Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 23. Jan. 2018 - 20 B 16.50073

bei uns veröffentlicht am23.01.2018
vorgehend
Verwaltungsgericht Bayreuth, B 3 K 15.50276, 18.03.2016

Gericht

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 18. März 2016 wird aufgehoben. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 21. Oktober 2015 wird in den Ziffern 1. und 2. aufgehoben.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Der Beschluss ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrags als unzulässig und die Anordnung seiner Abschiebung nach Ungarn.

Der Kläger ist ein am … … 1992 geborener irakischer Staatsangehöriger yezidischer Glaubenszugehörigkeit. Er reiste eigenen Angaben zufolge am 5. April 2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 6. Mai 2015 einen Asylantrag. Bei der Befragung zur Vorbereitung der Anhörung am 6. Mai 2015 gab er im Wesentlichen an, aus Al-Kosh, Dorf Schekhke zu stammen, sein Heimatland am 22. März 2015 verlassen und am 5. April 2015 in Deutschland eingereist zu sein. Im Heimatland hielten sich noch seine Ehefrau, zwei Töchter und seine Großfamilie auf. Er habe die Grundschule besucht und dann als Hilfskraft gearbeitet. Bei dem persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats am 11. Juni 2015 gab er an, zwei in Deutschland lebende Cousinen zu haben. Er habe am 22. oder 23. März 2015 im Irak seine Reise angetreten. Von dort sei er mit dem Bus in die Türkei gefahren. Nach einem Tag dort sei er mit Lkw und Pkw nach Deutschland gebracht worden. Am 4. April 2015 sei er in Deutschland eingereist. Er glaube, schon einmal in Ungarn und Bulgarien gewesen zu sein. Er sei dort jeweils festgenommen und erkennungsdienstlich behandelt worden. In Bulgarien sei er drei oder vier Tage gewesen. Er wisse nicht genau, wann er in diesen Staaten gewesen sei, glaube aber, dass es Mitte bis Ende März 2015 gewesen sei.

Aufgrund eines EURODAC-Treffers der Kategorie 1 für Bulgarien richtete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Schreiben vom 11. Juni 2015 ein Übernahmeersuchen an Bulgarien. Auf diese Anfrage lehnte Bulgarien eine Rückübernahme des Klägers ab, weil die Überstellungsfrist gemäß Art. 23 Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin-III-VO) bereits abgelaufen sei. EURODAC-Treffer der Kategorie 1 und 2 ergaben sich auch hinsichtlich Ungarns. Aufgrund dessen richtete das Bundesamt mit Schreiben vom 8. Juli 2015 ein Übernahmeersuchen an Ungarn. Ungarn erklärte sich hierzu nicht.

Mit Bescheid vom 21. Oktober 2015 lehnte die Beklagte den Antrag als unzulässig ab (Ziffer 1) und ordnete die Abschiebung nach Ungarn an (Ziffer 2). Außerdem befristete sie das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 0 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 3).

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 27. Oktober 2015 Klage. Das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth ordnete mit Beschluss vom 28. Oktober 2015 wegen der unklaren Lage in Ungarn die aufschiebende Wirkung der Klage an (B 3 S 15.50275).

Mit Urteil vom 18. März 2016 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. In der Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht davon auszugehen sei, dass das ungarische Asylsystem an systemischen Mängeln leide, aufgrund derer die dorthin zu überstellenden Asylsuchenden einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 Gr-Charta bzw. des Art. 3 EMRK ausgesetzt würden. Weder bestünden systemische Mängel bezüglich des Asylverfahrens noch bezüglich der Aufnahmebedingungen in Ungarn.

Auf den fristgerecht gestellten Antrag auf Zulassung der Berufung des Klägers wurde die Berufung vom Senat mit Beschluss vom 22. November 2016 wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) zugelassen.

Zur Begründung der Berufung führt der Kläger aus, dass in Ungarn von systemischen Mängeln auszugehen sei. Auf das Urteil des Baden-Württembergischen VGH vom 5. Juli 2016 (Az.: A 11 S 974/16 – juris) werde Bezug genommen. Darüber hinaus akzeptiere Ungarn spätestens seit dem 14. Juni 2016 und in Zukunft keine Überstellungen von Deutschland aus im Rahmen der Dublin-III-VO mehr. Insoweit werde verwiesen auf die E-Mail der ungarischen Dublin-Unit vom 14. Juni 2016 sowie das Schreiben des Baden-Württembergischen VGH vom 25. Juli 2016 an das Bundesamt, die in Kopie beigefügt waren.

Der Kläger beantragt,

1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 18. März 2016 und der Bescheid der Beklagten vom 21. Oktober 2015 werden in Ziffern 1 und 2 aufgehoben.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.

Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt. Sie trägt vor, dass der von der Klägerseite herangezogenen Mailnachricht nicht die dort gewünschte Aussagebedeutung zukomme. Dies belege bereits, dass nicht nur für Juli und August 2016, sondern ebenso für die Folgemonate und auch aktuell unverändert Überstellungen nach Ungarn erfolgten. Im Jahr 2016 habe Ungarn insgesamt 3.756 Zustimmungen zu Übernahmeersuchen erteilt und es seien 294 Überstellungen erfolgt. Allein im Dezember 2016 seien bei 98 Zustimmungen 14 Personen überstellt worden. Dies zeige, dass im Rahmen des Dublinverfahrens weiter Überstellungen nach Ungarn durchgeführt werden könnten und würden. Deutschland überstelle auch 2017 weiterhin Personen nach Ungarn und Ungarn akzeptiere die durchgeführten Überstellungen. Die Quote an Überstellungen nach Ungarn in Relation zu den von dort eingegangenen Zustimmungen liege jahresbezogen für 2016 bei ca. 8%, für Dezember 2016 sogar bei 16%. Es zeigten sich auch keine Gründe dafür, dass in tatsächlicher Hinsicht der Überstellungsvollzug auszuscheiden hätte oder die Beklagte zur Ausübung des sogenannten Selbsteintrittsrechts verpflichtet sein könnte. Vorliegend sei auch die Überstellungsfrist noch nicht verstrichen. In dieser Konstellation müsse sich jeder Antragsteller darauf verweisen lassen, dass die Dublin-Verordnung im Zusammenhang mit der Überstellungsfrist ein klares Zuständigkeitsreglement vorsehe, das allein an das tatsächliche Verstreichen der Frist zur Überstellung einen Zuständigkeitsübergang knüpfe. Aus welchen Gründen es zu einem Verstreichen der Überstellungsfrist komme, spiele keine Rolle. Es lägen auch keine Gründe vor, die einen Übergang der Zuständigkeit nach den Kapiteln III ff. der Dublin-III-VO ergeben würde. Insbesondere sei die Beklagte weiterhin der Ansicht, dass sich im ungarischen Asylsystem und den dortigen Aufnahmebedingungen keine systemischen Schwachstellen zeigten. Insoweit werde in Ergänzung der bisherigen Ausführungen auf die überzeugenden Feststellungen des VG Berlin im Urteil vom 13. Dezember 2016 (3 K 509.15 A – juris) Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 6. September 2017 teilte die Beklagte auf Anfrage des Senats nach einer unstreitigen Beilegung des Rechtsstreits mit, dass dies nach der aktuell geltenden Weisungslage davon abhängig sei, ob Ungarn eine Zusicherung dahin abgebe, dass die zu überstellende Person entsprechend den Normen der Richtlinie 2013/33/EU untergebracht und ihr Antrag nach Maßgabe der Richtlinie 2013/32/EU bearbeitet werde. Eine solche Anfrage habe erst an diesem Tag in die Wege geleitet werden können.

Auf Nachfrage des Senats teilte die Beklagte mit Schriftsatz vom 28. September 2017 mit, dass keine belastbaren Erkenntnisse dazu vorlägen, bis wann mit einer Antwort der ungarischen Behörden auf entsprechende Anfrage nach einer Zusicherung zur Behandlung der zu überstellenden Person gemäß der Richtlinie 2013/33/EU zu rechnen sei.

Mit Schreiben vom 2. November 2017 hörte der Senat die Beteiligten zu einer Entscheidung nach § 130a VwGO an.

Die Beklagte teilte hierzu mit, dass noch keine Antwort der ungarischen Partnerbehörden auf die Bitte um Zusicherung einer Behandlung des Antragstellers entsprechend der Richtlinie 2013/33/EU erfolgt sei. Daher sei weiterhin keine Möglichkeit vorhanden, dem Klagebegehren abzuhelfen.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die Akten des Bundesamts sowie die Akten des Verwaltungsgerichts Bezug genommen.

II.

Der Senat entscheidet über die Berufung nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss, weil er sie einstimmig für begründet hält und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist, § 130a VwGO.

Die Berufung des Klägers ist zulässig und begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 18. März 2016 ist daher ebenso aufzuheben wie der Bescheid des Bundesamts vom 21. Oktober 2015 im beantragten Umfang.

Die Klage richtet sich gegen den Bescheid des Bundesamts vom 21. Oktober 2015, soweit damit der Asylantrag des Klägers als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1) und seine Abschiebung nach Ungarn angeordnet (Ziffer 2) wurde. Statthafte Klageart dagegen ist die Anfechtungsklage (BVerwG, U.v. 27.10.2015 – 1 C 32.14 – BVerwGE 153, 162, 1. Leitsatz und Rn. 13 – 15). Hinsichtlich der Ziffer 3 (Befristung des Verbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG) wurde der Bescheid nicht angefochten, so dass insoweit Bestandskraft eingetreten ist.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist nach § 77 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. AsylG der Zeitpunkt der Entscheidung des Senats.

Die Ablehnung des Asylantrags des Klägers als unzulässig ist rechtswidrig, da die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG nicht gegeben sind. Zwar ist Ungarn der an sich für die Prüfung des Asylbegehrens des Klägers zuständige Mitgliedsstaat (hierzu 1.), allerdings besteht eine Pflicht der Bundesrepublik Deutschland zum Selbsteintritt, da der Kläger bei einer Rücküberstellung nach Ungarn einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 ERMK, Art. 4 GR-Charta ausgesetzt wäre (hierzu 2.).

1. Der zuständige Mitgliedsstaat für die Prüfung des Asylbegehrens des Klägers bestimmt sich vorliegend nach der Dublin-III-VO, die nach deren Art. 48 und 49 am 1. Januar 2014 in Kraft getreten ist und für alle seitdem gestellten Asylanträge gilt. Der Kläger stellte seinen Asylantrag nach diesem Zeitpunkt und zwar am 6. Mai 2015.

Das Bundesamt hat sein Übernahmeersuchen rechtzeitig an Ungarn gestellt und ist daher nicht nach Art. 21 Abs. 1, UA 3 der Dublin-III-VO zuständig geworden.

Die Frist des Art. 21 Abs. 1 UA 2 Dublin-III-VO wurde vom Bundesamt eingehalten. Diese Frist beträgt zwei Monate ab der EURODAC-Treffermeldung. Im vorliegenden Fall wurden die EURODAC-Treffer am 8. Mai 2015 ausgelesen. Die zweimonatige Frist begann damit nach § 31 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 187 ff. BGB am 9. Mai 2015, 0:00 Uhr zu laufen und endete am 8. Juli 2015, 24:00 Uhr. Das ausweislich der Bundesamtsakte am 8. Juli 2015 an Ungarn gestellte Übernahmeersuchen wurde damit fristgerecht gestellt.

Daneben ist aber auch die dreimonatige Frist des Art. 21 Abs. 1 UA 1 Dublin-III-VO eingehalten worden. Was unter einem „Antrag auf internationalen Schutz“ im Sinne dieser Bestimmung zu verstehen ist, regelt Art. 20 Abs. 2 der Dublin-III-VO und wurde vom Europäischen Gerichtshof in dessen Urteil vom 26. Juli 2017 (C-670/16 – NVwZ 2017, 1601 ff.) konkretisiert. Danach reicht als Antrag auf internationalen Schutz ein Schriftstück, das von einer Behörde ausgestellt ist und bescheinigt, dass ein Nicht-EU-Staatsangehöriger um internationalen Schutz ersucht hat. Im vorliegenden Fall wurde dem Kläger nach seiner Einreise nach Deutschland am 5. April 2015 von der Regierung von Oberbayern eine sogenannte „Bescheinigung über die Meldung als Asylbewerber – BÜMA“ ausgestellt und diese ging ausweislich des Eingangsstempels am 13. April 2015 bei der Außenstelle Zirndorf des Bundesamts ein (Blatt 23 der Bundesamts-Akte). Ausgehend von diesem Datum ist die dreimonatige Frist des Art. 21 Abs. 1 UA 1 Dublin-III-VO gewahrt.

Gegen eine Zuständigkeit Ungarns spricht auch nicht, dass der Kläger zunächst in Bulgarien einen Antrag auf Asyl gestellt hatte. Denn ausweislich der (undatierten) Antwort der bulgarischen Dublin-Einheit auf das zunächst an Bulgarien gestellte Übernahmeersuchen des Bundesamts vom 11. Juni 2015 (Bl. 76 der Bundesamts-Akte) hatte der Kläger nach seiner Asylantragstellung in Bulgarien am 18. März 2015 am 1. April 2015 in Ungarn einen Asylantrag gestellt. Ungarn hatte aber nicht innerhalb der zweimonatigen Frist des Art. 23 Abs. 2 Dublin-III-VO ein Übernahmegesuch an Bulgarien gestellt, mit der Folge, dass nach Art. 23 Abs. 3 Dublin-III-VO Ungarn für die Prüfung des Asylantrags zuständig geworden war. Bulgarien hatte aus diesem Grund das Übernahmegesuch Deutschlands abgelehnt.

Nachdem Ungarn auf das Übernahmeersuchen Deutschlands nicht geantwortet hatte, ist nach Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO von dessen Zustimmung für die Rückübernahme auszugehen und Ungarn zur Rückübernahme verpflichtet.

Die Zuständigkeit ist auch nicht nach Art. 29 Abs. 3 Dublin-III-VO auf Deutschland übergegangen. Denn diese Frist beginnt mit der Annahme des Aufnahmegesuchs durch den ersuchten Mitgliedsstaat oder mit der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf, wenn dieser gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin-III-VO aufschiebende Wirkung hat. Letzteres war vorliegend der Fall, da das Verwaltungsgericht Bayreuth mit Beschluss vom 28. Oktober 2015 (B 3 S 15.50275) die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet hatte. Damit war die sechsmonatige Frist nach Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO noch nicht angelaufen.

2. Allerdings weisen das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Ungarn systemische Schwachstellen auf, die die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta für den Kläger mit sich bringen. Daher ist Ungarn in vorliegenden Fall für die Durchführung des Asylverfahrens nicht zuständig bzw. kann eine Rücküberstellung des Klägers nach Ungarn nicht erfolgen (Art. 3 Abs. 2 UA 2 und 3 Dublin-III-VO und EGMR, U.v. 21.1.2011 – M.S.S./Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09 – NVwZ 2011, 413; EuGH, U.v. 21.12.2011 – N.S., C-411/10 und C-493/10 – NVwZ 2012, 417; U.v. 10.12.2013 – Abdullahi, C-394/12 – NVwZ 2014, 208; U.v. 16.2.2017 – C-578/16 – NVwZ 2017, 691).

a) Im Frühjahr 2017 ist in Ungarn eine weitere Verschärfung der Asylgesetze in Kraft getreten. Danach werden nun alle Asylantragsteller (und nicht mehr nur die neu über die Südgrenze eintreffenden) in den seit 2015 errichteten „Transitzonen“ an der Grenze insbesondere zu Serbien untergebracht und dort inhaftiert (Hungarian Helsinki Committee HHC, Hungary: Government’s New Asylum Bill on Collective Push-Backs and Automatic Detention, Information Update by the Hungarian Helsinki Committee, 15. Februar 2017, Seite 2; UNHCR, Schreiben an das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach vom 28.6.2017 mit Anmerkungen zu Änderungen des ungarischen Asylrechts und zu Dublin-Überstellungen nach Ungarn, Seite 2; Amnesty International, Hungary: Legal amendments to detain all asylum-seekers a deliberate new attack on the rights of refugees and migrants, 9. März 2017, Seite 3; Handelsblatt vom 16.3.2017: Verschärftes Asylgesetz tritt in Kraft, recherchiert am 23. Januar 2018 unter www.handelsblatt.com; spiegel-online vom 7. März 2017: Ungarn beschließt Internierung von Flüchtlingen, zuletzt recherchiert am 23. Januar 2018 unter www.spiegel.de). Damit werden alle Asylsuchenden und auch die aus anderen Mitgliedsstaaten im Rahmen des sogenannten Dublin-Verfahrens an Ungarn rücküberstellten Asylsuchenden für die Zeit des Asylverfahrens inhaftiert. Damit verstößt Ungarn gewollt und systematisch gegen die maßgeblichen mitgliedsstaatlichen Vorschriften zum Asylverfahren und zu den Aufnahmebedingungen.

Nach Art. 28 Abs. 1 Dublin-III-VO nehmen die Mitgliedsstaaten eine Person nicht allein deshalb in Haft, weil sie dem durch diese Verordnung festgelegten Verfahren unterliegt. Vielmehr ist nach Abs. 2 der Bestimmung die Haft nur in bestimmten Fällen zulässig, und zwar zur Sicherstellung von Überstellungsverfahren, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht nach einer Einzelfallprüfung und nur dann, wenn die Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen. Über diesen eng beschränkten Zweck geht Ungarn mit der generellen Inhaftnahme von Asylantragstellern und Dublin-Rückkehrern aber weit hinaus. Die Haft ist dort gerade nicht auf die Fälle des Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-VO beschränkt.

Darüber hinaus ist Ungarn grundsätzlich nach der Dublin-III-VO der für die Prüfung des Asylbegehrens des Klägers zuständige Mitgliedsstaat (s.o.). Daher gelten für Ungarn grundsätzlich die in der Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L 180/96 v. 29.6.2013)) festgelegten Anforderungen. Auch nach Art. 8 Abs. 1 dieser Richtlinie nehmen die Mitgliedsstaaten eine Person nicht allein deshalb in Haft, weil sie ein Asylantragsteller ist. Die Gründe für die Anordnung der Haft sind in Art. 8 Abs. 3 wiederum auf bestimmte, eng umgrenzte Haftzwecke beschränkt. In Ungarn findet inzwischen aufgrund der geänderten Rechtslage aber eine generelle Inhaftnahme von Asylantragstellern statt. Insoweit gibt es auch keinen Zweifel daran, dass es sich bei dieser Haft um eine Freiheitsentziehung i.S.v. Art. 5 EMRK und nicht lediglich um eine Aufenthaltsbeschränkung handelt (vgl. hierzu HHC, Two Years After: What’s Left of Refugee Protection in Hung…, September 2017, Seite 7; EGMR, U.v. 14.3.2017 – Nr. 47287/15 – Rn. 66). Denn die Transitzonen sind von einem Stacheldrahtzaun umzäunt und werden von Polizisten und bewaffneten Sicherheitskräften bewacht. Es befinden sich Kameras in jeder Ecke, daneben sind die Unterbringungen in den Grenzzaun eingebettet.

Diese Haft ist auch im konkreten Fall „erniedrigend“. Der EGMR hat zu Art. 3 EMRK, der mit Art. 4 GR-Charta wortgleich ist, ausgeführt, dass diese Bestimmung nur anwendbar ist, wenn die Misshandlung ein bestimmtes Mindestmaß an Schwere erreicht und körperliche Verletzungen oder intensive physische oder psychische Leiden mit sich bringt (vgl. Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 3 Rn. 19; EGMR, U.v. 6.4.2000 – Nr. 26772/95 – Labita/Italien, Beck-RS 2013, 11454 Rn. 120). Um zu entscheiden, ob eine Behandlung „erniedrigend“ im Sinne von Art. 3 EMRK ist, ist darauf abzustellen, ob die Absicht damit verbunden war, den Betroffenen zu demütigen oder zu erniedrigen und ob dieser, was die Folgen betrifft, in seiner Persönlichkeit getroffen wurde und zwar in einer mit Art. 3 EMRK unvereinbaren Art und Weise (EGMR, U.v. 12.5.2005 – Nr. 46221/99 – Öcalan/Türkei, NVwZ 2006, 1276 Rn. 181 m.w.N.). Eine Festnahme oder Haft im Zusammenhang mit einem Gerichtsverfahren ist danach nur dann erniedrigend im Sinne von Art. 3 EMRK, wenn die damit verbundene Demütigung oder Erniedrigung eine besondere Schwelle erreicht hat und jedenfalls über das hinaus geht, was üblicherweise jede Festnahme oder Haft mit sich bringt (EGMR a.a.O. „Öcalan“ Rn. 181 m.w.N.).

