Verhalten in einer vergleichbaren Situation nicht mehr zeigen wird. Zur Begründung ist insbesondere auf die neuerliche Verurteilung durch Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 10. Dezember 2015 wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu verweisen, der zwar offenbar keine aktiven Gewalthandlungen des Klägers zugrundelagen, als er sich der richterlich angeordneten Blutentnahme widersetzt hat und die Maßnahme nur nach Fixierung durch mehrere Polizeibeamte vollzogen werden konnte; auch hat er sich für sein Verhalten entschuldigt. Problematisch im Hinblick auf die hier anzustellende Gefahrenprognose ist seine in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat wiederholte Meinung, er habe ohne schriftliche richterliche Anordnung die Blutentnahme verweigern und danach handeln dürfen, weil er „im Recht gewesen“ sei. Die auch darin zum Ausdruck kommende Einstellung des Klägers lässt den Schluss zu, dass er auch künftig in bestimmten Konfliktsituationen im privaten wie im öffentlichen Raum - insbesondere wenn er sich „ungerecht behandelt fühlt“ - nach seinen eigenen rechtlichen und sonstigen Vorstellungen agieren wird und es so zu erneuten unkontrollierbaren Eskalationen für den Fall kommen kann, dass der Gegenüber nicht der Meinung des Klägers ist. In dieser Hinsicht haben die in und nach der Haft durchgeführten Therapiemaßnahmen (Persönlichkeits- und Antigewalttherapie), mit denen u. a. die vom Sachverständigen des Amtsgerichts Augsburg mit Gutachten vom 19. Dezember 2010 festgestellte erhebliche narzisstische Problematik bearbeitet werden sollte, noch keinen ausreichenden Erfolg gehabt.

Auch die im Bewährungsbeschlusses vom 9. August 2013 enthaltene Aussage, vor dem Hintergrund einer „deutlichen Nachreifung bei beanstandungsfreier Führung“ in der Haft und einer erfolgreichen Aufarbeitung der für die Straftaten maßgeblichen Defizite sei überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger künftig keine Straftaten mehr begehen werde, vermag nicht zu einer für ihn günstigen Gefahrenprognose zu führen. Bei ihrer Prognoseentscheidung sind die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte an die Feststellungen und Beurteilungen durch die Strafgerichte selbst dann nicht gebunden, wenn die Strafvollstreckungskammer zur Vorbereitung ihrer Entscheidung ein Sachverständigengutachten eingeholt hat. Bei der Frage, ob ein Strafrest nach § 57 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann, geht es um die Frage, ob die Wiedereingliederung eines inhaftierten Straftäters weiterhin im Vollzug stattfinden muss oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit in „offener Form“ inmitten der Gesellschaft verantwortet werden kann. Dabei stehen in erster Linie Gesichtspunkte der Resozialisierung im Vordergrund; zu prognostizieren ist, ob der Täter das Potenzial hat, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen. Im ausländerrechtlichen Ausweisungsverfahren geht es dagegen um die Frage, ob das Risiko eines Misserfolgs der Resozialisierung von der inländischen Gesellschaft getragen werden muss. Die ausweisungsrechtliche Prognoseentscheidung bezieht sich daher nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Denn es geht dabei um die Beurteilung, ob dem Ausländer über den Bewährungszeitraum hinaus ein straffreies Leben im Bundesgebiet möglich sein wird. Entscheidend ist, ob er im maßgeblichen Zeitpunkt auf ausreichende Integrationsfaktoren verweisen kann; die beanstandungsfreie Führung während der Haft genügt für sich genommen nicht (BVerwG, U. v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 19 f.; BayVGH, B. v. 3.3.2016 - 10 ZB 14.844 - juris).

Zu keinem anderen Ergebnis führt deshalb auch der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung mitgeteilte Umstand, dass seine Bewährung nicht infolge der letzten strafrechtlichen Verurteilung widerrufen worden sei. Die soeben dargestellten Grundsätze zur unterschiedlichen Würdigung der Gefahrenprognose im Strafvollzugsrecht einerseits und Ausweisungsrecht andererseits können auch in der Situation des trotz erneuter Verurteilung unterbliebenen Widerrufs der Bewährung angewendet werden.

Auch wenn der Kläger nunmehr offenbar seiner ehemaligen Freundin nicht mehr nachstellt und sich mit den gegen sie und ihre Angehörigen gerichteten Taten, wegen derer er verurteilt wurde, auseinandergesetzt hat, genügt dieser Umstand dem Senat für eine positive Prognose alleine noch nicht. Ohne Überwindung der für das damalige Fehlverhalten maßgeblichen Persönlichkeitsdefizite besteht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit die gegenwärtige Gefahr der Begehung gleich oder ähnlich gelagerter Straftaten.

2.2 Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage nach § 53 Abs. 1 und 3 AufenthG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausreise überwiegt und die Ausweisung auch für die Wahrung des (unter 2.1) dargestellten Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist.

Entgegen dem Vortrag im Berufungsverfahren ist die streitbefangene Ausweisung weder unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG - allerdings nicht abschließend - aufgeführten Umstände noch mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznorm des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 8 EMRK unverhältnismäßig. Der Beklagte und nachfolgend das Verwaltungsgericht haben bei der vom Kläger angegriffenen Entscheidung sämtliche entscheidungsrelevanten Gesichtspunkte berücksichtigt, die in diese Interessenabwägung einzustellen sind, und sie im Ergebnis in nicht zu beanstandender Weise gewichtet.

2.2.1 Ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse (i. S. v. § 53 Abs. 1 AufenthG) ist beim Kläger infolge seiner rechtskräftigen Verurteilung vom 2. März 2011 durch das Amtsgericht Augsburg zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gegeben. Zu seinen Gunsten ergibt sich ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, weil er eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat.

Liegen darüber hinaus weitere Lebenssachverhalte vor, die noch andere Tatbestände eines besonders schwerwiegenden oder (nur) schwerwiegenden Ausweisungs- oder Bleibeinteresses erfüllen, sind diese erst bei der nachfolgenden Abwägung der einzelfallbezogenen Umstände im Rahmen des § 53 Abs. 2 AufenthG mit dem ihnen zukommenden Gewicht zu berücksichtigen; die Annahme eines „doppelt“ oder sogar mehrfach (besonders oder nur) schwerwiegenden Interesses ist weder systematisch geboten noch von seinem Sinngehalt her vorstellbar. Eine rein quantitative Gegenüberstellung der im Rahmen der Prüfung nach §§ 54, 55 AufenthG verwirklichten typisierten Interessen widerspräche auch dem Gebot der Abwägung aller Umstände des Einzelfalls. Deshalb kommt es an dieser Stelle nicht mehr darauf an, dass infolge der weiteren Verurteilung des Klägers durch das Amtsgericht Dillingen vom 4. Mai 2010 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten auch der Tatbestand des § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG verwirklicht ist. Entsprechendes gilt für die nicht den Anlass für die Ausweisung gebenden Verurteilungen durch das Amtsgericht Dillingen (vom 16.2.2004 und vom 2.5.2006), die möglicherweise für sich alleine gesehen - also ohne Vorliegen der zeitlich nachfolgenden Verurteilungen - ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG als strafbare Handlungen, die „einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften“ darstellen, begründen könnten.

2.2.2 Liegen also nach der durch die §§ 54, 55 AufenthG vorgegebenen typisierenden Betrachtung besonders schwerwiegende Gründe vor, die sowohl für die Ausreise des Klägers aus dem Bundesgebiet als auch für seinen weiteren Verbleib sprechen, fällt die in jedem Fall auch im Rahmen des § 53 Abs. 3 AufenthG vorzunehmende umfassende Abwägung der gegenläufigen Interessen (§ 53 Abs. 1, 2 AufenthG) hier zu Ungunsten des Klägers aus; danach ist seine Ausweisung für die Wahrung des betroffenen Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich.

Bei der Abwägungsentscheidung sind sämtliche nach den Umständen des Einzelfalls maßgeblichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen, in erster Linie die Dauer des Aufenthalts, die Bindungen persönlicher, wirtschaftlicher und sonstiger Art im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat sowie die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige (§ 53 Abs. 2 AufenthG). Vor diesem Hintergrund hat das Verwaltungsgericht zu Recht darauf abgestellt, dass der Kläger ein „faktischer Inländer“ ist, der seine wesentliche Prägung und Entwicklung in Deutschland erfahren hat, und seit mehr als einem Jahrzehnt ein Daueraufenthaltsrecht im Bundesgebiet besitzt. Sämtliche nahe Verwandte, insbesondere der Vater des Klägers und seine Geschwister sowie Stiefgeschwister leben im näheren Umfeld. Allerdings hat der Kläger bisher keine eigene Familie gegründet und lebt auch nicht mehr - wie noch während der Haft geplant - mit seinem Vater zusammen, sondern hat eine eigene Wohnung. Unter dem Aspekt der Achtung des Privatlebens (Art. 8 Abs. 1, 2 EMRK) ist zu beachten, dass der Kläger eine neue Beziehung zu einer Frau eingegangen ist, über die er in der mündlichen Verhandlung berichtet hat. Zu seinen Gunsten spricht auch sein nach der Haftentlassung an den Tag gelegtes Bemühen, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, auch wenn er die zunächst begonnene Ausbildung zum Industriemechaniker abgebrochen hat. Seinen Bewährungsauflagen kommt er offensichtlich nach; er unterzieht sich nach wie vor einmal monatlich einer Persönlichkeits- und Antigewalttherapie.

Zulasten des Klägers ist insbesondere seine während offener Bewährung begangene Straftat am 31. März 2015 hervorzuheben, die auch beweist, dass ihn die erstmalige Inhaftierung offenbar doch nicht derart beeindruckt hat, dass er künftig ein straffreies Leben führen kann, wie dies in der Begründung der Berufung behauptet wird. Die erstmalige Verbüßung einer Haftstrafe ist zwar grundsätzlich geeignet, die persönliche Reifung eines Straftäters zu fördern (vgl. BayVGH, U. v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris, Rn. 44); im vorliegenden Fall ist dies jedoch vor dem Hintergrund der nach wie vor problematischen Persönlichkeitsstruktur des Klägers zu verneinen. Das mit der Therapieauflage verfolgte Ziel, dem Kläger die Mittel für ein Leben ohne Straftaten an die Hand zu geben, ist noch nicht erreicht. Es bleibt daher auch im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung bei der zentralen Bedeutung der Anlassstraftaten, mit denen er über einen langen Zeitraum ein hochaggressives Verhalten an den Tag gelegt hat, dem nicht einmal durch die erste Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung Einhalt geboten werden konnte. In diesem Zusammenhang sind auch die bereits dargestellten Straftaten des Klägers im öffentlichen Straßenverkehr zu nennen, mit denen er eine erhebliche Rücksichtslosigkeit im Hinblick auf die Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit Dritter bewiesen hat. Auch die bisherige Erwerbsbiografie des Klägers spricht nicht zu seinen Gunsten; weder weist er eine abgeschlossene Berufsausbildung auf noch ist er in der Vergangenheit über einen längeren Zeitraum hinweg einer rentenversicherungspflichtigen Tätigkeit nachgegangen, woraus im angefochtenen Urteil nachvollziehbar gefolgert wird, dass der Kläger offenbar zum Aufbau einer gesicherten wirtschaftlichen Existenz im Bundesgebiet bisher nicht in der Lage war. Auch seine nach der Haftentlassung begonnene Ausbildung konnte er nicht zum Abschluss bringen. Der Senat ist der Auffassung, dass die von ihm bisher ein knappes Jahr lang ausgeübte selbstständige Tätigkeit (Handel mit Kfz-Teilen/Altreifenentsorgung), die durch öffentlichen Leistungen zur Existenzgründung unterstützt wird, noch nicht als dauerhaft nachgewiesene berufliche Existenz angesehen werden kann.

Schließlich hat das Verwaltungsgericht auch zu Recht angenommen, dass dem volljährigen Kläger trotz seiner ausschließlichen Sozialisierung in Deutschland zuzumuten ist, in das Land seiner Staatsangehörigkeit, dessen Sprache er zumindest spricht, zu übersiedeln. Dort wird er als 32-jähriger gesunder Mann trotz fehlender Beziehungen sein Auskommen finden können. Dabei ist hervorzuheben, dass von einer gelungenen sozialen und wirtschaftlichen Integration des Klägers schon in die hiesigen Verhältnisse trotz seines lebenslangen Aufenthalts im Bundesgebiet nicht ausgegangen werden kann; insoweit relativiert sich sein Einwand, er verfüge in der Türkei über keine wirtschaftlichen Beziehungen. Dass im Verlaufe des gerichtlichen Verfahrens inzwischen offenbar auch seine Großmutter in das Bundesgebiet übersiedelt ist und der Kläger damit eigenen Angaben zufolge keine Angehörigen in der Türkei mehr besitzt, erschwert zwar eine Eingewöhnung in die neuen Lebensumstände, führt aber nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Ausweisungsentscheidung. Den Kontakt zum Bundesgebiet und seinen hier lebenden Angehörigen kann der Kläger von der Türkei aus aufrechterhalten, auch wenn dies mit erhöhten Schwierigkeiten verbunden ist.

Im Ergebnis der Gesamtabwägung stellt sich die Ausweisung als verhältnismäßige Maßnahme dar, die zur Abwehr schwerwiegender Gefahren für die verfassungsrechtlichen Schutzgüter von Leben und körperlicher Unversehrtheit unerlässlich ist.

2.3 Keinen rechtlichen Bedenken begegnet schließlich die Befristung der Wirkungen des aus der Ausweisung folgenden Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG auf drei Jahre ab dem Zeitpunkt der Ausreise (vgl. Nr. 2 des angefochtenen Bescheids, S. 18). Die Befristungsentscheidung wurde in der mündlichen Verhandlung auf eine Entscheidung nach Ermessen umgestellt, ohne dass im Übrigen der Kläger Einwände gegen die Länge der Frist erhoben hat. Auch die unter Bestimmung einer Frist erfolgte Ausreiseaufforderung und die daran anknüpfende Abschiebungsandrohung (Nr. 4 des Bescheids) sind rechtmäßig. Die Anordnung der Abschiebung aus der Strafhaft (Nr. 3 des Bescheids) ist dagegen mit der Haftentlassung des Klägers gegenstandslos geworden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Rechtsmittelbelehrung

Nach § 133 VwGO kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Beschwerde muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen. In der Beschwerdebegründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer in Prozess-kostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt nur die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen. Für die in § 67 Abs. 4 Satz 5 VwGO genannten Angelegenheiten (u. a. Verfahren mit Bezügen zu Dienst- und Arbeitsverhältnissen) sind auch die dort bezeichneten Organisationen und juristischen Personen als Bevollmächtigte zugelassen. Sie müssen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 GKG i. V. m. Nr. 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner.

III.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgen die Kläger ihre in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 28. Juni 2013 weiter, mit dem die Beklagte den Kläger (zu 1.) aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, ihm die Wiedereinreise für (zunächst) acht Jahre untersagt und die Abschiebung aus der Haft nach Albanien angeordnet bzw. bei nicht fristgerechter Ausreise nach Haftentlassung angedroht hat.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne dieser Bestimmung bestünden dann, wenn die Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11). Das ist jedoch nicht der Fall.

Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisung des Klägers für rechtmäßig erachtet. Es hat auf der Grundlage der §§ 53 ff. AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung bei Vorliegen eines zwingenden Ausweisungsgrundes nach § 53 Nr. 1 AufenthG (durch die rechtskräftige Verurteilung des Klägers vom 24.11.2011 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten) und eines besonderen Ausweisungsschutzes beim Kläger nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 4 AufenthG anhand der gesetzlichen Regel des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG bejaht. Dabei ist es in spezialpräventiver Hinsicht davon ausgegangen, dass beim Kläger auch in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen ernsthaft drohe und damit von ihm eine bedeutende Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgehe. Daneben hat das Verwaltungsgericht schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auch im Hinblick auf die generalpräventiv begründete Ausweisung des Klägers wegen der besonders schwerwiegenden Straftaten (schwerer Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung) bejaht. Ausgehend von einem gleitenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris) hat das Verwaltungsgericht bei seiner Prognose entscheidend darauf abgestellt, dass der Kläger in einem relativ kurzen Zeitraum (2005 bis 2008) mehrere schwere Gewaltdelikte begangen habe. Nach der am 5. bzw. 6. Januar 2005 begangenen Vergewaltigung habe er in noch offener Bewährungszeit am 16. November 2007 einen schweren Raub begangen, bei dem das gefesselte Opfer (mit überklebtem Mund) über mehrere Stunden in hilfloser Lage belassen worden sei, wobei nach den Feststellungen des Strafurteils eine abstrakte Lebensgefahr für das Opfer bestanden habe. Nach dieser Tat und einer längeren Untersuchungshaft habe er nur zwei Monate nach dem in erster Instanz am 12. September 2008 erfolgten Freispruch aus nichtigem Anlass seine damalige Freundin geschlagen und erheblich verletzt und damit sein hohes Gewaltpotenzial erneut bewiesen. Die erforderliche Auseinandersetzung mit seinen Taten sei durch den Kläger bis heute nicht erfolgt. Die gute Führung in der Strafhaft stehe der Annahme der Wiederholungsgefahr nicht entgegen. Auch der Umstand, dass der Kläger seit dem 30. November 2008 nicht mehr straffällig geworden sei, beseitige angesichts seiner Haftzeiten und der ihm nach Aufhebung des erstinstanzlichen freisprechenden Urteils durch den Bundesgerichtshof mit Urteil vom 18. August 2009 drohenden weiteren Verurteilung (wegen des Raubes) die Wiederholungsgefahr nicht.

Dagegen bringt der Kläger im Zulassungsverfahren vor, von ihm gehe gegenwärtig keine ernsthafte Gefahr für ein bedeutsames Schutzgut mehr aus. Er habe die Anlasstat im Alter von 23 Jahren begangen, sei aufgrund seines Alters in hohem Maße beeinflussbar gewesen, habe aber auch als junger Mann noch ein hohes Entwicklungspotenzial, weshalb seine Entwicklung während der Zeit des Strafvollzuges in besonderem Maße zu berücksichtigen sei. Er habe sich im Strafvollzug ausgezeichnet geführt, am 12. Dezember 2012 in der Justizvollzugsanstalt geheiratet und die Erfahrung gemacht, dass er trotz seiner Fehler in der Vergangenheit von seiner Ehefrau angenommen und gebraucht werde. Dies habe bei ihm einen Prozess der Reue und des Umdenkens in Gang gesetzt, weshalb er künftig seiner Verantwortung als Ehemann gerecht werden und keine Straftaten mehr begehen wolle. Er habe nach seiner Haftzeit eine unbefristete Arbeitsstelle in einem Café in Aussicht. Er habe in der Justizvollzugsanstalt erfolgreich an einem Rehabilitationsprogramm teilgenommen und Kompetenzen für ein zukünftiges straffreies Verhalten entwickelt. Auch der Umstand, dass es sich bei ihm um einen sogenannten Erstverbüßer handle, sei bei der Prognose nach ständiger Rechtsprechung besonders zu berücksichtigen. Berücksichtige man weiterhin seine familiären Bindungen zur Mutter und seiner Schwester, könne nicht vom Bestehen einer konkreten Wiederholungsgefahr ausgegangen werden. Greife die Ausweisung wie in seinem Fall in den Schutzbereich von Art. 8 EMRK ein, scheide die Generalprävention als Ausweisungszweck grundsätzlich aus. Dies habe das Verwaltungsgericht (ebenfalls) verkannt.

Ergänzend dazu verweist der Kläger auf das von ihm vorgelegte, im Auftrag der zuständigen Strafvollstreckungskammer erstellte forensisch-psychiatrische Sachverständigengutachten vom 12. Dezember 2015, wonach - unter bestimmten Prämissen - beim Kläger die durch die Taten zutage getretene Gefährlichkeit nicht mehr weiter bestehe.

Mit diesem Vorbringen wird aber die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Kläger dürfe grundsätzlich wegen des Vorliegens schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden, gemessen an den nunmehr maßgeblichen Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386) im Ergebnis nicht ernsthaft in Zweifel gezogen.

Die Beurteilung, ob ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt, richtet sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts. Eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ist daher zu berücksichtigen. Die Änderung der Sach- und Rechtslage ist allerdings grundsätzlich nur in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen relevant (Seibert in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl. 2014, § 124a Rn. 57; vgl. auch BVerwG, B.v. 15.12.2003 - 7 AV 2.03 - NVwZ 2004, 744). Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisung ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (vgl. z. B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 12), also hier der Entscheidung über den Zulassungsantrag; Rechtsänderungen während des Zulassungsverfahrens sind zu beachten.

Der Senat hat daher die streitbefangene Ausweisungsverfügung (und das diese als rechtmäßig bestätigende verwaltungsgerichtliche Urteil) unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens mangels entgegenstehender Übergangsregelung anhand der §§ 53 ff. AufenthG in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386) zu überprüfen. Seit dieser Rechtsänderung differenziert das Aufenthaltsgesetz nicht mehr zwischen der zwingenden Ausweisung, der Ausweisung im Regelfall und der Ermessensausweisung, sondern verlangt für eine Ausweisung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, die für ein Ermessen der Ausländerbehörde keinen Raum mehr lässt. Die Ausweisungsentscheidung ist durch das Gericht in vollem Umfang nachprüfbar (Welte, InfAuslR 2015, 426; Cziersky/Reis in Hoffmann, Kommentar zum Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl. 2016, § 53 Rn. 30; Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Kommentar, 11. Aufl. 2016, Vorb §§ 53 - 56 Rn. 13 und § 53 Rn. 5 ff.; a.A. Marx, ZAR 2015, 245/246). Eine nach altem Recht verfügte (Ermessens-)Ausweisung wird nach Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG in ihrer Neufassung am1. Januar 2016 nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht, also gemäß der zentralen Ausweisungsnorm des § 53 Abs. 1 AufenthG (als Grundtatbestand; vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/4097 S. 49 f.) der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

Die nach § 53 Abs. 1 AufenthG vorausgesetzte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist unabhängig davon, dass eine Ausweisungsentscheidung - wie vorliegend erfolgt - nach § 53 Abs. 1 AufenthG grundsätzlich (auch) auf generalpräventive Gründe gestützt werden kann (vgl. Bauer, a. a. O., § 53 Rn. 34 unter Verweis auf die diesbezügliche ausdrückliche Entscheidung des Gesetzgebers; zur Zulässigkeit der Ausweisung allein aus generalpräventiven Gründen auch bei nachhaltig „verwurzelten“ Ausländern vgl. BVerwG, U.v. 14.2.2012 - 1 C 7.11 - juris), beim Kläger zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs auch in spezialpräventiver Hinsicht noch gegeben. Seine diesbezüglichen Einwendungen im Zulassungsvorbringen greifen letztlich nicht durch.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. z. B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 33 m. w. N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (st. Rspr.; vgl. z. B. BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 34; BVerwG, U.v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - Rn. 18).

Gemessen an diesen Grundsätzen kommt der Senat zum maßgeblichen Zeitpunkt seiner Entscheidung zu der Bewertung, dass nach dem Verhalten des Klägers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass er erneut durch vergleichbare Gewaltstraftaten die öffentliche Sicherheit beeinträchtigt. Das vom Kläger insoweit vor allem geltend gemachte Nachtatverhalten, seine beanstandungsfreie und grundsätzlich positiv zu bewertende Entwicklung während der Strafhaft, aber auch der Umstand der erstmaligen Verbüßung einer langen Haftstrafe lassen die vom Verwaltungsgericht angenommene Wiederholungsgefahr ebenso wenig entfallen wie der von ihm behauptete gute soziale Empfangsraum nach Beendigung der Haft. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht entscheidend darauf abgestellt, dass der Kläger mehrere gravierende Straftaten mit sich steigernder Gewaltbereitschaft begangen hat und sich dabei weder von einer Untersuchungshaft noch von den ihm angedrohten ausländerrechtlichen Konsequenzen hat beeindrucken lassen, sondern vielmehr den zuletzt abgeurteilten schweren Raub noch während laufender Bewährungszeit begangen hat. Ebenso hat das Erstgericht zutreffend festgestellt, dass angesichts der Verurteilung des Klägers wegen schweren Raubes und gefährlicher Körperverletzung sowie der vorangegangenen Verurteilungen wegen Vergewaltigung und vorsätzlicher Körperverletzung Schutzgüter von besonders hohem Rang (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) betroffen sind und für das Opfer des Raubes am 16. November 2007 sogar abstrakte Lebensgefahr bestanden hat.

Auch das im Auftrag der zuständigen Strafvollstreckungskammer erstellte forensisch-psychiatrische Sachverständigengutachten (über den Kläger) vom 12. Dezember 2015 rechtfertigt nicht, eine Wiederholungsgefahr beim Kläger zu verneinen. Bei ihrer Prognoseentscheidung sind die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich nicht gebunden. Letzteres gilt selbst dann, wenn die Strafvollstreckungskammer zur Vorbereitung ihrer Entscheidung ein Sachverständigengutachten eingeholt hat. Denn auch dieses orientiert sich inhaltlich an den materiellen strafrechtlichen Voraussetzungen einer Aussetzungsentscheidung (vgl. z. B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18). Bei Aussetzungsentscheidungen nach § 57 StGB geht es um die Frage, ob die Wiedereingliederung eines in Haft befindlichen Straftäters weiter im Vollzug stattfinden muss oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit gegebenenfalls unter Auflagen „offen“ inmitten der Gesellschaft verantwortet werden kann. Bei dieser Entscheidung stehen naturgemäß vor allem Resozialisierungsgesichtspunkte im Vordergrund; zu ermitteln ist, ob der Täter das Potenzial hat, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen. Demgegenüber geht es im ausländerrechtlichen Ausweisungsverfahren um die Frage, ob das Risiko eines Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft im Herkunftsstaat des Ausländers getragen werden muss. Die der Ausweisung zugrunde liegende Prognoseentscheidung bezieht sich folglich nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Denn es geht hier um die Beurteilung, ob es dem Ausländer gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen. Entscheidend ist, ob er im maßgeblichen Zeitpunkt auf tatsächlich vorhandene Integrationsfaktoren verweisen kann; die beanstandungsfreie Führung während der Haft ist nur ein solcher Faktor, genügt aber für sich genommen nicht (BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 19 f.).

Folglich kann das vorgelegte Sachverständigengutachten für die gerichtliche Prognoseentscheidung allenfalls eine Hilfestellung bieten und zur Unterstützung der letztlich maßgeblichen richterlichen Überzeugungsbildung über das Bestehen einer Wiederholungsgefahr in Betracht kommen (vgl. BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 35). Die auf die vorzeitige bedingte Entlassung des Klägers bezogene Prognose in diesem Gutachten, dass beim Kläger die durch die Taten zu Tage getretene Gefährlichkeit nicht mehr weiter bestehe, wird von der Gutachterin allerdings nur unter den Prämissen angestellt, dass er in Deutschland verbleiben könne und der anvisierte soziale Empfangsraum mit einer psychotherapeutischen Begleitung und Drogenscreenings umgesetzt werden könne. Weiter spricht das Gutachten von „erforderlichen haltgebenden Strukturen“, die beim Kläger „für eine straffreie Zukunft unbedingt erforderlich sind“. Schließlich erscheint es der Gutachterin notwendig, innerhalb der (weiter erforderlichen) therapeutischen Einzelgespräche „auf die vom Kläger verdrängten, abgewehrten bzw. schambesetzten Handlungen bezüglich seiner Straftaten zu fokussieren, um seine Weichzeichnungen nicht als mögliche Bagatellisierungen zu belassen“. Letzteres bezieht sich offensichtlich darauf, dass der Kläger bei seinen abgeurteilten Gewaltstraftaten entweder zu seinen Taten selbst keine Angaben gemacht oder die Taten in völlig unangemessener Weise bagatellisiert hat. Dieser Hang zur Bagatellisierung ist auch noch aus den entsprechenden Angaben des Klägers zu seinen Straftaten gegenüber der Gutachterin eindeutig zu erkennen. Für den Senat ist dies aber ein wichtiges Indiz dafür, dass er sich mit seinen Taten immer noch nicht wirklich ernsthaft auseinandergesetzt und die volle Verantwortung dafür übernommen hat. Die Behauptung, er bereue seine Taten aufrichtig, wird dadurch jedenfalls ernsthaft erschüttert. Für die längerfristig angelegte ausländerrechtliche Prognose ist dies ein ungünstiger Aspekt.

Auch die Tatsache, dass der Kläger erstmals eine langjährige Haftstrafe verbüßt, spricht nicht gegen das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr. Zwar kann - worauf er hingewiesen hat - die erstmalige Verbüßung einer (längeren) Haftstrafe, insbesondere als erste massive Einwirkung auf einen jungen Menschen, unter Umständen seine Reifung fördern und die Gefahr eines neuen Straffälligwerdens mindern (st. Rspr.; vgl. z. B. BayVGH, B.v. 24.2.2016 - 10 ZB 15.2080 - juris Rn. 12 m. w. N.). Demgegenüber hat die Beklagte aber zu Recht darauf verwiesen, dass der Kläger in der Vergangenheit nicht nur zweimal während offener Bewährung erneut gravierende Straftaten begangen hat, sondern sich auch von einer 6-monatigen Untersuchungshaft nicht hat beeindrucken lassen; nur ca. zwei Monate nach der Entlassung aus dieser Untersuchungshaft infolge eines (zunächst) freisprechenden Urteils des Landgerichts M. II hat er eine vorsätzliche Körperverletzung begangen, indem er seiner früheren Freundin aus nichtigem Anlass mehrfach mit der Faust und der flachen Hand bzw. der Rückhand ins Gesicht geschlagen und ihr auch im Verlauf des Folgetages noch mehrmals Schläge und Tritte versetzt hat. Vor diesem Hintergrund geht der Senat nicht davon aus, dass die Verbüßung der aktuellen Freiheitsstrafe den Kläger bereits so nachhaltig beeindruckt und er sich mit seiner kriminellen Vergangenheit so auseinandergesetzt hat, dass es zu einem nachhaltigen Einstellungswandel gekommen ist und er keiner Bewältigungsstrategie in Form der Bagatellisierung seiner Taten mehr bedarf. Der noch inhaftierte Kläger hat sich außerhalb der Justizvollzugsanstalt noch nicht über einen längeren Zeitraum bewährt und durch gesetzeskonformes Verhalten gezeigt, dass er auch ohne den Druck des Strafvollzugs vor allem in Krisensituationen in der Lage ist, nicht erneut straffällig bzw. gewalttätig zu werden. Eine gute Führung während der Haft und die „erfolgreiche“ Teilnahme an einem Rehabilitationsprogramm (in 33 Gruppensitzungen), das Straftäter in die Lage versetzen soll, im Leben effektiver zu Recht zu kommen, reichen insoweit jedenfalls noch nicht.

Schließlich vermag der Senat nicht zu erkennen, dass beim Kläger nach der Haftentlassung ein geeigneter und realistischer sozialer Empfangsraum im Sinne der von der Gutachterin angesprochenen „erforderlichen haltgebenden Strukturen“ vorhanden wäre. Die Ehefrau des Klägers und Klägerin (zu 2.), mit der er nach seiner Haftentlassung - im Übrigen erstmals dauerhaft - in einer Lebensgemeinschaft zusammenleben will, leidet nach den vorgelegten ärztlichen Berichten an zahlreichen psychischen Störungen und Erkrankungen. So wurden bei ihr u. a. eine emotional-instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ, eine posttraumatische Belastungsstörung, eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome, Opiatabhängigkeit, Opiatentzugssyndrom, Alkoholabhängigkeit, Verdacht auf ADHS und Verdacht auf sonstige generalisierte Epilepsie und epileptische Syndrome diagnostiziert. Nach dem Vorbringen im Zulassungsantrag ist die Klägerin deshalb selbst dringend auf die Unterstützung des Klägers angewiesen. Auch die Mutter des Klägers, bei der nach den im Zulassungsverfahren vorgelegten Attesten ebenfalls orthopädische Probleme, ein chronisches Schmerzsyndrom und eine reaktive Depression diagnostiziert wurden und bei der der Kläger zusammen mit seiner Ehefrau entsprechend seinen Angaben bei der forensisch-psychiatrischen Begutachtung offensichtlich wohnen will, ist nach dem Zulassungsvorbringen ebenfalls auf „die Anwesenheit und Unterstützung des Klägers angewiesen“. Seine Mutter war im Übrigen schon bislang nicht in der Lage, ihm die „erforderlichen haltgebenden Strukturen“ zu vermitteln. Dass das künftig zusammen mit der schwer suchtkranken und unter schwerwiegenden Persönlichkeitsstörungen leidenden Ehefrau des Klägers, der Klägerin (zu 2.), gelingen könnte, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen. Das vorgelegte Angebot eines unbefristeten Arbeitsvertrags als Servicekraft in einem Café nach der Haftentlassung ist demgegenüber nicht von ausschlaggebender Bedeutung.

Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage nach § 53 Abs. 1 AufenthG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Klägers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausreise überwiegt. Entgegen dem Zulassungsvorbringen ist die streitbefangene Ausweisung des Klägers weder unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG - allerdings nicht abschließend - aufgeführten Umstände noch mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznorm des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 8 EMRK unverhältnismäßig. Das Verwaltungsgericht hat bei der vom Kläger angegriffenen Entscheidung sämtliche entscheidungsrelevanten Gesichtspunkte berücksichtigt, die auch in diese Interessenabwägung einzustellen sind, und sie im Ergebnis in nicht zu beanstandender Weise gewichtet.

Ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG ist beim Kläger infolge seiner rechtskräftigen Verurteilung vom 24. November 2011 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gegeben. Sein Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG wiegt nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besonders schwer, weil er eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG kann der Kläger dagegen für sich nicht in Anspruch nehmen, weil zum hier maßgeblichen Zeitpunkt ein eheliches Zusammenleben im Sinne einer tatsächlich gelebten ehelichen Lebensgemeinschaft nicht vorliegt. Das Verwaltungsgericht hat seiner Ehe mit der Klägerin (zu 2.) bei der Abwägung der gegenläufigen Interessen zu Recht kein großes Gewicht beigemessen, weil die Ehe erst während der Haft und im Wissen um die Straftaten und seiner durch die Ausländerbehörde bereits angekündigten Abschiebung, also einer unsicheren Aufenthaltsperspektive, geschlossen worden ist (vgl. BayVGH, U.v. 25.8.2014 - 10 B 13.715 - juris Rn. 50). Auch der Einwand, die Klägerin (zu 2.) sei auf die Unterstützung des Klägers angewiesen, greift nicht durch. Ungeachtet der verminderten Schutzwürdigkeit dieser Ehe ist weder nachvollziehbar dargelegt, dass und auf welche Lebenshilfeleistungen die erkrankte Klägerin tatsächlich angewiesen wäre, noch geltend gemacht oder sonst ersichtlich, dass der Kläger jemals solche Hilfeleistungen tatsächlich erbracht hätte. Demgemäß greift auch die Rüge, das Verwaltungsgericht habe verkannt bzw. fehlgewichtet, dass der Klägerin (zu 2.) als deutscher Staatsangehöriger ein Leben mit dem Kläger in Albanien nicht zumutbar sei, nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat unter Berücksichtigung des aus den genannten Gründen stark geminderten Vertrauensschutzes vielmehr zu Recht darauf verwiesen, dass den Klägern nach der Ausreise des Klägers auch die Führung einer „Fernbeziehung“ beschränkt auf Kontakte mithilfe elektronischer Medien sowie auf gelegentliche Besuche zumutbar sei.

Auch die familiären Beziehungen des Klägers zu seiner Mutter und seiner Schwester, die beide die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, hat das Verwaltungsgericht mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Abwägung eingestellt. Die Rüge des Klägers, die Beklagte und das Verwaltungsgericht hätten nicht hinreichend berücksichtigt, dass auch seine Mutter, die ausweislich der vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen an einer reaktiven Depression, einem chronischen Schmerzsyndrom und mehreren orthopädischen Erkrankungen (insbesondere chronisch progrediente Gonarthrose links, Bandscheibenvorfall L5/S1, Fingerpolyarthrosen, multiple Tendinosen) leide, ihren Alltag nicht mehr alleine bewältigen könne und auf die Unterstützung durch ihre Familienangehörigen angewiesen sei, greift ebenfalls nicht durch. Denn auch bezüglich der Mutter ist weder dargelegt, auf welche Lebenshilfeleistungen diese tatsächlich angewiesen sein soll, noch geltend gemacht oder sonst ersichtlich, dass der Kläger jemals solche Hilfeleistungen tatsächlich erbracht hätte. Die pauschale und unsubstantiierte Feststellung im vorgelegten ärztlichen Attest des Arztes für Allgemeinmedizin/Psychotherapie Dr. B. C. vom 15. April 2014, wonach die Patientin im Alltag der Unterstützung durch die Angehörigen bedürfe, weil sie ihren Alltag nicht alleine bewältigen könne, reicht dafür jedenfalls nicht aus. In den vom Kläger weiter vorgelegten Attesten vom April und Mai 2015 ist im Übrigen von einer bei der Mutter erforderlichen Unterstützung im Alltag nicht die Rede.

Das Zulassungsvorbringen, der Kläger sei bei einer Rückkehr in Albanien wegen einer Familienfehde von Blutrache und damit dem Tod bedroht, ist schon nicht schlüssig. Insbesondere ist nicht nachvollziehbar, dass der Kläger, der sich mit seinen Eltern und seiner Schwester bereits seit 1993 in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, entsprechend einer erstmals im Zulassungsverfahren vorgelegten Bescheinigung des Vereins zur Versöhnung der Blutrache Tirana vom 28. August 2014 sich in einer Fehde mit der Familiensippe S. befinden und insbesondere von den Bürgern A.S. und U.S. mit dem Tod bedroht werden solle, egal wo er sich befinde. Unabhängig davon könnte auch nicht angenommen werden, dass die behauptete Gefahr für den Kläger landesweit besteht und der albanische Staat grundsätzlich nicht willens und in der Lage ist, vor Übergriffen Schutz zu bieten bzw. dagegen vorzugehen (vgl. etwa OVG Saarl, B.v. 18.12.2015 - 2 A 128/15 - juris Rn. 12 m. w. N.).

Schließlich hat das Verwaltungsgericht auch zu Recht angenommen, dass dem Kläger trotz seines inzwischen 22-jährigen Aufenthalts in Deutschland und eingeschränkter albanischer Sprachkenntnisse zuzumuten sei, nach Albanien zurückzukehren, wo er als 31-jähriger gesunder Mann Arbeit und ein Auskommen finden könne. Dabei hat das Verwaltungsgericht zutreffend darauf abgestellt, dass der Kläger, der einen beachtlichen Teil seiner Kindheit in seinem Heimatland verbracht hat und dort auch zur Schule gegangen ist, zwar den ganz überwiegenden Teil seines Lebens in Deutschland gelebt hat, dass von einer gelungenen sozialen oder gar wirtschaftlichen Integration in die Verhältnisse in der Bundesrepublik jedoch gleichwohl nicht ausgegangen werden kann. Auch insoweit verfängt der klägerische Einwand, er verfüge in Albanien über keine tragfähigen sozialen Bindungen mehr und spreche nur noch gebrochen albanisch, letztlich nicht.

Einwände gegen die vom Verwaltungsgericht rechtlich nicht beanstandete Befristung der Wirkungen der Ausweisung des Klägers auf zuletzt sieben Jahre und die Abweisung der Klage der Klägerin (zu 2.) als unbegründet wurden im Zulassungsverfahren nicht erhoben.

Die Kostenentscheidung folgt nach alledem aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 39 Abs. 1 und § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Senftl Zimmerer Dihm

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Tenor

I.

Unter Abänderung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 9. Oktober 2008 wird der Bescheid der Beklagten vom 11. April 2008 in der Fassung des in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 ergänzten Änderungsbescheids der Beklagten vom 27. Januar 2015 aufgehoben.

II.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger verfolgt mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen seine Ausweisung weiter.

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er wurde am 6. November 1983 in München geboren und lebt seit seiner Geburt im Bundesgebiet. Er verfügt über einen Qualifizierenden Hauptschulabschluss und hat eine Lehre zum Maschinenbaumechaniker erfolgreich abgeschlossen. Am 17. April 1997 erhielt er eine zunächst bis 5. November 1999 befristete Aufenthaltserlaubnis, die aufgrund seines Antrags vom 4. November 1999 am 14. Dezember 1999 unbefristet verlängert wurde.

Nach Einstellung eines Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung nach § 170 Abs. 2 StPO im Jahr 2002 und Einstellung eines Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort gemäß § 153 Abs. 1 StPO im Jahr 2005 wurde der Kläger mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts München I vom 19. April 2007 wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Der Verurteilung lag nach den Feststellungen des Landgerichts folgender Sachverhalt zugrunde:

Während einer Hochzeitsfeier am 21. Juli 2006, an der der Kläger mit seiner Freundin teilnahm, begleitete diese eine zu den Hochzeitsgästen gehörende Freundin zu einem Treffen mit einem weiteren Gast, der diese Freundin kennenlernen wollte. Der Kläger beobachtete dies und machte zunächst seiner Freundin Vorwürfe, weil er ihr Verhalten für falsch hielt. Dann warf er der Freundin seiner Freundin vor, sie sei an allem schuld. Über die Frage der Freundin seiner Freundin, wie es für ihn wäre, wenn sie so mit ihm redete wie er mit ihr, ärgerte sich der Kläger so sehr, dass er ihr mit der flachen Hand so heftig auf die Wange schlug, dass sie taumelte und zu Boden gestürzt wäre, wäre sie nicht von einem anderen Anwesenden an den Armen festgehalten worden. Nachdem die Freundin der Freundin des Klägers am 22. Juli 2006 ihrer Familie von dem Vorfall berichtet hatte, rief ihr Schwager (im Folgenden: der Geschädigte) den Kläger an, um ihn zur Rede zu stellen. Im Verlauf des Gesprächs äußerte er sinngemäß, er werde den Kläger wieder dorthin zurückstecken, wo er herkomme. Der Kläger forderte ihn daraufhin auf, doch zu ihm zu kommen. Daraufhin begab der Geschädigte sich gemeinsam mit der Freundin der Freundin des Klägers und weiteren Angehörigen zur Wohnung des Klägers, um diesen zur Rede zu stellen und ihn zu einer Entschuldigung zu bewegen. Der Kläger, der über die telefonische Beleidigung aufgebracht war, bewaffnete sich mit einem feststehenden Jagd- oder Fischereimesser mit einer Klingenlänge von 8,5 cm und einer maximalen Klingenbreite von 2,7 cm, das an der Klinge einen Widerhaken besaß, und verließ seine Wohnung. Auf einer nahe gelegenen Freifläche traf er auf den Geschädigten und seine Begleiter. Er zog sofort sein Messer und erkundigte sich, wer ihn beleidigt habe. Er ließ sich durch den Geschädigten und seine Begleiter nicht beruhigen. Dem Geschädigten war nach seiner Vorstellung ein Rückzug nicht mehr möglich, wenn er vor seinen Verwandten nicht das Gesicht verlieren wollte. Auch der Kläger wollte Standhaftigkeit demonstrieren. Um seinem Ärger demonstrativ Ausdruck zu verleihen, versetzte er, ohne zu wissen, wer ihn beleidigt hatte, dem Geschädigten einen mit äußerster Wucht geführten Stich in den rechten zentralen Oberbauch, wobei er das Messer bis zum Heft in den Körper des Geschädigten rammte. Dadurch wurde die Bauchwand auf einer Länge von 10 cm von unten nach oben in Richtung des Rippenbogens durchtrennt. Nur durch Zufall wurden lebenswichtige Organe oder große Blutgefäße nicht getroffen. Zur Rettung des Geschädigten unternahm der Kläger nichts. Der Geschädigte wurde jedoch auf Veranlassung Dritter ins Krankenhaus eingeliefert und sofort operiert. Der Geschädigte litt auch zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung noch an den beiden schlecht verheilten Stich- und Operationsnarben, die im Sitzen und Liegen schmerzten. Sport konnte er nicht treiben. Außerdem traten Magen- und Darmprobleme auf, die zu einem Gewichtsverlust von 10 kg führten. Infolge der verletzungsbedingten Schonhaltung bekam er schließlich Probleme mit der Halswirbelsäule.

Nachdem der Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten hatte, wies die Beklagte ihn mit Bescheid vom 11. April 2008 aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Nr. 1 des Bescheids), untersagte ihm die Wiedereinreise (Nr. 2 des Bescheids) setzte ihm eine Ausreisefrist bis zum 15. Mai 2008 und drohte ihm für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung in die Türkei oder einen anderen Staat an, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist (Nr. 3 des Bescheids). Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, als nach dem Assoziationsratsbeschluss 1/80 Berechtigter dürfe der Kläger nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 in Verbindung mit § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG nur im Rahmen einer Ermessensentscheidung und bei Vorliegen einer tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung für ein Grundinteresse der Gemeinschaft ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten auf die konkrete Gefahr von weiteren schweren Störungen der öffentlichen Ordnung hindeute. Angesichts seiner Verurteilung wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten und der Gefahr weiterer schwerwiegender Straftaten seien diese Voraussetzungen erfüllt. Selbst wenn Art. 28 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG anwendbar sei, stehe er angesichts dieser Verurteilung einer Ausweisung des Klägers nicht entgegen. Soweit der Kläger nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz genieße, lägen die für die Ausweisung erforderlichen schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor. Die pflichtgemäße Ermessensausübung ergebe auch unter Beachtung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK, dass das öffentliche Interesse das private Interesse des Klägers eindeutig überwiege. Ergänzend wird auf die Gründe des Bescheids vom 11. April 2008 Bezug genommen.

