Tenor

I. Die Beschwerde der Antragsgegnerin zu 1 wird zurückgewiesen.

II. Die Antragsgegnerin zu 1 trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige, dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof aus nicht nachvollziehbaren Gründen erst mit Schreiben vom 8. März 2017 vorgelegte Beschwerde vom 28. November 2016, mit der die Antragsgegnerin zu 1 sich gegen die vom Verwaltungsgericht angenommene örtliche Zuständigkeit für die vorläufige Inobhutnahme des unbegleiteten, mutmaßlich noch minderjährigen Antragstellers wendet, bleibt ohne Erfolg.

Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Antragsgegnerin zu 1 gemäß § 88 a Abs. 1 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) für die vorläufige Inobhutnahme (§ 42 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII) des Antragstellers zuständig ist, obwohl dieser am 24. August 2016 im Zuständigkeitsbereich des Jugendamts der Stadt Passau in die Bundesrepublik einreiste und sich zwischenzeitlich auch im Bereich des Antragsgegners zu 2 aufhielt. Nach dieser Vorschrift ist, soweit das Landesrecht nichts anderes regelt, für die vorläufige Inobhutnahme eines unbegleiteten ausländischen Kindes oder Jugendlichen derjenige örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich sich das Kind oder der Jugendliche „vor Beginn der Maßnahme tatsächlich aufhält“.

Das ist derjenige Ort, an dem sich das Kind oder der Jugendliche zu dem Zeitpunkt befindet, in dem ein Jugendamt eine vorläufige Schutzmaßnahme im Sinne einer jugendhilfefachlichen Krisenintervention gegenüber dem Kind oder Jugendlichen als Adressaten der Maßnahme tatsächlich ergreift (so zutreffend Lange, in: juris-PK-SGB VIII, § 88 a Rn. 15 unter Bezugnahme auf VG Münster, U.v. 19.5.2015 - 6 K 1095/14 - juris, Rn. 26 ff. zur inhaltsgleichen Regelung des § 87 SGB VIII) oder in einem gerichtlichen (Eil-)Verfahren hierzu verpflichtet wird (vgl. VG München, B.v. 9.2.2015 - M 18 E 14.5261 - juris, Rn. 27 ebenfalls zur Regelung des § 87 SGB VIII). Würde auf den Zeitpunkt eines früheren tatsächlichen Aufenthalts abgestellt, so wäre die Inobhutnahme unweigerlich mit einer im Interesse des Kindeswohls nicht zu rechtfertigenden (weiteren) Verzögerung verbunden (so zutreffend VG München, a.a.O., Rn. 27), die nicht hingenommen werden kann.

Demgegenüber greift der Hinweis der Antragsgegnerin zu 1, maßgebend sei nach der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 18/5921, S. 23 u. 29; BR-Drs. 349/15, S. 20 u. 27) der Ort, an dem die Einreise des unbegleiteten ausländischen Minderjährigen erstmals festgestellt (bzw. „bemerkt“) werde, mit anderen Worten der Ort des „Aufgriffs“ oder der Ort der (ersten) Selbstmeldung mit der Folge, dass vorliegend das Jugendamt der Stadt Passau und nicht die Antragsgegnerin zu 1 örtlich zuständig (geblieben) sei, erkennbar zu kurz (ebenso Lange, in: juris-PK-SGB VIII, § 88 a Rn. 13). Die Antragsgegnerin zu 1 verkennt, dass der Vorschlag des Bundesrats (vgl. BT-Drs. 18/6289, S. 5, Nr. 9), § 88 a Abs. 1 SGB VIII um den Satz,

„der Bereich des tatsächlichen Aufenthalts ist der Ort, an dem das Jugendamt oder eine andere Behörde die Feststellung der unbegleiteten Einreise erstmalig trifft“,

zu ergänzen, nicht Gesetz geworden ist, sondern von der Bundesregierung im Gesetzgebungsverfahren unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 18/5921, S. 29) ausdrücklich verworfen wurde (vgl. BT-Drs. 18/6289, S. 9 zu Nr. 9):

„Die Bundesregierung stimmt dem Vorschlag nicht zu. § 88 a Abs. 1 SGB VIII-E trägt dem Regelungsbegehren bereits umfassend Rechnung. Die Gesetzesbegründung konkretisiert den tatsächlichen Aufenthalt genau im Hinblick auf die im Antrag genannten Kriterien. Tatsächlicher Aufenthalt ist ausweislich der Gesetzesbegründung explizit der „Ort an dem die Einreise erstmals festgestellt wird, d.h. des „Aufgriffs“ des Minderjährigen oder seiner Selbstmeldung“. Ohne rechtssystematische Verwerfungen lässt sich weitergehend kaum ein eigener „tatsächlicher Aufenthalt“ im Sozialgesetzbuch Achtes Buch - Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) definieren. Darüber hinaus enthält § 88 a Abs. 1, letzter Teilsatz SGB VIII-E einen Landesvorbehalt, wonach es den Ländern ohnehin unbenommen ist, die Zuständigkeit für die vorläufige Inobhutnahme abweichend von der gesetzlichen Regelung zu bestimmen. Dies erläutert die Gesetzesbegründung auch explizit.“

Damit verbleibt es beim unmissverständlichen Wortlaut des Gesetzes (§ 88 a Abs. 1 SGB VIII: „vor Beginn der Maßnahme tatsächlich aufhält“).

Der Staat spricht nicht in den (persönlichen) Äußerungen - etwa der amtlichen Begründung - der an der Entstehung des Gesetzes Beteiligten, sondern nur im Gesetz selbst (so grundlegend BVerfG, B.v. 17.5.1960 - 2 BvL 11/59, 2 BvL 11/60 -, BVerfGE 11, 126 [130] unter Bezugnahme auf Radbruch, Rechtsphilosophie, 4. Aufl. 1950, S. 210 f.). Der Wille des Gesetzgebers kann daher bei der Auslegung eines Gesetzes nur insoweit berücksichtigt werden, als er in dem Gesetz selbst (und nicht etwa nur in der amtlichen Begründung) einen hinreichend bestimmten Ausdruck gefunden hat (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 130 m.w.N.). Der „Wille des Gesetzgebers“ ist ausschließlich der im Gesetz objektivierte Wille. Die Motive und Vorstellungen der Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften sind hingegen ohne jede Bedeutung, soweit sie nicht im Gesetz selbst ihren Ausdruck gefunden haben (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 131).

§ 88 a Abs. 1 SGB VIII kann daher entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin zu 1 nicht etwa dergestalt ausgelegt und angewandt werden, dass „tatsächlicher Aufenthalt“ - gleichsam entgegen dem natürlichen Wortsinn - stets nur der Ort sein soll, an dem die Einreise erstmals festgestellt wurde, mit anderen Worten dort, wo der erste „Aufgriff“ oder die erste Selbstmeldung erfolgte. Dies mag zwar in der überwiegenden Anzahl der Fälle, in welchen das unbegleitete ausländische Kind oder der unbegleitete ausländische Jugendliche am Ort des ersten Aufgriffs dauerhaft verbleibt, auch tatsächlich so sein. Gleichwohl findet eine solche einschränkende Interpretation im Wortlaut des § 88 a Abs. 1 SGB VIII selbst keinerlei Stütze; sie wäre auch mit Sinn und Zweck des Rechtsinstituts der vorläufigen Inobhutnahme, im Interesse des Kindeswohls ein unverzügliches Eingreifen am jeweiligen Ort der Gefährdungslage zu ermöglichen, nicht zu vereinbaren (verkannt von Kepert, ZKJ 2016, 12 [14] unter unzutreffender Bezugnahme auf den angeblich eindeutigen „Gesetzeswortlaut“; siehe auch ders., in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 6. Aufl. 2016, § 88 a Rn. 2 a.E.).