Im Falle der ungarischen Verhältnisse sind diese Anforderungen erfüllt, sodass von einer erniedrigenden Behandlung auszugehen ist. Denn es liegen hier verschiedene Einzelaspekte vor, die auf eine Absicht des ungarischen Staates hindeuten, die Asylantragsteller durch die Asylhaft zu erniedrigen. So werden die Asylantragsteller, wenn sie von der Hafteinrichtung zum Gericht gebracht werden oder bei anderen Gelegenheiten (z.B. beim Besuch eines Krankenhauses) mit Handschellen gefesselt und an einer Leine geführt (Aida, Country Report: Hungary, 2016 Update, Februar 2017, Seite 77). Damit wird in einer über jegliche Notwendigkeit hinausgehenden Weise unabhängig vom Einzelfall den Asylantragstellern verdeutlicht, dass sie sich in einer unterlegenen Situation befinden. Daneben stehen den ungarischen Behörden sehr weitgehende Möglichkeiten zur Verlängerung der Asylhaft nach den gesetzlichen Regelungen zur Verfügung. Die Praxis geht darüber hinaus dahin, dass Möglichkeiten, von der Haft im Einzelfall abzusehen, in der Praxis nicht genutzt werden (vgl. BayVGH, U.v. 23.3.2017 – 13a B 17.50003 – juris Rn. 28 – 39). Insbesondere finden sich in den Gerichtsentscheidungen keinerlei Individualisierungen, vor allem was den Vorrang anderer Maßnahmen vor der Haft angeht. Auch die Umzäunung durch Stacheldraht und die Bewachung durch die Polizisten und Sicherheitskräfte sowie die ständige Überwachung durch Kameras ist geeignet und zielt wohl auch darauf ab, bei den inhaftierten Asylbewerbern ein Gefühl der Unterlegenheit und des Ausgeliefertseins zu erzeugen, das sie veranlasst, möglichst schnell Ungarn wieder zu verlassen, wie es auch die erklärte Politik der ungarischen Regierung ist (vgl. hierzu auch HessVGH, B.v. 24.8.2017 – 4 A 2986/16.A – juris Rn. 54/55).

b) Darüber hinaus schließt sich der Senat den Erwägungen des 13a-Senats des Verwaltungsgerichtshofs in dessen Entscheidung von 23. März 2017 (13a B 17.50003, dort insbesondere Rn. 24 – 31) an. Der 13a-Senat hat dort wie folgt ausgeführt:

„a) Das ergibt sich aus der dortigen (gesetzlichen) Entwicklung in den letzten Jahren. Nach der am 1. Juli 2013 in Kraft getretenen Änderung des Asylgesetzes, die die Möglichkeit einer Inhaftierung von Asylbewerbern vorsah, kam es ab Sommer 2015 zu weiteren Gesetzesänderungen betreffend unter anderem die Einführung eines beschleunigten Verfahrens, den Rechtsschutz und die Inhaftierung sowie die Aufnahme von Serbien in eine nationale Liste sicherer Drittstaaten mit der Folge der Unzulässigkeit von Asylanträgen bei Einreise über Serbien (UNHCR, Hungary: As a Country of Asylum, Mai 2016 – UNHCR Mai 2016; Hungarian Helsinki Committee, Information Note v. 7.8.2015: Changes to Hungarian asylum law jeopardise access to protection in Hungary – HHC 7.8.2015; AIDA – Asylum Information Database, Country-Report: Hungary v. November 2015 – aida November 2015; Third Party Intervention by the Council of Europe Commissioner for Human Rights, Applications No. 44825/15 und 44944/15 v. 17.12.2015 – CHR). Im September 2015 wurde mit der Errichtung von Grenzzäunen zu Serbien und Kroatien ein Grenzverfahren in dort eingerichteten Transitzonen etabliert (UNHCR Mai 2016; aida November 2015; CHR). Im Fall von Unzulässigkeit und im beschleunigten Verfahren ist vom Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft (OIN) innerhalb von 15 Tagen zu entscheiden, im regulären Verfahren innerhalb von zwei Monaten (aida November 2015, S. 12; CHR). Die Rechtsmittelfrist gegen Unzulässigkeitsentscheidungen des OIN bzw. gegen Entscheidungen im beschleunigten Verfahren beträgt drei Tage, im Standardverfahren acht Tage (UNHCR Mai 2016, S. 10; HHC 7.8.2015; aida November 2015, S. 21 ff.). Unter Beibehaltung der im Juli 2013 eingeführten Asylhaft im Allgemeinen wurde die zulässige Haftdauer für Grenzankömmlinge ohne Papiere auf 24 statt bisher 12 Stunden heraufgesetzt und die Haftanordnung im Dublin-Verfahren erleichtert. Im Allgemeinen kann Asylhaft erstmalig maximal für 72 Stunden sowie aufgrund eines Verlängerungsantrags um maximal 60 Tage aus im Einzelnen genannten Gründen angeordnet werden, insbesondere bei unklarer Identität und Gefahr des Untertauchens. Zuvor ist zu prüfen, ob ein milderes Mittel zur Anwendung kommen kann (Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Regensburg v. 27.1.2016: Rücküberstellungen nach Ungarn im Rahmen des Dublin-Verfahrens – AA 27.1.2016). Die maximale Dauer der Asylhaft beträgt 6 Monate, bei Folgeanträgen 12 Monate und bei Familien mit Kindern 1 Monat (AA 27.1.2016; aida November 2015, S. 63). Die bisher verpflichtende Platzgröße für die Asylhaft wurde in eine Empfehlung umgewandelt, die so weit wie möglich einzuhalten ist. Ferner kann OIN Asylantragsteller ohne Dokumente verpflichten, ihr Heimatland zu kontaktieren (HHC 7.8.2015; CHR). (24)

Dublin-Rückkehrer, über deren Erstantrag bei Rückkehr noch nicht entschieden wurde, werden als Erstantragsteller behandelt (AA 27.1.2016). Grundsätzlich hat die Asylbehörde in Fällen, in denen Asylantragsteller während eines laufenden Asylverfahrens in einen Mitgliedstaat weiterreisen, in jedem Verfahrensstadium die Möglichkeit, entweder auf Basis der zur Verfügung stehenden Informationen eine Sachentscheidung zu treffen oder aber das Asylverfahren einzustellen. Regelmäßig wird das Asylverfahren ohne Entscheidung in der Sache eingestellt (AA 27.1.2016; aida November 2015, S. 21 ff.). Die Wiederaufnahme des Verfahrens kann bis zu neun Monate nach Einstellung des Verfahrens beantragt werden (UNHCR Mai 2016, S. 20; AA 27.1.2016). Danach wird die Einstellung endgültig und der Asylbewerber wird wie ein Folgeantragsteller behandelt, wobei Änderungen dergestalt in Planung seien, dass der Asylantrag auch in diesem Fall vollumfänglich geprüft werde (AA 27.1.2016). (25)

b) Angesichts dieser Ausgangslage, die nach dem vorliegenden Erkenntnismaterial ab dem Jahr 2013 bis zum jetzigen Zeitpunkt durch eine fortschreitende (gesetzliche) Intensivierung und Verschärfung gekennzeichnet ist, besteht für die Kläger insbesondere die Gefahr, in Ungarn ohne ausreichende gesetzmäßige Anordnung und ohne effektive Rechtsschutzmöglichkeiten inhaftiert zu werden (26).

Die Anordnung der Asylhaft ist schon nach den gesetzlichen Vorgaben in großem Umfang zulässig. Danach kann Asylhaft angeordnet werden 1. bei unklarer Identität oder Staatsangehörigkeit, 2. bei Ausländern, die sich im Ausweisungsverfahren befinden und einen Asylantrag stellen, obwohl sie diesen zweifelsfrei bereits zuvor hätten stellen können oder um eine drohende Aufenthaltsbeendigung zu verzögern oder abzuwenden, 3. wenn der Sachverhalt des Asylbegehrens aufgeklärt werden muss und eine Aufklärung nicht ohne Haft möglich ist, speziell wenn die Gefahr des Untertauchens besteht, 4. wenn der Asylbewerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, 5. wenn der Asylantrag im Flughafenbereich gestellt wurde oder 6. zur Sicherstellung der Durchführung des Dublin-Verfahrens, wenn die ernsthafte Gefahr des Untertauchens besteht (AA 27.1.2016). Diese Formulierung der Haftgründe ist sehr weit gefasst und lässt damit Raum für eine weitreichende Inhaftierung von Asylbewerbern (siehe auch UNHCR, Stellungnahme an das VG Düsseldorf v. 30.9.2014: Situation der Flüchtlinge und Asylsuchenden in Ungarn, insbesondere Dublin-Rückkehrer und Inhaftierungen – UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl, Stellungnahme an das VG Düsseldorf vom 31.10.2014: Haftsituation von Asylbewerbern in Ungarn – Pro Asyl 31.10.2014; aida November 2015, S. 59 ff.). (27)

Auch die tatsächliche Praxis der Inhaftierung in Ungarn wird schon länger in vielen Punkten erheblich kritisiert. So solle das OIN vor einer Haftanordnung zwar prüfen, ob Alternativen zur Haft bestünden, aber nach Auskunft des Hungarian Helsinki Committee und Pro Asyl (Brief Information Note for the Seminar on the Right to Asylum in Europe, Barcelona, 9.-10.6.2016: The Reception Infrastructure for Asylum-Seekers in Hungary – HHC Juni 2016; Pro Asyl 31.10.2014) werde hiervon nur in Ausnahmefällen Gebrauch gemacht; Verlängerungen würden automatisch für den Höchstzeitraum beantragt und die Haftanordnungen seien nicht individualisiert (UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014). Kritisch angemerkt wird dabei ferner, dass es in „Asylhaft“-Einrichtungen des OIN praktisch kein ausgebildetes Personal gebe; Sozialarbeiter erhielten nur Zugang unter Begleitung einer bewaffneten Wache. Auch wenn sich die Inhaftierten zwischen 6.00 und 23.00 Uhr innerhalb der Hafteinrichtungen frei bewegen könnten (Pro Asyl 31.10.2014) und es in der polizeilichen „Einwanderungshaft“ für Folgeantragsteller ausgebildetes Bewachungspersonal gebe (UNHCR 30.9.2014), wird festgestellt, dass Asylbewerber bei etwaigen Behördengängen und Gerichtsterminen wie im Strafverfahren gefesselt und mit Handschellen vorgeführt würden (aida November 2015, S. 65; CHR). Weiter wird kritisiert, dass die Inhaftierungsquote ab dem Jahr 2013 kontinuierlich angestiegen sei. Während in einer Auskunft des Auswärtigen Amts vom 3. Juli 2015 an das Verwaltungsgericht Hannover (AA 3.7.2015) noch angegeben wurde, dass im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai 2015 2,1% aller Asylantragsteller und 6 bis 10% der Dublin-Rückkehrer in Asylhaft genommen worden seien, komme es in der Praxis nach Auskunft von aida (November 2015, S. 62) und CHR sehr häufig zu Inhaftierungen und entgegen der gesetzlichen Regelung seit September 2014 auch bei Familien mit Kindern, die unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten von Gesetzes wegen als schwerwiegendstes Mittel bis zu 30 Tage inhaftiert werden könnten. UNHCR kann jedoch nicht bestätigen, dass die Haft nur unter dieser Voraussetzung stattfindet (UNHCR 30.9.2014). Pro Asyl gibt vielmehr an, dass OIN ab September 2014 Familien verstärkt inhaftiert habe (Pro Asyl 31.10.2014). Anlässlich seines Besuchs vom 24. bis 27. November 2015 wurde dem CHR von OIN mitgeteilt, dass sich derzeit 525 Asylantragsteller in offenen Aufnahmeeinrichtungen befänden und 412, mithin ca. 44%, inhaftiert seien. Anfang November 2015 soll die Inhaftierungsquote CHR zufolge sogar 52% gegenüber 11% im Jahr 2014 betragen haben (siehe auch HHC v. Juni 2016). Zudem scheint sich nach Auffassung der genannten Organisationen der ungenügende Gebrauch von Haftalternativen fortzusetzen. Auch das Problem der willkürlichen Inhaftierung sei weiterhin akut. Nach Auskunft von HHC waren am 30. Mai 2016 insgesamt 702 Asylbewerber in Haft, 1.583 in offenen Aufnahmeeinrichtungen. Zuletzt meldete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (Kurzinformation Ungarn v. 14.12.2016: Zentrum Bicske geschlossen – BFA 14.12.2016), dass im Dezember 2016 nach offiziellen Zahlen 192 Migranten in offener und 301 in geschlossener Unterbringung aufhältig waren. Zur Haftdauer berichtet Pro Asyl in Zusammenarbeit mit dem HHC, das wiederum eine Anfrage an OIN richtete, dass die durchschnittliche Haftdauer im Zeitraum vom 1.7.2013 bis 31. August 2014 dem OIN zufolge zwar „nur“ 32 Tage betragen habe, nach den eigenen Einschätzungen und einer Untersuchung des HHC allerdings deutlich länger sei. Die Diskrepanz beruhe auf vermutlich darauf, dass OIN nicht nur die Zeit von Inhaftierungen einrechne, sondern auch diejenigen Fälle ohne jegliche Inhaftierung (28).

Schließlich wies HHC im Juni 2016 nochmals ausdrücklich darauf hin, dass Ungarn einer der wenigen Staaten in Europa sei, in dem Asylerstantragsteller in der Regel für mehrere Monate inhaftiert würden (HHC Juni 2016). Dublin-Rückkehrer würden in der Praxis regelmäßig inhaftiert (so auch UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014; CHR). Diese Haft werde als „Asylhaft“, nicht als „Abschiebehaft“ oder „Einwanderungshaft“ verhängt (UNHCR 30.9.2014). Auch das Auswärtige Amt (AA 3.7.2015) gibt an, dass die Wahrscheinlichkeit, in Haft genommen zu werden, im ersten Halbjahr 2015 für Dublin-Rückkehrer gegenüber Neuankömmlingen erhöht gewesen sei (29).

Zudem lässt sich den Erkenntnisquellen nicht entnehmen, dass ein effektiver Rechtsschutz existieren würde. Insbesondere bestehen für das OIN und auch die Gerichte sehr restriktive Fristenregelungen zur Entscheidung. Diese sind nicht ausreichend, um die Durchführung eines rechtsstaatlichen Verfahrens zu gewährleisten. Bei Fristen im Tagebereich wie dargestellt können die unverzichtbaren Anforderungen an ein solches Verfahren einschließlich Dolmetscher, Anhörung, (individualisierter) Herkunftslandinformationen etc. nicht eingehalten werden (siehe hierzu HHC 7.8.2015; aida November 2015; CHR). Gleiches gilt für die Rechtsmittelfristen (siehe auch aida November 2015; CHR). Weiter gibt es zwar de iure Zugang zu Rechtsberatung, in der Praxis ist diese aber den Auskünften zufolge mangels entsprechender staatlicher Finanzierung nicht verfügbar (UNHCR 30.9.2014). Soweit überhaupt staatliche Anwälte bestellt seien, agierten diese passiv (Pro Asyl 31.10.2014; aida November 2015). Tatsächlich gebe es damit nur Zugang zu den (Vertrags-)Anwälten des HHC, so dass nur eine Minderheit anwaltliche Vertretung erhalte (Pro Asyl 31.10.2014). Außerdem ist gegen die Verhängung von „Asylhaft“ kein gesetzlicher Rechtsbehelf vorgesehen, sondern nur eine sogenannte „Einspruchsmöglichkeit“. Nach den Informationen von UNHCR werde aber auch hiervon aus Unkenntnis kein Gebrauch gemacht (UNHCR 30.9.2014). Gegen die „Einwanderungshaft“ gebe es ebenfalls keinen Rechtsbehelf, nur eine automatische Überprüfung (UNHCR 30.9.2014). Die gerichtliche Haftüberprüfung erfolge in einem „automatisierten“ Prozess alle 60 Tage durch dieselben (Straf-)Richter, die die Erstprüfung durchgeführt hätten (UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014; aida November 2015, S. 67 ff.). In der täglichen Praxis würden Entscheidungen für 5 bis 15 Häftlinge innerhalb von 30 Minuten gefällt, ohne dass eine individuelle Prüfung erfolgen könne (UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014). Schon im Jahr 2012 habe der Oberste Gerichtshof (Kuria) eine Untersuchung in Auftrag gegeben, die 8.000 Entscheidungen analysiert habe, von denen nur in drei Fällen keine Haftverlängerung erfolgt sei (UNHCR 30.9.2014). Die Asylarbeitsgruppe am Obersten Gerichtshof bestätigte im Oktober 2014, dass die gerichtliche Überprüfung der Asylhaft wirkungslos sei (aida November 2015, S. 67 ff.). Die Entscheidungen seien schematisch, das Verfahren nicht individualisiert und es erfolge keine Überprüfung, ob die Haft das einzige Mittel sei. Seit der Beanstandung durch die Kuria habe sich aber in der Praxis nichts geändert (aida November 2015, S. 67 ff.). Angesichts dieser gravierenden Missstände kann der Rechtsschutz damit insgesamt gesehen nicht mehr als wirksam bezeichnet werden (30).

Die Bewertung dieser Erkenntnisse ist insofern mit Schwierigkeiten verbunden, als jeweils nur punktuelle Angaben gemacht, wie etwa zu bestimmten Zeiträumen oder zu den betroffenen Gruppen, und keine statistisch aufbereiteten Daten für die Jahre 2014, 2015 und 2016 genannt werden zur (Gesamt-)Anzahl der Asylanträge in Ungarn, zur Anzahl der Dublin-Rückkehrer und zu den Verhältnissen in der Transitzone sowie dem jeweiligen Anteil an Inhaftierungen. Das kann wohl kaum darin begründet sein, dass keine offiziellen statistischen Informationen vorlägen, etwa ob Dublin-Rückkehrer regelmäßig oder ausnahmsweise inhaftiert werden, wie das Auswärtige Amt angibt (AA 27.1.2016). Denn das widerspräche zum einen dessen eigener Aussage in der Auskunft an das Verwaltungsgericht Hannover (AA 3.7.2015), wonach im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai 2015 6 bis 10% der Dublin-Rückkehrer in Asylhaft genommen worden seien. Zum anderen wurde dem CHR im November 2015 von OIN mitgeteilt, dass es zu diesem Zeitpunkt eine allgemeine Inhaftierungsquote von ca. 44% gegeben habe und von den in diesem Jahr durchgeführten 1.338 Dublin-Überstellungen 332 Rückkehrer in Asylhaft genommen worden seien, also ca. 25%. Auch wenn hiermit keine übergreifende Aussage getroffen wird, die Angaben zur Inhaftierungsquote sehr differieren und nicht zu erkennen ist, inwieweit sich die statistischen Ausgangsdaten decken, lässt sich in der Zusammenschau mit den weiteren Angaben, insbesondere des Hungarian Helsinki Committee (Hungary: Key Asylum Figures as of 1 September 2016 – HHC 1.9.2016: am 29.8.2016 waren 233 von 707 Asylbewerbern in Haft) und des österreichischen Bundesamts für Asylwesen (BFA 14.12.2016: im Dezember 2016 waren 192 Migranten in offener und 301 in geschlossener Unterbringung aufhältig), dennoch ein Gesamtbild entnehmen. Die vorliegenden Erkenntnisse zeigen deutlich, dass die Inhaftierung von Asylbewerbern in Ungarn weit verbreitet ist. Es tritt klar zu Tage, dass die gesetzlichen Vorgaben eine weitreichende Anordnung von Haft ermöglichen und sie auch in der praktischen Handhabung in beachtlichem Umfang stattfindet. Da zudem die Anordnung der Haft schematisch und ohne Einzelfallprüfung erfolgt und eine gerichtliche Überprüfung faktisch nicht stattfindet, muss davon ausgegangen werden, dass Dublin-Rückkehrer wie die Kläger im Fall ihrer Überstellung nach Ungarn einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK ausgesetzt wären. Diese Einschätzung wird auch bestätigt durch deren unbestrittenen Angaben, dass sie in Ungarn bereits inhaftiert gewesen seien. (31)“

An dieser Einschätzung ändert auch die von der Beklagten im Berufungsverfahren angeführte Rechtsprechung des VG Berlin laut dessen Urteil vom 13. Dezember 2016 (3 K 509.15 A – juris) nichts. Das Verwaltungsgericht Berlin hat dort ausgeführt, dass keine reale Gefahr eines Verstoßes gegen das in Art. 33 Abs. 1 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), Art. 4 und 19 GR-Charta sowie Art. 21 Abs. 1 der Richtlinie 2001/95/EU folgende Zurückschiebungsverbot (Non-Refoulement) bestehe (Rn. 34 bis 36): Die diesbezüglichen Ausführungen führen schon deshalb nicht zu einem anderen Ergebnis, da ein drohender Verstoß gegen das Gebot des Non-Refoulements für den Senat nicht entscheidungserheblich war. Soweit das Verwaltungsgericht weiter ausführt, dass keine Gefahr einer gegen Art. 4 GR-Charta verstoßenden Inhaftierungspraxis bestehe, ist lediglich anzumerken, dass die vorstehend dargestellten neueren Entwicklungen im ungarischen Recht, nach denen jeder Asylantragsteller inhaftiert wird, vom Verwaltungsgericht Berlin naturgemäß noch nicht berücksichtigt worden sind. Daher können seine Ausführungen zur früheren Rechtslage die des Senats zur aktuellen Rechtslage nicht in Frage stellen.