Die gegen den Bescheid gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 9. Oktober 2008 ab und begründete dies im Wesentlichen wie folgt:

Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in eigenen Rechten. Der Kläger habe ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 und erfülle im Hinblick auf seine abgeschlossene Ausbildung auch die Voraussetzungen von Art. 7 Satz 2 ARB 1/80. Die Ausweisung sei weder in formeller noch in materieller Hinsicht zu beanstanden. Sie verstoße nicht gegen das in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG verankerte Vier-Augen-Prinzip, weil die Richtlinie 64/221/EWG durch die Richtlinie 2004/38/EG aufgehoben worden sei. Nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG in Verbindung mit Art. 14 ARB 1/80 könne der Kläger nur im Rahmen einer Ermessensentscheidung und nur dann ausgewiesen werden, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliege, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, wobei eine strafrechtliche Verurteilung eine Ausweisung nur rechtfertigen könne, wenn die ihr zugrunde liegenden Umstände ein Verhalten erkennen ließen, das eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle. Der Kläger genieße darüber hinaus nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG und Art. 3 Abs. 3 ENA besonderen Ausweisungsschutz, der allerdings nicht weiter reiche als der assoziationsrechtliche. Die vom Kläger begangene Straftat des versuchten Mordes und der gefährlichen Körperverletzung stelle eine besonders schwerwiegende, Grundinteressen der Gesellschaft berührende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar. Es bestehe auch die Gefahr weiterer vergleichbarer Straftaten. Dabei dürften insoweit im Hinblick auf die betroffenen überragenden Schutzgüter des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Aus den Tatumständen gehe hervor, dass der Kläger dazu neige, sich gegen Beleidigungen und Ehrverletzungen mit physischer Gewalt zur Wehr zu setzen. Die Ausweisung sei darüber hinaus verhältnismäßig und scheitere nicht am Recht des Klägers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK. Zwar habe die Sozialisation des in Deutschland geborenen Klägers in der Bundesrepublik stattgefunden. Es sei jedoch anzunehmen, dass er mit der türkischen Sprache und Kultur hinreichend vertraut sei. Die Eltern und Brüder des Klägers lebten zwar im Bundesgebiet. Er habe aber in der Bundesrepublik bisher keine eigene Kernfamilie gegründet. Dass der seit mehreren Jahren volljährige Kläger auf die Hilfe seiner in Deutschland lebenden Familienangehörigen in besonderer Weise angewiesen sei, sei nicht erkennbar. Der Kontakt zu ihnen könne brieflich, telefonisch und im Rahmen von Betretenserlaubnissen aufrechterhalten werden. Zwar sei die Ausweisung auch deshalb ein erheblicher Eingriff in das Recht des Klägers aus Art. 8 Abs. 1 EMRK, weil er selbst nach einer Befristung keinen Anspruch auf Wiedereinreise in die Bundesrepublik habe. Die Ausweisung sei aber im Hinblick auf die massive Straffälligkeit des Klägers und die von ihm weiterhin ausgehende Gefahr für die überragenden Schutzgüter des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit noch als verhältnismäßig anzusehen. Sonstige Ermessensfehler seien nicht ersichtlich. Die Beklagte habe alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls berücksichtigt und zutreffend gewichtet. Der erhöhte Ausweisungsschutz nach Art. 28 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG komme ihm als türkischem Staatsangehörigen nicht zugute.

Seine Berufung, die vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage, ob sich der Kläger weiterhin auf Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG berufen könne, zugelassen wurde, begründet der Kläger im Wesentlichen wie folgt:

Die Ausweisung verstoße gegen die Verfahrensgarantie des Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG, die auf türkische Staatsangehörige auch nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG durch die Richtlinie 2004/38/EG, die die Kontrolle von Ausweisungsentscheidungen durch eine zweite Verwaltungsinstanz durch einen erweiterten gerichtlichen Rechtsschutz ersetzt habe, weiterhin anzuwenden sei. Gelte die Richtlinie 2004/38/EG nur für Unionsbürger, nicht jedoch für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige, so müsse für Letztere zwingend der bisherige Standard erhalten bleiben. Die Nichtbeachtung von Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG führe dazu, dass die Ausweisung unheilbar rechtswidrig sei. Im Übrigen sei demgegenüber im Ergebnis aber davon auszugehen, dass die Richtlinie 2004/38/EG und damit Art. 28 Abs. 3 dieser Richtlinie auch für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige gelte. Der Kläger, der in den letzten zehn Jahren seinen Aufenthalt im Bundesgebiet gehabt habe, dürfe daher nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit ausgewiesen werden. Die öffentliche Sicherheit werde durch den Kläger aber künftig nicht gefährdet. Eine konkrete Wiederholungsgefahr sei nicht zu erwarten. Durch seine soziale Integration und zielstrebige Berufsausbildung habe der bis zu seiner Verurteilung wegen der der Ausweisung zugrunde liegenden Tat nicht vorbestrafte Kläger dargetan, dass er bis dahin keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dargestellt habe. Außerdem habe er durch Entschuldigungen und Schmerzensgeldzahlungen zum Ausdruck gebracht, dass er die Tat bedauere. Das Verwaltungsgericht habe insbesondere das Nachtatverhalten des Klägers außer Acht gelassen. Zwar habe es erwähnt, dass der Kläger an einer zweimonatigen Gewaltpräventionsgruppe teilgenommen habe. Es habe dies und das gesamte positive Strafvollzugsverhalten jedoch bei der Bewertung der Ermessensentscheidung in keiner Weise berücksichtigt. Da sich der Kläger erstmals im Strafvollzug befinde, müsse davon ausgegangen werden, dass dies nachhaltige Wirkungen auf ihn ausübe, die ihn von künftigen Straftaten abhielten. Eine konkrete Wiederholungsgefahr, wie sie Art. 14 ARB 1/80 fordere, sei angesichts dessen beim Kläger nicht zu erkennen. Aus dem Gutachten im Strafprozess und der Tat allein könne auf eine solche Wiederholungsgefahr nicht geschlossen werden.

Der Kläger beantragt zuletzt,

das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 9. Oktober 2008 und den Bescheid der Beklagten vom 11. April 2008 in der Fassung des Änderungsbescheids der Beklagten vom 27. Januar 2015 und der Ergänzung in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, der Ausweisungsbescheid sei rechtmäßig. Er verstoße insbesondere weder gegen Art. 9 Richtlinie 64/221/EWG noch gegen Art. 28 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG. Es bestehe die konkrete Gefahr, dass der Kläger nach wie vor nicht in der Lage sei, seine Aggressionen zu kontrollieren. Kläger und Justizvollzugsanstalt hätten die Teilnahme an der Gewaltpräventionsgruppe für erforderlich gehalten. Beim Kläger liege nach dem im Strafprozess erstellten Gutachten wahrscheinlich eine eher geringe Stresstoleranz und innere Stabilität und eine allgemeine Unsicherheit bei noch nicht ausgereifter Identitätsbildung vor. Nach Lösung des Verlöbnisses könne die Beziehung zu seiner Lebensgefährtin nicht mehr zur Stabilisierung des Klägers beitragen. Auch wenn der Kläger faktischer Inländer sei, sei zu berücksichtigen, dass er massiv straffällig geworden sei und abgesehen von den Bindungen zu seiner Herkunftsfamilie keine gewichtigen familiären Bindungen habe. Schließlich lägen Umstände vor, die dem Kläger die Integration in der Türkei erleichtern würden. Seine Großeltern lebten in der Türkei. Er habe Urlaubsaufenthalte dort verbracht, habe eine türkischsprachige Klasse besucht und seine Korrespondenz während der Haft belege seine Türkischkenntnisse.

Der Vertreter des öffentlichen Interesses beteiligt sich an dem Verfahren, ohne einen eigenen Antrag zu stellen. Nachdem er sich zunächst den Ausführungen der Beklagten angeschlossen und ergänzend auf eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz, nach der Art. 9 Richtlinie 64/221/EWG auf nach dem 30. April 2006 ergangene Ausweisungsverfügungen keine Anwendung mehr finde, verwiesen hatte, meint er nunmehr, der Kläger habe eine zweite Chance verdient.

Das mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 10. Juli 2008 im Hinblick auf ein Vorabentscheidungsverfahren beim Europäischen Gerichtshof zur Frage der Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige ausgesetzte Verfahren (10 BV 08.3244) ist auf Antrag der Beklagten vom 22. Februar 2013 unter dem jetzigen Aktenzeichen (10 BV 13.421) fortgeführt worden.

Der Kläger ist nach vollständiger Verbüßung der Freiheitsstrafe am 29. September 2011 aus der Justizvollzugsanstalt entlassen worden. Er steht für die Dauer von fünf Jahren unter Führungsaufsicht. Am 11. Februar 2013 hat er eine deutsche Staatsangehörige geheiratet. Am 7. Juni 2013 ist der gemeinsame Sohn des Klägers und seiner Ehefrau geboren worden, der ebenfalls deutscher Staatsangehöriger ist. Die Ehefrau und der Sohn des Klägers wohnen mit dem Kläger zusammen.

Mit Bescheid vom 27. Januar 2015 hat die Beklagte Nr. 2 des Bescheids vom 11. April 2008 dahingehend abgeändert, dass die Wiedereinreise für drei Jahre untersagt wird und die Frist mit der Ausreise beginnt. Außerdem hat sie in den Gründen des Bescheids die Ermessenserwägungen zur Ausweisung des Klägers aktualisiert und klargestellt, dass die Ermessensentscheidung nunmehr ausschließlich auf die Ausführungen im Bescheid vom 27. Januar 2015 gestützt werde.

Im Wesentlichen führt die Beklagte zur Begründung aus, der Ausweisung liege eine außerordentlich schwere Straftat zugrunde. Die öffentliche Sicherheit und Ordnung sei durch den Kläger schwerwiegend gefährdet, so dass sein Aufenthalt im Allgemeininteresse zu beenden sei. Die privaten Belange müssten insbesondere im Hinblick darauf zurücktreten, dass dem Kläger aufgrund seiner Sprachkenntnisse, der Kontakte zu seinen in der Türkei lebenden Großeltern und seiner Vertrautheit mit der türkischen Kultur und Mentalität ein Leben in der Türkei zumutbar sei. Die Beziehung zu seiner deutschen Frau und seinem deutschen Kind werde dadurch relativiert, dass sie zu einer Zeit aufenthaltsrechtlicher Unsicherheit entstanden sei. Besonderes Gewicht sei allerdings dem Interesse des Sohnes des Klägers an dessen Verbleib im Bundesgebiet beizumessen. Auf die Lebenshilfe seiner Eltern sei der Kläger nicht mehr angewiesen. Im Ergebnis überwiege trotz der sich abzeichnenden positiven Tendenz und der geänderten familiären Situation angesichts der Schwere der begangenen Straftat und der konkreten Gefahr weiterer Straftaten das öffentliche Interesse an der Ausweisung. Hinsichtlich der Befristung der Wirkungen der Ausweisung werde wegen des Gewichts der gefährdeten Rechtsgüter und der festgestellten hohen Wiederholungsgefahr im Hinblick auf die familiären Bindungen im Bundesgebiet ein Zeitraum von drei Jahren für erforderlich gehalten, um dem hohen Gefahrenpotenzial Rechnung tragen zu können.

In der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015, wegen deren Einzelheiten auf die Sitzungsniederschrift verwiesen wird, hat die Beklagte erklärt, ihre Ermessenserwägungen im Änderungsbescheid vom 27. Januar 2015 würden noch dahingehend vervollständigt, dass nunmehr die Eltern des Klägers in der Türkei wohnten und damit dort im Fall einer Aufenthaltsbeendigung für den Kläger ein weiterer Anlaufpunkt bestehe.

Ergänzend wird auf die beigezogenen Behördenakten sowie die Gerichtsakten in beiden Instanzen Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Die zulässige Anfechtungsklage, deren Gegenstand die Aufhebung des Bescheids vom 11. April 2008 in der Fassung ist, die er durch den Änderungsbescheid vom 27. Januar 2015 und die in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 zur Niederschrift abgegebene Erklärung der Beklagten zur Vervollständigung ihrer Ermessenserwägungen erhalten hat (I.), hat auch in der Sache Erfolg (II.).

I.

Gegenstand der Klage ist die Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 11. April 2015 in der Fassung des in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 ergänzten Änderungsbescheids der Beklagten vom 27. Januar 2015. Indem der Kläger seinen auf die Aufhebung des Bescheids vom 11. April 2008 in seiner ursprünglichen Fassung gerichteten Klageantrag auf den Änderungsbescheid vom 27. Januar 2015 erstreckt hat, hat er diesen bereits unabhängig davon, ob die Voraussetzungen für eine Klageänderung nach § 125 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 91 Abs. 1 VwGO vorgelegen haben, nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 264 Nr. 2 und 3 ZPO in zulässiger Weise in die Klage einbezogen. Denn danach handelt es sich bei der Erstreckung der Anfechtungsklage auf den Bescheid vom 27. Januar 2015 nicht um eine Klageänderung. Im Übrigen wäre eine in der Einbeziehung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 liegende Klageänderung hier auch nach § 125 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 91 Abs. 1 VwGO zulässig.

1. Eine Klageänderung liegt vor, wenn sich der Streitgegenstand ändert. Der Streitgegenstand wird dabei durch den Klageanspruch als den mit der Klage geltend gemachten materiell-rechtlichen Anspruch und den Klagegrund als den dem Klageanspruch zugrunde liegenden Sachverhalt bestimmt (vgl. BVerwG, U.v. 24.10.2013 - 7 C 13.12 - juris Rn. 28 m. w. N.). Eine Klageänderung ist demzufolge grundsätzlich dann gegeben, wenn der Klageanspruch, der Klagegrund oder beide sich ändern (vgl. BVerwG a. a. O.).

Zwar wäre danach hier von einer Klageänderung auszugehen. Denn der Kläger hatte ursprünglich nur die Aufhebung des Bescheids vom 11. April 2008 beantragt, mit dem er aus der Bundesrepublik ausgewiesen (Nr. 1 des Bescheids vom 11. April 2008), ihm die Wiedereinreise untersagt (Nr. 2 des Bescheids vom 11. April 2008) und ihm für den Fall, dass er das Bundesgebiet nicht bis zum 15. April 2008 verlasse, die Abschiebung in die Türkei oder in einen anderen Staat angedroht wurde, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei (Nr. 3 des Bescheids vom 11. April 2008). Mit dem in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 gestellten Antrag des Klägers, den Bescheid vom 11. April 2008 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 aufzuheben, hat sich aber der Streitgegenstand geändert. Denn es hat sich der Klageanspruch verändert, weil mit der Klage nicht mehr die Aufhebung des ursprünglichen Bescheids, sondern die Aufhebung dieses Bescheids in der geänderten Fassung begehrt wird, nach der dem Kläger die Wiedereinreise nicht mehr unbefristet, sondern nur noch für die Dauer von drei Jahren untersagt ist.

2. Jedoch ist es nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 264 Nr. 2 ZPO nicht als Klageänderung anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache erweitert wird. Nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 264 Nr. 3 ZPO ist es darüber hinaus nicht als Klageänderung anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes statt des ursprünglich geforderten Gegenstands wegen einer später eingetretenen Veränderung ein anderer Gegenstand gefordert wird. Danach liegt hier eine Klageänderung aber nicht vor.

a) Durch die Beantragung der Aufhebung des Bescheids vom 11. April 2008 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 ist der Klageantrag im Sinne von § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 264 Nr. 2 ZPO erweitert worden, weil er damit auf den Bescheid vom 27. Januar 2015 erstreckt worden ist.

Ebenso fordert der Kläger mit dem Antrag, den Bescheid vom 11. April 2008 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 aufzuheben, im Sinne von § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 264 Nr. 3 ZPO einen anderen Gegenstand als mit seinem ursprünglichen Antrag, den Bescheid vom 11. April 2008 aufzuheben. Dies erfolgt auch wegen einer später eingetretenen Veränderung. Denn die Beklagte hat den mit der Klage angefochtenen Bescheid vom 11. April 2008 nach Klageerhebung geändert, indem sie das darin enthaltene Wiedereinreiseverbot mit dem Änderungsbescheid vom 27. Januar 2015 auf drei Jahre befristet hat.

b) Die Erweiterung des Klageantrags und die darin liegende Forderung eines anderen als des ursprünglichen Gegenstands sind darüber hinaus ohne Änderung des Klagegrundes erfolgt. Denn der dem Klageantrag zugrunde liegende Sachverhalt hat sich durch die Einbeziehung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 nicht geändert.

Der Bescheid vom 11. April 2008 und dieser Bescheid in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 unterscheiden sich nur insoweit, als der Bescheid vom 11. April 2008 dem Kläger die Wiedereinreise ohne zeitliche Beschränkung untersagt hat, während er in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 ein auf drei Jahre befristetes Wiedereinreiseverbot vorsieht. Dieser Unterschied hat aber nicht zur Folge, dass der Entscheidung über die Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 11. April 2008 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 ein anderer Sachverhalt zugrunde zu legen wäre als der Entscheidung über eine Anfechtungsklage gegen diesen Bescheid in seiner ursprünglichen Fassung.

Zum einen erweist sich im Fall der Rechtswidrigkeit der Ausweisung auch das von der Beklagten nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als gesetzliche Folge der Ausweisung ausgesprochene Wiedereinreiseverbot unabhängig davon als rechtswidrig, ob es nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG befristet worden ist oder nicht. Der rechtlichen Beurteilung des Wiedereinreiseverbots liegt daher in beiden Fällen einheitlich der Sachverhalt zugrunde, auf dessen Grundlage sich die Ausweisung als rechtswidrig darstellt. Zum anderen enthält die Anfechtungsklage gegen den Ausweisungsbescheid, wenn dieser wie der Bescheid vom 11. April 2008 keine Befristung der Wirkungen der Ausweisung verfügt hat, zugleich - als Minus - für den Fall der Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung einen Hilfsantrag auf Verpflichtung des Trägers der Ausländerbehörde zu einer angemessenen Befristung dieser Wirkungen mit der Folge, dass im Fall der gerichtlichen Bestätigung der Ausweisung zugleich eine Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung zu treffen ist (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 39). Über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist in diesem Fall aber auch dann zu entscheiden, wenn eine solche Befristung nachträglich vorgenommen wird und die Anfechtungsklage gegen den Ausweisungsbescheid wie hier auf den Befristungsbescheid erstreckt wird (vgl. zur Statthaftigkeit der Anfechtungsklage gegen nachträgliche Befristungsentscheidungen BVerwG, B.v. 14.3.2013 - 1 B 17.12 - juris Rn. 13; B.v. 15.4.2013 - 1 B 22.12 - juris Rn. 31; kritisch dazu Armbruster/Hoppe, ZAR 2013, 309/315). In beiden Fällen ist dabei nach § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG die im Rahmen der Befristung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG festzusetzende Frist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen (vgl. dazu im Einzelnen BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 42; U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 40 f.; U.v. 14.5.2013 - 1 C 13.12 - juris Rn. 30 ff.). Auch im Falle der Rechtmäßigkeit der Ausweisung liegt dem Klageanspruch daher unabhängig davon, ob die Aufhebung des Bescheids vom 11. April 2008 oder die Aufhebung dieses Bescheids in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 begehrt wird, derselbe Sachverhalt zugrunde. Stimmt damit aber der für die Entscheidung über beide Klageanträge maßgebliche Sachverhalt überein, so hat die Einbeziehung des Bescheids vom 27. Januar 2015 nicht zu einer Änderung des Streitstoffs und damit des Klagegrundes geführt.

3. Im Übrigen wäre die Einbeziehung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015, selbst wenn es sich dabei um eine Klageänderung handeln würde, nach § 125 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 91 Abs. 1 VwGO zulässig, weil der Verwaltungsgerichtshof die Änderung für sachdienlich hält.

Sachdienlich ist eine Klageänderung in der Regel dann, wenn sie der endgültigen Beilegung des Rechtsstreits dient und der Streitstoff im Wesentlichen derselbe bleibt (vgl. BVerwG, U.v. 18.8.2005 - 4 C 13.04 - juris Rn. 22 m. w. N.; BayVGH, U.v. 26.6.2012 - 10 BV 09.2259 - juris Rn. 37). Beides ist hier der Fall.

Die Einbeziehung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 dient der endgültigen Beilegung des Rechtsstreits. Denn sie ermöglicht es, auch über die zulässige Dauer der Wirkungen der Ausweisung eine Entscheidung herbeizuführen, ohne dass es einer erneuten Klage gegen die im Änderungsbescheid vorgenommene Befristung des Wiedereinreiseverbots bedarf. Auch bleibt der Streitstoff im Wesentlichen derselbe. Wie dargelegt, ändert sich der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt durch die Einbeziehung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 in den Klageantrag nicht.

II.

Die Klage, die sich danach gegen den Bescheid vom 11. April 2008 in der Fassung des in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 ergänzten Änderungsbescheids der Beklagten vom 27. Januar 2015 richtet, ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufzuheben, weil er nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015, die für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der Befristung ihrer Wirkungen und der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung maßgeblich ist (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 12; U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 15; U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 12; U.v. 14.5.2013 - 1 C 13.12 - juris Rn. 9), sowohl hinsichtlich der Ausweisung des Klägers aus der Bundesrepublik Deutschland (1.) als auch hinsichtlich der Befristung des Wiedereinreiseverbots auf die Dauer von drei Jahren und der Abschiebungsandrohung (2.) rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt.

1. Die Ausweisung des Klägers, die an Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ANBA 1981, 4; im Folgenden: ARB 1/80) in Verbindung mit § 55 Abs. 1 und § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG zu messen ist (a), ist rechtswidrig. Zwar ergibt sich dies nicht bereits daraus, dass die Ausweisung wegen eines Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschiften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl der Europäischen Gemeinschaften 1964 S. 850; im Folgenden: Richtlinie 64/221/EWG) formell rechtswidrig wäre (b). Jedoch sind die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Ausweisung des Klägers nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 in Verbindung mit § 55 Abs. 1 und § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nicht erfüllt (c).

a) Als Rechtsgrundlage für die Ausweisung des Klägers kommt nur Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 in Verbindung mit § 55 Abs. 1 und § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG in Betracht. Denn der Kläger erfüllt die Voraussetzungen von Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80.

Nach Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 ARB 1/80 haben die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben. Die Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, können sich nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedstaat dort auf jedes Stellenangebot bewerben, sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedstaat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war. Die praktische Wirksamkeit dieser Rechte setzt dabei zwangsläufig die Existenz eines entsprechenden Aufenthaltsrechts voraus, das ebenfalls auf Unionsrecht beruht und vom Fortbestehen der Voraussetzungen für den Zugang zu diesen Rechten unabhängig ist (vgl. EuGH, U.v. 16.3.2000 - Ergat, C-329/97 - juris Rn. 40; U.v. 11.11.2004 - Cetinkaya, C-467/02 - juris Rn. 31; U.v. 7.7.2005 - Aydinli, C-373/03 - juris Rn. 25; U.v. 16.2.2006 - Torun, C-502/04 - juris Rn. 20; BVerwG, U.v. 6.10.2005 - 1 C 5.04 - juris Rn. 11). Danach ist der Kläger aber nach Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 aufenthaltsberechtigt.

aa) Der Kläger erfüllt zunächst die Voraussetzungen des Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 ARB 1/80. Er ist Familienangehöriger eines türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt angehörte. Sein Vater kam 1972 nach Deutschland und arbeitete dort bei BMW, bei einer Arzneimittelfirma und schließlich am Flughafen München. Zwar hat der 1983 im Bundesgebiet geborene Kläger erstmals am 17. April 1997 eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 ARB 1/80 gilt aber entgegen seinem Wortlaut nicht nur für Familienangehörige eines dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, sondern auch für ein Kind eines solchen Arbeitnehmers, das wie der Kläger im Aufnahmemitgliedstaat geboren wurde und stets dort gelebt hat (vgl. EuGH, U.v. 11.11.2004 - Cetinkaya, C-467/02 - juris Rn. 20 ff, 26; U.v. 7.7.2005 - Aydinli, C-373/03 - juris Rn. 22; BVerwG, U.v. 6.10.2005 - 1 C 5.04 - juris Rn. 11). Der Kläger hat schließlich von seiner Geburt bis zu seiner Inhaftierung im Juni 2006 und damit seit mindestens fünf Jahren seinen ordnungsgemäßen Wohnsitz bei seinen Eltern gehabt und mit ihnen eine familiäre Lebensgemeinschaft geführt (vgl. EuGH, U.v. 11.11.2004 - Cetinkaya, C-467/02 - juris Rn. 30; U.v. 7.7.2005 - Aydinli, C-373/03 - juris Rn. 24).

bb) Der Kläger erfüllt außerdem die Voraussetzungen des Art. 7 Satz 2 ARB 1/80. Denn er hat als Kind eines türkischen Arbeitnehmers, der in Deutschland seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war, in der Bundesrepublik eine Berufsausbildung zum Maschinenbaumechaniker abgeschlossen.

cc) Schließlich hat der Kläger sein sich aus Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 ergebendes Aufenthaltsrecht auch nicht nachträglich wieder verloren.

aaa) Dieses Recht unterliegt lediglich in den beiden folgenden Fällen Beschränkungen (vgl. EuGH, U.v. 16.3.2000 - Ergat, C-329/97 - juris Rn. 45 ff.; U.v. 11.11.2004 - Cetinkaya, C-467/02 - juris Rn. 36; U.v.7.7.2005 - Aydinli, C-373/03 - juris Rn. 27; U.v.16.2.2006 - Torun, C-502/04 - juris Rn. 21 und 25; U.v. 8.12.2011 - Ziebell, C-371/08 - juris Rn. 49 m. w. N.). Zum einen ermöglicht es Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 den Mitgliedstaaten, in Einzelfällen bei Vorliegen triftiger Gründe den Aufenthalt des türkischen Migranten in ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken, wenn dieser durch sein persönliches Verhalten die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit tatsächlich und schwerwiegend gefährdet. Von dieser Möglichkeit hatte die Bundesrepublik im Falle des Klägers aber bis zu dessen Ausweisung durch den Bescheid der Beklagten vom 11. April 2008, gegen die sich die Klage richtet, nicht Gebrauch gemacht. Zum anderen verliert der Familienangehörige eines türkischen Arbeitnehmers seine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 grundsätzlich, wenn er das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlässt. Dies hat der Kläger jedoch nicht getan.

bbb) Schließlich hat der Kläger, der bis zu seiner Inhaftierung im Juni 2006 für eine Leiharbeitsfirma gearbeitet hat, sein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 auch nicht dadurch verloren, dass er während seiner langen Freiheitsstrafe dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stand. Denn im Hinblick darauf, dass dieses Recht aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit nur nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 oder wegen eines Verlassens des Aufnahmemitgliedstaats während eines erheblichen Zeitraums ohne berechtigte Gründe beschränkt werden kann, unterliegt es wegen einer längeren Abwesenheit vom Arbeitsmarkt aufgrund einer mehrjährigen Freiheitsstrafe keinen Beschränkungen (vgl. EuGH, U.v. 11.11.2004 - Cetinkaya, C-467/02 - juris Rn. 38 f.; U.v. 7.7.2005 - Aydinli, C-373/03 - juris Rn. 27 f.; U.v. 16.2.2006 - Torun, C-502/04 - juris Rn. 25 f.; BVerwG, U.v. 6.10.2005 - 1 C 5.04 - juris Rn. 12; U.v. 28.6.2006 - 1 C 4.06 - juris Rn. 13).

b) Die Ausweisung des Klägers auf der Grundlage von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 ist nicht bereits deshalb wegen eines unheilbaren Mangels des Verwaltungsverfahrens formell rechtswidrig, weil sie gegen Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG verstoßen hätte.

Nach dieser Regelung, die auf türkische Staatsangehörige mit assoziationsrechtlichem Aufenthaltsrecht anwendbar war (vgl. EuGH, U.v. 2.6.2005 - Dörr und Ünal, C-136/03 - juris Rn. 61 ff.; BVerwG, U.v. 13.9.2005 - 1 C 7.04 - juris Rn. 12; U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 22; U.v. 13.12.012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 28; U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 23), traf die Verwaltungsbehörde, soweit die vorgesehenen Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betrafen oder keine aufschiebende Wirkung hatten, die Entscheidung über die Entfernung eines Inhabers einer Aufenthaltserlaubnis aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats außer in dringenden Fällen erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen konnte (Art. 9 Abs. 1 UAbsRichtlinie 64/221/EWG/EWG). Diese Stelle musste dabei eine andere sein als diejenige, die für die Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet zuständig war (Art. 9 Abs. 1 UAbsRichtlinie 64/221/EWG/EWG; sog. Vier-Augen-Prinzip).

Zwar wäre diese Regelung im Falle ihrer weiteren Anwendbarkeit durch die Ausweisung des Klägers verletzt worden, weil nach § 114 Satz 1 VwGO im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nur die Rechtmäßigkeit der nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 in Verbindung mit § 55 Abs. 1 und § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG im Ermessen der Ausländerbehörde stehenden Ausweisung, nicht aber ihre Zweckmäßigkeit überprüft wird, ein Widerspruchsverfahren nach § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO in Verbindung mit Art. 15 Abs. 2 AGVwGO nicht stattgefunden hat und auch sonst eine andere Stelle als die Beklagte vor Erlass des Ausweisungsentscheids vom 11. April 2008 zur Ausweisung des Klägers nicht Stellung genommen hatte (vgl. BVerwG, U.v. 13.9.2005 - 1 C 7.04 - juris Rn. 13; U.v. 6.10.2005 - 1 C 5.04 - juris Rn. 14). Die Ausweisung wäre daher auch wegen eines Mangels des Verwaltungsverfahrens unheilbar rechtswidrig gewesen (vgl. BVerwG, U.v. 6.10.2005 - 1 C 5.04 - juris Rn. 16). Jedoch ist Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG seit Aufhebung dieser Richtlinie durch Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl EG Nr. L 158 S. 77: im Folgenden: Richtlinie 2004/38/EG) mit Wirkung zum 30. April 2006 für nach diesem Zeitpunkt ergangene Ausweisungsverfügungen wie den streitgegenständlichen Bescheid der Beklagten vom 11. April 2008 nicht mehr anwendbar (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 22 ff.; U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 28 ff.; U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 23 ff.; B.v. 15.4.2013 - 1 B 22.12 - juris Rn. 5 ff.).

Der Kläger meint demgegenüber, dass der verfahrensrechtliche Schutz, den Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG türkischen Staatsangehörigen gewähre, die über ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 verfügten, auch nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG deshalb fortgelten müsse, weil der Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG ersetzende Art. 31 Richtlinie 2004/38/EG nur für Unionsbürger gelte und ein ersatzloser Wegfall der in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG enthaltenen Verfahrensgarantie nicht hinnehmbar sei. Diese Argumentation rechtfertigt aber nicht die weitere Anwendung von Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG auf türkische Staatsangehörige mit einem Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss 1/80.

Zum einen ist durch die Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG die in deren Art. 9 Abs. 1 enthaltene Verfahrensgarantie nicht ersatzlos entfallen. Vielmehr ist der Rechtsschutz gegen Ausweisungen türkischer Staatsangehöriger, die über ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrechts verfügen, nunmehr in entsprechender Anwendung des für Unionsbürger an die Stelle von Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG getretenen Art. 31 Richtlinie 2004/38/EG oder des Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend der Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl EG 2004 Nr. L 16 S. 44; im Folgenden: Richtlinie 2003/109/EG) gewährleistet (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 29; U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 23; B.v. 15.4.2013 1 B 22.12 - juris Rn. 5). Für die Anwendbarkeit des Art. 12 Richtlinie 2003/109/EG spricht dabei, dass diese Regelung, nach deren Abs. 4 dem Ausgewiesenen der Rechtsweg in dem jeweiligen Mitgliedstaat offen steht, nach der Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG den unionsrechtlichen Bezugsrahmen für die Ausweisung türkischer Staatsangehöriger bildet, die wie der Kläger über ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 ARB 1/80 verfügen (vgl. EuGH, U.v. 8.12.2011 - Ziebell, C-371/08 - juris Rn. 79; BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 12).

Zum anderen würde die weitere Anwendung von Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG gegen Art. 59 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (BGBl 1972 II S. 385; im Folgenden: ZP) verstoßen (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 25; U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 33; B.v. 15.4.2013 - 1 B 22.12 - juris Rn. 13 ff.). Nach dieser Regelung darf der Türkei in den vom Zusatzprotokoll erfassten Bereichen, zu denen auch die Ausweisung von assoziationsrechtlich begünstigten türkischen Staatsangehörigen zählt (vgl. EuGH, U.v. 18.7.2007 - Derin, C-325/05 - juris Rn. 58 ff.), keine günstigere Behandlung gewährt werden als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander aufgrund des Vertrags über die Gründung der Gemeinschaft einräumen. Dies wäre jedoch der Fall, wenn Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG weiterhin angewandt werden könnte.

Nach Art. 31 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG müssen die Betroffenen gegen eine Entscheidung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einlegen können. Im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens sind nach Art. 31 Abs. 3 Satz 1 Richtlinie 2004/38/EG dabei die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und Umstände zu überprüfen, auf denen die Entscheidung beruht. Nach Art. 31 Abs. 3 Satz 2 Richtlinie 2004/38/EG gewährleistet das Rechtsbehelfsverfahren darüber hinaus, dass die Entscheidung nicht unverhältnismäßig ist. Die Beteiligung einer anderen als der für die Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats zuständigen Stelle, wie sie Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG im Sinne eines Vier-Augen-Prinzips vorsah, ist daher nach Art. 31 Richtlinie 2004/38/EG für den Rechtsschutz von Unionsbürgern gegen solche Entscheidungen nicht mehr zwingend vorgeschrieben (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 23; U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 30; U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 23: B.v. 15.4.2013 - 1 B 22.12 - juris Rn. 6). Soweit nach Art. 31 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG die Einlegung des Rechtsbehelfs bei einem Gericht „und gegebenenfalls bei einer Behörde“ möglich sein muss, soll dies nur nationalen Regelungen Rechnung tragen, nach denen der gerichtlichen Überprüfung noch ein behördliches Widerspruchsverfahren vorgeschaltet ist. Eine Verpflichtung zur Beteiligung einer weiteren unabhängigen Stelle im Verwaltungsverfahren ergibt sich daraus aber nicht (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 30; B.v. 15.4.2013 - 1 B 22.12 - juris Rn. 6 ff.). Ist danach bei Unionsbürger betreffenden Entscheidungen aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit die Beteiligung einer solchen Stelle nicht erforderlich, so würden türkische Staatsangehörige, die assoziationsrechtlich aufenthaltsberechtigt sind, bei sie betreffenden derartigen Entscheidungen auf der Grundlage von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 aber besser gestellt als Unionsbürger. Der Türkei würde daher entgegen Art. 59 ZP eine günstigere Behandlung gewährt als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander einräumen (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 25; U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 33; B.v. 15.4.2013 - 1 B 22.12 - juris Rn. 13 ff.).

c) Ist die Ausweisung des Klägers damit zwar nicht schon wegen einer Verletzung von Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG unheilbar formell rechtswidrig, so folgt ihre Rechtswidrigkeit jedoch daraus, dass die nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 in Verbindung mit § 55 Abs. 1 und § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG erforderlichen materiell-rechtlichen Ausweisungsvoraussetzungen nicht erfüllt sind.

Entgegen der Ansicht des Klägers kann dabei Art. 28 Abs. 3 Buchstabe a Richtlinie 2004/38/EG, nach dem eine Ausweisung gegen Unionsbürger nicht verfügt werden darf, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt werden, wenn sie ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben, im Falle von nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 erfolgenden Ausweisungen allerdings nicht entsprechend angewandt werden, um die Tragweite von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zu bestimmen (vgl. EuGH, U.v. 8.12.2011 - Ziebell, C-371/08 - juris Rn. 74). Vielmehr ist dazu Art. 12 Richtlinie 2003/109/EG als Bezugsrahmen heranzuziehen (EuGH a. a. O. Rn. 79), nach dessen Abs. 1 bei einem langfristig Aufenthaltsberechtigten eine Ausweisung nur verfügt werden kann, wenn er eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt.

Dementsprechend kann ein türkischer Staatsangehöriger, der wie der Kläger ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 ARB 1/80 besitzt, nach Art. 14 Abs. 1 ARB nur im Ermessenswege aufgrund einer Einzelfallprüfung ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland als des Aufnahmemitgliedstaats darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (vgl. EuGH a. a. O. Rn. 82 und 86; BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 13). Im Übrigen setzt die Ausweisung des Klägers, der seit 14.12.1999 eine nach § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgeltende unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich damit seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und deshalb nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz genießt, auch nach nationalem Recht schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung voraus (§ 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG).

Nach diesen Maßstäben erweist sich die Ausweisung des Klägers jedoch als rechtswidrig, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 eine gegenwärtige, tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr bestand (aa) und die Ausweisung außerdem zur Wahrung dieses Interesses nicht unerlässlich war (bb).

aa) Bei der Prüfung, ob eine gegenwärtige, tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft vorliegt, gilt ein differenzierender Wahrscheinlichkeitsmaßstab. An die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts sind im Rahmen der Gefahrenprognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Demgemäß gelten umso geringere Anforderungen an den Eintritt eines Schadens für ein bedrohtes Rechtsgut, je bedeutender dieses ist. Jedoch reicht auch bei hochrangigen Rechtsgütern nicht jede auch nur entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts für die Annahme einer gegenwärtigen Gefahr aus. Auch insoweit dürfen vielmehr keine zu geringen Anforderungen gestellt werden (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 16; U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 16). Darüber hinaus sind bei der Gefahrenprognose nach der letzten Behördenentscheidung eingetretene Tatsachen zu berücksichtigen, die den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen können, die das Verhalten des Betroffenen für das in Rede stehende Grundinteresse der Gesellschaft darstellen kann (vgl. EuGH, U.v. 8.12.2011 - Ziebell, C-371/08 - juris Rn. 84).

Eine gegenwärtige, tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft geht bei Berücksichtigung dieser Vorgaben von dem zu erwartenden persönlichen Verhalten des Klägers nach der aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) aber nicht mehr aus.

aaa) Zwar würde es eine hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellen, wenn der Kläger erneut eine Straftat begehen würde, die mit der der Ausweisung zugrunde liegenden vergleichbar ist. Denn der versuchte Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, der zur Verurteilung des Klägers zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten geführt hat, hat das Leben und die Gesundheit des Opfers gefährdet. Die Rechtsgüter Leben und Gesundheit der Bürger nehmen aber in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Werteordnung einen hohen Rang ein. Ihr Schutz ist daher ein Grundinteresse der Gesellschaft (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 19), das durch Straftaten, wie sie der Kläger begangen hat, erheblich beeinträchtigt wird. Angesichts des hohen Rangs der bedrohten Rechtsgüter und der schwerwiegenden Folgen, die eintreten können, wenn wie im Falle des Klägers dem Opfer mit einem mit Widerhaken versehenen Messer in lebensgefährlicher Weise tief in den Oberbauch gestochen wird, stellte die erneute Begehung vergleichbarer Taten durch den Kläger ohne weiteres für das betreffende Grundinteresse der Gesellschaft auch eine hinreichend schwere Gefahr dar.

Im Hinblick darauf und auf die Verurteilung des Klägers zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten liegen darüber hinaus schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nach § 56 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG vor. Insbesondere hat der Kläger angesichts der Dauer der verhängten Freiheitsstrafe einen Ausweisungsgrund nach § 53 Nr. 1 AufenthG verwirklicht, der vorliegt, wenn ein Ausländer wegen einer oder mehrerer Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist.

bbb) Jedoch stellt das persönliche Verhalten des Klägers nach Überzeugung des Senats keine gegenwärtige tatsächliche Gefahr mehr dar, die seine Ausweisung nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 in Verbindung mit § 55 Abs. 1 und § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG rechtfertigen könnte.

Nach den Feststellungen des Schwurgerichts auf der Grundlage des im Strafverfahren eingeholten neurologisch-psychiatrischen Gutachtens vom 30. Januar 2007 litt der durchschnittlich intelligente und eher zurückhaltende Kläger zum Zeitpunkt der Begehung der Straftat unter Minderwertigkeitsgefühlen und reagierte gegenüber Kränkungen und Zurückweisungen übersensibel. Seine Stresstoleranz und innere Stabilität waren gering ausgeprägt. Es herrschte ein Gefühl allgemeiner Unsicherheit vor. Der Gutachter ging zudem von einer noch nicht ausgereiften Identitätsbildung aus. Insbesondere die Sensibilität gegenüber Kränkungen und Zurückweisungen und die geringe Stresstoleranz des Klägers waren dabei maßgeblich mitursächlich dafür, dass es zu der der Ausweisung zugrunde liegenden Straftat kam.

Dass der Kläger sein Messer zog und damit schließlich zustach, hing mit der dem tatsächlichen Zusammentreffen vorangegangenen telefonischen Äußerung des Tatopfers zusammen, er werde den Kläger wieder dahin zurückstecken, wo er herausgekommen sei, die der Kläger als Beleidigung empfand. Denn bei Eintreffen des Tatopfers und seiner Begleiterinnen und Begleiter fragte der Kläger, der bis dahin nicht wusste, von wem diese Äußerung stammte, aufgebracht, wer ihn so beleidigt habe. Anlass für den Anruf des Tatopfers beim Kläger und das spätere Zusammentreffen war wiederum die Ohrfeige, die der Kläger der Schwägerin des Opfers am Abend zuvor gegeben hatte, weil er sich während einer verbalen Auseinandersetzung darüber ärgerte, dass diese ihn auf seine Äußerung hin, sie könne so nicht mit ihm reden, gefragt hatte, wie es denn wäre, wenn sie doch so mit ihm redete. Die Überempfindlichkeit des Klägers gegenüber Kränkungen und Zurückweisungen und seine geringe Stresstoleranz spielten daher eine entscheidende Rolle für den Geschehensablauf, der schließlich in den Totschlagsversuch und die damit einhergehende gefährliche Körperverletzung mündete.

Dementsprechend geht das psychiatrische Gutachten vom 2. Januar 2010 davon aus, dass die Gefahr eines Rückfalls hauptsächlich in Situationen besteht, in denen der Kläger sich wie bei der Begehung der seiner Verurteilung und Ausweisung zugrunde liegenden Straftat zurückgewiesen, abgewertet oder in seinem Selbstbild abgelehnt oder angegriffen fühlt (S. 29 des Gutachtens).

Nach Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs besteht aber angesichts der Entwicklung, die der Kläger seit der inzwischen mehr als achteinhalb Jahre zurückliegenden Tat durchlaufen hat, allenfalls noch die entfernte Möglichkeit, dass der Kläger erneut eine vergleichbare Straftat begehen wird. Dies reicht jedoch für die Annahme einer gegenwärtigen Gefahr auch unter Berücksichtigung der im Hinblick auf die hohe Bedeutung der bedrohten Rechtsgüter verminderten Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts nicht aus.

Der Kläger war nach der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt zur Führungsaufsicht vom 23. März 2011 während der Haft ruhig, fröhlich, offen, gutmütig und natürlich. Er trat respektvoll und verständig auf, verhielt sich gegenüber Bediensteten anständig, freundlich und hilfsbereit und war in der Gemeinschaft mit anderen Gefangenen gesellig und kameradschaftlich. Bei der Arbeit in einem Unternehmerbetrieb leistete er mit beständigem Fleiß fachgerechte und über dem Durchschnitt liegende Arbeit. Disziplinarisch ist er lediglich einmal im Jahr 2009 in Erscheinung getreten, weil er den Spion an seiner Haftraumtüre umgebaut und beschädigt hatte. Der Kläger bewarb sich im Mai 2007 für das anstaltsinterne soziale Kompetenztraining und nahm von Oktober bis Dezember 2007 an der Gewaltpräventionsgruppe der Justizvollzugsanstalt teil. Nach dem diesbezüglichen, im psychiatrischen Gutachten vom 2. Januar 2010 zusammengefassten Abschlussbericht vom 15. Dezember 2007 hat der Kläger regelmäßig und aktiv an den Behandlungsangeboten teilgenommen, gute Motivation gezeigt, an den Inhalten der Gruppe mitzuarbeiten, sich aus eigener Initiative öfter in das Gruppengeschehen eingebracht und seine Hausaufgaben zuverlässig und mit Sorgfalt erledigt. Er hat in ersten Ansätzen die auslösenden Bedingungen seiner Straftat erkennen können. Außerdem hat er gute Ansätze, Techniken und Strategien entwickelt, um zukünftig adäquater mit Konflikt- und Problemsituationen umgehen zu können. Eine Bearbeitung der Gewaltproblematik ist ihm vor allem auf der kognitiven Ebene gut möglich gewesen. Auf der emotionalen Ebene und der Verhaltensebene wurde allerdings noch eine Vertiefung für erforderlich gehalten.

Das psychiatrische Gutachten vom 2. Januar 2010 geht davon aus, dass das Verhaltensrepertoire des Klägers in der Situation, die zu der der Ausweisung zugrunde liegenden Straftat geführt hat, nicht ausreichend war, um einen Lösungsweg zu finden. Der Gutachter ist der Auffassung, dass die Teilnahme an der Gewaltpräventionsgruppe der Haftanstalt diesbezüglich lediglich einen Anfang gemacht habe, dass eine andauernde Veränderung und Erweiterung des Verhaltensrepertoires damit jedoch noch nicht abgeschlossen und deshalb eine weitere Therapie dringend erforderlich sei (S. 30 des Gutachtens). Nach seiner Einschätzung besteht zwar nicht die Gefahr, dass der Kläger wahllos fremde Personen attackieren werde, wohl aber dass im Rahmen von Beziehungskonflikten, insbesondere im Falle einer schweren Kränkung oder Erniedrigung, die alten Verhaltensmuster noch nicht so weit überwunden seien, dass es bei einer entsprechenden Konstellation nicht wieder zu aggressiven Durchbrüchen kommen könne (vgl. S. 30 f. des Gutachtens). Nach Ansicht des Gutachters ist daher von einer nicht mehr bestehenden Gefährlichkeit des Klägers erst unter der Bedingung auszugehen, dass eine erneute therapeutische Behandlung durchgeführt wird (S. 31 des Gutachtens).

