vorgehend
Verwaltungsgericht Augsburg, 6 K 12.1303, 06.03.2013

Gericht

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der am 12. Mai 1986 im Bundesgebiet geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er war ab Dezember 1997 im Besitz einer befristeten Aufenthaltserlaubnis, ab Juni 2002 einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis bzw. einer Niederlassungserlaubnis.

Der Kläger hat im Bundesgebiet die Hauptschule besucht, jedoch keine Berufsausbildung durchlaufen. Erwerbstätig war er jeweils nur für kurze Zeit.

Der Kläger lebte zumeist mit seiner im Bundesgebiet lebenden Familie (Vater, zwei Schwestern und ein Bruder) zusammen. In der Türkei hat er entfernte Verwandte. Er ist der türkischen Sprache mächtig.

Bereits im Alter von 15 Jahren hat der Kläger seine ersten Straftaten begangen (Diebstahlsdelikte). Gewalttaten (Körperverletzungsdelikte, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Bedrohung) kamen dazu. Nach mehreren Verurteilungen, u. a. zu Bewährungsstrafen, wurde der Kläger mit Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 11. September 2006 erstmals zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren vier Monaten verurteilt. Neben anderen Delikten (Sachbeschädigung, Diebstahl, Beleidigung, Bedrohung) hat er im Dezember 2005 eine vorsätzliche Körperverletzung begangen, bei der er dem Opfer mehrere Faustschläge ins Gesicht und einen Kopfstoß versetzte, wobei das Opfer erhebliche Verletzungen erlitt. Im Urteil werden dem Kläger schädliche Neigungen und Erziehungsdefizite bestätigt.

Am 18. April 2007 wurde der Kläger wegen eines am 15. April 2007 begangenen Körperverletzungsdelikts in Untersuchungshaft genommen.

Am 29. Mai 2007 verurteilte ihn das Amtsgericht Augsburg wegen gefährlicher Körperverletzung, Bedrohung und Beleidigung unter Einbeziehung der Verurteilung vom 11. September 2006 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren zehn Monaten. Ihm wurde zur Last gelegt, am 25. Juli 2006 zusammen mit einem anderen sein Opfer zusammengeschlagen zu haben, wobei dieses eine Nasenbeinfraktur, Prellungen, Hämatome und Bisswunden erlitt. Zudem hat er den Stiefvater des Opfers beleidigt und ihm gegenüber Drohungen gegen das Opfer ausgesprochen. Im Urteil wurde bei der Strafzumessung erneut davon ausgegangen, dass beim Kläger massive schädliche Neigungen vorliegen, zudem eine ausgeprägte Aggressivität und Gewaltbereitschaft. Er sei unbelehrbar, brutal und benötige eine Therapie.

Ab dem 30. Januar 2008 wurde der Kläger gemäß § 64 StGB in das Bezirkskrankenhaus P. verbracht, um dort eine Drogen- und Alkoholtherapie zu absolvieren.

Das Amtsgericht Augsburg verurteilte ihn nochmals am 21. Januar 2008 zu einer Einheitsjugendstrafe von vier Jahren und Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wegen gefährlicher Körperverletzung. Dem Urteil lag zugrunde, dass der Kläger am 15. April 2007 angetrunken seinem Opfer ohne Grund mit der Faust in den Rücken geschlagen und mit Kopf und Knien gegen den Kopf des Opfers gestoßen ist. Dieser erlitt eine Stirnhöhlenvorderwandfraktur und musste operiert werden. Im Rahmen der Strafzumessung ging das Amtsgericht vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB aus und führte aus, dass der Kläger stark aggressiv sei, erheblich alkoholabhängig und bestätigte einen Abusus von Cannabinoiden. Es stellte ihm eine sehr ungünstige Prognose aus.

Mit Bescheid vom 18. Dezember 2008 wies die Ausländerbehörde den Kläger aus dem Bundesgebiet aus, drohte seine Abschiebung aus der Haft an und erließ hilfsweise eine Abschiebungsandrohung. Im Rahmen der Begründung des Bescheids wurde berücksichtigt, dass der Kläger als assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger lediglich im Ermessenswege ausgewiesen werden dürfe. Zudem seien nur spezialpräventive Erwägungen zulässig. Eine Ausweisung sei nur möglich, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Ausländers außer der Störung der öffentlichen Ordnung auch eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung vorliege, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Dies alles sei beim Kläger gegeben. Auch unter Berücksichtigung von Art. 8 EMRK erweise sich die Ausweisung als verhältnismäßig.

Mit seiner Klage vom 19. Januar 2009 machte der Kläger im Wesentlichen geltend, er habe in der Haft und im Bezirkskrankenhaus positive Fortschritte gemacht. Er betreibe eine Ausbildung, nehme weder Drogen noch Alkohol zu sich und durchlaufe erfolgreich eine Therapie. Positive Stellungnahmen des Bezirkskrankenhauses vom Januar und September 2009 bestätigten dies.

Am 26. Oktober 2009 teilte das Bezirkskrankenhaus mit, dass beim Kläger ein Rückfall eingetreten sei. Er habe die Droge Speed genommen, nachdem er seine Arbeitsstelle verloren habe. Der Vorschlag der Klinik, die weitere Unterbringung zur Bewährung auszusetzen, werde zurückgezogen, da der Kläger unter schwierigen Lebensbedingungen keine stabile Abstinenz gegenüber illegalen Drogen aufrechterhalten könne.

Mit Beschluss vom 10. November 2009 setzte das Verwaltungsgericht das Verfahren im Hinblick auf die damals noch nicht geklärte Anwendbarkeit der Unionsbürgerrichtlinie auf türkische Staatsangehörige aus.

Im Januar 2010 durfte der Kläger wieder einen Arbeitsplatz außerhalb des Bezirkskrankenhauses annehmen. Am 1. Mai 2010 wurden die mit Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 21. Januar 2008 angeordnete Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie der Rest der Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt und Führungsaufsicht für drei Jahre angeordnet.

Ab seiner Entlassung war der Kläger zunächst vier Monate drogen- und alkoholfrei. Er schloss sich dann aber einer Rockergruppe an und konsumierte wieder Drogen. Vor seiner erneuten Inhaftierung im Juli 2011 nahm er zuletzt täglich eine Flasche Schnaps oder Wodka zu sich und ebenfalls täglich ein bis drei Gramm Kokain. Am 12. Mai 2011 hat der Kläger zusammen mit einem Mittäter eine Spielhalle überfallen, wobei er eine Angestellte mit einer Schreckschusswaffe bedrohte und die Aushändigung der Tageseinnahmen verlangte. Er erbeutete 1.130 Euro. 800 Euro davon behielt er für sich. Er verwendete das Geld zum Kauf von Drogen und gab den Rest in Nachtclubs aus. Wegen dieser Tat verurteilte ihn das Landgericht Augsburg mit Urteil vom 16. Mai 2012, das auf § 257c StPO beruhte, wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung zu einer siebenjährigen Freiheitsstrafe und ordnete die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach eineinhalb Jahren Haft an. Nach dieser Verurteilung wurde auch der Bewährungsbeschluss des Amtsgerichts Neumarkt/Oberpfalz vom 1. Mai 2010 widerrufen.

Mit Bescheid vom 8. Februar 2013 befristete die Ausländerbehörde die Wirkung der Ausweisungsverfügung vom 18. Dezember 2008 auf die Dauer von fünf Jahren ab dem Zeitpunkt der Ausreise des Klägers. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht über das wieder aufgenommene Ausweisungsverfahren wurde der Befristungsbescheid in die Klage einbezogen. Mit Urteil vom 6. März 2013 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Hiergegen richtet sich der Zulassungsantrag des Klägers vom 16. April 2013.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Behördenunterlagen Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 3 VwGO nicht vorliegen. Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen im Zulassungsantrag rechtfertigt keine Zulassung der Berufung (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).

1. Die Berufung ist nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Diesen Zulassungsgrund hat der Kläger nämlich bereits nicht den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt.

Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung ist nur dann den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt, wenn der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert, ausführt, warum diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, erläutert, weshalb sie klärungsbedürftig ist, und darlegt, warum ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. BayVGH, B.v. 8.10.2014 - 10 ZB 12.2742 - juris Rn. 42). Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen des Klägers in der Zulassungsbegründung jedoch nicht.

Der Kläger ist der Auffassung, dass die Rechtssache deshalb grundsätzliche Bedeutung habe, weil für türkische assoziationsberechtigte Staatsangehörige aufgrund der Einführung der allgemeinen Zulassungsberufung Verschlechterungen ihrer rechtlichen Situation eingetreten seien, nach Art. 13 ARB 1/80 die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft für türkische Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen aber keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen dürften. Die Benachteiligung der türkischen Staatsangehörigen liege darin, dass im Berufungsverfahren, das früher ohne vorherige Zulassung statthaft war, grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich sei und deshalb entgegen dem jetzt erforderlichen (vorherigen) Zulassungsverfahren noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung für den betroffenen Ausländer günstige Tatsachen vorgetragen werden konnten.

Dieses Vorbringen führt nicht zur Zulassung der Berufung. Der Kläger weist zwar zutreffend darauf hin, dass bei Durchführung eines Berufungsverfahrens hinsichtlich der Sach- und Rechtslage im Ausweisungsverfahren auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. der Entscheidung des Berufungsgerichts abzustellen ist (st. Rspr. des BVerwG; vgl. U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - Rn. 12 m. w. N.) und deshalb während des Berufungsverfahrens noch eintretende - sowohl günstige als auch ungünstige - neue Umstände zu berücksichtigen sind. Anders als im Berufungsverfahren sind demgegenüber im Zulassungsverfahren die Zulassungsgründe innerhalb einer bestimmten Frist darzulegen. Später eintretende neue Zulassungsgründe können demgemäß grundsätzlich keine Berücksichtigung mehr finden, auch wenn sie für den jeweiligen Kläger günstig sind (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).

Dies allein besagt aber noch nicht, dass die vom Kläger aufgeworfene Frage für den konkreten Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, wie dies zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache erforderlich gewesen wäre. Der Kläger legt insbesondere nicht dar, wieso er in seinem konkreten Einzelfall besser gestellt wäre, wenn statt des Zulassungsverfahrens von vornherein die Berufung gegen das angefochtene Urteil möglich gewesen wäre. Denn bis zum jetzigen Zeitpunkt der Entscheidung über den Zulassungsantrag, zu dem womöglich auch bereits über eine Berufung entschieden worden wäre, hat der Kläger nichts vorgetragen, was bei der Überprüfung der Ausweisungsentscheidung des Beklagten in entscheidungserheblicher Weise noch zu seinen Gunsten einzustellen gewesen wäre. Er zeigt deshalb nicht in der gebotenen Weise auf, dass die Beurteilung der Sach- und Rechtslage zu unterschiedlichen Beurteilungszeitpunkten, beim Berufungsverfahren zum jetzigen Zeitpunkt und beim Zulassungsverfahren mit Ablauf der Zulassungsbegründungsfrist, in seinem konkreten Ausweisungsfall zu einem unterschiedlichen Ergebnis geführt hätte, er insbesondere durch die Entscheidung im Zulassungsverfahren schlechter gestellt wäre als in einem Berufungsverfahren.

Im Übrigen käme der Rechtssache auch dann keine grundsätzliche Bedeutung bei, wenn der Kläger eine konkrete Schlechterstellung durch die Einführung des Zulassungsverfahrens gegenüber dem früher von vornherein zulässigen Berufungsverfahren konkret dargelegt hätte. Denn die Stillhalteklausel in Art. 13 ARB 1/80, wonach die Mitgliedstaaten keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen dürfen, wäre zwar auf den Kläger, der eine aufenthaltsrechtliche Stellung aus Art. 7 ARB 1/80 besaß, anzuwenden. Jedoch erscheint bereits fraglich, ob die auf den Zugang zum Arbeits- bzw. Binnenmarkt zugeschnittene Stand-Still-Klausel überhaupt Verfahrensregelungen bei der Aufenthaltsbeendigung erfasst (vgl. BVerwG, B.v. 15.4.2013 - 1 B 22/12 - juris Rn. 13). Zudem stellt die Durchführung des Zulassungsverfahrens nach §§ 124 ff. VwGO keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Ausweisung dar, sondern lediglich eine spezielle Prozessvoraussetzung für die Einlegung der Berufung. Dies ergibt sich aus § 124 Abs. 1 VwGO, wonach den Beteiligten gegen Urteile die Berufung zusteht, wenn sie vom Verwaltungsgericht oder vom Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

Schließlich betrifft der Wegfall des Berufungsverfahrens ohne vorherige Zulassung der Berufung nicht nur türkische Assoziationsberechtigte, sondern auch Unionsbürger in gleicher Weise. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs steht der Erlass oder Wegfall von Regelungen, die - wie hier - in gleicher Weise auf türkische Staatsangehörige und auf Gemeinschaftsangehörige Anwendung finden, nicht im Widerspruch zur Stillhalteklausel in Art. 13 ARB 1/80 (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2012 - 1 C 20/11 - juris Rn. 34; U.v. 14.5.2013 - 1 C 13/12 - juris Rn. 23). Im Übrigen wäre die Aufrechterhaltung des generellen Berufungsverfahrens ohne vorherige Zulassung nur für türkische Staatsangehörige nicht mit dem Besserstellungsverbot des Art. 59 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (BGBl 1972 II S. 385) - ZP - vereinbar, denn nach dieser Vorschrift darf der Türkei in den von diesem Protokoll erfassten Bereichen keine günstigere Behandlung gewährt werden als diejenige, wie sie die Mitgliedstaaten untereinander aufgrund des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft einräumen. Da das Zulassungsverfahren auch auf Unionsbürger in den Fällen, in denen es um den Verlust ihres Rechts auf Einreise und Aufenthalt geht, Anwendung findet, kann für türkische Staatsangehörige in deren Ausweisungsverfahren nichts anderes gelten. Daran ändert auch die vom Kläger im Zulassungsverfahren zitierte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in Sachen Z. (U.v. 8.12.2011 - Rs. C-371/08 - NVwZ 2012, 422) nichts. Denn auch wenn nach dieser Entscheidung für Unionsbürger und türkische Staatsangehörige ein unterschiedlicher Maßstab hinsichtlich der Ausweisung gilt, betrifft sie nur den materiell-rechtlichen Bezugsrahmen für die Aufenthaltsbeendigung für die jeweilige Gruppe von Ausländern. Das Urteil in Sachen Z. verlangt aber nicht einen im Hinblick auf das statthafte Rechtsmittel unterschiedlichen Beurteilungszeitpunkt für Unionsbürger und türkische Assoziationsberechtigte.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass das Verschlechterungsverbot des Art. 13 ARB 1/80 wohl nicht dazu führen würde, die Vorschriften über die Zulassung der Berufung auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige überhaupt nicht anzuwenden und für diese in ausländerrechtlichen Streitigkeiten ausschließlich ein Berufungsverfahren durchzuführen. Denn hinsichtlich des maßgeblichen Zeitpunkts für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage, den der Kläger allein thematisiert, wäre auch denkbar, diesen Zeitpunkt hinsichtlich der während des Zulassungsverfahrens noch eintretenden neuen Umstände bis zur Entscheidung im Zulassungsverfahren hinauszuschieben. Dies wird aber weder geltend gemacht noch sind - wie bereits oben ausgeführt - bis zu einem womöglich bis zur Entscheidung des Senats verlagerten Zeitpunkt Gründe vorgetragen worden, die im Fall des Klägers zu einer anderen Beurteilung führen könnten als zum Zeitpunkt des Ablaufs der Zulassungsbegründungsfrist.

2. Der Senat hat auch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11). Dies ist jedoch nicht der Fall.

2.1. Der Kläger rügt insbesondere, entgegen den Voraussetzungen, die der Europäische Gerichtshof für die Ausweisung eines türkischen assoziationsberechtigten Staatsangehörigen nach Art. 14 ARB 1/80 für erforderlich ansieht, habe das Verwaltungsgericht in seinem Urteil die positiven Ansätze des Klägers vollkommen außer Betracht gelassen und insbesondere die Mitwirkungsbereitschaft des Klägers und in naher Zukunft anstehende Therapien und Trainings nicht hinreichend berücksichtigt.

Demgegenüber ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass das Verhalten des Klägers auch zum Zeitpunkt seiner Entscheidung noch eine hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellte, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Diese Feststellung des Verwaltungsgerichts wird auch mit dem Zulassungsvorbringen nicht ernsthaft in Zweifel gezogen. Die konkrete Gefahr der Wiederholung vergleichbarer Straftaten besteht auch unter Berücksichtigung der im Zulassungsantrag aufgeführten positiven Ansätze des Klägers weiter. Ausgehend von einem differenzierenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 16 m. w. N.; BayVGH, U.v. 25.3.2014 -10 BV 13.484 - juris Rn. 27) ist das Erstgericht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zu der Einschätzung gelangt, dass unter Berücksichtigung der Gesamtumstände beim Kläger mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit die Gefahr der Wiederholung entsprechend schwerer Straftaten, insbesondere im Bereich der Körperverletzungsdelikte, bestehe. Es hat dabei - ebenso wie der Beklagte im Bescheid vom 18. Dezember 2008 - sowohl die Tatumstände, die Persönlichkeitsstruktur des Klägers, dessen Perspektivlosigkeit und die mangelnde therapeutische Aufarbeitung seines Sucht- und Aggressionspotentials als auch sein Verhalten nach der Ausweisung gewürdigt und in seine Entscheidung einbezogen. Aufgrund der zahlreichen erheblichen Körperverletzungsdelikte, die der Kläger seit seinem 16. Lebensjahr begangen hat und deretwegen er zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden ist, bevor er zuletzt vom Landgericht Augsburg mit Urteil vom 16. Februar 2012 wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung (der Kläger hat mit einer Schreckschusswaffe eine Spielhalle überfallen) zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und Unterbringung in einer Entziehungsanstalt verurteilt worden ist, ist bei ihm von einem erheblichen Aggressionspotential auszugehen, das er bislang nicht überwunden hat. Denn zahlreiche von ihm begangene Delikte hingen mit seiner Alkoholabhängigkeit zusammen, die nach wie vor nicht hinreichend behandelt ist. Zudem blickt der Kläger auf eine langjährige „Drogenkarriere“ zurück. Deshalb bedarf es nach Einschätzung des von der Strafkammer des Landgerichts Augsburg beigezogenen Sachverständigen, dem sich das Verwaltungsgericht angeschlossen hat, sowohl einer Drogen- als auch einer Alkoholtherapie. Im genannten Strafurteil wird überzeugend ausgeführt, dass vom Kläger unbehandelt in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere erhebliche Straftaten zu erwarten seien und deshalb sowohl seine Alkohol- als auch seine Drogensucht zuerst bekämpft werden müssten. Davon ist auch das Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass die erfolgreiche Absolvierung dieser Therapien zwingende Voraussetzung für ein denkbares Entfallen der Wiederholungsgefahr ist (vgl. z. B. BayVGH, B.v. 26.11.2013 -10 ZB 13.1873 - juris Rn. 7). Für die danach anzustellende Gefahrenprognose kommt es aber entgegen der Auffassung des Klägers nicht darauf an, ob dieser für eine neue Therapie vorgesehen ist, ob er seine Persönlichkeitsproblematik behandeln lassen und ob er ein Angebot einer Teilnahme an einem Aggressionstraining annehmen wird sowie auch nicht, dass Maßregelvollzug und Therapie für die Zukunft vorgesehen sind. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht darauf verwiesen, dass der bloße Wille zur Durchführung einer künftigen Therapie nicht ausreicht, um vorhandene Handlungs- und Verhaltensmuster dauerhaft zu korrigieren und dass auch ein Wohlverhalten in der Haft, wie der Kläger dies meint, nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung schließen lässt. Dies gilt erst recht beim Kläger, der bereits einmal ab 30. Januar 2008 im Bezirkskrankenhaus P. eine Drogentherapie durchgeführt hat, dort erhebliche Fortschritte gemacht hat und aufgrund mehrerer positiver Stellungnahmen des Bezirkskrankenhauses im Juli 2009 beurlaubt worden ist. Bereits im Oktober 2009 wurde bei ihm ein Rückfall festgestellt und die zunächst vorgeschlagene Entlassung auf Bewährung zurückgezogen. Aber auch nach Fortführung der Therapie und Entlassung zur Bewährung ab Mai 2010 ist es dem Kläger nur vier Monate lang gelungen, drogen- und alkoholfrei zu leben. Vor seiner nächsten Inhaftierung im Juli 2011 hat er ausweislich der Akten täglich eine Flasche Schnaps bzw. Wodka sowie ein bis drei Gramm Kokain konsumiert. Damit zeigen die konkreten Umstände beim Kläger deutlich, dass bei ihm nicht einmal der Abschluss einer Therapie ausreicht, um ihn dauerhaft von seiner Alkohol- und Drogensucht abzuhalten. Damit kommt aber auch dem Umstand, dass er eine Drogentherapie durchführen will und seine Persönlichkeitsproblematik behandeln möchte, sowie seiner angeblichen Mitwirkungsbereitschaft an sonstigen Therapien und Trainings nur eine untergeordnete Bedeutung zu, da der Kläger damit zwar durchaus positive Ansätze zeigt, diese jedoch nach den bisherigen Erfahrungen mit ihm keinerlei Indiz dafür sind, dass tatsächlich seine Suchtprobleme und seine Persönlichkeitsproblematik in Zukunft erfolgreich überwunden werden können.

Aus demselben Grund kommt auch aktuellen positiven Führungsberichten der Justizanstalt keine ausschlaggebende Bedeutung zu, da solche auch früher schon vorlagen, der Kläger aber nach seiner ersten Beurlaubung und nochmals nach der Entlassung aus der Haft immer wieder in sein früheres Suchtverhalten zurückfiel und erneut schwere Straftaten begangen hat. Im Übrigen zeigt auch der Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt K. vom 5. Februar 2013, dass der Kläger sich disziplinarisch nicht ordnungsgemäß verhält. Er musste geahndet werden, weil er Alkohol hergestellt hat. Aus dem Bericht geht hervor, dass beim Kläger nach wie vor eine ernstzunehmende Alkohol- und Drogenproblematik vorliege.

Zur Beurteilung der Gefahrenprognose musste das Verwaltungsgericht auch keine weiteren Stellungnahmen oder Sachverständigengutachten als die bereits vorliegenden einholen. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu bereits in seinem Beschluss vom 4. Mai 1990 (1 B 82/89 - juris - Rn. 7; st. Rspr..) ausgeführt, dass insbesondere in Fällen wiederholter Straftaten die Prüfung der Frage, ob eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung gegenwärtig noch besteht, grundsätzlich nicht die Einholung eines Sachverständigengutachtens erfordere, da sich das Gericht mit einer entsprechenden tatsächlichen Würdigung regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen bewege, die dem Richter allgemein zugänglich seien. Eine Ausnahme komme nur in Betracht, wenn die Prognose die Feststellung oder Bewertung von Umständen voraussetze, für die eine dem Richter nicht zur Verfügung stehende Sachkunde erforderlich sei, wie z. B. bei Vorliegen eines seelischen Leidens. Dass ein solcher Fall beim Kläger vorliege, wird aber weder im Zulassungsantrag behauptet noch ist dies sonst ersichtlich.

2.2. Auch das Vorbringen des Klägers, die Ausweisung sei unter Berücksichtigung des Schutzes seines Privat- und Familienlebens und der Tatsache, dass er sich bereits seit seiner Geburt im Bundesgebiet aufhalte, nicht verhältnismäßig, vermag ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils nicht zu begründen.

Das Verwaltungsgericht - und ebenso der Beklagte im angefochtenen Bescheid - hat im angegriffenen Urteil bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung sämtliche Aspekte berücksichtigt, die nach der Rechtsprechung, insbesondere des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, als Kriterien bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung heranzuziehen sind. Es hat dabei insbesondere auf die Vielzahl von Straftaten abgestellt, bei denen der Kläger ein hohes Gewalt- und Aggressionspotential gezeigt hat, und berücksichtigt, dass er erforderliche Therapien nicht abgeschlossen hat, sondern bereits mehrfach beim Versuch, eine Therapie zu durchlaufen, letztendlich gescheitert ist. Es hat ebenfalls in sein Prüfprogramm eingestellt, dass der Kläger im Bundesgebiet geboren ist und seine engere Familie hier lebt, aber auch darauf hingewiesen, dass damit eine Ausweisung nicht schlechthin untersagt sei. Schließlich hat es auch die Zumutbarkeit der Rückkehr des Klägers in das Land seiner Staatsangehörigkeit in seine Erwägungen einbezogen. Dass das Verwaltungsgericht unter Berücksichtigung dieser Umstände zum Ergebnis gelangt ist, die Ausweisung des Klägers sei verhältnismäßig, ist nicht zu beanstanden.

Insbesondere erweist sich der Einwand des Klägers im Zulassungsverfahren, eine Ausweisung sei dann unverhältnismäßig, wenn der Ausländer außer seiner Staatsangehörigkeit keine Bindungen mehr zu seinem Herkunftsland seiner Eltern besitzt, als nicht durchgreifend. Denn zum einen sind in die Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht ausschließlich die Bindungen zum Herkunftsland einzustellen, sondern alle vom Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil (vgl. dazu dessen Rn. 49) genannten Gesichtspunkte als Kriterien heranzuziehen. Zudem trifft es nicht zu, dass der Kläger keine Bindungen mehr zur Türkei besitzt. So steht unwidersprochen fest, dass der Kläger die türkische Sprache beherrscht und sich nach eigenen Angaben (vgl. Niederschrift des VG Augsburg v. 6.3.2013) etwa alle zwei oder drei Jahre für mehrere Wochen zum Zwecke des Besuchs von Verwandten in der Türkei aufgehalten hat. Damals hat der Kläger auch ausgesagt, die Schwestern seiner Mutter lebten noch in der Türkei. Dass er sich zuletzt im Jahr 2006 in der Türkei aufgehalten hat, beruht offensichtlich auf seinen langjährigen Freiheitsstrafen, die er seit 2007 verbüßen musste. Auch trifft die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Kläger sei fest im türkischen Kulturkreis verwurzelt, bereits deshalb zu, weil er selbst ausgesagt hat, dass innerhalb der Familie immer noch Türkisch gesprochen werde und er in der Türkei noch familiäre Bindungen besitze. Zudem ergibt sich aus den Akten, dass er auch in der Justizvollzugsanstalt im Wesentlichen Kontakt zu türkischen Landsleuten gehalten hat (vgl. z. B. Führungsbericht der JVA K. vom 5.2.2013). Im Übrigen kommt es nicht entscheidungserheblich darauf an, ob der Kläger nach Überzeugung des Erstgerichts noch fest im türkischen Kulturkreis verwurzelt ist, sondern allein darauf, wie weit er Bindungen zum Heimatstaat hat, insbesondere dessen Sprache beherrscht und womöglich eine familiäre Anlaufstelle in der Türkei besitzt.