Die im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats noch nicht erfolgte Antwort der ungarischen Behörden auf die Anfrage des Beklagten, dass zugesichert werden möge, dass der Kläger entsprechend der Richtlinie 2013/33/EU untergebracht werde, ändert ebenfalls nichts am Ergebnis. Denn ein weiteres Zuwarten mit der Entscheidung des Senats im Berufungsverfahren war angesichts der beim Bundesamt nicht vorliegenden Erfahrungswerte, wann mit einer derartigen Erklärung gerechnet werden könne, nicht mehr erforderlich. Ob eine derartige Antwort durch die ungarischen Behörden überhaupt noch erfolgt, kann derzeit nicht abgeschätzt werden und ist mehr als fraglich (vgl. hierzu auch OVG NRW, B.v. 8.12.2017 – 11 A 1966/15. A – juris).

Im Ergebnis ist Ungarn daher nicht für die Bearbeitung des Asylantrags des Klägers zuständiger Mitgliedsstaat nach der Dublin-III-VO. Damit kann der Asylantrag des Klägers nicht wegen einer Zuständigkeit Ungarns nach § 29 Abs. 1 Nr. 1a AsylG als unzulässig abgelehnt werden. Der Bescheid ist in Ziffer 1 rechtswidrig und verletzt den Kläger in eigenen Rechten.

Daher ist auch die in Ziffer 2 des Bescheids ausgesprochene Abschiebungsanordnung nach Ungarn (§ 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG) rechtswidrig und verletzt den Kläger ebenso in seinen Rechten. Auch diese Regelung des streitgegenständlichen Bescheids ist daher aufzuheben.

Die Berufung des Klägers ist damit in vollem Umfang begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 18. März 2016 war aufzuheben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 23. Jan. 2018 - 20 B 16.50073

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 23. Jan. 2018 - 20 B 16.50073

Referenzen - Gesetze

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 23. Jan. 2018 - 20 B 16.50073 zitiert 13 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 132


(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulas

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 11 Einreise- und Aufenthaltsverbot


(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen n

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 83b Gerichtskosten, Gegenstandswert


Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 78 Rechtsmittel


(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen di

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 34a Abschiebungsanordnung


(1) Soll der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Absatz 1 Nummer 1) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 29 Unzulässige Anträge


(1) Ein Asylantrag ist unzulässig, wenn1.ein anderer Staata)nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 oderb)auf Grund von anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertragesfür die Durchführung des Asylverfahr

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 130a


Das Oberverwaltungsgericht kann über die Berufung durch Beschluß entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet hält und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. § 125 Abs. 2 Satz 3 bis 5 gilt entspre

Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG | § 31 Fristen und Termine


(1) Für die Berechnung von Fristen und für die Bestimmung von Terminen gelten die §§ 187 bis 193 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechend, soweit nicht durch die Absätze 2 bis 5 etwas anderes bestimmt ist. (2) Der Lauf einer Frist, die von einer Be

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 23. Jan. 2018 - 20 B 16.50073 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 23. Jan. 2018 - 20 B 16.50073 zitiert 2 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 23. März 2017 - 13a B 17.50003

bei uns veröffentlicht am 23.03.2017

Tenor I. Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 25. Oktober 2016 wird der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 23. November 2015 aufgehoben. II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfa

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 05. Juli 2016 - A 11 S 974/16

bei uns veröffentlicht am 05.07.2016

Tenor Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 14. März 2016 - A 3 K 4106/14 - wird zurückgewiesen.Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand
2 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 23. Jan. 2018 - 20 B 16.50073.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 29. Jan. 2018 - 20 ZB 17.50015

bei uns veröffentlicht am 29.01.2018

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens. Gründe Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig, ab

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 29. Jan. 2018 - 20 B 16.50000

bei uns veröffentlicht am 29.01.2018

Tenor I. Die Berufung wird zurückgewiesen. II. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. III. Dieser Beschluss ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Beklagt

Referenzen

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, das Klagebegehren im Übrigen hingegen als unzulässig oder unbegründet abgewiesen worden ist.

(2) In den übrigen Fällen steht den Beteiligten die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(3) Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

(4) Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss, der keiner Begründung bedarf. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) § 134 der Verwaltungsgerichtsordnung findet keine Anwendung, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts nach Absatz 1 unanfechtbar ist.

(7) Ein Rechtsbehelf nach § 84 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids zu erheben.

(8) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 132 Absatz 1 und § 137 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung auch zu, wenn das Oberverwaltungsgericht

1.
in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht und
2.
die Revision deswegen zugelassen hat.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann auf diesen Zulassungsgrund nicht gestützt werden. Die Revision ist beschränkt auf die Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat. In dem hierfür erforderlichen Umfang ist das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 137 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt für die Beurteilung der allgemeinen Lage diejenigen herkunfts- oder zielstaatsbezogenen Erkenntnisse, die von den in Satz 1 Nummer 1 genannten Gerichten verwertet worden sind, die ihm zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung oder Entscheidung (§ 77 Absatz 1) von den Beteiligten vorgelegt oder die von ihm beigezogen oder erhoben worden sind. Die Anschlussrevision ist ausgeschlossen.

(8a) Das Bundesministerium des Innern und für Heimat evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz die Revision nach Absatz 8 drei Jahre nach Inkrafttreten.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 14. März 2016 - A 3 K 4106/14 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrags als unzulässig und gegen die Anordnung der Abschiebung nach Ungarn.
Der Kläger ist seinen Angaben zufolge am 06.10.1988 in Damaskus geboren, syrischer Staatsangehöriger und reiste am 18.07.2014 über Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er stellte am 20.08.2014 einen Asylantrag.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge richtete ein Übernahmeersuchen an Ungarn. Die ungarischen Behörden erklärten sich auf Grund von Art. 18 Abs. 1 lit. b) Dublin III-Verordnung zur Übernahme des Klägers bereit.
Mit Bescheid vom 23.10.2014 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Ungarn an. Der Bescheid wurde dem Kläger am 29.10.2014 zugestellt.
Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hatte Erfolg (Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 13.04.2015 - A 3 K 4107/14 -).
Der Kläger erhob am 03.11.2014 Klage. Er machte unter Bezugnahme auf verschiedene Gerichtsentscheidungen geltend, das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Ungarn wiesen so gravierende Mängel auf, dass sich eine Überstellung nach dort verbiete. Er sei nach dem Überschreiten der ungarischen Grenze festgenommen, auf eine Polizeiwache verbracht und dort mit etwa 40 weiteren Flüchtlingen zehn Stunden lang in einer kleinen Zelle festgehalten worden. Die ganze Zeit über habe es weder etwas zu Trinken noch zu Essen und auch keine ärztliche Behandlung gegeben. Nachdem schließlich ein Dolmetscher hinzugezogen worden sei, habe er den Beamten gesagt, dass er nach Deutschland weiterreisen wolle. Man habe ihm erklärt, dass man ihn gehen lasse, wenn er sich Fingerabdrücke abnehmen lasse. Nach der Abnahme der Fingerabdrücke habe er die Wache verlassen können.
Mit Urteil vom 14.03.2016 hob das Verwaltungsgericht den Bescheid vom 23.10.2014 auf und führte aus: Das ungarische Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Ungarn wiesen insbesondere nach den jüngsten gesetzlichen Änderungen systemische Schwachstellen auf, die zur Folge hätten, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Ungarn eine unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung erleiden würde.
Am 02.04.2016 beantragte die Beklagte die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung, dem der Senat durch Beschluss vom 17.05.2016 entsprach.
Am 01.06.2016 begründete die Beklagte unter Stellung eines Antrags die Berufung. Die sehr geringe Inhaftierungsquote von 0,7 v.H. im ersten Halbjahr 2015 lasse auf einen sehr maßvollen Umgang mit dem Instrumentarium der Abschiebungshaft schließen, insbesondere darauf, dass eine Einzelfallprüfung gewährleistet sei. Auch seien im Herbst 2015 die vorhandenen Haftplätze nicht belegt gewesen. Insgesamt ließen sich daher systemische Schwachstellen des Asylsystems in Ungarn nicht belegen.
10 
Die Beklagte beantragt,
11 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 14. März 2016 - A 3 K 4106/14 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
12 
Der Kläger beantragt,
13 
die Berufung zurückzuweisen.
14 
Er beruft sich auf das angefochtene Urteil.
15 
Der Kläger wurde in der mündlichen Verhandlung zu seinen Fluchtgründen und seinem Reiseweg nach Deutschland informatorisch angehört.
16 
Wegen weiterer Einzelheiten verweist der Senat auf die gewechselten Schriftsätze.
17 
Ihm lagen die Verwaltungsakten der Beklagten und die Akten des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vor.