Anders als die Antragsgegnerin zu 1 meint, ist daher nach dem allein maßgeblichen Wortlaut des § 88 a Abs. 1 SGB VIII sehr wohl eine Zuordnung zu einem anderen örtlichen Träger als den am Ort der erstmaligen Einreise möglich und im Interesse des Kindeswohls auch geboten, falls sich am Ort des nunmehrigen neuen tatsächlichen Aufenthalts erstmalig oder erneut Bedarf für eine Krisenintervention im Wege einer vorläufigen Inobhutnahme ergibt (so zutreffend Lange, juris-PK-SGB VIII, § 88 a Rn. 15; unzutreffend hingegen Kern, in: Schellhorn/Fischer/Mann/Kern, SGB VIII, 5. Aufl. 2017, § 88 a Rn. 2, der ohne jede Auseinandersetzung mit dem ausschließlich maßgeblichen objektivierten Willen des Gesetzes allein unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung annehmen will, eine Zuordnung zu einem anderen örtlichen Träger sei nicht möglich, sofern der Ort der erstmaligen Einreise feststehe). Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn der Landesgesetzgeber von der ihm in § 88 a Abs. 1 SGB VIII ausdrücklich eingeräumten Abweichungsbefugnis Gebrauch gemacht hätte (vgl. hierzu namentlich BT-Drs. 18/6289, S. 9 zu Nr. 9). Dies ist jedoch im Freistaat Bayern - jedenfalls bislang - nicht geschehen. Daher verbleibt es beim unmissverständlichen Wortlaut der gesetzlichen Regelung.

Das Verwaltungsgericht ist deshalb zu Recht von der örtlichen Zuständigkeit der Antragsgegnerin zu 1 ausgegangen. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Senats (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2016 - 12 CS 16.1550 -, BayVBl 2017, 21 ff.) hat es die Antragsgegnerin zu 1 zutreffend verpflichtet, den Antragsteller vorläufig in Obhut zu nehmen. Auf die entsprechenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).

Die Beschwerde ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochte

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(1) §§ 88, 108 Abs. 1 Satz 1, §§ 118, 119 und 120 gelten entsprechend für Beschlüsse. (2) Beschlüsse sind zu begründen, wenn sie durch Rechtsmittel angefochten werden können oder über einen Rechtsbehelf entscheiden. Beschlüsse über die Aussetzung

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Für die Inobhutnahme eines Kindes oder eines Jugendlichen (§ 42) ist der örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich sich das Kind oder der Jugendliche vor Beginn der Maßnahme tatsächlich aufhält. Die örtliche Zuständigkeit für die Inobhutnahme eine

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Verwaltungsgericht München Beschluss, 09. Feb. 2015 - M 18 E 14.5261

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Tenor I. Der Antrag wird abgelehnt. II. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens. Gründe I. Der Antragsteller trägt vor afghanischer Staatsangehöriger und am ... 1998

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 16. Aug. 2016 - 12 CS 16.1550

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Tenor I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 7. Juli 2016 (M 18 S7 16.2804) wird aufgehoben und der Antrag auf Abänderung des Beschlusses vom 2. Mai 2016 (M 18 E 16.1267) wird abgelehnt. Dadurch wird der Beschluss d

Verwaltungsgericht Münster Urteil, 19. Mai 2015 - 6 K 1095/14

bei uns veröffentlicht am 19.05.2015

Tenor Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages

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Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Berufung wird zugelassen.


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Für die Inobhutnahme eines Kindes oder eines Jugendlichen (§ 42) ist der örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich sich das Kind oder der Jugendliche vor Beginn der Maßnahme tatsächlich aufhält. Die örtliche Zuständigkeit für die Inobhutnahme eines unbegleiteten ausländischen Kindes oder Jugendlichen richtet sich nach § 88a Absatz 2.

Tenor

I.

Der Antrag wird abgelehnt.

II.

Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.

Der Antragsteller trägt vor afghanischer Staatsangehöriger und am ... 1998 geboren zu sein.

Am ... November 2014 wurde der Antragsteller durch die Antragsgegnerin in Obhut genommen und im Haus ..., untergebracht, da er angab, ohne Begleitung und minderjährig zu sein. Am gleichen Tag informierte die Antragsgegnerin das Amtsgericht München/Familiengericht über die Inobhutnahme und beantragte, das Ruhen der elterlichen Sorge festzustellen und Vormundschaft anzuordnen, falls sich die Minderjährigkeit nach Alterseinschätzung bestätigen würde.

Am ... November 2014 wurde ein Gespräch zur Alterseinschätzung von zwei Mitarbeitern des Jugendamts der Antragsgegnerin mit dem Antragsteller unter Zuhilfenahme eines Dolmetschers geführt. Diese kamen entsprechend der in den Akten der Antragsgegnerin skizzierten Wahrnehmungen sowie der Angaben und Verhaltensweisen des Antragstellers zu dem Ergebnis, dass er volljährig sei.

Am ... November 2014 unterzeichnete der Antragsteller ein Empfangsbekenntnis für einen Bescheid vom ... November 2014 über die Rücknahme der Inobhutnahme. Bei den Akten der Antragsgegnerin befindet sich kein Entwurf eines entsprechenden Bescheids.

Mit Schreiben vom 24. November 2014 an das Amtsgericht München/Familiengericht zog die Antragsgegnerin ihren Antrag auf Vormundsbestellung zurück.

Mit Schriftsatz vom 23. November 2014, bei Gericht am 24. November 2014 eingegangen, erhoben die Bevollmächtigten des Antragstellers für diesen Klage. Das Verfahren wird unter dem Az: M 18 K 14.5262 geführt.

Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 23. November 2014, der am 24. November 2014 bei Gericht einging, ließ der Antragsteller beantragen:

Der Antragsgegnerin wird geboten, den Antragsteller als Jugendlichen zu behandeln und in einer jugendgerechten Einrichtung in Obhut zu nehmen.

Zur Begründung wurde - auch unter Bezugnahme auf die Klagebegründung - im Wesentlichen vorgebracht, der Antragsteller sei zunächst in der Jugendhilfeeinrichtung der Antragsgegnerin im Haus ... in der ... untergebracht worden. Nach einer von der Antragsgegnerin durchgeführten Alterseinschätzung sei ihm mitgeteilt worden, dass er nun als Erwachsener gelte. Er habe die Jugendhilfeeinrichtung verlassen müssen und sei von der Erstaufnahmeeinrichtung in die Dependance nach ... verteilt worden, wo er sich seitdem in einer provisorischen Erstaufnahmeeinrichtung für Erwachsene befinde. Die Alterseinschätzung sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden.