Insbesondere greift der Einwand des Klägers nicht, dass eine Ausweisung nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auch bei langjährigen Verurteilungen zu Haftstrafen ohne Bewährung als unverhältnismäßig i. S. des Art. 8 Abs. 2 EMRK anzusehen sei, wenn der Ausländer seit vielen Jahren im Inland lebe. Die von ihm aufgezählten Entscheidungen können bereits deshalb nicht mit dem Fall des Klägers verglichen werden, weil jenen andere Sachverhalte zugrunde lagen. So war etwa im Fall Mehemi (EGMR, U.v. 26.9.1997 -Nr. 85/1996/704/896, Mehemi/Frankreich - InfAuslR 1997, 430) entscheidungserheblich, dass der dortige Kläger im Gegensatz zum vorliegenden Fall verheiratet und Vater dreier französischer Kinder war. Auch der Kläger im Fall Beldjoudi (EGMR, U.v. 26.3.1992 - Nr. 55/1990/246/317, Beldjoudi - InfAuslR 1993, 86) war mit einer französischen Staatsangehörigen verheiratet und hatte lange Zeit selbst die französische Staatsangehörigkeit besessen und diese lediglich aufgrund dessen, dass seine Eltern keine Beibehaltungserklärung abgegeben hatten, verloren. Zudem hatte er im Wesentlichen (nur) Vermögensdelikte begangen, stammte aus einem französischen Gebiet in Algerien und sprach kein Arabisch. Er lebte 40 Jahre lang in Frankreich. Auch die Rechtssache Moustaquim (EGMR, U.v. 18.2.1991 - Nr. 31/1989/191/291, Moustaquim/Belgien - InfAuslR 1991, 149) unterscheidet sich wesentlich vom Fall des Klägers. Zwar kannte auch der dortige Kläger sein Heimatland nur von Urlaubsreisen, er hat aber die ihm vorgeworfenen Straftaten als Jugendlicher begangen, und zwar alle innerhalb einer kurzen Zeitspanne von nur elf Monaten, und befand sich deswegen nur 16 Monate in Haft. Schließlich ist auch die Rechtssache Lamguindaz (Europäische Kommission für Menschenrechte, Bericht an den Ministerausschuss v. 13.10.1992 - Nr. 16152/92, Lamguindaz/Vereinigtes Königreich - InfAuslR 1995, 133) nicht geeignet, Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ausweisung des Klägers zu wecken, denn der dort Betroffene hat zumeist nur geringfügige Vergehen begangen, die nur leichte Strafen, zum Teil auf Bewährung, nach sich zogen. Auch die Bezugnahme auf einen Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, B.v. 25.10.2000 - 24 CS 00.2611 - juris) führt nicht weiter, denn für die im Eilverfahren getroffene Abwägungsentscheidung war in erster Linie maßgebend, dass der Antragsteller „eher zufällig“ Franzose war, nicht die französische Sprache beherrschte und lediglich zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt war. Eine Entscheidung über die Ausweisung wurde nicht getroffen, sondern lediglich weiterer Aufklärungsbedarf im Hauptsacheverfahren festgestellt. Schließlich ergibt sich aus den vom Kläger zitierten Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Januar 1997 (BVerwG 1 C 17.94 - InfAuslR 1997, 296) und vom 29. September 1998 (BVerwG 1 C 8/96 - InfAuslR 1999, 54) nichts anderes, denn nach diesen Entscheidungen kommt zwar eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei Ausländern in Betracht, die aufgrund ihrer gesamten Entwicklung praktisch zu Inländern geworden sind und denen wegen der Besonderheiten des Falles ein Leben im Staat ihrer Staatsangehörigkeit, zu dem sie keinen Bezug haben, nicht zuzumuten ist. Ein solcher Fall liegt hier aber gerade nicht vor. Im Übrigen widerspricht sich der Kläger mit seiner Argumentation im Zulassungsverfahren, wenn er ausführt: „Diese Schwierigkeiten sind bei einem in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Ausländer in aller Regel weit größer als für einen Ausländer der sog. ersten Generation, dem Sprache und die Verhältnisse seines Heimatlandes vertraut sind.“ Gerade diese türkischen Sprachkenntnisse besitzt aber der in Deutschland geborene und aufgewachsene Kläger.

2.3. Der Kläger macht weiter geltend, ihm sei die Trennung von seiner Familie nicht zuzumuten. Die staatliche Pflicht zum Schutz des Familienlebens ergebe sich aus Art. 8 EMRK. Der Familienschutz bestehe auch für Beziehungen zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern.

Auch dieses Vorbringen ist nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils zu begründen. Zwar ist die Argumentation des Klägers, Art. 8 EMRK schütze auch die Beziehungen zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern, vom Ansatz her zutreffend (vgl. EGMR, U.v. 23.6.2008 - Nr. 1638/03, Maslov II - InfAuslR 2008, 333), jedoch verkennt er, dass das Recht des Klägers auf Privat- und Familienleben nach Art. 8 Abs. 1 EMRK die Ausweisung nicht von vornherein verhindert, sondern eine Abwägung der besonderen Umstände des Betroffenen und des Allgemeininteresses im jeweiligen Einzelfall erfordert (vgl. EGMR, U.v. 13.10.2011 - Nr. 41548/06, Trabelsi - juris Rn. 53). Diese Abwägung hat das Verwaltungsgericht fehlerfrei vorgenommen.

Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in den beiden von ihm genannten Entscheidungen einen anderen Maßstab bei der Auslegung von Art. 8 EMRK angelegt habe und sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichts daher als europarechtswidrig erweise. Denn beiden Entscheidungen (EGMR, U.v. 11.7.2002 - Nr. 56811/00, Amrollahi -InfAuslR 2004, 180 und EGMR, U.v. 18.10.2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande -NVwZ 2007, 1279) liegt ein wesentlich anderer Sachverhalt zugrunde als im vorliegenden Fall. In beiden Fällen war der Betroffene nämlich mit einer Staatsangehörigen des Staates, aus dem er ausgewiesen werden sollte, verheiratet, lebte mit dieser zusammen und hatte zudem jeweils zwei Kinder, die die Staatsangehörigkeit der Mutter hatten, aber keinerlei Beziehung zur Staatsangehörigkeit des Betroffenen. Demgegenüber hat der Kläger keine eigene Familie. Er ist weder verheiratet noch hat er Kinder. Das Verwaltungsgericht ist dennoch wegen seiner engen Beziehungen zu seinen Eltern und seinen Geschwistern, die im Bundesgebiet leben, von einem besonders geschützten Familien- und Privatleben ausgegangen (vgl. Rn. 51 des angegriffenen Urteils). Es hat dann aber zutreffend ausgeführt, weshalb diese Bindungen nicht zu einer Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung führen. Insbesondere ist dem erwachsenen, mittlerweile 28 Jahre alten Kläger, der nicht mehr auf die Fürsorge seiner Eltern angewiesen ist und auch sonst nicht auf den Beistand seiner Familie, die Rückkehr in sein Heimatland zumutbar. An diesem Abwägungsergebnis ändert auch die Behauptung des Klägers nichts, er habe keinen bzw. keinen engen Kontakt zu seinen in der Türkei lebenden entfernteren Verwandten und er sei auch nicht im türkischen Kulturkreis verwurzelt. Insoweit weist das Verwaltungsgericht zu Recht darauf hin, dass der Kläger zwar als sog. faktischer Inländer zu betrachten ist, seine Integration in die Verhältnisse des Bundesgebiets aber nicht so gewichtig ist, dass dies unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls der angefochtenen Ausweisungsentscheidung entgegenstehen könnte. Diese Einschätzung teilt auch der Senat.

3. Eine Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil solche Schwierigkeiten nicht den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt wurden. Der Kläger hat sich vielmehr darauf beschränkt, das Vorliegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten zu behaupten und pauschal auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu verweisen. Im Übrigen kann insoweit auf die Ausführungen zu 1. verwiesen werden. Die Frage, ob in Fällen von Ausweisungen türkischer Staatsangehöriger ohne ein vorgeschaltetes Zulassungsverfahren unmittelbar ein Berufungsverfahren durchzuführen ist, lässt sich anhand der Rechtsprechung, insbesondere auch des Bundesverwaltungsgerichts, ohne größere Schwierigkeiten beantworten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 47 Rechtsmittelverfahren


(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, inn

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(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird. (2) Die B

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124a


(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nic

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(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anh

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafprozeßordnung - StPO | § 257c Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten


(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt. (2) Gegenstand dieser Verstä

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Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt.

(2) Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein.

(3) Das Gericht gibt bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen.

(4) Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Gleiches gilt, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist. Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht verwertet werden. Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich mitzuteilen.

(5) Der Angeklagte ist über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

Tenor

I.

Die Anträge der Beklagten und des Vertreters des öffentlichen Interesses auf Zulassung der Berufung werden abgelehnt.

II.

Die Beklagte und der Vertreter des öffentlichen Interesses tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens jeweils zur Hälfte.

III.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit ihren Anträgen auf Zulassung der Berufung wenden sich die Beklagte und der Vertreter des öffentlichen Interesses dagegen, dass das Verwaltungsgericht den Bescheid der Beklagten vom 1. März 2012, mit dem die Wirkungen der Ausweisung des Klägers vom 9. November 1993 nachträglich auf den 1. März 2022 befristet worden sind, aufgehoben hat, soweit er die Befristung der Ausweisungswirkungen über den 21. März 2013 hinaus festsetzt. Der 1938 geborene Kläger ist britischer Staatsangehöriger. Insbesondere verfasst er Bücher und hält Vorträge zur Geschichte der Zeit des Nationalsozialismus. Außerdem verfügt er über eine eigene Internetseite.

Die zulässigen Anträge auf Zulassung der Berufung sind unbegründet. Die Berufung ist jeweils weder wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; I.) noch wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO; II.), wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO; III.) oder wegen eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO; IV.) zuzulassen.

I. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils, die die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO rechtfertigen könnten, lägen nur vor, wenn der Kläger einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hätte (vgl. BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11). Dies ist jedoch nicht der Fall.

Die Beklagte und der Vertreter des öffentlichen Interesses verneinen anders als das Verwaltungsgericht einen Anspruch des Klägers auf Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung auf den 21. März 2013. Sie gehen zunächst wie das Verwaltungsgericht zu Recht davon aus, dass sich die Befristung der Wirkungen von Ausweisungen von Unionsbürgern vor dem 1. Januar 2005, die nach § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG einschließlich ihrer Rechtsfolgen wirksam bleiben, nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU in sinngemäßer Anwendung richtet (vgl. BVerwG, U.v. 4.9.2007 - 1 C 21.07 - juris Rn. 17). Sie legen außerdem zutreffend den dabei anzulegenden Maßstab dar. Danach sind bei der Bemessung der Länge der Frist im Rahmen der sinngemäßen Anwendung von § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU das Gewicht des Grundes für die Ausweisung sowie der mit ihr verfolgte spezialpräventive Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der Prüfung im Einzelfall, ob die vorliegenden Umstände auch jetzt noch das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die hohen Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen. Die Behörde hat dazu auch das Verhalten des Betroffenen nach der Ausweisung zu würdigen und im Wege einer Prognose auf der Grundlage einer aktualisierten Tatsachenbasis die (Höchst-)Frist nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung zu bemessen. Im Falle einer langfristig fortbestehenden Rückfall- oder Gefährdungsprognose ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers aber auch bei Unionsbürgern ein langfristiger Ausschluss der Wiedereinreise nicht ausgeschlossen (BT-Drs. 15/420 S. 105; vgl. BVerwG a. a. O. Rn. 19). Die sich an der Erreichung des Zwecks der Ausweisung orientierende äußerste Frist muss sich in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht messen und gegebenenfalls relativieren lassen. Dabei sind insbesondere die in § 6 Abs. 3 FreizügG/EU genannten schutzwürdigen Belange des Unionsbürgers in den Blick zu nehmen (vgl. BVerwG a. a. O. Rn. 20).

Nach Ansicht der Beklagten und des Vertreters des öffentlichen Interesses bestehen nach diesen Maßstäben aber ernstliche Zweifel an der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Befristung.

1. Sie machen insoweit zunächst geltend, die Ausweisung vom 9. November 1993 sei verfügt worden, weil der Kläger wiederholt öffentlichkeitswirksam den Holocaust geleugnet, dessen Opfer durch vorsätzliches Kundgeben falscher Tatsachen beleidigt und die nationalsozialistische Gewaltherrschaft gerechtfertigt habe. Seine diesem Verhalten zugrunde liegende innere Einstellung habe der Kläger bis heute im Wesentlichen unverändert beibehalten. Es bestehe deshalb auch gegenwärtig noch eine hohe Wiederholungsgefahr.

Zum Beleg dafür führen die Beklagte und der Vertreter des öffentlichen Interesses die zahlreichen Veranstaltungen in Deutschland, bei denen der Kläger vor seiner Ausweisung im Jahr 1993 seine Thesen verbreitet hat, die der Ausweisung zugrunde liegende Verurteilung des Klägers in Deutschland im Jahr 1993 zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen wegen Beleidigung in Tateinheit mit Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener, die Verurteilung des Klägers in Österreich im Jahr 2006 wegen Verstößen gegen das dortige NS-Verbotsgesetz im Jahr 1989 zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren ohne Bewährung, ein Urteil des Londoner High Court aus dem Jahr 2000, nach dem der Kläger als Lügner, Geschichtsfälscher, Antisemit und Rassist bezeichnet werden durfte, Aktivitäten des Klägers im europäischen Ausland, die als Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 und 3 StGB auch in Deutschland strafbar seien, wenn der Kläger damit rechnen müsse, dass sie dort zugänglich seien, sowie Aktivitäten des Klägers in den USA (vgl. insoweit S. 9 der Zulassungsbegründung der Beklagten) und seinen Internetauftritt an, aus dem sie zahlreiche Äußerungen zitieren (vgl. insoweit im Einzelnen S. 8 bis 11 der Zulassungsbegründung des Vertreters des öffentlichen Interesses und S. 6 bis 8 der Zulassungsbegründung der Beklagten).

Diese Ausführungen zur Darlegung der auch gegenwärtig noch hohen Wiederholungsgefahr begründen aber keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Sie stellen weder einen einzelnen tragenden Rechtssatz noch eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage. Vielmehr gelangt, wie die Rechtsmittelführer selbst darlegen, auch das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die Verurteilung des Klägers in Österreich, den Internetauftritt des Klägers sowie sein Verhalten in anderen europäischen Staaten zu dem Ergebnis, dass durchaus noch eine Wiederholungsgefahr in Form einer vom Verhalten des Klägers ausgehenden tatsächlichen und hinreichend schweren gegenwärtigen Gefährdung der öffentlichen Ordnung vorliege, die mit dem friedlichen Zusammenleben der Bevölkerung ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Angesichts der regen Vortragstätigkeiten des Klägers in anderen Ländern erscheine es zudem naheliegend, dass er im Falle einer Befristung der Wirkungen der Ausweisung auch in Deutschland wieder entsprechende Vorträge halten werde.

2. Die Zulassungsbegründungen führen außerdem aus, auch wenn die strafrechtliche Verurteilung wegen Beleidigung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener in Deutschland inzwischen im Bundeszentralregister getilgt worden sei und daher gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU nur noch die im britischen Strafregister eingetragene Verurteilung in Österreich die Verlustfeststellung rechtfertigen könne, seien die Ereignisse der Jahre 1989 bis 1993 weiterhin insoweit von Bedeutung, als in ihnen eine bestimmte innere Einstellung des Klägers zum Ausdruck komme, die unverändert fortbestehe und aus deren langer Dauer geschlossen werden könne, dass der Kläger wieder entsprechende Straftaten begehen werde. § 6 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU schließe ihre Berücksichtigung weder nach seinem Wortlaut noch nach seinem Sinn und Zweck, der Gesetzesbegründung oder dem systematischen Zusammenhang aus, in dem er zu § 6 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU stehe.

Auch diese Ausführungen begründen aber keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Denn wie dargelegt, geht auch das Verwaltungsgericht von einer unveränderten Einstellung des Klägers und der damit verbundenen Wiederholungsgefahr aus.

3. Dementsprechend machen die Beklagte und der Vertreter des öffentlichen Interesses auch vor allem geltend, angesichts der vom Verwaltungsgericht selbst prognostizierten erheblichen Rückfall- und Wiederholungsgefahr sei es nicht nachvollziehbar, wie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vom Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts am 25. Oktober 2012 an nur noch eine Befristung für weitere fünf Monate bis zum 21. März 2013 gebieten solle. Die Erwägungen des Verwaltungsgerichts zur Dauer der Befristung stünden in eklatantem Widerspruch zu seinen Feststellungen auf der Tatbestandsebene.

Das Verwaltungsgericht begründet seine Auffassung, die Aufrechterhaltung der Ausweisung über den 21. März 2013 hinaus sei unverhältnismäßig, im Wesentlichen wie folgt: Zu berücksichtigen seien nach § 6 Abs. 3 FreizügG/EU insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen in Deutschland, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat. Zu beachten sei auch, dass nach § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU ebenso wie nach § 11 Abs. 1 Satz 6 AufenthG die Frist einer Einreisesperre mit der Ausreise zu laufen beginne. Nach § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG dürften fünf Jahre regelmäßig nicht überschritten werden. Hier sei unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls entsprechend dem österreichischen Einreiseverbot eine Befristung auf den 21. März 2013 angemessen. Der Kläger sei bereits 1993, also vor fast zwanzig Jahren freiwillig ausgereist und habe das Bundesgebiet abgesehen von einer dreitätigen Rundreise im Jahr 2010 wohl nicht mehr betreten. Er sei mittlerweile 74 Jahre alt und die der österreichischen Tat zugrunde liegende Verurteilung liege schon 23 Jahre zurück. Eine ähnlich hohe Strafe habe für eine solche Tat zum damaligen Zeitpunkt in Deutschland nicht verhängt werden können. Eine weitere Verurteilung sei nicht erfolgt. Die Einreise nach Österreich sei dem Kläger nach der neuesten Mitteilung der österreichischen Polizei nur noch bis zum 21. März 2013 verwehrt. Der Kläger habe selbst erklärt, er halte an den damaligen Äußerungen nicht mehr fest, weil sich neue wissenschaftliche Erkenntnisse ergeben hätten. Er habe mitgeteilt, er werde sich an die deutschen Strafgesetze halten und plane keine Vortragsreisen, sondern wolle nur für ein deutsches Buch recherchieren. Sowohl das Landesamt für Verfassungsschutz als auch das Bayerische Landeskriminalamt hätten von keinen aktuellen Aktivitäten und Erkenntnissen in Deutschland berichten können. Das befürchtete Verhalten Dritter könne dem Kläger nicht ohne weiteres angelastet werden. Die Ausführungen des Landeskriminalamts seien hinsichtlich dieser Gefahren auch eher vage. Aktuelle Verbindungen des Klägers zur rechtsextremistischen Szene in Deutschland seien nicht nachweisbar.

a) Insoweit machen die Beklagte und der Vertreter des öffentlichen Interesses zunächst geltend, die Behauptung des Klägers, er halte an seinen damaligen Äußerungen angesichts neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht mehr fest, sei nicht glaubhaft und stehe im Widerspruch zu der auch vom Verwaltungsgericht bejahten tatsächlichen und hinreichend schweren gegenwärtigen Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft. Das Argument, weder das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz noch das Bayerische Landeskriminalamt könnten über aktuelle Aktivitäten des Klägers in Deutschland berichten, sei nicht stichhaltig, weil der Kläger wegen seiner Ausweisung seit 1993 in Deutschland ebenso wie in Österreich nicht aktiv sein könne. Dass die in Österreich abgeurteilte Tat bereits 23 Jahre zurückliege, sei ebenfalls nicht geeignet, die Wiederholungsgefahr zu mindern und eine kurze Befristung zu rechtfertigen. Denn der Kläger habe unmittelbar nach seiner Haftentlassung öffentlich erklärt, an der Leugnung des Holocaust festzuhalten. Außerdem könnten auch Aktivitäten des Klägers im Ausland zu einer Strafbarkeit in Deutschland wegen Volksverhetzung nach § 130 StGB führen. Der fehlende Nachweis von Verbindungen des Klägers zur rechtsextremistischen Szene in Deutschland stelle kein ernsthaftes Hindernis für eine Wiederholungsgefahr dar, zumal das Bayerische Landeskriminalamt mitgeteilt habe, dass die Werke des Klägers in der rechtsextremistischen Szene immer noch zu den wichtigsten revisionistischen Ausarbeitungen zählten und der Kläger bei einer erneuten Einreise seine Vortragstätigkeit wieder aufnehmen könne, wovon auch das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Begründung für das Fortbestehen einer tatsächlichen und hinreichend schweren gegenwärtigen Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft ausgegangen sei. Warum dies im Rahmen der Abwägung zur Festlegung der Dauer der Befristung anders zu bewerten sein solle, sei nicht nachvollziehbar. Soweit das Gericht schließlich meine, das befürchtete Verhalten Dritter könne dem Kläger nicht ohne weiteres angelastet werden, verkenne es den Straftatbestand des § 130 StGB, der gerade Äußerungen, die geeignet seien, den öffentlichen Frieden zu stören, unter Strafe stelle.

Selbst wenn man aufgrund dieser Einwände die vom Verwaltungsgericht zur Begründung der Unverhältnismäßigkeit einer Aufrechterhaltung der Ausweisungswirkungen über den 21. März 2013 hinaus angeführten Argumente, dass der Kläger an seinen Äußerungen angesichts neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht festhalte, dass weder das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz noch das Bayerische Landeskriminalamt über aktuelle Aktivitäten des Klägers in Deutschland berichten könnten, dass die in Österreich abgeurteilte Tat bereits 23 Jahre zurückliege, dass aktuelle Verbindungen des Klägers zur rechtsextremistischen Szene in Deutschland nicht nachweisbar seien und dass das befürchtete Verhalten Dritter dem Kläger nicht ohne weiteres angelastet werden könne, nicht als stichhaltig ansieht, stellen die diesbezüglichen Ausführungen der Beklagten und des Vertreters des öffentlichen Interesses die Annahme des Verwaltungsgerichts, es sei unverhältnismäßig, die Wirkungen der Ausweisung über den 21. März 2013 hinaus aufrechtzuerhalten, nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage. Denn die übrigen vom Verwaltungsgericht für die Unverhältnismäßigkeit einer Fortdauer der Ausweisungswirkungen über den 21. März 2013 hinaus angeführten Gesichtspunkte, dass die Einreisesperre nach § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU bereits mit der Ausreise zu laufen beginne, dass nach § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG bei der Befristung regelmäßig fünf Jahre nicht überschritten werden dürften, dass der Kläger vor fast zwanzig Jahren freiwillig ausgereist sei und dass er mittlerweile 74 Jahre alt sei, reichen bereits für sich genommen aus, eine Befristung dieser Wirkungen auf einen Zeitpunkt nach dem 21. März 2013 als unverhältnismäßig erscheinen zu lassen.

Zwar ist bei der Bestimmung der Länge der Frist für das Fortbestehen der Wirkungen der Ausweisung in sinngemäßer Anwendung von § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU im Falle einer langfristig fortbestehenden Rückfall- oder Wiederholungsgefahr nach der Vorstellung des Gesetzgebers auch ein langfristiger Ausschluss der Wiedereinreise nicht ausgeschlossen (BT-Drs. 15/420 S. 105; vgl. BVerwG, U.v. 4.9.2007 - 1 C 21.07 - juris Rn. 19). Die daraus folgende, sich am Zweck der Ausweisung orientierende Frist muss sich aber, wie bereits ausgeführt, an höherrangigem Recht messen und gegebenenfalls relativieren lassen. Die insoweit erforderliche Abwägung nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, die auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls nach Gewichtung der jeweiligen Belange zu erfolgen hat, kann dabei im Extremfall zu einer Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt führen (vgl. BVerwG a. a. O. Rn. 20). Hier hat sie, wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, zum Ergebnis, dass im Hinblick auf die seit der Ausreise des Klägers verstrichene Zeit und dessen Alter jedenfalls eine Befristung, nach der die Wirkungen der Ausweisung über den 21. März 2013 hinaus Bestand haben, unverhältnismäßig ist.

Das Recht auf Freizügigkeit, das der Kläger als Unionsbürger nach Art. 20 Abs. 1 Satz 2 AEUV gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a und Art. 21 Abs. 1 AEUV besitzt und das ihn berechtigt, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, wird durch das mit der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG verbundene Verbot, erneut in das Bundesgebiet einzureisen und sich dort aufzuhalten, erheblich eingeschränkt. Dies gilt umso mehr, je länger das Verbot gilt. Ein Verbot, das wie hier seit der Ausreise des Klägers im November 1993, mit der gemäß § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU die nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU im Rahmen der Befristungsentscheidung festzusetzende Frist beginnt, bis zu dem vom Verwaltungsgericht als angemessen angesehenen Befristungszeitpunkt annähernd zwanzig Jahre gedauert hat, stellt daher eine ausgesprochen schwerwiegende Beeinträchtigung des Rechts auf Freizügigkeit des Klägers dar. Dies gilt umso mehr, wenn das Einreise- und Aufenthaltsverbot über das vom Verwaltungsgericht als gerade noch verhältnismäßig angesehene Fristende am 21. März 2013 hinaus fortdauern soll, wie dies bei der von der Beklagten vorgenommenen Befristung bis zum 1. März 2022 der Fall ist.

Zusätzliches Gewicht erhält die mit einer derart langen Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots verbundene Beschränkung des Rechts auf Freizügigkeit durch das Alter des Klägers, das als einer der in § 6 Abs. 3 FreizügG/EU genannten schutzwürdigen Belange des Klägers bei der Abwägung zur Bemessung der Befristung zu berücksichtigen ist (vgl. BVerwG, U.v. 4.9.2007 - 1 C 21.07 - juris Rn. 20). Denn der am 24. März 1938 geborene Kläger war am 21. März 2013 bereits nahezu 75 Jahre alt. Bei Ablauf der von der Beklagten festgesetzten Frist am 1. März 2022 wäre er annähernd 84 Jahre alt. Je geringer die verbleibende Lebenserwartung des Betroffenen noch ist, desto schwerer wiegt aber die mit der Fortdauer eines Einreise- und Aufenthaltsverbots verbundene Beschränkung seines Rechts auf Freizügigkeit. Denn je älter ein Betroffener bei Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist, desto weiter nähert sich die darin liegende Beschränkung des Rechts auf Freizügigkeit einem auf unbegrenzte Zeit und damit für den Betroffenen auf Lebenszeit geltenden Aufenthaltsverbot an, das mit dem Prinzip der Freizügigkeit unvereinbar ist (vgl. EuGH, U.v. 17.6.1997 - Shingara und Radlom, C-65/95 - juris Rn. 40; U.v. 19.1.1999 - Calfa, C-348/96 - juris Rn. 29) und dessen Vermeidung der Anspruch auf Befristung nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU und der ihm zugrunde liegende Art. 32 Abs. 1 UAbs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (ABl EG Nr. L 158 S. 77; Richtlinie 2004/38/EG), gewährleisten sollen (vgl. BT-Drs 15/420 S. 105; Erwägungsgrund 27 der Richtlinie).