Entscheidungsgründe

 
18 
Die nach Schließung der mündlichen Verhandlung von der Beklagten übersandten Emails gaben dem Senat schon deshalb keine Veranlassung zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, weil sie erst eingegangen waren, nachdem der unterschriebene Entscheidungstenor auf der Geschäftsstelle zum Zwecke der Information der Beteiligten niedergelegt worden und die Entscheidung des Senats bindend geworden war (BVerwG, Beschlüsse vom 27.04.2005 - 5 B 107.04 -, juris und vom 24.06.1971 - I CB 4.69 -, juris; Stuhlfauth, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 6. Aufl. 2014, § 116 Rn. 10) .
19 
Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Insbesondere wurde sie fristgerecht unter Stellung eines Antrags ordnungsgemäß begründet.
20 
Die Berufung bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den angegriffenen Bescheid im Ergebnis zu Recht aufgehoben. Dieser ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in eigenen Rechten.
21 
Die Voraussetzungen des § 27a AsylG liegen nicht vor mit der Folge, dass auch die Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG zu Unrecht erlassen wurde und der Bescheid insgesamt aufzuheben ist (vgl. zur Statthaftigkeit der Anfechtungsklage zuletzt BVerwG, Urteil vom 27.04.2016 - 1 C 24.15 -, juris). Zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) war Ungarn nicht der für die Durchführung des Verfahrens zuständige Mitgliedstaat. Denn bereits zum Zeitpunkt der Ausreise des Klägers aus Ungarn und der Antragstellung in der Bundesrepublik Deutschland war wegen des Bestehens systemischer Schwachstellen des Asylhaftsystems in Ungarn die Zuständigkeit auf die Bundesrepublik Deutschland übergangen, ohne dass diese später wieder entfallen ist (vgl. I.). Ungeachtet dessen ist die Zuständigkeit jedenfalls später übergangen, weil eine Überstellung bis zum Ablauf der Überstellungsfrist nicht mehr durchgeführt werden wird (II.).
I.
22 
Bei Erlass des angegriffenen Bescheids war nicht Ungarn für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig, sondern die Bundesrepublik Deutschland.
23 
1. Die Zuständigkeit ergibt sich vorliegend aus Art. 3 Abs. 2 UA 2 und 3 VO (EU) 604/2013 vom 26.06.2013 (im Folgenden Dublin III-VO); die Verordnung ist im Hinblick auf deren Art. 49 im vorliegenden Fall auch anzuwenden.
24 
Zum Zeitpunkt der Einreise des Klägers in die Bundesrepublik Deutschland bestanden wesentliche Gründe für die Annahme, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Ungarn systemische Schwachstellen aufwiesen, die für ihn die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh mit sich brachten.
25 
Zwar war der Kläger über Griechenland in das Gebiet der Mitgliedstaaten eingereist, der Senat geht hier aber als gerichtsbekannt davon aus, dass Griechenland jedenfalls damals seinerseits systemische Schwachstellen aufgewiesen hatte (vgl. EGMR, Entscheidung vom 21.01.2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien -, NVwZ 2011, 413); das haben die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung auch nicht infrage gestellt. Der Senat kann daher offen lassen, ob die Zuständigkeit Griechenlands nach Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO nicht ohnehin infolge der Ausreise aus dem Gebiet der Mitgliedstaaten (nach Mazedonien) entfallen war, nachdem der Kläger dort keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte (vgl. weiterführend Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, § 27a Rn. 209). Eine Zuständigkeit Österreichs wurde nicht begründet, weil der Kläger innerhalb weniger Stunden nur durch Österreich durchgereist war und sich insbesondere nicht mindestens fünf Monate dort oder in weiteren Mitgliedstaaten aufgehalten hatte (vgl. Art. 13 Abs. 2 UA 2 Dublin III-VO). Ein anderer potentiell zuständiger Mitgliedstaat war nicht gegeben.
26 
Selbst wenn in Ungarn in der Folgezeit die systemischen Schwachstellen wieder entfallen sein und heute zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht mehr bestehen sollten, wäre gleichwohl eine erneute Zuständigkeit Ungarns nach der Einreise des Klägers und der Antragstellung im Bundesgebiet nicht wieder begründet worden. Denn nur bei einer solchen Sichtweise kann den unionsrechtlichen Erfordernissen eines klaren und praktikablen Zuständigkeitssystems, das zeitnah zu einer sachlichen Prüfung des Antrags zumindest in einem Mitgliedstaats führt und das einen potentiellen ständigen Wechsel der Zuständigkeit verbietet, genügt werden; dieser Aspekt hat nicht zuletzt seinen Ausdruck etwa in Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO gefunden (vgl. zu alledem auch EuGH, Urteil vom 07.06.2016 - C-63/15 , juris; Wendel, JZ 2016, 332).
27 
2. Dass im Sommer 2014 die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 2 UA 2 Dublin III-VO vorlagen, ergibt sich aus Folgendem:
28 
a) Mit der Regelung des Art. 3 Abs. 2 UA 2 Dublin III-VO wird insbesondere die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Dublin II-Verordnung (Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. -, NVwZ 2012, 417; vgl. dazu auch Urteil vom 10.12.2013 - C-394/12, Abdullahi -, NVwZ 2014, 208; vgl. auch EGMR, Urteil vom 21.01.2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien -, NVwZ 2011, 413) umgesetzt, wonach ein Mitglied- oder Vertragsstaat unter bestimmten Umständen im Rahmen der Prüfung seines Rechts auf Selbsteintritt (vgl. Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO, Art. 3 Abs. 3 Dublin III-VO) dazu verpflichtet ist, von der Rückführung in den an sich zuständigen Mitgliedstaat abzusehen.
29 
Dabei kann einerseits jeder Mitgliedstaat grundsätzlich davon ausgehen, dass alle an dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem beteiligten Staaten die Grundrechte einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten finden, beachten und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen. Auf dieser Grundlage besteht zunächst eine widerlegbare Vermutung dafür, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat den Anforderungen der Grundrechtecharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten genügt. Andererseits ist es möglich, dass in diesem System in der Rechtsanwendungspraxis in einem bestimmten Mitgliedstaat erhebliche Funktionsstörungen zutage treten und dieses zur absehbaren Folge hat, dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Menschenrechten unvereinbar ist.
30 
Allerdings stellt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht schon ein vereinzelter Verstoß gegen eine Bestimmung der Dublin II-VO bzw. der Dublin III-VO und auch nicht einmal jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat das Zuständigkeitssystem grundsätzlich infrage. Nach der Sichtweise des Gerichtshofs stünde andernfalls nicht weniger als der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, auf dem Spiel (EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. -, NVwZ 2012, 417). Das Dublin-Zuständigkeitssystem ist deshalb nur dann (teilweise) zu suspendieren, wenn einem Mitgliedstaat aufgrund der ihm vorliegenden Informationen nicht unbekannt sein kann, dass systemische Mängel oder Schwachstellen (vgl. zum Begriff jetzt Art. 3 Abs. 2 UA. 2 Dublin III-VO) des Asylverfahrens und (bzw. genauer: oder) der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller dort Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH, Urteile vom 21.12.2011, a.a.O., und vom 14.11.2013 - C-4/11, Puid -, NVwZ 2014, 129).
31 
Systemische Schwachstellen sind solche, die entweder bereits im Asyl- und Aufnahmeregime selbst angelegt sind und von denen alle Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern deshalb nicht zufällig und im Einzelfall, sondern vorhersehbar und regelhaft betroffen sind, oder aber tatsächliche Umstände, die dazu führen, dass ein theoretisch sachgerecht konzipiertes und nicht zu beanstandendes Asyl- und Aufnahmesystem - aus welchen Gründen auch immer - faktisch ganz oder in weiten Teilen seine ihm zugedachte Funktion nicht mehr erfüllen kann und weitgehend unwirksam wird (vgl. auch BVerwG, Beschlüsse vom 19.03.2014 - 10 B 6.14 -, NVwZ 2014, 1093, und vom 06.06.2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677). Dabei ist der Begriff der systemischen Schwachstelle nicht in einer engen Weise derart zu verstehen, dass er geeignet sein muss, sich auf eine unüberschaubare Vielzahl von Antragstellern auszuwirken. Vielmehr kann ein systemischer Mangel auch dann vorliegen, wenn er von vornherein lediglich eine geringe Zahl von Asylbewerbern betreffen kann, sofern er sich nur vorhersehbar und regelhaft realisieren wird und nicht gewissermaßen dem Zufall oder einer Verkettung unglücklicher Umstände bzw. Fehlleistungen von in das Verfahren involvierten Akteuren geschuldet ist (vgl. hierzu Lübbe, ZAR 2014, 97 ff. und schon Senatsurteil vom 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 -, InfAuslR 2015, 77).
32 
Wesentliche Kriterien für die zu entscheidende Frage, ob eine unmenschliche oder erniedrigende (bzw. "entwürdigende") Behandlung vorliegt, finden sich in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK (vgl. Urteile vom 21.01.2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien -, NVwZ 2011, 413, vom 04.11.2014 - Nr. 29217/12, Tharakel/Schweiz -, juris, und Entscheidung vom 05.02.2015 - Nr. 51428/10, A.M.E./Niederlande -, juris), der mit Art. 4 GRCh übereinstimmt (vgl. zu den Anforderungen ausführlich Senatsurteil vom 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 -, InfAuslR 2015, 77, m.w.N.). Die Annahme einer drohenden Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 GRCh muss durch wesentliche Gründe (Art. 3 Abs. 2 UA. 2 Dublin III-VO; vgl. auch EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. -, NVwZ 2012, 417: "ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe") gestützt werden. Das bedeutet, dass die festgestellten Tatsachen hinreichend verlässlich und aussagekräftig sein müssen; nur unter dieser Voraussetzung ist es nach der maßgeblichen Sicht des Gerichtshofs der Europäischen Union gerechtfertigt, von einer Widerlegung des „gegenseitigen Vertrauens“ der Mitgliedstaaten untereinander auszugehen. In diesem Zusammenhang müssen die festgestellten Tatsachen und Missstände verallgemeinerungsfähig sein, um die Schlussfolgerung zu rechtfertigen, dass es nicht nur vereinzelt, sondern immer wieder und regelhaft zu Grundrechtsverletzungen nach Art. 4 GRCh kommt. Das bei einer wertenden und qualifizierten Betrachtungsweise zugrunde zu legende Beweismaß ist das der beachtlichen Wahrscheinlichkeit im herkömmlichen Verständnis der höchstrichterlichen Rechtsprechung, das sich nicht von dem in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entwickelten Beweismaß des „real risk“ unterscheidet (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936; Beschluss vom 19.03.2014 - 10 B 6.14 -, juris).
33 
Hinzukommen muss immer, dass der konkrete Schutzsuchende auch individuell betroffen wäre. Es genügt nicht, dass lediglich abstrakt bestimmte strukturelle Schwachstellen festgestellt werden, wenn sich diese nicht auf den konkreten Antragsteller auswirken können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass - eine systemische Schwachstelle unterstellt - einer drohenden Verletzung von Art. 4 GRCh im konkreten Einzelfall gegebenenfalls vorrangig dadurch "vorgebeugt" werden kann, dass die Bundesrepublik Deutschland die Überstellung im Zusammenwirken mit dem anderen Mitgliedstaat so organisiert, dass eine solche nicht eintreten kann (vgl. EGMR, Urteil vom 04.11.2014 - Nr. 29217/12, Tharakel/Schweiz -, juris; BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 17.09.2014 - 2 BvR 939/14 und 2 BvR 1795/14 -, juris und 17.04.2015 - 2 BvR 602/15 -, juris).
34 
b) Nach den vom Senat verwerteten Erkenntnismitteln (vgl. v.a. Commissioner for Human Rights of the Council of Europe, Report by Nils Muiznieks vom 16.12.2014 Rn 148 ff. - im Folgenden CHR I; UNHCR, Anmerkungen und Empfehlungen des UNHCR zum Entwurf zur Änderung migrations- und asylbezogener sowie weiterer in diesem Zusammenhang stehender Vorschriften zwecks Rechtsharmonisierung vom 07.01.2015, S. 14 ff - im Folgenden UNHCR I) war im Jahre 2014 - wie schon seit Jahren zuvor - die Praxis der Verhängung von Abschiebungshaft bzw. einer Art von Sicherungshaft gegenüber Asylbewerbern durch schwerwiegende verfahrensrechtliche und inhaltliche Mängel gekennzeichnet und war seit langer Zeit national wie auch v.a. international heftiger Kritik ausgesetzt (vgl. ausführlich CHR I, Rn. 151 insbesondere auch mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EGMR zur Inhaftierungspraxis aus den Jahren 2011 und 2012). Diese Praxis war insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass etwa im Jahre 2010 beinahe ausnahmslos sämtliche Antragsteller inhaftiert wurden und die gerichtlichen Entscheidungen, auf denen die Inhaftierungen beruhten, vollständig intransparent waren und ohne jeden nachvollziehbaren Bezug zu dem individuellen Einzelfall standen. Hinzu kam, dass nach der damaligen Rechtslage die Haftgründe in hohem Maße vage und unbestimmt formuliert waren und damit in besonderer Weise eine rechtstaatlich unvertretbare gerichtliche Praxis begünstigten. Zwar wird für die Zeit bis zum Jahre 2014 von gewissen Verbesserungen gesprochen (vgl. CHR I, Rn. 153), was wohl zur Folge hatte, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Entscheidung vom 03.07.2014 (Nr. 71932/12) nicht mehr zu erkennen vermochte, dass das Inhaftierungssystem in Ungarn noch durch so schwerwiegende Mängel gekennzeichnet gewesen sei, dass die erfolgte Inhaftierung des Betroffenen eine Verletzung von Art. 3 EMRK ausgemacht hätte. Neuere, dem Gerichtshof noch nicht vorliegende Erkenntnisse aus dem Jahre 2014 zur Situation in Ungarn, wie der Bericht des Menschrechtskommissars vom 16.12.2014, der seinerseits auf einer Reihe aktueller Erkenntnismittel und auch eigener Anschauung beruhte, sowie die grundlegende Einschätzung von UNHCR vom 07.01.2015 gebieten jedoch auch in Ansehung gewisser Verbesserungen gleichwohl für das Jahr 2014 nunmehr eine abweichende Einschätzung. Hinzu kommt, dass selbst der Oberste Gerichtshof Ungarns (Kuriá) in seinem Bericht (Report on the Court’s Refugee Law-related Jurisprudence“ vom 20.10.2014; zitiert nach UNHCR I, S. 13 f.) die gravierenden Mängel der ungarischen Rechtsprechungspraxis bestätigt und praktische Hinweise zu deren Behebung gegeben hatte (vgl. zu alledem auch Lehnert, NVwZ 2016, 896, 899).
35 
Jedenfalls waren im Frühjahr 2014 noch etwa 25 v.H. aller Antragsteller und 42 v.H. aller männlichen ledigen Antragsteller in Haft. Besonders besorgt war der Menschrechtskommissar über die unverändert festzustellende Willkür bei der Anordnung von Haft, namentlich vermisste er jede Individualisierung der Anordnung und deren Unverhältnismäßigkeit, was die Dauer betrifft. Verschärft wurde dieser Zustand dadurch, dass es - gewissermaßen als Korrektiv - keinerlei effektive richterliche Kontrolle gab, was auch vom Obersten Gerichtshof festgestellt und kritisiert worden war.
36 
Die aktuell seit 01.08.2015 geltenden gesetzliche Bestimmungen über die Voraussetzungen für die Anordnung von „Asylhaft“, die nach ungarischem Recht seit 2013 von der Abschiebungshaft „Immigration Detention“ unterschieden wird (vgl. aida, „Country Report: Hungary“ vom November 2015, S. 64 - im Folgenden aida), stehen allerdings nunmehr im Wesentlichen in Übereinstimmung mit den Vorgaben der Aufnahmerichtlinie (RL 2013/33/EU v. 26.06.2013) in deren Art. 8 (vgl. auch aida, S. 60). Als problematisch wird hingegen unverändert auch heute noch die praktische Handhabung der Bestimmungen geschildert. Als Haftgrund wird am häufigsten „Fluchtgefahr“ genannt (aida, S. 60). Mittlerweile kommt als weiterer oft herangezogener Grund hinzu die „Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ (vgl. aida, S. 61). Dem liegt zugrunde, dass Ungarn nunmehr alle Antragsteller, die nicht offiziell über eine Grenzstation einzureisen versuchen bzw. versucht haben, der illegalen Einreise beschuldigt und diese deshalb grundsätzlich auch strafrechtlich verfolgt werden können, was aber in dieser Pauschalität offensichtlich mit den Vorgaben in Art. 31 GFK unvereinbar ist (vgl. zu alledem UNHCR vom Mai 2016, Rn. 59 - im Folgenden UNHCR II; Human Rights Watch “Hungary: Locked Up for Seeking Asylum“ vom 01.12.2015, S. 2 und 4 mit dem weiteren Hinweis, dass deshalb insbesondere abgelehnte Antragstellers häufig in „Immigration Detention“, d.h. praktisch in Strafanstalten inhaftiert sind, - im Folgenden HRW; so auch aida, S. 61 f. und 64). Ungeachtet dessen wird wiederum einhellig nach wie vor beanstandet, dass Haftgründe immer noch nicht individualisiert und einzelfallbezogen geprüft und beurteilt werden, wobei wiederum noch hinzu kommt, dass unverändert die Begründungen der Entscheidungen in höchstem Maße defizitär sind und für die Betroffenen nicht erkennen lassen, weshalb sie in Haft genommen werden (vgl. aida, S. 61 und 68; Commissioner for Human Rights of the Council of Europe, vom 17.12.2015, Rn. 16 ff. und 22 - im CHR II). Dass eine spezifische Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt wurde, lässt sich in der Regel den Entscheidungen immer noch nicht entnehmen (aida, S. 68). Entgegen den Vorgaben des Unionsrechts wird bei gerichtlichen Haftanordnungen immer wieder nicht sorgfältig erwogen, ob es hierzu Alternativen gibt (aida, S. 61; UNHCR I S. 22). Obwohl es, worauf bereits hingewiesen wurde, in der Vergangenheit eine ausdrückliche Beanstandung durch den Obersten Gerichtshof gegeben hatte, sind - mit einer gewissen Ausnahme beim Gericht in Debrecen - bis heute keine sichtbaren Änderungen eingetreten.
37 
Die wesentlichen Verfahrensabläufe stellten sich und stellen sich nach wie vor, wie folgt, dar: Am Beginn der Haft steht eine maximal 72 Stunden geltende behördliche Haftanordnung, gegen die es mit Rücksicht auf völlig defizitäre Informationen, erhebliche sprachlich bedingte Kommunikationsprobleme und völlig unzureichenden Zugang zu fachkundiger Hilfestellung nur einen theoretischen, aber praktisch kaum wirksamen Rechtsschutz gibt (vgl. aida, S. 69 und zum Ablauf des Verfahrens Rn. 67 f.) mit der Folge, dass die Betroffenen jeder denkbaren Willkür ausgeliefert sein können. Hieran schließt sich auf Antrag der Asylbehörde (OIN) eine förmliche gerichtliche Verlängerungsentscheidung an, die zunächst maximal 60 Tage gelten kann (bis insgesamt maximal 6 Monate). Die Verlängerungen erfolgen aus Gründen der „Verfahrensbequemlichkeit“ in aller Regel (wenn auch nicht ausnahmslos) pauschal und ohne Bezug zum Einzelfall um die jeweils zulässige Höchstdauer, ohne dass es insoweit nach der Einschätzung der Stellungnahmen ein effektives Rechtsmittel oder eine effektive Abhilfemöglichkeit für die Betroffenen gibt (aida, S. 67 ff. insbes. Rn. 69 f. und schon UNHCR I, S. 13 und 17); ob überhaupt ein Rechtsbehelf gegen die richterliche Haftanordnung eröffnet ist, ist nicht völlig klar (verneinend und im Einzelnen begründet aida, S. 67 f. Rechtsschutz nur in Bezug auf die behördlich Anordnung bis zu 72 Stunden; bejahend AA v. 21.06.2016 an VG Potsdam). Die Gerichte stützen sich nach wie vor häufig allein auf die Angaben der Asylbehörde, ohne die Angaben der Betroffenen angemessen zu würdigen (aida, S. 68; ecre/aida, „Crossing Boundaries“ vom 01.10.2015, S. 27 f.). Bereits in der Vergangenheit konnte festgestellt werden, dass die Gerichte die vorgeschriebene Anhörung jedenfalls teilweise als „Massenanhörung“ durchführten, sodass - wenn überhaupt -nur ein Minimum an Zeit für jeden Betroffenen blieb (vgl. aida, S. 68). Zwar besteht an sich freier Zugang zu einer anwaltlichen Vertretung, die Beiordnung von Anwälten erwies sich aber als weitgehend unzureichend, da diese völlig passiv blieben und die Interessen ihrer Mandanten nicht ernsthaft vertraten (aida, S. 70). Die vom Auswärtigen Amt (Auskunft vom 27.01.2016) behauptete genaue Einzelfallprüfung konnte schwerlich stattgefunden haben, wenn regelmäßig in der Haft unbegleitete Minderjährige angetroffen bzw. festgestellt worden waren. Es wird nämlich übereinstimmend berichtet, dass keine umfassende und vor allem einigermaßen zuverlässige Alterskontrolle und -feststellung stattfand bzw. gewährleistet war mit der Folge, dass immer wieder unbegleitete minderjährige Antragsteller in Haft kamen und später durch Mitarbeiter humanitärer Organisationen dort angetroffenen wurden (aida, S. 62; UNHCR I, S. 18; CHR II, Rn. 27). Nichts anderes galt für sog. vulnerable Personen (vgl. auch HRW, S. 6 ff.), was insoweit folgenschwerer ist, weil keinerlei psychosoziale Betreuung in den Haftanstalten stattfindet (aida, S. 65; HRW, S. 8). Eine psychologische Behandlung kommt allenfalls in einer Klinik in Betracht (vgl. AA v. 27.01.2016, S. 7). Grundsätzlich können nunmehr - wohl anders als noch im Jahre 2014 - auch Familien mit minderjährigen Kindern bis zu 60 Tagen inhaftiert werden, was auch tatsächlich und nicht nur in Ausnahmefällen geschieht (vgl. aida, S. 62; UNHCR I, S. 21 f.), aber schwerlich mit Art. 37 Kinderkonvention und Art. 11 Abs. 2 Aufnahmerichtlinie (RL 2013/33/EU v. 26.06.2013) vereinbar sein wird.
38 
Allerdings legen die neuesten Erkenntnismittel die Schlussfolgerung nahe, dass die Inhaftierungsquote möglicherweise nicht mehr das gleiche hohe Ausmaß hat wie dieses noch im Jahre 2014 der Fall war. Dem Senat liegen keine aktuellen belastbaren Statistiken über die genaue Zahl der Inhaftierten bzw. zum Anteil der Inhaftierten im Verhältnis zur Gesamtzahl der Antragsteller vor. Zwar nennt aida (S. 60) eine Zahl von 52 v.H. Inhaftierten bezogen auf den 02.11.2015, ohne dieses weiter zu erläutern; in diesem Zusammenhang wird aber sodann noch die Gesamtzahl der zwischen 01.01. bis 30.09.2015 inhaftierten Antragsteller mit 1.860 angegeben, was aber in Anbetracht der vom Auswärtigen Amt dem Senat auf seine Anfrage am 27.06.2016 mitgeteilten Zahl von rund 179.000 Antragstellern im Jahre 2015 eine Quote von 52 v.H. nicht ohne weiteres plausibel erscheinen lässt (vgl. aber auch widersprüchlich AA v. 03.07.2015: 01.01.2015 bis 31.05.2015 1.078 inhaftierte Personen einerseits, AA vom 28.09.2015: 01.01.2015 bis 30.06.2015 492 Personen andererseits). Gegenüber dem Senat hat das Auswärtige Amt am 27.06.2016 die Gesamtzahl der Inhaftierungen im 1. Halbjahr 2015 mit 1.258, im 2. Halbjahr mit 1.145 und in der Zeit zwischen dem 01.01.2016 bis 22.06.2016 mit 1.648 Personen angegeben, was in Einklang mit der von aida genannten Gesamtzahl von 1.860 Personen stehen könnte. Nimmt man die hohe Zahl der Antragstellungen im Jahre 2015, so könnte hieraus auf eine deutlich geringere Inhaftierungsquote als im Jahre 2014 zu schließen sein, auch wenn dem Senat nicht bekannt ist, wie viele Antragsteller tatsächlich überhaupt noch im Land geblieben waren. Sollte, wie zu vermuten ist, ein Großteil der Antragsteller das Land aber bereits wieder verlassen haben, so würde dieses unmittelbar die Inhaftierungsquote erhöhen. Dafür, dass die meisten Antragsteller wieder das Land verlassen haben, spricht der Umstand, dass regelmäßig der Anteil der sog. Einstellungsentscheidungen der ungarischen Asylbehörde signifikant hoch ist (vgl. Eurostat, „Asylum and first time asylum applicants, Last update 06.07.2016“ für Ungarn 177.135 Antragsteller im Jahre 2015 einerseits; „Asylum applications withdrawn, Last update 08.07.2016“ für Ungarn im Jahre 2015 103.015 Einstellungsentscheidungen andererseits; vgl. auch „Final decisions on applications Last update 22.06.2016“ für Ungarn im Jahre 2015 nur 480 endgültige Sachenentscheidungen).
39 
Die Haftanstalten waren und sind entgegen früherer Befürchtungen (vgl. Hungarian Helsinki Committee, Building als Legal Fence, vom 07.08.2015, S. 5) nicht überfüllt, allerdings jedenfalls teilweise nach wie vor in einem sehr schlechten Zustand, so v.a. die Haftanstalt in Nyirbátor (vgl. aida, S. 65; HRW, S. 2 f. und 9), in der im Winter 2014/15 die Häftlinge bei Temperaturen von 5°C in der Haftanstalt ohne ausreichende Kleidung längere Zeit leben mussten, sie ist außerdem trotz mehrfacher Abhilfeversuche nach wie vor völlig verwanzt. Andere bauliche Mängel waren vorhanden, waren aber wohl nicht so gravierend. Schwangere, begleitete und unbegleitete Kinder und Menschen mit Behinderungen werden immer wieder auch für lange Zeit mit alleinstehenden Männern zusammen untergebracht (HRW, S. 2). Typisch ist weiterhin ein hohes Maß an alltäglicher Brutalität, die von dem Personal in den Haftanstalten ausgeht (vgl. ecre/aida, S. 27). Die Betroffenen werden wie Kriminelle behandelt und nur mit Handschellen und untereinander angeleint ausgeführt (aida, S. 65; CHR II, Rn. 21, dessen Ausführungen darauf schließen lassen, dass es sich nicht um einen Ausreißer gehandelt haben kann; vgl. auch AA vom 21.06.2016). Die ärztliche Basisversorgung für nicht vorbelastete Insassen ist theoretisch wohl gewährleistet (aida, S. 65; AA v. 27.01.2016). Deren Effektivität leidet aber mit Rücksicht auf fehlende Dolmetscher erheblich unter den Kommunikationsschwierigkeiten, die oftmals eine sachgerechte Behandlung unmöglich machen (vgl. CHR II, Rn. 20).
40 
Ausgehend von den Verhältnissen im Sommer 2014, auf die hier allein abzustellen ist, musste der Kläger dann, wenn er in Ungarn verblieben wäre, um dort ein Verfahren auf Gewährung internationalen Schutzes durchzuführen, als alleinstehender Mann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen in Haft zu kommen. Das nach den verwerteten Erkenntnismitteln hoch defizitäre Haftanordnungs- bzw. Haftprüfungsverfahren, das die Betroffenen einer willkürlichen Behandlung ausgesetzt hatte, und in dem sie in der Regel nicht einmal im Ansatz in ihrer Subjektqualität wahrgenommen wurden, verstieß nicht nur gegen die menschenrechtlichen Garantien der Art. 5 und Art. 13 EMRK (vgl. zu dem Aspekt der mangelnden Eröffnung der maßgeblichen Gründe einer Inhaftierung und einer hieraus folgenden Verletzung von Art. 3 EMRK EGMR, Urteil vom 01.09.2015 - Nr. 16483/12, Khlaifia u.a./Italien -, juris), sondern auch - jedenfalls in Zusammenschau mit den konkreten Haftbedingungen bei desolater Unterbringungssituation und den Handlungsweisen des Personals mit systematischer Schlechtbehandlung - gegen Art. 3 EMRK und damit gegen Art. 4 GRCh, weshalb es dem Kläger nicht zugemutet werden konnte, in Ungarn auch ein Verfahren auf internationalen Schutz durchzuführen, mit der Folge, dass mit der Asylantragstellung im Bundesgebiet die Zuständigkeit der Bundesrepublik begründet wurde.
II.
41 
Die angegriffenen Bescheide waren nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) auch aus einem weiteren Grund aufzuheben.
42 
1. Die in Ziffer 2 verfügte Abschiebungsanordnung setzt nach § 34a Abs. 1 AsylG voraus, dass die Abschiebung in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgen kann und dies auch alsbald der Fall sein wird. Bestehen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass dieses nicht der Fall sein könnte, ist die Beklagte ggf. darlegungspflichtig, dass diese Voraussetzungen gleichwohl (noch) vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2016 - 1 C 24.15 -, juris). Solche Anhaltspunkte liegen hier vor. Zum einen ergab sich aus dem von der Beklagten selbst dem Senat vorgelegten Quartalsbericht IV 2015 zum Mitgliedstaat Ungarn vom 27.01.2016 im gesamten Jahr 2015 von 33.220 Zustimmungsfällen tatsächlich nur 1.402 nach Ungarn überstellt worden waren, was einer Quote von 4,2 v.H. entsprach; im 4. Quartal war die Quote sogar auf 3,3 v.H. gesunken. Hierauf angesprochen konnte die Terminsvertreterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung nicht im Ansatz plausibel erklären, weshalb davon auszugehen sei, dass in absehbarer Zeit noch damit zu rechnen sein könnte, dass der Kläger nach Ungarn überstellt werden kann und wird. Zum anderen hatte der Kläger mit Schriftsatz vom 30.06.2016, der der Beklagten am 01.07.2016 per Fax übersandt worden war, unter Bezugnahme auf einen Betrag auf dem offiziellen Internetauftritt der ungarischen Regierung vom 26.05.2016 substantiiert dargelegt, dass Ungarn keine Flüchtlinge u.a. aus Deutschland mehr übernehmen werde, zumindest, wenn diese, wie der Kläger, über Griechenland in das Gebiet der Mitgliedstaaten eingereist waren. Weder im Vorfeld der mündlichen Verhandlung noch in dieser selbst konnte die Beklagte zum Vorbringen des Klägers und auch der diesbezüglichen Aufklärungsverfügung des Senats 21.06.2016, die ihr am gleichen Tag per Fax tatsächlich zugegangen ist, irgendetwas Erhellendes beitragen, sodass der Senat schon aufgrund dessen nicht davon ausgehen kann, dass noch aktuell oder jedenfalls zeitnah eine Überstellung möglich sein. Allein deshalb ist Ziffer 2 der angegriffenen Verfügung aufzuheben. Abgesehen davon ging nach Schluss der mündlichen Verhandlung und vor der abschließenden Beschlussfassung über dieses Urteil eine telefonische Nachricht der Beklagten ein, wonach eine kurzfristige Überstellung des Klägers nicht möglich sein wird, wodurch diese Einschätzung bestätigt wird.
43 
2. Die dargestellte Problematik hat jedoch auch weitergehende Folgen und berührt - ungeachtet der Ausführungen unter I - die Rechtmäßigkeit der Ziffer 1, in der der Asylantrag als unzulässig abgelehnt worden war.
44 
Steht zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats hinreichend sicher fest, dass innerhalb der nächsten sechs Monate eine Überstellung aus tatsächlichen Gründen nicht möglich sein wird oder durchgeführt werden kann, so gebietet der dem Dublin-System innewohnende Beschleunigungsgedanke (vgl. z.B. EuGH, Urteil vom 14.11.2013 - C-4/11 -, NVwZ 2014, 129, Rn. 33 ff.), dass bereits jetzt von einer Unmöglichkeit der Überstellung und damit dem künftigen Zuständigkeitsübergang auszugehen ist (vgl. Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO). Bei diesen Überlegungen muss - ausgehend von der Annahme, dass die Ziffer 1 sonst an keinen Rechtsfehlen leidet und der Senat als maßgeblichen Zeitpunkt den der mündlichen Verhandlung zugrunde zu legen hat (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) - die Prognose zum Ausgangspunkt nehmen, dass die Überstellungsfrist aktuell zu laufen beginnt, weil der Kläger sein Begehren nicht weiter verfolgen wird. Andernfalls wäre zu Lasten der Betroffenen und unter Vernachlässigung des Beschleunigungsgedankens ein zuverlässiger Ausgangs- und Fixpunkt der Prognose nicht festzulegen mit der Folge, dass die hier bestehende Überstellungsproblematik nicht in einer den berechtigten Interessen der Betroffenen gemäßen Art und Weise sachgerecht bewältigt werden könnte. Bei einer anderen Sichtweise könnte eine Prognoseentscheidung erst dann getroffen werden, wenn die Entscheidung des Senats zu einem jetzt noch ungewissen Zeitpunkt rechtskräftig geworden ist und damit die Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO (vgl. auch Art. 29 Abs. 1 UA 1) in Lauf gesetzt wurde.
45 
Angesichts des oben dargestellten enormen Rückstaus von Überstellungen (allein aus dem Jahr 2015) und bei einer nur verschwindend geringen Überstellungsquote ist - auch angesichts der aktuellen offiziellen Äußerungen der ungarischen Regierung vom 26.05.2016 - für den Senat nicht ersichtlich und von der Beklagten auch nicht plausibel dargelegt, dass in absehbarer Zeit überhaupt noch Überstellungen in nennenswertem Umfang durchgeführt werden können. Bei dieser Sachlage ist die Beklagte zur Vermeidung weiterer unzumutbarer dem Beschleunigungsprinzip und der Effektivität des Europäischen Asylsystems zuwider laufender Verzögerungen zu vermeiden, verpflichtet, ohne Ermessensspielraum sofort von dem Selbsteintritt nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO Gebrauch zu machen, ohne den sich abzeichnenden Zuständigkeitsübergang nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO abwarten zu dürfen.
46 
Sollte im Übrigen der Inhalt einer später nach Übergabe des Tenors an die Geschäftsstelle eingegangenen Email der Beklagten zutreffen, wonach die Überstellung im individuellen Fall des Klägers nicht möglich sei, weil Ungarn schon gar nicht mitgeteilt worden sei, dass der Kläger ein Rechtsmittel eingelegt habe, so wäre die Zuständigkeit Ungarns nach Art. 9 Abs. 2 Satz 2 Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 vom 02.09.2003 i.d.F. v. 30.01.2014 (ABl. L 39, 1) auch deshalb auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen.
III.
47 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; Gerichtskosten werden nicht erhoben (vgl. § 83b AsylG).
48 
Gründe nach § 132 Abs. 2 VwGO, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Gründe