Mit Schriftsatz vom 9. Dezember 2014 beantragte die Antragsgegnerin,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgebracht, der Antrag sei bereits unzulässig, da er sich gegen den falschen Antragsgegner richte. Die Antragsgegnerin könne nicht zur Inobhutnahme verpflichtet werden, soweit sich der Antragsteller nicht mehr in ihrem Zuständigkeitsbereich befinde. Für die Inobhutnahme sei gemäß § 87 SGB VIII der örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich sich das Kind oder der Jugendliche vor Beginn der Maßnahme tatsächlich aufhalte. Damit sei das Jugendamt vor Ort, in dessen Zuständigkeitsbereich sich der Antragsteller aufhalte, für eine Inobhutnahme zuständig.

Im Übrigen wird auf den Inhalt des Schriftsatzes vom 9. Dezember 2014 verwiesen.

Mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2014, der am 29. Dezember 2014 bei Gericht einging, erwiderten die Bevollmächtigten des Antragstellers, die Zuständigkeit der Antragsgegnerin sei gegeben. Der Antragsteller sei nicht umverteilt worden, sondern lediglich in einer Dependance der Erstaufnahmeeinrichtung untergebracht worden. Der Antragsteller befinde sich damit rechtlich nach wie vor in der ... und die Zuständigkeit der Antragsgegnerin sei damit gegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens und des Hauptsacheverfahrens M 18 K 14.5262 sowie der vorgelegten Behördenakte verwiesen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bleibt ohne Erfolg.

Zwar ist der Antrag nach § 123 VwGO statthaft. Unabhängig von einer aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen den Ablehnungsbescheid ist die Beendigung der Inobhutnahme jedenfalls faktisch vollzogen, so dass ein Antrag nach § 123 VwGO im Hinblick auf die Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) statthaft ist.

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenüber der Antragsgegnerin liegen jedoch nicht vor.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gefahr zu verhindern oder aus Gründen nötig erscheint. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete streitige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO. Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.

Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch, für den die Antragsgegnerin passivlegitimiert ist, nicht glaubhaft machen können.

Nach § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII ist das Jugendamt berechtigt und verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn ein ausländisches Kind oder ein ausländischer Jugendlicher unbegleitet nach Deutschland kommt und sich weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten. Nach § 42 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz SGB VIII umfasst die Inobhutnahme die Befugnis, ein Kind oder einen Jugendlichen bei einer geeigneten Person, in einer geeigneten Einrichtung oder in einer sonstigen Wohnform vorläufig unterzubringen.

Für eine Inobhutnahme nach diesen gesetzlichen Vorgaben ist vorliegend die Antragsgegnerin nicht (mehr) passivlegitimiert; ein Inobhutnahmeanspruch des Antragstellers gegenüber der Antragsgegnerin besteht damit nicht.

Nach § 87 SGB VIII ist für eine Inobhutnahme der örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich sich das Kind oder der Jugendliche vor Beginn der Maßnahme tatsächlich aufhält. Diese Norm trifft eine Sonderregelung der örtlichen Zuständigkeit, da schnelles Handeln notwendig ist und langwierige Klärungsprozesse zur Frage der örtlichen Zuständigkeit vermieden werden müssen (vgl. Eschelbach/Schindler in Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 7. Auflage 2013, § 87, Rn. 1). Mit dieser Fixierung wird eine „wandernde“ Zuständigkeit ausgeschlossen (vgl. Kunkel in LPK-SGB VIII, 4. Auflage 2011, § 87, Rn. 1).

Maßgeblicher Zeitpunkt im Rahmen des § 87 SGB VIII ist der Zeitpunkt „vor Beginn der Maßnahme“.

Bei der Anwendung dieses Tatbestandsmerkmals ist nicht auf die Einzelmaßnahme, sondern auf die ununterbrochen andauernde Jugendhilfemaßnahme in ihrer Gesamtheit abzustellen (vgl. BayVGH v. 20.5.2009, AZ: 12 E 08.2007-juris Rn. 29, m. w. N.). Im Rahmen des § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII wird maßgeblicher Ort regelmäßig derjenige sein, an dem die Einreise eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings bemerkt wird (Eschelbach/Schindler a. a. O.).

Vorliegend hält sich der Antragsteller aber nach seinem eigenen Vorbringen nicht mehr im Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin auf. Die Auffassung der Bevollmächtigten des Antragstellers im Schriftsatz vom 22. Dezember 2014, dieser halte sich rechtlich noch in ... auf, da er nicht umverteilt worden sei, sondern lediglich in einer Dependance der in ... gelegenen Erstaufnahmeeinrichtung (vgl. dazu Art. 2 Satz 2 AufnG) untergebracht sei, mag zutreffen. Der maßgebliche tatsächliche Aufenthalt des Antragstellers ist aber nach seinem eigenen Vorbringen im Landkreis ... gegeben, wobei dies auch schon im Zeitpunkt der Klageerhebung und der Eilantragsstellung so zutraf.

Vorliegend ist die Verpflichtung der Antragsgegnerin, den Antragsteller in Obhut zu nehmen, streitig. Wird aber die Verpflichtung des Jugendamts zur Inobhutnahme gerichtlichen Weg angestrebt, kann unter dem maßgeblichen Gesichtspunkt der Eilbedürftigkeit der vorläufigen Maßnahme nur auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgestellt werden. Würde auf den Zeitpunkt eines früheren tatsächlichen Aufenthalts abgestellt, wäre die Inobhutnahme mit einer (weiteren) Verzögerung verbunden. Es kommt hinzu, dass die Unterbringung des Antragstellers in der Dependance der Erstaufnahmeeinrichtung in ... nicht dem Rechtskreis der Antragsgegnerin zuzurechnen ist; eine rechtliche Möglichkeit der Antragsgegnerin, den Unterbringungsort nach ... zurückzuverlegen, ist nicht ersichtlich.

Die Antragsgegnerin ist damit nicht (mehr) zuständiger Jugendhilfeträger nach § 87 SGB VIII für eine Inobhutnahme des Antragstellers. Die Antragsgegnerin ist für den geltend gemachten Anspruch daher auch nicht passivlegitimiert und war dies auch im Zeitpunkt der Klageerhebung bzw. Antragstellung nicht, da sich der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt bereits im Landkreis ... aufgehalten hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.

Für die Inobhutnahme eines Kindes oder eines Jugendlichen (§ 42) ist der örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich sich das Kind oder der Jugendliche vor Beginn der Maßnahme tatsächlich aufhält. Die örtliche Zuständigkeit für die Inobhutnahme eines unbegleiteten ausländischen Kindes oder Jugendlichen richtet sich nach § 88a Absatz 2.

Tenor

I.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 7. Juli 2016 (M 18 S7 16.2804) wird aufgehoben und der Antrag auf Abänderung des Beschlusses vom 2. Mai 2016 (M 18 E 16.1267) wird abgelehnt.