Angesichts der bereits bei einer Fortdauer der Ausweisungswirkungen bis zum 21. März 2013 ausgesprochen schwerwiegenden Beschränkung des Rechts des Klägers auf Freizügigkeit erweist sich jedenfalls ein noch längeres Fortgelten dieser Wirkungen auch unter Berücksichtigung der öffentlichen Belange als unverhältnismäßig. Zwar kommt auch dem Ziel, die vom Kläger im Hinblick auf seine Äußerungen im Ausland und im Internet nach wie vor mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dadurch abzuwehren, dass er weiterhin vom Bundesgebiet ferngehalten wird, großes Gewicht zu. Gleichwohl wiegt dieser Belang nicht so schwer, dass er einen mehr als fast zwanzig Jahre dauernden Ausschluss des Rechts auf Freizügigkeit des Klägers rechtfertigen könnte. Denn maßgeblich für seine Gewichtung ist das Gewicht des Grundes für die Ausweisung (vgl. BVerwG, U.v. 4.9.2007 - 1 C 21.07 - juris Rn. 19). Grund der Ausweisung war aber neben der befürchteten Stärkung und Aufwertung rechtsextremer Gruppen durch die Thesen des Klägers und der daraus resultierenden Gefährdung der inneren Sicherheit und des Ansehens der Bundesrepublik im Ausland in erster Linie die Verurteilung des Klägers wegen Beleidigung nach § 185 StGB und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener nach § 189 StGB zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen. Die Verurteilung beruhte darauf, dass der Kläger bei einer Veranstaltung des Deutschen Jugendbildungswerkes am 21. April 1990 geäußert hatte, es habe in Auschwitz nie Gaskammern gegeben, und dazu ausgeführt hatte, die in Auschwitz zu besichtigenden Gaskammern seien von den polnischen Behörden nach dem zweiten Weltkrieg errichtete Attrappen, für die die deutschen Steuerzahler rund 16 Milliarden Deutsche Mark als Strafe für Auschwitz hätten zahlen müssen. Eine Verurteilung wegen Volksverhetzung nach § 130 StGB in der damals geltenden Fassung (a. F.) ist hingegen nicht erfolgt und lag demzufolge auch der Ausweisung nicht zugrunde. Unabhängig davon, ob die der Ausweisung oder der Verurteilung des Klägers in Österreich zugrunde liegenden oder die späteren Äußerungen des Klägers außerhalb Deutschlands und im Internet heute als Volksverhetzung nach § 130 Abs. 3 StGB strafbar wären, wiegen angesichts der Verurteilung lediglich zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen, auf die sich die Ausweisung in erster Linie stützt, der Grund der Ausweisung und der öffentliche Belang, den Kläger im Hinblick auf die fortbestehende Wiederholungsgefahr vom Bundesgebiet fernzuhalten, aber nicht so schwer, dass sie die Aufrechterhaltung der Wirkungen der Ausweisung über einen Zeitraum von mehr als fast zwanzig Jahren rechtfertigen könnten.

Wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, spricht für dieses Ergebnis schließlich auch, dass nach § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG selbst bei nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern aus Drittstaaten die Frist für das mit der Ausweisung verbundene Einreise- und Aufenthaltsverbot grundsätzlich fünf Jahre ab der Ausreise nicht überschreiten darf. Zwar ist nach § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG eine längere Frist ausnahmsweise dann möglich, wenn der Ausländer wie hier aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Auch in diesem Fall geht das Bundesverwaltungsgericht aber davon aus, dass im Hinblick darauf, dass in der Regel ein Zeitraum von maximal zehn Jahren den Zeithorizont darstellt, für den eine Prognose realistischer Weise noch gestellt werden kann, für die Befristung unabhängig von Art und Schwere der Straftaten oder Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die der Ausweisung zugrunde liegen, regelmäßig eine Höchstdauer von zehn Jahren in Betracht kommt (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2012 - 1 C 14.12 - juris Rn. 14). Auch vor diesem Hintergrund erweist sich daher eine Befristung der Ausweisungswirkungen auf mehr als fast zwanzig Jahre als unverhältnismäßig lang.

b) Etwas anderes ergibt sich auch nicht deshalb aus dem Gewicht und der Art der vom Kläger „begangenen Straftat(en) der Volksverhetzung“, wie die Beklage und der Vertreter des öffentlichen Interesses meinen, weil nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die propagandistische Gutheißung der historischen nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft mit all dem schrecklichen tatsächlich Geschehenen, das sie zu verantworten hat, Wirkungen entfaltet, die über die allgemeinen Spannungslagen des öffentlichen Meinungskampfes weit hinausgehen und allein auf der Grundlage der allgemeinen Regeln zu den Grenzen der Meinungsfreiheit nicht erfasst werden können, und die Befürwortung dieser Herrschaft in Deutschland ein Angriff auf die Identität des Gemeinwesens nach innen mit friedensbedrohendem Potential ist (vgl. BVerfG, B.v. 4.11.2009 - 1 BvR 2150/08 - juris Rn. 66).

Denn der Ausweisung des Klägers liegt zunächst, wie dargelegt, gerade keine Verurteilung wegen Volksverhetzung nach § 130 StGB a. F., sondern eine Verurteilung wegen Beleidigung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener nach § 185 und § 189 StGB zugrunde, so dass für die Gewichtung des Grundes der Ausweisung auch nicht etwaige vom Kläger später begangene Straftaten der Volksverhetzung maßgeblich sein können. Darüber hinaus muss sich die Gewichtung des Grundes der Ausweisung im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Aufrechterhaltung ihrer Wirkungen an den Umständen des Einzelfalls orientieren (vgl. BVerwG, U.v. 4.9.2007 - 1 C 21.07 - juris Rn. 20) und kann daher nicht losgelöst von diesen Umständen nach dem generellen Gewicht einer propagandistischen Gutheißung der historischen nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft vorgenommen werden. Die der Ausweisung zugrunde liegenden Äußerungen des Klägers haben aber lediglich zu einer Verurteilung zu einer Geldstrafe wegen Verunglimpfung und Beleidigung geführt. Der Strafrahmen von Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe (§ 189 StGB) wurde dabei bei weitem nicht ausgeschöpft. Vor diesem Hintergrund kann den der Ausweisung zugrunde liegenden Äußerungen des Klägers und dem mit ihr verfolgten spezialpräventiven Zweck, den Kläger vom Bundesgebiet fernzuhalten, um ähnliche Äußerungen von seiner Seite in Deutschland künftig zu verhindern, ungeachtet der bestehenden erheblichen Wiederholungsgefahr im Rahmen der gebotenen Einzelfallprüfung aber kein so hohes Gewicht beigemessen werden, dass sie die Aufrechterhaltung der Wirkungen der Ausweisung über einen Zeitraum von mehr als fast zwanzig Jahren hinaus rechtfertigen könnten.

c) Eine andere Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer Aufrechterhaltung der Ausweisungswirkungen über diesen Zeitraum hinaus ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger nicht über familiäre Bindungen zu in Deutschland lebenden Personen verfügt. Zwar würden derartige familiäre Bindungen das Gewicht der mit einer langjährigen Befristung der Ausweisung verbundenen Beschränkung der Freizügigkeit des Klägers weiter erhöhen. Auch ohne solche Bindungen wiegt diese Beschränkung, wie ausgeführt, aber angesichts des langen Zeitraums, während dessen dem Kläger die Einreise und der Aufenthalt bereits verboten waren, und seines Alters so schwer, dass eine noch längere Aufrechterhaltung der Ausweisungswirkungen unangemessen wäre.

d) Schließlich ist eine andere Bewertung der Verhältnismäßigkeit einer Fortdauer des aus der Ausweisung des Klägers resultierenden Einreise- und Aufenthaltsverbots über den 21. März 2013 hinaus auch nicht geboten, soweit die Rechtsmittelführer meinen, auch aus dem fortgeschritten Alter des Klägers könne eine Unverhältnismäßigkeit eines langfristigeren Fortbestehens der Ausweisungswirkungen nicht abgeleitet werden. Zwar könne der Kläger im Fall einer längeren Fortdauer dieser Wirkungen zu Lebzeiten möglicherweise nicht mehr von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch machen. Dieses stehe aber nicht unter dem Vorbehalt der Lebenserwartung. Maßgeblich sei vielmehr die weiterhin bestehende Wiederholungsgefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre und die nicht deshalb anders zu beurteilen sei, weil die durchschnittliche Lebenserwartung für den Kläger in Kürze ende. Insbesondere könne der Umstand, dass der Kläger keine lange Lebensspanne mehr zu erwarten habe, die Abschreckungswirkung der Androhung einer langen Freiheitsstrafe absenken und den Kläger zusätzlich motivieren, die eventuell letzte Chance zu nutzen, seine Thesen in Deutschland zu verbreiten, wofür die vom Londoner High Court of Justice festgestellte politische Agenda des Klägers spreche, die er bis heute verfolge.

Abgesehen davon, dass gerade das Lebensalter des Klägers ihn ebenso gut dazu bewegen könnte, eine erneute strafrechtliche Verfolgung in Deutschland zu vermeiden, um nicht einen Teil der ihm verbleibenden Lebenszeit in Strafhaft verbringen zu müssen, ändert diese Argumentation nichts daran, dass die nicht von der Hand zu weisende erhebliche Gefahr, dass der Kläger die Thesen, die zu seiner Verurteilung wegen Beleidigung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener geführt haben, bei einer Einreise in die Bundesrepublik erneut äußert, eine Fortdauer der Ausweisungswirkungen über den 21. März 2013 hinaus nicht rechtfertigen kann. Denn diese Gefahr hat angesichts des vorrangigen Anknüpfens der Ausweisung an die Verurteilung lediglich zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen nicht so großes Gewicht, dass sie ein Fortgelten des mit der Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots über einen Zeitraum von mehr als fast zwanzig Jahren hinaus und die damit einhergehende schwerwiegende Beschränkung des Rechts auf Freizügigkeit verhältnismäßig erscheinen lassen könnte, die, wie dargelegt, zusätzliches Gewicht durch das Alter des Klägers erhält, weil sie sich im Hinblick auf dieses Alter einem unbegrenzten und damit auf Lebenszeit geltenden Aufenthaltsverbot annähert.

4. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen schließlich auch nicht, soweit die Beklagte und der Vertreter des öffentlichen Interesses die vom Verwaltungsgericht getroffene Befristungsentscheidung deshalb für fehlerhaft halten, weil sie ohne Auseinandersetzung mit den hierfür maßgeblichen Gründen die aufgrund der strafrechtlichen Verurteilung in Österreich festgelegte Befristung der Einreisesperre übernehme. Nach Ansicht der Rechtsmittelführer gilt dies umso mehr, als zu den bei der österreichischen Befristungsentscheidung bekannten Tatsachen weitere Umstände getreten seien, die zulasten des Klägers bei der Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung zu berücksichtigen seien.

a) Zwar hat das Verwaltungsgericht eine Befristung auf den 21. März 2013 entsprechend der Befristung des österreichischen Einreiseverbots für angemessen gehalten. Es trifft auch zu, dass sich das Verwaltungsgericht, obwohl es die Beklagte zunächst zu deren Vorlage aufgefordert hatte, mit dem Inhalt der österreichischen Gerichtsentscheidungen, die die Verurteilung des Klägers wegen Verstößen gegen das österreichische NS-Verbotsgesetz betrafen, mangels Vorlage dieser Entscheidungen ebenso wenig auseinandergesetzt hat wie mit den daraus resultierenden Ausreiseverboten und den unterschiedlichen Auskünften zu deren Befristung.

Durch die diesbezüglichen Ausführungen der Rechtsmittelführer wird die vom Verwaltungsgericht für angemessen erachtete Befristung der Wirkungen der Ausweisung bis 21. März 2013 aber nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt. Denn wie ausgeführt, tragen bereits die vom Verwaltungsgericht für die Befristung der Ausweisungswirkungen entsprechend der österreichischen Befristungsregelung bis zum 21. März 2013 angeführten Gesichtspunkte, dass die Einreisesperre nach § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU bereits mit der Ausreise zu laufen beginnt, dass nach § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG bei der Befristung regelmäßig fünf Jahre nicht überschritten werden dürfen, dass der Kläger vor fast zwanzig Jahren freiwillig ausgereist ist und dass er mittlerweile 74 Jahre alt ist, für sich genommen die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass eine Befristung dieser Wirkungen bis zu einem Zeitpunkt nach dem 21. März 2013 unverhältnismäßig wäre. Erwies sich aber bereits aus diesen Gründen eine Fortdauer der Ausweisungswirkungen über dieses Datum hinaus als unverhältnismäßig, so waren die Gründe, die der österreichischen Befristungsentscheidung zugrunde lagen, ebenso wenig entscheidungserheblich wie die Frage, ob das den Kläger betreffende Aufenthaltsverbot für Österreich am 21. März 2013 oder erst am 11. Januar 2014 endete.

b) Gleiches gilt, soweit die Beklagte und der Vertreter des öffentlichen Interesses geltend machen, Äußerungen des Klägers nach seiner Entlassung aus der österreichischen Strafhaft im Jahr 2006, Aktivitäten und Äußerungen des Klägers in Polen und Spanien in den Jahren 2008 bis 2010, seine illegale Einreise in die Bundesrepublik im Jahr 2010, wegen der er durch Urteil des Amtsgerichts Lüneburg vom 13. August 2013 unter Vorbehalt einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen verwarnt wurde, und eine mit dem diesem Urteil vorausgegangenen Strafbefehl im Zusammenhang stehende Veröffentlichung auf der Internetseite des Klägers gäben Anlass zu einer von der österreichischen Befristungsentscheidung abweichenden Beurteilung, weil sie nach dieser Entscheidung erfolgt seien und die aufgrund der unveränderten Geisteshaltung des Klägers andauernde erhebliche Wiederholungsgefahr bestätigten. Denn waren die Gründe für die österreichische Befristungsregelung bereits für die Befristung der Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland nicht entscheidungserheblich, weil sich die vom Verwaltungsgericht für zutreffend gehaltene und der österreichischen Regelung entsprechende Befristung zum 21. März 2013 aus von diesen Gründen unabhängigen eigenständigen Erwägungen als angemessen erwiesen hat, so kommt es auch nicht darauf an, ob spätere Entwicklungen die in Österreich getroffene Befristungsentscheidung in Frage stellen. Dies gilt umso mehr, als sich eine über das darin festgelegte Ende des Aufenthaltsverbots am 21. März 2013 hinausreichende Fortdauer des mit der Ausweisung aus Deutschland vom 9. November 1993 verbundenen Verbots, in die Bundesrepublik einzureisen und sich dort aufzuhalten, wie ausgeführt, trotz der anhaltenden erheblichen Wiederholungsgefahr als unverhältnismäßig darstellen würde.

5. Dass danach keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen, bedeutet allerdings nicht, dass es hinzunehmen wäre, wenn der Kläger sich nach dem Wegfall der Ausweisungswirkungen während eines erneuten Aufenthalts in der Bundesrepublik dort etwa durch Äußerungen im Rahmen von Vorträgen und Reden wegen Beleidigung, Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener oder Volksverhetzung strafbar machen würde. Zwar eröffnet der Wegfall des aus der Ausweisung resultierenden Einreise- und Aufenthaltsverbots dem Kläger die Möglichkeit, von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen und in die Bundesrepublik einzureisen und sich dort aufzuhalten. Jedoch schließt dies nicht aus, dass unter den Voraussetzungen des § 6 FreizügG/EU der Verlust seines Rechts auf Einreise und Aufenthalt festgestellt wird, wenn er dieses Recht zu strafbaren Äußerungen missbraucht.

II.

Die Berufung ist auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen, weil die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufwiese.

a) Besondere tatsächliche Schwierigkeiten weist die Rechtssache entgegen der Ansicht der Beklagten und des Vertreters des öffentlichen Interesses nicht auf.

aa) Solche Schwierigkeiten bestehen zunächst nicht bereits deshalb, weil der Kläger in den letzten Jahrzehnten fast ausschließlich im Ausland tätig war und insoweit die umfassende Aufklärung seiner im Ausland getätigten Äußerungen mit wesentlich höherem Aufwand verbunden wäre als die Aufklärung vergleichbarer Äußerungen im Inland. Denn es ist weder ersichtlich noch dargelegt, dass eine solche umfassende Aufklärung erforderlich wäre.

Die Äußerungen des Klägers im Ausland spielen eine Rolle für die Frage, ob vom Kläger Äußerungen wie diejenigen, die zu seiner Ausweisung geführt haben, auch in Zukunft noch zu erwarten sind und ob deshalb von einer Wiederholungsgefahr ausgegangen werden kann, die die weitere Aufrechterhaltung des mit der Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots rechtfertigt. Dass eine erhebliche Wiederholungsgefahr im Hinblick auf die im Ausland getätigten Äußerungen und Aktivitäten des Klägers besteht, bedarf aber keiner weiteren Aufklärung. Denn dass der Kläger nach wie vor ähnliche Äußerungen wie diejenigen tätigt, die seiner Ausweisung zugrunde gelegen haben, ist offenkundig und bedarf deshalb nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 291 ZPO keines Beweises. Es ist allgemeinkundig, weil sich darüber jeder aus allgemein zugänglichen Quellen unschwer unterrichten kann (vgl. Rixen in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 86 Rn. 96). Abgesehen davon, dass diese Äußerungen, wie die Beklagte und der Vertreter des öffentlichen Interesses selbst ausführlich darlegen, auf der Internetseite des Klägers erfolgen, finden sie sich selbst in Lexikonartikeln über den Kläger (vgl. den ihn betreffenden Wikipedia-Eintrag).

bb) Besondere tatsächliche Schwierigkeiten weist die Rechtssache auch nicht auf, soweit die Beklagte und der Vertreter des öffentlichen Interesses vortragen, dass eine Vielzahl an Erkenntnissen unterschiedlicher Sicherheitsbehörden sowie in- und ausländische Strafurteile in die Erwägungen einzubeziehen seien. Denn warum eine Vielzahl solcher Erkenntnisse sowie in- und ausländische Strafurteile in die Erwägungen einzubeziehen sind und aus welchen Gründen ihre Einbeziehung besondere tatsächliche Schwierigkeiten mit sich bringen soll, wird nicht dargelegt. Angesichts der Offenkundigkeit einer erheblichen Wiederholungsgefahr hinsichtlich der der Ausweisung zugrunde liegenden Äußerungen ist dies auch nicht offensichtlich.

cc) Soweit die Beklagte und der Vertreter des öffentlichen Interesses darüber hinaus besondere tatsächliche Schwierigkeiten der Rechtssache exemplarisch dadurch bestätigt sehen, dass die österreichischen Strafurteile durch das Verwaltungsgericht erfolglos angefordert worden seien, legen sie nicht dar, für die Beurteilung welcher entscheidungserheblichen Frage diese Strafurteile von Bedeutung gewesen wären. Dies wäre aber erforderlich gewesen. Denn besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO können nur entscheidungserhebliche Rechts- oder Tatsachenfragen aufwerfen (vgl. Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 124 Rn. 125). Abgesehen von der Frage der Wiederholungsgefahr, die, wie dargelegt, im Hinblick auf ihre Offenkundigkeit eines weiteren Beweises nicht bedarf, ist eine entscheidungserhebliche Frage, für deren Beurteilung die betreffenden Strafurteile von Bedeutung gewesen wären, aber mangels entsprechender Darlegungen der Rechtsmittelführer nicht ersichtlich.

b) Besondere rechtliche Schwierigkeiten weist die Rechtssache schließlich ebenfalls nicht auf.

aa) Soweit die Beklagte und der Vertreter des öffentlichen Interesses besondere rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache daraus herleiten, dass eine komplexe Abwägungsentscheidung zur Festlegung der Dauer der Befristung zu treffen sei und in diese Abwägung auch Erwägungen ausländischer Strafgerichte mit einbezogen werden müssten, ist weder dargelegt, woraus sich die geltend gemachte Komplexität der Abwägungsentscheidung ergeben soll und weshalb sie die Abwägung besonders erschwert, noch wird erläutert, weshalb in die Abwägung auch Erwägungen ausländischer Strafgerichte einbezogen werden müssten.

bb) Besondere rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache sind auch nicht dargelegt, soweit die Beklagte und der Vertreter des öffentlichen Interesses geltend machen, dass es einer strafrechtlichen Würdigung der Äußerungen des Klägers im Ausland unter dem Gesichtspunkt einer Inlandsstrafbarkeit bedürfe und dass diese Würdigung angesichts der in § 130 StGB enthaltenen, im Lichte des Verfassungsrechts auszulegenden unbestimmten Rechtsbegriffe rechtlich nicht einfach zu treffen sei. Denn auch insoweit ist mangels entsprechender Ausführungen im Zulassungsverfahren die Entscheidungserheblichkeit einer solchen strafrechtlichen Würdigung nicht ersichtlich.

c) Soweit der Vertreter des öffentlichen Interesses schließlich mit Schriftsatz vom 7. Mai 2013 geltend gemacht hat, dass der Vortrag des Klägers, er habe aufgrund des im Jahr 2001 veröffentlichten Höfle-Telegramms seine früheren Ansichten revidiert, bestätige, dass die Frage der gegenwärtigen inneren Haltung des Klägers zum Holocaust besondere tatsächliche Schwierigkeiten aufweise, und dass es sich bei der Frage nach der inhaltlichen Verantwortung für Linksammlungen um eine Frage von besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeit handele, die überdies noch dadurch verkompliziert werde, dass die Internetseite des Klägers von einer britischen Limited betrieben werde, deren Inhaber wiederum Personen aus seiner Familie oder seinem engen Umfeld seien, führt auch dies nicht zu einer Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Denn insoweit sind die Gründe, aus denen die Berufung nach Ansicht des Vertreters des öffentlichen Interesses zuzulassen ist, entgegen § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils am 7. Dezember 2012 dargelegt worden.

III.

Darüber hinaus ist die Berufung auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

1. Die Beklagte und der Vertreter des öffentlichen Interesses machen zunächst geltend, die Berufung sei im Hinblick auf die Frage, ob eine Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 1 FreizügG/EU auf eine in Österreich erfolgte Verurteilung, die im britischen Strafregister eingetragen ist, gestützt werden kann, wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Das Verwaltungsgericht habe diese Frage zwar zutreffend bejaht und als entscheidenden Anhaltspunkt dafür gesehen, dass vom Kläger eine gegenwärtige und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung ausgehe, die ein Grundinteresse der Gemeinschaft berühre. Die entsprechende an Art. 27 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG orientierte Auslegung von § 6 Abs. 1 FreizügG/EU sei aber weder obergerichtlich noch höchstrichterlich geklärt. Die Frage habe für eine unbestimmte Vielzahl von Verfahren Bedeutung und bedürfe daher einer Bestätigung durch das Berufungsgericht. Danach ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache aber nicht den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt.

Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung ist nur dann den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt, wenn der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert, ausführt, warum diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, erläutert, weshalb sie klärungsbedürftig ist, und darlegt, warum ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. etwa BayVGH, B.v. 16.5.2012 - 10 ZB 11.2512 - juris Rn. 12; B.v. 16.5.2013 - 10 ZB 10.3162 - juris Rn. 18; B.v. 30.10.2013 - 10 ZB 11.1390 - juris Rn. 17). Danach ist die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache jedoch nicht den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt.

a) Zunächst legen die Rechtsmittelführer nicht hinreichend dar, warum der Frage, ob eine Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 1 FreizügG/EU auf eine in Österreich erfolgte Verurteilung, die im britischen Strafregister eingetragen ist, gestützt werden kann, eine über den hier vorliegenden Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt. Denn sie beschränken sich darauf zu behaupten, dass die Frage für eine unbestimmte Vielzahl von Verfahren Bedeutung habe. Warum dies der Fall sein soll, wird hingegen nicht erläutert. Es ist auch nicht ohne weiteres ersichtlich. Denn dass für die Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU immer wieder auf in Österreich erfolgte Verurteilungen, die im britischen Strafregister eingetragen sind, abgestellt werden müsste, liegt keineswegs auf der Hand.

b) Schließlich legen die Rechtsmittelführer auch nicht hinreichend dar, dass die Frage, ob eine Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 1 FreizügG/EU auf eine in Österreich erfolgte Verurteilung, die im britischen Strafregister eingetragen ist, gestützt werden kann, für den Rechtsstreit in einem etwaigen Berufungsverfahren entscheidungserheblich und damit klärungsfähig wäre.

Abgesehen davon, dass Gegenstand des Rechtsstreits nicht eine Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU, sondern eine Befristung der Wirkungen einer Ausweisung in sinngemäßer Anwendung von § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU ist, und es deshalb näherer Ausführungen bedurft hätte, warum die Frage, ob eine Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU auf bestimmte Verurteilungen gestützt werden kann, entscheidungserheblich sein soll, sind, wie die Rechtsmittelführer zu Recht selbst ausgeführt haben, im Rahmen der sinngemäßen Anwendung von § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU bei der Befristung der Ausweisungswirkungen das Gewicht des Grundes für die Ausweisung sowie der mit ihr verfolgte spezialpräventive Zweck zu berücksichtigen. Dabei bedarf es der Prüfung im Einzelfall, ob die vorliegenden Umstände auch jetzt noch das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die hohen Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen. Dazu ist auch das Verhalten des Betroffenen nach der Ausweisung zu würdigen und im Rahmen einer Prognose auf der Grundlage einer aktualisierten Tatsachenbasis die (Höchst-)Frist nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung zu bemessen (vgl. BVerwG, U.v. 4.9.2007 - 1 C 21.07 - juris Rn. 19). Dass nach diesen Maßstäben im Rahmen der Befristungsentscheidung in sinngemäßer Anwendung von § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU zu prüfen wäre, ob eine Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU auf eine österreichische Verurteilung, die in einem britischen Strafregister eingetragen ist, gestützt werden kann, wird von den Beschwerdeführern weder dargelegt noch ist es offensichtlich.

Vielmehr beinhaltet die im Rahmen der sinngemäßen Anwendung von § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU erforderliche Prüfung im Einzelfall, ob die vorliegenden Umstände auch jetzt noch das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die hohen Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen, ersichtlich lediglich die Prüfung, ob zum Zeitpunkt der Befristungsentscheidung die Umstände weiterhin ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (§ 6 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU), wobei es sich um eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung handeln muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (§ 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU). Ist dies nicht mehr der Fall, so vermögen die vorliegenden Umstände das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die hohen Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU nicht zu tragen. Eine weitere Aufrechterhaltung der Ausweisungswirkungen ist ausgeschlossen (vgl. OVG Hamburg, B.v. 19.3.2012 - 3 Bs 234/11 - juris Rn. 40). Besteht hingegen aufgrund des persönlichen Verhaltens des Betroffenen weiterhin eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung für ein Grundinteresse der Gesellschaft, so ist im Rahmen einer Prognose auf der Grundlage einer aktualisierten Tatsachenbasis die Frist, bis zu deren Ablauf die Wirkungen der Ausweisung höchstens aufrechterhalten werden können, nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung zu bemessen (vgl. BVerwG, U.v. 4.9.2007 - 1 C 21.07 - juris Rn. 19; OVG Hamburg, B.v. 19.3.2012 - 3 Bs 234/11 - juris Rn. 40).

c) Soweit die Frage, ob eine Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 1 FreizügG/EU auf eine in Österreich erfolgte strafrechtliche Verurteilung, die im britischen Strafregister eingetragen ist, gestützt werden kann, möglicherweise der Sache nach darauf abzielt, ob eine solche Verurteilung im Rahmen der für die Befristungsentscheidung in sinngemäßer Anwendung von § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU erforderlichen Einzelfallprüfung, ob die vorliegenden Umstände auch jetzt noch das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen als Dauereingriff in das Freizügigkeitsrecht mit Blick auf die hohen Anforderungen des § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU tragen, Berücksichtigung finden kann, ist sie nicht klärungsbedürftig, weil es zu ihrer Klärung nicht der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf. Denn beinhaltet diese Einzelfallprüfung die Prüfung, ob zum Zeitpunkt der Befristungsentscheidung die Umstände weiterhin ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt, bei der es sich um eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung eines Grundinteresses der Gesellschaft handelt, und ist dabei auch das Verhalten des Betroffenen nach der Ausweisung zu würdigen, so beinhaltet dies ohne weiteres auch die Berücksichtigung von in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union erfolgten und registrierten strafrechtlichen Verurteilungen, in denen sich dieses Verhalten manifestiert.