Dementsprechend hat die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 10. März 2010, bestätigt durch den die sofortige Beschwerde des Klägers als unbegründet verwerfenden Beschluss des Oberlandesgerichts vom 14. April 2010, eine Aussetzung des Strafrests zur Bewährung abgelehnt. Außerdem hat sie unter Bezugnahme auf das psychiatrische Gutachten vom 2. Januar 2010 mit Beschluss vom 24. Juni 2011 festgestellt, dass nach Vollstreckung der Freiheitsstrafe Führungsaufsicht eintrete, weil nicht zu erwarten sei, dass der Kläger ohne diese Maßregel keine Straftaten mehr begehen werde. Gleichzeitig hat sie den Kläger im Hinblick darauf, dass nach dem Gutachten ohne eine vertiefende Bearbeitung der Gewaltproblematik ein Rückfall in alte Verhaltensweisen nicht mit der notwendigen Sicherheit ausgeschlossen werden könne, angewiesen, sich nach Haftentlassung einer ambulanten Psychotherapie bei einem namentlich bezeichneten Psychotherapeuten für die Dauer von mindestens einem Jahr zu unterziehen. An dieser Therapie hat der Kläger in der Zeit von Juli 2012 bis September 2013 teilgenommen. Mit seiner ärztlichen Mitteilung vom 9. September 2013 hat der Psychotherapeut der Bewährungshelferin des Klägers mitgeteilt, dass der Kläger am 9. September 2013 an der 14. psychotherapeutischen Sitzung teilgenommen habe, dass er sich an alle Abmachungen gehalten habe, dass nach seiner Meinung vom Kläger keine Gefahr mehr ausgehe und dass die Psychotherapie abgeschlossen werden könne.

Mit dem erfolgreichen Abschluss der psychotherapeutischen Behandlung besteht aber nicht nur nach Auffassung seines Therapeuten keine Gefahr mehr, dass der Kläger erneut ähnliche Straftaten wie diejenigen begeht, die seiner Verurteilung und Ausweisung zugrunde gelegen haben. Vielmehr sind damit auch die Bedingungen erfüllt, unter denen das Gutachten vom 2. Januar 2010 und ihm folgend die Strafvollstreckungskammer davon ausgegangen sind, dass der Kläger nicht mehr gefährlich ist. Dass nach Abschluss der im Beschluss über die Führungsaufsicht angeordneten Therapie die Gefahr der erneuten Begehung vergleichbarer Straftaten durch den Kläger nicht mehr besteht, steht aber auch zur Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs fest.

Der Senat geht aufgrund des Eindrucks, den der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 hinterlassen hat, davon aus, dass die erfolgreich abgeschlossene Therapie ihrem Zweck entsprechend (vgl. S. 30 des Gutachtens vom 2. Januar 2010) das Verhaltensrepertoire des Klägers in einer Weise verändert und erweitert hat, die es ihm ermöglicht, in Zukunft für Konflikte in Situationen wie derjenigen, die zu der der Verurteilung und Ausweisung zugrunde liegenden Straftat geführt hat, eine gewaltfreie Lösung zu finden. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich bestätigt hat, wurde im Rahmen der Therapie, deren Gegenstand die Gewaltprävention, das persönliche Verhalten des Klägers und seine aktuelle Situation waren, insbesondere auch besprochen, wie er sich in einer Situation wie derjenigen, die zu seiner Straftat geführt hat, verhalten müsste. Dass dies zutrifft und dass der Kläger in der Therapie gelernt und verinnerlicht hat, wie er sich in solchen Situationen gewaltfrei verhalten kann, belegen seine Antworten in der mündlichen Verhandlung.

So hat er erläutert, er wisse nunmehr, dass es zur Vermeidung von derartigen Situationen notwendig sei, bereits vom Kopf her eine andere Einstellung zu haben. Er dürfe sich schon gedanklich auf eine Situation, wie sie seiner Straftat zugrunde gelegen habe, nicht mehr einlassen, sondern müsse alles versuchen, ihr von vornherein aus dem Weg zu gehen. Konkret würde er sich heute in ähnlicher Lage wahrscheinlich umdrehen und weggehen. Auch würde er, selbst wenn er es dürfte, aufgrund seiner geänderten Einstellung kein Messer und auch keine sonstige Waffe mehr mit sich führen. Bei einem Streit innerhalb der Familie, dem er nicht ausweichen könne, rede er heute länger darüber. Auf seine leichte Kränkbarkeit angesprochen hat der Kläger ausgeführt, man könne solche Gefühle nicht völlig ausschließen, wohl aber reduzieren. Wenn jemand heute seine Familie beleidigen würde, würde er zu diesem Zweck daran denken, dass er seiner Familie nicht helfe, wenn er sich über die Kränkung erregen und wie bei seiner damaligen Straftat reagieren würde, weil er dann ja seine Familie erneut allein lasse. Letzteres zeigt darüber hinaus, dass dem Kläger, der inzwischen verheiratet und Vater eines eineinhalb Jahre alten Sohnes ist, seine Familie wichtig ist und er das Familienleben nicht durch die erneute Begehung von Straftaten gefährden will.

Es kommt hinzu, dass der Kläger nach den im Gutachten vom 2. Januar 2010 getroffenen Feststellungen die volle Verantwortung für seine Tat übernommen hat, ohne sie zu bagatellisieren, und dass die lange Haftzeit bei ihm einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat (S. 27 des Gutachtens). Dies hat sich in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 bestätigt, in der der Kläger, der auch im Übrigen offen und bereitwillig Auskunft gegeben hat, nachvollziehbar dargelegt hat, dass ihm in der Haft klargeworden sei, was für einen Fehler er gemacht habe, und dass vor allem die Inhaftierung und das Bewusstsein, dass er „Mist gebaut“ habe, ihn seit der Tat wesentlich geprägt hätten.

Außerdem ist der Senat aufgrund des Eindrucks, den er vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger in den fast neun Jahren seit der seiner Verurteilung und Ausweisung zugrunde liegenden Straftat durch die Haft, die Auseinandersetzung mit seiner Tat, die Teilnahme an der Gewaltpräventionsgruppe in der Haft, die psychotherapeutische Behandlung nach der Entlassung und die Gründung einer eigenen Familie deutlich reifer geworden ist, als er es zum Zeitpunkt der Tat im Jahr 2006 und der Erstellung des neurologisch-psychiatrischen Gutachtens vom 30. Januar 2007 war, das ihm noch eine durch geringe Stresstoleranz und innere Stabilität und durch allgemeine Unsicherheit gekennzeichnete nicht ausgereifte Identitätsbildung bescheinigte (S. 88 des Gutachtens). Da gerade diese Faktoren bei der Tatbegehung eine wesentliche Rolle gespielt haben, hat der mit der Einsicht in die Fehlerhaftigkeit seiner früheren Verhaltensmuster und in ihre negativen Folgen verbundene Reifungsprozess des Klägers die Wahrscheinlichkeit der erneuten Begehung vergleichbarer Straftaten nach Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs aber deutlich verringert.

Darüber hinaus ergeben sich auch aus dem Verhalten des Klägers keine Anhaltspunkte dafür, dass von ihm gegenwärtig tatsächlich noch eine hinreichend schwere Gefahr für das Leben und die Gesundheit anderer ausgeht. Das Verhalten des Klägers in der Haft war mit Ausnahme des Umbaus und der Beschädigung des Spions in der Haftraumtür beanstandungsfrei. Insbesondere war er während der Haftzeit nie in gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt. Nach der Entlassung aus der Strafhaft hat er keine Straftaten mehr begangen. Seit der der Ausweisung zugrunde liegenden Straftat im Juni 2006 sind damit mehr als acht Jahre, seit der Haftentlassung im September 2011 mehr als drei Jahre und seit dem Abschluss der Psychotherapie im September 2013 mehr als ein Jahr vergangen, ohne dass der Kläger erneut straffällig geworden wäre. Nach den vorliegenden Berichten der Bewährungshilfe hat er zudem seit seiner Entlassung alle Termine zuverlässig eingehalten und beanstandungsfrei, offen und kooperativ mit den Bewährungshelferinnen zusammengearbeitet. Nach Abschluss der Psychotherapie wurde der Kläger auf Anregung der Bewährungshelferin vom 12. September 2013 noch im September 2013 aus der Liste der Risikoprobanden der Führungsaufsichtsstelle gestrichen.

Anhaltspunkte für eine beachtliche Wiederholungsgefahr ergeben sich auch nicht aus dem Verhalten des Klägers vor der seiner Verurteilung und Ausweisung zugrunde liegenden Straftat. Der Kläger war nicht vorbestraft. Außer einem nach § 153 Abs. 1 StPO wegen geringer Schuld eingestellten Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort am 15. August 2005 und einem nach § 170 Abs. 2 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellten Ermittlungsverfahren wegen einer leichten Körperverletzung am 17. Mai 2002 haben gegen ihn auch keine strafrechtlichen Ermittlungen stattgefunden. Soweit der Kläger daneben gegenüber dem Sachverständigen, der das psychiatrische Gutachten vom 2. Januar 2010 erstellt hat, angegeben hat, er sei vor der seiner Verurteilung zugrunde liegenden Straftat im Fußballverein oder in der Diskothek schon einmal in Schlägereien verwickelt gewesen, bei denen aber nie jemand ernsthaft verletzt worden sei, haben diese offensichtlich nicht zu Ermittlungsverfahren gegen den Kläger geführt. Im Übrigen reichen nach Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs auch diese etwaigen Körperverletzungen nicht aus, um von einer gegenwärtigen Gefahr der Begehung weiterer Straftaten durch den Kläger auszugehen. Denn abgesehen davon, dass die betreffenden Vorfälle bereits viele Jahre zurückliegen, geht der Senat davon aus, dass sich die Einstellung des Klägers zur Anwendung von Gewalt durch den Eindruck der Haft, durch die Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten im Rahmen der Gewaltpräventionsgruppe in der Justizvollzugsanstalt und der Psychotherapie nach der Entlassung aus der Haft sowie durch seine Heirat und die Geburt seines Sohnes im Vergleich zu der Zeit vor seiner Inhaftierung so gewandelt hat, dass in Zukunft Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit oder gar das Leben von ihm nicht mehr zu erwarten sind. Denn dies entspricht nicht nur der Einschätzung des Gutachtens vom 2. Januar 2010 und des Psychotherapeuten des Klägers, sondern wird, wie dargelegt, auch dadurch bestätigt, dass der Kläger mehr als acht Jahre nach der seiner Verurteilung und Ausweisung zugrunde liegenden Tat, mehr als drei Jahre nach seiner Haftentlassung und mehr als ein Jahr nach Therapieabschluss nicht straffällig geworden und insbesondere nicht wegen eines gewalttätigen Verhaltens aufgefallen ist.

Schließlich ergibt sich etwas anderes auch nicht daraus, dass die mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 24. Juni 2011 für die Dauer von fünf Jahren angeordnete Führungsaufsicht fortbesteht. Die Führungsaufsicht tritt gemäß § 68f Abs. 1 Satz 1 StGB mit der Entlassung des Verurteilten aus dem Strafvollzug kraft Gesetzes ein, wenn wie hier eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen vorsätzlicher Straftaten vollständig vollstreckt worden ist. Etwas anderes gilt nur, wenn nach § 68f Abs. 2 StGB angeordnet wird, dass die Führungsaufsicht entfällt, weil zu erwarten ist, dass der Verurteilte auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird. Davon hat die Strafvollstreckungskammer aber im Hinblick auf das Gutachten vom 2. Januar 2010 abgesehen, nach dem von einer Rückfallgefahr erst nach einer weiteren Psychotherapie nicht mehr ausgegangen werden konnte. Zwar hat die Strafvollstreckungskammer die Dauer der Führungsaufsicht, die nach § 68c Abs. 1 Satz 1 StGB mindestens zwei und höchstens fünf Jahre beträgt, auf fünf Jahre festgesetzt. Es hat dies allerdings nicht näher begründet. Auch hat es zum Zeitpunkt seiner Entscheidung weder berücksichtigen können, dass der Kläger die Psychotherapie, zu der er durch die Vollstreckungskammer angewiesen wurde, erfolgreich abgeschlossen hat noch dass der Kläger die Prognose, dass von ihm nach einer erfolgreichen Therapie die Gefahr weiterer Straftaten nicht mehr ausgeht, seitdem durch straffreies Verhalten bestätigt hat. Unter diesen Umständen ist der Verwaltungsgerichtshof durch die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer aber nicht daran gehindert, wie hier auf der Grundlage der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls und des persönlichen Eindrucks, den er vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, zu der Überzeugung zu gelangen, dass trotz des Fortbestehens der Führungsaufsicht zum Zeitpunkt seiner Entscheidung keine gegenwärtige Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft mehr besteht (vgl. zur fehlenden Bindung der Verwaltungsgerichte an die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer über die Aussetzung des Strafrests zur Bewährung hinsichtlich der Gefahrenprognose BVerwG, U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 23; U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18 ff.).

Ebenso wenig steht der Verneinung einer vom Kläger ausgehenden Wiederholungsgefahr entgegen, dass nach dem psychiatrischen Gutachten vom 2. Januar 2010 statistisch gesehen etwa ein Drittel der verurteilten Gewalttäter innerhalb von drei Jahren erneut verurteilt werden (vgl. S. 23 f. Gutachtens). Abgesehen davon, dass die statistisch hohe Rückfallwahrscheinlichkeit allenfalls ein Gesichtspunkt von vielen ist, die bei der anhand einer Prüfung aller Umstände des Einzelfalls zu erstellenden Gefahrenprognose zu berücksichtigen sind, sprechen die im Gutachten vom 2. Januar 2010 darüber hinaus wiedergegebenen statistischen Erhebungen dafür, dass beim Kläger ein weit geringeres Rückfallrisiko besteht. Denn danach hatten Verurteilte, die während der Haft nicht durch Disziplinarmaßnahmen auffielen, deutlich niedrigere Rezidivraten als die Gesamtheit der Straftäter (S. 24 des Gutachtens). Neben der lediglich einmaligen disziplinarischen Ahndung des Klägers während der gesamten, mehr als fünfjährigen Haft spricht statistisch gesehen das Fehlen von Vorstrafen dafür, dass die Rückfallwahrscheinlichkeit beim Kläger gering ist (vgl. S. 25 des Gutachtens). Im Übrigen ist auch der Sachverständige, der die von ihm referierten statistischen Daten und insbesondere die relativ hohe Rückfallwahrscheinlichkeit bei Gewaltdelikten bei seiner Prognose ausdrücklich berücksichtigt hat (vgl. S. 30 des Gutachtens), zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger nach einer erneuten und inzwischen durchgeführten Therapie nicht mehr gefährlich ist.

bb) Selbst wenn man anders als der Verwaltungsgerichtshof von einer gegenwärtigen Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft ausgeht, war die Ausweisung des Klägers zum für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung jedoch rechtswidrig. Denn sie war zur Wahrung dieses Grundinteresses der Gesellschaft nicht unerlässlich.

Dabei ist im Rahmen der Prüfung der Unerlässlichkeit zu beachten, dass die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein müssen (vgl. EuGH U.v. 8.12.2011 - Ziebell, C-371/08 - juris Rn. 82). Zu berücksichtigen sind dabei sämtliche konkreten Umstände, die für die Situation des Betroffenen kennzeichnend sind (vgl. EuGH a. a. O. Rn. 85), insbesondere die Dauer seines Aufenthalts im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats, sein Alter, die Folgen seiner Ausweisung für ihn und seine Familienangehörigen sowie seine Bindungen zum Aufenthaltsstaat oder fehlende Bindungen zum Herkunftsstaat (Art. 12 Abs. 3 Richtlinie 2003/109/EG; vgl. EuGH a. a. O. Rn. 80). Ebenso sind die für die Wahrung des Grundinteresses der Gesellschaft bedeutsamen Umstände zu berücksichtigen wie die Art und Schwere der Straftat, die seit der Straftat vergangene Zeit und das Verhalten des Klägers in dieser Zeit (vgl. EGMR, U.v. 2.7.2001 - Boultif, Nr. 54273/00 - InfAuslR 2001, 476/478; U.v. 5.7.2005 - Üner, Nr. 46410/99 - DVBl 2006, 688).

Danach war die Ausweisung zur Wahrung des hier betroffenen Grundinteresses der Gesellschaft nach Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs aber nicht unerlässlich. Denn sie verstieß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zwar war sie ohne weiteres zur Wahrung dieses Grundinteresses geeignet und erforderlich, weil etwaige vom Kläger ausgehende Gefahren für das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung in der Bundesrepublik am wirksamsten durch seine Ausweisung abgewendet werden können. Jedoch überwiegt das in seinem Recht auf Privat- und Familienleben wurzelnde Interesse des Klägers, sich weiter im Bundesgebiet aufhalten zu dürfen, das mit der Ausweisung verfolgte öffentliche Interesse an der Wahrung des betreffenden Grundinteresses der Gesellschaft. Die Folgen der Ausweisung für den Kläger stehen deshalb zu dem mit dieser Maßnahme verfolgten Ziel außer Verhältnis.

aaa) Zwar kommt dem mit der Ausweisung verfolgten Ziel, das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung vor weiteren Straftaten des Klägers zu schützen, angesichts des hohen Rangs dieser Rechtsgüter großes Gewicht zu. Dieses Gewicht ist aber dadurch deutlich vermindert, dass die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger erneut Straftaten gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit begeht, sehr gering ist. Denn, wie dargelegt, geht vom Kläger in Anbetracht des nachhaltigen Eindrucks, den die Haft bei ihm hinterlassen hat, der erfolgreich absolvierten Psychotherapie und des damit einhergehenden Einstellungswandels sowie der Tatsache, dass die der Ausweisung zugrunde liegende Straftat bereits acht Jahre zurückliegt und der Kläger weder während seiner mehr als fünfjährigen Haft noch in den mehr als drei Jahren seit seiner Entlassung aus dem Strafvollzug erneut durch Körperverletzungs-, Tötungs- oder andere Gewaltdelikte in Erscheinung getreten ist, allenfalls noch eine entfernte Gefahr der Begehung solcher Straftaten aus.

bbb) Demgegenüber beeinträchtigt die Ausweisung des in Deutschland geborenen und seit mehr als 31 Jahren hier lebenden Klägers neben seinem Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 GG sein Recht auf Privatleben nach Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 7 EU-GR-Charta ebenso wie sein Recht auf Familienleben nach Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 7 EU-GR-Charta sowie sein Grundrecht auf Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG und sein Recht auf Pflege und Erziehung seines Kindes nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG.

Der Entzug des Aufenthaltsrechts nach Art. 7 ARB 1/80 und die damit verbundene Beeinträchtigung des Rechts des Klägers auf Privatleben wiegen dabei schwer. Der Kläger ist faktischer Inländer. Er ist in Deutschland geboren und hat 31 Jahre hier gelebt. Er hat die Schule mit dem Qualifizierenden Hauptschulabschluss beendet und eine Lehre zum Maschinenbaumechaniker erfolgreich abgeschlossen. Der Schwerpunkt seiner sozialen Kontakte liegt im Bundesgebiet. Seine Ehefrau und sein Sohn sowie seine Geschwister und ein großer Teil seiner Verwandten leben in Deutschland. Wie die umfangreiche Besucherliste der Justizvollzugsanstalt belegt, hat der Kläger darüber hinaus in der Bundesrepublik eine Reihe von Freunden und Bekannten. Zwar hat der Kläger auch Bindungen zu seinem Herkunftsland Türkei. Er ist in einer türkischen Familie aufgewachsen, spricht Türkisch und hat in der Grundschule eine türkische Klasse besucht, in der manche Fächer auch in türkischer Sprache unterrichtet wurden. Außerdem sind seine Eltern im Oktober 2014 in die Türkei zurückgekehrt, so dass er im Falle seiner Ausreise oder Abschiebung dorthin nicht auf sich allein gestellt wäre. Auch wenn man davon ausgeht, dass der Kläger sich unter diesen Umständen in der Türkei wohl eine neue Existenz aufbauen könnte, ändert dies jedoch nichts daran, dass seine Ausweisung und die damit verbundene Beeinträchtigung seines Rechts auf Privatleben für den in der Bundesrepublik geborenen und hier seit seiner Geburt lebenden und verwurzelten Kläger insbesondere im Hinblick auf seine familiären Beziehungen schwer wiegt und seinem Interesse, sich weiter im Bundesgebiet aufhalten zu dürfen, daher erhebliches Gewicht beizumessen ist.

Da die Ehefrau und der eineinhalbjährige Sohn des Klägers, die beide deutsche Staatsangehörige sind, in der Bundesrepublik leben, berührt seine Ausweisung nicht nur das Recht auf Privatleben, sondern stellt auch eine besonders schwerwiegende Beeinträchtigung seines Rechts auf Familienleben (Art. 8 Abs. 1 EMRK, Art. 7 EU-GR-Charta) sowie des Rechts auf Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) und des Rechts auf Pflege und Erziehung seines Sohnes (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) dar. Zwar ist dabei zu berücksichtigen, dass die im Februar 2013 geschlossene Ehe des Klägers zu einem Zeitpunkt eingegangen worden ist, zu dem der Ehefrau des Klägers die der Ausweisung zugrunde liegende Straftat und die Ausweisung selbst bereits bekannt waren (vgl. EGMR, U.v. 2.7.2001 - Boultif, Nr. 54273/00 - InfAuslR 2001, 476/478; U.v. 5.7.2005 - Üner, Nr. 46410/99 - DVBl 2006, 688; U.v. 28.6.2011 - Nunez, Nr. 55597/09 - HUDOC Rn. 70), und dass dem Recht auf Privatleben und dem Schutz der Ehe in solchen Fällen ein vermindertes Gewicht beizumessen sein kann. Jedoch kommt andererseits dem Schutz der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) und dem Recht auf Pflege und Erziehung seines Sohnes, das im Interesse des Kindes mit einer entsprechenden Pflicht einhergeht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG), große Bedeutung zu.

Die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm gebietet es, bei Entscheidungen über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, B.v. 8.12.2005 - 2 BvR 1001/04 - juris Rn. 17; U.v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 - juris Rn. 16; B.v. 1.12.2008 - 2 BvR 1830/08 - juris Rn. 26; B.v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 - juris Rn. 12). Dabei ist maßgeblich auf die Sicht des Kindes abzustellen (BVerfG, B.v. 8.12.2005 - 2 BvR 1001/04 - juris Rn. 25; B.v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 - juris Rn. 18; B.v. 1.12.2008 - 2 BvR 1830/08 - juris Rn. 31; B.v 25.6.2013 - 2 BvR 586/13 - juris Rn. 14). Kann die familiäre Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind nur in der Bundesrepublik gelebt werden, weil weder dem Kind noch seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik zumutbar ist, etwa weil das Kind deutscher Staatsangehöriger ist und ihm wegen der Beziehungen zu seiner Mutter eine Ausreise aus Deutschland nicht zugemutet werden kann, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange in der Regel zurück (vgl. BVerfG, B.v. 8.12.2005 - 2 BvR 1001/04 - juris Rn. 19; B.v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 - juris Rn. 17; B.v. 1.12.2008 - 2 BvR 1830/08 - juris Rn. 27; B.v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 - juris Rn. 13). Auch eine vorübergehende Trennung kann sich als unzumutbar darstellen. Ein hohes, gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht haben die Folgen einer vorübergehenden Trennung insbesondere dann, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt (vgl. BVerfG, B.v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 - juris Rn. 22; B.v. 1.12.2008 - 2 BvR 1830/08 - juris Rn. 33; B.v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 - juris Rn. 14).

Nach diesen Maßgaben stellt sich die Ausweisung aber ungeachtet der Beziehungen des Klägers zur Türkei und der Eheschließung in Kenntnis seines unsicheren Aufenthaltsstatus als schwerwiegende Beeinträchtigung seines Interesses dar, sich weiter in der Bundesrepublik aufzuhalten. Denn die mit der Ausweisung verbundene Beeinträchtigung des Rechts auf Familienleben (Art. 8 Abs. 1 EMRK, Art. 7 EU-GR-Charta), des Rechts auf den Schutz der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) und auf Pflege und Erziehung seines Sohnes (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) wiegen danach schwer.

Zwischen dem Kläger und seinem Sohn besteht seit dessen Geburt eine familiäre Lebensgemeinschaft. Der Kläger und seine Ehefrau leben zusammen mit ihrem Sohn in einer gemeinsamen Wohnung. Die familiäre Lebensgemeinschaft kann auch nur in der Bundesrepublik aufrechterhalten werden, weil sowohl die Ehefrau des Klägers als auch sein Sohn deutsche Staatsangehörige sind, denen es nicht zumutbar ist, die Bundesrepublik zu verlassen. Schließlich wäre von der Ausweisung und der damit verbundenen Trennung des eineinhalbjährigen Sohnes von seinem Vater ein sehr kleines Kind betroffen, das den Charakter einer räumlichen Trennung nicht begreifen könnte und diese daher als endgültigen Verlust des Vaters erfahren würde. Die Folgen einer Trennung des Klägers von seinem Sohn auch nur für die Dauer des nach dem Änderungsbescheid vom 27. Januar 2015 auf drei Jahre befristeten Wiedereinreiseverbots haben daher großes Gewicht, zumal nach Art. 24 Abs. 2 EU-GR-Charta das Wohl des Kindes bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen eine vorrangige Erwägung sein muss.

ccc) Ist damit einerseits das Interesse des Klägers, sich weiter im Bundesgebiet aufzuhalten, durch die Ausweisung schwerwiegend beeinträchtigt und kommt andererseits dem Grundinteresse der Gesellschaft, das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen, angesichts der nur noch geringen Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger erneut ein Tötungs-, Körperverletzungs- oder anderes Gewaltdelikt begehen wird, nur geringes Gewicht zu, so überwiegt das private Interesse des Klägers, in der Bundesrepublik zu bleiben. Die Ausweisung erweist sich als unverhältnismäßig und ist damit auch nicht zur Wahrung des betroffenen Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich.

2. Die daraus resultierende Rechtswidrigkeit der Ausweisung hat zur Folge, dass auch die Befristung des Wiedereinreiseverbots auf die Dauer von drei Jahren und die Abschiebungsandrohung rechtswidrig sind, den Kläger in seinen Rechten verletzen und daher aufzuheben sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

a) Die Voraussetzungen für eine Befristung des Wiedereinreiseverbots nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen nicht vor. Denn gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG, nach dem die Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG befristet werden, setzt eine solche Befristung voraus, dass der Kläger ausgewiesen worden ist und deshalb nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen darf. Da die Ausweisung des Klägers jedoch rechtswidrig und daher aufzuheben ist, ist dies hier nicht der Fall.

b) Die Abschiebungsandrohung ist rechtswidrig, weil die Androhung der Abschiebung nach § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG das Bestehen einer Ausreisepflicht voraussetzt, der Kläger jedoch nicht ausreisepflichtig ist. Zur Ausreise ist ein Ausländer nach § 50 Abs. 1 AufenthG verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss EWG-Türkei nicht oder nicht mehr besteht. Diese Voraussetzungen sind hier aber nicht erfüllt. Weder ist die nach § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgeltende unbefristete Aufenthaltserlaubnis des Klägers nach § 51 Abs. 1 Halbsatz 1 Nr. 5 AufenthG durch die Ausweisung erloschen noch hat er ihretwegen gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 sein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 verloren. Denn die Ausweisung ist, wie dargelegt, rechtswidrig und damit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 Abs. 2 und § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 709 Satz 2 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

Tenor

I.

Unter Abänderung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 9. Oktober 2008 wird der Bescheid der Beklagten vom 11. April 2008 in der Fassung des in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 ergänzten Änderungsbescheids der Beklagten vom 27. Januar 2015 aufgehoben.

II.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger verfolgt mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen seine Ausweisung weiter.

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er wurde am 6. November 1983 in München geboren und lebt seit seiner Geburt im Bundesgebiet. Er verfügt über einen Qualifizierenden Hauptschulabschluss und hat eine Lehre zum Maschinenbaumechaniker erfolgreich abgeschlossen. Am 17. April 1997 erhielt er eine zunächst bis 5. November 1999 befristete Aufenthaltserlaubnis, die aufgrund seines Antrags vom 4. November 1999 am 14. Dezember 1999 unbefristet verlängert wurde.

Nach Einstellung eines Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung nach § 170 Abs. 2 StPO im Jahr 2002 und Einstellung eines Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort gemäß § 153 Abs. 1 StPO im Jahr 2005 wurde der Kläger mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts München I vom 19. April 2007 wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Der Verurteilung lag nach den Feststellungen des Landgerichts folgender Sachverhalt zugrunde:

Während einer Hochzeitsfeier am 21. Juli 2006, an der der Kläger mit seiner Freundin teilnahm, begleitete diese eine zu den Hochzeitsgästen gehörende Freundin zu einem Treffen mit einem weiteren Gast, der diese Freundin kennenlernen wollte. Der Kläger beobachtete dies und machte zunächst seiner Freundin Vorwürfe, weil er ihr Verhalten für falsch hielt. Dann warf er der Freundin seiner Freundin vor, sie sei an allem schuld. Über die Frage der Freundin seiner Freundin, wie es für ihn wäre, wenn sie so mit ihm redete wie er mit ihr, ärgerte sich der Kläger so sehr, dass er ihr mit der flachen Hand so heftig auf die Wange schlug, dass sie taumelte und zu Boden gestürzt wäre, wäre sie nicht von einem anderen Anwesenden an den Armen festgehalten worden. Nachdem die Freundin der Freundin des Klägers am 22. Juli 2006 ihrer Familie von dem Vorfall berichtet hatte, rief ihr Schwager (im Folgenden: der Geschädigte) den Kläger an, um ihn zur Rede zu stellen. Im Verlauf des Gesprächs äußerte er sinngemäß, er werde den Kläger wieder dorthin zurückstecken, wo er herkomme. Der Kläger forderte ihn daraufhin auf, doch zu ihm zu kommen. Daraufhin begab der Geschädigte sich gemeinsam mit der Freundin der Freundin des Klägers und weiteren Angehörigen zur Wohnung des Klägers, um diesen zur Rede zu stellen und ihn zu einer Entschuldigung zu bewegen. Der Kläger, der über die telefonische Beleidigung aufgebracht war, bewaffnete sich mit einem feststehenden Jagd- oder Fischereimesser mit einer Klingenlänge von 8,5 cm und einer maximalen Klingenbreite von 2,7 cm, das an der Klinge einen Widerhaken besaß, und verließ seine Wohnung. Auf einer nahe gelegenen Freifläche traf er auf den Geschädigten und seine Begleiter. Er zog sofort sein Messer und erkundigte sich, wer ihn beleidigt habe. Er ließ sich durch den Geschädigten und seine Begleiter nicht beruhigen. Dem Geschädigten war nach seiner Vorstellung ein Rückzug nicht mehr möglich, wenn er vor seinen Verwandten nicht das Gesicht verlieren wollte. Auch der Kläger wollte Standhaftigkeit demonstrieren. Um seinem Ärger demonstrativ Ausdruck zu verleihen, versetzte er, ohne zu wissen, wer ihn beleidigt hatte, dem Geschädigten einen mit äußerster Wucht geführten Stich in den rechten zentralen Oberbauch, wobei er das Messer bis zum Heft in den Körper des Geschädigten rammte. Dadurch wurde die Bauchwand auf einer Länge von 10 cm von unten nach oben in Richtung des Rippenbogens durchtrennt. Nur durch Zufall wurden lebenswichtige Organe oder große Blutgefäße nicht getroffen. Zur Rettung des Geschädigten unternahm der Kläger nichts. Der Geschädigte wurde jedoch auf Veranlassung Dritter ins Krankenhaus eingeliefert und sofort operiert. Der Geschädigte litt auch zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung noch an den beiden schlecht verheilten Stich- und Operationsnarben, die im Sitzen und Liegen schmerzten. Sport konnte er nicht treiben. Außerdem traten Magen- und Darmprobleme auf, die zu einem Gewichtsverlust von 10 kg führten. Infolge der verletzungsbedingten Schonhaltung bekam er schließlich Probleme mit der Halswirbelsäule.

Nachdem der Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten hatte, wies die Beklagte ihn mit Bescheid vom 11. April 2008 aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Nr. 1 des Bescheids), untersagte ihm die Wiedereinreise (Nr. 2 des Bescheids) setzte ihm eine Ausreisefrist bis zum 15. Mai 2008 und drohte ihm für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung in die Türkei oder einen anderen Staat an, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist (Nr. 3 des Bescheids). Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, als nach dem Assoziationsratsbeschluss 1/80 Berechtigter dürfe der Kläger nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 in Verbindung mit § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG nur im Rahmen einer Ermessensentscheidung und bei Vorliegen einer tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung für ein Grundinteresse der Gemeinschaft ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten auf die konkrete Gefahr von weiteren schweren Störungen der öffentlichen Ordnung hindeute. Angesichts seiner Verurteilung wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten und der Gefahr weiterer schwerwiegender Straftaten seien diese Voraussetzungen erfüllt. Selbst wenn Art. 28 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG anwendbar sei, stehe er angesichts dieser Verurteilung einer Ausweisung des Klägers nicht entgegen. Soweit der Kläger nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz genieße, lägen die für die Ausweisung erforderlichen schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor. Die pflichtgemäße Ermessensausübung ergebe auch unter Beachtung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK, dass das öffentliche Interesse das private Interesse des Klägers eindeutig überwiege. Ergänzend wird auf die Gründe des Bescheids vom 11. April 2008 Bezug genommen.

Die gegen den Bescheid gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 9. Oktober 2008 ab und begründete dies im Wesentlichen wie folgt:

Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in eigenen Rechten. Der Kläger habe ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 und erfülle im Hinblick auf seine abgeschlossene Ausbildung auch die Voraussetzungen von Art. 7 Satz 2 ARB 1/80. Die Ausweisung sei weder in formeller noch in materieller Hinsicht zu beanstanden. Sie verstoße nicht gegen das in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG verankerte Vier-Augen-Prinzip, weil die Richtlinie 64/221/EWG durch die Richtlinie 2004/38/EG aufgehoben worden sei. Nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG in Verbindung mit Art. 14 ARB 1/80 könne der Kläger nur im Rahmen einer Ermessensentscheidung und nur dann ausgewiesen werden, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliege, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, wobei eine strafrechtliche Verurteilung eine Ausweisung nur rechtfertigen könne, wenn die ihr zugrunde liegenden Umstände ein Verhalten erkennen ließen, das eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle. Der Kläger genieße darüber hinaus nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG und Art. 3 Abs. 3 ENA besonderen Ausweisungsschutz, der allerdings nicht weiter reiche als der assoziationsrechtliche. Die vom Kläger begangene Straftat des versuchten Mordes und der gefährlichen Körperverletzung stelle eine besonders schwerwiegende, Grundinteressen der Gesellschaft berührende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar. Es bestehe auch die Gefahr weiterer vergleichbarer Straftaten. Dabei dürften insoweit im Hinblick auf die betroffenen überragenden Schutzgüter des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Aus den Tatumständen gehe hervor, dass der Kläger dazu neige, sich gegen Beleidigungen und Ehrverletzungen mit physischer Gewalt zur Wehr zu setzen. Die Ausweisung sei darüber hinaus verhältnismäßig und scheitere nicht am Recht des Klägers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK. Zwar habe die Sozialisation des in Deutschland geborenen Klägers in der Bundesrepublik stattgefunden. Es sei jedoch anzunehmen, dass er mit der türkischen Sprache und Kultur hinreichend vertraut sei. Die Eltern und Brüder des Klägers lebten zwar im Bundesgebiet. Er habe aber in der Bundesrepublik bisher keine eigene Kernfamilie gegründet. Dass der seit mehreren Jahren volljährige Kläger auf die Hilfe seiner in Deutschland lebenden Familienangehörigen in besonderer Weise angewiesen sei, sei nicht erkennbar. Der Kontakt zu ihnen könne brieflich, telefonisch und im Rahmen von Betretenserlaubnissen aufrechterhalten werden. Zwar sei die Ausweisung auch deshalb ein erheblicher Eingriff in das Recht des Klägers aus Art. 8 Abs. 1 EMRK, weil er selbst nach einer Befristung keinen Anspruch auf Wiedereinreise in die Bundesrepublik habe. Die Ausweisung sei aber im Hinblick auf die massive Straffälligkeit des Klägers und die von ihm weiterhin ausgehende Gefahr für die überragenden Schutzgüter des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit noch als verhältnismäßig anzusehen. Sonstige Ermessensfehler seien nicht ersichtlich. Die Beklagte habe alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls berücksichtigt und zutreffend gewichtet. Der erhöhte Ausweisungsschutz nach Art. 28 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG komme ihm als türkischem Staatsangehörigen nicht zugute.

Seine Berufung, die vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage, ob sich der Kläger weiterhin auf Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG berufen könne, zugelassen wurde, begründet der Kläger im Wesentlichen wie folgt:

Die Ausweisung verstoße gegen die Verfahrensgarantie des Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG, die auf türkische Staatsangehörige auch nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG durch die Richtlinie 2004/38/EG, die die Kontrolle von Ausweisungsentscheidungen durch eine zweite Verwaltungsinstanz durch einen erweiterten gerichtlichen Rechtsschutz ersetzt habe, weiterhin anzuwenden sei. Gelte die Richtlinie 2004/38/EG nur für Unionsbürger, nicht jedoch für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige, so müsse für Letztere zwingend der bisherige Standard erhalten bleiben. Die Nichtbeachtung von Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG führe dazu, dass die Ausweisung unheilbar rechtswidrig sei. Im Übrigen sei demgegenüber im Ergebnis aber davon auszugehen, dass die Richtlinie 2004/38/EG und damit Art. 28 Abs. 3 dieser Richtlinie auch für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige gelte. Der Kläger, der in den letzten zehn Jahren seinen Aufenthalt im Bundesgebiet gehabt habe, dürfe daher nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit ausgewiesen werden. Die öffentliche Sicherheit werde durch den Kläger aber künftig nicht gefährdet. Eine konkrete Wiederholungsgefahr sei nicht zu erwarten. Durch seine soziale Integration und zielstrebige Berufsausbildung habe der bis zu seiner Verurteilung wegen der der Ausweisung zugrunde liegenden Tat nicht vorbestrafte Kläger dargetan, dass er bis dahin keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dargestellt habe. Außerdem habe er durch Entschuldigungen und Schmerzensgeldzahlungen zum Ausdruck gebracht, dass er die Tat bedauere. Das Verwaltungsgericht habe insbesondere das Nachtatverhalten des Klägers außer Acht gelassen. Zwar habe es erwähnt, dass der Kläger an einer zweimonatigen Gewaltpräventionsgruppe teilgenommen habe. Es habe dies und das gesamte positive Strafvollzugsverhalten jedoch bei der Bewertung der Ermessensentscheidung in keiner Weise berücksichtigt. Da sich der Kläger erstmals im Strafvollzug befinde, müsse davon ausgegangen werden, dass dies nachhaltige Wirkungen auf ihn ausübe, die ihn von künftigen Straftaten abhielten. Eine konkrete Wiederholungsgefahr, wie sie Art. 14 ARB 1/80 fordere, sei angesichts dessen beim Kläger nicht zu erkennen. Aus dem Gutachten im Strafprozess und der Tat allein könne auf eine solche Wiederholungsgefahr nicht geschlossen werden.

Der Kläger beantragt zuletzt,

das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 9. Oktober 2008 und den Bescheid der Beklagten vom 11. April 2008 in der Fassung des Änderungsbescheids der Beklagten vom 27. Januar 2015 und der Ergänzung in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, der Ausweisungsbescheid sei rechtmäßig. Er verstoße insbesondere weder gegen Art. 9 Richtlinie 64/221/EWG noch gegen Art. 28 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG. Es bestehe die konkrete Gefahr, dass der Kläger nach wie vor nicht in der Lage sei, seine Aggressionen zu kontrollieren. Kläger und Justizvollzugsanstalt hätten die Teilnahme an der Gewaltpräventionsgruppe für erforderlich gehalten. Beim Kläger liege nach dem im Strafprozess erstellten Gutachten wahrscheinlich eine eher geringe Stresstoleranz und innere Stabilität und eine allgemeine Unsicherheit bei noch nicht ausgereifter Identitätsbildung vor. Nach Lösung des Verlöbnisses könne die Beziehung zu seiner Lebensgefährtin nicht mehr zur Stabilisierung des Klägers beitragen. Auch wenn der Kläger faktischer Inländer sei, sei zu berücksichtigen, dass er massiv straffällig geworden sei und abgesehen von den Bindungen zu seiner Herkunftsfamilie keine gewichtigen familiären Bindungen habe. Schließlich lägen Umstände vor, die dem Kläger die Integration in der Türkei erleichtern würden. Seine Großeltern lebten in der Türkei. Er habe Urlaubsaufenthalte dort verbracht, habe eine türkischsprachige Klasse besucht und seine Korrespondenz während der Haft belege seine Türkischkenntnisse.

Der Vertreter des öffentlichen Interesses beteiligt sich an dem Verfahren, ohne einen eigenen Antrag zu stellen. Nachdem er sich zunächst den Ausführungen der Beklagten angeschlossen und ergänzend auf eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz, nach der Art. 9 Richtlinie 64/221/EWG auf nach dem 30. April 2006 ergangene Ausweisungsverfügungen keine Anwendung mehr finde, verwiesen hatte, meint er nunmehr, der Kläger habe eine zweite Chance verdient.

Das mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 10. Juli 2008 im Hinblick auf ein Vorabentscheidungsverfahren beim Europäischen Gerichtshof zur Frage der Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige ausgesetzte Verfahren (10 BV 08.3244) ist auf Antrag der Beklagten vom 22. Februar 2013 unter dem jetzigen Aktenzeichen (10 BV 13.421) fortgeführt worden.

Der Kläger ist nach vollständiger Verbüßung der Freiheitsstrafe am 29. September 2011 aus der Justizvollzugsanstalt entlassen worden. Er steht für die Dauer von fünf Jahren unter Führungsaufsicht. Am 11. Februar 2013 hat er eine deutsche Staatsangehörige geheiratet. Am 7. Juni 2013 ist der gemeinsame Sohn des Klägers und seiner Ehefrau geboren worden, der ebenfalls deutscher Staatsangehöriger ist. Die Ehefrau und der Sohn des Klägers wohnen mit dem Kläger zusammen.

Mit Bescheid vom 27. Januar 2015 hat die Beklagte Nr. 2 des Bescheids vom 11. April 2008 dahingehend abgeändert, dass die Wiedereinreise für drei Jahre untersagt wird und die Frist mit der Ausreise beginnt. Außerdem hat sie in den Gründen des Bescheids die Ermessenserwägungen zur Ausweisung des Klägers aktualisiert und klargestellt, dass die Ermessensentscheidung nunmehr ausschließlich auf die Ausführungen im Bescheid vom 27. Januar 2015 gestützt werde.

Im Wesentlichen führt die Beklagte zur Begründung aus, der Ausweisung liege eine außerordentlich schwere Straftat zugrunde. Die öffentliche Sicherheit und Ordnung sei durch den Kläger schwerwiegend gefährdet, so dass sein Aufenthalt im Allgemeininteresse zu beenden sei. Die privaten Belange müssten insbesondere im Hinblick darauf zurücktreten, dass dem Kläger aufgrund seiner Sprachkenntnisse, der Kontakte zu seinen in der Türkei lebenden Großeltern und seiner Vertrautheit mit der türkischen Kultur und Mentalität ein Leben in der Türkei zumutbar sei. Die Beziehung zu seiner deutschen Frau und seinem deutschen Kind werde dadurch relativiert, dass sie zu einer Zeit aufenthaltsrechtlicher Unsicherheit entstanden sei. Besonderes Gewicht sei allerdings dem Interesse des Sohnes des Klägers an dessen Verbleib im Bundesgebiet beizumessen. Auf die Lebenshilfe seiner Eltern sei der Kläger nicht mehr angewiesen. Im Ergebnis überwiege trotz der sich abzeichnenden positiven Tendenz und der geänderten familiären Situation angesichts der Schwere der begangenen Straftat und der konkreten Gefahr weiterer Straftaten das öffentliche Interesse an der Ausweisung. Hinsichtlich der Befristung der Wirkungen der Ausweisung werde wegen des Gewichts der gefährdeten Rechtsgüter und der festgestellten hohen Wiederholungsgefahr im Hinblick auf die familiären Bindungen im Bundesgebiet ein Zeitraum von drei Jahren für erforderlich gehalten, um dem hohen Gefahrenpotenzial Rechnung tragen zu können.

In der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015, wegen deren Einzelheiten auf die Sitzungsniederschrift verwiesen wird, hat die Beklagte erklärt, ihre Ermessenserwägungen im Änderungsbescheid vom 27. Januar 2015 würden noch dahingehend vervollständigt, dass nunmehr die Eltern des Klägers in der Türkei wohnten und damit dort im Fall einer Aufenthaltsbeendigung für den Kläger ein weiterer Anlaufpunkt bestehe.

Ergänzend wird auf die beigezogenen Behördenakten sowie die Gerichtsakten in beiden Instanzen Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Die zulässige Anfechtungsklage, deren Gegenstand die Aufhebung des Bescheids vom 11. April 2008 in der Fassung ist, die er durch den Änderungsbescheid vom 27. Januar 2015 und die in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 zur Niederschrift abgegebene Erklärung der Beklagten zur Vervollständigung ihrer Ermessenserwägungen erhalten hat (I.), hat auch in der Sache Erfolg (II.).

I.

Gegenstand der Klage ist die Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 11. April 2015 in der Fassung des in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 ergänzten Änderungsbescheids der Beklagten vom 27. Januar 2015. Indem der Kläger seinen auf die Aufhebung des Bescheids vom 11. April 2008 in seiner ursprünglichen Fassung gerichteten Klageantrag auf den Änderungsbescheid vom 27. Januar 2015 erstreckt hat, hat er diesen bereits unabhängig davon, ob die Voraussetzungen für eine Klageänderung nach § 125 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 91 Abs. 1 VwGO vorgelegen haben, nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 264 Nr. 2 und 3 ZPO in zulässiger Weise in die Klage einbezogen. Denn danach handelt es sich bei der Erstreckung der Anfechtungsklage auf den Bescheid vom 27. Januar 2015 nicht um eine Klageänderung. Im Übrigen wäre eine in der Einbeziehung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 liegende Klageänderung hier auch nach § 125 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 91 Abs. 1 VwGO zulässig.

1. Eine Klageänderung liegt vor, wenn sich der Streitgegenstand ändert. Der Streitgegenstand wird dabei durch den Klageanspruch als den mit der Klage geltend gemachten materiell-rechtlichen Anspruch und den Klagegrund als den dem Klageanspruch zugrunde liegenden Sachverhalt bestimmt (vgl. BVerwG, U.v. 24.10.2013 - 7 C 13.12 - juris Rn. 28 m. w. N.). Eine Klageänderung ist demzufolge grundsätzlich dann gegeben, wenn der Klageanspruch, der Klagegrund oder beide sich ändern (vgl. BVerwG a. a. O.).