Dadurch wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 2. Mai 2016 (M 18 E 16.1267) wiederhergestellt, kraft dessen der Antragsgegner verpflichtet ist, den Antragsteller auch weiterhin in Obhut zu nehmen und in einer geeigneten Jugendhilfeeinrichtung unterzubringen.

II.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Abänderungs- und Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung zur (vorläufigen) Inobhutnahme des Antragstellers als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling (umF) nach § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 42a Abs. 1 Satz 1 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII).

1. Der Antragsteller, nach seinen eigenen Angaben afghanischer Staatsangehöriger, erhob durch seinen Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 16. März 2016 Klage zum Verwaltungsgericht München mit dem Antrag, den Bescheid des Antragsgegners vom 18. Januar 2016, mit dem sein Antrag vom 12. Januar 2016 auf Inobhutnahme abgelehnt worden war, aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, ihn ärztlich untersuchen zu lassen. Die Klage Ist derzeit unter dem Az. M 18 K 16.1266 beim Verwaltungsgericht München anhängig.

Ferner ließ der Antragsteller mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 15. März 2016 beantragen, den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn vorläufig in Obhut zu nehmen (M 18 E 16.1267). Die vom Antragsgegner im Aktenvermerk vom 11. November 2015 festgehaltene Aussage, „der junge Mann wurde sowohl vom Foto her als auch im Gesamteindruck auf 19 Jahre geschätzt“, beinhalte keine sachgerechte Altersfeststellung.

2. Mit Beschluss vom 2. Mai 2016 verpflichtete das Verwaltungsgericht den Antragsgegner, den Antragsteller vorläufig in Obhut zu nehmen und in einer geeigneten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung unterzubringen (§ 123 VwGO). Seitens des Antragsgegners sei bislang keine ordnungsgemäße Alterseinschätzung durchgeführt worden.

3. Mit Schreiben vom 22. Juni 2016 beantragte der Antragsgegner, den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 2. Mai 2016 aufzuheben. Eine am 3. Juni 2016 durchgeführte Altersfeststellung habe (erneut) die Volljährigkeit des Antragstellers ergeben. Dessen äußeres Erscheinungsbild sei durch eine tiefe Stimmlage, dichte Haare, ausgeprägte Stirnfalten und Bartwuchs, kantige Gesichtszüge, einen erwachsenen Körperbau sowie eine abgeschlossene körperliche Entwicklung gekennzeichnet. Art und Ausdrucksweise seien während des am 3. Juni 2016 von drei Mitarbeitern des Jugendamtes unter Zuhilfenahme eines Dolmetschers geführten Gesprächs bewusst und überlegt gewesen. So habe der Antragsteller erklärt, fünf Brüder und eine Schwester zu haben, zu deren Alter er allerdings keine genauen Angaben machen könne. Seine Familie habe überwiegend von der Landwirtschaft gelebt, er selbst habe außer der Koranschule keine Schule besucht, aber rund drei bis vier Jahre in einer Autowerkstatt gearbeitet. Das Alter, das er angeblich von seiner Mutter erfahren habe, habe er mit 16 Jahren angegeben. Während des Gesprächs habe der Antragsteller sicher, gefasst und rational reagiert, auf genauere Nachfragen zu seiner Biographie jedoch ausweichend geantwortet.

4. Mit Beschluss vom 7. Juli 2016 (M 18 S7 16.2804) hob das Verwaltungsgericht München seinen Beschluss vom 2. Mai 2016 auf und lehnte den Antrag des Antragstellers vom 15. März 2016, den Antragsgegner zu verpflichten, ihn vorläufig in Obhut zu nehmen, ab (§ 80 Abs. 7 VwGO analog). Die für die Entscheidung vom 2. Mai 2016 maßgebliche Sachlage habe sich geändert. Aufgrund der vom Antragsgegner am 3. Juni 2016 durchgeführten Alterseinschätzung sei nunmehr von der Volljährigkeit des Antragstellers auszugehen, so dass dieser nicht mehr in Obhut genommen werden könne und dürfe. Der Antragsteller verfüge über keine aussagekräftigen Ausweispapiere, die Rückschlüsse auf sein Alter zulassen würden. Die in den Akten enthalte Ablichtung bzw. Fotographie einer Tazkira stelle kein Dokument mit Beweiswert dar. Der Antragsgegner sei daher gehalten gewesen eine Alterseinschätzung durch eine qualifizierte Inaugenscheinnahme des Antragstellers, die eine Befragung einschließe, durchzuführen (§42 f Abs. 1 Satz 1 SGBVIII). Aufgrund dieser Inaugenscheinnahme sei der Antragsgegner, für das Gericht, das sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren kein eigenes Bild von dem Antragsteller machen könne, nachvollziehbar zu dem Ergebnis gekommen, dass der Antragsteller volljährig sei. Der Antragsteller habe selbst wechselnde Angaben zu seinem Alter gemacht. Gegenüber der Bundespolizei in Deggendorf habe er sein Alter anlässlich der Einreise am 18. Oktober 2015 mit 15 Jahren (entsprechend Geburtsjahr 2000) angegeben, gegenüber den Mitarbeitern der Sicherheitsfirma in der Gemeinschaftsunterkunft in Markt Indersdorf jedoch behauptet, am 20. Januar 1999 geboren zu sein. Im Antrag auf Inobhutnahme vom 12. Januar 2016 sei schließlich das Geburtsdatum 1. Januar 1999 angegeben worden. Zum Alter seiner Geschwister habe er keine genaueren Angaben machen können. Klaren Aussagen zu seiner Biographie, die Rückschlüsse auf sein Alter zulassen würden, sei er nach den Feststellungen des Antragsgegners ausgewichen. Von einem unbegleiteten Minderjährigen könne grundsätzlich erwartet werden, dass er Angaben zu seinem Lebenslauf mache, die eine gewisse zeitliche Einordnung ermöglichten. Die wenigen Angaben des Antragstellers seien nicht geeignet, die ausreichend dokumentierte Feststellung des Antragsgegners zu erschüttern, der Antragsteller sei nach seinem äußerem Erscheinungsbild und seinem Verhalten volljährig. Es liege auch kein Zweifelsfall vor, der eine ärztliche Untersuchung des Antragstellers (§ 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII) erfordern würde. Für die Annahme eines Zweifelsfalls sei es nicht ausreichend, dass der Antragsteller seine Minderjährigkeit lediglich behaupte.

5. Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter, aufgrund des ursprünglichen, ihm günstigen Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 2. Mai 2016 weiterhin in vorläufiger Obhut zu verbleiben. Über die Durchführung der Alterseinschätzung vom 3. Juni 2016 sei kein Protokoll vorgelegt worden. Es existiere lediglich ein Schreiben an den Antragsteller vom 13. Juni 2016, in dem der Antragsgegner die getroffenen Feststellungen aus seiner Sicht schildere. Diese Darstellung habe das Verwaltungsgericht - wie es selbst auch ausdrücklich einräume - ohne jede weitere Prüfung mit der Erwägung übernommen, es könne sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren kein eigenes Bild machen. Ob überhaupt eine qualifizierte Inaugenscheinnahme stattgefunden habe, wie § 42 f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII dies vorsehe, habe das Verwaltungsgericht nicht geprüft und - mangels Protokoll - auch gar nicht näher prüfen können. Ungeachtet dessen seien die Feststellungen zum äußeren Erscheinungsbild des Antragstellers auch keineswegs zwingend. Dichte Haare, kantige Gesichtszüge oder ausgeprägte Stirnfalten seien keine eindeutigen Alterskriterien. Auch ein ausgeprägter Bart sei kein zwingendes Indiz für ein höheres Alter. Desgleichen bedeute eine tiefe Stimmlage lediglich, dass der Stimmbruch stattgefunden habe, sage aber über die Vollendung des 18. Lebensjahres nichts aus. Für die Feststellung, die körperliche Entwicklung des Antragstellers sei abgeschlossen, fehle den Mitarbeitern des Jugendamtes die fachliche Kompetenz. Dem Begehren des Antragstellers, eine ärztliche Untersuchung gemäß § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII durchzuführen, habe deshalb entsprochen werden müssen.

Der Antragsgegner tritt dem entgegen und verteidigt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 7. Juli 2016. Der Antragsteller habe zwischenzeitlich mittels eines Antrags auf Gewährung von Jugendhilfe für junge Volljährige die schriftliche Erklärung abgegeben, volljährig zu sein. Auf die möglichen Folgen eines solchen Antrags für das vorliegende Verfahren sei er hingewiesen worden (vgl. Aktenvermerk vom 28.7.2016, Bl. 39 d. Senatsakten).

Der Bevollmächtigte des Antragstellers teilt hierzu mit, in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit sei eine Kontaktaufnahme mit dem Antragsteller noch nicht möglich gewesen. Die Beantragung von Hilfe für junge Erwachsene beinhalte nicht notwendig, dass der Antragsteller seine Behauptung, minderjährig zu sein, aufgegeben habe. Das Antragsformular sei ersichtlich nicht vom Antragsteller ausgefüllt worden. Dass der Antragsgegner den Antragsteller in eine Zwickmühle gebracht habe, zwischen einer Unterbringung in einer Unterkunft für Volljährige oder einer Unterzeichnung des Antragsformulars und einem Verbleib in der Jugendhilfeeinrichtung zu wählen, mache deutlich, dass der Antragsteller in seiner Entscheidungsfreiheit zumindest eingeengt gewesen sei.

6. Die Landesanwaltschaft Bayern ist dem Verfahren als Vertreterin des öffentlichen Interesses beigetreten, allerdings ohne einen eigenen Antrag zu stellen. Sie unter- stützt die Rechtsauffassung des Antragsgegners. Zweifel bei der Feststellung des Alters im Sinne von § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII bestünden nur dann, wenn die Altersbeurteilungen der mit der Einschätzung befassten Fachkräfte des Jugendamts nicht übereinstimmten oder die Prüfpersonen erhebliche Zweifel daran hätten, dass das Altersbegutachtungsverfahren ohne medizinischen Sachverstand zu einem schlüssigen Ergebnis führen könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogenen Gerichts- und Behördenakten verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat seinen Beschluss vom 2. Mai 2016 zu Unrecht aufgehoben. Der Antragsgegner ist in dieser Entscheidung zu Recht verpflichtet worden, den Antragsteller vorläufig in Obhut zu nehmen und in einer geeigneten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung unterzubringen. Diese Entscheidung war durch Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 7. Juli 2016 und Ablehnung des Abänderungsantrags des Antragsgegners vom 22. Juni 2016 wiederherzustellen.

1. Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 42a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind ausländische Kinder oder Jugendliche, die unbegleitet nach Deutschland einreisen, (vor- läufig) in Obhut zu nehmen. Die Inobhutnahme erfolgt aus Gründen des Kindeswohls und Ist unabhängig davon, ob der Betreffende die Eigenschaft eines Flüchtlings besitzt. Voraussetzung ist jedoch in jedem Fall die Minderjährigkeit. Eine Inobhutnahme Volljähriger ist rechtswidrig (vgl. BayVGH, B. v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833 u. 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 21).

a) Das Verfahren zur Feststellung der Minderjährigkeit ist seit dem 1. November 2015 in §42 f Abs. 1 und 2 SGB VIII ausdrücklich gesetzlich normiert (BGBl I, S. 1802). Danach ist die Minderjährigkeit durch Einsichtnahme in die Ausweispapiere festzustellen (§42 f Abs. 1 Satz 1 1. Alt. SGB VIII). Sind aussagekräftige Ausweispapiere nicht vorhanden, bleibt zunächst nur die Selbstauskunft des Betroffenen (vgl. OVG Bremen, B. v. 18.11.2015 - 2 B 221/15, 2 PA 223/15 -, JAmt 2016, 42 [43]). Dieser kommt besondere Bedeutung zu (so mit Recht Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 6: „Primat der Selbstauskunft“). Begegnet diese Zweifeln, ist eine Alterseinschätzung und -feststellung in Form einer qualifizierten Inaugenscheinnahme vorzunehmen (§ 42 f Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB VIII). In Zweifelsfällen ist auf Antrag des Betroffenen bzw. seines Vertreters oder von Amts wegen durch das Jugendamt eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen (§ 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII). Dabei handelt es sich nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut („hat“) um eine gebundene Entscheidung mit der Folge, dass dem Jugendamt ein Ermessen nicht zukommt (vgl. Kepert, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 6. Aufl. 2016, § 42f Rn. 5).

Dieses abgeschichtete Verfahren entspricht im Wesentlichen den „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen“, die auf der 116. Arbeitstagung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter vom 14. bis 16. Mai 2014 in Mainz beschlossen wurden. Die Gesetzesbegründung zu §42 f SGB VIII nimmt ausdrücklich auf diese Handlungsempfehlungen Bezug (vgl. BT-Drs. 18/6392, S. 20). Durch dieses Verfahren wird dem Umstand Rechnung getragen, dass viele der Jugendlichen ohne gültige Papiere nach Europa kommen und auch sonst kaum Möglichkeiten besitzen, ihr Alter zu dokumentieren. In vielen Herkunftsländern der südlichen Hemissphäre besitzt das Geburtsdatum keine besondere Bedeutung und wird deshalb auch nicht in Geburtsregistern erfasst (vgl. Kirchhoff, in: jurlsPK-SGB VIII, § 42f. Rn. 20). Gibt eine Person an, minderjährig zu sein, oder liegen anderweitige Hinweise vor, dass eine Person minderjährig sein kann, muss dies mit besonderer Sorgfalt geprüft werden. Da es keine Methode gibt, mit der das genaue Alter einer Person bestimmt werden kann, ist es umso notwendiger, dass dieser Unsicherheit in der Einschätzung des Alters durch transparente Verfahrensstandards, die kindgerecht auszugestalten sind, begegnet wird (so zutreffend Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 1).