2. Weiter messen die Beklagte und der Vertreter des öffentlichen Interesses der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Hinblick auf die Frage bei, ob eine Befristung von weniger als sechs Monaten kategorisch ausgeschlossen ist, wenn eine strafrechtliche Verurteilung ein persönliches Verhalten erkennen lässt, das eine gegenwärtige und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Auch insoweit ist die Berufung aber nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

Abgesehen davon, dass sich die von der Beklagten und vom Vertreter des öffentlichen Interesses aufgeworfene Frage so, wie sie formuliert ist, nicht stellt, weil die im Rahmen der Befristungsentscheidung zu bestimmende Frist nach § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU nicht mit der Befristungsentscheidung, sondern mit der Ausreise beginnt und deshalb das Verwaltungsgericht die Ausweisungswirkungen nicht auf weniger als sechs Monate, sondern auf fast zwanzig Jahren befristet hat, ist sie auch bereits höchstrichterlich entschieden und deshalb nicht mehr klärungsbedürftig. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss sich die bei der Befristung der Wirkungen der Ausweisung in sinngemäßer Anwendung von § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU in einem ersten Schritt zu ermittelnde und sich an der Erreichung des Zwecks der Ausweisung orientierende äußerste Frist in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht messen und gegebenenfalls relativieren lassen. Die insbesondere die in § 6 Abs. 3 FreizügG/EU genannten schutzwürdigen Belange des betreffenden Unionsbürgers berücksichtigende Abwägung nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, die auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls nach Gewichtung der jeweiligen Belange vorzunehmen ist, kann dabei im Extremfall zu einer Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt führen (vgl. BVerwG, U.v. 4.9.2007 - 1 C 21.07 - juris Rn. 20). Kann danach aber im Einzelfall auch eine solche Befristung in Betracht kommen, so ist eine Befristungsdauer von weniger als sechs Monaten vom Zeitpunkt der Befristungsentscheidung an, auf die die von den Rechtsmittelführern als grundsätzlich bedeutsam angesehene Frage abzielt, nicht kategorisch ausgeschlossen.

IV.

Schließlich ist die Berufung auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen, weil ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

1. Die Beklagte und der Vertreter des öffentlichen Interesses sehen einen Verfahrensmangel zunächst darin, dass das Verwaltungsgericht gegen seine Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO verstoßen habe. Es habe zunächst die Vorlage von Abdrucken des Urteils des Wiener Landgerichts für Strafsachen vom 26. Februar 2006, der diesbezüglichen Berufungsentscheidung des österreichischen Obersten Gerichtshofs und der Entscheidung des Wiener Oberlandesgerichts bezüglich der Strafhöhe verlangt, dadurch zu erkennen gegeben, dass die österreichischen Gerichtsentscheidungen entscheidungserheblich seien, und schließlich die österreichische Verurteilung den eigenen Entscheidungsgründen sowohl auf der Tatbestandsseite als auch bei der Bemessung der Dauer der Befristung zugrunde gelegt, gleichwohl aber letztlich auf die Vorlage dieser Entscheidungen verzichtet. Hätten dem Verwaltungsgericht die österreichischen Entscheidungen im Volltext vorgelegen, so hätte es die darin enthaltenen Erwägungen zur Schwere der Straftat und zur Höhe der Strafe zur Kenntnis nehmen und im Rahmen der Befristungsentscheidung einer eigenen Würdigung unterziehen können. Mit diesen Ausführungen ist der gerügte Verfahrensmangel aber nicht den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt.

Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Aufklärung des Sachverhalts grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter in der mündlichen Verhandlung nicht ausdrücklich beantragt hat. Dass ein solcher Beweisantrag nicht gestellt wurde, ist nur dann unerheblich, wenn sich dem Gericht auch ohne ausdrücklichen Beweisantrag eine weitere Ermittlung des Sachverhalts hätte aufdrängen müssen. Die Aufklärungsrüge ist dabei nur dann erfolgreich, wenn das Gericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung Anlass zu weiterer Sachaufklärung hätte sehen müssen. Außerdem muss der Rechtsmittelführer darlegen, welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Aufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern das unterstellte Ergebnis zu einer für ihn günstigen Entscheidung geführt hätte (vgl. BVerwG, B.v. 16.3.2011 - 6 B 47.10 - juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 21.3.2012 - 10 ZB 10.100 - juris Rn. 22; B.v. 18.10.2013 - 10 ZB 11.618 - juris Rn. 25; B.v. 25.8.2014 - 10 ZB 12.2673 - juris Rn. 16).

Diesen Anforderungen genügen die Darlegungen der Beklagten und des Vertreters des öffentlichen Interesses jedoch nicht. Denn abgesehen davon, dass die Rechtsmittelführer im erstinstanzlichen Verfahren keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt haben, haben sie im Zulassungsverfahren weder dargelegt, welche konkreten tatsächlichen Feststellungen das Verwaltungsgericht voraussichtlich getroffen hätte, wenn ihm die Urteile der österreichischen Gerichte mit den darin enthaltenen Erwägungen zur Schwere der Straftat und zur Strafhöhe vorgelegen hätten, noch erläutert, inwiefern diese Feststellungen zu einem für sie günstigeren Ergebnis im Sinne der mit dem Zulassungsantrag und der anschließenden Berufung erstrebten Fortdauer der Wirkungen der Ausweisung über den 21. März 2013 hinaus geführt hätten.

2. Die Beklagte und der Vertreter des öffentlichen Interesses machen darüber hinaus einen Aufklärungsmangel insoweit geltend, als auch das österreichische Aufenthaltsverbot, das nach Mitteilung des österreichischen Innenministers vom 12. Januar 2012 bis zum 11. Januar 2014 befristet gewesen sei, dem Verwaltungsgericht nicht vorgelegen habe und das Gericht zudem versäumt habe, die Diskrepanz zwischen dieser Mitteilung und derjenigen der österreichischen Polizei vom 22. Oktober 2012 aufzuklären, nach der das Aufenthaltsverbot bis 21. März 2012 befristet gewesen sei. In Kenntnis der Gründe für die Befristungsentscheidungen und ihre Diskrepanz hätte das Verwaltungsgericht sich möglicherweise hinsichtlich der Befristung am 11. Januar 2014 statt am 21. März 2013 orientiert oder beide Daten für nicht auf die deutsche Ausweisung übertragbar gehalten.

Abgesehen davon, dass auch insoweit von beiden Rechtsmittelführern weder im erstinstanzlichen Verfahren ein Beweisantrag gestellt noch im Zulassungsverfahren dargelegt worden ist, welche konkreten tatsächlichen Feststellungen das Verwaltungsgericht getroffen hätte, hätte es in Bezug auf die Befristung des österreichischen Aufenthaltsverbots weitere Aufklärungsmaßnahmen ergriffen, ist auch weder dargelegt noch ersichtlich, dass die Kenntnis der Gründe und der Dauer der Befristung dieses Verbots für das Verwaltungsgericht tatsächlich entscheidungserheblich waren. Denn das Gericht ist auf der Grundlage der von ihm eigenständig angestellten Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit der Dauer der Ausweisungswirkungen unabhängig von den Gründen für die österreichische Befristungsentscheidung und von der tatsächlichen Dauer des in Österreich geltenden Aufenthaltsverbots für den Kläger zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Befristungsregelung, nach der die Ausweisungswirkungen mit dem Ablauf des 21. März 2013 enden, angemessen erscheint.

3. Aus diesem Grund liegt auch der von den Rechtsmittelführern geltend gemachte Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht vor, der damit begründet wird, dass das Verwaltungsgericht die österreichische Befristungsentscheidung ohne nähere Kenntnis der dafür maßgeblichen Gründe übernommen und damit seiner Entscheidung eine fremde Überzeugung zugrunde gelegt habe, ohne sich durch Kenntnisnahme von den dafür maßgeblichen Gründe selbst von der Tragfähigkeit der fremden Entscheidung zu überzeugen. Denn wie dargelegt, hat das Verwaltungsgericht die österreichische Befristung nicht einfach unbesehen übernommen, sondern ist anhand eigener Erwägungen zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Befristung der Wirkungen der Ausweisung bis zum 21. März 2013, wie sie der von der österreichischen Polizei mitgeteilten Befristung des für Österreich geltenden Aufenthaltsverbots entspricht, insbesondere im Hinblick auf die bisherige Dauer des deutschen Aufenthaltsverbots und das Alter des Klägers angemessen ist. Dass das Verwaltungsgericht dabei objektiv willkürlich gehandelt oder gegen Rechtssätze, allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstoßen hätte, wie dies für einen auf der Verletzung von § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO beruhenden Verfahrensmangel Voraussetzung wäre (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.1988 - 1 C 44.86 - juris Rn. 24; B.v. 10.10.2013 - 10 B 19.13 - juris Rn. 4), ist weder von den Rechtsmittelführern dargelegt noch sonst ersichtlich.

4. Auch soweit die Beklagte und der Vertreter des öffentlichen Interesses geltend machen, das Verwaltungsgericht habe es versäumt, die Beteiligten auf die Möglichkeit, die österreichische Befristungsentscheidung auf den vorliegenden Fall zu übertragen, hinzuweisen und den Beteiligten dadurch das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 138 Nr. 3 VwGO) zu diesem entscheidungserheblichen Punkt versagt, ist ein Verfahrensmangel nicht den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt. Denn danach wäre erforderlich gewesen, dass die Rechtsmittelführer in der Begründung ihres Zulassungsantrags dargelegt hätten, was sie im Falle der Erteilung des ihrer Ansicht nach zur ausreichenden Gewährung rechtlichen Gehörs gebotenen Hinweises noch vorgetragen hätten (vgl. etwa BVerwG, B.v. 9.7.1992 - 2 B 52.92 - juris Rn. 3; BVerfG, B.v. 13.3.1993 - 2 BvR 1988/92 - juris Rn. 34 jeweils m. w. N.). Dies ist jedoch nicht geschehen.

5. Schließlich machen die Beklagte und der Vertreter des öffentlichen Interesses geltend, der Tenor des angefochtenen Urteils sei fehlerhaft. Das Verwaltungsgericht sei einerseits hinter dem auf die Aufhebung des Befristungsbescheids vom 1. März 2012 und die Verpflichtung zur Neuverbescheidung gerichteten Klageantrag zurückgeblieben, weil es nur eine Teilaufhebung vorgenommen habe. Andererseits sei es jedoch über den Klageantrag hinausgegangen, weil es selbst die Befristung festgesetzt habe. Letzteres habe ohne Hinweis gemäß § 86 Abs. 3 VwGO nicht erfolgen dürfen und stelle einen Verstoß gegen die Bindung an das Klagebegehren nach § 88 VwGO dar. Ersteres hätte eine Abweisung der Klage im Übrigen und eine Kostenentscheidung nach § 155 Abs. 1 VwGO erfordert. Das Verwaltungsgericht habe jedoch § 154 Abs. 1 VwGO herangezogen. Ein Verfahrensmangel, der zur Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO führen könnte, liegt insoweit jedoch ebenfalls nicht vor.

a) Nach § 88 VwGO darf das Verwaltungsgericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. Dementsprechend hat das Verwaltungsgericht, ohne dies im Urteil selbst näher darzulegen, offenbar den Klageantrag unter Berücksichtigung der Interessenlage des Klägers ausgelegt (vgl. BVerwG, B.v. 13.1.2012 - 9 B 56.11 - juris Rn. 7), was auch im Falle des anwaltlich vertretenen Klägers möglich ist (vgl. BVerwG a. a. O. Rn. 8), und das Klagebegehren danach so verstanden, dass es nicht, wie ausdrücklich beantragt, gemäß § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO auf die Aufhebung des streitgegenständlichen Befristungsbescheids und die Verpflichtung der Beklagten, den Antrag des Klägers auf Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden, sondern gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO auf die Aufhebung des Befristungsbescheids gerichtet war, soweit er eine längere Frist als angemessen festsetzt.

Dem entspricht es, dass für Klagen, die sich gegen Befristungsbescheide mit dem Ziel richten, eine Befristung der Wirkungen einer Ausweisung auf einen früheren als den im Bescheid bestimmten Zeitpunkt zu erreichen, die Anfechtungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO die richtige Klageart ist (vgl. BVerwG, B.v. 14.3.2013 - 1 B 17.12 - juris Rn. 13; B.v. 15.4.2013 - 1 B 22.12 - juris Rn. 31). Berücksichtigt man, dass dem Befristungsbescheid der Beklagten vom 1. März 2012, gegen den sich die Klage richtet, der Antrag des Klägers vom 2. September 2011 zugrunde liegt, das aus dem Ausweisungsbescheid der Beklagten vom 9. November 1993 resultierende Einreise- und Aufenthaltsverbot angemessen zu befristen, so entspricht diesem Begehren ein Verständnis des Klagebegehrens in dem vom Verwaltungsgericht offenbar zugrunde gelegten Sinn, dass die Klage auf die Aufhebung des Bescheids gerichtet ist, soweit er die Wirkungen der Ausweisungen für einen längeren als einen angemessen Zeitraum aufrechterhält.

Hat das Verwaltungsgericht dementsprechend den Bescheid der Beklagten vom 1. März 2012 aufgehoben, soweit er die Befristung der Ausweisungswirkungen über den 21. März 2013 hinaus festsetzt, den es als angemessenen Zeitpunkt für das Ende dieser Wirkungen ansieht, so ist es damit weder hinter dem Klagebegehren zurückgeblieben noch darüber hinausgegangen, sondern hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Es ist daher konsequent, dass es von einer Abweisung der Klage im Übrigen abgesehen und der Beklagten die Kosten des Verfahrens nach § 154 Abs. 1 VwGO in vollem Umfang auferlegt hat.

b) Soweit schließlich das Vorbringen der Rechtsmittelführer, das Verwaltungsgericht habe ohne einen Hinweis nach § 86 Abs. 3 VwGO nicht über den Antrag des Klägers hinausgehen und die Befristung selbst vornehmen dürfen, als Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs zu verstehen sein sollte, ist ein Verfahrensmangel nicht den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt. Denn auch insoweit würde es an Ausführungen dazu fehlen, was vorgetragen worden wäre, wäre ein solcher Hinweis erfolgt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 159 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 100 Abs. 1 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

Gründe

I.

1

Der 1979 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und wendet sich gegen seine Ausweisung. Im Alter von drei Jahren zog er gemeinsam mit seiner Mutter zu seinem als Arbeitnehmer in Deutschland lebenden Vater. Er erwarb hier den Hauptschulabschluss und absolvierte eine Berufsausbildung. 1996 wurde ihm eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. In der Folgezeit ist er mehrfach strafgerichtlich verurteilt worden. 2006 erfolgte eine Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren. Zuletzt wurde der Kläger im Jahre 2007 wegen Diebstahls und einer Vielzahl von Betäubungsmitteldelikten unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe aus dem Jahre 2006 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Beklagte wies ihn mit Bescheid vom 4. November 2008 aus dem Bundesgebiet aus, wobei sie seine Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG - Türkei (ARB 1/80) berücksichtigte. Seine Anfechtungsklage blieb vor dem Verwaltungsgericht und dem Verwaltungsgerichtshof ohne Erfolg. Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision.

II.

2

Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO) gestützte Beschwerde ist unbegründet.

3

1. Dem Beschwerdevorbringen lässt sich die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht entnehmen. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die erstrebte Revisionsentscheidung entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus und verlangt außerdem die Angabe, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (stRspr; vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind u.a. dann nicht erfüllt, wenn die aufgeworfene Rechtsfrage bereits geklärt ist oder aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann.

4

a) Die Beschwerde hält zunächst die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, "ob Ausweisungen assoziationsrechtlich begünstigter türkischer Staatsangehöriger bei Fehlen eines Rechtsbehelfsverfahrens, gegebenenfalls in Form eines Widerspruchsverfahrens, das auch eine Überprüfung der Zweckmäßigkeit der Ausweisung ermöglicht, auch nach dem Außerkrafttreten der Richtlinie 64/221/EWG mit Wirkung vom 30.04.2006 von vornherein unheilbar rechtswidrig sind" (Beschwerdebegründung vom 10. Oktober 2012 S. 2). Für die Zulassung der Grundsatzrevision wegen dieser Frage fehlt es an dem erforderlichen Klärungsbedarf, weil in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt ist, dass die Frage zu verneinen ist (vgl. Urteile vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 22 - 25, vom 13. Dezember 2012 - BVerwG 1 C 20.11 - juris Rn. 28 - 34 und vom 15. Januar 2013 - BVerwG 1 C 10.12 - juris Rn. 23 f.).

5

Der Senat hat in seinem Urteil vom 10. Juli 2012 (a.a.O. Rn. 22) entschieden, dass Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG und die darin vorgesehene Einschaltung einer unabhängigen Stelle im Ausweisungsverfahren nicht für Ausweisungsverfügungen gilt, die nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG zum 30. April 2006 erlassen wurden. Das gilt auch für die hier angegriffene Ausweisung, die mit Bescheid vom 4. November 2008 verfügt wurde. Der Senat hat dies zum einen damit begründet, dass die Vorschrift durch Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG mit Wirkung zum 30. April 2006 aufgehoben worden ist. Weiter hat er darauf abgestellt, dass als unionsrechtlicher Bezugsrahmen für die Ausweisung assoziationsrechtlich begünstigter türkischer Staatsangehöriger nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nunmehr Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG betreffend die langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen heranzuziehen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2012, 422 Rn. 79). Der Senat hat aber auch für den Fall, dass die für Unionsbürger maßgebliche Vorschrift des Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG auf die Ausweisung assoziationsrechtlich begünstigter türkischer Staatsangehöriger anwendbar wäre, entschieden, dass sich daraus keine Verpflichtung zur Einschaltung einer unabhängigen Stelle im Ausweisungsverfahren ergibt (vgl. Urteil vom 13. Dezember 2012 a.a.O. Rn. 29 f.). Weder in der für langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige vorgesehenen noch in der für Unionsbürger maßgeblichen Regelung ist die Beteiligung einer unabhängigen Stelle vorgeschrieben (so erneut Urteil vom 15. Januar 2013 a.a.O. Rn. 23).

6

Soweit die Beschwerde darauf abstellt, dass Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG weiterhin das Erfordernis einer vollständigen, ggf. im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens vorzunehmenden Ermessensüberprüfung enthält (Beschwerdebegründung S. 5 - 8), hat der Senat hierzu in seinem Urteil vom 13. Dezember 2012 (Rn. 30) ausgeführt:

"Nicht gefolgt werden kann der Auffassung, Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG sehe weiter die Beteiligung einer unabhängigen Stelle vor, was sich zum einen daraus ergebe, dass der Rechtsbehelf nach Art. 31 Abs. 1 'gegebenenfalls' auch bei einer Behörde eingelegt werden könne und sich die Überprüfung im Rechtsbehelfsverfahren gemäß Art. 31 Abs. 3 nicht nur auf Tatsachen, sondern auch auf 'Umstände' zu beziehen habe. Denn der Verweis in Art. 31 Abs. 1 auf die Möglichkeit, einen Rechtsbehelf gegebenenfalls bei einer Behörde einzulegen (englische Fassung: 'where appropriate'), bezieht sich erkennbar auf die Fälle, in denen das nationale Recht das so vorsieht, etwa wenn der gerichtlichen Überprüfung noch ein behördliches Widerspruchsverfahren vorgeschaltet ist. Eine unionsrechtliche Verpflichtung zur Beteiligung einer zweiten Stelle im Verwaltungsverfahren ergibt sich daraus jedoch nicht. Entsprechendes gilt für die in Art. 31 Abs. 3 vorgeschriebene Überprüfung der Tatsachen und Umstände, auf denen die Entscheidung beruht. Aus dem Begriff der 'Umstände' (englische Fassung: 'circumstances') lässt sich eine Zweckmäßigkeitsprüfung - wie sie in Deutschland einer Behörde vorbehalten wäre - nicht ableiten. Die Formulierung ist vielmehr im Zusammenhang mit Art. 31 Abs. 3 Satz 2 zu sehen, der die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Entscheidung im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Art. 28 vorschreibt. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung sind alle 'Umstände' zu berücksichtigen, die Art. 28 bezeichnet."

7

Im Übrigen ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte des Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG, dass die Mitgliedstaaten nicht zur Aufrechterhaltung einer Regelung verpflichtet werden sollten, wonach vor Ausspruch der Ausweisungsentscheidung eine unabhängige Stelle einzuschalten ist. Vielmehr sollte die Aufnahme einer entsprechenden Regelung der Entscheidung des nationalen Gesetzgebers überlassen werden. Die seinerzeit in Art. 29 des Kommissionsentwurfs vom 23. Mai 2001 enthaltene Regelung zum Rechtsschutz bei Ausweisungsentscheidungen wurde u.a. wie folgt begründet (KOM(2001) 257 endgültig S. 23 f.):

"1. Diese Bestimmungen zielen darauf ab, den Aufenthaltsberechtigten den Zugang zu Rechtsbehelfen und Rechtsmitteln und somit einen lückenlosen Rechtsschutz zu sichern.

2. Ein lückenloser Rechtsschutz schließt nicht aus, dass ein Mitgliedstaat vorsieht, dass ein Rechtsbehelf bei einer Behörde eingelegt werden kann. In diesem Fall müssen die in Artikel 9 der Richtlinie 64/221/EWG genannten Objektivitätsgarantien gegeben sein, insbesondere die vorherige Stellungnahme einer anderen Behörde, als die, die Einreiseverweigerung oder die Ausweisung verfügen soll, sowie Garantie in Bezug auf die Rechte der Verteidigung."

8

Die fehlende Verpflichtung zur Normierung eines behördlichen Rechtsbehelfsverfahrens ergibt sich auch aus der Begründung der Kommission zu ihrem geänderten Vorschlag vom 15. April 2003, der die heute in Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie enthaltene Formulierung einführte, dass ein Rechtsbehelf bei einem Gericht und "gegebenenfalls" bei einer Behörde eingelegt werden kann. Diese lautete (KOM(2003) 199 endgültig, S. 10 zum damaligen Art. 29 Abs. 1):

"Die Änderung soll klarstellen, dass der Rechtsbehelf stets bei einem Gericht eingelegt werden muss und ein Rechtsbehelf bei einer Behörde nur dann ebenfalls zulässig ist, wenn der Aufnahmemitgliedstaat dies vorsieht (zum Beispiel bevor ein Rechtsbehelf bei einem Gericht eingelegt werden kann)."

9

Auch die Begründung der Kommission zur heute in Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie geregelten Vorschrift über den Inhalt und Umfang der Überprüfung im Rechtsbehelfsverfahren entspricht der oben wiedergegebenen Auslegung des Senats in seinem Urteil vom 13. Dezember 2012 (Rn. 30), dass darin eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Hinblick auf die Erfordernisse von Art. 28 der Richtlinie geregelt wird, aber keine Zweckmäßigkeitsprüfung, wie sie in Deutschland nur von einer Behörde erfolgen könnte (vgl. KOM(2003) 199 endgültig, S. 10 zum damaligen Art. 29 Abs. 4).

10

Ergibt sich aber aus Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG nicht das Erfordernis der Einschaltung einer unabhängigen Stelle im Ausweisungsverfahren, kommt es für die Beantwortung der aufgeworfenen Grundsatzfrage nicht darauf an, ob für die verfahrensmäßigen Anforderungen an die Ausweisung assoziationsrechtlich begünstigter türkischer Staatsangehöriger Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG oder Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG Anwendung findet. Damit sind auch die Einwände der Beschwerde gegen die Auslegung des EuGH-Urteils in der Sache Ziebell durch das Berufungsgericht unerheblich, die sich gegen eine Erstreckung der dort getroffenen Aussagen zur Anwendbarkeit von Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG auf die verfahrensrechtlichen Regelungen bei Ausweisungen und damit die Nichtanwendbarkeit von Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG wenden (Beschwerdebegründung S. 17 - 23).

11

Das früher in Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG geregelte Erfordernis der Einschaltung einer unabhängigen Stelle bei Ausweisungen gilt auch nicht - wie die Beschwerde meint - als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Europarechts, der aus dem im EGV bzw. AEUV verankerten Grundsatz der Arbeitnehmerfreizügigkeit abzuleiten wäre, für Unionsbürger wie Berechtigte nach dem ARB 1/80 fort (Beschwerdebegründung S. 9 - 10). Vielmehr hat der Richtliniengeber die Verfahrenssicherungen bei Ausweisungen ohne vertragsrechtliche Bindung an das Modell der Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG neu geregelt und durfte dies auch tun. Im Rahmen seines gemeinschaftsrechtlichen Regelungsspielraums hat er in Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG den Wegfall der Beteiligung einer unabhängigen Stelle im Verwaltungsverfahren, wie sie noch in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG vorgeschrieben war, durch einen erhöhten Rechtsschutz im gerichtlichen Verfahren ausgeglichen - worauf der Senat bereits in seinem Urteil vom 13. Dezember 2012 (Rn. 29) hingewiesen hat. Die Frage eines solchen Ausgleichs ist mit Blick auf die Rechtslage in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu betrachten und nicht isoliert für einen einzelnen Staat wie Deutschland. In vielen europäischen Staaten unterlagen ausländerbehördliche Entscheidungen bis zum Inkrafttreten von Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG aber keiner vollständigen gerichtlichen Kontrolle in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht.

12

Aus dem von der Beschwerde zur Stützung ihrer Rechtsauffassung herangezogenen Urteil des Gerichtshofs vom 2. Juni 2005 in der Sache Dörr/Ünal (Rs. C-136/03 - Slg. 2005, I-4759 Rn. 61 - 69) ergibt sich nur, dass die Rechtsschutzgarantien der Artikel 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG in dem Umfang, in dem sie für freizügigkeitsberechtigte EU-Bürger und deren Familienangehörige gelten, auch auf Berechtigte nach Art. 6 und 7 ARB 1/80 zu übertragen sind. Nachdem an die Stelle der bisherigen Regelungen zum Rechtsschutz neue getreten sind, gelten die Grundsätze des Gerichtshofs zur Übertragbarkeit für diese, führen aber nicht zur Aufrechterhaltung der alten, außer Kraft gesetzten Vorschriften.

13

In der Rechtsprechung des Senats ist mittlerweile auch geklärt, dass eine Aufrechterhaltung der früher in Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG getroffenen Regelung nur für Berechtigte nach dem ARB 1/80 - wie sie vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 24. Oktober 2011 (2 BvR 1969/09 - NVwZ 2012, 426 <429>) erörtert worden ist - gegen das Besserstellungsverbot des Art. 59 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (BGBl 1972 II S. 385) - ZP - verstoßen würde. Der Senat hat dies wie folgt begründet (Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 23 f.):

"Da Ausgangspunkt der Betrachtung des Gerichtshofs die Verfahrensgarantien sind, die den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten durch das Gemeinschaftsrecht gewährleistet werden, erweist sich seine Rechtsprechung zur Übertragung auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige schon im Ansatz offen für Fälle von Rechtsänderungen, die die Stellung der Unionsbürger betreffen. Für diese gewährleistet Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG gegen Entscheidungen, die aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung getroffen werden, einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde. Im Rechtsbehelfsverfahren sind nach Art. 31 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2004/38/EG die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände zu überprüfen, auf denen die Entscheidung beruht. Nach Satz 2 gewährleistet das Rechtsbehelfsverfahren, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Art. 28 der Richtlinie 2004/38/EG nicht unverhältnismäßig ist. Demzufolge gebietet Unionsrecht bei Ausweisungen von Unionsbürgern keine behördliche Kontrolle mehr nach dem 'Vier-Augen-Prinzip'. Dann können assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nach der dynamisch angelegten Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Übertragung von Rechten auf diese Gruppe keine bessere verfahrensrechtliche Rechtsstellung beanspruchen.