 
18 
Die nach Schließung der mündlichen Verhandlung von der Beklagten übersandten Emails gaben dem Senat schon deshalb keine Veranlassung zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, weil sie erst eingegangen waren, nachdem der unterschriebene Entscheidungstenor auf der Geschäftsstelle zum Zwecke der Information der Beteiligten niedergelegt worden und die Entscheidung des Senats bindend geworden war (BVerwG, Beschlüsse vom 27.04.2005 - 5 B 107.04 -, juris und vom 24.06.1971 - I CB 4.69 -, juris; Stuhlfauth, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 6. Aufl. 2014, § 116 Rn. 10) .
19 
Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Insbesondere wurde sie fristgerecht unter Stellung eines Antrags ordnungsgemäß begründet.
20 
Die Berufung bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den angegriffenen Bescheid im Ergebnis zu Recht aufgehoben. Dieser ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in eigenen Rechten.
21 
Die Voraussetzungen des § 27a AsylG liegen nicht vor mit der Folge, dass auch die Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG zu Unrecht erlassen wurde und der Bescheid insgesamt aufzuheben ist (vgl. zur Statthaftigkeit der Anfechtungsklage zuletzt BVerwG, Urteil vom 27.04.2016 - 1 C 24.15 -, juris). Zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) war Ungarn nicht der für die Durchführung des Verfahrens zuständige Mitgliedstaat. Denn bereits zum Zeitpunkt der Ausreise des Klägers aus Ungarn und der Antragstellung in der Bundesrepublik Deutschland war wegen des Bestehens systemischer Schwachstellen des Asylhaftsystems in Ungarn die Zuständigkeit auf die Bundesrepublik Deutschland übergangen, ohne dass diese später wieder entfallen ist (vgl. I.). Ungeachtet dessen ist die Zuständigkeit jedenfalls später übergangen, weil eine Überstellung bis zum Ablauf der Überstellungsfrist nicht mehr durchgeführt werden wird (II.).
I.
22 
Bei Erlass des angegriffenen Bescheids war nicht Ungarn für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig, sondern die Bundesrepublik Deutschland.
23 
1. Die Zuständigkeit ergibt sich vorliegend aus Art. 3 Abs. 2 UA 2 und 3 VO (EU) 604/2013 vom 26.06.2013 (im Folgenden Dublin III-VO); die Verordnung ist im Hinblick auf deren Art. 49 im vorliegenden Fall auch anzuwenden.
24 
Zum Zeitpunkt der Einreise des Klägers in die Bundesrepublik Deutschland bestanden wesentliche Gründe für die Annahme, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Ungarn systemische Schwachstellen aufwiesen, die für ihn die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh mit sich brachten.
25 
Zwar war der Kläger über Griechenland in das Gebiet der Mitgliedstaaten eingereist, der Senat geht hier aber als gerichtsbekannt davon aus, dass Griechenland jedenfalls damals seinerseits systemische Schwachstellen aufgewiesen hatte (vgl. EGMR, Entscheidung vom 21.01.2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien -, NVwZ 2011, 413); das haben die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung auch nicht infrage gestellt. Der Senat kann daher offen lassen, ob die Zuständigkeit Griechenlands nach Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO nicht ohnehin infolge der Ausreise aus dem Gebiet der Mitgliedstaaten (nach Mazedonien) entfallen war, nachdem der Kläger dort keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte (vgl. weiterführend Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, § 27a Rn. 209). Eine Zuständigkeit Österreichs wurde nicht begründet, weil der Kläger innerhalb weniger Stunden nur durch Österreich durchgereist war und sich insbesondere nicht mindestens fünf Monate dort oder in weiteren Mitgliedstaaten aufgehalten hatte (vgl. Art. 13 Abs. 2 UA 2 Dublin III-VO). Ein anderer potentiell zuständiger Mitgliedstaat war nicht gegeben.
26 
Selbst wenn in Ungarn in der Folgezeit die systemischen Schwachstellen wieder entfallen sein und heute zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht mehr bestehen sollten, wäre gleichwohl eine erneute Zuständigkeit Ungarns nach der Einreise des Klägers und der Antragstellung im Bundesgebiet nicht wieder begründet worden. Denn nur bei einer solchen Sichtweise kann den unionsrechtlichen Erfordernissen eines klaren und praktikablen Zuständigkeitssystems, das zeitnah zu einer sachlichen Prüfung des Antrags zumindest in einem Mitgliedstaats führt und das einen potentiellen ständigen Wechsel der Zuständigkeit verbietet, genügt werden; dieser Aspekt hat nicht zuletzt seinen Ausdruck etwa in Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO gefunden (vgl. zu alledem auch EuGH, Urteil vom 07.06.2016 - C-63/15 , juris; Wendel, JZ 2016, 332).
27 
2. Dass im Sommer 2014 die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 2 UA 2 Dublin III-VO vorlagen, ergibt sich aus Folgendem:
28 
a) Mit der Regelung des Art. 3 Abs. 2 UA 2 Dublin III-VO wird insbesondere die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Dublin II-Verordnung (Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. -, NVwZ 2012, 417; vgl. dazu auch Urteil vom 10.12.2013 - C-394/12, Abdullahi -, NVwZ 2014, 208; vgl. auch EGMR, Urteil vom 21.01.2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien -, NVwZ 2011, 413) umgesetzt, wonach ein Mitglied- oder Vertragsstaat unter bestimmten Umständen im Rahmen der Prüfung seines Rechts auf Selbsteintritt (vgl. Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO, Art. 3 Abs. 3 Dublin III-VO) dazu verpflichtet ist, von der Rückführung in den an sich zuständigen Mitgliedstaat abzusehen.
29 
Dabei kann einerseits jeder Mitgliedstaat grundsätzlich davon ausgehen, dass alle an dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem beteiligten Staaten die Grundrechte einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten finden, beachten und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen. Auf dieser Grundlage besteht zunächst eine widerlegbare Vermutung dafür, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat den Anforderungen der Grundrechtecharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten genügt. Andererseits ist es möglich, dass in diesem System in der Rechtsanwendungspraxis in einem bestimmten Mitgliedstaat erhebliche Funktionsstörungen zutage treten und dieses zur absehbaren Folge hat, dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Menschenrechten unvereinbar ist.
30 
Allerdings stellt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht schon ein vereinzelter Verstoß gegen eine Bestimmung der Dublin II-VO bzw. der Dublin III-VO und auch nicht einmal jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat das Zuständigkeitssystem grundsätzlich infrage. Nach der Sichtweise des Gerichtshofs stünde andernfalls nicht weniger als der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, auf dem Spiel (EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. -, NVwZ 2012, 417). Das Dublin-Zuständigkeitssystem ist deshalb nur dann (teilweise) zu suspendieren, wenn einem Mitgliedstaat aufgrund der ihm vorliegenden Informationen nicht unbekannt sein kann, dass systemische Mängel oder Schwachstellen (vgl. zum Begriff jetzt Art. 3 Abs. 2 UA. 2 Dublin III-VO) des Asylverfahrens und (bzw. genauer: oder) der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller dort Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH, Urteile vom 21.12.2011, a.a.O., und vom 14.11.2013 - C-4/11, Puid -, NVwZ 2014, 129).
31 
Systemische Schwachstellen sind solche, die entweder bereits im Asyl- und Aufnahmeregime selbst angelegt sind und von denen alle Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern deshalb nicht zufällig und im Einzelfall, sondern vorhersehbar und regelhaft betroffen sind, oder aber tatsächliche Umstände, die dazu führen, dass ein theoretisch sachgerecht konzipiertes und nicht zu beanstandendes Asyl- und Aufnahmesystem - aus welchen Gründen auch immer - faktisch ganz oder in weiten Teilen seine ihm zugedachte Funktion nicht mehr erfüllen kann und weitgehend unwirksam wird (vgl. auch BVerwG, Beschlüsse vom 19.03.2014 - 10 B 6.14 -, NVwZ 2014, 1093, und vom 06.06.2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677). Dabei ist der Begriff der systemischen Schwachstelle nicht in einer engen Weise derart zu verstehen, dass er geeignet sein muss, sich auf eine unüberschaubare Vielzahl von Antragstellern auszuwirken. Vielmehr kann ein systemischer Mangel auch dann vorliegen, wenn er von vornherein lediglich eine geringe Zahl von Asylbewerbern betreffen kann, sofern er sich nur vorhersehbar und regelhaft realisieren wird und nicht gewissermaßen dem Zufall oder einer Verkettung unglücklicher Umstände bzw. Fehlleistungen von in das Verfahren involvierten Akteuren geschuldet ist (vgl. hierzu Lübbe, ZAR 2014, 97 ff. und schon Senatsurteil vom 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 -, InfAuslR 2015, 77).
32 
Wesentliche Kriterien für die zu entscheidende Frage, ob eine unmenschliche oder erniedrigende (bzw. "entwürdigende") Behandlung vorliegt, finden sich in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK (vgl. Urteile vom 21.01.2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien -, NVwZ 2011, 413, vom 04.11.2014 - Nr. 29217/12, Tharakel/Schweiz -, juris, und Entscheidung vom 05.02.2015 - Nr. 51428/10, A.M.E./Niederlande -, juris), der mit Art. 4 GRCh übereinstimmt (vgl. zu den Anforderungen ausführlich Senatsurteil vom 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 -, InfAuslR 2015, 77, m.w.N.). Die Annahme einer drohenden Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 GRCh muss durch wesentliche Gründe (Art. 3 Abs. 2 UA. 2 Dublin III-VO; vgl. auch EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. -, NVwZ 2012, 417: "ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe") gestützt werden. Das bedeutet, dass die festgestellten Tatsachen hinreichend verlässlich und aussagekräftig sein müssen; nur unter dieser Voraussetzung ist es nach der maßgeblichen Sicht des Gerichtshofs der Europäischen Union gerechtfertigt, von einer Widerlegung des „gegenseitigen Vertrauens“ der Mitgliedstaaten untereinander auszugehen. In diesem Zusammenhang müssen die festgestellten Tatsachen und Missstände verallgemeinerungsfähig sein, um die Schlussfolgerung zu rechtfertigen, dass es nicht nur vereinzelt, sondern immer wieder und regelhaft zu Grundrechtsverletzungen nach Art. 4 GRCh kommt. Das bei einer wertenden und qualifizierten Betrachtungsweise zugrunde zu legende Beweismaß ist das der beachtlichen Wahrscheinlichkeit im herkömmlichen Verständnis der höchstrichterlichen Rechtsprechung, das sich nicht von dem in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entwickelten Beweismaß des „real risk“ unterscheidet (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936; Beschluss vom 19.03.2014 - 10 B 6.14 -, juris).
33 
Hinzukommen muss immer, dass der konkrete Schutzsuchende auch individuell betroffen wäre. Es genügt nicht, dass lediglich abstrakt bestimmte strukturelle Schwachstellen festgestellt werden, wenn sich diese nicht auf den konkreten Antragsteller auswirken können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass - eine systemische Schwachstelle unterstellt - einer drohenden Verletzung von Art. 4 GRCh im konkreten Einzelfall gegebenenfalls vorrangig dadurch "vorgebeugt" werden kann, dass die Bundesrepublik Deutschland die Überstellung im Zusammenwirken mit dem anderen Mitgliedstaat so organisiert, dass eine solche nicht eintreten kann (vgl. EGMR, Urteil vom 04.11.2014 - Nr. 29217/12, Tharakel/Schweiz -, juris; BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 17.09.2014 - 2 BvR 939/14 und 2 BvR 1795/14 -, juris und 17.04.2015 - 2 BvR 602/15 -, juris).
34 
b) Nach den vom Senat verwerteten Erkenntnismitteln (vgl. v.a. Commissioner for Human Rights of the Council of Europe, Report by Nils Muiznieks vom 16.12.2014 Rn 148 ff. - im Folgenden CHR I; UNHCR, Anmerkungen und Empfehlungen des UNHCR zum Entwurf zur Änderung migrations- und asylbezogener sowie weiterer in diesem Zusammenhang stehender Vorschriften zwecks Rechtsharmonisierung vom 07.01.2015, S. 14 ff - im Folgenden UNHCR I) war im Jahre 2014 - wie schon seit Jahren zuvor - die Praxis der Verhängung von Abschiebungshaft bzw. einer Art von Sicherungshaft gegenüber Asylbewerbern durch schwerwiegende verfahrensrechtliche und inhaltliche Mängel gekennzeichnet und war seit langer Zeit national wie auch v.a. international heftiger Kritik ausgesetzt (vgl. ausführlich CHR I, Rn. 151 insbesondere auch mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EGMR zur Inhaftierungspraxis aus den Jahren 2011 und 2012). Diese Praxis war insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass etwa im Jahre 2010 beinahe ausnahmslos sämtliche Antragsteller inhaftiert wurden und die gerichtlichen Entscheidungen, auf denen die Inhaftierungen beruhten, vollständig intransparent waren und ohne jeden nachvollziehbaren Bezug zu dem individuellen Einzelfall standen. Hinzu kam, dass nach der damaligen Rechtslage die Haftgründe in hohem Maße vage und unbestimmt formuliert waren und damit in besonderer Weise eine rechtstaatlich unvertretbare gerichtliche Praxis begünstigten. Zwar wird für die Zeit bis zum Jahre 2014 von gewissen Verbesserungen gesprochen (vgl. CHR I, Rn. 153), was wohl zur Folge hatte, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Entscheidung vom 03.07.2014 (Nr. 71932/12) nicht mehr zu erkennen vermochte, dass das Inhaftierungssystem in Ungarn noch durch so schwerwiegende Mängel gekennzeichnet gewesen sei, dass die erfolgte Inhaftierung des Betroffenen eine Verletzung von Art. 3 EMRK ausgemacht hätte. Neuere, dem Gerichtshof noch nicht vorliegende Erkenntnisse aus dem Jahre 2014 zur Situation in Ungarn, wie der Bericht des Menschrechtskommissars vom 16.12.2014, der seinerseits auf einer Reihe aktueller Erkenntnismittel und auch eigener Anschauung beruhte, sowie die grundlegende Einschätzung von UNHCR vom 07.01.2015 gebieten jedoch auch in Ansehung gewisser Verbesserungen gleichwohl für das Jahr 2014 nunmehr eine abweichende Einschätzung. Hinzu kommt, dass selbst der Oberste Gerichtshof Ungarns (Kuriá) in seinem Bericht (Report on the Court’s Refugee Law-related Jurisprudence“ vom 20.10.2014; zitiert nach UNHCR I, S. 13 f.) die gravierenden Mängel der ungarischen Rechtsprechungspraxis bestätigt und praktische Hinweise zu deren Behebung gegeben hatte (vgl. zu alledem auch Lehnert, NVwZ 2016, 896, 899).
35 
Jedenfalls waren im Frühjahr 2014 noch etwa 25 v.H. aller Antragsteller und 42 v.H. aller männlichen ledigen Antragsteller in Haft. Besonders besorgt war der Menschrechtskommissar über die unverändert festzustellende Willkür bei der Anordnung von Haft, namentlich vermisste er jede Individualisierung der Anordnung und deren Unverhältnismäßigkeit, was die Dauer betrifft. Verschärft wurde dieser Zustand dadurch, dass es - gewissermaßen als Korrektiv - keinerlei effektive richterliche Kontrolle gab, was auch vom Obersten Gerichtshof festgestellt und kritisiert worden war.
36 
Die aktuell seit 01.08.2015 geltenden gesetzliche Bestimmungen über die Voraussetzungen für die Anordnung von „Asylhaft“, die nach ungarischem Recht seit 2013 von der Abschiebungshaft „Immigration Detention“ unterschieden wird (vgl. aida, „Country Report: Hungary“ vom November 2015, S. 64 - im Folgenden aida), stehen allerdings nunmehr im Wesentlichen in Übereinstimmung mit den Vorgaben der Aufnahmerichtlinie (RL 2013/33/EU v. 26.06.2013) in deren Art. 8 (vgl. auch aida, S. 60). Als problematisch wird hingegen unverändert auch heute noch die praktische Handhabung der Bestimmungen geschildert. Als Haftgrund wird am häufigsten „Fluchtgefahr“ genannt (aida, S. 60). Mittlerweile kommt als weiterer oft herangezogener Grund hinzu die „Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ (vgl. aida, S. 61). Dem liegt zugrunde, dass Ungarn nunmehr alle Antragsteller, die nicht offiziell über eine Grenzstation einzureisen versuchen bzw. versucht haben, der illegalen Einreise beschuldigt und diese deshalb grundsätzlich auch strafrechtlich verfolgt werden können, was aber in dieser Pauschalität offensichtlich mit den Vorgaben in Art. 31 GFK unvereinbar ist (vgl. zu alledem UNHCR vom Mai 2016, Rn. 59 - im Folgenden UNHCR II; Human Rights Watch “Hungary: Locked Up for Seeking Asylum“ vom 01.12.2015, S. 2 und 4 mit dem weiteren Hinweis, dass deshalb insbesondere abgelehnte Antragstellers häufig in „Immigration Detention“, d.h. praktisch in Strafanstalten inhaftiert sind, - im Folgenden HRW; so auch aida, S. 61 f. und 64). Ungeachtet dessen wird wiederum einhellig nach wie vor beanstandet, dass Haftgründe immer noch nicht individualisiert und einzelfallbezogen geprüft und beurteilt werden, wobei wiederum noch hinzu kommt, dass unverändert die Begründungen der Entscheidungen in höchstem Maße defizitär sind und für die Betroffenen nicht erkennen lassen, weshalb sie in Haft genommen werden (vgl. aida, S. 61 und 68; Commissioner for Human Rights of the Council of Europe, vom 17.12.2015, Rn. 16 ff. und 22 - im CHR II). Dass eine spezifische Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt wurde, lässt sich in der Regel den Entscheidungen immer noch nicht entnehmen (aida, S. 68). Entgegen den Vorgaben des Unionsrechts wird bei gerichtlichen Haftanordnungen immer wieder nicht sorgfältig erwogen, ob es hierzu Alternativen gibt (aida, S. 61; UNHCR I S. 22). Obwohl es, worauf bereits hingewiesen wurde, in der Vergangenheit eine ausdrückliche Beanstandung durch den Obersten Gerichtshof gegeben hatte, sind - mit einer gewissen Ausnahme beim Gericht in Debrecen - bis heute keine sichtbaren Änderungen eingetreten.