Das Ergebnis der Alterseinschätzung ist dabei nicht Voraussetzung für eine vorläufige Inobhutnahme, vielmehr ist die Alterseinschätzung selbst erst Aufgabe im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme. Eine vorläufige Inobhutnahme ist deshalb bereits dann möglich und geboten, wenn das Alter des jungen Menschen noch nicht sicher festgestellt ist (vgl. BayVGH, B. v. 23.9.2014- 12 CE 14.1833 u. 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 23; OVG Bremen, B. v. 18.11.2015-2 B 221/15, 2 PA 223/15 -, JAmt 2016, 42 [43]; ebenso Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 4). Mit Blick auf das Ziel, Minderjährige wirksam vor Gefahren für ihr Wohl zu schützen, kann eine Inobhutnahme deshalb nicht mit der Erwägung abgelehnt werden, die Minderjährigkeit des Betroffenen erscheine zweifelhaft. Vielmehr hat die Alterseinschätzung in einem solchen Fall nach Beginn der vorläufigen Inobhutnahme zu erfolgen (so zutreffend Kirchhoff, in: juris PK-SGB VIII, § 42f Rn. 14; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 4).

b) Kann der Betroffene kein aussagekräftiges Ausweispapier vorlegen und Ist seine Selbstauskunft nicht zweifelsfrei, so ist eine qualifizierte Inaugenscheinnahme (§ 42 f Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB VIII) durchzuführen. Diese erstreckt sich auf das äußere Erscheinungsbild, das nach nachvollziehbaren Kriterien zu würdigen ist. Darüber hinaus schließt sie - unter Hinzuziehung eines Sprachmittlers - in jedem Fall eine Befragung des Betroffenen ein, in der dieser mit den Zweifeln an seiner Eigenangabe zu konfrontieren und ihm Gelegenheit zu geben ist, diese Zweifel auszuräumen (so zutreffend OVG Bremen, B. v. 22.2.2016 - 1 B 303/15 -, NVwZ-RR 2016, 592 f. Rn. 13). Die im Gespräch gewonnenen Informationen zum Entwicklungsstand sind im Einzelnen zu bewerten. Maßgeblich ist der Gesamteindruck, der neben dem äußeren Erscheinungsbild insbesondere die Bewertung der im Gespräch gewonnenen Informationen zum Entwicklungsstand umfasst (vgl. Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 7). Gegebenenfalls sind weitere Unterlagen beizuziehen. Das Verfahren ist stets nach dem Vier-Augen-Prinzip von mindestens zwei beruflich erfahrenen Mitarbeitern des Jugendamtes durchzuführen (vgl. OVG Bremen, B. v. 22.2.2016 - 1 B 303/15 -, NVwZ-RR 2016, 592 f. Rn. 13 unter Bezugnahme auf BT-Drs. 18/6392, S. 20 und die dort erwähnten „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen“ der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter vom Mai 2014). Das Ergebnis dieses Verfahrens ist in nachvollziehbarer und überprüfbarer Weise zu dokumentieren, insbesondere muss die Gesamtwürdigung in ihren einzelnen Begründungsschritten transparent sein (so zutreffend OVG Bremen, B. v. 22.2.2016 -1 B 303/15 -, NVwZ-RR 2016, 592 f. Rn. 16).

c) Führt die qualifizierte Inaugenscheinnahme nicht zu einem hinreichend sicheren Ergebnis, bleiben mit anderen Worten Zweifel, so ist eine medizinische Untersuchung zu veranlassen (§ 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII). Derartige Zweifel bestehen immer dann, wenn nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass ein fachärztliches Gutachten zu dem Ergebnis kommen wird, der Betroffene sei noch minderjährig (vgl. bereits BayVGH, B. v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833 u. 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 23; siehe auch Kirchhoff, in: juris PK-SGBVIII, § 42f Rn. 26), denn im Hinblick auf die im Jugendhilfeverfahren entsprechend anwendbare Regelung des Art. 25 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 2 RL 2013/32/EU (vgl. hierzu bereits BayVGH, B. v. 5.7.2016 - 12 CE 16.1186 - juris, Rn. 22 m. w. N.) ist bezüglich des Alters eines Antragstellers zwingend davon auszugehen, dass dieser noch minderjährig ist, solange entsprechende Zweifel nicht ausgeräumt werden können und deshalb weiter fortbestehen (vgl. Kirchhoff, in: jurlsPK-SGB VIII, § 42f Rn. 27; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sqbwiesner.de § 42f N 9; Winkler, in: BeckOK Sozialrecht, § 42 f SGB VIII Rn. 9).

d) Ob ein solcher Zweifelsfall vorliegt, unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum umfassender verwaltungsgerichtlicher Kontrolle. Dies schließt eine wie auch immer geartete Einschätzungsprärogative des Jugendamts von vornherein aus. Das Ergebnis einer qualifizierten Inaugenscheinnahme nach § 42 f Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB VIII ist daher von den Verwaltungsgerichten im Hinblick auf gleichwohl fortbestehende Zweifel an der Minder- bzw. Volljährigkeit des Betroffenen nicht lediglich daraufhin zu überprüfen, ob alle relevanten Verfahrensvorschriften eingehalten wurden, sämtliche zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen ausgeschöpft und von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen wurde, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe beachtet und der Gehalt der anzuwendenden Begriffe und der gesetzliche Rahmen, in dem diese sich bewegen, erkannt wurde und keine sachfremden Erwägungen in die Beurteilung eingeflossen sind.

Ein gerichtlich nicht voll überprüfbarer Beurteilungsspielraum könnte allenfalls dann angenommen werden, wenn und soweit das Jugendamt durch das Achte Buch Sozialgesetzbuch zur abschließenden Beurteilung ermächtigt würde (vgl. hierzu Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Stand: Juli 2014, Art. 19 Abs. 4 Rn. 191 ff.; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 160 ff.). Gerade dies indes ist nicht der Fall, wie die in § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VII vorgesehene Verpflichtung des Jugendamts zeigt, in Zweifelsfällen eine ärztliche Untersuchung zu veranlassen.

§ 42 f Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB VIII begründet daher keine normative Ermächtigung zur administrativen Letztentscheidung, die allein eine Reduzierung der Kontrolldichte zur Folge haben könnte (vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 185 ff.). Fragen sachlicher und fachlicher Richtigkeit sind stets von den (Verwaltungs-)Gerichten zu überprüfen (vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 177 m. w. N.)

Ebenso wenig handelt es sich bei den die qualifizierte Inaugenscheinnahme durchführenden Mitarbeitern des Jugendamts um weisungsfreie, interessenpluralistisch zusammengesetzte, auf dem Gebiet der Altersfeststellung mit besonderer (medizinischer) Sachkunde ausgestattete Personen oder Gremien (vgl. hierzu Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 195; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 192, 204 ff.). Wenn bereits die Ergebnisse ärztlicher Untersuchungsmethoden mit erheblichen Unwägbarkeiten und Schwankungsbreiten behaftet sind (vgl. näher Kirchhoff, In: jurisPR-SozR 2/2016 Anm. 1, S. 6 m. w. N.), kann der Einschätzung von Mitarbeitern eines Jugendamtes ein weitergehender Erkenntniswert erst recht nicht beigemessen werden. Bei der Feststellung von Tatsachenbegriffen - wie insbesondere dem der Minder- oder Volljährigkeit - ist die Annahme einer Beurteilungsermächtigung vielmehr im Gegenteil grundsätzlich abzulehnen (so ausdrücklich Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 211). Eine Reduzierung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte kommt daher auch unter diesem Gesichtspunkt nicht in Betracht.