Demgegenüber beruft sich der Kläger auf die Stillhalteklauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (BGBl 1972 II S. 385) - ZP. Gemäß Art. 13 ARB 1/80 dürfen die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Gemäß Art. 41 Abs. 1 ZP werden die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen. Aus diesen Stand-Still-Klauseln ergibt sich nach Auffassung des Klägers, dass Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG bei der Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger weiterhin anzuwenden sei. Dem folgt der Senat nicht.

Gegen die Auffassung des Klägers spricht bereits, dass Art. 13 ARB 1/80 seinem Wortlaut nach nur die Mitgliedstaaten, nicht aber die Europäische Union verpflichtet. Art. 41 Abs. 1 ZP betrifft sachlich nur Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs, nicht aber die der Arbeitnehmerfreizügigkeit zuzurechnende aufenthaltsrechtliche Stellung aus Art. 7 ARB 1/80. Des Weiteren erscheint fraglich, ob die auf den Zugang zum Arbeits- bzw. Binnenmarkt zugeschnittenen Stand-Still-Klauseln überhaupt Verfahrensregelungen bei der Aufenthaltsbeendigung erfassen (vgl. Urteil vom 30. April 2009 - BVerwG 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 20 zu den gesetzlichen Erlöschenstatbeständen für Aufenthaltstitel) und ob die Aufhebung des 'Vier-Augen-Prinzips' mit Blick auf die gerichtliche Überprüfbarkeit nach Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109/EG eine merkliche Verschlechterung der Rechtsposition darstellt. Das kann aber dahinstehen, da die weitere Anwendung des Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige selbst bei Annahme einer rechtserheblichen Verschlechterung gegen Art. 59 ZP verstoßen würde. Nach dieser Vorschrift darf der Türkei in den von diesem Protokoll erfassten Bereichen keine günstigere Behandlung gewährt werden als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander aufgrund des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft einräumen. Das wäre aber bei weiterer Anwendung des 'Vier-Augen-Prinzips' im Vergleich zu den Verfahrensrechten von Unionsbürgern aus Art. 31 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2004/38/EG - wie oben dargelegt - der Fall."

14

Einer Klärung durch den EuGH bedarf es insoweit nicht. Es ist im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs offenkundig ("acte clair"), dass zur Rechtfertigung einer verfahrensrechtlichen Besserstellung von Berechtigten nach dem ARB 1/80 nicht auf den weitergehenden materiellrechtlichen Ausweisungsschutz von Unionsbürgern nach der Richtlinie 2004/38/EG abgestellt werden kann. Denn dieser erhöhte Schutz beruht auf der besonderen Rechtsstellung der Unionsbürger, mit der die Berechtigten nach dem ARB 1/80 keine Gleichstellung verlangen können (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2012, 422 Rn. 68 - 74). Das von der Beschwerde (Beschwerdebegründung S. 12 f.) herangezogene Urteil des Gerichtshofs vom 18. Juli 2007 in der Sache Derin (Rs. C-325/05 - Slg. 2007, I-6495 Rn. 68 f.) trifft für den Vergleich mit der Rechtsstellung von Unionsbürgern keine Aussage, da es zur Auslegung von Art. 59 ZP lediglich die Vor- und Nachteile der Rechtsstellung von Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft mit der von Berechtigten nach ARB 1/80 vergleicht, ohne auf die besondere Rechtsstellung von Unionsbürgern einzugehen. Jedenfalls in dem Umfang, in dem sich die Vertragsparteien EWG und Türkei in Art. 59 ZP völkerrechtlich zur Beachtung des Besserstellungsverbots verpflichtet haben, durfte die Union den Wegfall einer Regelung zum außergerichtlichen Rechtsschutz, der für die Angehörigen ihrer Mitgliedstaaten geschaffen worden war, auch mit Wirkung für die Berechtigten nach dem ARB 1/80 entfallen lassen.

15

Der Rechtsauffassung der Kommission in ihrer Stellungnahme vom 15. Dezember 2006 in der Rechtssache Polat (Rs. C-349/06), auf die sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 24. Oktober 2011 (a.a.O. S. 429) bezogen hat, dass die Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG durch die Unionsbürgerrichtlinie auf die Auslegung des Assoziationsabkommens und die auf seiner Grundlage erlassenen Rechtsakte keinen Einfluss habe, ist der Gerichtshof nicht gefolgt. Vielmehr hat er für Regelungen zum Ausweisungsschutz, bei denen die für Unionsbürger geltenden Bestimmungen der Richtlinie 2004/38/EG im Hinblick auf ihren Gegenstand und Zweck nicht auf Berechtigte nach dem Assoziationsrecht EWG - Türkei übertragbar sind, Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG als neuen unionsrechtlichen Bezugsrahmen bestimmt, nicht aber die außer Kraft getretenen Bestimmungen der Richtlinie 64/221/EWG zugunsten der assoziationsrechtlich Begünstigten für weiterhin anwendbar angesehen (vgl. Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 74 - 79).

16

b) Die Beschwerde hält des Weiteren die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig,

"ob sich für einen assoziationsrechtlich begünstigten türkischen Staatsangehörigen, der sich in Strafhaft befindet, aus Art. 9 Assoziationsabkommen EWG-Türkei (AssAbk.), Art. 37 Zusatzprotokoll zum Assoziationsabkommen (ZP), Art. 10 ARB 1/80 und Art. 3 ARB 3/80 i.V.m. §§ 27, 40 SGB V und §§ 9, 15 SGB VI ein Anspruch auf Durchführung einer Entwöhnungstherapie hinsichtlich seiner Drogenabhängigkeit in Deutschland ergibt, und ob dieser europarechtliche Anspruch dazu führt, dass entweder bei der Prüfung des Vorliegens der für seine aufgrund von Drogendelikten erwogene Ausweisung erforderlichen gegenwärtigen Wiederholungsgefahr die erfolgreiche Durchführung der Drogentherapie unterstellt werden muss, oder aber eine Ausweisungsentscheidung erst nach tatsächlichem Abschluss dieser Drogentherapie getroffen werden darf" (Beschwerdebegründung S. 40).

17

Die Beschwerde ist insoweit bereits unzulässig, da sie die Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Grundsatzfrage nicht aufzeigt. Zunächst legt sie schon nicht dar, dass der Kläger drogenabhängig ist und aufgrund dieser Abhängigkeit einen Anspruch auf Durchführung einer Entwöhnungstherapie hat. Des Weiteren hat die beteiligte Landesanwaltschaft zutreffend darauf hingewiesen (Schriftsatz vom 28. November 2012, S. 7), dass das Berufungsgericht die Ausweisung unabhängig vom Ergebnis - auch bei einem möglichen Erfolg - einer Drogentherapie als rechtmäßig angesehen hat (UA S. 55 Rn. 94). Das Berufungsgericht hat zur Begründung unter anderem auf die "dissoziale Persönlichkeitsakzentuierung" des Klägers (UA S. 38) und dessen "antisoziale(n) Persönlichkeitsanteile" (UA S. 39) hingewiesen (ähnlich UA S. 41), die unabhängig von suchtbedingten Risiken eine erhöhte Gefahr der erneuten Begehung von Straftaten begründeten (UA S. 39). Geht das Berufungsgericht nach seinen nicht mit durchgreifenden Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen aber von einer die Ausweisung rechtfertigenden schweren Gefährdung für ein Grundinteresse der Gesellschaft unabhängig von der Drogenabhängigkeit des Klägers aus, fehlt es an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit einer Klärung der hierzu aufgeworfenen Grundsatzfrage.

18

Im Übrigen bedürfte es aber auch im Fall der Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Frage nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, da sie schon aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung beantwortet werden kann und zu verneinen ist.

19

Dabei kann offenbleiben, ob ein Berechtigter nach dem Assoziationsabkommen EWG - Türkei, dem Zusatzprotokoll zum Assoziationsabkommen, dem ARB 1/80 oder ARB 3/80 in der Situation des Klägers ein Anspruch auf Durchführung einer Entwöhnungstherapie hinsichtlich seiner Drogenabhängigkeit hat, wie das die Beschwerde behauptet. Denn selbst wenn ihm ein solcher Anspruch aus einer der von der Beschwerde angeführten Vorschriften zustünde, lässt sich aus diesem kein Ausweisungshindernis ableiten, wie es in der aufgeworfenen Grundsatzfrage formuliert ist. Alle angeführten Vorschriften des Assoziationsrechts haben Diskriminierungsverbote zum Inhalt. Diese verbieten allgemein oder für ihren spezifischen Regelungsbereich eine Diskriminierung assoziationsrechtlich begünstigter türkischer Staatsangehöriger gegenüber den Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaates oder anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Auch soweit sich nach der Rechtsprechung des EuGH aus einzelnen Diskriminierungsverboten aufenthaltsrechtliche Ansprüche ergeben können, beschränken diese nicht die Befugnis der Mitgliedstaaten, den Aufenthalt aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit zu beenden (vgl. EuGH, Urteile vom 2. März 1999 - Rs. C-416/96, EI-Yassini - Slg. 1999, I-1209 Rn. 45 und vom 14. Dezember 2006 - Rs. C-97/05, Gattoussi - Slg. 2006, I-11917 Rn. 40 f. zu Diskriminierungsverboten in Abkommen der Union mit Marokko und Tunesien; zur Übertragbarkeit auf das Diskriminierungsverbot nach Art. 10 ARB 1/80 vgl. Urteil vom 26. Oktober 2006 - Rs. C-4/05, Güzeli - Slg. 2006, I-10279 Rn. 52 f.). Die Rechtmäßigkeit der Ausweisung ist insoweit allein daran zu messen, ob die Voraussetzungen des Art. 14 ARB 1/80 erfüllt sind, wobei als Bezugsrahmen mangels günstigerer Vorschriften im Assoziationsrecht EWG -Türkei Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG heranzuziehen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 75 ff.). Danach kann ein nach dem Assoziationsrecht Berechtigter nur ausgewiesen werden, wenn er eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt. Außerdem darf die Ausweisungsverfügung nicht auf wirtschaftlichen Überlegungen beruhen. Schließlich haben die zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats, bevor sie eine solche Verfügung erlassen, die Dauer des Aufenthalts der betreffenden Person im Hoheitsgebiet dieses Staates, ihr Alter, die Folgen einer Ausweisung für die betreffende Person und ihre Familienangehörigen sowie ihre Bindungen zum Aufenthaltsstaat oder fehlende Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen. Hingegen kommt es für die Erfüllung der Ausweisungsvoraussetzungen nicht darauf an, ob der Betroffene Anspruch auf die Durchführung einer Drogentherapie hatte, diese aber nicht bewilligt und durchgeführt wurde. Einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union bedarf es nicht, da die Rechtslage und die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den Voraussetzungen einer Ausweisung assoziationsrechtlich privilegierter türkischer Staatsangehöriger insoweit offenkundig ist ("acte clair").

20

2. Dem Beschwerdevorbringen lässt sich eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht entnehmen. Die Beschwerde entspricht nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, soweit sie eine Abweichung von dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Oktober 2011 (2 BvR 1969/09 - NVwZ 2012, 426) geltend macht (vgl. Beschwerdebegründung S. 52 ff.).

21

Eine solche, die Revision eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat; für die behauptete Abweichung von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gilt Entsprechendes (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 = NJW 1997, 3328).

22

a) Soweit die Beschwerde hier eine Abweichung von dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Oktober 2011 (2 BvR 1969/09 - NVwZ 2012, 426) geltend macht (vgl. Beschwerdebegründung S. 52 ff.), entspricht sie bereits nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, da sie den tragenden abstrakten Rechtssatz nicht benennt. Sie trägt vielmehr vor, das Bundesverfassungsgericht habe in seinem im angeführten Verfahren ergangenen Beschluss vom 24. Oktober 2011 (a.a.O. S. 428) festgestellt, dass die Frage nach der Weitergeltung des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG bei Ausweisungen assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichts ungeklärt gewesen sei. Dem widerspreche die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, wonach die Frage durch das Urteil des EuGH vom 8. Dezember 2011 geklärt sei und zwar dahin, dass die Bestimmung des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG in Fällen wie dem vorliegenden weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden sei (UA S. 13).

23

Die von der Beschwerde behauptete Abweichung bezieht sich nicht auf einen Rechtssatz. Ein Rechtssatz beschreibt den Inhalt einer Norm, indem er diese als abstrakten richterrechtlichen Obersatz näher konkretisiert (vgl. Beschluss vom 7. März 2001 - BVerwG 8 B 36.01 - juris - Rn. 8; Kraft, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 132 Rn. 35). Die geltend gemachte Abweichung bedeutet keine solche rechtssatzgemäße Auslegung des materiellen Rechts, sondern würdigt lediglich, ob die Rechtsfrage vom EuGH geklärt ist oder nicht. Mit einer solchen Rüge kann die Beschwerde die Zulassung der Revision wegen Divergenz nicht erreichen.

24

b) Soweit die Beschwerde auf eine Abweichung der angegriffenen Entscheidung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gestützt wird, führt sie ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision.

25

(1) Die Beschwerde sieht eine entscheidungserhebliche Abweichung des Berufungsgerichts von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zunächst darin, dass das Bundesverwaltungsgericht in seinen Urteilen vom 13. September 2005 (BVerwG 1 C 7.04 - BVerwGE 124, 217), vom 9. August 2007 (BVerwG 1 C 47.06 - BVerwGE 129, 162) und vom 2. September 2009 (BVerwG 1 C 2.09 - Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 54) entschieden habe, dass sich das Rechtsbehelfsverfahren bei der Ausweisung von Berechtigten nach dem ARB 1/80 auch auf Ermessenserwägungen erstrecken müsse, "die über den Rahmen der materiellen Rechtmäßigkeit hinausgehen" (Beschwerdebegründung S. 54 f.). Dem stehe die Rechtsauslegung des Berufungsgerichts entgegen, das auf Seite 23 bis 27 des angefochtenen Urteils die "Überprüfung der Zweckmäßigkeit der Ausweisung mit einer bloßen Überprüfung der Ausweisungsentscheidung am Maßstab des materiellen Europarechts gleichgesetzt" habe.

26

Mit diesem Vorbringen genügt die Beschwerde ebenfalls nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Denn sie bezeichnet schon keine für den vorliegenden Fall intertemporal maßgebliche Rechtsvorschrift, bei deren Anwendung ein Rechtssatzwiderspruch vorliegen könnte. Die zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bezog sich auf die Auslegung von Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG, auch die Ausführungen des Berufungsgerichts, die von der Beschwerde angeführt werden, beziehen sich auf diese Norm. Damit fehlt es aber zusätzlich an der Entscheidungserheblichkeit der behaupteten Abweichung. Denn Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG ist - wie oben unter Ziffer 1a dieses Beschlusses näher ausgeführt - mit Wirkung zum 30. April 2006 aufgehoben worden und findet auf nach diesem Zeitpunkt ausgesprochene Ausweisungsentscheidungen keine Anwendung mehr. Das betrifft auch die streitgegenständliche Ausweisung des Klägers. Ein Klärungsbedarf besteht deshalb nicht.

27

(2) Allerdings zeigt die Beschwerde eine Divergenz der angegriffenen Entscheidung zum Senatsurteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - auf (Beschwerdebegründung S. 56 ff.).

28

Eine entscheidungserhebliche Abweichung liegt hier in der divergierenden Auslegung des Rechtsschutzbegehrens bei Anfechtung einer Ausweisung. Denn nach der neueren Rechtsprechung des Senats haben Ausländer seit Inkrafttreten der Neufassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde mit einer Ausweisung zugleich das daran geknüpfte gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie die Titelerteilungssperre befristet (Urteile vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 30 ff., vom 13. Dezember 2012 - BVerwG 1 C 20.11 - Rn. Rn. 38 und vom 15. Januar 2013 - BVerwG 1 C 10.12 - Rn. 26). Fehlt eine Befristung der Ausweisungsentscheidung, kann der Ausländer zugleich mit der Anfechtung der Ausweisung seinen Anspruch auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung gerichtlich durchsetzen. In seinem Anfechtungsantrag ist deshalb zugleich - als minus - für den Fall der Bestätigung ihrer Rechtmäßigkeit ein Hilfsantrag auf Verpflichtung der Ausländerbehörde zu einer angemessenen Befristung zu sehen, sofern eine solche nicht bereits von der Ausländerbehörde verfügt worden ist.

29

Im vorliegenden Fall waren die Wirkungen der Ausweisung im angegriffenen Bescheid vom 4. November 2008 nicht befristet worden, so dass die Anfechtungsklage des Klägers nach der vorzitierten Rechtsprechung einen Hilfsantrag auf nachträgliche Beifügung einer Befristung umfasste. Über diesen Antrag hätte das Berufungsgericht entscheiden müssen, da es die Ausweisung als rechtmäßig eingestuft hat. Sein - der Entscheidung unausgesprochen zugrunde liegender - Rechtssatz, dass dies nicht erforderlich sei, begründet die von der Beschwerde gerügte Divergenz.

30

Dennoch kommt eine Zulassung der Revision nicht in Betracht, da die Beschwerde insoweit inzwischen unzulässig geworden ist. Der Beklagte hat den angegriffenen Bescheid durch eine Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf acht Jahre ergänzt. Dem Befristungsanspruch des Klägers ist damit Rechnung getragen, so dass sein im Anfechtungsantrag enthaltener Hilfsantrag auf Verpflichtung des Beklagten zur nachträglichen Befristung ins Leere geht und eine Entscheidung über seine Divergenzrüge zur Durchsetzung dieses Befristungsanspruchs nicht mehr erforderlich ist. Für eine Zulassung der Revision allein zur Prüfung der Frage, ob die Behörde die Befristung im Einzelfall fehlerfrei bemessen hat, besteht kein Rechtsschutzinteresse, da diesem Begehren auf andere, einfachere Weise Rechnung getragen werden kann (vgl. Beschluss vom 14. März 2013 - BVerwG 1 B 17.12 - Rn. 12 f.).

31

Eine Rechtsschutzlücke zu Lasten des Klägers entsteht nicht. Vielmehr kann er die - gerichtlich in vollem Umfang überprüfbare - nachträgliche Befristungsentscheidung vom 25. März 2013 gesondert durch einen Anfechtungsantrag angreifen, der - falls der Befristungsentscheidung (wie hier) eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht beigegeben war - innerhalb eines Jahres nach Zustellung der Entscheidung bei dem zuständigen Verwaltungsgericht anhängig gemacht werden muss. Das Revisionsverfahren kann zur gerichtlichen Durchsetzung des Befristungsanspruchs nur dann genutzt werden, wenn es bereits aus anderen Gründen ohnehin eröffnet ist. Die vorgenannte Rechtsprechung des Senats, wonach das Revisionsverfahren ausnahmsweise auch für die Bescheidung des im Anfechtungsbegehren hilfsweise enthaltenen Verpflichtungsantrags genutzt werden kann, zielt lediglich auf Übergangsfälle einer nachträglichen Befristung von Bescheiden, die ohnehin in der Revisionsinstanz anhängig sind. Sie darf jedoch nicht dazu führen, die Revision in Fällen zuzulassen, in denen keiner der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist. Ein solcher Fall liegt hier vor. Im Übrigen steht es dem Kläger gegebenenfalls zusätzlich frei, bei einer geltend zu machenden Veränderung entscheidungserheblicher Umstände seit der maßgeblichen Befristungsentscheidung jederzeit einen Antrag auf nachträgliche Verkürzung der zunächst festgesetzten Frist bei dem Beklagten zu stellen und gegebenenfalls gerichtlich durchzusetzen.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Tatbestand

1

Der im Jahr 1981 in Deutschland geborene Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine unbefristete Ausweisung.

2

Der Vater des Klägers war 1973 in das Bundesgebiet eingereist und hier als Arbeitnehmer tätig. Er ist mittlerweile verstorben. Der Kläger hat vier ältere Brüder, die alle in Deutschland leben. Auch seine pflegebedürftige Mutter lebt hier. Der Kläger wuchs bei seinen Eltern auf und war seit Oktober 1997 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. 1998 schloss er die Hauptschule und 2001 eine Lehre als Verpackungsmittelmechaniker ab.

3

Am 8. April 2004 ordnete das Amtsgericht S. gegen den Kläger Untersuchungshaft an, weil er dringend verdächtig war, als Mitglied einer Bande mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben. Der Aufenthalt des Klägers war zum damaligen Zeitpunkt unbekannt. Tatsächlich war er in die Niederlande geflohen. Dort hielt er sich 14 Monate auf, bis er am 2. Juni 2005 verhaftet und am 12. August 2005 an die Bundesrepublik Deutschland überstellt wurde.

4

Mit Urteil des Landgerichts S. vom 24. November 2005 wurde der Kläger wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 12 tatmehrheitlichen Fällen sowie unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 16 tatmehrheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren verurteilt. Der Verfall eines Wertersatzes in Höhe von 857 300 € wurde angeordnet. Der Verurteilung lag ein Handeltreiben mit etwas mehr als 200 kg Marihuana sowie 500 g Kokain zugrunde. Tatsächlich war jedoch unter führender Beteiligung des Klägers nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs von Januar 2002 bis zu seiner Verhaftung im Juni 2005 mit insgesamt 2 Tonnen Marihuana, mindestens 5 kg Kokain und mit Ecstasy-Tabletten gehandelt worden (UA S. 33), davon 1,5 Tonnen Marihuana vor seiner Flucht in die Niederlande (UA S. 20) und 500 kg nach der Flucht. Das war der Staatsanwaltschaft bei Anklageerhebung nicht bekannt.

5

Der Beklagte wies den Kläger mit Bescheid vom 4. Oktober 2006 aus, ohne die Wirkungen der Ausweisung zu befristen, und drohte ihm für den Fall nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung in die Türkei an. Zur Begründung der Ausweisung stützte sich der Beklagte darauf, dass der Kläger trotz der von ihm erworbenen assoziationsrechtlichen Rechtsposition nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 im Ermessenswege ausgewiesen werden könne, weil die Voraussetzungen des Art. 14 ARB 1/80 erfüllt seien. Mit den Drogenstraftaten habe der Kläger ein persönliches Verhalten an den Tag gelegt, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstelle. Zudem liege eine konkrete Wiederholungsgefahr vor. Der Kläger sei wegen zahlreicher Einzeltaten verurteilt worden, die sich über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr erstreckt hätten. Auch wenn er seit seiner Geburt in Deutschland lebe, sei er doch nicht ohne Bindungen in die Türkei. Das Interesse der Gesellschaft an der Verhinderung weiterer Straftaten sei aber höher zu bewerten als das Interesse des Klägers am Zusammenleben mit seinen Eltern und seinen Brüdern. Die Ausweisung wurde ohne Beteiligung einer weiteren Verwaltungsbehörde erlassen.

6

Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 12. März 2008 ab. Während des Berufungsverfahrens ordnete die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 26. Oktober 2010 die Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe an und setzte eine Bewährungszeit von drei Jahren fest. Die bedingte Entlassung erfolgte etwa ein halbes Jahr vor der Verbüßung von zwei Dritteln der Freiheitsstrafe. Zur Begründung der Entscheidung stützte sich die Strafvollstreckungskammer im Wesentlichen auf ein kriminalprognostisches Gutachten und eine eigene Anhörung des Klägers.

7

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof ist der Kläger eingehend zu den Tathintergründen und seinem Verhalten nach der Tat befragt worden. Weiter wurde Kriminalhauptkommissar K., der die Ermittlungen gegen den Kläger und die Drogenbande geleitet hatte, als Zeuge vernommen. Schließlich wurde die Gutachterin aus dem Strafvollstreckungsverfahren zur Erläuterung ihres Gutachtens angehört.

8

Der Beklagte hat im Termin zur mündlichen Verhandlung die Abschiebungsandrohung aus dem Bescheid vom 4. Oktober 2006 aufgehoben. Der Rechtsstreit wurde insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt.

9

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 15. April 2011 die Berufung hinsichtlich der Ausweisung zurückgewiesen: Der Kläger habe nur bis zum April 2004 ein Aufenthaltsrecht aus Art. 7 ARB 1/80 besessen. Er sei als Sohn eines in der Vergangenheit dem deutschen Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers geboren, was nach fünf Jahren zum Erwerb einer Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 geführt habe. Mit dem Abschluss seiner Lehre habe er auch eine Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 erworben. Diese Rechte habe er aber durch seine Flucht aus dem Bundesgebiet vor der ihm drohenden Strafverfolgung verloren, weil er sich auf unabsehbare Zeit außerhalb Deutschlands habe aufhalten wollen. Insbesondere die Beschaffung eines fremden türkischen Reisepasses und die Fortsetzung der Betäubungsmittelkriminalität von den Niederlanden aus verdeutlichten, dass er sich nicht nur vorübergehend auf ein Leben in einem anderen Land eingestellt gehabt habe.

10

Damit sei § 53 Nr. 1 und 2 AufenthG Rechtsgrundlage für die Ausweisung. Besonderen Ausweisungsschutz genieße der Kläger nicht, weil seine unbefristete Aufenthaltserlaubnis nach § 44 Abs. 1 AuslG 1990 erloschen sei, als er mit seiner Flucht in die Niederlande aus einem seiner Natur nach nicht nur vorübergehenden Grund ausgereist sei. Die spezialpräventive Ausweisung des Klägers erweise sich aufgrund der von ihm nach wie vor ausgehenden Wiederholungsgefahr auch nach Art. 8 EMRK als verhältnismäßig. Der Kläger habe als junger Erwachsener bis zu seiner Festnahme Straftaten verübt, die ihn als Intensivtäter auf dem Gebiet der Rauschgiftkriminalität auswiesen. Er habe ohne durchgreifende Skrupel die Sucht anderer als Mittel für seine persönliche Bereicherung eingesetzt. Auch aufgrund des persönlichen Eindrucks vom Kläger sei der Senat davon überzeugt, dass vom Kläger nach wie vor die in den Taten angelegte Wiederholungsgefahr ausgehe. Dem kriminalprognostischen Gutachten werde keine entscheidungserhebliche Bedeutung zugemessen, weil es auf unzutreffenden tatsächlichen Annahmen beruhe und in zentralen Punkten nicht schlüssig sei. Diese Mängel hätten nicht ausgeräumt werden können. Die Gutachterin habe u.a. nicht in den Blick genommen, dass der Kläger mehr als 800 000 € Schulden habe.

11

Die Aussetzung der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung noch vor Ablauf des Zweidritteltermins führe nicht dazu, dass die Frage der Wiederholungsgefahr günstiger zu sehen sei. Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer sei auf das mangelhafte Gutachten gestützt. Auch sei der Senat aufgrund des gewonnenen Eindrucks vom Kläger überzeugt, dass dieser keine nachhaltige Persönlichkeitswandlung und Verhaltensänderung durchlaufen habe. Die beanstandungsfreie Führung und Weiterbildung des Klägers im Vollzug lasse nicht auf einen dauerhaften Wandel schließen. Gleiches gelte dafür, dass er in seiner bisherigen kurzen Bewährungszeit nicht negativ aufgefallen sei. Die Lebensumstände unterschieden sich nach der Haftentlassung nicht grundlegend von denen, die vor dem Einstieg in die Kriminalität vorgelegen hätten; die immense Schuldenbelastung sei sogar ein zusätzlicher negativer Faktor. Die Ausweisung sei auch unter Zugrundelegung der Maßstäbe des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verhältnismäßig.