37 
Die wesentlichen Verfahrensabläufe stellten sich und stellen sich nach wie vor, wie folgt, dar: Am Beginn der Haft steht eine maximal 72 Stunden geltende behördliche Haftanordnung, gegen die es mit Rücksicht auf völlig defizitäre Informationen, erhebliche sprachlich bedingte Kommunikationsprobleme und völlig unzureichenden Zugang zu fachkundiger Hilfestellung nur einen theoretischen, aber praktisch kaum wirksamen Rechtsschutz gibt (vgl. aida, S. 69 und zum Ablauf des Verfahrens Rn. 67 f.) mit der Folge, dass die Betroffenen jeder denkbaren Willkür ausgeliefert sein können. Hieran schließt sich auf Antrag der Asylbehörde (OIN) eine förmliche gerichtliche Verlängerungsentscheidung an, die zunächst maximal 60 Tage gelten kann (bis insgesamt maximal 6 Monate). Die Verlängerungen erfolgen aus Gründen der „Verfahrensbequemlichkeit“ in aller Regel (wenn auch nicht ausnahmslos) pauschal und ohne Bezug zum Einzelfall um die jeweils zulässige Höchstdauer, ohne dass es insoweit nach der Einschätzung der Stellungnahmen ein effektives Rechtsmittel oder eine effektive Abhilfemöglichkeit für die Betroffenen gibt (aida, S. 67 ff. insbes. Rn. 69 f. und schon UNHCR I, S. 13 und 17); ob überhaupt ein Rechtsbehelf gegen die richterliche Haftanordnung eröffnet ist, ist nicht völlig klar (verneinend und im Einzelnen begründet aida, S. 67 f. Rechtsschutz nur in Bezug auf die behördlich Anordnung bis zu 72 Stunden; bejahend AA v. 21.06.2016 an VG Potsdam). Die Gerichte stützen sich nach wie vor häufig allein auf die Angaben der Asylbehörde, ohne die Angaben der Betroffenen angemessen zu würdigen (aida, S. 68; ecre/aida, „Crossing Boundaries“ vom 01.10.2015, S. 27 f.). Bereits in der Vergangenheit konnte festgestellt werden, dass die Gerichte die vorgeschriebene Anhörung jedenfalls teilweise als „Massenanhörung“ durchführten, sodass - wenn überhaupt -nur ein Minimum an Zeit für jeden Betroffenen blieb (vgl. aida, S. 68). Zwar besteht an sich freier Zugang zu einer anwaltlichen Vertretung, die Beiordnung von Anwälten erwies sich aber als weitgehend unzureichend, da diese völlig passiv blieben und die Interessen ihrer Mandanten nicht ernsthaft vertraten (aida, S. 70). Die vom Auswärtigen Amt (Auskunft vom 27.01.2016) behauptete genaue Einzelfallprüfung konnte schwerlich stattgefunden haben, wenn regelmäßig in der Haft unbegleitete Minderjährige angetroffen bzw. festgestellt worden waren. Es wird nämlich übereinstimmend berichtet, dass keine umfassende und vor allem einigermaßen zuverlässige Alterskontrolle und -feststellung stattfand bzw. gewährleistet war mit der Folge, dass immer wieder unbegleitete minderjährige Antragsteller in Haft kamen und später durch Mitarbeiter humanitärer Organisationen dort angetroffenen wurden (aida, S. 62; UNHCR I, S. 18; CHR II, Rn. 27). Nichts anderes galt für sog. vulnerable Personen (vgl. auch HRW, S. 6 ff.), was insoweit folgenschwerer ist, weil keinerlei psychosoziale Betreuung in den Haftanstalten stattfindet (aida, S. 65; HRW, S. 8). Eine psychologische Behandlung kommt allenfalls in einer Klinik in Betracht (vgl. AA v. 27.01.2016, S. 7). Grundsätzlich können nunmehr - wohl anders als noch im Jahre 2014 - auch Familien mit minderjährigen Kindern bis zu 60 Tagen inhaftiert werden, was auch tatsächlich und nicht nur in Ausnahmefällen geschieht (vgl. aida, S. 62; UNHCR I, S. 21 f.), aber schwerlich mit Art. 37 Kinderkonvention und Art. 11 Abs. 2 Aufnahmerichtlinie (RL 2013/33/EU v. 26.06.2013) vereinbar sein wird.
38 
Allerdings legen die neuesten Erkenntnismittel die Schlussfolgerung nahe, dass die Inhaftierungsquote möglicherweise nicht mehr das gleiche hohe Ausmaß hat wie dieses noch im Jahre 2014 der Fall war. Dem Senat liegen keine aktuellen belastbaren Statistiken über die genaue Zahl der Inhaftierten bzw. zum Anteil der Inhaftierten im Verhältnis zur Gesamtzahl der Antragsteller vor. Zwar nennt aida (S. 60) eine Zahl von 52 v.H. Inhaftierten bezogen auf den 02.11.2015, ohne dieses weiter zu erläutern; in diesem Zusammenhang wird aber sodann noch die Gesamtzahl der zwischen 01.01. bis 30.09.2015 inhaftierten Antragsteller mit 1.860 angegeben, was aber in Anbetracht der vom Auswärtigen Amt dem Senat auf seine Anfrage am 27.06.2016 mitgeteilten Zahl von rund 179.000 Antragstellern im Jahre 2015 eine Quote von 52 v.H. nicht ohne weiteres plausibel erscheinen lässt (vgl. aber auch widersprüchlich AA v. 03.07.2015: 01.01.2015 bis 31.05.2015 1.078 inhaftierte Personen einerseits, AA vom 28.09.2015: 01.01.2015 bis 30.06.2015 492 Personen andererseits). Gegenüber dem Senat hat das Auswärtige Amt am 27.06.2016 die Gesamtzahl der Inhaftierungen im 1. Halbjahr 2015 mit 1.258, im 2. Halbjahr mit 1.145 und in der Zeit zwischen dem 01.01.2016 bis 22.06.2016 mit 1.648 Personen angegeben, was in Einklang mit der von aida genannten Gesamtzahl von 1.860 Personen stehen könnte. Nimmt man die hohe Zahl der Antragstellungen im Jahre 2015, so könnte hieraus auf eine deutlich geringere Inhaftierungsquote als im Jahre 2014 zu schließen sein, auch wenn dem Senat nicht bekannt ist, wie viele Antragsteller tatsächlich überhaupt noch im Land geblieben waren. Sollte, wie zu vermuten ist, ein Großteil der Antragsteller das Land aber bereits wieder verlassen haben, so würde dieses unmittelbar die Inhaftierungsquote erhöhen. Dafür, dass die meisten Antragsteller wieder das Land verlassen haben, spricht der Umstand, dass regelmäßig der Anteil der sog. Einstellungsentscheidungen der ungarischen Asylbehörde signifikant hoch ist (vgl. Eurostat, „Asylum and first time asylum applicants, Last update 06.07.2016“ für Ungarn 177.135 Antragsteller im Jahre 2015 einerseits; „Asylum applications withdrawn, Last update 08.07.2016“ für Ungarn im Jahre 2015 103.015 Einstellungsentscheidungen andererseits; vgl. auch „Final decisions on applications Last update 22.06.2016“ für Ungarn im Jahre 2015 nur 480 endgültige Sachenentscheidungen).
39 
Die Haftanstalten waren und sind entgegen früherer Befürchtungen (vgl. Hungarian Helsinki Committee, Building als Legal Fence, vom 07.08.2015, S. 5) nicht überfüllt, allerdings jedenfalls teilweise nach wie vor in einem sehr schlechten Zustand, so v.a. die Haftanstalt in Nyirbátor (vgl. aida, S. 65; HRW, S. 2 f. und 9), in der im Winter 2014/15 die Häftlinge bei Temperaturen von 5°C in der Haftanstalt ohne ausreichende Kleidung längere Zeit leben mussten, sie ist außerdem trotz mehrfacher Abhilfeversuche nach wie vor völlig verwanzt. Andere bauliche Mängel waren vorhanden, waren aber wohl nicht so gravierend. Schwangere, begleitete und unbegleitete Kinder und Menschen mit Behinderungen werden immer wieder auch für lange Zeit mit alleinstehenden Männern zusammen untergebracht (HRW, S. 2). Typisch ist weiterhin ein hohes Maß an alltäglicher Brutalität, die von dem Personal in den Haftanstalten ausgeht (vgl. ecre/aida, S. 27). Die Betroffenen werden wie Kriminelle behandelt und nur mit Handschellen und untereinander angeleint ausgeführt (aida, S. 65; CHR II, Rn. 21, dessen Ausführungen darauf schließen lassen, dass es sich nicht um einen Ausreißer gehandelt haben kann; vgl. auch AA vom 21.06.2016). Die ärztliche Basisversorgung für nicht vorbelastete Insassen ist theoretisch wohl gewährleistet (aida, S. 65; AA v. 27.01.2016). Deren Effektivität leidet aber mit Rücksicht auf fehlende Dolmetscher erheblich unter den Kommunikationsschwierigkeiten, die oftmals eine sachgerechte Behandlung unmöglich machen (vgl. CHR II, Rn. 20).
40 
Ausgehend von den Verhältnissen im Sommer 2014, auf die hier allein abzustellen ist, musste der Kläger dann, wenn er in Ungarn verblieben wäre, um dort ein Verfahren auf Gewährung internationalen Schutzes durchzuführen, als alleinstehender Mann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen in Haft zu kommen. Das nach den verwerteten Erkenntnismitteln hoch defizitäre Haftanordnungs- bzw. Haftprüfungsverfahren, das die Betroffenen einer willkürlichen Behandlung ausgesetzt hatte, und in dem sie in der Regel nicht einmal im Ansatz in ihrer Subjektqualität wahrgenommen wurden, verstieß nicht nur gegen die menschenrechtlichen Garantien der Art. 5 und Art. 13 EMRK (vgl. zu dem Aspekt der mangelnden Eröffnung der maßgeblichen Gründe einer Inhaftierung und einer hieraus folgenden Verletzung von Art. 3 EMRK EGMR, Urteil vom 01.09.2015 - Nr. 16483/12, Khlaifia u.a./Italien -, juris), sondern auch - jedenfalls in Zusammenschau mit den konkreten Haftbedingungen bei desolater Unterbringungssituation und den Handlungsweisen des Personals mit systematischer Schlechtbehandlung - gegen Art. 3 EMRK und damit gegen Art. 4 GRCh, weshalb es dem Kläger nicht zugemutet werden konnte, in Ungarn auch ein Verfahren auf internationalen Schutz durchzuführen, mit der Folge, dass mit der Asylantragstellung im Bundesgebiet die Zuständigkeit der Bundesrepublik begründet wurde.
II.
41 
Die angegriffenen Bescheide waren nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) auch aus einem weiteren Grund aufzuheben.
42 
1. Die in Ziffer 2 verfügte Abschiebungsanordnung setzt nach § 34a Abs. 1 AsylG voraus, dass die Abschiebung in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgen kann und dies auch alsbald der Fall sein wird. Bestehen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass dieses nicht der Fall sein könnte, ist die Beklagte ggf. darlegungspflichtig, dass diese Voraussetzungen gleichwohl (noch) vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2016 - 1 C 24.15 -, juris). Solche Anhaltspunkte liegen hier vor. Zum einen ergab sich aus dem von der Beklagten selbst dem Senat vorgelegten Quartalsbericht IV 2015 zum Mitgliedstaat Ungarn vom 27.01.2016 im gesamten Jahr 2015 von 33.220 Zustimmungsfällen tatsächlich nur 1.402 nach Ungarn überstellt worden waren, was einer Quote von 4,2 v.H. entsprach; im 4. Quartal war die Quote sogar auf 3,3 v.H. gesunken. Hierauf angesprochen konnte die Terminsvertreterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung nicht im Ansatz plausibel erklären, weshalb davon auszugehen sei, dass in absehbarer Zeit noch damit zu rechnen sein könnte, dass der Kläger nach Ungarn überstellt werden kann und wird. Zum anderen hatte der Kläger mit Schriftsatz vom 30.06.2016, der der Beklagten am 01.07.2016 per Fax übersandt worden war, unter Bezugnahme auf einen Betrag auf dem offiziellen Internetauftritt der ungarischen Regierung vom 26.05.2016 substantiiert dargelegt, dass Ungarn keine Flüchtlinge u.a. aus Deutschland mehr übernehmen werde, zumindest, wenn diese, wie der Kläger, über Griechenland in das Gebiet der Mitgliedstaaten eingereist waren. Weder im Vorfeld der mündlichen Verhandlung noch in dieser selbst konnte die Beklagte zum Vorbringen des Klägers und auch der diesbezüglichen Aufklärungsverfügung des Senats 21.06.2016, die ihr am gleichen Tag per Fax tatsächlich zugegangen ist, irgendetwas Erhellendes beitragen, sodass der Senat schon aufgrund dessen nicht davon ausgehen kann, dass noch aktuell oder jedenfalls zeitnah eine Überstellung möglich sein. Allein deshalb ist Ziffer 2 der angegriffenen Verfügung aufzuheben. Abgesehen davon ging nach Schluss der mündlichen Verhandlung und vor der abschließenden Beschlussfassung über dieses Urteil eine telefonische Nachricht der Beklagten ein, wonach eine kurzfristige Überstellung des Klägers nicht möglich sein wird, wodurch diese Einschätzung bestätigt wird.
43 
2. Die dargestellte Problematik hat jedoch auch weitergehende Folgen und berührt - ungeachtet der Ausführungen unter I - die Rechtmäßigkeit der Ziffer 1, in der der Asylantrag als unzulässig abgelehnt worden war.
44 
Steht zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats hinreichend sicher fest, dass innerhalb der nächsten sechs Monate eine Überstellung aus tatsächlichen Gründen nicht möglich sein wird oder durchgeführt werden kann, so gebietet der dem Dublin-System innewohnende Beschleunigungsgedanke (vgl. z.B. EuGH, Urteil vom 14.11.2013 - C-4/11 -, NVwZ 2014, 129, Rn. 33 ff.), dass bereits jetzt von einer Unmöglichkeit der Überstellung und damit dem künftigen Zuständigkeitsübergang auszugehen ist (vgl. Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO). Bei diesen Überlegungen muss - ausgehend von der Annahme, dass die Ziffer 1 sonst an keinen Rechtsfehlen leidet und der Senat als maßgeblichen Zeitpunkt den der mündlichen Verhandlung zugrunde zu legen hat (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) - die Prognose zum Ausgangspunkt nehmen, dass die Überstellungsfrist aktuell zu laufen beginnt, weil der Kläger sein Begehren nicht weiter verfolgen wird. Andernfalls wäre zu Lasten der Betroffenen und unter Vernachlässigung des Beschleunigungsgedankens ein zuverlässiger Ausgangs- und Fixpunkt der Prognose nicht festzulegen mit der Folge, dass die hier bestehende Überstellungsproblematik nicht in einer den berechtigten Interessen der Betroffenen gemäßen Art und Weise sachgerecht bewältigt werden könnte. Bei einer anderen Sichtweise könnte eine Prognoseentscheidung erst dann getroffen werden, wenn die Entscheidung des Senats zu einem jetzt noch ungewissen Zeitpunkt rechtskräftig geworden ist und damit die Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO (vgl. auch Art. 29 Abs. 1 UA 1) in Lauf gesetzt wurde.
45 
Angesichts des oben dargestellten enormen Rückstaus von Überstellungen (allein aus dem Jahr 2015) und bei einer nur verschwindend geringen Überstellungsquote ist - auch angesichts der aktuellen offiziellen Äußerungen der ungarischen Regierung vom 26.05.2016 - für den Senat nicht ersichtlich und von der Beklagten auch nicht plausibel dargelegt, dass in absehbarer Zeit überhaupt noch Überstellungen in nennenswertem Umfang durchgeführt werden können. Bei dieser Sachlage ist die Beklagte zur Vermeidung weiterer unzumutbarer dem Beschleunigungsprinzip und der Effektivität des Europäischen Asylsystems zuwider laufender Verzögerungen zu vermeiden, verpflichtet, ohne Ermessensspielraum sofort von dem Selbsteintritt nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO Gebrauch zu machen, ohne den sich abzeichnenden Zuständigkeitsübergang nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO abwarten zu dürfen.
46 
Sollte im Übrigen der Inhalt einer später nach Übergabe des Tenors an die Geschäftsstelle eingegangenen Email der Beklagten zutreffen, wonach die Überstellung im individuellen Fall des Klägers nicht möglich sei, weil Ungarn schon gar nicht mitgeteilt worden sei, dass der Kläger ein Rechtsmittel eingelegt habe, so wäre die Zuständigkeit Ungarns nach Art. 9 Abs. 2 Satz 2 Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 vom 02.09.2003 i.d.F. v. 30.01.2014 (ABl. L 39, 1) auch deshalb auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen.
III.
47 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; Gerichtskosten werden nicht erhoben (vgl. § 83b AsylG).
48 
Gründe nach § 132 Abs. 2 VwGO, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Das Oberverwaltungsgericht kann über die Berufung durch Beschluß entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet hält und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. § 125 Abs. 2 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Für die Berechnung von Fristen und für die Bestimmung von Terminen gelten die §§ 187 bis 193 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechend, soweit nicht durch die Absätze 2 bis 5 etwas anderes bestimmt ist.