Die Auffassung der Landesanwaltschaft Bayern, Zweifel bei der Feststellung des Alters im Sinne von § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII bestünden nur dann, wenn die Altersbeurteilungen der mit der Einschätzung befassten Fachkräfte des Jugendamts nicht übereinstimmten oder die Prüfpersonen erhebliche Zweifel hätten, dass das Altersbegutachtungsverfahren ohne medizinischen Sachverstand zu einem schlüssigen Ergebnis führen könne, greift daher notgedrungen ins Leere. Ungeachtet dessen wäre eine solche Interpretation auch mit dem in § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII ausdrücklich normierten Antragsrecht der Betroffenen unvereinbar.

e) Ausgehend von der Tatsache, dass eine exakte Bestimmung des Lebensalters weder auf medizinischem, psychologischem, pädagogischem oder anderem Wege möglich ist, alle bekannte Verfahren - auch eine ärztliche Untersuchung - allenfalls Näherungswerte liefern können, manche medizinischen Untersuchungsmethoden zum Teil eine Schwankungsbreite von bis zu fünf Jahren aufweisen (vgl. näher Kirchhoff, in: jurisPR-SozR 2/2016 Anm. 1, S. 6 m. w. N.) und allgemein von einem so genannten „Graubereich“ von ca. ein bis zwei Jahren (über der gesetzlichen Altersgrenze von 18 Jahren) auszugehen ist (vgl. hierzu näher Ziff. 5.1.2 der in der Gesetzesbegründung zu § 42f SGB VIII [BT-Drs. 18/6392 S. 20] ausdrücklich in Bezug genommenen „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen“ vom Mai 2014, S. 15), kann eine qualifizierte Inaugenscheinnahme durch Mitarbeiter eines Jugendamts gemäß §42 f Abs. 1 Satz 2 2. Alt. SGB VIII allenfalls dann als zur Altersfeststellung geeignet angesehen werden, wenn es darum geht, für jedermann ohne Weiteres erkennbare (offensichtliche), gleichsam auf der Hand liegende, über jeden vernünftigen Zweifel erhabene Fälle eindeutiger Volljährigkeit auszuscheiden, in welchen ein Sieh-Berufen des Betroffenen auf den Status der Minderjährigkeit selbst vor dem Hintergrund möglicher eigener Unkenntnis vom genauen Geburtsdatum als evident rechtsmissbräuchlich erscheinen muss.

In allen anderen Fällen ist hingegen vom Vorliegen eines Zweifelsfalls auszugehen, der entweder auf Antrag des Betroffenen bzw. seines gesetzlichen Vertreters oder aber von Amts wegen durch das Jugendamt zur Veranlassung einer ärztlichen Untersuchung gemäß § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII zwingt. Letzteres gilt namentlich in dem in den „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen vom Mai 2014“ angesprochenen „Graubereich“ von rund ein bis zwei Jahren (über der gesetzlichen Altersgrenze von 18 Jahren). Mindestens in diesem Grenzbereich ist mit Blick auf die auf das Jugendhilferecht entsprechend anwendbare, in Art. 25 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 2 RL 2013/32/EU enthaltene Zweifelsregel („im Zweifel pro Minderjährigkeit“) vom Vorliegen eines Anwendungsfalls des §42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII auszugehen. Angesichts der erheblichen Schwankungsbreiten medizinischer Untersuchungsmethoden von bis zu fünf Jahren (vgl. näher Kirchhoff, in: jurisPR-SozR 2/2016 Anm. 1, S. 6 m. w. N.), wird es darüber hinaus eines „Sicherheitszuschlages“ von weiteren zwei bis drei Jahren bedürfen, um dem Kindeswohl angemessen Rechnung zu tragen und jeder vermeidbaren Fehlbeurteilung entgegenzuwirken.

f) In sich widersprüchlicher Vortrag des Betroffenen über sein Alter kann vor dem Hintergrund, dass dem Geburtsdatum in vielen Herkunftsländern der südlichen Hemisphäre keine besondere Bedeutung beigemessen wird (vgl. hierzu näher Kirchhoff, in: juris PK-SGB VIII, § 42f Rn. 20; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 6) und entsprechenden Angaben in Ausweispapieren deshalb ein Beweiswert nicht zukommt (vgl. OVG NRW, B. v. 29.9.2014 - 12 B 923/14 - juris, Rn. 11 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 4.3.2013 -OVG 6 S 3.13, OVG 6 MOVG 6 M 5.13 - juris, Rn. 6), nicht zum Nachteil des betroffenen Antragstellers gewertet werden. Denn auch derjenige, der über sein Alter, etwa infolge von nicht auszuschließender Unkenntnis, widersprüchliche Angaben macht, kann gleichwohl (noch) minderjährig sein (verkannt von OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 1.4.2016 - OVG 6 S 7.16, OVG 6 M 20.16 -, NVwZ-RR 16, 594 f. - Leitsatz). Widersprüchlicher Vortrag begründet vielmehr im Gegenteil das Vorliegen von Zweifeln an der Selbstauskunft des Betroffenen (so zutreffend Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 6), denen durch Anwendung des § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII von Amts wegen durch Veranlassung einer ärztlichen Untersuchung weiter nachzugehen ist.

Eine Alterseinschätzung allein aufgrund bestimmter äußerlicher körperlicher Merkmale stellt für sich genommen keine ausreichende Grundlage dar. Dies gilt auch dann, wenn sie durch Personal erfolgt, das in diesem Bereich erfahren ist (vgl. BayVGH, B. v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 21). Eine (einigermaßen) zuverlässige Altersdiagnostik setzt vielmehr voraus, dass im Wege einer zusammenfassenden Begutachtung die Ergebnisse einer körperlichen Untersuchung, gegebenenfalls auch einer Röntgenuntersuchung der Hand und der Schlüsselbeine, sowie einer zahnärztlichen Untersuchung zu einer abschließenden Altersdiagnose zusammengeführt werden (vgl. BayVGH, B. v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 21; OLG München, B. v. 15.3.2012 - 26 UF 308/12 - juris, Rn. 9; s.a. Trenzcek, in: Münder/Meysen/Trenzcek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 7. Aufl. 2013, §42 Rn. 22 m. w. N.). An dieser Rechtsauffassung hält der Senat auch nach Inkrafttreten der Neuregelung des § 42 f SGB VIII fest und sieht sich durch die in dieser Vorschrift getroffene Anordnung, dass in sämtlichen Zweifelsfällen auf Antrag des Betroffenen bzw. seines Vertreters oder von Amts wegen durch das Jugendamt eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen ist, in seiner bisherigen Rechtsansicht ausdrücklich bestätigt. Sind bereits die Ergebnisse ärztlicher Untersuchungsmethoden mit erheblichen Unwägbarkeiten und Schwankungsbreiten behaftet, so kann der Einschätzung von Mitarbeitern eines Jugendamts - mit Ausnahme der Feststellung auch von einem Facharzt nicht anders bewertbarer Fälle offensichtlichen Rechtsmissbrauchs - ein weiterer Erkenntniswert erst recht nicht beigemessen werden.