12

Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision begehrt der Kläger weiterhin die Aufhebung der Ausweisung. Hilfsweise erstrebt er ihre sofortige Befristung. Er rügt, er habe seine Rechtsposition aus Art. 7 ARB 1/80 mit der Flucht in die Niederlande entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs nicht verloren. Insoweit komme es nicht auf den subjektiven Willen an, sondern auf das objektive Geschehen. Ein Auslandsaufenthalt von etwas mehr als einem Jahr genüge nicht, um die Rechtsposition zum Erlöschen zu bringen. Einer zwingenden Ausweisung stehe weiter entgegen, dass der Kläger im Februar 2011 eine kosovarische Staatsangehörige nach islamischem Ritus geheiratet habe und mit ihr und ihren Kindern nunmehr in familiärer Gemeinschaft zusammenlebe. Die Ausweisung sei darüber hinaus verfahrensfehlerhaft ergangen, weil das Gebot zur Einschaltung einer unabhängigen Stelle im einstufigen Verwaltungsverfahren aus Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG verletzt worden sei. Im Übrigen müsse berücksichtigt werden, dass der Kläger nach Abschluss des Berufungsverfahrens seine Lebensgefährtin standesamtlich geheiratet habe. Diese sei im November 2012 eingebürgert worden. Die Eheleute seien seit dem 5. Januar 2012 auch Eltern einer deutschen Tochter. Diese neuen Tatsachen seien im Revisionsverfahren jedenfalls insoweit zu berücksichtigen, als sie sich aus Urkunden ergäben.

13

Der Beklagte tritt der Revision entgegen. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich am Verfahren beteiligt und hält die Revision für unbegründet.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision des Klägers hat nur in geringem Umfang Erfolg. Das Berufungsgericht hat jedenfalls im Ergebnis zu Recht die Ausweisung als rechtmäßig angesehen (1.). Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG i.d.F. des während des Revisionsverfahrens in Kraft getretenen Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 ist der Beklagte jedoch zu verpflichten, die in Satz 1 und 2 der Vorschrift genannten Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von neun Jahren zu befristen (2.).

15

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung und des Befristungsbegehrens ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts, hier also des Berufungsgerichts am 15. April 2011 (Urteil vom 15. November 2007 - BVerwG 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 12). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (Urteil vom 11. Januar 2011 - BVerwG 1 C 1.10 - BVerwGE 138, 371 Rn. 10 = Buchholz 451.902 Europ. Ausl. u. Asylrecht Nr. 47 m.w.N.). Maßgeblich sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Hochqualifizierten-Richtlinie der Europäischen Union vom 1. Juni 2012 (BGBl I S. 1224). Damit sind insbesondere auch die Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258) - im Folgenden: Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 - zu beachten.

16

1. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Dabei kann offenbleiben, ob der Kläger in dem für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt eine Rechtsstellung nach Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980 (ANBA 1981, 4 = InfAuslR 1982, 33) - ARB 1/80 - besaß oder ob - wovon das Berufungsgericht ausgeht - diese Rechtsstellung erloschen ist und sich die Ausweisung daher allein nach nationalem Aufenthaltsrecht beurteilt. Für den Fall des Erlöschens des assoziationsrechtlich begründeten Aufenthaltsrechts ist das Berufungsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt, dass die verfügte Ausweisung den Voraussetzungen des § 53 Nr. 1 und 2 AufenthG und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Aber selbst wenn die Ausweisung an den Maßstäben des ARB 1/80 zu messen ist, erweist sie sich als rechtmäßig.

17

1.1 Der Kläger hat eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80 erworben. Er ist in Deutschland als Sohn eines nach Deutschland gezogenen türkischen Arbeitnehmers geboren und aufgewachsen. Damit erfüllt er - ungeachtet des Umstands, dass er nicht zu seinem Vater nachgezogen ist - die Voraussetzungen des Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 (vgl. Urteil vom 6. Oktober 2005 - BVerwG 1 C 5.04 - BVerwGE 124, 243 <246> = Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 45). Er hat im Bundesgebiet zudem eine Berufsausbildung abgeschlossen, so dass er auch nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 privilegiert ist.

18

Geht man davon aus, dass der Kläger seine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 nicht verloren hat, bestimmt sich die Rechtmäßigkeit der gegen ihn verfügten Ausweisung nach § 55 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80. Besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besitzt der Kläger nicht, da sein nationaler Aufenthaltstitel infolge der Ausreise in die Niederlande im April 2004 erloschen ist (vgl. § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1990). Gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 kann der Kläger nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2012, 422 Rn. 86). Das ist hier der Fall.

19

1.2 Die Gefahren, die vom gewerbsmäßigen illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, sind schwerwiegend und berühren ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die betroffenen Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit der Bürger nehmen in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen hohen Rang ein. Der Gerichtshof der Europäischen Union sieht in der Rauschgiftsucht ein "großes Übel für den Einzelnen und eine soziale und wirtschaftliche Gefahr für die Menschheit" (vgl. EuGH, Urteil vom 23. November 2010 - Rs. C-145/09, Tsakouridis - NVwZ 2011, 221 Rn. 47). Er verweist auf die "verheerenden Folgen" gerade des bandenmäßigen Handels mit Betäubungsmitteln für die Gesundheit, Sicherheit und Lebensqualität der Unionsbürger sowie der legalen Wirtschaftstätigkeit, der Stabilität und der Sicherheit der Mitgliedstaaten (a.a.O. Rn. 46). Die Mitgliedstaaten dürfen daher die Verwendung von Betäubungsmitteln als eine Gefahr für die Gesellschaft ansehen, die besondere Maßnahmen gegen Ausländer rechtfertigt, die gegen Vorschriften über Betäubungsmittel verstoßen (a.a.O. Rn. 54). Im Übrigen zählt der illegale Drogenhandel zu den Straftaten, die in Art. 83 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV als Bereiche besonders schwerer Kriminalität genannt werden. Diese können als schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses angesehen werden und die Ausweisung von Personen rechtfertigen, die entsprechende Straftaten begangen haben (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Mai 2012 - Rs. C-348/09, P.I. - NVwZ 2012, 1095 Rn. 28). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sieht den Handel mit Betäubungsmitteln, selbst wenn er nicht bandenmäßig begangen wird, als schwerwiegende Beeinträchtigung der gesellschaftlichen Interessen an (vgl. Urteile vom 3. November 2011 - Nr. 28770/05, Arvelo Aponte/Niederlande - Rn. 58 und vom 12. Januar 2010 - Nr. 47486/06, Khan/Vereinigtes Königreich - InfAuslR 2010, 369 Rn. 40 m.w.N.).

20

Nach diesen Maßstäben stellt das persönliche Verhalten des Klägers eine schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft im Sinne des Art. 14 ARB 1/80 dar. Er hat aus reinem Gewinnstreben bandenmäßig mit Betäubungsmitteln gehandelt, und zwar in führender Position innerhalb der Bande. Der illegale Handel erfolgte über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren und bezog sich auf eine sehr große Menge Marihuana (2 Tonnen) sowie eine erhebliche Menge Kokain (mindestens 5 kg). Der Kläger hat den Drogenhandel auch nach Aufdeckung seines strafbaren Verhaltens vom Ausland aus fortgesetzt.

21

1.3 Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise für den Kläger die Gefahr der Wiederholung seines strafbaren Verhaltens im Bereich der Drogenkriminalität bejaht. Es hat die Tatumstände, die Persönlichkeitsstruktur des Klägers, bei dem die gebotene Einsicht, Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit dem Geschehenen fehlen, seine hohe Schuldenbelastung, aber auch seine beanstandungsfreie Führung im Strafvollzug sowie in der anschließenden Bewährungszeit und die vom Kläger im Vollzug genutzte Möglichkeit zur Weiterbildung umfassend gewürdigt. Nach der Überzeugung des Gerichts lässt sich eine erhebliche Wiederholungsgefahr vor allem aus dem Ausmaß der vom Kläger begangenen Taten und der diesen zugrunde liegenden Motivation ableiten. Das Berufungsgericht kam nach ausführlicher Anhörung des Klägers in der mehrstündigen mündlichen Verhandlung zu dem Ergebnis, dass der Kläger in den Jahren nach Beendigung seiner Taten keinen grundlegenden Persönlichkeitswandel vollzogen hat, der verlässlich den Schluss auf ein zukünftig straffreies Leben zulässt.

22

Dabei hat sich das Gericht eingehend mit dem kriminalprognostischen Gutachten vom September 2010 auseinandergesetzt, das zur Aussetzung der Restfreiheitsstrafe durch die Strafvollstreckungskammer führte. Darin ist die Gutachterin zu dem Ergebnis gekommen, dass die durch die Taten zutage tretende Gefährlichkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr fortbesteht. Das Berufungsgericht ist dem Gutachten nicht gefolgt, weil es nach seiner Auffassung in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden tatsächlichen Annahmen beruht, in zentralen Punkten nicht schlüssig ist und die Mängel auch nicht durch die Erklärungen der Gutachterin in der mündlichen Verhandlung ausgeräumt werden konnten. So hat sich die Gutachterin als Beleg dafür, dass der Kläger nunmehr andere Ziele im Leben verfolge, auf seine enge Beziehung zu einer türkischstämmigen Frau bezogen, mit der er sich verloben wolle. Tatsächlich hatte er zum Zeitpunkt der Begutachtung schon Kontakt zu seiner heutigen Ehefrau aufgenommen, was er der Gutachterin verschwiegen hatte. Ferner hatte der Kläger gegenüber der Gutachterin angegeben, zu seinen früheren Freunden keinen Kontakt mehr zu haben. Tatsächlich war aber sein langjähriger Freund M., der ebenfalls der Drogenbande angehörte, Trauzeuge bei der Heirat nach islamischem Ritus mit seiner heutigen Ehefrau, und zwar wenige Monate nach der Begutachtung. Ferner ist die Gutachterin davon ausgegangen, dass der Kläger mit Marihuana im Kilogrammbereich gehandelt habe, während sich das Volumen des Handels mit diesem Betäubungsmittel auf 2 Tonnen bezog und dazu noch der Handel mit mindestens 5 kg Kokain und mit Ecstasy-Tabletten kam. Schließlich hatte die Gutachterin die hohe verbliebene Schuldenbelastung des Klägers von mehr als 800 000 € nicht berücksichtigt. Die Einschätzung, dass die Inhaftierung beim Kläger offenkundig zu einem Gesinnungswandel geführt habe, hatte die Gutachterin nach einer lediglich eineinhalbstündigen Exploration gewonnen, während das Berufungsgericht aufgrund seiner mehrstündigen Verhandlung, in der auch der Kläger eingehend angehört und befragt wurde, zu dem gegenteiligen Ergebnis kam.

23

Das Berufungsgericht war bei seiner Gefahrenprognose nicht an die Einschätzung der Strafvollstreckungskammer bei deren Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung gebunden. Zwar sind die Entscheidungen der Strafgerichte nach § 57 StGB von tatsächlichem Gewicht und stellen bei der Prognose ein wesentliches Indiz dar. Eine Bindungswirkung geht von den strafvollstreckungsrechtlichen Entscheidungen jedoch nicht aus. Die sich nach Unionsrecht bestimmende Prognose, ob der Ausländer eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellt, bestimmt sich nämlich nicht nach strafrechtlichen Gesichtspunkten, auch nicht nach dem Gedanken der Resozialisierung. Vielmehr haben die zuständigen Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte eine eigenständige Prognose über die Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. Urteile vom 28. Januar 1997 - BVerwG 1 C 17.94 - Buchholz 402.240 § 48 AuslG 1990 Nr. 10 = NVwZ 1997, 1119<1120> und vom 16. November 2000 - BVerwG 9 C 6.00 - BVerwGE 112, 185 <193> = Buchholz 402.240 § 51 AuslG Nr. 40; Discher, in: GK-AufenthG, Stand: Juni 2009, vor §§ 53 ff. Rn. 1241 ff.). Dabei haben sie auch sonstige, den Strafgerichten möglicherweise nicht bekannte oder von ihnen nicht beachtete Umstände des Einzelfalles heranzuziehen. Sie können deshalb sowohl aufgrund einer anderen Tatsachengrundlage als auch aufgrund einer anderen Würdigung zu einer abweichenden Prognoseentscheidung gelangen. Im vorliegenden Fall erscheint ein Abweichen des Berufungsgerichts von der positiven Sozialprognose der Strafvollstreckungskammer schon deshalb nachvollziehbar, weil die strafrichterliche Entscheidung auf einem als mangelhaft bewerteten kriminalprognostischen Gutachten beruhte und sich das Berufungsgericht zudem auf neuere Erkenntnisse aus der Zeit nach Haftentlassung (z.B. erneuter Kontakt zu einem Mitglied der früheren Drogenbande) und insbesondere auf eine aktuelle ausführliche Befragung des Klägers, der Gutachterin und des ermittelnden Polizeibeamten stützen konnte. Damit ergibt sich aus den Feststellungen des Berufungsgerichts, dass das persönliche Verhalten des Klägers gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland im Sinne von Art. 14 ARB 1/80 darstellt. Dem steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht seine Gefahrenprognose im Rahmen der Prüfung von § 53 AufenthG getroffen hat. Denn die getroffenen Feststellungen und deren tatrichterliche Würdigung ermöglichen dem Revisionsgericht die rechtliche Beurteilung, dass die Gefahrenschwelle des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 überschritten ist.

24

1.4 Die Ausweisung des Klägers erweist sich auch unter Würdigung seiner schützenswerten Belange als unerlässlich, um das oben näher beschriebene Grundinteresse der Gesellschaft zu wahren (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 86). Das Berufungsgericht hat die schützenswerten Belange des Klägers, die sich auf sein Privat- und Familienleben beziehen, unter Zugrundelegung der in der Rechtsprechung des EGMR entwickelten Kriterien umfassend gewürdigt (vgl. Urteile vom 2. August 2001 - Nr. 54273/00, Boultif/Schweiz - InfAuslR 2001, 476 und vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279). Es hat in den Blick genommen, dass der Kläger in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, die deutsche Sprache beherrscht und seine gesamte Erziehung und Sozialisation in Deutschland erfahren hat. Das Gericht hat auch die familiären Bindungen des Klägers an seine in Deutschland lebende Mutter und seine Geschwister sowie deren Familien berücksichtigt. Die zunächst erfolgreiche Integration in den deutschen Arbeitsmarkt hat der Kläger allerdings von sich aus gelöst, indem er sich nur noch im illegalen Drogenhandel betätigte. Zugleich hat das Berufungsgericht die in der Haftzeit begonnene und zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bereits weit fortgeschrittene berufliche Weiterbildung des Klägers zum Mediengestalter positiv gewürdigt. In die Verhältnismäßigkeitsprüfung hat das Gericht auch die Tatsache einbezogen, dass der Kläger nunmehr in einer Lebensgemeinschaft mit Frau D. und deren minderjährigen Kindern lebt, die Eheschließung mit Frau D. anstrebt und mit ihr einen Kinderwunsch verwirklichen möchte. Die Ausweisung des Klägers ist aber auch unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls aufgrund der besonderen Schwere des Ausweisungsanlasses und der nach wie vor von ihm ausgehenden Gefahr sowie der Zumutbarkeit der Verweisung auf ein Leben in der Türkei verhältnismäßig; sie ist im Hinblick auf die Vorgaben des Unionsrechts und der EMRK nicht zu beanstanden.

25

Entgegen der Auffassung des Klägers kann die Tatsache, dass der Kläger im Verlauf des Revisionsverfahrens standesamtlich geheiratet hat, seine Ehefrau und deren Kinder deutsche Staatsangehörige geworden sind und der Kläger Vater eines eigenen Kindes mit deutscher Staatsangehörigkeit geworden ist, der Entscheidung des Senats nicht zugrunde gelegt werden. Das Bundesverwaltungsgericht ist - abgesehen von Fällen begründeter Verfahrensrügen - entsprechend seiner vornehmlich auf die Rechtsprüfung beschränkten Aufgabenstellung nach § 137 Abs. 2 VwGO an die vom Berufungsgericht in der angefochtenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Diese das Rechtsmittel der Revision kennzeichnende Beschränkung führt dazu, dass das Revisionsgericht - im Gegensatz zum Berufungsgericht (§ 128 VwGO) - neu vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel nicht berücksichtigt. Die in § 137 Abs. 2 VwGO enthaltene revisionsrechtliche Sperre für die Berücksichtigung neuer tatsächlicher Umstände wird nicht dadurch überwunden, dass Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 für die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen das Vorliegen einer gegenwärtigen, d.h. aktuellen Gefahr verlangt (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 80, 82 und insbesondere Rn. 84). Damit wird der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sachlage angesprochen, der infolge der der Verwaltungsgerichtsordnung zu entnehmenden Trennung zwischen Tatsacheninstanzen und Revisionsinstanz nur für Entscheidungen der Tatsachengerichte maßgeblich ist. Denn nur ihnen obliegt gemäß § 86 Abs. 1 §§ 108 und 128 VwGO die Erforschung des Sachverhalts und die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen im Wege freier richterlicher Beweiswürdigung. Diese Trennung der Funktionen von Tatsachen- und Revisionsinstanz wird durch das Unionsrecht nicht modifiziert, da es nach gefestigter Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich Aufgabe des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten ist, das gerichtliche Verfahrensrecht auch insoweit zu regeln, als es den Schutz von aus dem Unionsrecht erwachsenden individuellen Rechten gewährleisten soll (vgl. hierzu im Einzelnen: Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - zur Aufnahme in die Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen - Rn. 19). Die Eröffnung der auf eine reine Rechtskontrolle beschränkten dritten Instanz widerspricht auch nicht dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf aus Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) und Art. 13 EMRK. Denn der dort niedergelegte Grundsatz effektiven gerichtlichen Rechtschutzes eröffnet dem Einzelnen den Zugang zu einem Gericht und nicht zu mehreren Gerichtsinstanzen (EuGH, Urteil vom 28. Juli 2011 - Rs. C-69/10, Samba Diouf - NVwZ 2011, 1380 Rn. 69; EGMR, Urteil vom 17. Januar 1970 - Nr. 2689/65, Delcourt - EGMR-E 1, 100 Rn. 25). Er verlangt nicht, dass ein nach dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaats eröffnetes Rechtsmittel wie die Revision eine Überprüfung der Tatsachen auf aktuellem Sachstand ermöglicht. Vielmehr hängt die Anwendung der Garantie eines effektiven Rechtsschutzes von den ersichtlichen Besonderheiten des jeweiligen Verfahrens - hier des Revisionsverfahrens - ab (vgl. EGMR, Urteil vom 17. Januar 1970 a.a.O. Rn. 26). Soweit der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bei der Überprüfung von Ausweisungsentscheidungen Tatsachen berücksichtigt, die nach der abschließenden nationalen Entscheidung eingetreten sind, ergibt sich daraus keine entsprechende Verpflichtung für die nationalen Gerichte in einem Revisionsverfahren (vgl. Urteil vom 13. Oktober 2011 - Nr. 41548/06, Trabelsi/Deutschland - EUGRZ 2012, 11 Rn. 60 f.). Nach nationalem Recht verbleibt die Möglichkeit, nach der Berufungsentscheidung eingetretene Umstände zugunsten des Ausländers zu berücksichtigen, indem dieser eine Verkürzung der Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 Satz 3 - 5 AufenthG beantragt (dazu unter 2.).

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1.5 Besitzt der Kläger ein assoziationsrechtlich begründetes Aufenthaltsrecht, darf er nur auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung ausgewiesen werden. Bei deren gerichtlicher Überprüfung ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen (EuGH, Urteil vom Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 84; so bereits BVerwG, Urteil vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <320 f.>). Die Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde über den Erlass einer Ausweisung erfordert eine sachgerechte Abwägung der öffentlichen Interessen an der Ausreise mit den privaten Interessen an einem weiteren Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet. Zugunsten des Ausländers sind die Dauer seines rechtmäßigen Aufenthalts und seine schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet zu berücksichtigen. Außerdem sind die Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen des Ausländers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben, in die Abwägung einzustellen (§ 55 Abs. 3 AufenthG). Die von Art. 2 Abs. 1 GG sowie Art. 6 Abs. 1 und 2 GG und Art. 8 EMRK geschützten Belange auf Achtung des Privat- und Familienlebens sind dabei entsprechend ihrem Gewicht und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in der Gesamtabwägung zu berücksichtigen. Das gilt insbesondere bei im Bundesgebiet geborenen und aufgewachsenen Ausländern, zumal wenn sie über keine Bindungen an das Land ihrer Staatsangehörigkeit verfügen (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 20).

27

Mit Blick auf diese Vorgaben ist die Ermessensausübung des Beklagten im Ausweisungsbescheid vom 4. Oktober 2006 nicht zu beanstanden. Der Beklagte geht von einem aus dem Assoziationsrecht abgeleiteten Aufenthaltsrecht des Klägers nach Art. 7 ARB 1/80 aus und misst die Rechtmäßigkeit der Ausweisung am Maßstab des Art. 14 ARB 1/80. Er erkennt die Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung und beachtet deren gesetzliche Grenzen. In die Ermessensentscheidung sind alle relevanten Gesichtspunkte eingestellt worden. Die erfolgte Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Abwehr der vom Kläger ausgehenden konkreten Gefahr für die hochrangigen Rechtsgüter Leben und Gesundheit im Fall der Fortsetzung des illegalen Drogenhandels gegen das Interesse des Klägers an einem Verbleib in Deutschland ist rechtlich nicht zu beanstanden. Bei der Begründung des öffentlichen Interesses stützt sich der Beklagte ausschließlich auf Gefahren, die vom Kläger selbst ausgehen und nicht auf generalpräventive Gründe. Ausführungen, die der Beklagte schriftsätzlich im Berufungsverfahren zu Fragen der Generalprävention gemacht hat, sind nicht Bestandteil der behördlichen Ermessensentscheidung geworden. Denn für eine Ergänzung von Ermessensentscheidungen gelten nach der Rechtsprechung des Senats strenge Maßstäbe an Form und Handhabung, damit der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird (vgl. Urteil vom 13. Dezember 2011 - BVerwG 1 C 14.10 - BVerwGE 141, 253 Rn. 18). Diese sind hier nicht erfüllt. Denn der Beklagte hat in seinen Schriftsätzen vom 12. Januar 2011, 16. März 2011 und 7. April 2011 jedenfalls nicht hinreichend deutlich getrennt zwischen neuen Begründungselementen, die den Inhalt seiner Entscheidung betreffen, und Ausführungen, mit denen er lediglich als Prozesspartei seine Entscheidung verteidigt. Etwaige Zweifel und Unklarheiten über Inhalt und Umfang nachträglicher Ergänzungen gehen aber zulasten der Behörde (vgl. Urteil vom 13. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 18). Die behördliche Entscheidung verstößt auch nicht gegen das Gebot der Aktualität der Ermessenserwägungen. Denn der Beklagte hat ausweislich seines Schriftsatzes vom 7. April 2011 die neue Entwicklung in den persönlichen Verhältnissen des Klägers erkannt und gewürdigt, insbesondere seine Haftentlassung, seine Heirat von Frau D. nach islamischem Ritus und die Betreuungsbedürftigkeit seiner Mutter. Er hat dies aber nicht zum Anlass für eine Ergänzung seiner Ermessensentscheidung genommen. Das ist rechtlich nicht zu beanstanden, da die Änderungen in dem vorliegenden Fall (noch) kein solches Gewicht hatten, dass sie angesichts der Größe der vom Kläger weiterhin ausgehenden Gefahr einen Anlass für eine Ermessensergänzung gaben. Anders hätte sich die Lage dargestellt, wenn der Kläger im April 2011 bereits mit einer Deutschen verheiratet gewesen und mit ihr ein deutsches Kind gehabt hätte, wie das heute der Fall ist. Dann hätte die Änderung der persönlichen Verhältnisse des Klägers eine Qualität erreicht, die eine Ergänzung der Ermessensentscheidung erfordert hätte, ohne dass deshalb von einer Ausweisung hätte abgesehen werden müssen.

28

1.6 Die weiteren Rügen der Revision sind unbegründet; insbesondere ist das Ausweisungsverfahren fehlerfrei durchgeführt worden. Zwar war das in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG enthaltene "Vier-Augen-Prinzip" auf assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige zu übertragen (Urteil vom 13. September 2005 - BVerwG 1 C 7.04 - BVerwGE 124, 217 <221 f.> im Anschluss an EuGH, Urteil vom 2. Juni 2005 - Rs. C-136/03, Dörr und Ünal - Slg. 2005, I-4759 = NVwZ 2006, 72). In dem hier vorliegenden Fall hat der Beklagte den angefochtenen Bescheid aber am 4. Oktober 2006 und damit erst nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG zum 30. April 2006 (Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG) erlassen. Zu diesem Zeitpunkt galt Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG nicht mehr.

29

Es kann offenbleiben, ob sich für assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige die unionsrechtlichen Anforderungen an den Rechtsschutz gegen Ausweisungsentscheidungen nunmehr nach Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109/EG (betreffend langfristig Aufenthaltsberechtigte) oder nach Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG (betreffend Unionsbürger) bestimmen. Denn in keiner dieser Vorschriften ist die Beteiligung einer unabhängigen Stelle im Ausweisungsverfahren zur Prüfung der Zweckmäßigkeit der Maßnahme vorgeschrieben. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 8. Dezember 2011 für die Auslegung von Art. 14 ARB 1/80 als neuen unionsrechtlichen Bezugsrahmen Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG herangezogen (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 74 und 78 f.). Nach Absatz 4 dieser Vorschrift steht langfristig Aufenthaltsberechtigten zur Überprüfung einer Ausweisung der Rechtsweg offen. Noch nicht ausdrücklich entschieden wurde, ob die maßgebliche Vorschrift der Richtlinie 2004/38/EG für den Rechtsschutz gegen Ausweisungsentscheidungen (Art. 31) auf assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige entsprechend angewendet werden kann. Selbst wenn das geboten wäre, ergäbe sich daraus nicht die Verpflichtung zur Beteiligung einer unabhängigen Stelle, denn Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG sieht eine solche Beteiligung nicht vor. Vielmehr bestimmt Art. 31 Abs. 1, dass gegen Ausweisungsentscheidungen ein Rechtsbehelf eingelegt werden kann. Im Rechtsbehelfsverfahren sind gemäß Art. 31 Abs. 3 die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, zu überprüfen. Das Rechtsbehelfsverfahren gewährleistet, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf den in Art. 28 geregelten Schutz vor Ausweisung nicht unverhältnismäßig ist (Art. 31 Abs. 3 Satz 2). Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG kompensiert den Wegfall der Beteiligung einer unabhängigen Stelle im Verwaltungsverfahren, wie sie noch in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG vorgeschrieben war, durch einen erhöhten Rechtsschutz im gerichtlichen Verfahren. Die angefochtene Entscheidung unterliegt nunmehr nicht nur einer Rechtskontrolle, sondern das Gericht hat auch die der Entscheidung zugrunde liegenden Tatsachen zu überprüfen.

30

Nicht gefolgt werden kann der Auffassung, Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG sehe weiter die Beteiligung einer unabhängigen Stelle vor, was sich zum einen daraus ergebe, dass der Rechtsbehelf nach Art. 31 Abs. 1 "gegebenenfalls" auch bei einer Behörde eingelegt werden könne und sich die Überprüfung im Rechtsbehelfsverfahren gemäß Art. 31 Abs. 3 nicht nur auf Tatsachen, sondern auch auf "Umstände" zu beziehen habe. Denn der Verweis in Art. 31 Abs. 1 auf die Möglichkeit, einen Rechtsbehelf gegebenenfalls bei einer Behörde einzulegen (englische Fassung: "where appropriate"), bezieht sich erkennbar auf die Fälle, in denen das nationale Recht das so vorsieht, etwa wenn der gerichtlichen Überprüfung noch ein behördliches Widerspruchsverfahren vorgeschaltet ist. Eine unionsrechtliche Verpflichtung zur Beteiligung einer zweiten Stelle im Verwaltungsverfahren ergibt sich daraus jedoch nicht. Entsprechendes gilt für die in Art. 31 Abs. 3 vorgeschriebene Überprüfung der Tatsachen und Umstände, auf denen die Entscheidung beruht. Aus dem Begriff der "Umstände" (englische Fassung: "circumstances") lässt sich eine Zweckmäßigkeitsprüfung - wie sie in Deutschland einer Behörde vorbehalten wäre - nicht ableiten. Die Formulierung ist vielmehr im Zusammenhang mit Art. 31 Abs. 3 Satz 2 zu sehen, der die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Entscheidung im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Art. 28 vorschreibt. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung sind alle "Umstände" zu berücksichtigen, die Art. 28 bezeichnet.