Zwar wäre danach hier von einer Klageänderung auszugehen. Denn der Kläger hatte ursprünglich nur die Aufhebung des Bescheids vom 11. April 2008 beantragt, mit dem er aus der Bundesrepublik ausgewiesen (Nr. 1 des Bescheids vom 11. April 2008), ihm die Wiedereinreise untersagt (Nr. 2 des Bescheids vom 11. April 2008) und ihm für den Fall, dass er das Bundesgebiet nicht bis zum 15. April 2008 verlasse, die Abschiebung in die Türkei oder in einen anderen Staat angedroht wurde, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei (Nr. 3 des Bescheids vom 11. April 2008). Mit dem in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 gestellten Antrag des Klägers, den Bescheid vom 11. April 2008 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 aufzuheben, hat sich aber der Streitgegenstand geändert. Denn es hat sich der Klageanspruch verändert, weil mit der Klage nicht mehr die Aufhebung des ursprünglichen Bescheids, sondern die Aufhebung dieses Bescheids in der geänderten Fassung begehrt wird, nach der dem Kläger die Wiedereinreise nicht mehr unbefristet, sondern nur noch für die Dauer von drei Jahren untersagt ist.

2. Jedoch ist es nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 264 Nr. 2 ZPO nicht als Klageänderung anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache erweitert wird. Nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 264 Nr. 3 ZPO ist es darüber hinaus nicht als Klageänderung anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes statt des ursprünglich geforderten Gegenstands wegen einer später eingetretenen Veränderung ein anderer Gegenstand gefordert wird. Danach liegt hier eine Klageänderung aber nicht vor.

a) Durch die Beantragung der Aufhebung des Bescheids vom 11. April 2008 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 ist der Klageantrag im Sinne von § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 264 Nr. 2 ZPO erweitert worden, weil er damit auf den Bescheid vom 27. Januar 2015 erstreckt worden ist.

Ebenso fordert der Kläger mit dem Antrag, den Bescheid vom 11. April 2008 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 aufzuheben, im Sinne von § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 264 Nr. 3 ZPO einen anderen Gegenstand als mit seinem ursprünglichen Antrag, den Bescheid vom 11. April 2008 aufzuheben. Dies erfolgt auch wegen einer später eingetretenen Veränderung. Denn die Beklagte hat den mit der Klage angefochtenen Bescheid vom 11. April 2008 nach Klageerhebung geändert, indem sie das darin enthaltene Wiedereinreiseverbot mit dem Änderungsbescheid vom 27. Januar 2015 auf drei Jahre befristet hat.

b) Die Erweiterung des Klageantrags und die darin liegende Forderung eines anderen als des ursprünglichen Gegenstands sind darüber hinaus ohne Änderung des Klagegrundes erfolgt. Denn der dem Klageantrag zugrunde liegende Sachverhalt hat sich durch die Einbeziehung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 nicht geändert.

Der Bescheid vom 11. April 2008 und dieser Bescheid in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 unterscheiden sich nur insoweit, als der Bescheid vom 11. April 2008 dem Kläger die Wiedereinreise ohne zeitliche Beschränkung untersagt hat, während er in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 ein auf drei Jahre befristetes Wiedereinreiseverbot vorsieht. Dieser Unterschied hat aber nicht zur Folge, dass der Entscheidung über die Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 11. April 2008 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 ein anderer Sachverhalt zugrunde zu legen wäre als der Entscheidung über eine Anfechtungsklage gegen diesen Bescheid in seiner ursprünglichen Fassung.

Zum einen erweist sich im Fall der Rechtswidrigkeit der Ausweisung auch das von der Beklagten nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als gesetzliche Folge der Ausweisung ausgesprochene Wiedereinreiseverbot unabhängig davon als rechtswidrig, ob es nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG befristet worden ist oder nicht. Der rechtlichen Beurteilung des Wiedereinreiseverbots liegt daher in beiden Fällen einheitlich der Sachverhalt zugrunde, auf dessen Grundlage sich die Ausweisung als rechtswidrig darstellt. Zum anderen enthält die Anfechtungsklage gegen den Ausweisungsbescheid, wenn dieser wie der Bescheid vom 11. April 2008 keine Befristung der Wirkungen der Ausweisung verfügt hat, zugleich - als Minus - für den Fall der Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung einen Hilfsantrag auf Verpflichtung des Trägers der Ausländerbehörde zu einer angemessenen Befristung dieser Wirkungen mit der Folge, dass im Fall der gerichtlichen Bestätigung der Ausweisung zugleich eine Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung zu treffen ist (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 39). Über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist in diesem Fall aber auch dann zu entscheiden, wenn eine solche Befristung nachträglich vorgenommen wird und die Anfechtungsklage gegen den Ausweisungsbescheid wie hier auf den Befristungsbescheid erstreckt wird (vgl. zur Statthaftigkeit der Anfechtungsklage gegen nachträgliche Befristungsentscheidungen BVerwG, B.v. 14.3.2013 - 1 B 17.12 - juris Rn. 13; B.v. 15.4.2013 - 1 B 22.12 - juris Rn. 31; kritisch dazu Armbruster/Hoppe, ZAR 2013, 309/315). In beiden Fällen ist dabei nach § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG die im Rahmen der Befristung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG festzusetzende Frist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen (vgl. dazu im Einzelnen BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 42; U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 40 f.; U.v. 14.5.2013 - 1 C 13.12 - juris Rn. 30 ff.). Auch im Falle der Rechtmäßigkeit der Ausweisung liegt dem Klageanspruch daher unabhängig davon, ob die Aufhebung des Bescheids vom 11. April 2008 oder die Aufhebung dieses Bescheids in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 begehrt wird, derselbe Sachverhalt zugrunde. Stimmt damit aber der für die Entscheidung über beide Klageanträge maßgebliche Sachverhalt überein, so hat die Einbeziehung des Bescheids vom 27. Januar 2015 nicht zu einer Änderung des Streitstoffs und damit des Klagegrundes geführt.

3. Im Übrigen wäre die Einbeziehung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015, selbst wenn es sich dabei um eine Klageänderung handeln würde, nach § 125 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 91 Abs. 1 VwGO zulässig, weil der Verwaltungsgerichtshof die Änderung für sachdienlich hält.

Sachdienlich ist eine Klageänderung in der Regel dann, wenn sie der endgültigen Beilegung des Rechtsstreits dient und der Streitstoff im Wesentlichen derselbe bleibt (vgl. BVerwG, U.v. 18.8.2005 - 4 C 13.04 - juris Rn. 22 m. w. N.; BayVGH, U.v. 26.6.2012 - 10 BV 09.2259 - juris Rn. 37). Beides ist hier der Fall.

Die Einbeziehung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 dient der endgültigen Beilegung des Rechtsstreits. Denn sie ermöglicht es, auch über die zulässige Dauer der Wirkungen der Ausweisung eine Entscheidung herbeizuführen, ohne dass es einer erneuten Klage gegen die im Änderungsbescheid vorgenommene Befristung des Wiedereinreiseverbots bedarf. Auch bleibt der Streitstoff im Wesentlichen derselbe. Wie dargelegt, ändert sich der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt durch die Einbeziehung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 in den Klageantrag nicht.

II.

Die Klage, die sich danach gegen den Bescheid vom 11. April 2008 in der Fassung des in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 ergänzten Änderungsbescheids der Beklagten vom 27. Januar 2015 richtet, ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufzuheben, weil er nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015, die für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der Befristung ihrer Wirkungen und der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung maßgeblich ist (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 12; U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 15; U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 12; U.v. 14.5.2013 - 1 C 13.12 - juris Rn. 9), sowohl hinsichtlich der Ausweisung des Klägers aus der Bundesrepublik Deutschland (1.) als auch hinsichtlich der Befristung des Wiedereinreiseverbots auf die Dauer von drei Jahren und der Abschiebungsandrohung (2.) rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt.

1. Die Ausweisung des Klägers, die an Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ANBA 1981, 4; im Folgenden: ARB 1/80) in Verbindung mit § 55 Abs. 1 und § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG zu messen ist (a), ist rechtswidrig. Zwar ergibt sich dies nicht bereits daraus, dass die Ausweisung wegen eines Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschiften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl der Europäischen Gemeinschaften 1964 S. 850; im Folgenden: Richtlinie 64/221/EWG) formell rechtswidrig wäre (b). Jedoch sind die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Ausweisung des Klägers nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 in Verbindung mit § 55 Abs. 1 und § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nicht erfüllt (c).

a) Als Rechtsgrundlage für die Ausweisung des Klägers kommt nur Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 in Verbindung mit § 55 Abs. 1 und § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG in Betracht. Denn der Kläger erfüllt die Voraussetzungen von Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80.

Nach Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 ARB 1/80 haben die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben. Die Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, können sich nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedstaat dort auf jedes Stellenangebot bewerben, sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedstaat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war. Die praktische Wirksamkeit dieser Rechte setzt dabei zwangsläufig die Existenz eines entsprechenden Aufenthaltsrechts voraus, das ebenfalls auf Unionsrecht beruht und vom Fortbestehen der Voraussetzungen für den Zugang zu diesen Rechten unabhängig ist (vgl. EuGH, U.v. 16.3.2000 - Ergat, C-329/97 - juris Rn. 40; U.v. 11.11.2004 - Cetinkaya, C-467/02 - juris Rn. 31; U.v. 7.7.2005 - Aydinli, C-373/03 - juris Rn. 25; U.v. 16.2.2006 - Torun, C-502/04 - juris Rn. 20; BVerwG, U.v. 6.10.2005 - 1 C 5.04 - juris Rn. 11). Danach ist der Kläger aber nach Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 aufenthaltsberechtigt.

aa) Der Kläger erfüllt zunächst die Voraussetzungen des Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 ARB 1/80. Er ist Familienangehöriger eines türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt angehörte. Sein Vater kam 1972 nach Deutschland und arbeitete dort bei BMW, bei einer Arzneimittelfirma und schließlich am Flughafen München. Zwar hat der 1983 im Bundesgebiet geborene Kläger erstmals am 17. April 1997 eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 ARB 1/80 gilt aber entgegen seinem Wortlaut nicht nur für Familienangehörige eines dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, sondern auch für ein Kind eines solchen Arbeitnehmers, das wie der Kläger im Aufnahmemitgliedstaat geboren wurde und stets dort gelebt hat (vgl. EuGH, U.v. 11.11.2004 - Cetinkaya, C-467/02 - juris Rn. 20 ff, 26; U.v. 7.7.2005 - Aydinli, C-373/03 - juris Rn. 22; BVerwG, U.v. 6.10.2005 - 1 C 5.04 - juris Rn. 11). Der Kläger hat schließlich von seiner Geburt bis zu seiner Inhaftierung im Juni 2006 und damit seit mindestens fünf Jahren seinen ordnungsgemäßen Wohnsitz bei seinen Eltern gehabt und mit ihnen eine familiäre Lebensgemeinschaft geführt (vgl. EuGH, U.v. 11.11.2004 - Cetinkaya, C-467/02 - juris Rn. 30; U.v. 7.7.2005 - Aydinli, C-373/03 - juris Rn. 24).

bb) Der Kläger erfüllt außerdem die Voraussetzungen des Art. 7 Satz 2 ARB 1/80. Denn er hat als Kind eines türkischen Arbeitnehmers, der in Deutschland seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war, in der Bundesrepublik eine Berufsausbildung zum Maschinenbaumechaniker abgeschlossen.

cc) Schließlich hat der Kläger sein sich aus Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 ergebendes Aufenthaltsrecht auch nicht nachträglich wieder verloren.

aaa) Dieses Recht unterliegt lediglich in den beiden folgenden Fällen Beschränkungen (vgl. EuGH, U.v. 16.3.2000 - Ergat, C-329/97 - juris Rn. 45 ff.; U.v. 11.11.2004 - Cetinkaya, C-467/02 - juris Rn. 36; U.v.7.7.2005 - Aydinli, C-373/03 - juris Rn. 27; U.v.16.2.2006 - Torun, C-502/04 - juris Rn. 21 und 25; U.v. 8.12.2011 - Ziebell, C-371/08 - juris Rn. 49 m. w. N.). Zum einen ermöglicht es Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 den Mitgliedstaaten, in Einzelfällen bei Vorliegen triftiger Gründe den Aufenthalt des türkischen Migranten in ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken, wenn dieser durch sein persönliches Verhalten die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit tatsächlich und schwerwiegend gefährdet. Von dieser Möglichkeit hatte die Bundesrepublik im Falle des Klägers aber bis zu dessen Ausweisung durch den Bescheid der Beklagten vom 11. April 2008, gegen die sich die Klage richtet, nicht Gebrauch gemacht. Zum anderen verliert der Familienangehörige eines türkischen Arbeitnehmers seine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 grundsätzlich, wenn er das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlässt. Dies hat der Kläger jedoch nicht getan.

bbb) Schließlich hat der Kläger, der bis zu seiner Inhaftierung im Juni 2006 für eine Leiharbeitsfirma gearbeitet hat, sein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 auch nicht dadurch verloren, dass er während seiner langen Freiheitsstrafe dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stand. Denn im Hinblick darauf, dass dieses Recht aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit nur nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 oder wegen eines Verlassens des Aufnahmemitgliedstaats während eines erheblichen Zeitraums ohne berechtigte Gründe beschränkt werden kann, unterliegt es wegen einer längeren Abwesenheit vom Arbeitsmarkt aufgrund einer mehrjährigen Freiheitsstrafe keinen Beschränkungen (vgl. EuGH, U.v. 11.11.2004 - Cetinkaya, C-467/02 - juris Rn. 38 f.; U.v. 7.7.2005 - Aydinli, C-373/03 - juris Rn. 27 f.; U.v. 16.2.2006 - Torun, C-502/04 - juris Rn. 25 f.; BVerwG, U.v. 6.10.2005 - 1 C 5.04 - juris Rn. 12; U.v. 28.6.2006 - 1 C 4.06 - juris Rn. 13).

b) Die Ausweisung des Klägers auf der Grundlage von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 ist nicht bereits deshalb wegen eines unheilbaren Mangels des Verwaltungsverfahrens formell rechtswidrig, weil sie gegen Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG verstoßen hätte.

Nach dieser Regelung, die auf türkische Staatsangehörige mit assoziationsrechtlichem Aufenthaltsrecht anwendbar war (vgl. EuGH, U.v. 2.6.2005 - Dörr und Ünal, C-136/03 - juris Rn. 61 ff.; BVerwG, U.v. 13.9.2005 - 1 C 7.04 - juris Rn. 12; U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 22; U.v. 13.12.012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 28; U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 23), traf die Verwaltungsbehörde, soweit die vorgesehenen Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betrafen oder keine aufschiebende Wirkung hatten, die Entscheidung über die Entfernung eines Inhabers einer Aufenthaltserlaubnis aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats außer in dringenden Fällen erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen konnte (Art. 9 Abs. 1 UAbsRichtlinie 64/221/EWG/EWG). Diese Stelle musste dabei eine andere sein als diejenige, die für die Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet zuständig war (Art. 9 Abs. 1 UAbsRichtlinie 64/221/EWG/EWG; sog. Vier-Augen-Prinzip).

Zwar wäre diese Regelung im Falle ihrer weiteren Anwendbarkeit durch die Ausweisung des Klägers verletzt worden, weil nach § 114 Satz 1 VwGO im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nur die Rechtmäßigkeit der nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 in Verbindung mit § 55 Abs. 1 und § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG im Ermessen der Ausländerbehörde stehenden Ausweisung, nicht aber ihre Zweckmäßigkeit überprüft wird, ein Widerspruchsverfahren nach § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO in Verbindung mit Art. 15 Abs. 2 AGVwGO nicht stattgefunden hat und auch sonst eine andere Stelle als die Beklagte vor Erlass des Ausweisungsentscheids vom 11. April 2008 zur Ausweisung des Klägers nicht Stellung genommen hatte (vgl. BVerwG, U.v. 13.9.2005 - 1 C 7.04 - juris Rn. 13; U.v. 6.10.2005 - 1 C 5.04 - juris Rn. 14). Die Ausweisung wäre daher auch wegen eines Mangels des Verwaltungsverfahrens unheilbar rechtswidrig gewesen (vgl. BVerwG, U.v. 6.10.2005 - 1 C 5.04 - juris Rn. 16). Jedoch ist Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG seit Aufhebung dieser Richtlinie durch Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl EG Nr. L 158 S. 77: im Folgenden: Richtlinie 2004/38/EG) mit Wirkung zum 30. April 2006 für nach diesem Zeitpunkt ergangene Ausweisungsverfügungen wie den streitgegenständlichen Bescheid der Beklagten vom 11. April 2008 nicht mehr anwendbar (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 22 ff.; U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 28 ff.; U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 23 ff.; B.v. 15.4.2013 - 1 B 22.12 - juris Rn. 5 ff.).

Der Kläger meint demgegenüber, dass der verfahrensrechtliche Schutz, den Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG türkischen Staatsangehörigen gewähre, die über ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 verfügten, auch nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG deshalb fortgelten müsse, weil der Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG ersetzende Art. 31 Richtlinie 2004/38/EG nur für Unionsbürger gelte und ein ersatzloser Wegfall der in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG enthaltenen Verfahrensgarantie nicht hinnehmbar sei. Diese Argumentation rechtfertigt aber nicht die weitere Anwendung von Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG auf türkische Staatsangehörige mit einem Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss 1/80.

Zum einen ist durch die Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG die in deren Art. 9 Abs. 1 enthaltene Verfahrensgarantie nicht ersatzlos entfallen. Vielmehr ist der Rechtsschutz gegen Ausweisungen türkischer Staatsangehöriger, die über ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrechts verfügen, nunmehr in entsprechender Anwendung des für Unionsbürger an die Stelle von Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG getretenen Art. 31 Richtlinie 2004/38/EG oder des Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend der Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl EG 2004 Nr. L 16 S. 44; im Folgenden: Richtlinie 2003/109/EG) gewährleistet (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 29; U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 23; B.v. 15.4.2013 1 B 22.12 - juris Rn. 5). Für die Anwendbarkeit des Art. 12 Richtlinie 2003/109/EG spricht dabei, dass diese Regelung, nach deren Abs. 4 dem Ausgewiesenen der Rechtsweg in dem jeweiligen Mitgliedstaat offen steht, nach der Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG den unionsrechtlichen Bezugsrahmen für die Ausweisung türkischer Staatsangehöriger bildet, die wie der Kläger über ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 ARB 1/80 verfügen (vgl. EuGH, U.v. 8.12.2011 - Ziebell, C-371/08 - juris Rn. 79; BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 12).

Zum anderen würde die weitere Anwendung von Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG gegen Art. 59 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (BGBl 1972 II S. 385; im Folgenden: ZP) verstoßen (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 25; U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 33; B.v. 15.4.2013 - 1 B 22.12 - juris Rn. 13 ff.). Nach dieser Regelung darf der Türkei in den vom Zusatzprotokoll erfassten Bereichen, zu denen auch die Ausweisung von assoziationsrechtlich begünstigten türkischen Staatsangehörigen zählt (vgl. EuGH, U.v. 18.7.2007 - Derin, C-325/05 - juris Rn. 58 ff.), keine günstigere Behandlung gewährt werden als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander aufgrund des Vertrags über die Gründung der Gemeinschaft einräumen. Dies wäre jedoch der Fall, wenn Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG weiterhin angewandt werden könnte.

Nach Art. 31 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG müssen die Betroffenen gegen eine Entscheidung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einlegen können. Im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens sind nach Art. 31 Abs. 3 Satz 1 Richtlinie 2004/38/EG dabei die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und Umstände zu überprüfen, auf denen die Entscheidung beruht. Nach Art. 31 Abs. 3 Satz 2 Richtlinie 2004/38/EG gewährleistet das Rechtsbehelfsverfahren darüber hinaus, dass die Entscheidung nicht unverhältnismäßig ist. Die Beteiligung einer anderen als der für die Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats zuständigen Stelle, wie sie Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG im Sinne eines Vier-Augen-Prinzips vorsah, ist daher nach Art. 31 Richtlinie 2004/38/EG für den Rechtsschutz von Unionsbürgern gegen solche Entscheidungen nicht mehr zwingend vorgeschrieben (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 23; U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 30; U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 23: B.v. 15.4.2013 - 1 B 22.12 - juris Rn. 6). Soweit nach Art. 31 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG die Einlegung des Rechtsbehelfs bei einem Gericht „und gegebenenfalls bei einer Behörde“ möglich sein muss, soll dies nur nationalen Regelungen Rechnung tragen, nach denen der gerichtlichen Überprüfung noch ein behördliches Widerspruchsverfahren vorgeschaltet ist. Eine Verpflichtung zur Beteiligung einer weiteren unabhängigen Stelle im Verwaltungsverfahren ergibt sich daraus aber nicht (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 30; B.v. 15.4.2013 - 1 B 22.12 - juris Rn. 6 ff.). Ist danach bei Unionsbürger betreffenden Entscheidungen aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit die Beteiligung einer solchen Stelle nicht erforderlich, so würden türkische Staatsangehörige, die assoziationsrechtlich aufenthaltsberechtigt sind, bei sie betreffenden derartigen Entscheidungen auf der Grundlage von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 aber besser gestellt als Unionsbürger. Der Türkei würde daher entgegen Art. 59 ZP eine günstigere Behandlung gewährt als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander einräumen (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 25; U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 33; B.v. 15.4.2013 - 1 B 22.12 - juris Rn. 13 ff.).

c) Ist die Ausweisung des Klägers damit zwar nicht schon wegen einer Verletzung von Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG unheilbar formell rechtswidrig, so folgt ihre Rechtswidrigkeit jedoch daraus, dass die nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 in Verbindung mit § 55 Abs. 1 und § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG erforderlichen materiell-rechtlichen Ausweisungsvoraussetzungen nicht erfüllt sind.

Entgegen der Ansicht des Klägers kann dabei Art. 28 Abs. 3 Buchstabe a Richtlinie 2004/38/EG, nach dem eine Ausweisung gegen Unionsbürger nicht verfügt werden darf, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt werden, wenn sie ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben, im Falle von nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 erfolgenden Ausweisungen allerdings nicht entsprechend angewandt werden, um die Tragweite von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zu bestimmen (vgl. EuGH, U.v. 8.12.2011 - Ziebell, C-371/08 - juris Rn. 74). Vielmehr ist dazu Art. 12 Richtlinie 2003/109/EG als Bezugsrahmen heranzuziehen (EuGH a. a. O. Rn. 79), nach dessen Abs. 1 bei einem langfristig Aufenthaltsberechtigten eine Ausweisung nur verfügt werden kann, wenn er eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt.

Dementsprechend kann ein türkischer Staatsangehöriger, der wie der Kläger ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 ARB 1/80 besitzt, nach Art. 14 Abs. 1 ARB nur im Ermessenswege aufgrund einer Einzelfallprüfung ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland als des Aufnahmemitgliedstaats darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (vgl. EuGH a. a. O. Rn. 82 und 86; BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 13). Im Übrigen setzt die Ausweisung des Klägers, der seit 14.12.1999 eine nach § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgeltende unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich damit seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und deshalb nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz genießt, auch nach nationalem Recht schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung voraus (§ 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG).

Nach diesen Maßstäben erweist sich die Ausweisung des Klägers jedoch als rechtswidrig, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 eine gegenwärtige, tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr bestand (aa) und die Ausweisung außerdem zur Wahrung dieses Interesses nicht unerlässlich war (bb).

aa) Bei der Prüfung, ob eine gegenwärtige, tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft vorliegt, gilt ein differenzierender Wahrscheinlichkeitsmaßstab. An die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts sind im Rahmen der Gefahrenprognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Demgemäß gelten umso geringere Anforderungen an den Eintritt eines Schadens für ein bedrohtes Rechtsgut, je bedeutender dieses ist. Jedoch reicht auch bei hochrangigen Rechtsgütern nicht jede auch nur entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts für die Annahme einer gegenwärtigen Gefahr aus. Auch insoweit dürfen vielmehr keine zu geringen Anforderungen gestellt werden (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 16; U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 16). Darüber hinaus sind bei der Gefahrenprognose nach der letzten Behördenentscheidung eingetretene Tatsachen zu berücksichtigen, die den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen können, die das Verhalten des Betroffenen für das in Rede stehende Grundinteresse der Gesellschaft darstellen kann (vgl. EuGH, U.v. 8.12.2011 - Ziebell, C-371/08 - juris Rn. 84).

Eine gegenwärtige, tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft geht bei Berücksichtigung dieser Vorgaben von dem zu erwartenden persönlichen Verhalten des Klägers nach der aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) aber nicht mehr aus.

aaa) Zwar würde es eine hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellen, wenn der Kläger erneut eine Straftat begehen würde, die mit der der Ausweisung zugrunde liegenden vergleichbar ist. Denn der versuchte Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, der zur Verurteilung des Klägers zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten geführt hat, hat das Leben und die Gesundheit des Opfers gefährdet. Die Rechtsgüter Leben und Gesundheit der Bürger nehmen aber in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Werteordnung einen hohen Rang ein. Ihr Schutz ist daher ein Grundinteresse der Gesellschaft (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 19), das durch Straftaten, wie sie der Kläger begangen hat, erheblich beeinträchtigt wird. Angesichts des hohen Rangs der bedrohten Rechtsgüter und der schwerwiegenden Folgen, die eintreten können, wenn wie im Falle des Klägers dem Opfer mit einem mit Widerhaken versehenen Messer in lebensgefährlicher Weise tief in den Oberbauch gestochen wird, stellte die erneute Begehung vergleichbarer Taten durch den Kläger ohne weiteres für das betreffende Grundinteresse der Gesellschaft auch eine hinreichend schwere Gefahr dar.

Im Hinblick darauf und auf die Verurteilung des Klägers zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten liegen darüber hinaus schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nach § 56 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG vor. Insbesondere hat der Kläger angesichts der Dauer der verhängten Freiheitsstrafe einen Ausweisungsgrund nach § 53 Nr. 1 AufenthG verwirklicht, der vorliegt, wenn ein Ausländer wegen einer oder mehrerer Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist.

bbb) Jedoch stellt das persönliche Verhalten des Klägers nach Überzeugung des Senats keine gegenwärtige tatsächliche Gefahr mehr dar, die seine Ausweisung nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 in Verbindung mit § 55 Abs. 1 und § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG rechtfertigen könnte.

Nach den Feststellungen des Schwurgerichts auf der Grundlage des im Strafverfahren eingeholten neurologisch-psychiatrischen Gutachtens vom 30. Januar 2007 litt der durchschnittlich intelligente und eher zurückhaltende Kläger zum Zeitpunkt der Begehung der Straftat unter Minderwertigkeitsgefühlen und reagierte gegenüber Kränkungen und Zurückweisungen übersensibel. Seine Stresstoleranz und innere Stabilität waren gering ausgeprägt. Es herrschte ein Gefühl allgemeiner Unsicherheit vor. Der Gutachter ging zudem von einer noch nicht ausgereiften Identitätsbildung aus. Insbesondere die Sensibilität gegenüber Kränkungen und Zurückweisungen und die geringe Stresstoleranz des Klägers waren dabei maßgeblich mitursächlich dafür, dass es zu der der Ausweisung zugrunde liegenden Straftat kam.

Dass der Kläger sein Messer zog und damit schließlich zustach, hing mit der dem tatsächlichen Zusammentreffen vorangegangenen telefonischen Äußerung des Tatopfers zusammen, er werde den Kläger wieder dahin zurückstecken, wo er herausgekommen sei, die der Kläger als Beleidigung empfand. Denn bei Eintreffen des Tatopfers und seiner Begleiterinnen und Begleiter fragte der Kläger, der bis dahin nicht wusste, von wem diese Äußerung stammte, aufgebracht, wer ihn so beleidigt habe. Anlass für den Anruf des Tatopfers beim Kläger und das spätere Zusammentreffen war wiederum die Ohrfeige, die der Kläger der Schwägerin des Opfers am Abend zuvor gegeben hatte, weil er sich während einer verbalen Auseinandersetzung darüber ärgerte, dass diese ihn auf seine Äußerung hin, sie könne so nicht mit ihm reden, gefragt hatte, wie es denn wäre, wenn sie doch so mit ihm redete. Die Überempfindlichkeit des Klägers gegenüber Kränkungen und Zurückweisungen und seine geringe Stresstoleranz spielten daher eine entscheidende Rolle für den Geschehensablauf, der schließlich in den Totschlagsversuch und die damit einhergehende gefährliche Körperverletzung mündete.

Dementsprechend geht das psychiatrische Gutachten vom 2. Januar 2010 davon aus, dass die Gefahr eines Rückfalls hauptsächlich in Situationen besteht, in denen der Kläger sich wie bei der Begehung der seiner Verurteilung und Ausweisung zugrunde liegenden Straftat zurückgewiesen, abgewertet oder in seinem Selbstbild abgelehnt oder angegriffen fühlt (S. 29 des Gutachtens).

Nach Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs besteht aber angesichts der Entwicklung, die der Kläger seit der inzwischen mehr als achteinhalb Jahre zurückliegenden Tat durchlaufen hat, allenfalls noch die entfernte Möglichkeit, dass der Kläger erneut eine vergleichbare Straftat begehen wird. Dies reicht jedoch für die Annahme einer gegenwärtigen Gefahr auch unter Berücksichtigung der im Hinblick auf die hohe Bedeutung der bedrohten Rechtsgüter verminderten Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts nicht aus.

Der Kläger war nach der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt zur Führungsaufsicht vom 23. März 2011 während der Haft ruhig, fröhlich, offen, gutmütig und natürlich. Er trat respektvoll und verständig auf, verhielt sich gegenüber Bediensteten anständig, freundlich und hilfsbereit und war in der Gemeinschaft mit anderen Gefangenen gesellig und kameradschaftlich. Bei der Arbeit in einem Unternehmerbetrieb leistete er mit beständigem Fleiß fachgerechte und über dem Durchschnitt liegende Arbeit. Disziplinarisch ist er lediglich einmal im Jahr 2009 in Erscheinung getreten, weil er den Spion an seiner Haftraumtüre umgebaut und beschädigt hatte. Der Kläger bewarb sich im Mai 2007 für das anstaltsinterne soziale Kompetenztraining und nahm von Oktober bis Dezember 2007 an der Gewaltpräventionsgruppe der Justizvollzugsanstalt teil. Nach dem diesbezüglichen, im psychiatrischen Gutachten vom 2. Januar 2010 zusammengefassten Abschlussbericht vom 15. Dezember 2007 hat der Kläger regelmäßig und aktiv an den Behandlungsangeboten teilgenommen, gute Motivation gezeigt, an den Inhalten der Gruppe mitzuarbeiten, sich aus eigener Initiative öfter in das Gruppengeschehen eingebracht und seine Hausaufgaben zuverlässig und mit Sorgfalt erledigt. Er hat in ersten Ansätzen die auslösenden Bedingungen seiner Straftat erkennen können. Außerdem hat er gute Ansätze, Techniken und Strategien entwickelt, um zukünftig adäquater mit Konflikt- und Problemsituationen umgehen zu können. Eine Bearbeitung der Gewaltproblematik ist ihm vor allem auf der kognitiven Ebene gut möglich gewesen. Auf der emotionalen Ebene und der Verhaltensebene wurde allerdings noch eine Vertiefung für erforderlich gehalten.

Das psychiatrische Gutachten vom 2. Januar 2010 geht davon aus, dass das Verhaltensrepertoire des Klägers in der Situation, die zu der der Ausweisung zugrunde liegenden Straftat geführt hat, nicht ausreichend war, um einen Lösungsweg zu finden. Der Gutachter ist der Auffassung, dass die Teilnahme an der Gewaltpräventionsgruppe der Haftanstalt diesbezüglich lediglich einen Anfang gemacht habe, dass eine andauernde Veränderung und Erweiterung des Verhaltensrepertoires damit jedoch noch nicht abgeschlossen und deshalb eine weitere Therapie dringend erforderlich sei (S. 30 des Gutachtens). Nach seiner Einschätzung besteht zwar nicht die Gefahr, dass der Kläger wahllos fremde Personen attackieren werde, wohl aber dass im Rahmen von Beziehungskonflikten, insbesondere im Falle einer schweren Kränkung oder Erniedrigung, die alten Verhaltensmuster noch nicht so weit überwunden seien, dass es bei einer entsprechenden Konstellation nicht wieder zu aggressiven Durchbrüchen kommen könne (vgl. S. 30 f. des Gutachtens). Nach Ansicht des Gutachters ist daher von einer nicht mehr bestehenden Gefährlichkeit des Klägers erst unter der Bedingung auszugehen, dass eine erneute therapeutische Behandlung durchgeführt wird (S. 31 des Gutachtens).

Dementsprechend hat die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 10. März 2010, bestätigt durch den die sofortige Beschwerde des Klägers als unbegründet verwerfenden Beschluss des Oberlandesgerichts vom 14. April 2010, eine Aussetzung des Strafrests zur Bewährung abgelehnt. Außerdem hat sie unter Bezugnahme auf das psychiatrische Gutachten vom 2. Januar 2010 mit Beschluss vom 24. Juni 2011 festgestellt, dass nach Vollstreckung der Freiheitsstrafe Führungsaufsicht eintrete, weil nicht zu erwarten sei, dass der Kläger ohne diese Maßregel keine Straftaten mehr begehen werde. Gleichzeitig hat sie den Kläger im Hinblick darauf, dass nach dem Gutachten ohne eine vertiefende Bearbeitung der Gewaltproblematik ein Rückfall in alte Verhaltensweisen nicht mit der notwendigen Sicherheit ausgeschlossen werden könne, angewiesen, sich nach Haftentlassung einer ambulanten Psychotherapie bei einem namentlich bezeichneten Psychotherapeuten für die Dauer von mindestens einem Jahr zu unterziehen. An dieser Therapie hat der Kläger in der Zeit von Juli 2012 bis September 2013 teilgenommen. Mit seiner ärztlichen Mitteilung vom 9. September 2013 hat der Psychotherapeut der Bewährungshelferin des Klägers mitgeteilt, dass der Kläger am 9. September 2013 an der 14. psychotherapeutischen Sitzung teilgenommen habe, dass er sich an alle Abmachungen gehalten habe, dass nach seiner Meinung vom Kläger keine Gefahr mehr ausgehe und dass die Psychotherapie abgeschlossen werden könne.

Mit dem erfolgreichen Abschluss der psychotherapeutischen Behandlung besteht aber nicht nur nach Auffassung seines Therapeuten keine Gefahr mehr, dass der Kläger erneut ähnliche Straftaten wie diejenigen begeht, die seiner Verurteilung und Ausweisung zugrunde gelegen haben. Vielmehr sind damit auch die Bedingungen erfüllt, unter denen das Gutachten vom 2. Januar 2010 und ihm folgend die Strafvollstreckungskammer davon ausgegangen sind, dass der Kläger nicht mehr gefährlich ist. Dass nach Abschluss der im Beschluss über die Führungsaufsicht angeordneten Therapie die Gefahr der erneuten Begehung vergleichbarer Straftaten durch den Kläger nicht mehr besteht, steht aber auch zur Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs fest.

Der Senat geht aufgrund des Eindrucks, den der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 hinterlassen hat, davon aus, dass die erfolgreich abgeschlossene Therapie ihrem Zweck entsprechend (vgl. S. 30 des Gutachtens vom 2. Januar 2010) das Verhaltensrepertoire des Klägers in einer Weise verändert und erweitert hat, die es ihm ermöglicht, in Zukunft für Konflikte in Situationen wie derjenigen, die zu der der Verurteilung und Ausweisung zugrunde liegenden Straftat geführt hat, eine gewaltfreie Lösung zu finden. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich bestätigt hat, wurde im Rahmen der Therapie, deren Gegenstand die Gewaltprävention, das persönliche Verhalten des Klägers und seine aktuelle Situation waren, insbesondere auch besprochen, wie er sich in einer Situation wie derjenigen, die zu seiner Straftat geführt hat, verhalten müsste. Dass dies zutrifft und dass der Kläger in der Therapie gelernt und verinnerlicht hat, wie er sich in solchen Situationen gewaltfrei verhalten kann, belegen seine Antworten in der mündlichen Verhandlung.

So hat er erläutert, er wisse nunmehr, dass es zur Vermeidung von derartigen Situationen notwendig sei, bereits vom Kopf her eine andere Einstellung zu haben. Er dürfe sich schon gedanklich auf eine Situation, wie sie seiner Straftat zugrunde gelegen habe, nicht mehr einlassen, sondern müsse alles versuchen, ihr von vornherein aus dem Weg zu gehen. Konkret würde er sich heute in ähnlicher Lage wahrscheinlich umdrehen und weggehen. Auch würde er, selbst wenn er es dürfte, aufgrund seiner geänderten Einstellung kein Messer und auch keine sonstige Waffe mehr mit sich führen. Bei einem Streit innerhalb der Familie, dem er nicht ausweichen könne, rede er heute länger darüber. Auf seine leichte Kränkbarkeit angesprochen hat der Kläger ausgeführt, man könne solche Gefühle nicht völlig ausschließen, wohl aber reduzieren. Wenn jemand heute seine Familie beleidigen würde, würde er zu diesem Zweck daran denken, dass er seiner Familie nicht helfe, wenn er sich über die Kränkung erregen und wie bei seiner damaligen Straftat reagieren würde, weil er dann ja seine Familie erneut allein lasse. Letzteres zeigt darüber hinaus, dass dem Kläger, der inzwischen verheiratet und Vater eines eineinhalb Jahre alten Sohnes ist, seine Familie wichtig ist und er das Familienleben nicht durch die erneute Begehung von Straftaten gefährden will.

Es kommt hinzu, dass der Kläger nach den im Gutachten vom 2. Januar 2010 getroffenen Feststellungen die volle Verantwortung für seine Tat übernommen hat, ohne sie zu bagatellisieren, und dass die lange Haftzeit bei ihm einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat (S. 27 des Gutachtens). Dies hat sich in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 bestätigt, in der der Kläger, der auch im Übrigen offen und bereitwillig Auskunft gegeben hat, nachvollziehbar dargelegt hat, dass ihm in der Haft klargeworden sei, was für einen Fehler er gemacht habe, und dass vor allem die Inhaftierung und das Bewusstsein, dass er „Mist gebaut“ habe, ihn seit der Tat wesentlich geprägt hätten.

Außerdem ist der Senat aufgrund des Eindrucks, den er vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger in den fast neun Jahren seit der seiner Verurteilung und Ausweisung zugrunde liegenden Straftat durch die Haft, die Auseinandersetzung mit seiner Tat, die Teilnahme an der Gewaltpräventionsgruppe in der Haft, die psychotherapeutische Behandlung nach der Entlassung und die Gründung einer eigenen Familie deutlich reifer geworden ist, als er es zum Zeitpunkt der Tat im Jahr 2006 und der Erstellung des neurologisch-psychiatrischen Gutachtens vom 30. Januar 2007 war, das ihm noch eine durch geringe Stresstoleranz und innere Stabilität und durch allgemeine Unsicherheit gekennzeichnete nicht ausgereifte Identitätsbildung bescheinigte (S. 88 des Gutachtens). Da gerade diese Faktoren bei der Tatbegehung eine wesentliche Rolle gespielt haben, hat der mit der Einsicht in die Fehlerhaftigkeit seiner früheren Verhaltensmuster und in ihre negativen Folgen verbundene Reifungsprozess des Klägers die Wahrscheinlichkeit der erneuten Begehung vergleichbarer Straftaten nach Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs aber deutlich verringert.

Darüber hinaus ergeben sich auch aus dem Verhalten des Klägers keine Anhaltspunkte dafür, dass von ihm gegenwärtig tatsächlich noch eine hinreichend schwere Gefahr für das Leben und die Gesundheit anderer ausgeht. Das Verhalten des Klägers in der Haft war mit Ausnahme des Umbaus und der Beschädigung des Spions in der Haftraumtür beanstandungsfrei. Insbesondere war er während der Haftzeit nie in gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt. Nach der Entlassung aus der Strafhaft hat er keine Straftaten mehr begangen. Seit der der Ausweisung zugrunde liegenden Straftat im Juni 2006 sind damit mehr als acht Jahre, seit der Haftentlassung im September 2011 mehr als drei Jahre und seit dem Abschluss der Psychotherapie im September 2013 mehr als ein Jahr vergangen, ohne dass der Kläger erneut straffällig geworden wäre. Nach den vorliegenden Berichten der Bewährungshilfe hat er zudem seit seiner Entlassung alle Termine zuverlässig eingehalten und beanstandungsfrei, offen und kooperativ mit den Bewährungshelferinnen zusammengearbeitet. Nach Abschluss der Psychotherapie wurde der Kläger auf Anregung der Bewährungshelferin vom 12. September 2013 noch im September 2013 aus der Liste der Risikoprobanden der Führungsaufsichtsstelle gestrichen.

Anhaltspunkte für eine beachtliche Wiederholungsgefahr ergeben sich auch nicht aus dem Verhalten des Klägers vor der seiner Verurteilung und Ausweisung zugrunde liegenden Straftat. Der Kläger war nicht vorbestraft. Außer einem nach § 153 Abs. 1 StPO wegen geringer Schuld eingestellten Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort am 15. August 2005 und einem nach § 170 Abs. 2 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellten Ermittlungsverfahren wegen einer leichten Körperverletzung am 17. Mai 2002 haben gegen ihn auch keine strafrechtlichen Ermittlungen stattgefunden. Soweit der Kläger daneben gegenüber dem Sachverständigen, der das psychiatrische Gutachten vom 2. Januar 2010 erstellt hat, angegeben hat, er sei vor der seiner Verurteilung zugrunde liegenden Straftat im Fußballverein oder in der Diskothek schon einmal in Schlägereien verwickelt gewesen, bei denen aber nie jemand ernsthaft verletzt worden sei, haben diese offensichtlich nicht zu Ermittlungsverfahren gegen den Kläger geführt. Im Übrigen reichen nach Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs auch diese etwaigen Körperverletzungen nicht aus, um von einer gegenwärtigen Gefahr der Begehung weiterer Straftaten durch den Kläger auszugehen. Denn abgesehen davon, dass die betreffenden Vorfälle bereits viele Jahre zurückliegen, geht der Senat davon aus, dass sich die Einstellung des Klägers zur Anwendung von Gewalt durch den Eindruck der Haft, durch die Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten im Rahmen der Gewaltpräventionsgruppe in der Justizvollzugsanstalt und der Psychotherapie nach der Entlassung aus der Haft sowie durch seine Heirat und die Geburt seines Sohnes im Vergleich zu der Zeit vor seiner Inhaftierung so gewandelt hat, dass in Zukunft Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit oder gar das Leben von ihm nicht mehr zu erwarten sind. Denn dies entspricht nicht nur der Einschätzung des Gutachtens vom 2. Januar 2010 und des Psychotherapeuten des Klägers, sondern wird, wie dargelegt, auch dadurch bestätigt, dass der Kläger mehr als acht Jahre nach der seiner Verurteilung und Ausweisung zugrunde liegenden Tat, mehr als drei Jahre nach seiner Haftentlassung und mehr als ein Jahr nach Therapieabschluss nicht straffällig geworden und insbesondere nicht wegen eines gewalttätigen Verhaltens aufgefallen ist.

Schließlich ergibt sich etwas anderes auch nicht daraus, dass die mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 24. Juni 2011 für die Dauer von fünf Jahren angeordnete Führungsaufsicht fortbesteht. Die Führungsaufsicht tritt gemäß § 68f Abs. 1 Satz 1 StGB mit der Entlassung des Verurteilten aus dem Strafvollzug kraft Gesetzes ein, wenn wie hier eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen vorsätzlicher Straftaten vollständig vollstreckt worden ist. Etwas anderes gilt nur, wenn nach § 68f Abs. 2 StGB angeordnet wird, dass die Führungsaufsicht entfällt, weil zu erwarten ist, dass der Verurteilte auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird. Davon hat die Strafvollstreckungskammer aber im Hinblick auf das Gutachten vom 2. Januar 2010 abgesehen, nach dem von einer Rückfallgefahr erst nach einer weiteren Psychotherapie nicht mehr ausgegangen werden konnte. Zwar hat die Strafvollstreckungskammer die Dauer der Führungsaufsicht, die nach § 68c Abs. 1 Satz 1 StGB mindestens zwei und höchstens fünf Jahre beträgt, auf fünf Jahre festgesetzt. Es hat dies allerdings nicht näher begründet. Auch hat es zum Zeitpunkt seiner Entscheidung weder berücksichtigen können, dass der Kläger die Psychotherapie, zu der er durch die Vollstreckungskammer angewiesen wurde, erfolgreich abgeschlossen hat noch dass der Kläger die Prognose, dass von ihm nach einer erfolgreichen Therapie die Gefahr weiterer Straftaten nicht mehr ausgeht, seitdem durch straffreies Verhalten bestätigt hat. Unter diesen Umständen ist der Verwaltungsgerichtshof durch die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer aber nicht daran gehindert, wie hier auf der Grundlage der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls und des persönlichen Eindrucks, den er vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, zu der Überzeugung zu gelangen, dass trotz des Fortbestehens der Führungsaufsicht zum Zeitpunkt seiner Entscheidung keine gegenwärtige Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft mehr besteht (vgl. zur fehlenden Bindung der Verwaltungsgerichte an die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer über die Aussetzung des Strafrests zur Bewährung hinsichtlich der Gefahrenprognose BVerwG, U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 23; U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18 ff.).