(2) Der Lauf einer Frist, die von einer Behörde gesetzt wird, beginnt mit dem Tag, der auf die Bekanntgabe der Frist folgt, außer wenn dem Betroffenen etwas anderes mitgeteilt wird.

(3) Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werktags. Dies gilt nicht, wenn dem Betroffenen unter Hinweis auf diese Vorschrift ein bestimmter Tag als Ende der Frist mitgeteilt worden ist.

(4) Hat eine Behörde Leistungen nur für einen bestimmten Zeitraum zu erbringen, so endet dieser Zeitraum auch dann mit dem Ablauf seines letzten Tages, wenn dieser auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend fällt.

(5) Der von einer Behörde gesetzte Termin ist auch dann einzuhalten, wenn er auf einen Sonntag, gesetzlichen Feiertag oder Sonnabend fällt.

(6) Ist eine Frist nach Stunden bestimmt, so werden Sonntage, gesetzliche Feiertage oder Sonnabende mitgerechnet.

(7) Fristen, die von einer Behörde gesetzt sind, können verlängert werden. Sind solche Fristen bereits abgelaufen, so können sie rückwirkend verlängert werden, insbesondere wenn es unbillig wäre, die durch den Fristablauf eingetretenen Rechtsfolgen bestehen zu lassen. Die Behörde kann die Verlängerung der Frist nach § 36 mit einer Nebenbestimmung verbinden.

Tenor

I. Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 25. Oktober 2016 wird der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 23. November 2015 aufgehoben.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die im Jahr 1971 geborene Klägerin und ihre beiden 2006 und 2008 geborenen Kinder sind kurdische Yeziden aus Sheikhan im Irak. Sie reisten am 5. August 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 14. September 2015 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) Asylantrag.

Bei der Befragung zur Vorbereitung der Anhörung am 14. September 2015 gab die Mutter, die Klägerin zu 1, an, sie habe ihr Heimatland am 1. Juli 2015 verlassen. In der Heimat lebten noch ihr Ehemann und 2 weitere Kinder sowie drei Brüder und zwei Schwestern. Im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats am 16. Oktober 2015 gab die Klägerin zu 1 an, sie sei ca. einen Monat unterwegs gewesen und dabei über ihr unbekannte Länder gefahren. In Ungarn seien ihr Fingerabdrücke abgenommen worden.

Nachdem sich ein Eurodac-Treffer für Ungarn ergeben hatte, bat das Bundesamt am 21. Oktober 2015 Ungarn um Übernahme des Asylverfahrens. Der ungarische Staat bestätigte den Empfang der Anfrage am 22. Oktober 2015.

Mit Bescheid des Bundesamts vom 23. November 2015 wurden die Anträge als unzulässig abgelehnt (1.) und die Abschiebung nach Ungarn angeordnet (2.). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 12 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (3.). Zur Begründung ist ausgeführt, der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylG a.F. unzulässig, da Ungarn nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 v. 29.6.2013, S. 31 - Dublin III-VO), zur Prüfung der Asylanträge zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die zu einem Selbsteintrittsrecht führen könnten, seien nicht ersichtlich. Der Vortrag der Kläger, dass sie in Ungarn zwei Tage ohne Essen im Gefängnis gewesen seien und die Klägerin zu 1 deshalb aktuell psychisch sehr belastet sei, rechtfertige keine andere Beurteilung. Gründe zur Annahme von systemischen Mängeln im ungarischen Asylverfahren lägen nicht vor. Die in Deutschland lebenden Geschwister bzw. Verwandten der Klägerin zu 1 seien keine „Familienangehörige“ im Sinn der Dublin III-VO. Die Asylanträge würden daher in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft.

Am 1. Dezember 2015 erhoben die Kläger hiergegen beim Verwaltungsgericht Ansbach Klage und stellten zugleich Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Sie führten aus, es sei von systemischen Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Ungarn auszugehen. Das ergebe sich aus zahlreichen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen. Zudem werde zu Unrecht angenommen, dass die Kläger der Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (a.F.) unterfielen.

Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 4. Januar 2016 wurde die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet und mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. März 2017 deren Fortdauer (13a AS 17.50010).

In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 18. Oktober 2016 erklärten die Kläger, in Ungarn seien zwangsweise Fingerabdrücke abgenommen worden und es sei ihnen keine gute Behandlung widerfahren. Die Kinder hätten trotz starken Fiebers keine Behandlung bekommen; sie seien zusammen mit vielen anderen Personen inhaftiert gewesen.

Mit Urteil vom 25. Oktober 2016 wurde die Klage abgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, nach den unionsrechtlichen Rechtsvorschriften sei Ungarn für die Durchführung der Asylverfahren zuständig. Aufgrund der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage durch Beschluss vom 4. Januar 2016 sei die Wiederaufnahmefrist noch nicht abgelaufen. Derzeit sei auch nicht ernsthaft zu befürchten, dass in Ungarn das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen systemische Mängel aufwiesen. Das gelte auch nach der Verschärfung der gesetzlichen Regelungen in Ungarn zum 15. August 2015. Dafür spreche, dass der UNHCR keine generelle Empfehlung ausgesprochen habe, Asylbewerber nicht nach Ungarn zu überstellen. Auch die nach der Rechtslage mögliche Anwendung von Asylhaft bei Rückkehrern im Dublin-Verfahren führe nicht zur Annahme systemischer Mängel. Das hätten auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (U.v. 3.7.2014 - 71932/12) und der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (B.v. 12.6.2015 - 13a ZB 15.50097 - juris; B.v. 27.4.2015 - 14 ZB 13.30076 - juris) festgestellt. Zwar seien Dublin-Rückkehrer häufiger von Asylhaft betroffen als Ersteinreisende, jedoch würden Asylkläger aus sogenannten anerkennungsträchtigen Herkunftsländern regelmäßig weder in Asylhaft noch in Abschiebehaft genommen, im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2015 nur 0,7% aller Asylantragsteller. Familien mit minderjährigen Kindern müssten in separaten Gebäuden getrennt von alleinstehenden Männern untergebracht werden. Asylhaft werde nur in begründeten Einzelfällen angewendet. Dass die Haftbedingungen an sich menschenunwürdig wären und es dort systematisch zu Menschenrechtsverletzungen kommen würde, sei nicht ersichtlich. Es gebe regelmäßig eine medizinische Betreuung, teilweise arbeiteten dort Sozialpädagogen und es bestehe die Möglichkeit der freien Bewegung. Den aktuellen Berichten könne weiter nicht entnommen werden, dass den Klägern eine Überstellung von Ungarn nach Serbien drohe. Auch die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegenüber Ungarn durch die europäische Kommission führe nicht per se zur Annahme von systemischen Mängeln im Asylsystem. Die vorübergehenden Kapazitätsprobleme dürften sich mittlerweile nach den von der ungarischen Regierung ergriffenen Maßnahmen wieder entschärft haben.

Auf Antrag der Kläger hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 25. Januar 2017 die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zugelassen, ob das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Ungarn systemische Mängel aufweisen (13a ZB 16.50076).

Zur Begründung ihrer Berufung tragen die Kläger vor, im ungarischen Asylsystem herrschten größere Funktionsstörungen, so dass die ernst zu nehmende Gefahr bestehe, dass sie bei einer Überstellung in einer Weise behandelt würden, die mit ihren Grundrechten nicht vereinbar sei. Insbesondere bestehe mit der Aufnahme von Serbien in die Liste der sicheren Drittstaaten die Gefahr, dass Schutzsuchende nach einer Überstellung nach Ungarn ohne inhaltliche Prüfung ihrer Fluchtgründe in Staaten abgeschoben würden, für die zweifelhaft sei, dass die dortigen Asylverfahren den europäischen Mindestanforderungen entsprächen und Abschiebungen unter Verstoß gegen das Refoulement-Verbot ausgeschlossen seien. Zudem sei zu befürchten, dass das ungarische Asylrecht seit dem 1. August 2015 hinter den europäischen Verfahrensgarantien zurückbleibe. Diese Einschätzung werde bestätigt durch die Berichte von Bordermonitoring, Pro Asyl, Amnesty International, European Council on Refugees and Exiles (ecre) und des Hungarian Helsinki Committee.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid des Bundesamts vom 23. November 2015 unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 25. Oktober 2016 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt

Berufungszurückweisung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 23. März 2017 verwiesen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig und begründet (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 128 Satz 1 VwGO).

I.

Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die Anfechtungsklage die allein statthafte Klageart gegen den Bescheid des Bundesamts vom 23. November 2015, wenn es um das Begehren auf Aufhebung einer Entscheidung über die Unzuständigkeit Deutschlands für die Prüfung eines Asylantrags nach den unionsrechtlichen Regelungen der Dublin III-VO geht (BVerwG, U.v. 27.10.2015 - 1 C 32.14 - BVerwGE 153, 162 = NVwZ 2016, 154 zu Art. 2 Buchst. e Dublin II-VO).

II.

Die Klage ist auch begründet. Nach der im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblichen Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 AsylG) ist der Bescheid des Bundesamts vom 23. November 2015 rechtswidrig und verletzt die Kläger dadurch in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).

1. Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1a) AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.

Die Reihenfolge der Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats richtet sich nach Kapitel III der Verordnung (vgl. Art. 7 Abs. 1 Dublin III-VO). Nach Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO wird bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat gestellt hat.

Gemessen hieran wäre der beim Bundesamt gestellte Asylantrag gemäß § 29 AsylG unzulässig, weil die Kläger nach den Eurodac-Treffern in Ungarn aus einem Drittstaat kommend die Grenze dieses Mitgliedstaats überschritten haben, der damit nach Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig wäre. Zwischen den Beteiligten besteht auch kein Streit über die prinzipielle Zuständigkeit Ungarns. Die Kläger befürchten allerdings, dass ihnen im Fall ihrer Abschiebung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 3 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK) drohen würde. Davon ist in Ungarn auch auszugehen.

Das gemeinsame europäische Asylsystem stützt sich ebenso wie das deutsche Konzept der „normativen Vergewisserung“ hinsichtlich der Sicherheit von Drittstaaten (siehe hierzu EuGH, U.v. 21.12.2011 - C-411/10 u.a. - NVwZ 2012, 417 Rn. 75 ff.; BVerfG, U.v. 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49) auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung des am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK) und die Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen. Es wird vermutet, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Wenn ein Mitgliedstaat der Aufnahme des betreffenden Asylbewerbers zugestimmt (oder nicht geantwortet) hat, kann der Asylbewerber der Bestimmung dieses Mitgliedstaats deshalb gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO nur mit dem Einwand entgegentreten, es gebe wesentliche Gründe für die Annahme, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GR-Charta mit sich bringen (siehe zur Dublin II-VO EGMR, U.v. 21.1.2011 - M.S.S./Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09 - NVwZ 2011, 413; EuGH, U.v. 21.12.2011 - N.S., C-411/10 und C-493/10 - NVwZ 2012, 417; U.v. 10.12.2013 - Abdullahi, C-394/12 - NVwZ 2014, 208). Das ist vorliegend der Fall. Nach den dargestellten Grundsätzen ist es geboten, eine Überstellung nach Ungarn zu unterlassen, weil dort derzeit von systemischen Schwachstellen in diesem Sinn auszugehen ist.

2. Der Senat ist auf der Grundlage des ihm vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern sowie von Dublin-Rückkehrern zu der Überzeugung gelangt, dass bei diesen und damit auch den Klägern eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Fall der Überstellung/Abschiebung nach Ungarn ernsthaft zu befürchten ist.

a) Das ergibt sich aus der dortigen (gesetzlichen) Entwicklung in den letzten Jahren. Nach der am 1. Juli 2013 in Kraft getretenen Änderung des Asylgesetzes, die die Möglichkeit einer Inhaftierung von Asylbewerbern vorsah, kam es ab Sommer 2015 zu weiteren Gesetzesänderungen betreffend unter anderem die Einführung eines beschleunigten Verfahrens, den Rechtsschutz und die Inhaftierung sowie die Aufnahme von Serbien in eine nationale Liste sicherer Drittstaaten mit der Folge der Unzulässigkeit von Asylanträgen bei Einreise über Serbien (UNHCR, Hungary: As a Country of Asylum, Mai 2016 - UNHCR Mai 2016; Hungarian Helsinki Committee, Information Note v. 7.8.2015: Changes to Hungarian asylum law jeopardise access to protection in Hungary - HHC 7.8.2015; AIDA - Asylum Information Database, Country-Report: Hungary v. November 2015 - aida November 2015; Third Party Intervention by the Council of Europe Commissioner for Human Rights, Applications No. 44825/15 und 44944/15 v. 17.12.2015 - CHR). Im September 2015 wurde mit der Errichtung von Grenzzäunen zu Serbien und Kroatien ein Grenzverfahren in dort eingerichteten Transitzonen etabliert (UNHCR Mai 2016; aida November 2015; CHR). Im Fall von Unzulässigkeit und im beschleunigten Verfahren ist vom Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft (OIN) innerhalb von 15 Tagen zu entscheiden, im regulären Verfahren innerhalb von zwei Monaten (aida November 2015, S. 12; CHR). Die Rechtsmittelfrist gegen Unzulässigkeitsentscheidungen des OIN bzw. gegen Entscheidungen im beschleunigten Verfahren beträgt drei Tage, im Standardverfahren acht Tage (UNHCR Mai 2016, S. 10; HHC 7.8.2015; aida November 2015, S. 21 ff.). Unter Beibehaltung der im Juli 2013 eingeführten Asylhaft im Allgemeinen wurde die zulässige Haftdauer für Grenzankömmlinge ohne Papiere auf 24 statt bisher 12 Stunden heraufgesetzt und die Haftanordnung im Dublin-Verfahren erleichtert. Im Allgemeinen kann Asylhaft erstmalig maximal für 72 Stunden sowie aufgrund eines Verlängerungsantrags um maximal 60 Tage aus im Einzelnen genannten Gründen angeordnet werden, insbesondere bei unklarer Identität und Gefahr des Untertauchens. Zuvor ist zu prüfen, ob ein milderes Mittel zur Anwendung kommen kann (Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Regensburg v. 27.1.2016: Rücküberstellungen nach Ungarn im Rahmen des Dublin-Verfahrens - AA 27.1.2016). Die maximale Dauer der Asylhaft beträgt 6 Monate, bei Folgeanträgen 12 Monate und bei Familien mit Kindern 1 Monat (AA 27.1.2016; aida November 2015, S. 63). Die bisher verpflichtende Platzgröße für die Asylhaft wurde in eine Empfehlung umgewandelt, die so weit wie möglich einzuhalten ist. Ferner kann OIN Asylantragsteller ohne Dokumente verpflichten, ihr Heimatland zu kontaktieren (HHC 7.8.2015; CHR).

Dublin-Rückkehrer, über deren Erstantrag bei Rückkehr noch nicht entschieden wurde, werden als Erstantragsteller behandelt (AA 27.1.2016). Grundsätzlich hat die Asylbehörde in Fällen, in denen Asylantragsteller während eines laufenden Asylverfahrens in einen Mitgliedstaat weiterreisen, in jedem Verfahrensstadium die Möglichkeit, entweder auf Basis der zur Verfügung stehenden Informationen eine Sachentscheidung zu treffen oder aber das Asylverfahren einzustellen. Regelmäßig wird das Asylverfahren ohne Entscheidung in der Sache eingestellt (AA 27.1.2016; aida November 2015, S. 21 ff.). Die Wiederaufnahme des Verfahrens kann bis zu neun Monate nach Einstellung des Verfahrens beantragt werden (UNHCR Mai 2016, S. 20; AA 27.1.2016). Danach wird die Einstellung endgültig und der Asylbewerber wird wie ein Folgeantragsteller behandelt, wobei Änderungen dergestalt in Planung seien, dass der Asylantrag auch in diesem Fall vollumfänglich geprüft werde (AA 27.1.2016).

b) Angesichts dieser Ausgangslage, die nach dem vorliegenden Erkenntnismaterial ab dem Jahr 2013 bis zum jetzigen Zeitpunkt durch eine fortschreitende (gesetzliche) Intensivierung und Verschärfung gekennzeichnet ist, besteht für die Kläger insbesondere die Gefahr, in Ungarn ohne ausreichende gesetzmäßige Anordnung und ohne effektive Rechtsschutzmöglichkeiten inhaftiert zu werden.

Die Anordnung der Asylhaft ist schon nach den gesetzlichen Vorgaben in großem Umfang zulässig. Danach kann Asylhaft angeordnet werden 1. bei unklarer Identität oder Staatsangehörigkeit, 2. bei Ausländern, die sich im Ausweisungsverfahren befinden und einen Asylantrag stellen, obwohl sie diesen zweifelsfrei bereits zuvor hätten stellen können oder um eine drohende Aufenthaltsbeendigung zu verzögern oder abzuwenden, 3. wenn der Sachverhalt des Asylbegehrens aufgeklärt werden muss und eine Aufklärung nicht ohne Haft möglich ist, speziell wenn die Gefahr des Untertauchens besteht, 4. wenn der Asylbewerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, 5. wenn der Asylantrag im Flughafenbereich gestellt wurde oder 6. zur Sicherstellung der Durchführung des Dublin-Verfahrens, wenn die ernsthafte Gefahr des Untertauchens besteht (AA 27.1.2016). Diese Formulierung der Haftgründe ist sehr weit gefasst und lässt damit Raum für eine weitreichende Inhaftierung von Asylbewerbern (siehe auch UNHCR, Stellungnahme an das VG Düsseldorf v. 30.9.2014: Situation der Flüchtlinge und Asylsuchenden in Ungarn, insbesondere Dublin-Rückkehrer und Inhaftierungen - UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl, Stellungnahme an das VG Düsseldorf vom 31.10.2014: Haftsituation von Asylbewerbern in Ungarn - Pro Asyl 31.10.2014; aida November 2015, S. 59 ff.).

Auch die tatsächliche Praxis der Inhaftierung in Ungarn wird schon länger in vielen Punkten erheblich kritisiert. So solle das OIN vor einer Haftanordnung zwar prüfen, ob Alternativen zur Haft bestünden, aber nach Auskunft des Hungarian Helsinki Committee und Pro Asyl (Brief Information Note for the Seminar on the Right to Asylum in Europe, Barcelona, 9.-10.6.2016: The Reception Infrastructure for Asylum-Seekers in Hungary - HHC Juni 2016; Pro Asyl 31.10.2014) werde hiervon nur in Ausnahmefällen Gebrauch gemacht; Verlängerungen würden automatisch für den Höchstzeitraum beantragt und die Haftanordnungen seien nicht individualisiert (UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014). Kritisch angemerkt wird dabei ferner, dass es in „Asylhaft“-Einrichtungen des OIN praktisch kein ausgebildetes Personal gebe; Sozialarbeiter erhielten nur Zugang unter Begleitung einer bewaffneten Wache. Auch wenn sich die Inhaftierten zwischen 6.00 und 23.00 Uhr innerhalb der Hafteinrichtungen frei bewegen könnten (Pro Asyl 31.10.2014) und es in der polizeilichen „Einwanderungshaft“ für Folgeantragsteller ausgebildetes Bewachungspersonal gebe (UNHCR 30.9.2014), wird festgestellt, dass Asylbewerber bei etwaigen Behördengängen und Gerichtsterminen wie im Strafverfahren gefesselt und mit Handschellen vorgeführt würden (aida November 2015, S. 65; CHR). Weiter wird kritisiert, dass die Inhaftierungsquote ab dem Jahr 2013 kontinuierlich angestiegen sei. Während in einer Auskunft des Auswärtigen Amts vom 3. Juli 2015 an das Verwaltungsgericht Hannover (AA 3.7.2015) noch angegeben wurde, dass im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai 2015 2,1% aller Asylantragsteller und 6 bis 10% der Dublin-Rückkehrer in Asylhaft genommen worden seien, komme es in der Praxis nach Auskunft von aida (November 2015, S. 62) und CHR sehr häufig zu Inhaftierungen und entgegen der gesetzlichen Regelung seit September 2014 auch bei Familien mit Kindern, die unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten von Gesetzes wegen als schwerwiegendstes Mittel bis zu 30 Tage inhaftiert werden könnten. UNHCR kann jedoch nicht bestätigen, dass die Haft nur unter dieser Voraussetzung stattfindet (UNHCR 30.9.2014). Pro Asyl gibt vielmehr an, dass OIN ab September 2014 Familien verstärkt inhaftiert habe (Pro Asyl 31.10.2014). Anlässlich seines Besuchs vom 24. bis 27. November 2015 wurde dem CHR von OIN mitgeteilt, dass sich derzeit 525 Asylantragsteller in offenen Aufnahmeeinrichtungen befänden und 412, mithin ca. 44%, inhaftiert seien. Anfang November 2015 soll die Inhaftierungsquote CHR zufolge sogar 52% gegenüber 11% im Jahr 2014 betragen haben (siehe auch HHC v. Juni 2016). Zudem scheint sich nach Auffassung der genannten Organisationen der ungenügende Gebrauch von Haftalternativen fortzusetzen. Auch das Problem der willkürlichen Inhaftierung sei weiterhin akut. Nach Auskunft von HHC waren am 30. Mai 2016 insgesamt 702 Asylbewerber in Haft, 1.583 in offenen Aufnahmeeinrichtungen. Zuletzt meldete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (Kurzinformation Ungarn v. 14.12.2016: Zentrum Bicske geschlossen - BFA 14.12.2016), dass im Dezember 2016 nach offiziellen Zahlen 192 Migranten in offener und 301 in geschlossener Unterbringung aufhältig waren. Zur Haftdauer berichtet Pro Asyl in Zusammenarbeit mit dem HHC, das wiederum eine Anfrage an OIN richtete, dass die durchschnittliche Haftdauer im Zeitraum vom 1.7.2013 bis 31. August 2014 dem OIN zufolge zwar „nur“ 32 Tage betragen habe, nach den eigenen Einschätzungen und einer Untersuchung des HHC allerdings deutlich länger sei. Die Diskrepanz beruhe auf vermutlich darauf, dass OIN nicht nur die Zeit von Inhaftierungen einrechne, sondern auch diejenigen Fälle ohne jegliche Inhaftierung.