31

Bereits in seinem Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - hat der Senat ausgeführt (juris Rn. 23), dass assoziationsrechtlich privilegierte türkische Staatsangehörige nach der Rechtsprechung des EuGH keine bessere verfahrensrechtliche Rechtsstellung beanspruchen können als Unionsbürger. Für Unionsbürger wurde die behördliche Kontrolle von Ausweisungsentscheidungen nach dem "Vier-Augen-Prinzip", wie sie Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG vorsah, abgeschafft. Dann steht aber auch den Inhabern eines aus dem ARB 1/80 abgeleiteten Aufenthaltsrechts kein solcher erweiterter behördlicher Rechtsschutz mehr zu.

32

Demgegenüber beruft sich der Kläger auf die Stillhalteklauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (BGBl 1972 II S. 385) - ZP. Gemäß Art. 13 ARB 1/80 dürfen die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Gemäß Art. 41 Abs. 1 ZP werden die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen. Aus diesen Stand-Still-Klauseln ergibt sich nach Auffassung des Klägers, dass Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG bei der Ausweisung assoziationsrechtlich privilegierter türkischer Staatsangehöriger weiterhin anzuwenden sei. Dem folgt der Senat nicht.

33

Wie bereits im Urteil vom 10. Juli 2012 ausgeführt (a.a.O. Rn. 25), spricht gegen die Auffassung des Klägers bereits die Tatsache, dass Art. 13 ARB 1/80 seinem Wortlaut nach nur die Mitgliedstaaten, nicht aber die Europäische Union verpflichtet. Art. 41 Abs. 1 ZP betrifft sachlich nur Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs, nicht aber die der Arbeitnehmerfreizügigkeit zuzurechnende aufenthaltsrechtliche Stellung aus Art. 7 ARB 1/80. Des Weiteren erscheint fraglich, ob die auf den Zugang zum Arbeits- bzw. Binnenmarkt zugeschnittenen Stand-Still-Klauseln überhaupt Verfahrensregelungen bei der Aufenthaltsbeendigung erfassen (vgl. Urteil vom 30. April 2009 - BVerwG 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 20 zu den gesetzlichen Erlöschenstatbeständen für Aufenthaltstitel) und ob die Aufhebung des "Vier-Augen-Prinzips" mit Blick auf die gerichtliche Überprüfbarkeit nach Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109/EG oder Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG eine Verschlechterung der Rechtsposition darstellt. Das kann aber dahinstehen, da die weitere Anwendung des Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG auf assoziationsrechtlich privilegierte türkische Staatsangehörige selbst bei Annahme einer rechtserheblichen Verschlechterung gegen Art. 59 ZP verstoßen würde. Nach dieser Vorschrift darf der Türkei in den von diesem Protokoll erfassten Bereichen keine günstigere Behandlung gewährt werden als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander aufgrund des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft einräumen. Das wäre aber bei weiterer Anwendung des "Vier-Augen-Prinzips" im Vergleich zu den Verfahrensrechten von Unionsbürgern aus Art. 31 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2004/38/EG - wie oben dargelegt - der Fall.

34

Ohne Erfolg rügt der Kläger einen nationalen Verstoß gegen die Stillhalteklausel in Art. 13 ARB 1/80 durch das Entfallen des Widerspruchsverfahrens für Ausweisungsentscheidungen in Baden-Württemberg seit 1. Juli 1999. Zum einen stellte die Durchführung des Widerspruchsverfahrens nach §§ 68 ff. VwGO keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Ausweisung dar, sondern - anders als Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG - lediglich eine Prozessvoraussetzung für die Erhebung einer Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht. Zum anderen betrifft der Wegfall des Widerspruchsverfahrens türkische Assoziationsberechtigte und Unionsbürger in gleicher Weise. Nach der Rechtsprechung des EuGH steht der Erlass oder Wegfall von Regelungen, die - wie hier - in gleicher Weise auf türkische Staatsangehörige und auf Gemeinschaftsangehörige Anwendung finden, nicht im Widerspruch zu den Stillhalteklauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 ZP (vgl. Urteile vom 19. Februar 2009 - Rs. C-228/06, Soysal u.a. - InfAuslR 2009, 135 Rn. 61 zu Art. 41 ZP und vom 17. September 2009 - Rs. C-242/06, Sahin - Rn. 67 zu Art. 13 ARB 1/80). Demzufolge kann die generelle Abschaffung des Widerspruchsverfahrens in Baden-Württemberg nicht gegen Art. 13 ARB 1/80 verstoßen, da sie auch in Fällen der Verlustfeststellung des Rechts auf Einreise und Aufenthalt von Unionsbürgern (§ 6 FreizügG/EU) gilt. Im Übrigen wäre die Aufrechterhaltung des Widerspruchsverfahrens nur für türkische Staatsangehörige nicht mit dem Besserstellungsverbot des Art. 59 ZP vereinbar.

35

2. Auf den Hilfsantrag des Klägers, mit dem dieser die Befristung der Wirkungen der Ausweisung mit sofortiger Wirkung begehrt, ist die Beklagte zu verpflichten, die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von neun Jahren zu befristen. Im Übrigen ist der Antrag unbegründet.

36

2.1 Der erst in der Revisionsinstanz gestellte Hilfsantrag ist zulässig. Das Verbot der Klageänderung im Revisionsverfahren in § 142 VwGO steht dem nicht entgegen. Während des Revisionsverfahrens ist § 11 AufenthG durch das Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 in der Weise geändert worden, dass der Kläger nunmehr einen Anspruch auf gleichzeitige Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung hat (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 28). Dieser Änderung des materiellen Rechts trägt der gestellte Hilfsantrag Rechnung.

37

2.2 Der Hilfsantrag ist nur in geringem Umfang begründet. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG n.F. darf ein Ausländer, der ausgewiesen worden ist, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Ihm wird nach Satz 2 der Vorschrift auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz kein Aufenthaltstitel erteilt. Satz 3 der Vorschrift ordnet an, dass diese kraft Gesetzes eintretenden Wirkungen auf Antrag befristet werden. Die Frist ist gemäß Satz 4 unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Bei Bemessung der Länge der Frist wird berücksichtigt, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist (Satz 5). Die Frist beginnt nach Satz 6 mit der Ausreise. Nach Satz 7 erfolgt keine Befristung, wenn ein Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder aufgrund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG aus dem Bundesgebiet abgeschoben wurde.

38

2.2.1 Seit Inkrafttreten des § 11 AufenthG in der Neufassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 haben Ausländer grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde mit einer Ausweisung zugleich das daran geknüpfte gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie die Titelerteilungssperre befristet. Das hat der Senat mit Urteil vom 10. Juli 2012 entschieden (a.a.O. Rn. 30 ff.). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest; zur Begründung wird auf das vorgenannte Urteil verwiesen. Fehlt die notwendige Befristung der Wirkungen der Ausweisung, hat das aber auch nach Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht zur Folge, dass die - als solche rechtmäßige - Ausweisung aufzuheben ist. Vielmehr kann der Ausländer zugleich mit Anfechtung der Ausweisung seinen Anspruch auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gerichtlich durchsetzen (Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 39 f.). Damit wird dem sich aus dem materiellen Recht ergebenden Anspruch des Betroffenen auf gleichzeitige Entscheidung über die Ausweisung und die Befristung ihrer Wirkungen Rechnung getragen und die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung im Ergebnis gewährleistet. Prozessual wird dieses Ergebnis dadurch sichergestellt, dass in der Anfechtung der Ausweisung zugleich - als minus - für den Fall der Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ein (Hilfs-)Antrag auf Verpflichtung der Ausländerbehörde zu einer angemessenen Befristung ihrer Wirkungen gesehen wird, sofern eine solche nicht bereits von der Ausländerbehörde verfügt worden ist. Daher ist im Fall der gerichtlichen Bestätigung der Ausweisung auf den Hilfsantrag zugleich eine Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung zu treffen.

39

2.2.2 Der Senat hält im vorliegenden Fall - bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts und auf der Grundlage von dessen tatsächlichen Feststellungen - eine Frist von neun Jahren für angemessen.

40

Die allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzende Frist ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (zu der zuletzt genannten Voraussetzung vgl. Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG). Bei der Bemessung der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Zunächst bedarf es der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Selbst wenn die Voraussetzungen für ein Überschreiten der zeitlichen Grenze von fünf Jahren gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG vorliegen, geht der Senat davon aus, dass in der Regel ein Zeitraum von maximal zehn Jahren den Zeithorizont darstellt, für den eine Prognose realistischerweise noch gestellt werden kann. Weiter in die Zukunft lässt sich die Persönlichkeitsentwicklung - insbesondere jüngerer Menschen - kaum abschätzen, ohne spekulativ zu werden. Leitet sich diese regelmäßige Höchstdauer für die Befristung von zehn Jahren aus dem Umstand ab, dass mit zunehmender Zeit die Fähigkeit zur Vorhersage zukünftiger persönlicher Entwicklungen abnimmt, bedeutet ihr Ablauf nicht, dass bei einem Fortbestehen des Ausweisungsgrundes oder der Verwirklichung neuer Ausweisungsgründe eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden müsste (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG).

41

Die auf diese Weise ermittelte Frist muss sich aber an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie den Vorgaben aus Art. 7 GRCh, Art. 8 EMRK, messen lassen und ist daher gegebenenfalls in einem zweiten Schritt zu relativieren. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Verwaltungsgerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen sowie gegebenenfalls seiner engeren Familienangehörigen zu begrenzen (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 42 m.w.N.). Dabei sind insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen. Die Abwägung ist nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles im Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorzunehmen bzw. von den Verwaltungsgerichten zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. Entscheidung des Gerichts vollumfänglich zu überprüfen oder bei fehlender behördlicher Befristungsentscheidung - wie hier - durch eine eigene Abwägung als Grundlage des Verpflichtungsausspruchs zu ersetzen.

42

Die in § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG genannte Höchstfrist von fünf Jahren ist im vorliegenden Fall ohne Bedeutung, da von dem Kläger - im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts - eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht; das ergibt sich aus den Ausführungen zu den Ausweisungsvoraussetzungen. Bei der Bemessung der Frist hatte der Senat in einem ersten Schritt zu berücksichtigen, dass beim Kläger die Gefahr der Wiederholung schwerwiegender Drogenstraftaten besteht. Trotz seiner erfolgreichen Fortbildungsanstrengungen im Strafvollzug und in den Folgemonaten sowie erster Ansätze für eine erfolgreiche Integrationsprognose wäre wegen des Gewichts der gefährdeten Rechtsgüter und der vom Berufungsgericht festgestellten hohen Wiederholungsgefahr unter Berücksichtigung der fortbestehenden Verbindungen des Klägers zu einzelnen Mitgliedern seiner früheren Drogenbande sowie seines Alters eine Befristung für einen Zeitraum von zehn Jahren erforderlich, um dem hohen Gefahrenpotential in seiner Person Rechnung zu tragen. Diese Frist hat der Senat um ein Jahr reduziert und damit den persönlichen Bindungen des Klägers an Deutschland als Land, in dem er geboren und aufgewachsen ist und in dem seine Familie lebt, Rechnung zu tragen. Zu den vom Senat berücksichtigten Bindungen zählen auch die an Frau D. und deren minderjährige Kinder, wobei die Lebensgemeinschaft allerdings zum maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsentscheidung erst wenige Monate bestand und in Kenntnis der ergangenen Ausweisungsverfügung eingegangen worden war.

43

Der Senat hat bereits in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Verkürzung der Frist stellen kann. Bei der Bescheidung dieses Antrags sind von der Beklagten dann die Änderungen in den persönlichen Verhältnissen des Klägers zu berücksichtigen, die seit dem Berufungsurteil vom April 2011 eingetreten sind, insbesondere seine standesamtliche Eheschließung mit Frau D., die mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit hat, sowie die Geburt einer gemeinsamen Tochter, die ebenfalls deutsche Staatsbürgerin ist. Weiter wird die Beklagte im Fall eines Verkürzungsantrags des Klägers zu prüfen haben, ob auch solche neuen Tatsachen vorliegen, aus denen sich eine Verminderung der Wiederholungsgefahr ableiten lässt.

44

3. Die Frage, ob die Ausweisung und die Befristung ihrer Wirkungen an den Bestimmungen der Rückführungsrichtlinie zu messen sind, kann im vorliegenden Fall offenbleiben (vgl. dazu Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 45). Denn selbst wenn man die intertemporale Geltung und die sachliche Anwendbarkeit der Rückführungsrichtlinie auf die (Wirkungen der) Ausweisung unterstellt, verhilft das der Revision im vorliegenden Fall nicht in weitergehendem Umfang zum Erfolg. Da der Kläger mit seinem Hilfsantrag die gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. gebotene Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung zusammen mit deren gerichtlicher Prüfung durchsetzen kann, wird den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie im Ergebnis Genüge getan. In dem hier vorliegenden Fall konnte die Dauer des Einreiseverbots auch die Regelfrist von fünf Jahren überschreiten, da der Kläger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung im Sinne des Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG darstellt.

Tatbestand

1

Der im Jahr 1974 in Deutschland geborene Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine Ausweisung.

2

Der Kläger wuchs bei seinen Eltern im Bundesgebiet auf. Er besuchte zunächst eine Förderschule und im Anschluss daran das Berufsgrundschuljahr, das er ohne Abschluss beendete. Eine Berufsausbildung absolvierte er nicht. Er arbeitete jeweils nur für kurze Zeiträume, war überwiegend arbeitslos. Ihm wurden mehrere befristete Aufenthaltserlaubnisse erteilt, zuletzt bis zum 20. Oktober 1999. Sein Verlängerungsantrag vom 12. Oktober 1999 wurde nicht mehr beschieden.

3

Der unverheiratete und kinderlose Kläger ist drogenabhängig. Er konsumierte nach eigenen Angaben seit seinem dreizehnten Lebensjahr zunächst Haschisch und seit seinem sechzehnten Lebensjahr Heroin. Seit mehr als 20 Jahren ist er immer wieder straffällig geworden, überwiegend wegen Drogen- und Eigentumsdelikten. Er verbrachte viele Jahre in Strafhaft und begann mehrfach Drogentherapien, allerdings ohne Erfolg. Im Juni 2007 wurde er zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt, u.a. wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wofür eine Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und einem Monat verhängt wurde.

4

Die Beklagte wies den Kläger mit Bescheid vom 16. September 2008 aus und drohte ihm die Abschiebung in die Türkei an. Über die Ausweisung des Klägers sei nach Ermessen zu entscheiden, weil er als Kind türkischer Arbeitnehmer ein aus dem Assoziationsratsbeschluss ARB 1/80 abgeleitetes Aufenthaltsrecht besitze. Zudem genieße er aufgrund seiner Geburt in Deutschland besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Sein in den begangenen Straftaten zum Ausdruck gekommenes Verhalten stelle eine hinreichend schwere Gefährdung dar. Er sei in der Vergangenheit mehrfach straffällig geworden und habe sich dabei weder durch strafrechtliche Verurteilungen noch durch ausländerbehördliche Ermahnungen und Hinweise auf die Konsequenzen erneuten strafbaren Verhaltens von der Verübung weiterer Taten abhalten lassen. Zudem habe er in den letzten Jahren keine ernsthaften Bemühungen unternommen, um von seinem Drogenkonsum loszukommen.

5

Das Verwaltungsgericht hat die gegen den Ausweisungsbescheid gerichtete Klage abgewiesen, das Oberverwaltungsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung mit Urteil vom 22. März 2012 zurückgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hält die Ausweisung auch ohne Durchführung eines Widerspruchsverfahrens für formell rechtmäßig, weil trotz der Rechtsstellung des Klägers nach Art. 7 Satz 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80 die Richtlinie 64/221/EWG auf ihn nicht mehr anwendbar sei. Wegen der fortbestehenden Gefahr der Betäubungsmittelkriminalität des Klägers sei die Ausweisung auch materiell rechtmäßig nach § 55 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80. Der Kläger habe neben dem Besitz sog. harter Drogen auch mit Heroin gehandelt, um seinen eigenen Drogenbedarf zu finanzieren. Von ihm gehe die Gefahr weiterer erheblicher Straftaten aus. Er habe seit nunmehr über 22 Jahren immer wieder Straftaten begangen und sich davon durch Ermahnungen, Verurteilungen, Strafhaft und Anhörungen zur drohenden Ausweisung nicht abhalten lassen. Die Ermessensentscheidung der Beklagten sei auch unter Berücksichtigung der Tatsache nicht zu beanstanden, dass der Kläger sein ganzes Leben in Deutschland verbracht habe und hier seine Mutter und seine erwachsenen Geschwister lebten. Die Ausweisung sei trotz Fehlens einer Befristung mit Art. 11 der Richtlinie 2008/115/EG vereinbar.

6

Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger weiterhin die Aufhebung der Ausweisung. Hilfsweise erstrebt er die Befristung ihrer Wirkungen auf maximal vier Jahre. Er begründet dies im Wesentlichen damit, die Ausweisung sei formell rechtswidrig, weil kein Widerspruchsverfahren durchgeführt worden sei. Das verstoße gegen Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG. Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 8. Dezember 2011 in der Sache Ziebell stehe dem nicht entgegen, denn es beziehe sich nur auf die materiellen Voraussetzungen der Ausweisung. Der Wegfall des Widerspruchsverfahrens verstoße zudem gegen die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80. Die Fortgeltung der Verfahrensgarantien für türkische Staatsangehörige, die eine geschützte Rechtsstellung nach dem Assoziationsrecht besitzen, verstoße nicht gegen das Besserstellungsverbot des Art. 59 des Zusatzprotokolls zum Assoziationsabkommen vom 12. September 1963, denn freizügigkeitsberechtigte EU-Staatsangehörige hätten einen höheren materiellen Ausweisungsschutz. Das angefochtene Urteil verletze Bundesrecht auch deshalb, weil es eine unbefristete Ausweisung bestätige. Das verstoße gegen § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG und gegen Art. 11 der Richtlinie 2008/115/EG. Der deutsche Gesetzgeber habe nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Ausländer, die aufgrund einer strafgerichtlichen Verurteilung ausgewiesen werden, grundsätzlich von der in der Richtlinie vorgegebenen Höchstfrist von fünf Jahren für die zu verhängende Einreisesperre auszunehmen.

7

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Im Verlauf des Revisionsverfahrens hat sie mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2012 die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf einen Zeitraum von sieben Jahren, beginnend mit der Ausreise oder Abschiebung des Klägers, befristet. Der Kläger ist dem entgegengetreten und hält allenfalls eine Befristung von maximal vier Jahren für zulässig.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat ohne Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) die Ausweisung (1.) und die Abschiebungsandrohung (3.) als rechtmäßig angesehen. Der Kläger hat auch keinen Anspruch darauf, die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf einen Zeitraum von weniger als sieben Jahren zu befristen (2.).

9

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung und der vom Kläger hilfsweise begehrten Befristung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (stRspr, vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 12 m.w.N.). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O.). Maßgeblich sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 86). Hierdurch hat sich die Rechtslage hinsichtlich der hier maßgeblichen Bestimmungen aber nicht geändert.

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1. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 55 Abs. 1, § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation - ARB 1/80.

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1.1 Der Kläger besitzt eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80. Er ist nach den Feststellungen der Vorinstanzen im Bundesgebiet bei seinen Eltern aufgewachsen, sein Vater war mindestens von 1969 bis 1990 türkischer Arbeitnehmer. Demzufolge kann der Kläger gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2012, 422). Das ist hier der Fall. Damit liegen auch schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG vor.

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1.2 Der Kläger begeht seit vielen Jahren regelmäßig Drogenstraftaten, die ihre Ursache in seiner Drogenabhängigkeit haben. Dazu zählen nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts neben Straftaten des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln auch solche des unerlaubten Handeltreibens mit Heroin (in zwei Fällen) und der unerlaubten Abgabe von Heroin (in einem Fall). Die Gefahren, die vom illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, sind schwerwiegend und berühren ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die betroffenen Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit der Bürger nehmen in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen hohen Rang ein. Der Gerichtshof der Europäischen Union sieht in der Rauschgiftsucht ein "großes Übel für den Einzelnen und eine soziale und wirtschaftliche Gefahr für die Menschheit" (vgl. EuGH, Urteil vom 23. November 2010 - Rs. C-145/09, Tsakouridis - NVwZ 2011, 221 Rn. 47). Die Mitgliedstaaten dürfen daher die unerlaubte Verwendung von Betäubungsmitteln als eine Gefahr für die Gesellschaft ansehen, die besondere Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Ordnung gegen Ausländer rechtfertigt, die gegen Vorschriften über Betäubungsmittel verstoßen. Dabei zählt der illegale Drogenhandel zu den Straftaten, die in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV als Bereiche besonders schwerer Kriminalität genannt werden. Diese können als schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses angesehen werden und die Ausweisung von Personen rechtfertigen, die entsprechende Straftaten begangen haben (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Mai 2012 - Rs. C-348/09, P.I. - NVwZ 2012, 1095 Rn. 28). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sieht den Handel mit Betäubungsmitteln als schwerwiegende Beeinträchtigung der gesellschaftlichen Interessen an (vgl. Urteile vom 3. November 2011 - Nr. 28770/05, Arvelo Aponte/Niederlande - Rn. 58 und vom 12. Januar 2010 - Nr. 47486/06, Khan/Vereinigtes Königreich - InfAuslR 2010, 369 Rn. 40 m.w.N.).

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Nach diesen Maßstäben stellt das persönliche Verhalten des Klägers eine schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft im Sinne des Art. 14 ARB 1/80 dar. Die meisten der von ihm begangenen Drogenstraftaten beschränken sich zwar auf den unerlaubten Erwerb und Besitz von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum. Der Kläger hat sich aber auch am unerlaubten Handel und der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln an Dritte beteiligt, wobei es sich bei der gehandelten bzw. abgegebenen Droge überwiegend um das besonders gefährliche Heroin handelte.

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1.3 Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise für den Kläger die Gefahr der Wiederholung seines strafbaren Verhaltens sowohl im Bereich der Beschaffungskriminalität als auch im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität bejaht. Seine Prognose hat das Berufungsgericht aus dem Fehlen einer grundlegenden Verhaltensänderung des Klägers abgeleitet, insbesondere aus dem Fehlen nachhaltiger Bemühungen, sich durch geeignete Therapiemaßnahmen aus der Betäubungsmittelabhängigkeit zu lösen. Die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten der beschriebenen Art stellt - wie ausgeführt - eine schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar. Von den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Senat - nachdem der Kläger keine Verfahrensrügen erhoben hat - gemäß § 137 Abs. 2 VwGO auszugehen.

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1.4 Die Ausweisung des Klägers erweist sich auch unter Würdigung seiner schützenswerten Belange als unerlässlich, um das oben näher beschriebene Grundinteresse der Gesellschaft zu wahren (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 86). Das Berufungsgericht hat die schützenswerten Belange des Klägers, die sich auf sein Privat- und Familienleben beziehen, unter Zugrundelegung der in der Rechtsprechung des EGMR entwickelten Kriterien umfassend gewürdigt. Es hat in den Blick genommen, dass der Kläger in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, die deutsche Sprache beherrscht und seine gesamte Erziehung und Sozialisation in Deutschland erfahren hat. Das Gericht hat auch die familiären Bindungen des Klägers an seine in Deutschland lebende Mutter und seine erwachsenen Geschwister berücksichtigt. Bei der Bewertung der Integration des Klägers in Deutschland war für das Berufungsgericht von Bedeutung, dass er hier keinen Schulabschluss erzielte, keine Berufsausbildung absolviert hat und einer Berufstätigkeit allenfalls kurzzeitig nachgegangen ist. Für die Möglichkeit eines Lebens in der Türkei spielte für das Gericht eine Rolle, dass der Kläger nach den getroffenen Feststellungen über türkische Sprachkenntnisse verfügt und mit den Gepflogenheiten in der Türkei vertraut ist, was sich auch darin zeige, dass er in der Vergangenheit versucht habe, eine türkischsprachige Therapieeinrichtung zu finden, in der auf seine Suchtproblematik unter Berücksichtigung seiner kulturellen Herkunft eingegangen werden könne. Zudem lebten in der Türkei ihm bekannte Personen, die ihm jedenfalls in der ersten Zeit der Eingewöhnung zur Seite stehen könnten. Die unter Abwägung der öffentlichen und privaten Belange getroffene Wertung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger eine Ausreise in die Türkei zuzumuten sei, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

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1.5 Die Ermessensausübung der Beklagten im Ausweisungsbescheid vom 16. September 2008 lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Die Beklagte geht von einem aus dem Assoziationsrecht abgeleiteten Aufenthaltsrecht des Klägers nach Art. 7 ARB 1/80 aus und misst die Rechtmäßigkeit der Ausweisung am Maßstab des Art. 14 ARB 1/80. Sie erkennt die Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung und beachtet deren gesetzliche Grenzen. Die erfolgte Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Abwehr der vom Kläger ausgehenden konkreten Gefahr für die hochrangigen Rechtsgüter Leben und Gesundheit im Fall der Fortsetzung des illegalen Drogenhandels gegen das Interesse des Klägers an einem Verbleib in Deutschland ist rechtlich nicht zu beanstanden. Bei der Begründung des öffentlichen Interesses stützt sich die Beklagte ausschließlich auf Gefahren, die vom Kläger selbst ausgehen und nicht auf generalpräventive Gründe.

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1.6 Entgegen der Auffassung der Revision ist auch das Ausweisungsverfahren fehlerfrei durchgeführt worden.

18

Zwar war das in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG enthaltene "Vier-Augen-Prinzip" auf assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige zu übertragen. In dem hier vorliegenden Fall hat die Beklagte den angefochtenen Bescheid aber am 16. September 2008 und damit erst nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG zum 30. April 2006 (Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG) erlassen. Zu diesem Zeitpunkt galt Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG nicht mehr.

19

Es kann offenbleiben, ob sich für assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige die unionsrechtlichen Anforderungen an den Rechtsschutz gegen Ausweisungsentscheidungen nunmehr nach Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109/EG (betreffend langfristig Aufenthaltsberechtigte) oder nach Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG (betreffend Unionsbürger) bestimmen. Denn in keiner dieser Vorschriften ist die Beteiligung einer unabhängigen Stelle im Ausweisungsverfahren zur Prüfung der Zweckmäßigkeit der Maßnahme vorgeschrieben. Das hat der Senat in dem mit den Parteien in der mündlichen Verhandlung erörterten Urteil vom 13. Dezember 2012 (BVerwG 1 C 20.11 - NVwZ 2013, 733 Rn. 29 f.) näher dargelegt; darauf wird Bezug genommen.