g) Ungeachtet dessen führen nach der ständigen Rechtsprechung des Senats betreffend die Inobhutnahme unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge verbleibende Zweifel am Alter des eine Inobhutnahme begehrenden Antragstellers im einstweiligen Anordnungsverfahren zu einer reinen Folgenabwägungsentscheidung, bei der angesichts der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG der Wertung des Gesetzgebers, die Unterbringung und Erstversorgung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge der Primärzuständigkeit der Jugendämter zu überantworten (vgl. § 42 Abs. 1 Satzl Nr. 3 SGB VIII, § 42a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII) und des von Verfassungs wegen gebotenen Schutzes Minderjähriger (Art. 6 Abs. 1 GG) regelmäßig dazu, dass die persönlichen Interessen des Antragstellers möglicherweise entgegen- stehende öffentliche Belange überwiegen (vgl. BayVGH, B. v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 23 ff.; B. v. 5.7.2016 - 12 CE 16.1186 - juris, Rn. 23). Lässt sich mithin eine verlässliche Klärung des Alters nicht kurzfristig herbeiführen, so hat das Jugendamt dann, wenn die Minderjährigkeit des Betroffenen nicht sicher ausgeschlossen werden kann, eine Inobhutnahme gleichwohl anzuordnen, bis das tatsächliche Alter des Betroffenen festgestellt ist (vgl. BayVGH, B. v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 23) oder aber die Zweifelsregel des entsprechend anwendbaren Art. 25 Abs. 5 UAbs. 1 Satz 2 RL 2013/32/EU gebietet, wegen nicht ausräumbarer Ungewissheit weiterhin vom Vorliegen von Minderjährigkeit auszugehen (vgl. bereits BayVGH, B. v. 5.7.2016 - 12 CE 16.1186 - juris, Rn. 24). Dabei ist zugunsten des Minderjährigen jeweils das geringstmögliche Lebensalter zu unterstellen.

2. Entsprechend diesem Maßstab kann die Aufhebung des Beschlusses vom 2. Mai 2016 und die damit verbundene Versagung vorläufigen Rechtsschutzes durch das Verwaltungsgericht keinen Bestand haben. Die vom Antragsgegner unter dem 3. Juni 2016 durchgeführte Alterseinschätzung genügt den oben beschriebenen Anforderungen nicht entfernt. Die gewonnenen Erkenntnisse wurden - wie der Antragsteller zu Recht rügt - nicht in nachvollziehbarer und überprüfbarer Weise dokumentiert. Es fehlt - auch wenn man das Schreiben vom 13. Juni 2016 zugrunde legt jede Transparenz der einzelnen Begründungsschritte und des Gesamtergebnisses. Die Mitarbeiter des Jugendamts stellen letztlich allein auf das äußere Erscheinungsbild des Antragstellers und dem aus dessen Verhalten gewonnenen - persönlichen -Eindruck ab, ohne dass insoweit eine Objektivierung der gewonnenen Erkenntnisse stattfände und für einen außenstehenden Dritten nachvollziehbar würde. Ebenso wenig vermögen vor dem Hintergrund einer mutmaßlichen Herkunft des betroffenen Antragstellers aus Afghanistan, einem Land, in dem dem Geburtsdatum eines Menschen keine besondere Bedeutung beigemessen wird (vgl. hierzu Kirchhoff, in: juris PK-SGB VIII, § 42f Rn. 20), widersprüchliche Angaben des Antragstellers zu seinem Geburtsdatum, die Annahme von Volljährigkeit zu rechtfertigen. Dieser Umstand begründet vielmehr im Gegenteil Zweifel an der Selbstauskunft des Antragstellers, welchen im Rahmen des §42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII durch Veranlassung einer ärztlichen Untersuchung von Amts wegen weiter nachzugehen ist.

Ungeachtet dessen gehört der Antragsteller nach dem Aktenvermerk des Antragsgegners vom 15. November 2015, in dem sein Alter auf 19 Jahre geschätzt wird, gerade in den in den „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen vom Mai 2014“ beschriebenen „Graubereich“ von ca. ein bis zwei Jahren (über der gesetzlichen Altersgrenze von 18 Jahren), in dem nach dem oben entwickelten Maßstab des Senats auch in Ansehung der entsprechend anzuwendenden Zweifelsregel des Art. 25 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 2 der RL2013/32/EU stets eine ärztliche Untersuchung gemäß §42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII stattzufinden hat, ohne dass es insoweit auf einen zusätzlich zu berücksichtigenden „Sicherheitszuschlag“ entscheidungserheblich ankäme.

Dass der Antragsteller, vom Antragsgegner vor die Wahl gestellt, aufgrund der (wegen des Laufs der Rechtsmittelfrist im Übrigen noch gar nicht rechtskräftigen) Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 7. Juli 2016 wieder in die Unterkunft für Asylbewerber zurückkehren zu müssen oder unter der Voraussetzung, dass er einen Antrag auf Jugendhilfe für Volljährige stelle, weiterhin in der Jugendhilfeeinrichtung verbleiben zu dürfen, sich am 28. Juli 2016 aus nachvollziehbaren Gründen für Letzteres „entschieden“ hat, sagt angesichts der bereits zuvor offen zutage getretenen Zweifel an der Voll- bzw. Minderjährigkeit des Antragstellers über dessen tatsächliches Lebensalter nicht das Geringste aus. Vielmehr wird im Hauptsacheverfahren zu klären sein, ob der Antragsteller vor dem Hintergrund des zum damaligen Zeitpunkt bereits angekündigten Rechtsmittels in unzulässiger Weise unter Druck gesetzt wurde und wer hierfür gegebenenfalls die Verantwortung trägt, statt einfach den Ausgang des Beschwerdeverfahrens vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof abzuwarten.

Der Antragsgegner wird gemäß § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII die ärztliche Untersuchung des Antragstellers unverzüglich in die Wege leiten, um damit die Grundlage für eine einigermaßen verlässliche Entscheidung in der Hauptsache zu schaffen. Bis dahin dauert die mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 2. Mai 2016 getroffene Anordnung der vorläufigen Inobhutnahme des Antragstellers fort.

Aufgrund der besonderen Eilbedürftigkeit der Rechtssache ergeht die Entscheidung ohne weitere Gewährung rechtlichen Gehörs.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.

4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) §§ 88, 108 Abs. 1 Satz 1, §§ 118, 119 und 120 gelten entsprechend für Beschlüsse.

(2) Beschlüsse sind zu begründen, wenn sie durch Rechtsmittel angefochten werden können oder über einen Rechtsbehelf entscheiden. Beschlüsse über die Aussetzung der Vollziehung (§§ 80, 80a) und über einstweilige Anordnungen (§ 123) sowie Beschlüsse nach Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache (§ 161 Abs. 2) sind stets zu begründen. Beschlüsse, die über ein Rechtsmittel entscheiden, bedürfen keiner weiteren Begründung, soweit das Gericht das Rechtsmittel aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.

(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.