Ebenso wenig steht der Verneinung einer vom Kläger ausgehenden Wiederholungsgefahr entgegen, dass nach dem psychiatrischen Gutachten vom 2. Januar 2010 statistisch gesehen etwa ein Drittel der verurteilten Gewalttäter innerhalb von drei Jahren erneut verurteilt werden (vgl. S. 23 f. Gutachtens). Abgesehen davon, dass die statistisch hohe Rückfallwahrscheinlichkeit allenfalls ein Gesichtspunkt von vielen ist, die bei der anhand einer Prüfung aller Umstände des Einzelfalls zu erstellenden Gefahrenprognose zu berücksichtigen sind, sprechen die im Gutachten vom 2. Januar 2010 darüber hinaus wiedergegebenen statistischen Erhebungen dafür, dass beim Kläger ein weit geringeres Rückfallrisiko besteht. Denn danach hatten Verurteilte, die während der Haft nicht durch Disziplinarmaßnahmen auffielen, deutlich niedrigere Rezidivraten als die Gesamtheit der Straftäter (S. 24 des Gutachtens). Neben der lediglich einmaligen disziplinarischen Ahndung des Klägers während der gesamten, mehr als fünfjährigen Haft spricht statistisch gesehen das Fehlen von Vorstrafen dafür, dass die Rückfallwahrscheinlichkeit beim Kläger gering ist (vgl. S. 25 des Gutachtens). Im Übrigen ist auch der Sachverständige, der die von ihm referierten statistischen Daten und insbesondere die relativ hohe Rückfallwahrscheinlichkeit bei Gewaltdelikten bei seiner Prognose ausdrücklich berücksichtigt hat (vgl. S. 30 des Gutachtens), zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger nach einer erneuten und inzwischen durchgeführten Therapie nicht mehr gefährlich ist.

bb) Selbst wenn man anders als der Verwaltungsgerichtshof von einer gegenwärtigen Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft ausgeht, war die Ausweisung des Klägers zum für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung jedoch rechtswidrig. Denn sie war zur Wahrung dieses Grundinteresses der Gesellschaft nicht unerlässlich.

Dabei ist im Rahmen der Prüfung der Unerlässlichkeit zu beachten, dass die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein müssen (vgl. EuGH U.v. 8.12.2011 - Ziebell, C-371/08 - juris Rn. 82). Zu berücksichtigen sind dabei sämtliche konkreten Umstände, die für die Situation des Betroffenen kennzeichnend sind (vgl. EuGH a. a. O. Rn. 85), insbesondere die Dauer seines Aufenthalts im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats, sein Alter, die Folgen seiner Ausweisung für ihn und seine Familienangehörigen sowie seine Bindungen zum Aufenthaltsstaat oder fehlende Bindungen zum Herkunftsstaat (Art. 12 Abs. 3 Richtlinie 2003/109/EG; vgl. EuGH a. a. O. Rn. 80). Ebenso sind die für die Wahrung des Grundinteresses der Gesellschaft bedeutsamen Umstände zu berücksichtigen wie die Art und Schwere der Straftat, die seit der Straftat vergangene Zeit und das Verhalten des Klägers in dieser Zeit (vgl. EGMR, U.v. 2.7.2001 - Boultif, Nr. 54273/00 - InfAuslR 2001, 476/478; U.v. 5.7.2005 - Üner, Nr. 46410/99 - DVBl 2006, 688).

Danach war die Ausweisung zur Wahrung des hier betroffenen Grundinteresses der Gesellschaft nach Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs aber nicht unerlässlich. Denn sie verstieß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zwar war sie ohne weiteres zur Wahrung dieses Grundinteresses geeignet und erforderlich, weil etwaige vom Kläger ausgehende Gefahren für das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung in der Bundesrepublik am wirksamsten durch seine Ausweisung abgewendet werden können. Jedoch überwiegt das in seinem Recht auf Privat- und Familienleben wurzelnde Interesse des Klägers, sich weiter im Bundesgebiet aufhalten zu dürfen, das mit der Ausweisung verfolgte öffentliche Interesse an der Wahrung des betreffenden Grundinteresses der Gesellschaft. Die Folgen der Ausweisung für den Kläger stehen deshalb zu dem mit dieser Maßnahme verfolgten Ziel außer Verhältnis.

aaa) Zwar kommt dem mit der Ausweisung verfolgten Ziel, das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung vor weiteren Straftaten des Klägers zu schützen, angesichts des hohen Rangs dieser Rechtsgüter großes Gewicht zu. Dieses Gewicht ist aber dadurch deutlich vermindert, dass die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger erneut Straftaten gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit begeht, sehr gering ist. Denn, wie dargelegt, geht vom Kläger in Anbetracht des nachhaltigen Eindrucks, den die Haft bei ihm hinterlassen hat, der erfolgreich absolvierten Psychotherapie und des damit einhergehenden Einstellungswandels sowie der Tatsache, dass die der Ausweisung zugrunde liegende Straftat bereits acht Jahre zurückliegt und der Kläger weder während seiner mehr als fünfjährigen Haft noch in den mehr als drei Jahren seit seiner Entlassung aus dem Strafvollzug erneut durch Körperverletzungs-, Tötungs- oder andere Gewaltdelikte in Erscheinung getreten ist, allenfalls noch eine entfernte Gefahr der Begehung solcher Straftaten aus.

bbb) Demgegenüber beeinträchtigt die Ausweisung des in Deutschland geborenen und seit mehr als 31 Jahren hier lebenden Klägers neben seinem Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 GG sein Recht auf Privatleben nach Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 7 EU-GR-Charta ebenso wie sein Recht auf Familienleben nach Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 7 EU-GR-Charta sowie sein Grundrecht auf Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG und sein Recht auf Pflege und Erziehung seines Kindes nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG.

Der Entzug des Aufenthaltsrechts nach Art. 7 ARB 1/80 und die damit verbundene Beeinträchtigung des Rechts des Klägers auf Privatleben wiegen dabei schwer. Der Kläger ist faktischer Inländer. Er ist in Deutschland geboren und hat 31 Jahre hier gelebt. Er hat die Schule mit dem Qualifizierenden Hauptschulabschluss beendet und eine Lehre zum Maschinenbaumechaniker erfolgreich abgeschlossen. Der Schwerpunkt seiner sozialen Kontakte liegt im Bundesgebiet. Seine Ehefrau und sein Sohn sowie seine Geschwister und ein großer Teil seiner Verwandten leben in Deutschland. Wie die umfangreiche Besucherliste der Justizvollzugsanstalt belegt, hat der Kläger darüber hinaus in der Bundesrepublik eine Reihe von Freunden und Bekannten. Zwar hat der Kläger auch Bindungen zu seinem Herkunftsland Türkei. Er ist in einer türkischen Familie aufgewachsen, spricht Türkisch und hat in der Grundschule eine türkische Klasse besucht, in der manche Fächer auch in türkischer Sprache unterrichtet wurden. Außerdem sind seine Eltern im Oktober 2014 in die Türkei zurückgekehrt, so dass er im Falle seiner Ausreise oder Abschiebung dorthin nicht auf sich allein gestellt wäre. Auch wenn man davon ausgeht, dass der Kläger sich unter diesen Umständen in der Türkei wohl eine neue Existenz aufbauen könnte, ändert dies jedoch nichts daran, dass seine Ausweisung und die damit verbundene Beeinträchtigung seines Rechts auf Privatleben für den in der Bundesrepublik geborenen und hier seit seiner Geburt lebenden und verwurzelten Kläger insbesondere im Hinblick auf seine familiären Beziehungen schwer wiegt und seinem Interesse, sich weiter im Bundesgebiet aufhalten zu dürfen, daher erhebliches Gewicht beizumessen ist.

Da die Ehefrau und der eineinhalbjährige Sohn des Klägers, die beide deutsche Staatsangehörige sind, in der Bundesrepublik leben, berührt seine Ausweisung nicht nur das Recht auf Privatleben, sondern stellt auch eine besonders schwerwiegende Beeinträchtigung seines Rechts auf Familienleben (Art. 8 Abs. 1 EMRK, Art. 7 EU-GR-Charta) sowie des Rechts auf Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) und des Rechts auf Pflege und Erziehung seines Sohnes (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) dar. Zwar ist dabei zu berücksichtigen, dass die im Februar 2013 geschlossene Ehe des Klägers zu einem Zeitpunkt eingegangen worden ist, zu dem der Ehefrau des Klägers die der Ausweisung zugrunde liegende Straftat und die Ausweisung selbst bereits bekannt waren (vgl. EGMR, U.v. 2.7.2001 - Boultif, Nr. 54273/00 - InfAuslR 2001, 476/478; U.v. 5.7.2005 - Üner, Nr. 46410/99 - DVBl 2006, 688; U.v. 28.6.2011 - Nunez, Nr. 55597/09 - HUDOC Rn. 70), und dass dem Recht auf Privatleben und dem Schutz der Ehe in solchen Fällen ein vermindertes Gewicht beizumessen sein kann. Jedoch kommt andererseits dem Schutz der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) und dem Recht auf Pflege und Erziehung seines Sohnes, das im Interesse des Kindes mit einer entsprechenden Pflicht einhergeht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG), große Bedeutung zu.

Die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm gebietet es, bei Entscheidungen über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, B.v. 8.12.2005 - 2 BvR 1001/04 - juris Rn. 17; U.v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 - juris Rn. 16; B.v. 1.12.2008 - 2 BvR 1830/08 - juris Rn. 26; B.v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 - juris Rn. 12). Dabei ist maßgeblich auf die Sicht des Kindes abzustellen (BVerfG, B.v. 8.12.2005 - 2 BvR 1001/04 - juris Rn. 25; B.v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 - juris Rn. 18; B.v. 1.12.2008 - 2 BvR 1830/08 - juris Rn. 31; B.v 25.6.2013 - 2 BvR 586/13 - juris Rn. 14). Kann die familiäre Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind nur in der Bundesrepublik gelebt werden, weil weder dem Kind noch seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik zumutbar ist, etwa weil das Kind deutscher Staatsangehöriger ist und ihm wegen der Beziehungen zu seiner Mutter eine Ausreise aus Deutschland nicht zugemutet werden kann, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange in der Regel zurück (vgl. BVerfG, B.v. 8.12.2005 - 2 BvR 1001/04 - juris Rn. 19; B.v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 - juris Rn. 17; B.v. 1.12.2008 - 2 BvR 1830/08 - juris Rn. 27; B.v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 - juris Rn. 13). Auch eine vorübergehende Trennung kann sich als unzumutbar darstellen. Ein hohes, gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht haben die Folgen einer vorübergehenden Trennung insbesondere dann, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt (vgl. BVerfG, B.v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 - juris Rn. 22; B.v. 1.12.2008 - 2 BvR 1830/08 - juris Rn. 33; B.v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 - juris Rn. 14).

Nach diesen Maßgaben stellt sich die Ausweisung aber ungeachtet der Beziehungen des Klägers zur Türkei und der Eheschließung in Kenntnis seines unsicheren Aufenthaltsstatus als schwerwiegende Beeinträchtigung seines Interesses dar, sich weiter in der Bundesrepublik aufzuhalten. Denn die mit der Ausweisung verbundene Beeinträchtigung des Rechts auf Familienleben (Art. 8 Abs. 1 EMRK, Art. 7 EU-GR-Charta), des Rechts auf den Schutz der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) und auf Pflege und Erziehung seines Sohnes (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) wiegen danach schwer.

Zwischen dem Kläger und seinem Sohn besteht seit dessen Geburt eine familiäre Lebensgemeinschaft. Der Kläger und seine Ehefrau leben zusammen mit ihrem Sohn in einer gemeinsamen Wohnung. Die familiäre Lebensgemeinschaft kann auch nur in der Bundesrepublik aufrechterhalten werden, weil sowohl die Ehefrau des Klägers als auch sein Sohn deutsche Staatsangehörige sind, denen es nicht zumutbar ist, die Bundesrepublik zu verlassen. Schließlich wäre von der Ausweisung und der damit verbundenen Trennung des eineinhalbjährigen Sohnes von seinem Vater ein sehr kleines Kind betroffen, das den Charakter einer räumlichen Trennung nicht begreifen könnte und diese daher als endgültigen Verlust des Vaters erfahren würde. Die Folgen einer Trennung des Klägers von seinem Sohn auch nur für die Dauer des nach dem Änderungsbescheid vom 27. Januar 2015 auf drei Jahre befristeten Wiedereinreiseverbots haben daher großes Gewicht, zumal nach Art. 24 Abs. 2 EU-GR-Charta das Wohl des Kindes bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen eine vorrangige Erwägung sein muss.

ccc) Ist damit einerseits das Interesse des Klägers, sich weiter im Bundesgebiet aufzuhalten, durch die Ausweisung schwerwiegend beeinträchtigt und kommt andererseits dem Grundinteresse der Gesellschaft, das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen, angesichts der nur noch geringen Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger erneut ein Tötungs-, Körperverletzungs- oder anderes Gewaltdelikt begehen wird, nur geringes Gewicht zu, so überwiegt das private Interesse des Klägers, in der Bundesrepublik zu bleiben. Die Ausweisung erweist sich als unverhältnismäßig und ist damit auch nicht zur Wahrung des betroffenen Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich.

2. Die daraus resultierende Rechtswidrigkeit der Ausweisung hat zur Folge, dass auch die Befristung des Wiedereinreiseverbots auf die Dauer von drei Jahren und die Abschiebungsandrohung rechtswidrig sind, den Kläger in seinen Rechten verletzen und daher aufzuheben sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

a) Die Voraussetzungen für eine Befristung des Wiedereinreiseverbots nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen nicht vor. Denn gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG, nach dem die Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG befristet werden, setzt eine solche Befristung voraus, dass der Kläger ausgewiesen worden ist und deshalb nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen darf. Da die Ausweisung des Klägers jedoch rechtswidrig und daher aufzuheben ist, ist dies hier nicht der Fall.

b) Die Abschiebungsandrohung ist rechtswidrig, weil die Androhung der Abschiebung nach § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG das Bestehen einer Ausreisepflicht voraussetzt, der Kläger jedoch nicht ausreisepflichtig ist. Zur Ausreise ist ein Ausländer nach § 50 Abs. 1 AufenthG verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss EWG-Türkei nicht oder nicht mehr besteht. Diese Voraussetzungen sind hier aber nicht erfüllt. Weder ist die nach § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgeltende unbefristete Aufenthaltserlaubnis des Klägers nach § 51 Abs. 1 Halbsatz 1 Nr. 5 AufenthG durch die Ausweisung erloschen noch hat er ihretwegen gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 sein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 verloren. Denn die Ausweisung ist, wie dargelegt, rechtswidrig und damit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 Abs. 2 und § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 709 Satz 2 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

Tenor

I.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich mit der Klage gegen seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet.

Der am 24. Dezember 1983 im Bundegebiet geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Sein Vater lebt mit seinen zwei Geschwistern‚ der Stiefmutter und drei Stiefgeschwistern in G.; seine Mutter ist 2006 verstorben. Der Kläger‚ der seit 19. Januar 2000 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis (jetzt: Niederlassungserlaubnis) ist‚ besitzt einen Hauptschulabschluss, hat jedoch keine Berufsausbildung abgeschlossen. In den Jahren zwischen 2001 und 2010 arbeitete er bei verschiedenen Unternehmen mit Unterbrechungen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit.

Im Bundesgebiet ist er strafrechtlich wie folgt in Erscheinung getreten:

1. Vorsätzlicher unerlaubter Besitz in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Führen und vorsätzlicher unerlaubter Einfuhr einer Schusswaffe (24.8.2000): von der Verfolgung abgesehen, § 45 Abs. 2 JGG

2. Vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs mit fahrlässiger Körperverletzung in zwei Fällen (14.12.2003): Amtsgericht Dillingen vom 16.2.2004 - Verurteilung zu 70 Tagessätzen Geldstrafe und Sperre für die Wiedererlangung der Fahrerlaubnis

3. Vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs (14.4.2005): Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 29.11.2005 - fünf Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung und Sperre für die Fahrerlaubnis

4. Sechs sachlich zusammentreffende Vergehen des vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln (29.10.2004): Amtsgericht Dillingen vom 11.1.2006 - Verwarnung und Auflage von Arbeitsleistungen

5. Vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis (27.8.2005): Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 2.5.2006 unter Einbeziehung des Urteils vom 29.11.2005 (s. 3.) - Freiheitsstrafe von sechs Monaten zwei Wochen auf Bewährung und Sperre für die Fahrerlaubnis

6. Nachstellung in Tateinheit mit Nötigung‚ Hausfriedensbruch‚ Beleidigung‚ versuchter Nötigung in Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung‚ Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung in Tatmehrheit mit Beleidigung (3.9.2009): Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 4.5.2010 - Freiheitsstrafe ein Jahr zehn Monate‚ Strafrest zur Bewährung ausgesetzt bis 27. August 2017

7. Nachstellung in zwei tateinheitlichen Fällen mit schwerer Nachstellung‚ gefährlicher Körperverletzung‚ Bedrohung‚ vorsätzlicher Körperverletzung und Nötigung sowie Beleidigung (25.4.2010): Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 2.3.2011 - Freiheitsstrafe von zwei Jahren zwei Monaten‚ Strafvollstreckung erledigt am 3. Juli 2013

Das Landratsamt belehrte den Kläger am 17. Dezember 2007 wegen der von ihm begangenen Straftaten im Hinblick auf eine mögliche Ausweisung. Den Straftaten (Nr. 6 und 7)‚ aus denen Verurteilungen zu Freiheitsstrafen ohne Aussetzung zur Bewährung resultierten‚ lag die vom Kläger mit der späteren Geschädigten vom April 2005 bis 2009 geführte Beziehung zugrunde. Da sich der Kläger mit der von ihr durchgeführten Trennung nicht abfinden wollte‚ stellte er ihr beständig nach‚ rief sie dauernd an und beleidigte sie‚ ihre Mutter und deren Freund. Trotz einer einstwei-ligen Verfügung vom 7. Juli 2009 nach dem Gewaltschutzgesetz‚ mit der dem Kläger untersagt worden war‚ sich seiner früheren Freundin zu nähern‚ ist er an sie in einer Gaststätte herangetreten und hat dort u. a. ihre ebenfalls anwesende Mutter und deren Freund mit einem Golfschläger bedroht und geschlagen. Zulasten des Klägers wurden seine Rücksichtslosigkeit und Penetranz gewertet‚ außerdem sein rücksichtsloses Vorgehen im Hinblick auf die körperliche Unversehrtheit dritter Personen. Die schlechte Sozialprognose und seine Rückfälligkeit ließen eine Bewährungsaussetzung nicht mehr zu. Der Kläger habe den Zeitraum nach der Außervollzug-setzung des Haftbefehls bis zur Hauptverhandlung für einen massiven tätlichen Angriff genutzt.

Der Verurteilung durch das Amtsgericht Augsburg vom 2. März 2011 (Nr. 7) lag ein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde. Demnach habe der Kläger seine ehemalige Freundin im Zeitraum von April bis Juni 2010 weiterhin mehrfach telefonisch kontaktiert‚ beleidigt und bedroht, außerdem zweimal mit seinem Auto verfolgt und sei des Öfteren an ihrer Wohnung vorbeigefahren. Schließlich habe er sie am 24. April 2010 an den Haaren aus ihrem Auto herausgerissen und über einen Platz gezogen. Einen Tag danach habe er seine Handlung wiederholt, außerdem mit beiden Händen um den Hals der Geschädigten gefasst und solange zugedrückt‚ bis sie Atemnot erlitten habe. Der Kläger habe sich im Laufe der Hauptverhandlung aufbrausend benommen und als das eigentliche Opfer hingestellt. Es liege bei ihm eine narzisstische Problematik vor, die mit einem unangepassten Geltungsbedürfnis und Anfälligkeit zur Kränkung einhergehe.

Der Beklagte wies den Kläger mit Bescheid vom 24. Oktober 2012 aus dem Bundesgebiet aus und befristete die Wirkung dieser Ausweisung auf drei Jahre; die Abschiebung aus der Strafhaft wurde angeordnet. Für den Fall‚ dass die Abschiebung nicht aus der Strafhaft durchgeführt werden könne‚ habe der Kläger das Bundesgebiet innerhalb eines Monats nach Eintritt der Bestandskraft des Bescheids zu verlassen‚ andernfalls die Abschiebung in die Türkei oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht werde. Da er assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger sei und damit besonderen Ausweisungsschutz genieße‚ dürfe er nur aus spezialpräventiven Gründen auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung ausgewiesen werden. Vor dem Hintergrund der über Jahre hinweg begangenen‚ schwerwiegenden Straftaten drohe die Gefahr wiederum gegen die körperliche Unversehrtheit gerichteter Straftaten. Obwohl eine Behandlung in einer sozialtherapeutischen Abteilung für Gewaltstraftäter erforderlich und auch vorgesehen sei‚ habe sie der Kläger bisher nicht aufgenommen. Die Teilnahme an einem anstaltsinternen sozialen Kompetenztraining reiche nicht aus. Die Straftaten des in vollem Umfang schuldfähigen Klägers stellten keine einmaligen Verfehlungen dar; er verfüge vor dem Hintergrund seiner narzisstischen Persönlichkeit vielmehr über ein erhebliches Gefährdungspotential. Selbst die Verurteilung zu einer Haftstrafe habe ihn nicht davon abhalten können‚ sofort nach der mündlichen Verhandlung erneut straffällig zu werden. Die Ausweisung sei auch unter Berücksichtigung der persönlichen Belange des Klägers im Hinblick auf Art. 8 EMRK verhältnismäßig. Seine Kenntnisse der türkischen Sprache würden ihm eine rasche Eingewöhnung in die türkischen Lebensverhältnisse ermöglichen.

Mit Urteil vom 27. März 2013 wies das Verwaltungsgericht Augsburg die gegen den Bescheid vom 24. Oktober 2012 gerichtete Anfechtungsklage ab. Der Kläger könne nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 ausgewiesen werden, weil sein persönliches Verhalten eine gegenwärtige und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstelle, zu dessen Wahrung die Ausweisung unerlässlich sei. Das erschreckende Maß an Aggressivität‚ das der Kläger nicht nur gegenüber seiner ehemaligen Freundin‚ sondern auch gegenüber deren Angehörigen an den Tag gelegt habe‚ stelle einen Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht dar. Die begangenen Straftaten deckten ein breites Spektrum ab‚ belegten ein außerordentlich rücksichtsloses und hartnäckiges Verhalten und erstreckten sich über einen erheblichen Zeitraum. Die in den Strafurteilen aufgezeigten charakterlichen Probleme führten zur Annahme schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinn von § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Der Kläger nehme zwar in der Justizvollzugsanstalt an einer Therapie teil‚ diese sei jedoch noch nicht abgeschlossen‚ so dass davon ausgegangen werden müsse‚ dass aufgrund der nach wie vor bestehenden Persönlichkeitsdefizite mit weiteren Straftaten‚ insbesondere gefährlichen Körperverletzungen‚ gegenüber seiner früheren Freundin oder einer künftigen Partnerin‚ falls diese sich von ihm trennen wolle‚ zu rechnen sei. Schließlich bewiesen auch sein Verhalten und seine Äußerungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht deutlich‚ dass er die in seinem bisherigen Leben begangenen Fehler noch nicht erkannt und aufgearbeitet habe. Die Ermessensentscheidung des Beklagten sei nicht zu beanstanden‚ da alle wesentlichen Gesichtspunkte in die Prüfung eingestellt und keine sachfremden Erwägungen angestellt worden seien. Die Ausweisung sei schließlich auch verhältnismäßig im Hinblick auf Art. 8 EMRK. Obwohl der Kläger als faktischer Inländer zu betrachten und im Besitz eine Niederlassungserlaubnis sei‚ sein Vater und seine Geschwister im Bundesgebiet wohnten und er seine wesentliche Prägung und Sozialisation in Deutschland erfahren habe‚ sei ihm eine Übersiedlung in die Türkei zu der dort lebenden Großmutter zuzumuten. Er werde jedenfalls in der Türkei nicht auf unüberwindbare Hindernisse stoßen. Auch die Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von drei Jahren begegne keinen rechtlichen Bedenken.

Der am 22. Juni 2010 inhaftierte Kläger wurde am 19. August 2013 nach voller Verbüßung der durch Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 2. März 2011 (s. Nr. 7) verhängten Freiheitsstrafe und mehr als hälftiger Verbüßung der durch das Amtsgericht Dillingen mit Urteil vom 4. Mai 2010 (Nr. 6) verhängten Freiheitsstrafe entlassen.

Der Kläger begründet seine mit Beschluss vom 19. Januar 2015 zugelassene Berufung in erster Linie mit dem Verweis auf den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg vom 9. August 2013‚ mit dem die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt und eine Bewährungszeit von vier Jahren angeordnet wurde. Der Kläger habe sämtliche ihm auferlegten Bewährungsauflagen erfüllt und erfülle sie immer noch. Insbesondere habe er die Therapie erfolgreich abgeschlossen‚ wohne nun zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern in G. und habe eine Ausbildung als Industriemechaniker begonnen‚ nachdem er noch während der Haft den qualifizierten Hauptschulabschluss sowie außerdem einen Staplerführerschein erworben habe. Während der Inhaftierung habe er im Rahmen eines Gewaltpräventionstrainings an zehn Einzel- und zehn Gruppensitzungen mit einem Therapeuten teilgenommen. Aus dem Beschluss vom 9. August 2013 ergebe sich‚ dass die Entlassung unter Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung angesichts der überwiegenden Wahrscheinlichkeit möglich sei‚ dass der Kläger künftig keine Straftaten mehr begehen werde. Der Kläger erfülle auch das im Hinblick auf besonders gefährliche Straftaten zu verlangende hohe Maß an Erfolgswahrscheinlichkeit wegen des erfolgreichen Therapieverlaufs‚ der damit einhergehenden Einsicht in das Tatunrecht und dessen Aufarbeitung. Außerdem bestehe offenbar keine Beziehung mehr zum Tatopfer. In der Haft habe eine deutliche Nachreifung bei beanstandungsfreier Führung stattgefunden. Nach der erstmaligen Verbüßung einer Haftstrafe müsse die Gefahrenprognose vor dem Hintergrund des Beschlusses vom 9. August 2013 zu seinen Gunsten ausgehen. Zum für die rechtliche und tatsächliche Beurteilung des angefochtenen Bescheides maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung sei klar‚ das der Kläger durch die erstmalige Inhaftierung so beeindruckt sei‚ das er künftig keine Straftaten mehr begehen werde. Bei lange andauerndem Strafvollzug komme den Umständen der Begehung der Straftaten nur noch eingeschränkte Aussagekraft zu; je länger die Freiheitsentziehung andauere‚ desto mehr Bedeutung erhielten die augenblicklichen Lebensverhältnisse der verurteilten Person für die anzustellende Prognose. Der Kläger habe sich seit seiner Haftentlassung straffrei geführt.

Der Kläger beantragt‚

das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 27. März 2013 und den Bescheid des Beklagten vom 24. Oktober 2012 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt‚

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte legte zuletzt ein Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 10. Dezember 2015 vor‚ mit dem der Kläger wegen des Vergehens des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Geldstrafe in Höhe von 140 Tagessätzen verurteilt wurde. Er war am 31. März 2015 im Rahmen einer Verkehrskontrolle wegen auffälligen Zustands seiner Pupillen aufgefordert worden‚ zur Feststellung seiner Fahrtauglichkeit einen Urintest durchzuführen. Infolge seiner Weigerung veranlasste die Polizei die richterliche Anordnung einer Blutentnahme‚ gegen die sich der Kläger zur Wehr setzte‚ so dass er zur Durchsetzung der Anordnung von fünf Polizeibeamten auf dem Boden fixiert werden musste. Währenddessen beleidigte er die anwesenden Beamten in türkischer Sprache. Im Rahmen der Strafzumessung wertete das Landgericht Dillingen sein Teilgeständnis und sein Bemühen um eine Entschuldigung in der mündlichen Verhandlung zu seinen Gunsten. Zu seinen Lasten gingen die zahlreichen Vorstrafen und der Umstand, dass er während offener Reststrafenbewährung gehandelt habe. Der Kläger habe ausweislich des mittels Blutprobe festgestellten geringen THC-Werts nicht den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit im Sinn von § 24a StVG verwirklicht. Aus der beigezogenen Bewährungsakte gehe hervor‚ das er der ihm auch nach Haftentlassung auferlegten Antigewalttherapie bei dem Therapeuten Dr. S. ambulant nachkomme. Aufgrund der Gesamtumstände werde eine Geldstrafe als noch ausreichend zur Ahndung angesehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegten Strafakten‚ die Ausländerakte sowie die Gerichtsakten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht die Anfechtungsklage abgewiesen, weil die Ausweisung den geltenden Vorschriften entspricht.

1. Die Rechtmäßigkeit der Ausweisung des Klägers ist an den im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs maßgeblichen Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG, also in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386), zu messen (1.1). Die neue Rechtslage kann ohne Verstoß gegen Art. 13 ARB 1/80 angewendet werden (1.2).

1.1 Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisung ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (vgl. z. B. BVerwG, U. v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 12). Eine während des Berufungsverfahrens bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats eingetretene Änderung der Sach- und Rechtslage ist daher zu berücksichtigen. Der Senat hat dementsprechend die streitbefangene Ausweisungsverfügung und das bestätigende verwaltungsgerichtliche Urteil mangels entgegenstehender Übergangsregelung anhand der §§ 53 ff. AufenthG in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386) zu überprüfen.

Seit dieser Rechtsänderung differenziert das Aufenthaltsgesetz nicht mehr zwischen der zwingenden Ausweisung, der Ausweisung im Regelfall und der Ermessens-ausweisung, sondern verlangt für eine Ausweisung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, die für ein Ermessen der Ausländerbehörde keinen Raum mehr lässt. Die Ausweisungsentscheidung ist durch das Gericht in vollem Umfang nachprüfbar (Welte, InfAuslR 2015, 426; Cziersky-Reis in Hofmann, Kommentar zum Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl. 2016, § 53 Rn. 30; Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Kommentar, 11. Aufl. 2016, Vorb §§ 53 - 56 Rn. 13 und § 53 Rn. 5 ff.; a.A. Marx, ZAR 2015, 245/246). Eine - wie hier - nach altem Recht verfügte Ermessensausweisung wird nach Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG in ihrer Neufassung am 1. Januar 2016 nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht, also gemäß der zentralen Ausweisungsnorm des § 53 Abs. 1 AufenthG (als Grundtatbestand; vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/4097 S. 49 f.) der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Steht dem Ausländer ein Aufenthaltsrecht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsratsabkommen vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) zu, sind an die Qualität der erforderlichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erhöhte Anforderungen zu stellen, denn er darf nach § 53 Abs. 3 AufenthG nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und wenn die Ausweisung zur Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Damit gibt die Neufassung von § 53 Abs. 3 AufenthG exakt die Voraussetzungen wieder, die nach ständiger Rechtsprechung (z. B. EuGH, U. v. 8.12.2011 - Rs. C - 371/08 Ziebell -, juris Rn. 80; BayVGH‚ U. v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris) für die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen erfüllt sein mussten.

1.2 Die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, dass dem Kläger im Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 zustand. Er kommt damit grundsätzlich in den Genuss der ihn gegenüber anderen Drittstaaten privilegierenden Vorschriften des Assoziationsratsbeschlusses, also auch des in Art. 13 ARB 1/80 enthaltenen Verschlechterungsverbots (sog. Stillhalteklausel). Danach dürfen die Mitgliedstaaten keine neuen innerstaatlichen Maßnahmen einführen, die bezwecken oder bewirken, dass die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch einen türkischen Staatsangehörigen oder einen Familienangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen unterworfen wird als denjenigen, die bei Inkrafttreten der Bestimmung am 1. Dezember 1980 in dem Mitgliedstaat galten (vgl. BVerwG, U. v. 28.4.2015 - 1 C 21. 14 - InfAuslR 2015, 327).

Allerdings bestehen auch mit Blick auf diese Bestimmung keine Bedenken gegen die Anwendung der ab 1. Januar 2016 geltenden neuen Ausweisungsvorschriften auf den Kläger als assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen. Geht man davon aus, dass Art. 13 ARB 1/80 auch im Zusammenhang mit der Änderung nationaler Ausweisungsvorschriften Gültigkeit beansprucht, obwohl diese keinen unmittelbaren Bezug zur Regelung des Arbeitsmarktzugangs aufweisen (vgl. hierzu Hailbronner, AuslR, Stand: Januar 2016, D 5.2, Art. 13 Rn. 10 f.), geht mit der Einführung des zum 1. Januar 2016 anwendbaren Ausweisungsrechts keine grundsätzliche Verschlechterung der Rechtsposition eines unter dem Schutz von Art. 14 ARB 1/80 stehenden türkischen Staatsangehörigen einher. Denn er kann auch künftig ausschließlich aus spezialpräventiven Gründen und nur dann ausgewiesen werden, wenn sein Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt (vgl. § 53 Abs. 3 AufenthG); außerdem ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, wie sich aus § 53 Abs. 3 letzter Halbsatz AufenthG und dem System von § 53 Abs. 2, §§ 54, 55 AufenthG ergibt. Dabei sind unter Abwägung der gegenläufigen Interessen alle Umstände und Besonderheiten des konkreten Einzelfalls einzustellen (Bauer in Bergmann/Dienelt, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 56 f.; bisher schon: BVerwG, U. v. 2.9.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3), so dass sich die materiellen Anforderungen, unter denen ein assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger ausgewiesen werden darf, nicht zu seinen Lasten geändert haben. Dass nach dem neuen Recht eine Ausweisung nach Betätigung des ausländerbehördlichen Ermessens nicht mehr in Betracht kommt, ist für einen betroffenen Ausländer nicht ungünstiger (Bauer in Bergmann/Dienelt, a. a. O., Rn. 59; a.A. Cziersky-Reis in Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 42), denn es lässt sich schon nicht feststellen, dass es in der Vergangenheit tatsächlich Fälle gab, in denen die Ausländerbehörde von einer eigentlich möglichen Ausweisung aus Ermessensgründen Abstand genommen hat. Im Übrigen ermöglicht das neue Ausweisungsrecht eine volle gerichtliche Kontrolle der Ausweisungsentscheidung, so dass jedenfalls in der Gesamtschau eine Verschlechterung der Rechtspositionen eines durch Art. 13, 14 ARB 1/80 geschützten türkischen Staatsangehörigen nicht feststellbar ist.

2. Die Ausweisung des Klägers ist unter Berücksichtigung des dargelegten Maßstabs rechtmäßig, weil die vom Verwaltungsgericht angenommene Gefahr der Begehung erneuter gravierender Straftaten nach wie vor gegenwärtig besteht (2.1) und nach der erforderlichen Interessenabwägung die Ausweisung für die Wahrung dieses Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist (2.2).

2.1 Gemessen an den unter 1.1 dargestellten Grundsätzen kommt der Senat zu der Bewertung, dass nach dem Gesamtbild des Klägers, das in erster Linie durch sein Verhalten gekennzeichnet ist, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass er erneut vergleichbare Straftaten begehen wird und damit gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellt. Die nach § 53 Abs. 1, 3 AufenthG vorausgesetzte erhöhte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist beim Kläger zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats in spezialpräventiver Hinsicht noch gegeben. Seine diesbezüglichen Einwendungen im Berufungsvorbringen greifen letztlich nicht durch. Die Ausweisungsentscheidung hat der Beklagte vor dem Hintergrund des nunmehr von § 53 Abs. 3 AufenthG geforderten persönlichen Verhaltens zu Recht nicht auf generalpräventive Gründe gestützt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei einer spezialpräventiven Ausweisungsentscheidung und ihrer gerichtlichen Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. z. B. BVerwG, U. v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, U. v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 33 m. w. N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (st. Rspr.; vgl. z. B. BVerwG, U. v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - Rn. 18; BayVGH, U. v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 34 und B. v. 3.3.2016 - 10 ZB 14.844 - juris). Auch der Rang des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen; an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts dürfen andererseits keine zu geringen Anforderungen gestellt werden.

Gemessen an den dargestellten Grundsätzen ist der Senat zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt zu der Überzeugung (§ 108 Abs. 1 VwGO) gelangt, dass eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Kläger erneut die öffentliche Sicherheit durch vergleichbare, insbesondere gegen die körperliche Unversehrtheit dritter Personen gerichtete Straftaten beeinträchtigen wird. Das vom Kläger insoweit geltend gemachte positive Verhalten während der Strafhaft, die dabei durchlaufene Entwicklung, weiter der Umstand, dass er erstmals eine Haftstrafe verbüßen musste, sowie die Aussagen im Bewährungsbeschlusses vom 9. August 2013, und schließlich die Erfüllung der ihm auferlegten Auflagen lassen die angenommene Wiederholungsgefahr nicht entfallen. Zu Recht hat demgegenüber das Verwaltungsgericht entscheidend darauf abgestellt, dass der Kläger eine ganze Reihe von Straftatbeständen gegenüber seiner ehemaligen Freundin und deren Angehörigen verwirklicht und dabei über einen erheblichen Zeitraum ein hohes Maß an Aggressivität an den Tag gelegt hat. Durch sein Verhalten mit sich steigernder Gewaltbereitschaft hat der Kläger Schutzgüter von hohem Rang (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) verletzt und den betroffenen Personen nicht nur körperliche, sondern auch erhebliche psychische Schäden zugefügt. Das vom Kläger ausgehende Gefährdungspotenzial berührt angesichts dessen ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die Gefahrenprognose wird auch dadurch gestützt, dass er sich in den Jahren 2003 und 2005 zweimal der vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs in massiver Weise durch rücksichtsloses Überholen schuldig gemacht hatte (vgl. Darstellung im Urteil des VG Augsburg v. 27.3.2013, S. 17, 18), wobei es einmal zu einem Frontalzusammenstoß kam. Es wurde deswegen eine Freiheitsstrafe auf Bewährung gegen ihn verhängt; die zudem ausgesprochene Entziehung der Fahrerlaubnis hat er offenbar nicht akzeptiert, wie eine weitere Verurteilung wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis beweist.

Triebfeder für das Verhalten des Klägers, das den den Anlass für die Ausweisung bildenden Taten zugrunde lag, war seine persönliche Unfähigkeit, die Beendigung der Beziehung durch seine Freundin zu akzeptieren und nicht gewaltsam auf die Rückgängigmachung ihres Entschlusses zu drängen. Die diesem Verhalten zugrunde liegende Disposition seiner Persönlichkeit hat der Kläger zwar in der Haft und auch anschließend entsprechend den ihm auferlegten Maßgaben bearbeitet; der Senat konnte gleichwohl nicht zu der Auffassung gelangen, dass der Kläger ein ähnliches Verhalten in einer vergleichbaren Situation nicht mehr zeigen wird. Zur Begründung ist insbesondere auf die neuerliche Verurteilung durch Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 10. Dezember 2015 wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu verweisen, der zwar offenbar keine aktiven Gewalthandlungen des Klägers zugrundelagen, als er sich der richterlich angeordneten Blutentnahme widersetzt hat und die Maßnahme nur nach Fixierung durch mehrere Polizeibeamte vollzogen werden konnte; auch hat er sich für sein Verhalten entschuldigt. Problematisch im Hinblick auf die hier anzustellende Gefahrenprognose ist seine in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat wiederholte Meinung, er habe ohne schriftliche richterliche Anordnung die Blutentnahme verweigern und danach handeln dürfen, weil er „im Recht gewesen“ sei. Die auch darin zum Ausdruck kommende Einstellung des Klägers lässt den Schluss zu, dass er auch künftig in bestimmten Konfliktsituationen im privaten wie im öffentlichen Raum - insbesondere wenn er sich „ungerecht behandelt fühlt“ - nach seinen eigenen rechtlichen und sonstigen Vorstellungen agieren wird und es so zu erneuten unkontrollierbaren Eskalationen für den Fall kommen kann, dass der Gegenüber nicht der Meinung des Klägers ist. In dieser Hinsicht haben die in und nach der Haft durchgeführten Therapiemaßnahmen (Persönlichkeits- und Antigewalttherapie), mit denen u. a. die vom Sachverständigen des Amtsgerichts Augsburg mit Gutachten vom 19. Dezember 2010 festgestellte erhebliche narzisstische Problematik bearbeitet werden sollte, noch keinen ausreichenden Erfolg gehabt.

Auch die im Bewährungsbeschlusses vom 9. August 2013 enthaltene Aussage, vor dem Hintergrund einer „deutlichen Nachreifung bei beanstandungsfreier Führung“ in der Haft und einer erfolgreichen Aufarbeitung der für die Straftaten maßgeblichen Defizite sei überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger künftig keine Straftaten mehr begehen werde, vermag nicht zu einer für ihn günstigen Gefahrenprognose zu führen. Bei ihrer Prognoseentscheidung sind die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte an die Feststellungen und Beurteilungen durch die Strafgerichte selbst dann nicht gebunden, wenn die Strafvollstreckungskammer zur Vorbereitung ihrer Entscheidung ein Sachverständigengutachten eingeholt hat. Bei der Frage, ob ein Strafrest nach § 57 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann, geht es um die Frage, ob die Wiedereingliederung eines inhaftierten Straftäters weiterhin im Vollzug stattfinden muss oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit in „offener Form“ inmitten der Gesellschaft verantwortet werden kann. Dabei stehen in erster Linie Gesichtspunkte der Resozialisierung im Vordergrund; zu prognostizieren ist, ob der Täter das Potenzial hat, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen. Im ausländerrechtlichen Ausweisungsverfahren geht es dagegen um die Frage, ob das Risiko eines Misserfolgs der Resozialisierung von der inländischen Gesellschaft getragen werden muss. Die ausweisungsrechtliche Prognoseentscheidung bezieht sich daher nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Denn es geht dabei um die Beurteilung, ob dem Ausländer über den Bewährungszeitraum hinaus ein straffreies Leben im Bundesgebiet möglich sein wird. Entscheidend ist, ob er im maßgeblichen Zeitpunkt auf ausreichende Integrationsfaktoren verweisen kann; die beanstandungsfreie Führung während der Haft genügt für sich genommen nicht (BVerwG, U. v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 19 f.; BayVGH, B. v. 3.3.2016 - 10 ZB 14.844 - juris).

Zu keinem anderen Ergebnis führt deshalb auch der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung mitgeteilte Umstand, dass seine Bewährung nicht infolge der letzten strafrechtlichen Verurteilung widerrufen worden sei. Die soeben dargestellten Grundsätze zur unterschiedlichen Würdigung der Gefahrenprognose im Strafvollzugsrecht einerseits und Ausweisungsrecht andererseits können auch in der Situation des trotz erneuter Verurteilung unterbliebenen Widerrufs der Bewährung angewendet werden.

Auch wenn der Kläger nunmehr offenbar seiner ehemaligen Freundin nicht mehr nachstellt und sich mit den gegen sie und ihre Angehörigen gerichteten Taten, wegen derer er verurteilt wurde, auseinandergesetzt hat, genügt dieser Umstand dem Senat für eine positive Prognose alleine noch nicht. Ohne Überwindung der für das damalige Fehlverhalten maßgeblichen Persönlichkeitsdefizite besteht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit die gegenwärtige Gefahr der Begehung gleich oder ähnlich gelagerter Straftaten.

2.2 Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage nach § 53 Abs. 1 und 3 AufenthG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausreise überwiegt und die Ausweisung auch für die Wahrung des (unter 2.1) dargestellten Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist.

Entgegen dem Vortrag im Berufungsverfahren ist die streitbefangene Ausweisung weder unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG - allerdings nicht abschließend - aufgeführten Umstände noch mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznorm des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 8 EMRK unverhältnismäßig. Der Beklagte und nachfolgend das Verwaltungsgericht haben bei der vom Kläger angegriffenen Entscheidung sämtliche entscheidungsrelevanten Gesichtspunkte berücksichtigt, die in diese Interessenabwägung einzustellen sind, und sie im Ergebnis in nicht zu beanstandender Weise gewichtet.

2.2.1 Ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse (i. S. v. § 53 Abs. 1 AufenthG) ist beim Kläger infolge seiner rechtskräftigen Verurteilung vom 2. März 2011 durch das Amtsgericht Augsburg zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gegeben. Zu seinen Gunsten ergibt sich ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, weil er eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat.

Liegen darüber hinaus weitere Lebenssachverhalte vor, die noch andere Tatbestände eines besonders schwerwiegenden oder (nur) schwerwiegenden Ausweisungs- oder Bleibeinteresses erfüllen, sind diese erst bei der nachfolgenden Abwägung der einzelfallbezogenen Umstände im Rahmen des § 53 Abs. 2 AufenthG mit dem ihnen zukommenden Gewicht zu berücksichtigen; die Annahme eines „doppelt“ oder sogar mehrfach (besonders oder nur) schwerwiegenden Interesses ist weder systematisch geboten noch von seinem Sinngehalt her vorstellbar. Eine rein quantitative Gegenüberstellung der im Rahmen der Prüfung nach §§ 54, 55 AufenthG verwirklichten typisierten Interessen widerspräche auch dem Gebot der Abwägung aller Umstände des Einzelfalls. Deshalb kommt es an dieser Stelle nicht mehr darauf an, dass infolge der weiteren Verurteilung des Klägers durch das Amtsgericht Dillingen vom 4. Mai 2010 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten auch der Tatbestand des § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG verwirklicht ist. Entsprechendes gilt für die nicht den Anlass für die Ausweisung gebenden Verurteilungen durch das Amtsgericht Dillingen (vom 16.2.2004 und vom 2.5.2006), die möglicherweise für sich alleine gesehen - also ohne Vorliegen der zeitlich nachfolgenden Verurteilungen - ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG als strafbare Handlungen, die „einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften“ darstellen, begründen könnten.

2.2.2 Liegen also nach der durch die §§ 54, 55 AufenthG vorgegebenen typisierenden Betrachtung besonders schwerwiegende Gründe vor, die sowohl für die Ausreise des Klägers aus dem Bundesgebiet als auch für seinen weiteren Verbleib sprechen, fällt die in jedem Fall auch im Rahmen des § 53 Abs. 3 AufenthG vorzunehmende umfassende Abwägung der gegenläufigen Interessen (§ 53 Abs. 1, 2 AufenthG) hier zu Ungunsten des Klägers aus; danach ist seine Ausweisung für die Wahrung des betroffenen Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich.