Schließlich wies HHC im Juni 2016 nochmals ausdrücklich darauf hin, dass Ungarn einer der wenigen Staaten in Europa sei, in dem Asylerstantragsteller in der Regel für mehrere Monate inhaftiert würden (HHC Juni 2016). Dublin-Rückkehrer würden in der Praxis regelmäßig inhaftiert (so auch UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014; CHR). Diese Haft werde als „Asylhaft“, nicht als „Abschiebehaft“ oder „Einwanderungshaft“ verhängt (UNHCR 30.9.2014). Auch das Auswärtige Amt (AA 3.7.2015) gibt an, dass die Wahrscheinlichkeit, in Haft genommen zu werden, im ersten Halbjahr 2015 für Dublin-Rückkehrer gegenüber Neuankömmlingen erhöht gewesen sei.

Zudem lässt sich den Erkenntnisquellen nicht entnehmen, dass ein effektiver Rechtsschutz existieren würde. Insbesondere bestehen für das OIN und auch die Gerichte sehr restriktive Fristenregelungen zur Entscheidung. Diese sind nicht ausreichend, um die Durchführung eines rechtsstaatlichen Verfahrens zu gewährleisten. Bei Fristen im Tagebereich wie dargestellt können die unverzichtbaren Anforderungen an ein solches Verfahren einschließlich Dolmetscher, Anhörung, (individualisierter) Herkunftslandinformationen etc. nicht eingehalten werden (siehe hierzu HHC 7.8.2015; aida November 2015; CHR). Gleiches gilt für die Rechtmittelfristen (siehe auch aida November 2015; CHR). Weiter gibt es zwar de iure Zugang zu Rechtsberatung, in der Praxis ist diese aber den Auskünften zufolge mangels entsprechender staatlicher Finanzierung nicht verfügbar (UNHCR 30.9.2014). Soweit überhaupt staatliche Anwälte bestellt seien, agierten diese passiv (Pro Asyl 31.10.2014; aida November 2015). Tatsächlich gebe es damit nur Zugang zu den (Vertrags-)Anwälten des HHC, so dass nur eine Minderheit anwaltliche Vertretung erhalte (Pro Asyl 31.10.2014). Außerdem ist gegen die Verhängung von „Asylhaft“ kein gesetzlicher Rechtsbehelf vorgesehen, sondern nur eine sogenannte „Einspruchsmöglichkeit“. Nach den Informationen von UNHCR werde aber auch hiervon aus Unkenntnis kein Gebrauch gemacht (UNHCR 30.9.2014). Gegen die „Einwanderungshaft“ gebe es ebenfalls keinen Rechtsbehelf, nur eine automatische Überprüfung (UNHCR 30.9.2014). Die gerichtliche Haftüberprüfung erfolge in einem „automatisierten“ Prozess alle 60 Tage durch dieselben (Straf-)Richter, die die Erstprüfung durchgeführt hätten (UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014; aida November 2015, S. 67 ff.). In der täglichen Praxis würden Entscheidungen für 5 bis 15 Häftlinge innerhalb von 30 Minuten gefällt, ohne dass eine individuelle Prüfung erfolgen könne (UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014). Schon im Jahr 2012 habe der Oberste Gerichtshof (Kuria) eine Untersuchung in Auftrag gegeben, die 8.000 Entscheidungen analysiert habe, von denen nur in drei Fällen keine Haftverlängerung erfolgt sei (UNHCR 30.9.2014). Die Asylarbeitsgruppe am Obersten Gerichtshof bestätigte im Oktober 2014, dass die gerichtliche Überprüfung der Asylhaft wirkungslos sei (aida November 2015, S. 67 ff.). Die Entscheidungen seien schematisch, das Verfahren nicht individualisiert und es erfolge keine Überprüfung, ob die Haft das einzige Mittel sei. Seit der Beanstandung durch die Kuria habe sich aber in der Praxis nichts geändert (aida November 2015, S. 67 ff.). Angesichts dieser gravierenden Missstände kann der Rechtsschutz damit insgesamt gesehen nicht mehr als wirksam bezeichnet werden.

Die Bewertung dieser Erkenntnisse ist insofern mit Schwierigkeiten verbunden, als jeweils nur punktuelle Angaben gemacht, wie etwa zu bestimmten Zeiträumen oder zu den betroffenen Gruppen, und keine statistisch aufbereiteten Daten für die Jahre 2014, 2015 und 2016 genannt werden zur (Gesamt-)Anzahl der Asylanträge in Ungarn, zur Anzahl der Dublin-Rückkehrer und zu den Verhältnissen in der Transitzone sowie dem jeweiligen Anteil an Inhaftierungen. Das kann wohl kaum darin begründet sein, dass keine offiziellen statistischen Informationen vorlägen, etwa ob Dublin-Rückkehrer regelmäßig oder ausnahmsweise inhaftiert werden, wie das Auswärtige Amt angibt (AA 27.1.2016). Denn das widerspräche zum einen dessen eigener Aussage in der Auskunft an das Verwaltungsgericht Hannover (AA 3.7.2015), wonach im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai 2015 6 bis 10% der Dublin-Rückkehrer in Asylhaft genommen worden seien. Zum anderen wurde dem CHR im November 2015 von OIN mitgeteilt, dass es zu diesem Zeitpunkt eine allgemeine Inhaftierungsquote von ca. 44% gegeben habe und von den in diesem Jahr durchgeführten 1.338 Dublin-Überstellungen 332 Rückkehrer in Asylhaft genommen worden seien, also ca. 25%. Auch wenn hiermit keine übergreifende Aussage getroffen wird, die Angaben zur Inhaftierungsquote sehr differieren und nicht zu erkennen ist, inwieweit sich die statistischen Ausgangsdaten decken, lässt sich in der Zusammenschau mit den weiteren Angaben, insbesondere des Hungarian Helsinki Committee (Hungary: Key Asylum Figures as of 1 September 2016 - HHC 1.9.2016: am 29.8.2016 waren 233 von 707 Asylbewerbern in Haft) und des österreichischen Bundesamts für Asylwesen (BFA 14.12.2016: im Dezember 2016 waren 192 Migranten in offener und 301 in geschlossener Unterbringung aufhältig), dennoch ein Gesamtbild entnehmen. Die vorliegenden Erkenntnisse zeigen deutlich, dass die Inhaftierung von Asylbewerbern in Ungarn weit verbreitet ist. Es tritt klar zu Tage, dass die gesetzlichen Vorgaben eine weitreichende Anordnung von Haft ermöglichen und sie auch in der praktischen Handhabung in beachtlichem Umfang stattfindet. Da zudem die Anordnung der Haft schematisch und ohne Einzelfallprüfung erfolgt und eine gerichtliche Überprüfung faktisch nicht stattfindet, muss davon ausgegangen werden, dass Dublin-Rückkehrer wie die Kläger im Fall ihrer Überstellung nach Ungarn einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK ausgesetzt wären. Diese Einschätzung wird auch bestätigt durch deren unbestrittenen Angaben, dass sie in Ungarn bereits inhaftiert gewesen seien.

c) Ein weiterer Grund für die Annahme, dass das Asylverfahren in Ungarn systemische Schwachstellen aufweist, die zu einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung führen, ist die ernsthafte Gefahr eines Verstoßes gegen das Refoulement-Verbot des Art. 33 Abs. 1 GFK. Im Fall einer Rückführung nach Ungarn würde die Abschiebung nach Serbien drohen. Neben den bereits erwähnten Gesetzesänderungen wurde im Juli 2015 eine nationale Liste von sicheren Drittstaaten, zu denen aus ungarischer Sicht auch Serbien gehört, aufgestellt (UNHCR Mai 2016, S. 15 ff.; HHC 7.8.2015; aida November 2015, S. 43 ff.; CHR). Das widerspricht dem europarechtlichen Konzept des sicheren Drittstaats, der Position von UNHCR und steht auch im Widerspruch zum Leitfaden des ungarischen Obersten Gerichtshofs. Mit der Gesetzesänderung wird das OIN ermächtigt, ohne inhaltliche Überprüfung des Asylbegehrens alle Anträge von Asylbewerbern abzulehnen, die durch einen solchen sicheren Drittstaat gekommen sind. Die Betroffenen werden dabei zwar informiert, dass ein Dublin-Verfahren eingeleitet wird, aber nicht mehr über die weiteren Verfahrensschritte. Sie bekommen die Unzulässigkeitsentscheidung zwar mündlich in einer ihnen verständlichen Sprache mitgeteilt, nicht aber eine schriftliche Übersetzung (aida November 2015, S. 23). Erschwerend kommt hinzu, dass es gegen die Entscheidung des OIN faktisch kaum Rechtsschutz gibt. Zwar kann gegen die Entscheidung des OIN unter bestimmten Voraussetzungen und mit inhaltlichen Vorgaben ein Rechtsmittel eingelegt werden, jedoch beträgt die Frist hierfür, wie bereits dargelegt, nur drei Tage bzw. nach einer weiteren Gesetzesänderung im September 2015 sieben Tage (UNHCR Mai 2016, S. 18; aida November 2015, S. 25-27). In dieser kurzen Zeitspanne kann weder ein Rechtsbeistand erlangt noch ein substantiierter Rechtsbehelf erhoben werden, zumal die lückenhafte Information der Asylantragsteller und Verständigungsschwierigkeiten noch berücksichtigt werden müssen. Die gerichtliche Überprüfung einer Unzulässigkeitsentscheidung muss innerhalb von acht Tagen nach dem Antrag auf Überprüfung erfolgen; ein Anhörungsrecht des Asylsuchenden besteht nicht (UNHCR Mai 2016, S. 18; aida November 2015, S. 25-27). Selbst wenn eine gerichtliche Entscheidung erlangt werden kann, wird diese vom OIN entweder gar nicht, verspätet oder sehr zögerlich umgesetzt (UNHCR Mai 2016, S. 18)

Im Ergebnis würde damit eine quasi automatische Zurückweisung ohne inhaltliche Überprüfung der Schutzbedürftigkeit stattfinden mit der Folge einer unverzüglichen Abschiebung nach Serbien, wo derzeit kein Schutz verfügbar ist und zudem die Gefahr einer Kettenabschiebung unter Verstoß gegen das Refoulement-Verbot besteht (siehe aida November 2015, S. 45; HHC 7.8.2015). Die Regelung findet auch auf Dublin-Rückkehrer Anwendung, die vor Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung am 1. August 2015 über Serbien als - aus ungarischer Sicht - sicherem Drittstaat eingereist sind (aida November 2015, S. 24). Damit wären auch die Kläger der Gefahr einer Rückführung nach Serbien ausgesetzt, ohne dass sie vorher angehört würden oder dass ein wirksamer Rechtsschutz gegen die Entscheidung des OIN zur Verfügung stünde (aida November 2015, S. 24 ff.).

Die dargestellte Gesetzesänderung entzieht dem Einwand der Beklagten, gegenwärtig bestehe keine reale und durch Tatsachen belegte Gefahr, dass Schutzsuchende bei einer Rücküberstellung nach Ungarn einem indirekten Verstoß gegen das Refoulement-Verbot ausgesetzt sein könnten, den Boden. Unstreitig lässt die Gesetzeslage in Ungarn jedenfalls die Abschiebung nach Serbien ohne jegliche inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens zu. Inwieweit Serbien tatsächlich die Übernahme von Drittstaatsangehörigen aus Ungarn ablehnt, bleibt dabei insoweit ohne Bedeutung, als das OIN vom Gesetzgeber zur sofortigen Abschiebung ermächtigt wurde. Zwar mag diese im Einzelfall mangels Nachweis, dass die Betroffenen tatsächlich über Serbien eingereist sind, oder weil zwischen dem Grenzübertritt von Serbien nach Ungarn und dem Antrag auf Rückübernahme mehr als ein Jahr verstrichen ist (AA 27.1.2016) tatsächlich nicht durchgeführt werden können. Das vermag aber an der gesetzlichen Zulässigkeit einer Abschiebung nichts zu ändern. Zudem finden den Erkenntnisquellen zufolge durchaus Rückübernahmen statt, auch wenn Serbien nur unter bestimmten Voraussetzungen zustimmt. So wurden im Zeitraum von Januar bis Mai 2016 in der Praxis pro Woche durchschnittlich zwei Personen rückübernommen (UNHCR Mai 2016). Allein die Tatsache, dass es sich hierbei nicht um eine exorbitante Größenordnung handeln mag, rechtfertigt die Verneinung einer realen Gefahr nicht (in diesem Sinn auch zu § 34a AsylG: OVG SH, B.v. 21.11.2016 - 2 LA 111/16 - juris). Das übersieht die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin (U.v. 13.12.2016 - 3 K 509.15 A - juris), in der nur darauf abgestellt wird, dass Serbien die Übernahmeersuchen Ungarns formal ablehne. Angesichts der tatsächlich stattfindenden Abschiebungen und der dargestellten gesetzlichen Zulässigkeit bestehen vielmehr erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass ohne inhaltliche Prüfung von Asylanträgen eine Abschiebung nach Serbien erfolgen könnte. Wenn die Beklagte demgegenüber unter Berufung auf das Verwaltungsgericht Berlin der Auffassung ist, dass vorliegend ausnahmsweise kein Risiko bestehen sollte, unter Verstoß gegen das Refoulement-Verbot von Ungarn nach Serbien abgeschoben zu werden, wäre es ihre Aufgabe, die Gründe hierfür näher darzulegen. Das ist nicht geschehen.

d) Die Einschätzung zum Vorliegen von systemischen Schwachstellen entspricht auch der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (U.v. 13.10.2016 - A 11 S 1596/16 - DVBl 2016, 1615) und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (B.v. 20.12.2016 - 8 LB 184/15 - juris, Bezug nehmend auf U.v. 15.11.2016 - 8 LB 92/15 - juris). Die gegenteilige Ansicht des Verwaltungsgerichts Berlin (U.v. 13.12.2016 - 3 K 509.15 A - juris), auf die sich die Beklagte beruft, erklärt nicht, weshalb sich aus den genannten Daten keine belastbaren Erkenntnisse ergeben sollten, welche die hier und von den beiden weiteren Obergerichten vorgenommene Bewertung stützen könnten. Unter anderem wegen der dortigen Inhaftierungspraxis hat im Übrigen mittlerweile auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (U.v. 17.3.2017 - 47287/15 - abrufbar unter https: …dejure.org/2017, 6131) Ungarn zur Zahlung von Schadenersatz verurteilt, weil die Rechtsgrundlagen für die Inhaftierung unbestimmt seien und sie aufgrund einer formalen Entscheidung ohne individuelle Prüfung erfolge. Im Hinblick auf die Einstufung von Serbien als sicheren Drittstaat geht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ebenfalls von einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK aus. Diese ergebe sich bereits daraus, dass die Betroffenen mangelhaft informiert würden, deshalb keinen effektiven Zugang zu den relevanten Verfahren hätten und ihre Rechte nicht substantiiert geltend machen könnten. Gerügt wird weiter die fehlende Prüfung der individuellen Risiken, was dazu führe, dass in einer automatisierten Weise (Ketten-)Abschiebungen stattfinden würden. Die ungarische Regierung vermöge keine überzeugende Erklärung zu geben, weshalb Serbien entgegen den allgemeinen europarechtlichen Einschätzungen und den Berichten der internationalen Institutionen als sicherer Drittstaat eingestuft werde. Insgesamt vermag der Gerichtshof deshalb nicht zu erkennen, dass effektive Garantien vorhanden seien, die die Betroffenen davor schützen würden, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt zu sein.

3. Angesichts dieser systemischen Schwachstellen - wie dargelegt - kommt es auch auf den Einwand der Beklagten nicht mehr an, die Auffassung des Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (U.v. 13.10.2016 a.a.O. Rn. 45 ff.) zur Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 AsylG könne nicht geteilt werden. Danach sei Voraussetzung einer Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 AsylG, dass die Abschiebung in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgen könne und dies auch alsbald der Fall sein werde. Bestünden aufgrund einer in Relation zu den Übernahmezustimmungen niedrigen Quote an vollzogenen Überstellungen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass dieses nicht der Fall sein könnte, führe dies zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsanordnung. Diese Frage kann hier dahingestellt bleiben, weil sich die Rechtswidrigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 AsylG (bzw. § 27a AsylG a.F.) schon aus dem Vorliegen systemischer Schwachstellen in Ungarn ergibt mit der Folge, dass auch die hierauf gestützte Abschiebungsanordnung rechtswidrig ist. Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg seine Einschätzung in erster Linie ebenfalls auf das Vorliegen von systemischen Schwachstellen gestützt und lediglich ergänzend ausgeführt, dass die angegriffenen Verfügungen auch aus diesem weiteren Grund aufzuheben seien. Die Zuständigkeit sei auch deshalb auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen, weil eine Überstellung bis zum Ablauf der Überstellungsfrist nicht mehr durchgeführt werde. Gleiches gilt für die Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (B.v. 20.12.2016 a.a.O. Rn. 60 ff.). Dessen ungeachtet gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass Abschiebungen nach Ungarn nicht erfolgen könnten. So gibt HHC 1.9.2016 an, dass von Januar bis Juli 2016 377 Dublin-Rückführungen nach Ungarn stattgefunden hätten, davon 203 aus Deutschland (siehe hierzu auch OVG SH, B.v. 21.11.2016 - 2 LA 111/16 - juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO sind nicht gegeben, da der Frage, ob in Ungarn systemische Schwachstellen bestehen, nur in tatsächlicher Hinsicht eine grundsätzlich Bedeutung zukommt.

(1) Ein Asylantrag ist unzulässig, wenn

1.
ein anderer Staat
a)
nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 oder
b)
auf Grund von anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages
für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist,
2.
ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 gewährt hat,
3.
ein Staat, der bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als für den Ausländer sicherer Drittstaat gemäß § 26a betrachtet wird,
4.
ein Staat, der kein Mitgliedstaat der Europäischen Union und bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als sonstiger Drittstaat gemäß § 27 betrachtet wird oder
5.
im Falle eines Folgeantrags nach § 71 oder eines Zweitantrags nach § 71a ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist.

(2) Das Bundesamt hört den Ausländer zu den Gründen nach Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe b bis Nummer 4 persönlich an, bevor es über die Zulässigkeit eines Asylantrags entscheidet. Zu den Gründen nach Absatz 1 Nummer 5 gibt es dem Ausländer Gelegenheit zur Stellungnahme nach § 71 Absatz 3.

(3) Erscheint der Ausländer nicht zur Anhörung über die Zulässigkeit, entscheidet das Bundesamt nach Aktenlage. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unverzüglich nachweist, dass das in Satz 1 genannte Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte. Führt der Ausländer diesen Nachweis, ist das Verfahren fortzuführen.

(4) Die Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags kann gemäß § 24 Absatz 1a dafür geschulten Bediensteten anderer Behörden übertragen werden.

(1) Soll der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Absatz 1 Nummer 1) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies gilt auch, wenn der Ausländer den Asylantrag in einem anderen auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der Entscheidung des Bundesamtes zurückgenommen hat. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht. Kann eine Abschiebungsanordnung nach Satz 1 oder 2 nicht ergehen, droht das Bundesamt die Abschiebung in den jeweiligen Staat an.

(2) Anträge nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Abschiebungsanordnung sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Abschiebung ist bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots durch das Bundesamt nach § 11 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung bleibt hiervon unberührt.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.