Bei der Abwägungsentscheidung sind sämtliche nach den Umständen des Einzelfalls maßgeblichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen, in erster Linie die Dauer des Aufenthalts, die Bindungen persönlicher, wirtschaftlicher und sonstiger Art im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat sowie die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige (§ 53 Abs. 2 AufenthG). Vor diesem Hintergrund hat das Verwaltungsgericht zu Recht darauf abgestellt, dass der Kläger ein „faktischer Inländer“ ist, der seine wesentliche Prägung und Entwicklung in Deutschland erfahren hat, und seit mehr als einem Jahrzehnt ein Daueraufenthaltsrecht im Bundesgebiet besitzt. Sämtliche nahe Verwandte, insbesondere der Vater des Klägers und seine Geschwister sowie Stiefgeschwister leben im näheren Umfeld. Allerdings hat der Kläger bisher keine eigene Familie gegründet und lebt auch nicht mehr - wie noch während der Haft geplant - mit seinem Vater zusammen, sondern hat eine eigene Wohnung. Unter dem Aspekt der Achtung des Privatlebens (Art. 8 Abs. 1, 2 EMRK) ist zu beachten, dass der Kläger eine neue Beziehung zu einer Frau eingegangen ist, über die er in der mündlichen Verhandlung berichtet hat. Zu seinen Gunsten spricht auch sein nach der Haftentlassung an den Tag gelegtes Bemühen, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, auch wenn er die zunächst begonnene Ausbildung zum Industriemechaniker abgebrochen hat. Seinen Bewährungsauflagen kommt er offensichtlich nach; er unterzieht sich nach wie vor einmal monatlich einer Persönlichkeits- und Antigewalttherapie.

Zulasten des Klägers ist insbesondere seine während offener Bewährung begangene Straftat am 31. März 2015 hervorzuheben, die auch beweist, dass ihn die erstmalige Inhaftierung offenbar doch nicht derart beeindruckt hat, dass er künftig ein straffreies Leben führen kann, wie dies in der Begründung der Berufung behauptet wird. Die erstmalige Verbüßung einer Haftstrafe ist zwar grundsätzlich geeignet, die persönliche Reifung eines Straftäters zu fördern (vgl. BayVGH, U. v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris, Rn. 44); im vorliegenden Fall ist dies jedoch vor dem Hintergrund der nach wie vor problematischen Persönlichkeitsstruktur des Klägers zu verneinen. Das mit der Therapieauflage verfolgte Ziel, dem Kläger die Mittel für ein Leben ohne Straftaten an die Hand zu geben, ist noch nicht erreicht. Es bleibt daher auch im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung bei der zentralen Bedeutung der Anlassstraftaten, mit denen er über einen langen Zeitraum ein hochaggressives Verhalten an den Tag gelegt hat, dem nicht einmal durch die erste Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung Einhalt geboten werden konnte. In diesem Zusammenhang sind auch die bereits dargestellten Straftaten des Klägers im öffentlichen Straßenverkehr zu nennen, mit denen er eine erhebliche Rücksichtslosigkeit im Hinblick auf die Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit Dritter bewiesen hat. Auch die bisherige Erwerbsbiografie des Klägers spricht nicht zu seinen Gunsten; weder weist er eine abgeschlossene Berufsausbildung auf noch ist er in der Vergangenheit über einen längeren Zeitraum hinweg einer rentenversicherungspflichtigen Tätigkeit nachgegangen, woraus im angefochtenen Urteil nachvollziehbar gefolgert wird, dass der Kläger offenbar zum Aufbau einer gesicherten wirtschaftlichen Existenz im Bundesgebiet bisher nicht in der Lage war. Auch seine nach der Haftentlassung begonnene Ausbildung konnte er nicht zum Abschluss bringen. Der Senat ist der Auffassung, dass die von ihm bisher ein knappes Jahr lang ausgeübte selbstständige Tätigkeit (Handel mit Kfz-Teilen/Altreifenentsorgung), die durch öffentlichen Leistungen zur Existenzgründung unterstützt wird, noch nicht als dauerhaft nachgewiesene berufliche Existenz angesehen werden kann.

Schließlich hat das Verwaltungsgericht auch zu Recht angenommen, dass dem volljährigen Kläger trotz seiner ausschließlichen Sozialisierung in Deutschland zuzumuten ist, in das Land seiner Staatsangehörigkeit, dessen Sprache er zumindest spricht, zu übersiedeln. Dort wird er als 32-jähriger gesunder Mann trotz fehlender Beziehungen sein Auskommen finden können. Dabei ist hervorzuheben, dass von einer gelungenen sozialen und wirtschaftlichen Integration des Klägers schon in die hiesigen Verhältnisse trotz seines lebenslangen Aufenthalts im Bundesgebiet nicht ausgegangen werden kann; insoweit relativiert sich sein Einwand, er verfüge in der Türkei über keine wirtschaftlichen Beziehungen. Dass im Verlaufe des gerichtlichen Verfahrens inzwischen offenbar auch seine Großmutter in das Bundesgebiet übersiedelt ist und der Kläger damit eigenen Angaben zufolge keine Angehörigen in der Türkei mehr besitzt, erschwert zwar eine Eingewöhnung in die neuen Lebensumstände, führt aber nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Ausweisungsentscheidung. Den Kontakt zum Bundesgebiet und seinen hier lebenden Angehörigen kann der Kläger von der Türkei aus aufrechterhalten, auch wenn dies mit erhöhten Schwierigkeiten verbunden ist.

Im Ergebnis der Gesamtabwägung stellt sich die Ausweisung als verhältnismäßige Maßnahme dar, die zur Abwehr schwerwiegender Gefahren für die verfassungsrechtlichen Schutzgüter von Leben und körperlicher Unversehrtheit unerlässlich ist.

2.3 Keinen rechtlichen Bedenken begegnet schließlich die Befristung der Wirkungen des aus der Ausweisung folgenden Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG auf drei Jahre ab dem Zeitpunkt der Ausreise (vgl. Nr. 2 des angefochtenen Bescheids, S. 18). Die Befristungsentscheidung wurde in der mündlichen Verhandlung auf eine Entscheidung nach Ermessen umgestellt, ohne dass im Übrigen der Kläger Einwände gegen die Länge der Frist erhoben hat. Auch die unter Bestimmung einer Frist erfolgte Ausreiseaufforderung und die daran anknüpfende Abschiebungsandrohung (Nr. 4 des Bescheids) sind rechtmäßig. Die Anordnung der Abschiebung aus der Strafhaft (Nr. 3 des Bescheids) ist dagegen mit der Haftentlassung des Klägers gegenstandslos geworden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Rechtsmittelbelehrung

Nach § 133 VwGO kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Beschwerde muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen. In der Beschwerdebegründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer in Prozess-kostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt nur die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen. Für die in § 67 Abs. 4 Satz 5 VwGO genannten Angelegenheiten (u. a. Verfahren mit Bezügen zu Dienst- und Arbeitsverhältnissen) sind auch die dort bezeichneten Organisationen und juristischen Personen als Bevollmächtigte zugelassen. Sie müssen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 GKG i. V. m. Nr. 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

Tenor

I.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich mit der Klage gegen seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet.

Der am 24. Dezember 1983 im Bundegebiet geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Sein Vater lebt mit seinen zwei Geschwistern‚ der Stiefmutter und drei Stiefgeschwistern in G.; seine Mutter ist 2006 verstorben. Der Kläger‚ der seit 19. Januar 2000 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis (jetzt: Niederlassungserlaubnis) ist‚ besitzt einen Hauptschulabschluss, hat jedoch keine Berufsausbildung abgeschlossen. In den Jahren zwischen 2001 und 2010 arbeitete er bei verschiedenen Unternehmen mit Unterbrechungen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit.

Im Bundesgebiet ist er strafrechtlich wie folgt in Erscheinung getreten:

1. Vorsätzlicher unerlaubter Besitz in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Führen und vorsätzlicher unerlaubter Einfuhr einer Schusswaffe (24.8.2000): von der Verfolgung abgesehen, § 45 Abs. 2 JGG

2. Vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs mit fahrlässiger Körperverletzung in zwei Fällen (14.12.2003): Amtsgericht Dillingen vom 16.2.2004 - Verurteilung zu 70 Tagessätzen Geldstrafe und Sperre für die Wiedererlangung der Fahrerlaubnis

3. Vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs (14.4.2005): Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 29.11.2005 - fünf Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung und Sperre für die Fahrerlaubnis

4. Sechs sachlich zusammentreffende Vergehen des vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln (29.10.2004): Amtsgericht Dillingen vom 11.1.2006 - Verwarnung und Auflage von Arbeitsleistungen

5. Vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis (27.8.2005): Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 2.5.2006 unter Einbeziehung des Urteils vom 29.11.2005 (s. 3.) - Freiheitsstrafe von sechs Monaten zwei Wochen auf Bewährung und Sperre für die Fahrerlaubnis

6. Nachstellung in Tateinheit mit Nötigung‚ Hausfriedensbruch‚ Beleidigung‚ versuchter Nötigung in Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung‚ Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung in Tatmehrheit mit Beleidigung (3.9.2009): Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 4.5.2010 - Freiheitsstrafe ein Jahr zehn Monate‚ Strafrest zur Bewährung ausgesetzt bis 27. August 2017

7. Nachstellung in zwei tateinheitlichen Fällen mit schwerer Nachstellung‚ gefährlicher Körperverletzung‚ Bedrohung‚ vorsätzlicher Körperverletzung und Nötigung sowie Beleidigung (25.4.2010): Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 2.3.2011 - Freiheitsstrafe von zwei Jahren zwei Monaten‚ Strafvollstreckung erledigt am 3. Juli 2013

Das Landratsamt belehrte den Kläger am 17. Dezember 2007 wegen der von ihm begangenen Straftaten im Hinblick auf eine mögliche Ausweisung. Den Straftaten (Nr. 6 und 7)‚ aus denen Verurteilungen zu Freiheitsstrafen ohne Aussetzung zur Bewährung resultierten‚ lag die vom Kläger mit der späteren Geschädigten vom April 2005 bis 2009 geführte Beziehung zugrunde. Da sich der Kläger mit der von ihr durchgeführten Trennung nicht abfinden wollte‚ stellte er ihr beständig nach‚ rief sie dauernd an und beleidigte sie‚ ihre Mutter und deren Freund. Trotz einer einstwei-ligen Verfügung vom 7. Juli 2009 nach dem Gewaltschutzgesetz‚ mit der dem Kläger untersagt worden war‚ sich seiner früheren Freundin zu nähern‚ ist er an sie in einer Gaststätte herangetreten und hat dort u. a. ihre ebenfalls anwesende Mutter und deren Freund mit einem Golfschläger bedroht und geschlagen. Zulasten des Klägers wurden seine Rücksichtslosigkeit und Penetranz gewertet‚ außerdem sein rücksichtsloses Vorgehen im Hinblick auf die körperliche Unversehrtheit dritter Personen. Die schlechte Sozialprognose und seine Rückfälligkeit ließen eine Bewährungsaussetzung nicht mehr zu. Der Kläger habe den Zeitraum nach der Außervollzug-setzung des Haftbefehls bis zur Hauptverhandlung für einen massiven tätlichen Angriff genutzt.

Der Verurteilung durch das Amtsgericht Augsburg vom 2. März 2011 (Nr. 7) lag ein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde. Demnach habe der Kläger seine ehemalige Freundin im Zeitraum von April bis Juni 2010 weiterhin mehrfach telefonisch kontaktiert‚ beleidigt und bedroht, außerdem zweimal mit seinem Auto verfolgt und sei des Öfteren an ihrer Wohnung vorbeigefahren. Schließlich habe er sie am 24. April 2010 an den Haaren aus ihrem Auto herausgerissen und über einen Platz gezogen. Einen Tag danach habe er seine Handlung wiederholt, außerdem mit beiden Händen um den Hals der Geschädigten gefasst und solange zugedrückt‚ bis sie Atemnot erlitten habe. Der Kläger habe sich im Laufe der Hauptverhandlung aufbrausend benommen und als das eigentliche Opfer hingestellt. Es liege bei ihm eine narzisstische Problematik vor, die mit einem unangepassten Geltungsbedürfnis und Anfälligkeit zur Kränkung einhergehe.

Der Beklagte wies den Kläger mit Bescheid vom 24. Oktober 2012 aus dem Bundesgebiet aus und befristete die Wirkung dieser Ausweisung auf drei Jahre; die Abschiebung aus der Strafhaft wurde angeordnet. Für den Fall‚ dass die Abschiebung nicht aus der Strafhaft durchgeführt werden könne‚ habe der Kläger das Bundesgebiet innerhalb eines Monats nach Eintritt der Bestandskraft des Bescheids zu verlassen‚ andernfalls die Abschiebung in die Türkei oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht werde. Da er assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger sei und damit besonderen Ausweisungsschutz genieße‚ dürfe er nur aus spezialpräventiven Gründen auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung ausgewiesen werden. Vor dem Hintergrund der über Jahre hinweg begangenen‚ schwerwiegenden Straftaten drohe die Gefahr wiederum gegen die körperliche Unversehrtheit gerichteter Straftaten. Obwohl eine Behandlung in einer sozialtherapeutischen Abteilung für Gewaltstraftäter erforderlich und auch vorgesehen sei‚ habe sie der Kläger bisher nicht aufgenommen. Die Teilnahme an einem anstaltsinternen sozialen Kompetenztraining reiche nicht aus. Die Straftaten des in vollem Umfang schuldfähigen Klägers stellten keine einmaligen Verfehlungen dar; er verfüge vor dem Hintergrund seiner narzisstischen Persönlichkeit vielmehr über ein erhebliches Gefährdungspotential. Selbst die Verurteilung zu einer Haftstrafe habe ihn nicht davon abhalten können‚ sofort nach der mündlichen Verhandlung erneut straffällig zu werden. Die Ausweisung sei auch unter Berücksichtigung der persönlichen Belange des Klägers im Hinblick auf Art. 8 EMRK verhältnismäßig. Seine Kenntnisse der türkischen Sprache würden ihm eine rasche Eingewöhnung in die türkischen Lebensverhältnisse ermöglichen.

Mit Urteil vom 27. März 2013 wies das Verwaltungsgericht Augsburg die gegen den Bescheid vom 24. Oktober 2012 gerichtete Anfechtungsklage ab. Der Kläger könne nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 ausgewiesen werden, weil sein persönliches Verhalten eine gegenwärtige und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstelle, zu dessen Wahrung die Ausweisung unerlässlich sei. Das erschreckende Maß an Aggressivität‚ das der Kläger nicht nur gegenüber seiner ehemaligen Freundin‚ sondern auch gegenüber deren Angehörigen an den Tag gelegt habe‚ stelle einen Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht dar. Die begangenen Straftaten deckten ein breites Spektrum ab‚ belegten ein außerordentlich rücksichtsloses und hartnäckiges Verhalten und erstreckten sich über einen erheblichen Zeitraum. Die in den Strafurteilen aufgezeigten charakterlichen Probleme führten zur Annahme schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinn von § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Der Kläger nehme zwar in der Justizvollzugsanstalt an einer Therapie teil‚ diese sei jedoch noch nicht abgeschlossen‚ so dass davon ausgegangen werden müsse‚ dass aufgrund der nach wie vor bestehenden Persönlichkeitsdefizite mit weiteren Straftaten‚ insbesondere gefährlichen Körperverletzungen‚ gegenüber seiner früheren Freundin oder einer künftigen Partnerin‚ falls diese sich von ihm trennen wolle‚ zu rechnen sei. Schließlich bewiesen auch sein Verhalten und seine Äußerungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht deutlich‚ dass er die in seinem bisherigen Leben begangenen Fehler noch nicht erkannt und aufgearbeitet habe. Die Ermessensentscheidung des Beklagten sei nicht zu beanstanden‚ da alle wesentlichen Gesichtspunkte in die Prüfung eingestellt und keine sachfremden Erwägungen angestellt worden seien. Die Ausweisung sei schließlich auch verhältnismäßig im Hinblick auf Art. 8 EMRK. Obwohl der Kläger als faktischer Inländer zu betrachten und im Besitz eine Niederlassungserlaubnis sei‚ sein Vater und seine Geschwister im Bundesgebiet wohnten und er seine wesentliche Prägung und Sozialisation in Deutschland erfahren habe‚ sei ihm eine Übersiedlung in die Türkei zu der dort lebenden Großmutter zuzumuten. Er werde jedenfalls in der Türkei nicht auf unüberwindbare Hindernisse stoßen. Auch die Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von drei Jahren begegne keinen rechtlichen Bedenken.

Der am 22. Juni 2010 inhaftierte Kläger wurde am 19. August 2013 nach voller Verbüßung der durch Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 2. März 2011 (s. Nr. 7) verhängten Freiheitsstrafe und mehr als hälftiger Verbüßung der durch das Amtsgericht Dillingen mit Urteil vom 4. Mai 2010 (Nr. 6) verhängten Freiheitsstrafe entlassen.

Der Kläger begründet seine mit Beschluss vom 19. Januar 2015 zugelassene Berufung in erster Linie mit dem Verweis auf den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg vom 9. August 2013‚ mit dem die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt und eine Bewährungszeit von vier Jahren angeordnet wurde. Der Kläger habe sämtliche ihm auferlegten Bewährungsauflagen erfüllt und erfülle sie immer noch. Insbesondere habe er die Therapie erfolgreich abgeschlossen‚ wohne nun zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern in G. und habe eine Ausbildung als Industriemechaniker begonnen‚ nachdem er noch während der Haft den qualifizierten Hauptschulabschluss sowie außerdem einen Staplerführerschein erworben habe. Während der Inhaftierung habe er im Rahmen eines Gewaltpräventionstrainings an zehn Einzel- und zehn Gruppensitzungen mit einem Therapeuten teilgenommen. Aus dem Beschluss vom 9. August 2013 ergebe sich‚ dass die Entlassung unter Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung angesichts der überwiegenden Wahrscheinlichkeit möglich sei‚ dass der Kläger künftig keine Straftaten mehr begehen werde. Der Kläger erfülle auch das im Hinblick auf besonders gefährliche Straftaten zu verlangende hohe Maß an Erfolgswahrscheinlichkeit wegen des erfolgreichen Therapieverlaufs‚ der damit einhergehenden Einsicht in das Tatunrecht und dessen Aufarbeitung. Außerdem bestehe offenbar keine Beziehung mehr zum Tatopfer. In der Haft habe eine deutliche Nachreifung bei beanstandungsfreier Führung stattgefunden. Nach der erstmaligen Verbüßung einer Haftstrafe müsse die Gefahrenprognose vor dem Hintergrund des Beschlusses vom 9. August 2013 zu seinen Gunsten ausgehen. Zum für die rechtliche und tatsächliche Beurteilung des angefochtenen Bescheides maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung sei klar‚ das der Kläger durch die erstmalige Inhaftierung so beeindruckt sei‚ das er künftig keine Straftaten mehr begehen werde. Bei lange andauerndem Strafvollzug komme den Umständen der Begehung der Straftaten nur noch eingeschränkte Aussagekraft zu; je länger die Freiheitsentziehung andauere‚ desto mehr Bedeutung erhielten die augenblicklichen Lebensverhältnisse der verurteilten Person für die anzustellende Prognose. Der Kläger habe sich seit seiner Haftentlassung straffrei geführt.

Der Kläger beantragt‚

das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 27. März 2013 und den Bescheid des Beklagten vom 24. Oktober 2012 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt‚

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte legte zuletzt ein Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 10. Dezember 2015 vor‚ mit dem der Kläger wegen des Vergehens des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Geldstrafe in Höhe von 140 Tagessätzen verurteilt wurde. Er war am 31. März 2015 im Rahmen einer Verkehrskontrolle wegen auffälligen Zustands seiner Pupillen aufgefordert worden‚ zur Feststellung seiner Fahrtauglichkeit einen Urintest durchzuführen. Infolge seiner Weigerung veranlasste die Polizei die richterliche Anordnung einer Blutentnahme‚ gegen die sich der Kläger zur Wehr setzte‚ so dass er zur Durchsetzung der Anordnung von fünf Polizeibeamten auf dem Boden fixiert werden musste. Währenddessen beleidigte er die anwesenden Beamten in türkischer Sprache. Im Rahmen der Strafzumessung wertete das Landgericht Dillingen sein Teilgeständnis und sein Bemühen um eine Entschuldigung in der mündlichen Verhandlung zu seinen Gunsten. Zu seinen Lasten gingen die zahlreichen Vorstrafen und der Umstand, dass er während offener Reststrafenbewährung gehandelt habe. Der Kläger habe ausweislich des mittels Blutprobe festgestellten geringen THC-Werts nicht den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit im Sinn von § 24a StVG verwirklicht. Aus der beigezogenen Bewährungsakte gehe hervor‚ das er der ihm auch nach Haftentlassung auferlegten Antigewalttherapie bei dem Therapeuten Dr. S. ambulant nachkomme. Aufgrund der Gesamtumstände werde eine Geldstrafe als noch ausreichend zur Ahndung angesehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegten Strafakten‚ die Ausländerakte sowie die Gerichtsakten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht die Anfechtungsklage abgewiesen, weil die Ausweisung den geltenden Vorschriften entspricht.

1. Die Rechtmäßigkeit der Ausweisung des Klägers ist an den im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs maßgeblichen Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG, also in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386), zu messen (1.1). Die neue Rechtslage kann ohne Verstoß gegen Art. 13 ARB 1/80 angewendet werden (1.2).

1.1 Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisung ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (vgl. z. B. BVerwG, U. v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 12). Eine während des Berufungsverfahrens bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats eingetretene Änderung der Sach- und Rechtslage ist daher zu berücksichtigen. Der Senat hat dementsprechend die streitbefangene Ausweisungsverfügung und das bestätigende verwaltungsgerichtliche Urteil mangels entgegenstehender Übergangsregelung anhand der §§ 53 ff. AufenthG in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386) zu überprüfen.

Seit dieser Rechtsänderung differenziert das Aufenthaltsgesetz nicht mehr zwischen der zwingenden Ausweisung, der Ausweisung im Regelfall und der Ermessens-ausweisung, sondern verlangt für eine Ausweisung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, die für ein Ermessen der Ausländerbehörde keinen Raum mehr lässt. Die Ausweisungsentscheidung ist durch das Gericht in vollem Umfang nachprüfbar (Welte, InfAuslR 2015, 426; Cziersky-Reis in Hofmann, Kommentar zum Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl. 2016, § 53 Rn. 30; Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Kommentar, 11. Aufl. 2016, Vorb §§ 53 - 56 Rn. 13 und § 53 Rn. 5 ff.; a.A. Marx, ZAR 2015, 245/246). Eine - wie hier - nach altem Recht verfügte Ermessensausweisung wird nach Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG in ihrer Neufassung am 1. Januar 2016 nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht, also gemäß der zentralen Ausweisungsnorm des § 53 Abs. 1 AufenthG (als Grundtatbestand; vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/4097 S. 49 f.) der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Steht dem Ausländer ein Aufenthaltsrecht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsratsabkommen vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) zu, sind an die Qualität der erforderlichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erhöhte Anforderungen zu stellen, denn er darf nach § 53 Abs. 3 AufenthG nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und wenn die Ausweisung zur Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Damit gibt die Neufassung von § 53 Abs. 3 AufenthG exakt die Voraussetzungen wieder, die nach ständiger Rechtsprechung (z. B. EuGH, U. v. 8.12.2011 - Rs. C - 371/08 Ziebell -, juris Rn. 80; BayVGH‚ U. v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris) für die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen erfüllt sein mussten.

1.2 Die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, dass dem Kläger im Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 zustand. Er kommt damit grundsätzlich in den Genuss der ihn gegenüber anderen Drittstaaten privilegierenden Vorschriften des Assoziationsratsbeschlusses, also auch des in Art. 13 ARB 1/80 enthaltenen Verschlechterungsverbots (sog. Stillhalteklausel). Danach dürfen die Mitgliedstaaten keine neuen innerstaatlichen Maßnahmen einführen, die bezwecken oder bewirken, dass die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch einen türkischen Staatsangehörigen oder einen Familienangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen unterworfen wird als denjenigen, die bei Inkrafttreten der Bestimmung am 1. Dezember 1980 in dem Mitgliedstaat galten (vgl. BVerwG, U. v. 28.4.2015 - 1 C 21. 14 - InfAuslR 2015, 327).

Allerdings bestehen auch mit Blick auf diese Bestimmung keine Bedenken gegen die Anwendung der ab 1. Januar 2016 geltenden neuen Ausweisungsvorschriften auf den Kläger als assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen. Geht man davon aus, dass Art. 13 ARB 1/80 auch im Zusammenhang mit der Änderung nationaler Ausweisungsvorschriften Gültigkeit beansprucht, obwohl diese keinen unmittelbaren Bezug zur Regelung des Arbeitsmarktzugangs aufweisen (vgl. hierzu Hailbronner, AuslR, Stand: Januar 2016, D 5.2, Art. 13 Rn. 10 f.), geht mit der Einführung des zum 1. Januar 2016 anwendbaren Ausweisungsrechts keine grundsätzliche Verschlechterung der Rechtsposition eines unter dem Schutz von Art. 14 ARB 1/80 stehenden türkischen Staatsangehörigen einher. Denn er kann auch künftig ausschließlich aus spezialpräventiven Gründen und nur dann ausgewiesen werden, wenn sein Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt (vgl. § 53 Abs. 3 AufenthG); außerdem ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, wie sich aus § 53 Abs. 3 letzter Halbsatz AufenthG und dem System von § 53 Abs. 2, §§ 54, 55 AufenthG ergibt. Dabei sind unter Abwägung der gegenläufigen Interessen alle Umstände und Besonderheiten des konkreten Einzelfalls einzustellen (Bauer in Bergmann/Dienelt, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 56 f.; bisher schon: BVerwG, U. v. 2.9.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3), so dass sich die materiellen Anforderungen, unter denen ein assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger ausgewiesen werden darf, nicht zu seinen Lasten geändert haben. Dass nach dem neuen Recht eine Ausweisung nach Betätigung des ausländerbehördlichen Ermessens nicht mehr in Betracht kommt, ist für einen betroffenen Ausländer nicht ungünstiger (Bauer in Bergmann/Dienelt, a. a. O., Rn. 59; a.A. Cziersky-Reis in Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 42), denn es lässt sich schon nicht feststellen, dass es in der Vergangenheit tatsächlich Fälle gab, in denen die Ausländerbehörde von einer eigentlich möglichen Ausweisung aus Ermessensgründen Abstand genommen hat. Im Übrigen ermöglicht das neue Ausweisungsrecht eine volle gerichtliche Kontrolle der Ausweisungsentscheidung, so dass jedenfalls in der Gesamtschau eine Verschlechterung der Rechtspositionen eines durch Art. 13, 14 ARB 1/80 geschützten türkischen Staatsangehörigen nicht feststellbar ist.

2. Die Ausweisung des Klägers ist unter Berücksichtigung des dargelegten Maßstabs rechtmäßig, weil die vom Verwaltungsgericht angenommene Gefahr der Begehung erneuter gravierender Straftaten nach wie vor gegenwärtig besteht (2.1) und nach der erforderlichen Interessenabwägung die Ausweisung für die Wahrung dieses Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist (2.2).

2.1 Gemessen an den unter 1.1 dargestellten Grundsätzen kommt der Senat zu der Bewertung, dass nach dem Gesamtbild des Klägers, das in erster Linie durch sein Verhalten gekennzeichnet ist, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass er erneut vergleichbare Straftaten begehen wird und damit gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellt. Die nach § 53 Abs. 1, 3 AufenthG vorausgesetzte erhöhte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist beim Kläger zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats in spezialpräventiver Hinsicht noch gegeben. Seine diesbezüglichen Einwendungen im Berufungsvorbringen greifen letztlich nicht durch. Die Ausweisungsentscheidung hat der Beklagte vor dem Hintergrund des nunmehr von § 53 Abs. 3 AufenthG geforderten persönlichen Verhaltens zu Recht nicht auf generalpräventive Gründe gestützt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei einer spezialpräventiven Ausweisungsentscheidung und ihrer gerichtlichen Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. z. B. BVerwG, U. v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, U. v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 33 m. w. N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (st. Rspr.; vgl. z. B. BVerwG, U. v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - Rn. 18; BayVGH, U. v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 34 und B. v. 3.3.2016 - 10 ZB 14.844 - juris). Auch der Rang des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen; an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts dürfen andererseits keine zu geringen Anforderungen gestellt werden.

Gemessen an den dargestellten Grundsätzen ist der Senat zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt zu der Überzeugung (§ 108 Abs. 1 VwGO) gelangt, dass eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Kläger erneut die öffentliche Sicherheit durch vergleichbare, insbesondere gegen die körperliche Unversehrtheit dritter Personen gerichtete Straftaten beeinträchtigen wird. Das vom Kläger insoweit geltend gemachte positive Verhalten während der Strafhaft, die dabei durchlaufene Entwicklung, weiter der Umstand, dass er erstmals eine Haftstrafe verbüßen musste, sowie die Aussagen im Bewährungsbeschlusses vom 9. August 2013, und schließlich die Erfüllung der ihm auferlegten Auflagen lassen die angenommene Wiederholungsgefahr nicht entfallen. Zu Recht hat demgegenüber das Verwaltungsgericht entscheidend darauf abgestellt, dass der Kläger eine ganze Reihe von Straftatbeständen gegenüber seiner ehemaligen Freundin und deren Angehörigen verwirklicht und dabei über einen erheblichen Zeitraum ein hohes Maß an Aggressivität an den Tag gelegt hat. Durch sein Verhalten mit sich steigernder Gewaltbereitschaft hat der Kläger Schutzgüter von hohem Rang (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) verletzt und den betroffenen Personen nicht nur körperliche, sondern auch erhebliche psychische Schäden zugefügt. Das vom Kläger ausgehende Gefährdungspotenzial berührt angesichts dessen ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die Gefahrenprognose wird auch dadurch gestützt, dass er sich in den Jahren 2003 und 2005 zweimal der vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs in massiver Weise durch rücksichtsloses Überholen schuldig gemacht hatte (vgl. Darstellung im Urteil des VG Augsburg v. 27.3.2013, S. 17, 18), wobei es einmal zu einem Frontalzusammenstoß kam. Es wurde deswegen eine Freiheitsstrafe auf Bewährung gegen ihn verhängt; die zudem ausgesprochene Entziehung der Fahrerlaubnis hat er offenbar nicht akzeptiert, wie eine weitere Verurteilung wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis beweist.

Triebfeder für das Verhalten des Klägers, das den den Anlass für die Ausweisung bildenden Taten zugrunde lag, war seine persönliche Unfähigkeit, die Beendigung der Beziehung durch seine Freundin zu akzeptieren und nicht gewaltsam auf die Rückgängigmachung ihres Entschlusses zu drängen. Die diesem Verhalten zugrunde liegende Disposition seiner Persönlichkeit hat der Kläger zwar in der Haft und auch anschließend entsprechend den ihm auferlegten Maßgaben bearbeitet; der Senat konnte gleichwohl nicht zu der Auffassung gelangen, dass der Kläger ein ähnliches Verhalten in einer vergleichbaren Situation nicht mehr zeigen wird. Zur Begründung ist insbesondere auf die neuerliche Verurteilung durch Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 10. Dezember 2015 wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu verweisen, der zwar offenbar keine aktiven Gewalthandlungen des Klägers zugrundelagen, als er sich der richterlich angeordneten Blutentnahme widersetzt hat und die Maßnahme nur nach Fixierung durch mehrere Polizeibeamte vollzogen werden konnte; auch hat er sich für sein Verhalten entschuldigt. Problematisch im Hinblick auf die hier anzustellende Gefahrenprognose ist seine in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat wiederholte Meinung, er habe ohne schriftliche richterliche Anordnung die Blutentnahme verweigern und danach handeln dürfen, weil er „im Recht gewesen“ sei. Die auch darin zum Ausdruck kommende Einstellung des Klägers lässt den Schluss zu, dass er auch künftig in bestimmten Konfliktsituationen im privaten wie im öffentlichen Raum - insbesondere wenn er sich „ungerecht behandelt fühlt“ - nach seinen eigenen rechtlichen und sonstigen Vorstellungen agieren wird und es so zu erneuten unkontrollierbaren Eskalationen für den Fall kommen kann, dass der Gegenüber nicht der Meinung des Klägers ist. In dieser Hinsicht haben die in und nach der Haft durchgeführten Therapiemaßnahmen (Persönlichkeits- und Antigewalttherapie), mit denen u. a. die vom Sachverständigen des Amtsgerichts Augsburg mit Gutachten vom 19. Dezember 2010 festgestellte erhebliche narzisstische Problematik bearbeitet werden sollte, noch keinen ausreichenden Erfolg gehabt.

Auch die im Bewährungsbeschlusses vom 9. August 2013 enthaltene Aussage, vor dem Hintergrund einer „deutlichen Nachreifung bei beanstandungsfreier Führung“ in der Haft und einer erfolgreichen Aufarbeitung der für die Straftaten maßgeblichen Defizite sei überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger künftig keine Straftaten mehr begehen werde, vermag nicht zu einer für ihn günstigen Gefahrenprognose zu führen. Bei ihrer Prognoseentscheidung sind die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte an die Feststellungen und Beurteilungen durch die Strafgerichte selbst dann nicht gebunden, wenn die Strafvollstreckungskammer zur Vorbereitung ihrer Entscheidung ein Sachverständigengutachten eingeholt hat. Bei der Frage, ob ein Strafrest nach § 57 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann, geht es um die Frage, ob die Wiedereingliederung eines inhaftierten Straftäters weiterhin im Vollzug stattfinden muss oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit in „offener Form“ inmitten der Gesellschaft verantwortet werden kann. Dabei stehen in erster Linie Gesichtspunkte der Resozialisierung im Vordergrund; zu prognostizieren ist, ob der Täter das Potenzial hat, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen. Im ausländerrechtlichen Ausweisungsverfahren geht es dagegen um die Frage, ob das Risiko eines Misserfolgs der Resozialisierung von der inländischen Gesellschaft getragen werden muss. Die ausweisungsrechtliche Prognoseentscheidung bezieht sich daher nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Denn es geht dabei um die Beurteilung, ob dem Ausländer über den Bewährungszeitraum hinaus ein straffreies Leben im Bundesgebiet möglich sein wird. Entscheidend ist, ob er im maßgeblichen Zeitpunkt auf ausreichende Integrationsfaktoren verweisen kann; die beanstandungsfreie Führung während der Haft genügt für sich genommen nicht (BVerwG, U. v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 19 f.; BayVGH, B. v. 3.3.2016 - 10 ZB 14.844 - juris).

Zu keinem anderen Ergebnis führt deshalb auch der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung mitgeteilte Umstand, dass seine Bewährung nicht infolge der letzten strafrechtlichen Verurteilung widerrufen worden sei. Die soeben dargestellten Grundsätze zur unterschiedlichen Würdigung der Gefahrenprognose im Strafvollzugsrecht einerseits und Ausweisungsrecht andererseits können auch in der Situation des trotz erneuter Verurteilung unterbliebenen Widerrufs der Bewährung angewendet werden.

Auch wenn der Kläger nunmehr offenbar seiner ehemaligen Freundin nicht mehr nachstellt und sich mit den gegen sie und ihre Angehörigen gerichteten Taten, wegen derer er verurteilt wurde, auseinandergesetzt hat, genügt dieser Umstand dem Senat für eine positive Prognose alleine noch nicht. Ohne Überwindung der für das damalige Fehlverhalten maßgeblichen Persönlichkeitsdefizite besteht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit die gegenwärtige Gefahr der Begehung gleich oder ähnlich gelagerter Straftaten.

2.2 Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage nach § 53 Abs. 1 und 3 AufenthG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausreise überwiegt und die Ausweisung auch für die Wahrung des (unter 2.1) dargestellten Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist.

Entgegen dem Vortrag im Berufungsverfahren ist die streitbefangene Ausweisung weder unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG - allerdings nicht abschließend - aufgeführten Umstände noch mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznorm des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 8 EMRK unverhältnismäßig. Der Beklagte und nachfolgend das Verwaltungsgericht haben bei der vom Kläger angegriffenen Entscheidung sämtliche entscheidungsrelevanten Gesichtspunkte berücksichtigt, die in diese Interessenabwägung einzustellen sind, und sie im Ergebnis in nicht zu beanstandender Weise gewichtet.

2.2.1 Ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse (i. S. v. § 53 Abs. 1 AufenthG) ist beim Kläger infolge seiner rechtskräftigen Verurteilung vom 2. März 2011 durch das Amtsgericht Augsburg zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gegeben. Zu seinen Gunsten ergibt sich ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, weil er eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat.

Liegen darüber hinaus weitere Lebenssachverhalte vor, die noch andere Tatbestände eines besonders schwerwiegenden oder (nur) schwerwiegenden Ausweisungs- oder Bleibeinteresses erfüllen, sind diese erst bei der nachfolgenden Abwägung der einzelfallbezogenen Umstände im Rahmen des § 53 Abs. 2 AufenthG mit dem ihnen zukommenden Gewicht zu berücksichtigen; die Annahme eines „doppelt“ oder sogar mehrfach (besonders oder nur) schwerwiegenden Interesses ist weder systematisch geboten noch von seinem Sinngehalt her vorstellbar. Eine rein quantitative Gegenüberstellung der im Rahmen der Prüfung nach §§ 54, 55 AufenthG verwirklichten typisierten Interessen widerspräche auch dem Gebot der Abwägung aller Umstände des Einzelfalls. Deshalb kommt es an dieser Stelle nicht mehr darauf an, dass infolge der weiteren Verurteilung des Klägers durch das Amtsgericht Dillingen vom 4. Mai 2010 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten auch der Tatbestand des § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG verwirklicht ist. Entsprechendes gilt für die nicht den Anlass für die Ausweisung gebenden Verurteilungen durch das Amtsgericht Dillingen (vom 16.2.2004 und vom 2.5.2006), die möglicherweise für sich alleine gesehen - also ohne Vorliegen der zeitlich nachfolgenden Verurteilungen - ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG als strafbare Handlungen, die „einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften“ darstellen, begründen könnten.

2.2.2 Liegen also nach der durch die §§ 54, 55 AufenthG vorgegebenen typisierenden Betrachtung besonders schwerwiegende Gründe vor, die sowohl für die Ausreise des Klägers aus dem Bundesgebiet als auch für seinen weiteren Verbleib sprechen, fällt die in jedem Fall auch im Rahmen des § 53 Abs. 3 AufenthG vorzunehmende umfassende Abwägung der gegenläufigen Interessen (§ 53 Abs. 1, 2 AufenthG) hier zu Ungunsten des Klägers aus; danach ist seine Ausweisung für die Wahrung des betroffenen Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich.

Bei der Abwägungsentscheidung sind sämtliche nach den Umständen des Einzelfalls maßgeblichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen, in erster Linie die Dauer des Aufenthalts, die Bindungen persönlicher, wirtschaftlicher und sonstiger Art im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat sowie die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige (§ 53 Abs. 2 AufenthG). Vor diesem Hintergrund hat das Verwaltungsgericht zu Recht darauf abgestellt, dass der Kläger ein „faktischer Inländer“ ist, der seine wesentliche Prägung und Entwicklung in Deutschland erfahren hat, und seit mehr als einem Jahrzehnt ein Daueraufenthaltsrecht im Bundesgebiet besitzt. Sämtliche nahe Verwandte, insbesondere der Vater des Klägers und seine Geschwister sowie Stiefgeschwister leben im näheren Umfeld. Allerdings hat der Kläger bisher keine eigene Familie gegründet und lebt auch nicht mehr - wie noch während der Haft geplant - mit seinem Vater zusammen, sondern hat eine eigene Wohnung. Unter dem Aspekt der Achtung des Privatlebens (Art. 8 Abs. 1, 2 EMRK) ist zu beachten, dass der Kläger eine neue Beziehung zu einer Frau eingegangen ist, über die er in der mündlichen Verhandlung berichtet hat. Zu seinen Gunsten spricht auch sein nach der Haftentlassung an den Tag gelegtes Bemühen, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, auch wenn er die zunächst begonnene Ausbildung zum Industriemechaniker abgebrochen hat. Seinen Bewährungsauflagen kommt er offensichtlich nach; er unterzieht sich nach wie vor einmal monatlich einer Persönlichkeits- und Antigewalttherapie.

Zulasten des Klägers ist insbesondere seine während offener Bewährung begangene Straftat am 31. März 2015 hervorzuheben, die auch beweist, dass ihn die erstmalige Inhaftierung offenbar doch nicht derart beeindruckt hat, dass er künftig ein straffreies Leben führen kann, wie dies in der Begründung der Berufung behauptet wird. Die erstmalige Verbüßung einer Haftstrafe ist zwar grundsätzlich geeignet, die persönliche Reifung eines Straftäters zu fördern (vgl. BayVGH, U. v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris, Rn. 44); im vorliegenden Fall ist dies jedoch vor dem Hintergrund der nach wie vor problematischen Persönlichkeitsstruktur des Klägers zu verneinen. Das mit der Therapieauflage verfolgte Ziel, dem Kläger die Mittel für ein Leben ohne Straftaten an die Hand zu geben, ist noch nicht erreicht. Es bleibt daher auch im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung bei der zentralen Bedeutung der Anlassstraftaten, mit denen er über einen langen Zeitraum ein hochaggressives Verhalten an den Tag gelegt hat, dem nicht einmal durch die erste Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung Einhalt geboten werden konnte. In diesem Zusammenhang sind auch die bereits dargestellten Straftaten des Klägers im öffentlichen Straßenverkehr zu nennen, mit denen er eine erhebliche Rücksichtslosigkeit im Hinblick auf die Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit Dritter bewiesen hat. Auch die bisherige Erwerbsbiografie des Klägers spricht nicht zu seinen Gunsten; weder weist er eine abgeschlossene Berufsausbildung auf noch ist er in der Vergangenheit über einen längeren Zeitraum hinweg einer rentenversicherungspflichtigen Tätigkeit nachgegangen, woraus im angefochtenen Urteil nachvollziehbar gefolgert wird, dass der Kläger offenbar zum Aufbau einer gesicherten wirtschaftlichen Existenz im Bundesgebiet bisher nicht in der Lage war. Auch seine nach der Haftentlassung begonnene Ausbildung konnte er nicht zum Abschluss bringen. Der Senat ist der Auffassung, dass die von ihm bisher ein knappes Jahr lang ausgeübte selbstständige Tätigkeit (Handel mit Kfz-Teilen/Altreifenentsorgung), die durch öffentlichen Leistungen zur Existenzgründung unterstützt wird, noch nicht als dauerhaft nachgewiesene berufliche Existenz angesehen werden kann.

Schließlich hat das Verwaltungsgericht auch zu Recht angenommen, dass dem volljährigen Kläger trotz seiner ausschließlichen Sozialisierung in Deutschland zuzumuten ist, in das Land seiner Staatsangehörigkeit, dessen Sprache er zumindest spricht, zu übersiedeln. Dort wird er als 32-jähriger gesunder Mann trotz fehlender Beziehungen sein Auskommen finden können. Dabei ist hervorzuheben, dass von einer gelungenen sozialen und wirtschaftlichen Integration des Klägers schon in die hiesigen Verhältnisse trotz seines lebenslangen Aufenthalts im Bundesgebiet nicht ausgegangen werden kann; insoweit relativiert sich sein Einwand, er verfüge in der Türkei über keine wirtschaftlichen Beziehungen. Dass im Verlaufe des gerichtlichen Verfahrens inzwischen offenbar auch seine Großmutter in das Bundesgebiet übersiedelt ist und der Kläger damit eigenen Angaben zufolge keine Angehörigen in der Türkei mehr besitzt, erschwert zwar eine Eingewöhnung in die neuen Lebensumstände, führt aber nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Ausweisungsentscheidung. Den Kontakt zum Bundesgebiet und seinen hier lebenden Angehörigen kann der Kläger von der Türkei aus aufrechterhalten, auch wenn dies mit erhöhten Schwierigkeiten verbunden ist.

Im Ergebnis der Gesamtabwägung stellt sich die Ausweisung als verhältnismäßige Maßnahme dar, die zur Abwehr schwerwiegender Gefahren für die verfassungsrechtlichen Schutzgüter von Leben und körperlicher Unversehrtheit unerlässlich ist.

2.3 Keinen rechtlichen Bedenken begegnet schließlich die Befristung der Wirkungen des aus der Ausweisung folgenden Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG auf drei Jahre ab dem Zeitpunkt der Ausreise (vgl. Nr. 2 des angefochtenen Bescheids, S. 18). Die Befristungsentscheidung wurde in der mündlichen Verhandlung auf eine Entscheidung nach Ermessen umgestellt, ohne dass im Übrigen der Kläger Einwände gegen die Länge der Frist erhoben hat. Auch die unter Bestimmung einer Frist erfolgte Ausreiseaufforderung und die daran anknüpfende Abschiebungsandrohung (Nr. 4 des Bescheids) sind rechtmäßig. Die Anordnung der Abschiebung aus der Strafhaft (Nr. 3 des Bescheids) ist dagegen mit der Haftentlassung des Klägers gegenstandslos geworden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Rechtsmittelbelehrung

Nach § 133 VwGO kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Beschwerde muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen. In der Beschwerdebegründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer in Prozess-kostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt nur die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen. Für die in § 67 Abs. 4 Satz 5 VwGO genannten Angelegenheiten (u. a. Verfahren mit Bezügen zu Dienst- und Arbeitsverhältnissen) sind auch die dort bezeichneten Organisationen und juristischen Personen als Bevollmächtigte zugelassen. Sie müssen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 GKG i. V. m. Nr. 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Tenor

I.

Unter Abänderung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 9. Oktober 2008 wird der Bescheid der Beklagten vom 11. April 2008 in der Fassung des in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 ergänzten Änderungsbescheids der Beklagten vom 27. Januar 2015 aufgehoben.

II.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger verfolgt mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen seine Ausweisung weiter.

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er wurde am 6. November 1983 in München geboren und lebt seit seiner Geburt im Bundesgebiet. Er verfügt über einen Qualifizierenden Hauptschulabschluss und hat eine Lehre zum Maschinenbaumechaniker erfolgreich abgeschlossen. Am 17. April 1997 erhielt er eine zunächst bis 5. November 1999 befristete Aufenthaltserlaubnis, die aufgrund seines Antrags vom 4. November 1999 am 14. Dezember 1999 unbefristet verlängert wurde.

Nach Einstellung eines Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung nach § 170 Abs. 2 StPO im Jahr 2002 und Einstellung eines Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort gemäß § 153 Abs. 1 StPO im Jahr 2005 wurde der Kläger mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts München I vom 19. April 2007 wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Der Verurteilung lag nach den Feststellungen des Landgerichts folgender Sachverhalt zugrunde:

Während einer Hochzeitsfeier am 21. Juli 2006, an der der Kläger mit seiner Freundin teilnahm, begleitete diese eine zu den Hochzeitsgästen gehörende Freundin zu einem Treffen mit einem weiteren Gast, der diese Freundin kennenlernen wollte. Der Kläger beobachtete dies und machte zunächst seiner Freundin Vorwürfe, weil er ihr Verhalten für falsch hielt. Dann warf er der Freundin seiner Freundin vor, sie sei an allem schuld. Über die Frage der Freundin seiner Freundin, wie es für ihn wäre, wenn sie so mit ihm redete wie er mit ihr, ärgerte sich der Kläger so sehr, dass er ihr mit der flachen Hand so heftig auf die Wange schlug, dass sie taumelte und zu Boden gestürzt wäre, wäre sie nicht von einem anderen Anwesenden an den Armen festgehalten worden. Nachdem die Freundin der Freundin des Klägers am 22. Juli 2006 ihrer Familie von dem Vorfall berichtet hatte, rief ihr Schwager (im Folgenden: der Geschädigte) den Kläger an, um ihn zur Rede zu stellen. Im Verlauf des Gesprächs äußerte er sinngemäß, er werde den Kläger wieder dorthin zurückstecken, wo er herkomme. Der Kläger forderte ihn daraufhin auf, doch zu ihm zu kommen. Daraufhin begab der Geschädigte sich gemeinsam mit der Freundin der Freundin des Klägers und weiteren Angehörigen zur Wohnung des Klägers, um diesen zur Rede zu stellen und ihn zu einer Entschuldigung zu bewegen. Der Kläger, der über die telefonische Beleidigung aufgebracht war, bewaffnete sich mit einem feststehenden Jagd- oder Fischereimesser mit einer Klingenlänge von 8,5 cm und einer maximalen Klingenbreite von 2,7 cm, das an der Klinge einen Widerhaken besaß, und verließ seine Wohnung. Auf einer nahe gelegenen Freifläche traf er auf den Geschädigten und seine Begleiter. Er zog sofort sein Messer und erkundigte sich, wer ihn beleidigt habe. Er ließ sich durch den Geschädigten und seine Begleiter nicht beruhigen. Dem Geschädigten war nach seiner Vorstellung ein Rückzug nicht mehr möglich, wenn er vor seinen Verwandten nicht das Gesicht verlieren wollte. Auch der Kläger wollte Standhaftigkeit demonstrieren. Um seinem Ärger demonstrativ Ausdruck zu verleihen, versetzte er, ohne zu wissen, wer ihn beleidigt hatte, dem Geschädigten einen mit äußerster Wucht geführten Stich in den rechten zentralen Oberbauch, wobei er das Messer bis zum Heft in den Körper des Geschädigten rammte. Dadurch wurde die Bauchwand auf einer Länge von 10 cm von unten nach oben in Richtung des Rippenbogens durchtrennt. Nur durch Zufall wurden lebenswichtige Organe oder große Blutgefäße nicht getroffen. Zur Rettung des Geschädigten unternahm der Kläger nichts. Der Geschädigte wurde jedoch auf Veranlassung Dritter ins Krankenhaus eingeliefert und sofort operiert. Der Geschädigte litt auch zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung noch an den beiden schlecht verheilten Stich- und Operationsnarben, die im Sitzen und Liegen schmerzten. Sport konnte er nicht treiben. Außerdem traten Magen- und Darmprobleme auf, die zu einem Gewichtsverlust von 10 kg führten. Infolge der verletzungsbedingten Schonhaltung bekam er schließlich Probleme mit der Halswirbelsäule.

Nachdem der Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten hatte, wies die Beklagte ihn mit Bescheid vom 11. April 2008 aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Nr. 1 des Bescheids), untersagte ihm die Wiedereinreise (Nr. 2 des Bescheids) setzte ihm eine Ausreisefrist bis zum 15. Mai 2008 und drohte ihm für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung in die Türkei oder einen anderen Staat an, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist (Nr. 3 des Bescheids). Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, als nach dem Assoziationsratsbeschluss 1/80 Berechtigter dürfe der Kläger nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 in Verbindung mit § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG nur im Rahmen einer Ermessensentscheidung und bei Vorliegen einer tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung für ein Grundinteresse der Gemeinschaft ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten auf die konkrete Gefahr von weiteren schweren Störungen der öffentlichen Ordnung hindeute. Angesichts seiner Verurteilung wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten und der Gefahr weiterer schwerwiegender Straftaten seien diese Voraussetzungen erfüllt. Selbst wenn Art. 28 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG anwendbar sei, stehe er angesichts dieser Verurteilung einer Ausweisung des Klägers nicht entgegen. Soweit der Kläger nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz genieße, lägen die für die Ausweisung erforderlichen schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor. Die pflichtgemäße Ermessensausübung ergebe auch unter Beachtung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK, dass das öffentliche Interesse das private Interesse des Klägers eindeutig überwiege. Ergänzend wird auf die Gründe des Bescheids vom 11. April 2008 Bezug genommen.

Die gegen den Bescheid gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 9. Oktober 2008 ab und begründete dies im Wesentlichen wie folgt:

Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in eigenen Rechten. Der Kläger habe ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 und erfülle im Hinblick auf seine abgeschlossene Ausbildung auch die Voraussetzungen von Art. 7 Satz 2 ARB 1/80. Die Ausweisung sei weder in formeller noch in materieller Hinsicht zu beanstanden. Sie verstoße nicht gegen das in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG verankerte Vier-Augen-Prinzip, weil die Richtlinie 64/221/EWG durch die Richtlinie 2004/38/EG aufgehoben worden sei. Nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG in Verbindung mit Art. 14 ARB 1/80 könne der Kläger nur im Rahmen einer Ermessensentscheidung und nur dann ausgewiesen werden, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliege, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, wobei eine strafrechtliche Verurteilung eine Ausweisung nur rechtfertigen könne, wenn die ihr zugrunde liegenden Umstände ein Verhalten erkennen ließen, das eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle. Der Kläger genieße darüber hinaus nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG und Art. 3 Abs. 3 ENA besonderen Ausweisungsschutz, der allerdings nicht weiter reiche als der assoziationsrechtliche. Die vom Kläger begangene Straftat des versuchten Mordes und der gefährlichen Körperverletzung stelle eine besonders schwerwiegende, Grundinteressen der Gesellschaft berührende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar. Es bestehe auch die Gefahr weiterer vergleichbarer Straftaten. Dabei dürften insoweit im Hinblick auf die betroffenen überragenden Schutzgüter des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Aus den Tatumständen gehe hervor, dass der Kläger dazu neige, sich gegen Beleidigungen und Ehrverletzungen mit physischer Gewalt zur Wehr zu setzen. Die Ausweisung sei darüber hinaus verhältnismäßig und scheitere nicht am Recht des Klägers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK. Zwar habe die Sozialisation des in Deutschland geborenen Klägers in der Bundesrepublik stattgefunden. Es sei jedoch anzunehmen, dass er mit der türkischen Sprache und Kultur hinreichend vertraut sei. Die Eltern und Brüder des Klägers lebten zwar im Bundesgebiet. Er habe aber in der Bundesrepublik bisher keine eigene Kernfamilie gegründet. Dass der seit mehreren Jahren volljährige Kläger auf die Hilfe seiner in Deutschland lebenden Familienangehörigen in besonderer Weise angewiesen sei, sei nicht erkennbar. Der Kontakt zu ihnen könne brieflich, telefonisch und im Rahmen von Betretenserlaubnissen aufrechterhalten werden. Zwar sei die Ausweisung auch deshalb ein erheblicher Eingriff in das Recht des Klägers aus Art. 8 Abs. 1 EMRK, weil er selbst nach einer Befristung keinen Anspruch auf Wiedereinreise in die Bundesrepublik habe. Die Ausweisung sei aber im Hinblick auf die massive Straffälligkeit des Klägers und die von ihm weiterhin ausgehende Gefahr für die überragenden Schutzgüter des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit noch als verhältnismäßig anzusehen. Sonstige Ermessensfehler seien nicht ersichtlich. Die Beklagte habe alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls berücksichtigt und zutreffend gewichtet. Der erhöhte Ausweisungsschutz nach Art. 28 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG komme ihm als türkischem Staatsangehörigen nicht zugute.

Seine Berufung, die vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage, ob sich der Kläger weiterhin auf Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG berufen könne, zugelassen wurde, begründet der Kläger im Wesentlichen wie folgt:

Die Ausweisung verstoße gegen die Verfahrensgarantie des Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG, die auf türkische Staatsangehörige auch nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG durch die Richtlinie 2004/38/EG, die die Kontrolle von Ausweisungsentscheidungen durch eine zweite Verwaltungsinstanz durch einen erweiterten gerichtlichen Rechtsschutz ersetzt habe, weiterhin anzuwenden sei. Gelte die Richtlinie 2004/38/EG nur für Unionsbürger, nicht jedoch für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige, so müsse für Letztere zwingend der bisherige Standard erhalten bleiben. Die Nichtbeachtung von Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG führe dazu, dass die Ausweisung unheilbar rechtswidrig sei. Im Übrigen sei demgegenüber im Ergebnis aber davon auszugehen, dass die Richtlinie 2004/38/EG und damit Art. 28 Abs. 3 dieser Richtlinie auch für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige gelte. Der Kläger, der in den letzten zehn Jahren seinen Aufenthalt im Bundesgebiet gehabt habe, dürfe daher nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit ausgewiesen werden. Die öffentliche Sicherheit werde durch den Kläger aber künftig nicht gefährdet. Eine konkrete Wiederholungsgefahr sei nicht zu erwarten. Durch seine soziale Integration und zielstrebige Berufsausbildung habe der bis zu seiner Verurteilung wegen der der Ausweisung zugrunde liegenden Tat nicht vorbestrafte Kläger dargetan, dass er bis dahin keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dargestellt habe. Außerdem habe er durch Entschuldigungen und Schmerzensgeldzahlungen zum Ausdruck gebracht, dass er die Tat bedauere. Das Verwaltungsgericht habe insbesondere das Nachtatverhalten des Klägers außer Acht gelassen. Zwar habe es erwähnt, dass der Kläger an einer zweimonatigen Gewaltpräventionsgruppe teilgenommen habe. Es habe dies und das gesamte positive Strafvollzugsverhalten jedoch bei der Bewertung der Ermessensentscheidung in keiner Weise berücksichtigt. Da sich der Kläger erstmals im Strafvollzug befinde, müsse davon ausgegangen werden, dass dies nachhaltige Wirkungen auf ihn ausübe, die ihn von künftigen Straftaten abhielten. Eine konkrete Wiederholungsgefahr, wie sie Art. 14 ARB 1/80 fordere, sei angesichts dessen beim Kläger nicht zu erkennen. Aus dem Gutachten im Strafprozess und der Tat allein könne auf eine solche Wiederholungsgefahr nicht geschlossen werden.

Der Kläger beantragt zuletzt,

das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 9. Oktober 2008 und den Bescheid der Beklagten vom 11. April 2008 in der Fassung des Änderungsbescheids der Beklagten vom 27. Januar 2015 und der Ergänzung in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, der Ausweisungsbescheid sei rechtmäßig. Er verstoße insbesondere weder gegen Art. 9 Richtlinie 64/221/EWG noch gegen Art. 28 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG. Es bestehe die konkrete Gefahr, dass der Kläger nach wie vor nicht in der Lage sei, seine Aggressionen zu kontrollieren. Kläger und Justizvollzugsanstalt hätten die Teilnahme an der Gewaltpräventionsgruppe für erforderlich gehalten. Beim Kläger liege nach dem im Strafprozess erstellten Gutachten wahrscheinlich eine eher geringe Stresstoleranz und innere Stabilität und eine allgemeine Unsicherheit bei noch nicht ausgereifter Identitätsbildung vor. Nach Lösung des Verlöbnisses könne die Beziehung zu seiner Lebensgefährtin nicht mehr zur Stabilisierung des Klägers beitragen. Auch wenn der Kläger faktischer Inländer sei, sei zu berücksichtigen, dass er massiv straffällig geworden sei und abgesehen von den Bindungen zu seiner Herkunftsfamilie keine gewichtigen familiären Bindungen habe. Schließlich lägen Umstände vor, die dem Kläger die Integration in der Türkei erleichtern würden. Seine Großeltern lebten in der Türkei. Er habe Urlaubsaufenthalte dort verbracht, habe eine türkischsprachige Klasse besucht und seine Korrespondenz während der Haft belege seine Türkischkenntnisse.

Der Vertreter des öffentlichen Interesses beteiligt sich an dem Verfahren, ohne einen eigenen Antrag zu stellen. Nachdem er sich zunächst den Ausführungen der Beklagten angeschlossen und ergänzend auf eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz, nach der Art. 9 Richtlinie 64/221/EWG auf nach dem 30. April 2006 ergangene Ausweisungsverfügungen keine Anwendung mehr finde, verwiesen hatte, meint er nunmehr, der Kläger habe eine zweite Chance verdient.

Das mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 10. Juli 2008 im Hinblick auf ein Vorabentscheidungsverfahren beim Europäischen Gerichtshof zur Frage der Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige ausgesetzte Verfahren (10 BV 08.3244) ist auf Antrag der Beklagten vom 22. Februar 2013 unter dem jetzigen Aktenzeichen (10 BV 13.421) fortgeführt worden.

Der Kläger ist nach vollständiger Verbüßung der Freiheitsstrafe am 29. September 2011 aus der Justizvollzugsanstalt entlassen worden. Er steht für die Dauer von fünf Jahren unter Führungsaufsicht. Am 11. Februar 2013 hat er eine deutsche Staatsangehörige geheiratet. Am 7. Juni 2013 ist der gemeinsame Sohn des Klägers und seiner Ehefrau geboren worden, der ebenfalls deutscher Staatsangehöriger ist. Die Ehefrau und der Sohn des Klägers wohnen mit dem Kläger zusammen.

Mit Bescheid vom 27. Januar 2015 hat die Beklagte Nr. 2 des Bescheids vom 11. April 2008 dahingehend abgeändert, dass die Wiedereinreise für drei Jahre untersagt wird und die Frist mit der Ausreise beginnt. Außerdem hat sie in den Gründen des Bescheids die Ermessenserwägungen zur Ausweisung des Klägers aktualisiert und klargestellt, dass die Ermessensentscheidung nunmehr ausschließlich auf die Ausführungen im Bescheid vom 27. Januar 2015 gestützt werde.

Im Wesentlichen führt die Beklagte zur Begründung aus, der Ausweisung liege eine außerordentlich schwere Straftat zugrunde. Die öffentliche Sicherheit und Ordnung sei durch den Kläger schwerwiegend gefährdet, so dass sein Aufenthalt im Allgemeininteresse zu beenden sei. Die privaten Belange müssten insbesondere im Hinblick darauf zurücktreten, dass dem Kläger aufgrund seiner Sprachkenntnisse, der Kontakte zu seinen in der Türkei lebenden Großeltern und seiner Vertrautheit mit der türkischen Kultur und Mentalität ein Leben in der Türkei zumutbar sei. Die Beziehung zu seiner deutschen Frau und seinem deutschen Kind werde dadurch relativiert, dass sie zu einer Zeit aufenthaltsrechtlicher Unsicherheit entstanden sei. Besonderes Gewicht sei allerdings dem Interesse des Sohnes des Klägers an dessen Verbleib im Bundesgebiet beizumessen. Auf die Lebenshilfe seiner Eltern sei der Kläger nicht mehr angewiesen. Im Ergebnis überwiege trotz der sich abzeichnenden positiven Tendenz und der geänderten familiären Situation angesichts der Schwere der begangenen Straftat und der konkreten Gefahr weiterer Straftaten das öffentliche Interesse an der Ausweisung. Hinsichtlich der Befristung der Wirkungen der Ausweisung werde wegen des Gewichts der gefährdeten Rechtsgüter und der festgestellten hohen Wiederholungsgefahr im Hinblick auf die familiären Bindungen im Bundesgebiet ein Zeitraum von drei Jahren für erforderlich gehalten, um dem hohen Gefahrenpotenzial Rechnung tragen zu können.

In der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015, wegen deren Einzelheiten auf die Sitzungsniederschrift verwiesen wird, hat die Beklagte erklärt, ihre Ermessenserwägungen im Änderungsbescheid vom 27. Januar 2015 würden noch dahingehend vervollständigt, dass nunmehr die Eltern des Klägers in der Türkei wohnten und damit dort im Fall einer Aufenthaltsbeendigung für den Kläger ein weiterer Anlaufpunkt bestehe.

Ergänzend wird auf die beigezogenen Behördenakten sowie die Gerichtsakten in beiden Instanzen Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Die zulässige Anfechtungsklage, deren Gegenstand die Aufhebung des Bescheids vom 11. April 2008 in der Fassung ist, die er durch den Änderungsbescheid vom 27. Januar 2015 und die in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 zur Niederschrift abgegebene Erklärung der Beklagten zur Vervollständigung ihrer Ermessenserwägungen erhalten hat (I.), hat auch in der Sache Erfolg (II.).

I.

Gegenstand der Klage ist die Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 11. April 2015 in der Fassung des in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 ergänzten Änderungsbescheids der Beklagten vom 27. Januar 2015. Indem der Kläger seinen auf die Aufhebung des Bescheids vom 11. April 2008 in seiner ursprünglichen Fassung gerichteten Klageantrag auf den Änderungsbescheid vom 27. Januar 2015 erstreckt hat, hat er diesen bereits unabhängig davon, ob die Voraussetzungen für eine Klageänderung nach § 125 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 91 Abs. 1 VwGO vorgelegen haben, nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 264 Nr. 2 und 3 ZPO in zulässiger Weise in die Klage einbezogen. Denn danach handelt es sich bei der Erstreckung der Anfechtungsklage auf den Bescheid vom 27. Januar 2015 nicht um eine Klageänderung. Im Übrigen wäre eine in der Einbeziehung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 liegende Klageänderung hier auch nach § 125 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 91 Abs. 1 VwGO zulässig.

1. Eine Klageänderung liegt vor, wenn sich der Streitgegenstand ändert. Der Streitgegenstand wird dabei durch den Klageanspruch als den mit der Klage geltend gemachten materiell-rechtlichen Anspruch und den Klagegrund als den dem Klageanspruch zugrunde liegenden Sachverhalt bestimmt (vgl. BVerwG, U.v. 24.10.2013 - 7 C 13.12 - juris Rn. 28 m. w. N.). Eine Klageänderung ist demzufolge grundsätzlich dann gegeben, wenn der Klageanspruch, der Klagegrund oder beide sich ändern (vgl. BVerwG a. a. O.).

Zwar wäre danach hier von einer Klageänderung auszugehen. Denn der Kläger hatte ursprünglich nur die Aufhebung des Bescheids vom 11. April 2008 beantragt, mit dem er aus der Bundesrepublik ausgewiesen (Nr. 1 des Bescheids vom 11. April 2008), ihm die Wiedereinreise untersagt (Nr. 2 des Bescheids vom 11. April 2008) und ihm für den Fall, dass er das Bundesgebiet nicht bis zum 15. April 2008 verlasse, die Abschiebung in die Türkei oder in einen anderen Staat angedroht wurde, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei (Nr. 3 des Bescheids vom 11. April 2008). Mit dem in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 gestellten Antrag des Klägers, den Bescheid vom 11. April 2008 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 aufzuheben, hat sich aber der Streitgegenstand geändert. Denn es hat sich der Klageanspruch verändert, weil mit der Klage nicht mehr die Aufhebung des ursprünglichen Bescheids, sondern die Aufhebung dieses Bescheids in der geänderten Fassung begehrt wird, nach der dem Kläger die Wiedereinreise nicht mehr unbefristet, sondern nur noch für die Dauer von drei Jahren untersagt ist.

2. Jedoch ist es nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 264 Nr. 2 ZPO nicht als Klageänderung anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache erweitert wird. Nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 264 Nr. 3 ZPO ist es darüber hinaus nicht als Klageänderung anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes statt des ursprünglich geforderten Gegenstands wegen einer später eingetretenen Veränderung ein anderer Gegenstand gefordert wird. Danach liegt hier eine Klageänderung aber nicht vor.

a) Durch die Beantragung der Aufhebung des Bescheids vom 11. April 2008 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 ist der Klageantrag im Sinne von § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 264 Nr. 2 ZPO erweitert worden, weil er damit auf den Bescheid vom 27. Januar 2015 erstreckt worden ist.

Ebenso fordert der Kläger mit dem Antrag, den Bescheid vom 11. April 2008 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 aufzuheben, im Sinne von § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 264 Nr. 3 ZPO einen anderen Gegenstand als mit seinem ursprünglichen Antrag, den Bescheid vom 11. April 2008 aufzuheben. Dies erfolgt auch wegen einer später eingetretenen Veränderung. Denn die Beklagte hat den mit der Klage angefochtenen Bescheid vom 11. April 2008 nach Klageerhebung geändert, indem sie das darin enthaltene Wiedereinreiseverbot mit dem Änderungsbescheid vom 27. Januar 2015 auf drei Jahre befristet hat.

b) Die Erweiterung des Klageantrags und die darin liegende Forderung eines anderen als des ursprünglichen Gegenstands sind darüber hinaus ohne Änderung des Klagegrundes erfolgt. Denn der dem Klageantrag zugrunde liegende Sachverhalt hat sich durch die Einbeziehung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 nicht geändert.

Der Bescheid vom 11. April 2008 und dieser Bescheid in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 unterscheiden sich nur insoweit, als der Bescheid vom 11. April 2008 dem Kläger die Wiedereinreise ohne zeitliche Beschränkung untersagt hat, während er in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 ein auf drei Jahre befristetes Wiedereinreiseverbot vorsieht. Dieser Unterschied hat aber nicht zur Folge, dass der Entscheidung über die Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 11. April 2008 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 ein anderer Sachverhalt zugrunde zu legen wäre als der Entscheidung über eine Anfechtungsklage gegen diesen Bescheid in seiner ursprünglichen Fassung.

Zum einen erweist sich im Fall der Rechtswidrigkeit der Ausweisung auch das von der Beklagten nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als gesetzliche Folge der Ausweisung ausgesprochene Wiedereinreiseverbot unabhängig davon als rechtswidrig, ob es nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG befristet worden ist oder nicht. Der rechtlichen Beurteilung des Wiedereinreiseverbots liegt daher in beiden Fällen einheitlich der Sachverhalt zugrunde, auf dessen Grundlage sich die Ausweisung als rechtswidrig darstellt. Zum anderen enthält die Anfechtungsklage gegen den Ausweisungsbescheid, wenn dieser wie der Bescheid vom 11. April 2008 keine Befristung der Wirkungen der Ausweisung verfügt hat, zugleich - als Minus - für den Fall der Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung einen Hilfsantrag auf Verpflichtung des Trägers der Ausländerbehörde zu einer angemessenen Befristung dieser Wirkungen mit der Folge, dass im Fall der gerichtlichen Bestätigung der Ausweisung zugleich eine Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung zu treffen ist (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 39). Über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist in diesem Fall aber auch dann zu entscheiden, wenn eine solche Befristung nachträglich vorgenommen wird und die Anfechtungsklage gegen den Ausweisungsbescheid wie hier auf den Befristungsbescheid erstreckt wird (vgl. zur Statthaftigkeit der Anfechtungsklage gegen nachträgliche Befristungsentscheidungen BVerwG, B.v. 14.3.2013 - 1 B 17.12 - juris Rn. 13; B.v. 15.4.2013 - 1 B 22.12 - juris Rn. 31; kritisch dazu Armbruster/Hoppe, ZAR 2013, 309/315). In beiden Fällen ist dabei nach § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG die im Rahmen der Befristung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG festzusetzende Frist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen (vgl. dazu im Einzelnen BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 42; U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 40 f.; U.v. 14.5.2013 - 1 C 13.12 - juris Rn. 30 ff.). Auch im Falle der Rechtmäßigkeit der Ausweisung liegt dem Klageanspruch daher unabhängig davon, ob die Aufhebung des Bescheids vom 11. April 2008 oder die Aufhebung dieses Bescheids in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 begehrt wird, derselbe Sachverhalt zugrunde. Stimmt damit aber der für die Entscheidung über beide Klageanträge maßgebliche Sachverhalt überein, so hat die Einbeziehung des Bescheids vom 27. Januar 2015 nicht zu einer Änderung des Streitstoffs und damit des Klagegrundes geführt.

3. Im Übrigen wäre die Einbeziehung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015, selbst wenn es sich dabei um eine Klageänderung handeln würde, nach § 125 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 91 Abs. 1 VwGO zulässig, weil der Verwaltungsgerichtshof die Änderung für sachdienlich hält.

Sachdienlich ist eine Klageänderung in der Regel dann, wenn sie der endgültigen Beilegung des Rechtsstreits dient und der Streitstoff im Wesentlichen derselbe bleibt (vgl. BVerwG, U.v. 18.8.2005 - 4 C 13.04 - juris Rn. 22 m. w. N.; BayVGH, U.v. 26.6.2012 - 10 BV 09.2259 - juris Rn. 37). Beides ist hier der Fall.

Die Einbeziehung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 dient der endgültigen Beilegung des Rechtsstreits. Denn sie ermöglicht es, auch über die zulässige Dauer der Wirkungen der Ausweisung eine Entscheidung herbeizuführen, ohne dass es einer erneuten Klage gegen die im Änderungsbescheid vorgenommene Befristung des Wiedereinreiseverbots bedarf. Auch bleibt der Streitstoff im Wesentlichen derselbe. Wie dargelegt, ändert sich der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt durch die Einbeziehung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 in den Klageantrag nicht.

II.

Die Klage, die sich danach gegen den Bescheid vom 11. April 2008 in der Fassung des in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 ergänzten Änderungsbescheids der Beklagten vom 27. Januar 2015 richtet, ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufzuheben, weil er nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015, die für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der Befristung ihrer Wirkungen und der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung maßgeblich ist (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 12; U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 15; U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 12; U.v. 14.5.2013 - 1 C 13.12 - juris Rn. 9), sowohl hinsichtlich der Ausweisung des Klägers aus der Bundesrepublik Deutschland (1.) als auch hinsichtlich der Befristung des Wiedereinreiseverbots auf die Dauer von drei Jahren und der Abschiebungsandrohung (2.) rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt.

1. Die Ausweisung des Klägers, die an Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ANBA 1981, 4; im Folgenden: ARB 1/80) in Verbindung mit § 55 Abs. 1 und § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG zu messen ist (a), ist rechtswidrig. Zwar ergibt sich dies nicht bereits daraus, dass die Ausweisung wegen eines Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschiften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl der Europäischen Gemeinschaften 1964 S. 850; im Folgenden: Richtlinie 64/221/EWG) formell rechtswidrig wäre (b). Jedoch sind die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Ausweisung des Klägers nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 in Verbindung mit § 55 Abs. 1 und § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nicht erfüllt (c).

a) Als Rechtsgrundlage für die Ausweisung des Klägers kommt nur Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 in Verbindung mit § 55 Abs. 1 und § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG in Betracht. Denn der Kläger erfüllt die Voraussetzungen von Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80.

Nach Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 ARB 1/80 haben die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben. Die Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, können sich nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedstaat dort auf jedes Stellenangebot bewerben, sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedstaat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war. Die praktische Wirksamkeit dieser Rechte setzt dabei zwangsläufig die Existenz eines entsprechenden Aufenthaltsrechts voraus, das ebenfalls auf Unionsrecht beruht und vom Fortbestehen der Voraussetzungen für den Zugang zu diesen Rechten unabhängig ist (vgl. EuGH, U.v. 16.3.2000 - Ergat, C-329/97 - juris Rn. 40; U.v. 11.11.2004 - Cetinkaya, C-467/02 - juris Rn. 31; U.v. 7.7.2005 - Aydinli, C-373/03 - juris Rn. 25; U.v. 16.2.2006 - Torun, C-502/04 - juris Rn. 20; BVerwG, U.v. 6.10.2005 - 1 C 5.04 - juris Rn. 11). Danach ist der Kläger aber nach Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 aufenthaltsberechtigt.

aa) Der Kläger erfüllt zunächst die Voraussetzungen des Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 ARB 1/80. Er ist Familienangehöriger eines türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt angehörte. Sein Vater kam 1972 nach Deutschland und arbeitete dort bei BMW, bei einer Arzneimittelfirma und schließlich am Flughafen München. Zwar hat der 1983 im Bundesgebiet geborene Kläger erstmals am 17. April 1997 eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 ARB 1/80 gilt aber entgegen seinem Wortlaut nicht nur für Familienangehörige eines dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, sondern auch für ein Kind eines solchen Arbeitnehmers, das wie der Kläger im Aufnahmemitgliedstaat geboren wurde und stets dort gelebt hat (vgl. EuGH, U.v. 11.11.2004 - Cetinkaya, C-467/02 - juris Rn. 20 ff, 26; U.v. 7.7.2005 - Aydinli, C-373/03 - juris Rn. 22; BVerwG, U.v. 6.10.2005 - 1 C 5.04 - juris Rn. 11). Der Kläger hat schließlich von seiner Geburt bis zu seiner Inhaftierung im Juni 2006 und damit seit mindestens fünf Jahren seinen ordnungsgemäßen Wohnsitz bei seinen Eltern gehabt und mit ihnen eine familiäre Lebensgemeinschaft geführt (vgl. EuGH, U.v. 11.11.2004 - Cetinkaya, C-467/02 - juris Rn. 30; U.v. 7.7.2005 - Aydinli, C-373/03 - juris Rn. 24).

bb) Der Kläger erfüllt außerdem die Voraussetzungen des Art. 7 Satz 2 ARB 1/80. Denn er hat als Kind eines türkischen Arbeitnehmers, der in Deutschland seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war, in der Bundesrepublik eine Berufsausbildung zum Maschinenbaumechaniker abgeschlossen.

cc) Schließlich hat der Kläger sein sich aus Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 ergebendes Aufenthaltsrecht auch nicht nachträglich wieder verloren.

aaa) Dieses Recht unterliegt lediglich in den beiden folgenden Fällen Beschränkungen (vgl. EuGH, U.v. 16.3.2000 - Ergat, C-329/97 - juris Rn. 45 ff.; U.v. 11.11.2004 - Cetinkaya, C-467/02 - juris Rn. 36; U.v.7.7.2005 - Aydinli, C-373/03 - juris Rn. 27; U.v.16.2.2006 - Torun, C-502/04 - juris Rn. 21 und 25; U.v. 8.12.2011 - Ziebell, C-371/08 - juris Rn. 49 m. w. N.). Zum einen ermöglicht es Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 den Mitgliedstaaten, in Einzelfällen bei Vorliegen triftiger Gründe den Aufenthalt des türkischen Migranten in ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken, wenn dieser durch sein persönliches Verhalten die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit tatsächlich und schwerwiegend gefährdet. Von dieser Möglichkeit hatte die Bundesrepublik im Falle des Klägers aber bis zu dessen Ausweisung durch den Bescheid der Beklagten vom 11. April 2008, gegen die sich die Klage richtet, nicht Gebrauch gemacht. Zum anderen verliert der Familienangehörige eines türkischen Arbeitnehmers seine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 grundsätzlich, wenn er das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlässt. Dies hat der Kläger jedoch nicht getan.

bbb) Schließlich hat der Kläger, der bis zu seiner Inhaftierung im Juni 2006 für eine Leiharbeitsfirma gearbeitet hat, sein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 auch nicht dadurch verloren, dass er während seiner langen Freiheitsstrafe dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stand. Denn im Hinblick darauf, dass dieses Recht aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit nur nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 oder wegen eines Verlassens des Aufnahmemitgliedstaats während eines erheblichen Zeitraums ohne berechtigte Gründe beschränkt werden kann, unterliegt es wegen einer längeren Abwesenheit vom Arbeitsmarkt aufgrund einer mehrjährigen Freiheitsstrafe keinen Beschränkungen (vgl. EuGH, U.v. 11.11.2004 - Cetinkaya, C-467/02 - juris Rn. 38 f.; U.v. 7.7.2005 - Aydinli, C-373/03 - juris Rn. 27 f.; U.v. 16.2.2006 - Torun, C-502/04 - juris Rn. 25 f.; BVerwG, U.v. 6.10.2005 - 1 C 5.04 - juris Rn. 12; U.v. 28.6.2006 - 1 C 4.06 - juris Rn. 13).

b) Die Ausweisung des Klägers auf der Grundlage von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 ist nicht bereits deshalb wegen eines unheilbaren Mangels des Verwaltungsverfahrens formell rechtswidrig, weil sie gegen Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG verstoßen hätte.

Nach dieser Regelung, die auf türkische Staatsangehörige mit assoziationsrechtlichem Aufenthaltsrecht anwendbar war (vgl. EuGH, U.v. 2.6.2005 - Dörr und Ünal, C-136/03 - juris Rn. 61 ff.; BVerwG, U.v. 13.9.2005 - 1 C 7.04 - juris Rn. 12; U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 22; U.v. 13.12.012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 28; U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 23), traf die Verwaltungsbehörde, soweit die vorgesehenen Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betrafen oder keine aufschiebende Wirkung hatten, die Entscheidung über die Entfernung eines Inhabers einer Aufenthaltserlaubnis aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats außer in dringenden Fällen erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen konnte (Art. 9 Abs. 1 UAbsRichtlinie 64/221/EWG/EWG). Diese Stelle musste dabei eine andere sein als diejenige, die für die Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet zuständig war (Art. 9 Abs. 1 UAbsRichtlinie 64/221/EWG/EWG; sog. Vier-Augen-Prinzip).

Zwar wäre diese Regelung im Falle ihrer weiteren Anwendbarkeit durch die Ausweisung des Klägers verletzt worden, weil nach § 114 Satz 1 VwGO im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nur die Rechtmäßigkeit der nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 in Verbindung mit § 55 Abs. 1 und § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG im Ermessen der Ausländerbehörde stehenden Ausweisung, nicht aber ihre Zweckmäßigkeit überprüft wird, ein Widerspruchsverfahren nach § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO in Verbindung mit Art. 15 Abs. 2 AGVwGO nicht stattgefunden hat und auch sonst eine andere Stelle als die Beklagte vor Erlass des Ausweisungsentscheids vom 11. April 2008 zur Ausweisung des Klägers nicht Stellung genommen hatte (vgl. BVerwG, U.v. 13.9.2005 - 1 C 7.04 - juris Rn. 13; U.v. 6.10.2005 - 1 C 5.04 - juris Rn. 14). Die Ausweisung wäre daher auch wegen eines Mangels des Verwaltungsverfahrens unheilbar rechtswidrig gewesen (vgl. BVerwG, U.v. 6.10.2005 - 1 C 5.04 - juris Rn. 16). Jedoch ist Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG seit Aufhebung dieser Richtlinie durch Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl EG Nr. L 158 S. 77: im Folgenden: Richtlinie 2004/38/EG) mit Wirkung zum 30. April 2006 für nach diesem Zeitpunkt ergangene Ausweisungsverfügungen wie den streitgegenständlichen Bescheid der Beklagten vom 11. April 2008 nicht mehr anwendbar (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 22 ff.; U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 28 ff.; U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 23 ff.; B.v. 15.4.2013 - 1 B 22.12 - juris Rn. 5 ff.).

Der Kläger meint demgegenüber, dass der verfahrensrechtliche Schutz, den Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG türkischen Staatsangehörigen gewähre, die über ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 verfügten, auch nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG deshalb fortgelten müsse, weil der Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG ersetzende Art. 31 Richtlinie 2004/38/EG nur für Unionsbürger gelte und ein ersatzloser Wegfall der in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG enthaltenen Verfahrensgarantie nicht hinnehmbar sei. Diese Argumentation rechtfertigt aber nicht die weitere Anwendung von Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG auf türkische Staatsangehörige mit einem Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss 1/80.

Zum einen ist durch die Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG die in deren Art. 9 Abs. 1 enthaltene Verfahrensgarantie nicht ersatzlos entfallen. Vielmehr ist der Rechtsschutz gegen Ausweisungen türkischer Staatsangehöriger, die über ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrechts verfügen, nunmehr in entsprechender Anwendung des für Unionsbürger an die Stelle von Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG getretenen Art. 31 Richtlinie 2004/38/EG oder des Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend der Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl EG 2004 Nr. L 16 S. 44; im Folgenden: Richtlinie 2003/109/EG) gewährleistet (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 29; U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 23; B.v. 15.4.2013 1 B 22.12 - juris Rn. 5). Für die Anwendbarkeit des Art. 12 Richtlinie 2003/109/EG spricht dabei, dass diese Regelung, nach deren Abs. 4 dem Ausgewiesenen der Rechtsweg in dem jeweiligen Mitgliedstaat offen steht, nach der Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG den unionsrechtlichen Bezugsrahmen für die Ausweisung türkischer Staatsangehöriger bildet, die wie der Kläger über ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 ARB 1/80 verfügen (vgl. EuGH, U.v. 8.12.2011 - Ziebell, C-371/08 - juris Rn. 79; BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 12).

Zum anderen würde die weitere Anwendung von Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG gegen Art. 59 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (BGBl 1972 II S. 385; im Folgenden: ZP) verstoßen (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 25; U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 33; B.v. 15.4.2013 - 1 B 22.12 - juris Rn. 13 ff.). Nach dieser Regelung darf der Türkei in den vom Zusatzprotokoll erfassten Bereichen, zu denen auch die Ausweisung von assoziationsrechtlich begünstigten türkischen Staatsangehörigen zählt (vgl. EuGH, U.v. 18.7.2007 - Derin, C-325/05 - juris Rn. 58 ff.), keine günstigere Behandlung gewährt werden als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander aufgrund des Vertrags über die Gründung der Gemeinschaft einräumen. Dies wäre jedoch der Fall, wenn Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG weiterhin angewandt werden könnte.

Nach Art. 31 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG müssen die Betroffenen gegen eine Entscheidung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einlegen können. Im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens sind nach Art. 31 Abs. 3 Satz 1 Richtlinie 2004/38/EG dabei die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und Umstände zu überprüfen, auf denen die Entscheidung beruht. Nach Art. 31 Abs. 3 Satz 2 Richtlinie 2004/38/EG gewährleistet das Rechtsbehelfsverfahren darüber hinaus, dass die Entscheidung nicht unverhältnismäßig ist. Die Beteiligung einer anderen als der für die Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats zuständigen Stelle, wie sie Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG im Sinne eines Vier-Augen-Prinzips vorsah, ist daher nach Art. 31 Richtlinie 2004/38/EG für den Rechtsschutz von Unionsbürgern gegen solche Entscheidungen nicht mehr zwingend vorgeschrieben (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 23; U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 30; U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 23: B.v. 15.4.2013 - 1 B 22.12 - juris Rn. 6). Soweit nach Art. 31 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG die Einlegung des Rechtsbehelfs bei einem Gericht „und gegebenenfalls bei einer Behörde“ möglich sein muss, soll dies nur nationalen Regelungen Rechnung tragen, nach denen der gerichtlichen Überprüfung noch ein behördliches Widerspruchsverfahren vorgeschaltet ist. Eine Verpflichtung zur Beteiligung einer weiteren unabhängigen Stelle im Verwaltungsverfahren ergibt sich daraus aber nicht (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 30; B.v. 15.4.2013 - 1 B 22.12 - juris Rn. 6 ff.). Ist danach bei Unionsbürger betreffenden Entscheidungen aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit die Beteiligung einer solchen Stelle nicht erforderlich, so würden türkische Staatsangehörige, die assoziationsrechtlich aufenthaltsberechtigt sind, bei sie betreffenden derartigen Entscheidungen auf der Grundlage von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 aber besser gestellt als Unionsbürger. Der Türkei würde daher entgegen Art. 59 ZP eine günstigere Behandlung gewährt als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander einräumen (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 25; U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 33; B.v. 15.4.2013 - 1 B 22.12 - juris Rn. 13 ff.).

c) Ist die Ausweisung des Klägers damit zwar nicht schon wegen einer Verletzung von Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG unheilbar formell rechtswidrig, so folgt ihre Rechtswidrigkeit jedoch daraus, dass die nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 in Verbindung mit § 55 Abs. 1 und § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG erforderlichen materiell-rechtlichen Ausweisungsvoraussetzungen nicht erfüllt sind.

Entgegen der Ansicht des Klägers kann dabei Art. 28 Abs. 3 Buchstabe a Richtlinie 2004/38/EG, nach dem eine Ausweisung gegen Unionsbürger nicht verfügt werden darf, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt werden, wenn sie ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben, im Falle von nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 erfolgenden Ausweisungen allerdings nicht entsprechend angewandt werden, um die Tragweite von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zu bestimmen (vgl. EuGH, U.v. 8.12.2011 - Ziebell, C-371/08 - juris Rn. 74). Vielmehr ist dazu Art. 12 Richtlinie 2003/109/EG als Bezugsrahmen heranzuziehen (EuGH a. a. O. Rn. 79), nach dessen Abs. 1 bei einem langfristig Aufenthaltsberechtigten eine Ausweisung nur verfügt werden kann, wenn er eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt.

Dementsprechend kann ein türkischer Staatsangehöriger, der wie der Kläger ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 ARB 1/80 besitzt, nach Art. 14 Abs. 1 ARB nur im Ermessenswege aufgrund einer Einzelfallprüfung ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland als des Aufnahmemitgliedstaats darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (vgl. EuGH a. a. O. Rn. 82 und 86; BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 13). Im Übrigen setzt die Ausweisung des Klägers, der seit 14.12.1999 eine nach § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgeltende unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich damit seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und deshalb nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz genießt, auch nach nationalem Recht schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung voraus (§ 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG).

Nach diesen Maßstäben erweist sich die Ausweisung des Klägers jedoch als rechtswidrig, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 eine gegenwärtige, tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr bestand (aa) und die Ausweisung außerdem zur Wahrung dieses Interesses nicht unerlässlich war (bb).

aa) Bei der Prüfung, ob eine gegenwärtige, tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft vorliegt, gilt ein differenzierender Wahrscheinlichkeitsmaßstab. An die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts sind im Rahmen der Gefahrenprognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Demgemäß gelten umso geringere Anforderungen an den Eintritt eines Schadens für ein bedrohtes Rechtsgut, je bedeutender dieses ist. Jedoch reicht auch bei hochrangigen Rechtsgütern nicht jede auch nur entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts für die Annahme einer gegenwärtigen Gefahr aus. Auch insoweit dürfen vielmehr keine zu geringen Anforderungen gestellt werden (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 16; U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 16). Darüber hinaus sind bei der Gefahrenprognose nach der letzten Behördenentscheidung eingetretene Tatsachen zu berücksichtigen, die den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen können, die das Verhalten des Betroffenen für das in Rede stehende Grundinteresse der Gesellschaft darstellen kann (vgl. EuGH, U.v. 8.12.2011 - Ziebell, C-371/08 - juris Rn. 84).

Eine gegenwärtige, tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft geht bei Berücksichtigung dieser Vorgaben von dem zu erwartenden persönlichen Verhalten des Klägers nach der aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) aber nicht mehr aus.

aaa) Zwar würde es eine hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellen, wenn der Kläger erneut eine Straftat begehen würde, die mit der der Ausweisung zugrunde liegenden vergleichbar ist. Denn der versuchte Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, der zur Verurteilung des Klägers zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten geführt hat, hat das Leben und die Gesundheit des Opfers gefährdet. Die Rechtsgüter Leben und Gesundheit der Bürger nehmen aber in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Werteordnung einen hohen Rang ein. Ihr Schutz ist daher ein Grundinteresse der Gesellschaft (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 19), das durch Straftaten, wie sie der Kläger begangen hat, erheblich beeinträchtigt wird. Angesichts des hohen Rangs der bedrohten Rechtsgüter und der schwerwiegenden Folgen, die eintreten können, wenn wie im Falle des Klägers dem Opfer mit einem mit Widerhaken versehenen Messer in lebensgefährlicher Weise tief in den Oberbauch gestochen wird, stellte die erneute Begehung vergleichbarer Taten durch den Kläger ohne weiteres für das betreffende Grundinteresse der Gesellschaft auch eine hinreichend schwere Gefahr dar.

Im Hinblick darauf und auf die Verurteilung des Klägers zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten liegen darüber hinaus schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nach § 56 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG vor. Insbesondere hat der Kläger angesichts der Dauer der verhängten Freiheitsstrafe einen Ausweisungsgrund nach § 53 Nr. 1 AufenthG verwirklicht, der vorliegt, wenn ein Ausländer wegen einer oder mehrerer Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist.

bbb) Jedoch stellt das persönliche Verhalten des Klägers nach Überzeugung des Senats keine gegenwärtige tatsächliche Gefahr mehr dar, die seine Ausweisung nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 in Verbindung mit § 55 Abs. 1 und § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG rechtfertigen könnte.

Nach den Feststellungen des Schwurgerichts auf der Grundlage des im Strafverfahren eingeholten neurologisch-psychiatrischen Gutachtens vom 30. Januar 2007 litt der durchschnittlich intelligente und eher zurückhaltende Kläger zum Zeitpunkt der Begehung der Straftat unter Minderwertigkeitsgefühlen und reagierte gegenüber Kränkungen und Zurückweisungen übersensibel. Seine Stresstoleranz und innere Stabilität waren gering ausgeprägt. Es herrschte ein Gefühl allgemeiner Unsicherheit vor. Der Gutachter ging zudem von einer noch nicht ausgereiften Identitätsbildung aus. Insbesondere die Sensibilität gegenüber Kränkungen und Zurückweisungen und die geringe Stresstoleranz des Klägers waren dabei maßgeblich mitursächlich dafür, dass es zu der der Ausweisung zugrunde liegenden Straftat kam.

Dass der Kläger sein Messer zog und damit schließlich zustach, hing mit der dem tatsächlichen Zusammentreffen vorangegangenen telefonischen Äußerung des Tatopfers zusammen, er werde den Kläger wieder dahin zurückstecken, wo er herausgekommen sei, die der Kläger als Beleidigung empfand. Denn bei Eintreffen des Tatopfers und seiner Begleiterinnen und Begleiter fragte der Kläger, der bis dahin nicht wusste, von wem diese Äußerung stammte, aufgebracht, wer ihn so beleidigt habe. Anlass für den Anruf des Tatopfers beim Kläger und das spätere Zusammentreffen war wiederum die Ohrfeige, die der Kläger der Schwägerin des Opfers am Abend zuvor gegeben hatte, weil er sich während einer verbalen Auseinandersetzung darüber ärgerte, dass diese ihn auf seine Äußerung hin, sie könne so nicht mit ihm reden, gefragt hatte, wie es denn wäre, wenn sie doch so mit ihm redete. Die Überempfindlichkeit des Klägers gegenüber Kränkungen und Zurückweisungen und seine geringe Stresstoleranz spielten daher eine entscheidende Rolle für den Geschehensablauf, der schließlich in den Totschlagsversuch und die damit einhergehende gefährliche Körperverletzung mündete.

Dementsprechend geht das psychiatrische Gutachten vom 2. Januar 2010 davon aus, dass die Gefahr eines Rückfalls hauptsächlich in Situationen besteht, in denen der Kläger sich wie bei der Begehung der seiner Verurteilung und Ausweisung zugrunde liegenden Straftat zurückgewiesen, abgewertet oder in seinem Selbstbild abgelehnt oder angegriffen fühlt (S. 29 des Gutachtens).

Nach Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs besteht aber angesichts der Entwicklung, die der Kläger seit der inzwischen mehr als achteinhalb Jahre zurückliegenden Tat durchlaufen hat, allenfalls noch die entfernte Möglichkeit, dass der Kläger erneut eine vergleichbare Straftat begehen wird. Dies reicht jedoch für die Annahme einer gegenwärtigen Gefahr auch unter Berücksichtigung der im Hinblick auf die hohe Bedeutung der bedrohten Rechtsgüter verminderten Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts nicht aus.

Der Kläger war nach der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt zur Führungsaufsicht vom 23. März 2011 während der Haft ruhig, fröhlich, offen, gutmütig und natürlich. Er trat respektvoll und verständig auf, verhielt sich gegenüber Bediensteten anständig, freundlich und hilfsbereit und war in der Gemeinschaft mit anderen Gefangenen gesellig und kameradschaftlich. Bei der Arbeit in einem Unternehmerbetrieb leistete er mit beständigem Fleiß fachgerechte und über dem Durchschnitt liegende Arbeit. Disziplinarisch ist er lediglich einmal im Jahr 2009 in Erscheinung getreten, weil er den Spion an seiner Haftraumtüre umgebaut und beschädigt hatte. Der Kläger bewarb sich im Mai 2007 für das anstaltsinterne soziale Kompetenztraining und nahm von Oktober bis Dezember 2007 an der Gewaltpräventionsgruppe der Justizvollzugsanstalt teil. Nach dem diesbezüglichen, im psychiatrischen Gutachten vom 2. Januar 2010 zusammengefassten Abschlussbericht vom 15. Dezember 2007 hat der Kläger regelmäßig und aktiv an den Behandlungsangeboten teilgenommen, gute Motivation gezeigt, an den Inhalten der Gruppe mitzuarbeiten, sich aus eigener Initiative öfter in das Gruppengeschehen eingebracht und seine Hausaufgaben zuverlässig und mit Sorgfalt erledigt. Er hat in ersten Ansätzen die auslösenden Bedingungen seiner Straftat erkennen können. Außerdem hat er gute Ansätze, Techniken und Strategien entwickelt, um zukünftig adäquater mit Konflikt- und Problemsituationen umgehen zu können. Eine Bearbeitung der Gewaltproblematik ist ihm vor allem auf der kognitiven Ebene gut möglich gewesen. Auf der emotionalen Ebene und der Verhaltensebene wurde allerdings noch eine Vertiefung für erforderlich gehalten.

Das psychiatrische Gutachten vom 2. Januar 2010 geht davon aus, dass das Verhaltensrepertoire des Klägers in der Situation, die zu der der Ausweisung zugrunde liegenden Straftat geführt hat, nicht ausreichend war, um einen Lösungsweg zu finden. Der Gutachter ist der Auffassung, dass die Teilnahme an der Gewaltpräventionsgruppe der Haftanstalt diesbezüglich lediglich einen Anfang gemacht habe, dass eine andauernde Veränderung und Erweiterung des Verhaltensrepertoires damit jedoch noch nicht abgeschlossen und deshalb eine weitere Therapie dringend erforderlich sei (S. 30 des Gutachtens). Nach seiner Einschätzung besteht zwar nicht die Gefahr, dass der Kläger wahllos fremde Personen attackieren werde, wohl aber dass im Rahmen von Beziehungskonflikten, insbesondere im Falle einer schweren Kränkung oder Erniedrigung, die alten Verhaltensmuster noch nicht so weit überwunden seien, dass es bei einer entsprechenden Konstellation nicht wieder zu aggressiven Durchbrüchen kommen könne (vgl. S. 30 f. des Gutachtens). Nach Ansicht des Gutachters ist daher von einer nicht mehr bestehenden Gefährlichkeit des Klägers erst unter der Bedingung auszugehen, dass eine erneute therapeutische Behandlung durchgeführt wird (S. 31 des Gutachtens).

Dementsprechend hat die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 10. März 2010, bestätigt durch den die sofortige Beschwerde des Klägers als unbegründet verwerfenden Beschluss des Oberlandesgerichts vom 14. April 2010, eine Aussetzung des Strafrests zur Bewährung abgelehnt. Außerdem hat sie unter Bezugnahme auf das psychiatrische Gutachten vom 2. Januar 2010 mit Beschluss vom 24. Juni 2011 festgestellt, dass nach Vollstreckung der Freiheitsstrafe Führungsaufsicht eintrete, weil nicht zu erwarten sei, dass der Kläger ohne diese Maßregel keine Straftaten mehr begehen werde. Gleichzeitig hat sie den Kläger im Hinblick darauf, dass nach dem Gutachten ohne eine vertiefende Bearbeitung der Gewaltproblematik ein Rückfall in alte Verhaltensweisen nicht mit der notwendigen Sicherheit ausgeschlossen werden könne, angewiesen, sich nach Haftentlassung einer ambulanten Psychotherapie bei einem namentlich bezeichneten Psychotherapeuten für die Dauer von mindestens einem Jahr zu unterziehen. An dieser Therapie hat der Kläger in der Zeit von Juli 2012 bis September 2013 teilgenommen. Mit seiner ärztlichen Mitteilung vom 9. September 2013 hat der Psychotherapeut der Bewährungshelferin des Klägers mitgeteilt, dass der Kläger am 9. September 2013 an der 14. psychotherapeutischen Sitzung teilgenommen habe, dass er sich an alle Abmachungen gehalten habe, dass nach seiner Meinung vom Kläger keine Gefahr mehr ausgehe und dass die Psychotherapie abgeschlossen werden könne.

Mit dem erfolgreichen Abschluss der psychotherapeutischen Behandlung besteht aber nicht nur nach Auffassung seines Therapeuten keine Gefahr mehr, dass der Kläger erneut ähnliche Straftaten wie diejenigen begeht, die seiner Verurteilung und Ausweisung zugrunde gelegen haben. Vielmehr sind damit auch die Bedingungen erfüllt, unter denen das Gutachten vom 2. Januar 2010 und ihm folgend die Strafvollstreckungskammer davon ausgegangen sind, dass der Kläger nicht mehr gefährlich ist. Dass nach Abschluss der im Beschluss über die Führungsaufsicht angeordneten Therapie die Gefahr der erneuten Begehung vergleichbarer Straftaten durch den Kläger nicht mehr besteht, steht aber auch zur Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs fest.

Der Senat geht aufgrund des Eindrucks, den der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 hinterlassen hat, davon aus, dass die erfolgreich abgeschlossene Therapie ihrem Zweck entsprechend (vgl. S. 30 des Gutachtens vom 2. Januar 2010) das Verhaltensrepertoire des Klägers in einer Weise verändert und erweitert hat, die es ihm ermöglicht, in Zukunft für Konflikte in Situationen wie derjenigen, die zu der der Verurteilung und Ausweisung zugrunde liegenden Straftat geführt hat, eine gewaltfreie Lösung zu finden. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich bestätigt hat, wurde im Rahmen der Therapie, deren Gegenstand die Gewaltprävention, das persönliche Verhalten des Klägers und seine aktuelle Situation waren, insbesondere auch besprochen, wie er sich in einer Situation wie derjenigen, die zu seiner Straftat geführt hat, verhalten müsste. Dass dies zutrifft und dass der Kläger in der Therapie gelernt und verinnerlicht hat, wie er sich in solchen Situationen gewaltfrei verhalten kann, belegen seine Antworten in der mündlichen Verhandlung.

So hat er erläutert, er wisse nunmehr, dass es zur Vermeidung von derartigen Situationen notwendig sei, bereits vom Kopf her eine andere Einstellung zu haben. Er dürfe sich schon gedanklich auf eine Situation, wie sie seiner Straftat zugrunde gelegen habe, nicht mehr einlassen, sondern müsse alles versuchen, ihr von vornherein aus dem Weg zu gehen. Konkret würde er sich heute in ähnlicher Lage wahrscheinlich umdrehen und weggehen. Auch würde er, selbst wenn er es dürfte, aufgrund seiner geänderten Einstellung kein Messer und auch keine sonstige Waffe mehr mit sich führen. Bei einem Streit innerhalb der Familie, dem er nicht ausweichen könne, rede er heute länger darüber. Auf seine leichte Kränkbarkeit angesprochen hat der Kläger ausgeführt, man könne solche Gefühle nicht völlig ausschließen, wohl aber reduzieren. Wenn jemand heute seine Familie beleidigen würde, würde er zu diesem Zweck daran denken, dass er seiner Familie nicht helfe, wenn er sich über die Kränkung erregen und wie bei seiner damaligen Straftat reagieren würde, weil er dann ja seine Familie erneut allein lasse. Letzteres zeigt darüber hinaus, dass dem Kläger, der inzwischen verheiratet und Vater eines eineinhalb Jahre alten Sohnes ist, seine Familie wichtig ist und er das Familienleben nicht durch die erneute Begehung von Straftaten gefährden will.

Es kommt hinzu, dass der Kläger nach den im Gutachten vom 2. Januar 2010 getroffenen Feststellungen die volle Verantwortung für seine Tat übernommen hat, ohne sie zu bagatellisieren, und dass die lange Haftzeit bei ihm einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat (S. 27 des Gutachtens). Dies hat sich in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 bestätigt, in der der Kläger, der auch im Übrigen offen und bereitwillig Auskunft gegeben hat, nachvollziehbar dargelegt hat, dass ihm in der Haft klargeworden sei, was für einen Fehler er gemacht habe, und dass vor allem die Inhaftierung und das Bewusstsein, dass er „Mist gebaut“ habe, ihn seit der Tat wesentlich geprägt hätten.

Außerdem ist der Senat aufgrund des Eindrucks, den er vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger in den fast neun Jahren seit der seiner Verurteilung und Ausweisung zugrunde liegenden Straftat durch die Haft, die Auseinandersetzung mit seiner Tat, die Teilnahme an der Gewaltpräventionsgruppe in der Haft, die psychotherapeutische Behandlung nach der Entlassung und die Gründung einer eigenen Familie deutlich reifer geworden ist, als er es zum Zeitpunkt der Tat im Jahr 2006 und der Erstellung des neurologisch-psychiatrischen Gutachtens vom 30. Januar 2007 war, das ihm noch eine durch geringe Stresstoleranz und innere Stabilität und durch allgemeine Unsicherheit gekennzeichnete nicht ausgereifte Identitätsbildung bescheinigte (S. 88 des Gutachtens). Da gerade diese Faktoren bei der Tatbegehung eine wesentliche Rolle gespielt haben, hat der mit der Einsicht in die Fehlerhaftigkeit seiner früheren Verhaltensmuster und in ihre negativen Folgen verbundene Reifungsprozess des Klägers die Wahrscheinlichkeit der erneuten Begehung vergleichbarer Straftaten nach Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs aber deutlich verringert.

Darüber hinaus ergeben sich auch aus dem Verhalten des Klägers keine Anhaltspunkte dafür, dass von ihm gegenwärtig tatsächlich noch eine hinreichend schwere Gefahr für das Leben und die Gesundheit anderer ausgeht. Das Verhalten des Klägers in der Haft war mit Ausnahme des Umbaus und der Beschädigung des Spions in der Haftraumtür beanstandungsfrei. Insbesondere war er während der Haftzeit nie in gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt. Nach der Entlassung aus der Strafhaft hat er keine Straftaten mehr begangen. Seit der der Ausweisung zugrunde liegenden Straftat im Juni 2006 sind damit mehr als acht Jahre, seit der Haftentlassung im September 2011 mehr als drei Jahre und seit dem Abschluss der Psychotherapie im September 2013 mehr als ein Jahr vergangen, ohne dass der Kläger erneut straffällig geworden wäre. Nach den vorliegenden Berichten der Bewährungshilfe hat er zudem seit seiner Entlassung alle Termine zuverlässig eingehalten und beanstandungsfrei, offen und kooperativ mit den Bewährungshelferinnen zusammengearbeitet. Nach Abschluss der Psychotherapie wurde der Kläger auf Anregung der Bewährungshelferin vom 12. September 2013 noch im September 2013 aus der Liste der Risikoprobanden der Führungsaufsichtsstelle gestrichen.

Anhaltspunkte für eine beachtliche Wiederholungsgefahr ergeben sich auch nicht aus dem Verhalten des Klägers vor der seiner Verurteilung und Ausweisung zugrunde liegenden Straftat. Der Kläger war nicht vorbestraft. Außer einem nach § 153 Abs. 1 StPO wegen geringer Schuld eingestellten Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort am 15. August 2005 und einem nach § 170 Abs. 2 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellten Ermittlungsverfahren wegen einer leichten Körperverletzung am 17. Mai 2002 haben gegen ihn auch keine strafrechtlichen Ermittlungen stattgefunden. Soweit der Kläger daneben gegenüber dem Sachverständigen, der das psychiatrische Gutachten vom 2. Januar 2010 erstellt hat, angegeben hat, er sei vor der seiner Verurteilung zugrunde liegenden Straftat im Fußballverein oder in der Diskothek schon einmal in Schlägereien verwickelt gewesen, bei denen aber nie jemand ernsthaft verletzt worden sei, haben diese offensichtlich nicht zu Ermittlungsverfahren gegen den Kläger geführt. Im Übrigen reichen nach Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs auch diese etwaigen Körperverletzungen nicht aus, um von einer gegenwärtigen Gefahr der Begehung weiterer Straftaten durch den Kläger auszugehen. Denn abgesehen davon, dass die betreffenden Vorfälle bereits viele Jahre zurückliegen, geht der Senat davon aus, dass sich die Einstellung des Klägers zur Anwendung von Gewalt durch den Eindruck der Haft, durch die Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten im Rahmen der Gewaltpräventionsgruppe in der Justizvollzugsanstalt und der Psychotherapie nach der Entlassung aus der Haft sowie durch seine Heirat und die Geburt seines Sohnes im Vergleich zu der Zeit vor seiner Inhaftierung so gewandelt hat, dass in Zukunft Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit oder gar das Leben von ihm nicht mehr zu erwarten sind. Denn dies entspricht nicht nur der Einschätzung des Gutachtens vom 2. Januar 2010 und des Psychotherapeuten des Klägers, sondern wird, wie dargelegt, auch dadurch bestätigt, dass der Kläger mehr als acht Jahre nach der seiner Verurteilung und Ausweisung zugrunde liegenden Tat, mehr als drei Jahre nach seiner Haftentlassung und mehr als ein Jahr nach Therapieabschluss nicht straffällig geworden und insbesondere nicht wegen eines gewalttätigen Verhaltens aufgefallen ist.

Schließlich ergibt sich etwas anderes auch nicht daraus, dass die mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 24. Juni 2011 für die Dauer von fünf Jahren angeordnete Führungsaufsicht fortbesteht. Die Führungsaufsicht tritt gemäß § 68f Abs. 1 Satz 1 StGB mit der Entlassung des Verurteilten aus dem Strafvollzug kraft Gesetzes ein, wenn wie hier eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen vorsätzlicher Straftaten vollständig vollstreckt worden ist. Etwas anderes gilt nur, wenn nach § 68f Abs. 2 StGB angeordnet wird, dass die Führungsaufsicht entfällt, weil zu erwarten ist, dass der Verurteilte auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird. Davon hat die Strafvollstreckungskammer aber im Hinblick auf das Gutachten vom 2. Januar 2010 abgesehen, nach dem von einer Rückfallgefahr erst nach einer weiteren Psychotherapie nicht mehr ausgegangen werden konnte. Zwar hat die Strafvollstreckungskammer die Dauer der Führungsaufsicht, die nach § 68c Abs. 1 Satz 1 StGB mindestens zwei und höchstens fünf Jahre beträgt, auf fünf Jahre festgesetzt. Es hat dies allerdings nicht näher begründet. Auch hat es zum Zeitpunkt seiner Entscheidung weder berücksichtigen können, dass der Kläger die Psychotherapie, zu der er durch die Vollstreckungskammer angewiesen wurde, erfolgreich abgeschlossen hat noch dass der Kläger die Prognose, dass von ihm nach einer erfolgreichen Therapie die Gefahr weiterer Straftaten nicht mehr ausgeht, seitdem durch straffreies Verhalten bestätigt hat. Unter diesen Umständen ist der Verwaltungsgerichtshof durch die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer aber nicht daran gehindert, wie hier auf der Grundlage der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls und des persönlichen Eindrucks, den er vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, zu der Überzeugung zu gelangen, dass trotz des Fortbestehens der Führungsaufsicht zum Zeitpunkt seiner Entscheidung keine gegenwärtige Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft mehr besteht (vgl. zur fehlenden Bindung der Verwaltungsgerichte an die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer über die Aussetzung des Strafrests zur Bewährung hinsichtlich der Gefahrenprognose BVerwG, U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 23; U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18 ff.).

Ebenso wenig steht der Verneinung einer vom Kläger ausgehenden Wiederholungsgefahr entgegen, dass nach dem psychiatrischen Gutachten vom 2. Januar 2010 statistisch gesehen etwa ein Drittel der verurteilten Gewalttäter innerhalb von drei Jahren erneut verurteilt werden (vgl. S. 23 f. Gutachtens). Abgesehen davon, dass die statistisch hohe Rückfallwahrscheinlichkeit allenfalls ein Gesichtspunkt von vielen ist, die bei der anhand einer Prüfung aller Umstände des Einzelfalls zu erstellenden Gefahrenprognose zu berücksichtigen sind, sprechen die im Gutachten vom 2. Januar 2010 darüber hinaus wiedergegebenen statistischen Erhebungen dafür, dass beim Kläger ein weit geringeres Rückfallrisiko besteht. Denn danach hatten Verurteilte, die während der Haft nicht durch Disziplinarmaßnahmen auffielen, deutlich niedrigere Rezidivraten als die Gesamtheit der Straftäter (S. 24 des Gutachtens). Neben der lediglich einmaligen disziplinarischen Ahndung des Klägers während der gesamten, mehr als fünfjährigen Haft spricht statistisch gesehen das Fehlen von Vorstrafen dafür, dass die Rückfallwahrscheinlichkeit beim Kläger gering ist (vgl. S. 25 des Gutachtens). Im Übrigen ist auch der Sachverständige, der die von ihm referierten statistischen Daten und insbesondere die relativ hohe Rückfallwahrscheinlichkeit bei Gewaltdelikten bei seiner Prognose ausdrücklich berücksichtigt hat (vgl. S. 30 des Gutachtens), zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger nach einer erneuten und inzwischen durchgeführten Therapie nicht mehr gefährlich ist.

bb) Selbst wenn man anders als der Verwaltungsgerichtshof von einer gegenwärtigen Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft ausgeht, war die Ausweisung des Klägers zum für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung jedoch rechtswidrig. Denn sie war zur Wahrung dieses Grundinteresses der Gesellschaft nicht unerlässlich.

Dabei ist im Rahmen der Prüfung der Unerlässlichkeit zu beachten, dass die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein müssen (vgl. EuGH U.v. 8.12.2011 - Ziebell, C-371/08 - juris Rn. 82). Zu berücksichtigen sind dabei sämtliche konkreten Umstände, die für die Situation des Betroffenen kennzeichnend sind (vgl. EuGH a. a. O. Rn. 85), insbesondere die Dauer seines Aufenthalts im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats, sein Alter, die Folgen seiner Ausweisung für ihn und seine Familienangehörigen sowie seine Bindungen zum Aufenthaltsstaat oder fehlende Bindungen zum Herkunftsstaat (Art. 12 Abs. 3 Richtlinie 2003/109/EG; vgl. EuGH a. a. O. Rn. 80). Ebenso sind die für die Wahrung des Grundinteresses der Gesellschaft bedeutsamen Umstände zu berücksichtigen wie die Art und Schwere der Straftat, die seit der Straftat vergangene Zeit und das Verhalten des Klägers in dieser Zeit (vgl. EGMR, U.v. 2.7.2001 - Boultif, Nr. 54273/00 - InfAuslR 2001, 476/478; U.v. 5.7.2005 - Üner, Nr. 46410/99 - DVBl 2006, 688).

Danach war die Ausweisung zur Wahrung des hier betroffenen Grundinteresses der Gesellschaft nach Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs aber nicht unerlässlich. Denn sie verstieß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zwar war sie ohne weiteres zur Wahrung dieses Grundinteresses geeignet und erforderlich, weil etwaige vom Kläger ausgehende Gefahren für das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung in der Bundesrepublik am wirksamsten durch seine Ausweisung abgewendet werden können. Jedoch überwiegt das in seinem Recht auf Privat- und Familienleben wurzelnde Interesse des Klägers, sich weiter im Bundesgebiet aufhalten zu dürfen, das mit der Ausweisung verfolgte öffentliche Interesse an der Wahrung des betreffenden Grundinteresses der Gesellschaft. Die Folgen der Ausweisung für den Kläger stehen deshalb zu dem mit dieser Maßnahme verfolgten Ziel außer Verhältnis.

aaa) Zwar kommt dem mit der Ausweisung verfolgten Ziel, das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung vor weiteren Straftaten des Klägers zu schützen, angesichts des hohen Rangs dieser Rechtsgüter großes Gewicht zu. Dieses Gewicht ist aber dadurch deutlich vermindert, dass die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger erneut Straftaten gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit begeht, sehr gering ist. Denn, wie dargelegt, geht vom Kläger in Anbetracht des nachhaltigen Eindrucks, den die Haft bei ihm hinterlassen hat, der erfolgreich absolvierten Psychotherapie und des damit einhergehenden Einstellungswandels sowie der Tatsache, dass die der Ausweisung zugrunde liegende Straftat bereits acht Jahre zurückliegt und der Kläger weder während seiner mehr als fünfjährigen Haft noch in den mehr als drei Jahren seit seiner Entlassung aus dem Strafvollzug erneut durch Körperverletzungs-, Tötungs- oder andere Gewaltdelikte in Erscheinung getreten ist, allenfalls noch eine entfernte Gefahr der Begehung solcher Straftaten aus.

bbb) Demgegenüber beeinträchtigt die Ausweisung des in Deutschland geborenen und seit mehr als 31 Jahren hier lebenden Klägers neben seinem Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 GG sein Recht auf Privatleben nach Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 7 EU-GR-Charta ebenso wie sein Recht auf Familienleben nach Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 7 EU-GR-Charta sowie sein Grundrecht auf Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG und sein Recht auf Pflege und Erziehung seines Kindes nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG.

Der Entzug des Aufenthaltsrechts nach Art. 7 ARB 1/80 und die damit verbundene Beeinträchtigung des Rechts des Klägers auf Privatleben wiegen dabei schwer. Der Kläger ist faktischer Inländer. Er ist in Deutschland geboren und hat 31 Jahre hier gelebt. Er hat die Schule mit dem Qualifizierenden Hauptschulabschluss beendet und eine Lehre zum Maschinenbaumechaniker erfolgreich abgeschlossen. Der Schwerpunkt seiner sozialen Kontakte liegt im Bundesgebiet. Seine Ehefrau und sein Sohn sowie seine Geschwister und ein großer Teil seiner Verwandten leben in Deutschland. Wie die umfangreiche Besucherliste der Justizvollzugsanstalt belegt, hat der Kläger darüber hinaus in der Bundesrepublik eine Reihe von Freunden und Bekannten. Zwar hat der Kläger auch Bindungen zu seinem Herkunftsland Türkei. Er ist in einer türkischen Familie aufgewachsen, spricht Türkisch und hat in der Grundschule eine türkische Klasse besucht, in der manche Fächer auch in türkischer Sprache unterrichtet wurden. Außerdem sind seine Eltern im Oktober 2014 in die Türkei zurückgekehrt, so dass er im Falle seiner Ausreise oder Abschiebung dorthin nicht auf sich allein gestellt wäre. Auch wenn man davon ausgeht, dass der Kläger sich unter diesen Umständen in der Türkei wohl eine neue Existenz aufbauen könnte, ändert dies jedoch nichts daran, dass seine Ausweisung und die damit verbundene Beeinträchtigung seines Rechts auf Privatleben für den in der Bundesrepublik geborenen und hier seit seiner Geburt lebenden und verwurzelten Kläger insbesondere im Hinblick auf seine familiären Beziehungen schwer wiegt und seinem Interesse, sich weiter im Bundesgebiet aufhalten zu dürfen, daher erhebliches Gewicht beizumessen ist.

Da die Ehefrau und der eineinhalbjährige Sohn des Klägers, die beide deutsche Staatsangehörige sind, in der Bundesrepublik leben, berührt seine Ausweisung nicht nur das Recht auf Privatleben, sondern stellt auch eine besonders schwerwiegende Beeinträchtigung seines Rechts auf Familienleben (Art. 8 Abs. 1 EMRK, Art. 7 EU-GR-Charta) sowie des Rechts auf Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) und des Rechts auf Pflege und Erziehung seines Sohnes (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) dar. Zwar ist dabei zu berücksichtigen, dass die im Februar 2013 geschlossene Ehe des Klägers zu einem Zeitpunkt eingegangen worden ist, zu dem der Ehefrau des Klägers die der Ausweisung zugrunde liegende Straftat und die Ausweisung selbst bereits bekannt waren (vgl. EGMR, U.v. 2.7.2001 - Boultif, Nr. 54273/00 - InfAuslR 2001, 476/478; U.v. 5.7.2005 - Üner, Nr. 46410/99 - DVBl 2006, 688; U.v. 28.6.2011 - Nunez, Nr. 55597/09 - HUDOC Rn. 70), und dass dem Recht auf Privatleben und dem Schutz der Ehe in solchen Fällen ein vermindertes Gewicht beizumessen sein kann. Jedoch kommt andererseits dem Schutz der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) und dem Recht auf Pflege und Erziehung seines Sohnes, das im Interesse des Kindes mit einer entsprechenden Pflicht einhergeht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG), große Bedeutung zu.

Die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm gebietet es, bei Entscheidungen über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, B.v. 8.12.2005 - 2 BvR 1001/04 - juris Rn. 17; U.v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 - juris Rn. 16; B.v. 1.12.2008 - 2 BvR 1830/08 - juris Rn. 26; B.v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 - juris Rn. 12). Dabei ist maßgeblich auf die Sicht des Kindes abzustellen (BVerfG, B.v. 8.12.2005 - 2 BvR 1001/04 - juris Rn. 25; B.v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 - juris Rn. 18; B.v. 1.12.2008 - 2 BvR 1830/08 - juris Rn. 31; B.v 25.6.2013 - 2 BvR 586/13 - juris Rn. 14). Kann die familiäre Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind nur in der Bundesrepublik gelebt werden, weil weder dem Kind noch seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik zumutbar ist, etwa weil das Kind deutscher Staatsangehöriger ist und ihm wegen der Beziehungen zu seiner Mutter eine Ausreise aus Deutschland nicht zugemutet werden kann, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange in der Regel zurück (vgl. BVerfG, B.v. 8.12.2005 - 2 BvR 1001/04 - juris Rn. 19; B.v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 - juris Rn. 17; B.v. 1.12.2008 - 2 BvR 1830/08 - juris Rn. 27; B.v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 - juris Rn. 13). Auch eine vorübergehende Trennung kann sich als unzumutbar darstellen. Ein hohes, gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht haben die Folgen einer vorübergehenden Trennung insbesondere dann, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt (vgl. BVerfG, B.v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 - juris Rn. 22; B.v. 1.12.2008 - 2 BvR 1830/08 - juris Rn. 33; B.v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 - juris Rn. 14).

Nach diesen Maßgaben stellt sich die Ausweisung aber ungeachtet der Beziehungen des Klägers zur Türkei und der Eheschließung in Kenntnis seines unsicheren Aufenthaltsstatus als schwerwiegende Beeinträchtigung seines Interesses dar, sich weiter in der Bundesrepublik aufzuhalten. Denn die mit der Ausweisung verbundene Beeinträchtigung des Rechts auf Familienleben (Art. 8 Abs. 1 EMRK, Art. 7 EU-GR-Charta), des Rechts auf den Schutz der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) und auf Pflege und Erziehung seines Sohnes (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) wiegen danach schwer.

Zwischen dem Kläger und seinem Sohn besteht seit dessen Geburt eine familiäre Lebensgemeinschaft. Der Kläger und seine Ehefrau leben zusammen mit ihrem Sohn in einer gemeinsamen Wohnung. Die familiäre Lebensgemeinschaft kann auch nur in der Bundesrepublik aufrechterhalten werden, weil sowohl die Ehefrau des Klägers als auch sein Sohn deutsche Staatsangehörige sind, denen es nicht zumutbar ist, die Bundesrepublik zu verlassen. Schließlich wäre von der Ausweisung und der damit verbundenen Trennung des eineinhalbjährigen Sohnes von seinem Vater ein sehr kleines Kind betroffen, das den Charakter einer räumlichen Trennung nicht begreifen könnte und diese daher als endgültigen Verlust des Vaters erfahren würde. Die Folgen einer Trennung des Klägers von seinem Sohn auch nur für die Dauer des nach dem Änderungsbescheid vom 27. Januar 2015 auf drei Jahre befristeten Wiedereinreiseverbots haben daher großes Gewicht, zumal nach Art. 24 Abs. 2 EU-GR-Charta das Wohl des Kindes bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen eine vorrangige Erwägung sein muss.

ccc) Ist damit einerseits das Interesse des Klägers, sich weiter im Bundesgebiet aufzuhalten, durch die Ausweisung schwerwiegend beeinträchtigt und kommt andererseits dem Grundinteresse der Gesellschaft, das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen, angesichts der nur noch geringen Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger erneut ein Tötungs-, Körperverletzungs- oder anderes Gewaltdelikt begehen wird, nur geringes Gewicht zu, so überwiegt das private Interesse des Klägers, in der Bundesrepublik zu bleiben. Die Ausweisung erweist sich als unverhältnismäßig und ist damit auch nicht zur Wahrung des betroffenen Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich.

2. Die daraus resultierende Rechtswidrigkeit der Ausweisung hat zur Folge, dass auch die Befristung des Wiedereinreiseverbots auf die Dauer von drei Jahren und die Abschiebungsandrohung rechtswidrig sind, den Kläger in seinen Rechten verletzen und daher aufzuheben sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

a) Die Voraussetzungen für eine Befristung des Wiedereinreiseverbots nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen nicht vor. Denn gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG, nach dem die Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG befristet werden, setzt eine solche Befristung voraus, dass der Kläger ausgewiesen worden ist und deshalb nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen darf. Da die Ausweisung des Klägers jedoch rechtswidrig und daher aufzuheben ist, ist dies hier nicht der Fall.

b) Die Abschiebungsandrohung ist rechtswidrig, weil die Androhung der Abschiebung nach § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG das Bestehen einer Ausreisepflicht voraussetzt, der Kläger jedoch nicht ausreisepflichtig ist. Zur Ausreise ist ein Ausländer nach § 50 Abs. 1 AufenthG verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss EWG-Türkei nicht oder nicht mehr besteht. Diese Voraussetzungen sind hier aber nicht erfüllt. Weder ist die nach § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgeltende unbefristete Aufenthaltserlaubnis des Klägers nach § 51 Abs. 1 Halbsatz 1 Nr. 5 AufenthG durch die Ausweisung erloschen noch hat er ihretwegen gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 sein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 verloren. Denn die Ausweisung ist, wie dargelegt, rechtswidrig und damit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 Abs. 2 und § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 709 Satz 2 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.

(2) Die Beschwerde ist bei dem Gericht, gegen dessen Urteil Revision eingelegt werden soll, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils einzulegen. Die Beschwerde muß das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist bei dem Gericht, gegen dessen Urteil Revision eingelegt werden soll, einzureichen. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(4) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Wird der Beschwerde nicht abgeholfen, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Beschluß. Der Beschluß soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(6) Liegen die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundesverwaltungsgericht in dem Beschluß das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

(1) Die Beteiligten können vor dem Verwaltungsgericht den Rechtsstreit selbst führen.

(2) Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Darüber hinaus sind als Bevollmächtigte vor dem Verwaltungsgericht vertretungsbefugt nur

1.
Beschäftigte des Beteiligten oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes); Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen,
2.
volljährige Familienangehörige (§ 15 der Abgabenordnung, § 11 des Lebenspartnerschaftsgesetzes), Personen mit Befähigung zum Richteramt und Streitgenossen, wenn die Vertretung nicht im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit steht,
3.
Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer, Personen und Vereinigungen im Sinne der §§ 3a und 3c des Steuerberatungsgesetzes im Rahmen ihrer Befugnisse nach § 3a des Steuerberatungsgesetzes, zu beschränkter geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen nach den §§ 3d und 3e des Steuerberatungsgesetzes berechtigte Personen im Rahmen dieser Befugnisse sowie Gesellschaften im Sinne des § 3 Satz 1 Nummer 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch Personen im Sinne des § 3 Satz 2 des Steuerberatungsgesetzes handeln, in Abgabenangelegenheiten,
3a.
Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer, Personen und Vereinigungen im Sinne der §§ 3a und 3c des Steuerberatungsgesetzes im Rahmen ihrer Befugnisse nach § 3a des Steuerberatungsgesetzes, zu beschränkter geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen nach den §§ 3d und 3e des Steuerberatungsgesetzes berechtigte Personen im Rahmen dieser Befugnisse sowie Gesellschaften im Sinne des § 3 Satz 1 Nummer 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch Personen im Sinne des § 3 Satz 2 des Steuerberatungsgesetzes handeln, in Angelegenheiten finanzieller Hilfeleistungen im Rahmen staatlicher Hilfsprogramme zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie, wenn und soweit diese Hilfsprogramme eine Einbeziehung der Genannten als prüfende Dritte vorsehen,
4.
berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft für ihre Mitglieder,
5.
Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
6.
Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten, für ihre Mitglieder in Angelegenheiten der Kriegsopferfürsorge und des Schwerbehindertenrechts sowie der damit im Zusammenhang stehenden Angelegenheiten,
7.
juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in den Nummern 5 und 6 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Bevollmächtigte, die keine natürlichen Personen sind, handeln durch ihre Organe und mit der Prozessvertretung beauftragten Vertreter.

(3) Das Gericht weist Bevollmächtigte, die nicht nach Maßgabe des Absatzes 2 vertretungsbefugt sind, durch unanfechtbaren Beschluss zurück. Prozesshandlungen eines nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigten und Zustellungen oder Mitteilungen an diesen Bevollmächtigten sind bis zu seiner Zurückweisung wirksam. Das Gericht kann den in Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 bezeichneten Bevollmächtigten durch unanfechtbaren Beschluss die weitere Vertretung untersagen, wenn sie nicht in der Lage sind, das Sach- und Streitverhältnis sachgerecht darzustellen.

(4) Vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht oder einem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind nur die in Absatz 2 Satz 1 bezeichneten Personen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Vor dem Bundesverwaltungsgericht sind auch die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 5 bezeichneten Organisationen einschließlich der von ihnen gebildeten juristischen Personen gemäß Absatz 2 Satz 2 Nr. 7 als Bevollmächtigte zugelassen, jedoch nur in Angelegenheiten, die Rechtsverhältnisse im Sinne des § 52 Nr. 4 betreffen, in Personalvertretungsangelegenheiten und in Angelegenheiten, die in einem Zusammenhang mit einem gegenwärtigen oder früheren Arbeitsverhältnis von Arbeitnehmern im Sinne des § 5 des Arbeitsgerichtsgesetzes stehen, einschließlich Prüfungsangelegenheiten. Die in Satz 5 genannten Bevollmächtigten müssen durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln. Vor dem Oberverwaltungsgericht sind auch die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 bezeichneten Personen und Organisationen als Bevollmächtigte zugelassen. Ein Beteiligter, der nach Maßgabe der Sätze 3, 5 und 7 zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten.

(5) Richter dürfen nicht als Bevollmächtigte vor dem Gericht auftreten, dem sie angehören. Ehrenamtliche Richter dürfen, außer in den Fällen des Absatzes 2 Satz 2 Nr. 1, nicht vor einem Spruchkörper auftreten, dem sie angehören. Absatz 3 Satz 1 und 2 gilt entsprechend.

(6) Die Vollmacht ist schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen. Sie kann nachgereicht werden; hierfür kann das Gericht eine Frist bestimmen. Der Mangel der Vollmacht kann in jeder Lage des Verfahrens geltend gemacht werden. Das Gericht hat den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, sind die Zustellungen oder Mitteilungen des Gerichts an ihn zu richten.

(7) In der Verhandlung können die Beteiligten mit Beiständen erscheinen. Beistand kann sein, wer in Verfahren, in denen die Beteiligten den Rechtsstreit selbst führen können, als Bevollmächtigter zur Vertretung in der Verhandlung befugt ist. Das Gericht kann andere Personen als Beistand zulassen, wenn dies sachdienlich ist und hierfür nach den Umständen des Einzelfalls ein Bedürfnis besteht. Absatz 3 Satz 1 und 3 und Absatz 5 gelten entsprechend. Das von dem Beistand Vorgetragene gilt als von dem Beteiligten vorgebracht, soweit es nicht von diesem sofort widerrufen oder berichtigt wird.

(1) Kammerrechtsbeistände stehen in den nachfolgenden Vorschriften einem Rechtsanwalt gleich:

1.
§ 79 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2 Satz 1, § 88 Absatz 2, § 121 Absatz 2 bis 4, § 122 Absatz 1, den §§ 126, 130d und 133 Absatz 2, den §§ 135, 157 und 169 Absatz 2, den §§ 174, 195 und 317 Absatz 5 Satz 2, § 348 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 Buchstabe d, § 397 Absatz 2 und § 702 Absatz 2 Satz 2 der Zivilprozessordnung,
2.
§ 10 Absatz 2 Satz 1, § 11 Satz 4, § 13 Absatz 4, den §§ 14b und 78 Absatz 2 bis 4 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit,
3.
§ 11 Absatz 2 Satz 1 und § 46g des Arbeitsgerichtsgesetzes,
4.
den §§ 65d und 73 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 6 Satz 5 des Sozialgerichtsgesetzes, wenn nicht die Erlaubnis das Sozial- und Sozialversicherungsrecht ausschließt,
5.
den §§ 55d und 67 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 6 Satz 4 der Verwaltungsgerichtsordnung,
6.
den §§ 52d und 62 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 6 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung, wenn die Erlaubnis die geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen umfasst.

(2) Registrierte Erlaubnisinhaber stehen im Sinn von § 79 Abs. 2 Satz 1 der Zivilprozessordnung, § 10 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, § 11 Abs. 2 Satz 1 des Arbeitsgerichtsgesetzes, § 73 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes, § 67 Abs. 2 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung und § 62 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung einem Rechtsanwalt gleich, soweit ihnen die gerichtliche Vertretung oder das Auftreten in der Verhandlung

1.
nach dem Umfang ihrer bisherigen Erlaubnis,
2.
als Prozessagent durch Anordnung der Justizverwaltung nach § 157 Abs. 3 der Zivilprozessordnung in der bis zum 30. Juni 2008 geltenden Fassung,
3.
durch eine für die Erteilung der Erlaubnis zum mündlichen Verhandeln vor den Sozialgerichten zuständige Stelle,
4.
nach § 67 der Verwaltungsgerichtsordnung in der bis zum 30. Juni 2008 geltenden Fassung oder
5.
nach § 13 des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in der bis zum 30. Juni 2008 geltenden Fassung
gestattet war. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 bis 3 ist der Umfang der Befugnis zu registrieren und im Rechtsdienstleistungsregister bekanntzumachen.

(3) Das Gericht weist registrierte Erlaubnisinhaber, soweit sie nicht nach Maßgabe des Absatzes 2 zur gerichtlichen Vertretung oder zum Auftreten in der Verhandlung befugt sind, durch unanfechtbaren Beschluss zurück. Prozesshandlungen eines nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigten und Zustellungen oder Mitteilungen an diesen Bevollmächtigten sind bis zu seiner Zurückweisung wirksam. Das Gericht kann registrierten Erlaubnisinhabern durch unanfechtbaren Beschluss die weitere Vertretung oder das weitere Auftreten in der Verhandlung untersagen, wenn sie nicht in der Lage sind, das Sach- und Streitverhältnis sachgerecht darzustellen.§ 335 Abs. 1 Nr. 5 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.

(1) Die Beteiligten können vor dem Verwaltungsgericht den Rechtsstreit selbst führen.

(2) Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Darüber hinaus sind als Bevollmächtigte vor dem Verwaltungsgericht vertretungsbefugt nur

1.
Beschäftigte des Beteiligten oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes); Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen,
2.
volljährige Familienangehörige (§ 15 der Abgabenordnung, § 11 des Lebenspartnerschaftsgesetzes), Personen mit Befähigung zum Richteramt und Streitgenossen, wenn die Vertretung nicht im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit steht,
3.
Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer, Personen und Vereinigungen im Sinne der §§ 3a und 3c des Steuerberatungsgesetzes im Rahmen ihrer Befugnisse nach § 3a des Steuerberatungsgesetzes, zu beschränkter geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen nach den §§ 3d und 3e des Steuerberatungsgesetzes berechtigte Personen im Rahmen dieser Befugnisse sowie Gesellschaften im Sinne des § 3 Satz 1 Nummer 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch Personen im Sinne des § 3 Satz 2 des Steuerberatungsgesetzes handeln, in Abgabenangelegenheiten,
3a.
Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer, Personen und Vereinigungen im Sinne der §§ 3a und 3c des Steuerberatungsgesetzes im Rahmen ihrer Befugnisse nach § 3a des Steuerberatungsgesetzes, zu beschränkter geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen nach den §§ 3d und 3e des Steuerberatungsgesetzes berechtigte Personen im Rahmen dieser Befugnisse sowie Gesellschaften im Sinne des § 3 Satz 1 Nummer 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch Personen im Sinne des § 3 Satz 2 des Steuerberatungsgesetzes handeln, in Angelegenheiten finanzieller Hilfeleistungen im Rahmen staatlicher Hilfsprogramme zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie, wenn und soweit diese Hilfsprogramme eine Einbeziehung der Genannten als prüfende Dritte vorsehen,
4.
berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft für ihre Mitglieder,
5.
Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
6.
Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten, für ihre Mitglieder in Angelegenheiten der Kriegsopferfürsorge und des Schwerbehindertenrechts sowie der damit im Zusammenhang stehenden Angelegenheiten,
7.
juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in den Nummern 5 und 6 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Bevollmächtigte, die keine natürlichen Personen sind, handeln durch ihre Organe und mit der Prozessvertretung beauftragten Vertreter.

(3) Das Gericht weist Bevollmächtigte, die nicht nach Maßgabe des Absatzes 2 vertretungsbefugt sind, durch unanfechtbaren Beschluss zurück. Prozesshandlungen eines nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigten und Zustellungen oder Mitteilungen an diesen Bevollmächtigten sind bis zu seiner Zurückweisung wirksam. Das Gericht kann den in Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 bezeichneten Bevollmächtigten durch unanfechtbaren Beschluss die weitere Vertretung untersagen, wenn sie nicht in der Lage sind, das Sach- und Streitverhältnis sachgerecht darzustellen.

(4) Vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht oder einem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind nur die in Absatz 2 Satz 1 bezeichneten Personen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Vor dem Bundesverwaltungsgericht sind auch die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 5 bezeichneten Organisationen einschließlich der von ihnen gebildeten juristischen Personen gemäß Absatz 2 Satz 2 Nr. 7 als Bevollmächtigte zugelassen, jedoch nur in Angelegenheiten, die Rechtsverhältnisse im Sinne des § 52 Nr. 4 betreffen, in Personalvertretungsangelegenheiten und in Angelegenheiten, die in einem Zusammenhang mit einem gegenwärtigen oder früheren Arbeitsverhältnis von Arbeitnehmern im Sinne des § 5 des Arbeitsgerichtsgesetzes stehen, einschließlich Prüfungsangelegenheiten. Die in Satz 5 genannten Bevollmächtigten müssen durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln. Vor dem Oberverwaltungsgericht sind auch die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 bezeichneten Personen und Organisationen als Bevollmächtigte zugelassen. Ein Beteiligter, der nach Maßgabe der Sätze 3, 5 und 7 zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten.

(5) Richter dürfen nicht als Bevollmächtigte vor dem Gericht auftreten, dem sie angehören. Ehrenamtliche Richter dürfen, außer in den Fällen des Absatzes 2 Satz 2 Nr. 1, nicht vor einem Spruchkörper auftreten, dem sie angehören. Absatz 3 Satz 1 und 2 gilt entsprechend.

(6) Die Vollmacht ist schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen. Sie kann nachgereicht werden; hierfür kann das Gericht eine Frist bestimmen. Der Mangel der Vollmacht kann in jeder Lage des Verfahrens geltend gemacht werden. Das Gericht hat den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, sind die Zustellungen oder Mitteilungen des Gerichts an ihn zu richten.

(7) In der Verhandlung können die Beteiligten mit Beiständen erscheinen. Beistand kann sein, wer in Verfahren, in denen die Beteiligten den Rechtsstreit selbst führen können, als Bevollmächtigter zur Vertretung in der Verhandlung befugt ist. Das Gericht kann andere Personen als Beistand zulassen, wenn dies sachdienlich ist und hierfür nach den Umständen des Einzelfalls ein Bedürfnis besteht. Absatz 3 Satz 1 und 3 und Absatz 5 gelten entsprechend. Das von dem Beistand Vorgetragene gilt als von dem Beteiligten vorgebracht, soweit es nicht von diesem sofort widerrufen oder berichtigt wird.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.

(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.

(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.

(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.