20

Im Übrigen trifft die vom Kläger in der Revisionsbegründung vertretene Auffassung nicht zu, eine verfahrensmäßige Besserstellung von assoziationsrechtlich begünstigten türkischen Staatsangehörigen verstoße nicht gegen das Besserstellungsverbot des Art. 59 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (BGBl 1972 II S. 385) - ZP, weil freizügigkeitsberechtigte EU-Staatsangehörige gegenüber den assoziationsrechtlich Begünstigten einen höheren materiellen Ausweisungsschutz besäßen. Denn soweit Unionsbürger nach der Richtlinie 2004/38/EG gegenüber Berechtigten nach dem Assoziationsrecht EWG-Türkei einen erhöhten materiellen Ausweisungsschutz genießen, beruht dieser nicht auf dem wirtschaftlich begründeten Freizügigkeitsrecht von Staatsangehörigen der EU-Mitgliedstaaten, sondern auf der besonderen Rechtsstellung der Unionsbürger, mit der die assoziationsrechtlich begünstigten türkischen Staatsangehörigen keine Gleichstellung verlangen können (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2013, 422 Rn. 68 - 74). Dem stehen auch die durch das Assoziationsrecht getroffenen völkerrechtlichen Verpflichtungen der Union zum Stillstandsgebot nicht entgegen. Jedenfalls in dem Umfang, in dem sich die Vertragsparteien EWG und Türkei in Art. 59 ZP völkerrechtlich zur Beachtung des Besserstellungsverbots verpflichtet haben, durfte die Union den Wegfall einer Regelung zum außergerichtlichen Rechtsschutz, der für die Angehörigen ihrer Mitgliedstaaten geschaffen worden war, auch mit Wirkung für die Berechtigten nach dem ARB 1/80 entfallen lassen (so schon Beschluss vom 15. April 2013 - BVerwG 1 B 22.12 - Rn. 14). Einer von der Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angeregten Klärung durch ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH bedarf es insoweit nicht, da die Rechtslage aufgrund der bereits ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs offenkundig ist ("acte clair").

21

Auch aus den Stillhalteklauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 ZP ergibt sich nicht, dass Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG bei der Ausweisung assoziationsrechtlich privilegierter türkischer Staatsangehöriger weiterhin anzuwenden ist. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 22 ff.; vom 13. Dezember 2012 a.a.O. Rn. 33 und vom 15. Januar 2013 - BVerwG 1 C 10.12 - NVwZ-RR 2013, 435 Rn. 23 f.) und wurde ebenfalls bereits in seinem Urteil vom 13. Dezember 2012 (a.a.O. Rn. 33) näher dargelegt; auf diese Ausführungen wird Bezug genommen.

22

Der Rechtsauffassung der Kommission in ihrer Stellungnahme vom 15. Dezember 2006 in der Rechtssache Polat (Rs. C-349/06), auf die sich die Prozessbevollmächtigte des Klägers bezogen hat, wonach die Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG durch die Unionsbürgerrichtlinie auf die Auslegung des Assoziationsabkommens und die auf seiner Grundlage erlassenen Rechtsakte keinen Einfluss habe, ist der EuGH nicht gefolgt. Vielmehr hat er für Regelungen zum Ausweisungsschutz, bei denen die für Unionsbürger geltenden Bestimmungen der Richtlinie 2004/38/EG im Hinblick auf ihren Gegenstand und Zweck nicht auf Berechtigte nach dem Assoziationsrecht EWG - Türkei übertragbar sind, Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG als neuen unionsrechtlichen Bezugsrahmen bestimmt, nicht aber die außer Kraft getretenen Bestimmungen der Richtlinie 64/221/EWG zugunsten der assoziationsrechtlich Begünstigten für weiterhin anwendbar angesehen (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 74 - 79).

23

Ohne Erfolg rügt der Kläger einen Verstoß gegen die Stillhalteklauseln durch den Wegfall des nationalen Widerspruchsverfahrens gegen Ausweisungsentscheidungen in Nordrhein-Westfalen seit 1. November 2007. Zum einen stellte die Durchführung des Widerspruchsverfahrens nach §§ 68 ff. VwGO keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Ausweisung dar, sondern - anders als Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG - lediglich eine Prozessvoraussetzung für die Erhebung einer Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht. Zum anderen betrifft der Wegfall des Widerspruchsverfahrens türkische Assoziationsberechtigte und Unionsbürger in gleicher Weise. Nach der Rechtsprechung des EuGH steht der Erlass oder Wegfall von Regelungen, die - wie hier - in gleicher Weise auf türkische Staatsangehörige und auf Gemeinschaftsangehörige Anwendung finden, nicht im Widerspruch zu den Stillhalteklauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 ZP. Auch dies hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 13. Dezember 2012 (a.a.O. Rn. 34) - dort bezogen auf den Wegfall des Widerspruchsverfahrens in Baden-Württemberg - im Einzelnen dargelegt; auf diese Ausführungen wird Bezug genommen.

24

1.7 Der Rechtmäßigkeit der Ausweisung steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte die gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG nicht bereits bei Erlass der Ausweisungsverfügung befristet hat. Seit Inkrafttreten des § 11 AufenthG in der Neufassung durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258) - Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 - haben Ausländer zwar grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde mit einer Ausweisung zugleich das daran geknüpfte gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie die Titelerteilungssperre befristet (Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 30). Fehlt die notwendige Befristung der Ausweisung, hat das aber auch nach Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht zur Folge, dass die - als solche - rechtmäßige Ausweisung aufzuheben ist. Vielmehr ist in der Anfechtung der Ausweisung zugleich - als Minus - für den Fall der Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ein (Hilfs-)Antrag auf Verpflichtung der Ausländerbehörde zu einer angemessenen Befristung ihrer Wirkungen zu sehen (Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 39).

25

1.8 Schließlich verstößt die Ausweisung nicht gegen die Richtlinie 2008/115/EG - Rückführungsrichtlinie. Dabei kann dahinstehen, ob sie an den Bestimmungen dieser Richtlinie zu messen ist. Denn selbst wenn man die intertemporale Geltung und die sachliche Anwendbarkeit der Rückführungsrichtlinie auf die Ausweisung bejaht, verhilft das der Anfechtungsklage gegen die Ausweisung nicht zum Erfolg. Da der Kläger mittels seines Hilfsantrags die gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. gebotene Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung zusammen mit deren gerichtlicher Prüfung durchsetzen kann, wird den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie im Ergebnis Genüge getan (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 45).

26

2. Der Hilfsantrag des Klägers, mit dem dieser die Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von maximal vier Jahren begehrt, ist zulässig, aber nicht begründet.

27

2.1 Der erst in der Revisionsinstanz gestellte Hilfsantrag ist zulässig. Nach der neueren Rechtsprechung des Senats kann ein Kläger seit Inkrafttreten des § 11 AufenthG in der Neufassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 auch noch in der Revisionsinstanz einen Hilfsantrag auf Befristung der Wirkungen der von ihm angefochtenen Ausweisungsentscheidung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG stellen (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 28). Er verfolgt damit nur den bereits in seinem Anfechtungsbegehren gegen die Ausweisung für den Fall der Abweisung enthaltenen Hilfsantrag weiter, den das Berufungsgericht hier der Sache nach abgewiesen hat. Erachtet das Gericht die Ausweisung für rechtmäßig, hat es auf den Hilfsantrag des Betroffenen hin die Befristungsentscheidung der Ausländerbehörde im Rahmen des durch die Antragstellung begrenzten Streitgegenstandes vollumfänglich zu überprüfen. Hat eine Ausländerbehörde eine zu lange Frist festgesetzt oder fehlt eine behördliche Befristungsentscheidung, hat das Gericht über die konkrete Dauer einer angemessenen Frist selbst zu befinden und die Ausländerbehörde zu einer entsprechenden Befristung der Ausweisung zu verpflichten (Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 40).

28

2.2 Der Hilfsantrag ist aber unbegründet.

29

Nachdem die Beklagte während des Revisionsverfahrens eine Befristung für die Dauer von sieben Jahren, beginnend mit der Ausreise oder Abschiebung des Klägers ausgesprochen hat, war vom Senat nur noch zu entscheiden, ob der Kläger - bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz - einen Anspruch auf Festsetzung einer kürzeren Frist von maximal vier Jahren hat. Dies ist nicht der Fall.

30

Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer, der ausgewiesen worden ist, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Ihm wird nach Satz 2 der Vorschrift auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz kein Aufenthaltstitel erteilt. Satz 3 der Vorschrift ordnet an, dass diese kraft Gesetzes eintretenden Wirkungen auf Antrag befristet werden. Die Frist ist gemäß Satz 4 unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Bei Bemessung der Länge der Frist wird berücksichtigt, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist (Satz 5). Die Frist beginnt nach Satz 6 mit der Ausreise. Nach Satz 7 erfolgt keine Befristung, wenn ein Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder aufgrund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG aus dem Bundesgebiet abgeschoben wurde.

31

Unter Zugrundelegung der Maßstäbe des § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG ergibt sich im vorliegenden Fall kein Anspruch auf Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf weniger als die von der Ausländerbehörde zwischenzeitlich festgesetzten sieben Jahre. Die allein unter präventiven Gesichtspunkten zu bestimmende Frist darf hier fünf Jahre schon deshalb überschreiten, weil von dem Kläger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht in der Person des Klägers weiterhin die Gefahr der Begehung von Straftaten im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität - einschließlich des Handels mit Heroin - und damit eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung.

32

Bei der Bemessung der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Dabei bedarf es der prognostischen Einschätzung, wie lange das Verhalten des Klägers, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Der Senat geht davon aus, dass in der Regel ein Zeitraum von maximal zehn Jahren den Zeithorizont darstellt, für den eine Prognose realistischerweise noch gestellt werden kann. Weiter in die Zukunft lässt sich die Persönlichkeitsentwicklung kaum abschätzen, ohne spekulativ zu werden (vgl. Urteil vom 13. Dezember 2012 - BVerwG 1 C 20.11 - NVwZ 2013, 733 Rn. 40). Im vorliegenden Fall geht es vorrangig um die Abwehr von Gefahren für das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung durch den Handel mit Heroin durch den Kläger. Dabei handelt es sich um hochrangige Rechtsgüter. Der Kläger ist drogenabhängig und hat zur Beschaffung von Betäubungsmitteln über die Dauer von mehr als 20 Jahren regelmäßig Straftaten begangen. Dazu gehörten neben Eigentumsdelikten mehrere Straftaten wegen Erwerbs, Besitzes, Abgabe und Handels mit Betäubungsmitteln, vornehmlich mit Heroin. Im Juni 2007 wurde er wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (Heroin und Kokain) zu einer Einzelstrafe von zwei Jahren und einem Monat verurteilt, was verdeutlicht, dass es sich nicht um Bagatellkriminalität handelte. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht beim Kläger eine erhöhte Rückfallgefahr. Denn er ist seit vielen Jahren heroinabhängig, mehrere Therapieversuche blieben ohne Erfolg und er verfügt über keine Berufsausbildung, um sich eine Existenzgrundlage außerhalb der Kriminalität aufzubauen. In seinem Fall ist ein Ende der von ihm ausgehenden Gefahren für Leben und Gesundheit der Bevölkerung infolge des Handels mit Drogen nicht absehbar. Die von der Beklagten zwischenzeitlich festgesetzte Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots von sieben Jahren ist unter Berücksichtigung der gefährdeten Rechtsgüter und der hohen Rückfallgefahr nicht überhöht.

33

Allerdings muss sich die nach der Gefahr für die öffentliche Ordnung ermittelte Frist an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie den Vorgaben aus Art. 7 GRCh, Art. 8 EMRK, messen lassen. Sie ist daher gegebenenfalls in einem zweiten Schritt zu relativieren. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Verwaltungsgerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen sowie gegebenenfalls seiner engeren Familienangehörigen zu begrenzen (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 42 m.w.N.). Dabei sind insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen. Im vorliegenden Fall ist der Kläger zwar in Deutschland geboren und hat hier nahezu sein ganzes Leben verbracht. Familiäre Bindungen hat er allerdings - anders als in dem vom Senat mit Urteil vom 13. Dezember 2012 entschiedenen Fall eines nach islamischem Ritus verheirateten Klägers, dessen Frau ein Kind von ihm erwartete (a.a.O. Rn. 42) - nur an seine Mutter und seine erwachsenen Geschwister. Zudem hat der Kläger sein Leben im Wesentlichen in Strafhaft, in verschiedenen Wohn- und Therapieeinrichtungen und in der Drogenszene verbracht, sodass das Maß seiner Integration in das legale gesellschaftliche Leben in Deutschland gering ist. Die Festsetzung einer Sperrfrist von weniger als sieben Jahren kommt unter Zugrundelegung der vom Senat entwickelten Kriterien daher nicht in Betracht.

34

Der Senat weist darauf hin, dass der Kläger jederzeit einen Antrag auf Verkürzung der von der Beklagten festgesetzten Frist nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG stellen kann, wenn sich die für die Festsetzung maßgeblichen Tatsachen nachträglich ändern sollten, etwa weil sich seine Rückfallgefahr infolge einer erfolgreichen Drogentherapie deutlich vermindert hat.

35

3. Die Abschiebungsandrohung in der in der Berufungsverhandlung abgeänderten Fassung ist rechtmäßig. Der Kläger ist ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 1 AufenthG), da infolge der Ausweisung seine aufgrund des rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrags gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG als fortbestehend geltende Aufenthaltserlaubnis erloschen ist (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Die von der Beklagten für den Fall der Haftentlassung getroffene Festsetzung der Ausreisefrist von einem Monat legt der Senat in Übereinstimmung mit § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zugunsten des Klägers dahingehend aus, dass ihm eine Frist von 30 Tagen für die freiwillige Ausreise zur Verfügung steht.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Tenor

I.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 18. November 2008 weiter, mit dem er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, ihm (zunächst) die Wiedereinreise (auf Dauer) untersagt sowie für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung in die Türkei angedroht wurde.

Der 1972 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er wuchs zunächst bei seiner Mutter in der Türkei auf, zeitweise war er dort auch in einem Heim untergebracht. Seine Eltern hatten sich bereits vor seiner Geburt getrennt. 1987 zog der Kläger zu seinem spätestens seit Anfang der 1970er Jahre in Deutschland lebenden und arbeitenden Vater nach. Hier wurde ihm erstmals am 26. Mai 1988 eine befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt, die in der Folge wiederholt verlängert wurde. Am 31. Juli 2003 erhielt er schließlich eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.

In Deutschland arbeitete der Kläger nach einem zweijährigen Besuch einer Sprachschule zunächst in einem von seinem Vater betriebenen Café, in den Jahren 1995 bis 2001 als Reinigungskraft bei zwei verschiedenen Putzfirmen und ab Herbst 2002 bis zu seiner Festnahme am 28. Oktober 2006 in einem Hotel in M. als Spüler. Von 1995 bis zur Scheidung der Ehe am 24. Juli 2002 war der Kläger mit der türkischen Staatsangehörigen Y.Y. verheiratet. Aus dieser Ehe stammt die am 25. Oktober 1996 geborene Tochter D., die die türkische Staatsangehörigkeit besitzt.

In den Jahren 1996, 1997 und 1998 wurden gegen den Kläger wegen Vergehen der Beförderungserschleichung in einer größeren Zahl von Fällen jeweils Gesamtgeldstrafen von 50 Tagessätzen verhängt. 1993 war der Kläger bereits vom Jugendgericht beim Amtsgericht München wegen Beförderungserschleichung zu 40 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden.

Mit Urteil des Amtsgerichts München vom 23. Juli 2002 wurde der Kläger wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und 6 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Kläger hatte seine (frühere) Ehefrau, die sich scheiden lassen wollte und bereits einen Anwalt aufgesucht hatte, im Mai 2001 in der gemeinsamen Wohnung vergewaltigt.

Mit Urteil des Landgerichts München I vom 19. September 2007 wurde der Kläger wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren 9 Monaten verurteilt. Nach den Feststellungen des Strafgerichts kam es in dem Hotel, in dem der Kläger als Spüler beschäftigt war, zwischen zwei Arbeitskollegen des Klägers zu einem Streit, den der Kläger zunächst schlichtete. In dieser Situation machte der spätere Geschädigte gegenüber den beiden Arbeitskollegen des Klägers eine Bemerkung, über die sich der Kläger ärgerte und deretwegen er sich in seinem Bemühen um die Schlichtung des Streits nicht ernst genommen fühlte. Der Kläger forderte daraufhin den Geschädigten auf, mit ihm den Arbeitsplatz zu verlassen, um sich vor dem Hotel zu schlagen. Beide wollten daraufhin das Gebäude über den Personaleingang verlassen, wurden jedoch vom Pförtner daran gehindert und wieder in die Küche zurückgeschickt. Der Kläger äußerte gegenüber dem Geschädigten, die Sache sei noch nicht erledigt und solle später geklärt werden. Nach Beendigung seiner Arbeit um 4:00 Uhr wartete der Kläger vor dem Personaleingang des Hotels auf den Geschädigten, der dort um ca. 5:00 Uhr in Begleitung von zwei anderen Arbeitskollegen erschien. Da der Kläger befürchtete, der Geschädigte, ein sportlicher und kräftiger junger Mann könnte ihm bei einer Schlägerei überlegen sein, hatte er vor Verlassen des Hotels ein spitzes Küchenmesser mit einer Klingenlänge von ca. 6,5 cm eingesteckt und in seiner Hosentasche verborgen. Auf die Aufforderung des Klägers hin ging der Geschädigte in Begleitung der anderen Arbeitskollegen mit dem Kläger in einen in der Nähe gelegenen Park, wo es zunächst zu einem Wortwechsel und einem Gerangel kam. Infolge eines kräftigen Schlags durch den Geschädigten erlitt der Kläger dabei einen Kieferbruch. Nachdem er zunächst infolge des Schlags kurz zu Boden gegangen war, zog der Kläger das Messer, trat an den Geschädigten von vorne heran und stach auf diesen mit 2 wuchtigen Stößen ein, einmal im Bereich des linken Ohrs am Kopf des Geschädigten, einmal im Bereich der linken Achselhöhle, wobei das Messer, das auf eine Rippe traf, verbogen wurde und nach der Ablenkung insgesamt 5 cm tief in den Körper eindrang. Bei beiden Stichen nahm der Kläger den Tod des Geschädigten zumindest billigend in Kauf. Der Kläger, der den Geschädigten bei dessen anschließender Flucht verfolgen wollte, wurde von den beiden anderen Arbeitskollegen erst an der Verfolgung gehindert und konnte dann den Geschädigten letztlich nicht mehr einholen.

Mit Bescheid vom 18. November 2008 wies die Beklagte den Kläger nach vorheriger Anhörung aus der Bundesrepublik Deutschland aus, untersagte ihm die Wiedereinreise und drohte für den Fall, dass er nicht aus der Haft abgeschoben werde und nicht fristgerecht ausreise, die Abschiebung in die Türkei an. Der Kläger habe grundsätzlich den zwingenden Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG erfüllt, dürfe aber, weil er ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht erworben habe, nur aus spezialpräventiven Gründen im Wege einer Ermessensausweisung nach § 55 AufenthG in Verbindung mit Art. 14 ARB 1/80 ausgewiesen werden. Auf Art. 28 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG könne sich der Kläger nicht berufen. Der Kläger habe durch die von ihm begangene schwere Straftat schwerwiegend gegen die öffentliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland verstoßen. Auch bestehe die konkrete Gefahr weiterer schwerwiegender Straftaten nach der Haftentlassung des Klägers. Maßgeblich dafür sei zum einen die abgeurteilte Tat selbst, durch die der Kläger sein hohes Aggressionspotenzial und seine hohe Gewaltbereitschaft gezeigt habe. Auch durch die Vergewaltigung seiner Ehefrau im Jahr 2001 habe er gezeigt, dass er die körperliche Unversehrtheit anderer Leute nur gering achte. Weder die damalige Untersuchungshaft noch die strafrechtliche Verurteilung infolge dieses Delikts hätten ihn davon abgehalten, erneut ein schwerwiegendes Gewaltdelikt zu begehen. Die Ausweisung entspreche pflichtgemäßer Ermessensausübung und sei unter Berücksichtigung der persönlichen Interessen des Klägers auch im Hinblick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK verhältnismäßig. Dabei werde berücksichtigt, dass er seit nunmehr 21 Jahren im Bundesgebiet lebe und die meiste Zeit gearbeitet habe. Auch der bisherige, nicht regelmäßige Kontakt zur Tochter stünde der Ausweisung nicht entgegen. Aufgrund der konkreten Wiederholungsgefahr schwerer Straftaten müssten die privaten Belange des Klägers letztlich zurückstehen.

Die vom Kläger gegen den Bescheid vom 18. November 2008 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 14. Mai 2009 abgewiesen. Da der Kläger die Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 erworben habe, komme nur eine Ermessensausweisung nach § 55 AufenthG in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 in Betracht. Die Beklagte habe zu Recht angenommen, dass vom Kläger die ernsthafte Gefahr weiterer schwerer Gewalttaten nach seiner Haftentlassung ausgehe. Sein Einwand, er sei bei dieser Tat provoziert worden, greife nicht. Das hohe Aggressionspotenzial des Klägers werde schon daraus deutlich, dass dieser wegen einer verhältnismäßig belanglosen Äußerung seines Kontrahenten selbst mit erheblichem Zeitabstand noch die Konfrontation gesucht habe und den von ihm erheblich Verletzten sogar nach dessen Flucht noch habe verfolgen wollen. Seine Bereitschaft zu Gewalttaten habe er auch bei der Vergewaltigung seiner (damaligen) Ehefrau gezeigt. Die Ausweisung sei auch unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK verhältnismäßig. Die Beklagte habe die familiäre Situation des Klägers ausreichend und fehlerfrei gewürdigt und zugunsten des Klägers berücksichtigt, dass er seit über zwanzig Jahren im Bundesgebiet lebe, hier arbeite und hier nahe Angehörige habe. Andererseits verfüge der Kläger über hinreichende türkische Sprachkenntnisse und habe die ersten fünfzehn Jahre seines Lebens in der Türkei verbracht, wo auch seine Mutter noch lebe. Dem Kläger sei zuzumuten, dass sich seine Beziehung zur Tochter künftig auf wenige Besuchskontakte und ansonsten telefonische und briefliche Kontakte reduziere. Auch sonstige Ermessensfehler bestünden nicht.

Mit seiner durch das Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung macht der Kläger im Wesentlichen geltend, er sei ausweislich der Feststellungen eines im Strafvollstreckungsverfahren eingeschalteten Gutachters ein „ruhiger, besonnener, bescheidener und nicht provokativ auftretender Türke“, der auf den Sachverständigen einen sehr unauffälligen, nicht aggressiven und auch nicht kriminellen Eindruck gemacht habe und zusammenfassend als „nicht sehr gefährlich eingestuft“ worden sei. Soweit auf ihn die Unionsbürgerrichtlinie Anwendung fände, lägen danach die Voraussetzungen einer Ausweisung schon aufgrund der Höhe der strafrechtlichen Verurteilung nicht vor. Das erstinstanzliche Urteil sei hinsichtlich der Ermessensbeurteilung rechtsfehlerhaft. Die Einschätzung des Gerichts, beim Kläger sei ein hohes Aggressionspotenzial vorhanden und es bestehe die Gefahr weiterer besonders schwerwiegender Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, liege insbesondere unter Berücksichtigung des angeführten Gutachtens neben der Sache. Der Kläger werde vielmehr zu Unrecht als brutaler Schläger dargestellt, der aggressiv und zu weiteren schweren Gewalttaten bereit sei. Die abgeurteilte Vergewaltigung stelle eine Tat mit Ausnahmecharakter dar, die auch keinen inneren Zusammenhang mit dem späteren Gewaltdelikt des Klägers aufweise. Der Kläger habe durch die Haft und die inzwischen durchgeführte Therapie dazugelernt. Sein Verhalten während aber auch nach der Haft spreche dafür, dass die Strafhaft bei ihm positive Wirkungen gezeigt habe. Auch die familiäre Situation des Klägers, insbesondere dessen Beziehung zu seiner Tochter, sei weder im angefochtenen Bescheid noch im Urteil ausreichend gewürdigt worden. Eine Ausweisung würde für die Vater-Tochter-Beziehung sehr negative und nachteilige Folgen haben. Die in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vorgenommenen Ergänzungen der Ermessenserwägungen der Beklagten könnten nicht zur Heilung der Ermessensfehler des Ausgangsbescheids führen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 14. Mai 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 18. November 2008 in der in der mündlichen Verhandlung (vor dem Verwaltungsgerichtshof) geänderten Form aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Nach Auffassung der Beklagten bestehe nach wie vor die konkrete Gefahr weiterer schwerwiegender Straftaten. Er sei bereits in zwei Fällen wegen gravierender Gewaltdelikte zu Freiheitsstrafen verurteilt worden. Die Einstellung des Klägers zur Rechtsordnung zeige sich im Übrigen auch an den abgeurteilten Fällen der Leistungserschleichung. Das angeführte Gutachten des Dr. W. führe zu keinem anderen Ergebnis. Dessen Prognose möge gegebenenfalls eine Entscheidung gemäß § 57 Abs. 1 StGB begründen, stehe aber der Annahme einer konkreten Gefahr im Sinne schwerwiegender Gründe nach § 56 Abs. 1 AufenthG oder Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nicht entgegen. Auch die Justizvollzugsanstalt habe beim Kläger offenbar eine Therapie für erforderlich gehalten. Das vom Kläger nach der Haft gezeigte Wohlverhalten sei nicht so nachhaltig, dass auch längerfristig eine Wiederholung ähnlich schwerer Straftaten wie in der Vergangenheit ausgeschlossen werden könnte. Zudem habe sich der Kläger offensichtlich bis heute nicht hinreichend mit seinen schweren Straftaten auseinandergesetzt. Auch nach der ersten Untersuchungshaft und ersten strafrechtlichen Verurteilung habe der Kläger einige Jahre keine Straftaten begangen, dann sich jedoch aus einem nichtigen Anlass zu dem Totschlagsdelikt hinreißen lassen. Art. 28 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG sei nach zutreffender Auffassung im Fall des Klägers nicht anwendbar.

Mit Beschluss vom 23. Februar 2010 hat der Verwaltungsgerichtshof das Berufungsverfahren im Hinblick auf ein beim Gerichtshof der Europäischen Union anhängiges Vorabentscheidungsersuchen in einem gleich gelagerten Fall ausgesetzt und das Verfahren nach Ergehen der Entscheidung des Gerichtshofs auf Antrag der Klägers vom 4. März 2013 wieder fortgesetzt.

Zur aktuellen Situation wurde vom Kläger noch ausgeführt, er stehe seit seiner Entlassung aus der Justizvollzugsanstalt in einem ununterbrochenen und ungekündigten Arbeitsverhältnis bei einer Zeitarbeitsfirma und verdiene derzeit monatlich netto ungefähr 1.300,- Euro. Er wohne bei seinen Eltern (Vater und Stiefmutter), das Verhältnis zu seiner Tochter D. sei gut; beide würden sich regelmäßig sehen. Er zahle auch monatlich Kindesunterhalt an die Mutter. Er habe bereits in der Strafhaft an einem Antiaggressionstraining teilgenommen und eine psychotherapeutische Behandlung bei Herrn Dr. Sch. bis zur Beendigung im Sommer 2012 durchgeführt.

Durch die Beklagte wurden noch ergänzend der Beschluss der 2. Auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts A. bei dem Amtsgericht L. vom 16. April 2011 bezüglich der Führungsaufsicht (Dauer: 5 Jahre) beim Kläger sowie Berichte des Bewährungshelfers des Klägers vom 22. April und 30. Dezember 2013 vorgelegt, wonach der Kläger einen absolut zuverlässigen und guten Kontakt zum Bewährungshelfer halte, weiter über eine Zeitarbeitsfirma versicherungspflichtig beschäftigt sei und auch sonst geordnete Lebensverhältnisse aufweise. Die bei Herrn Dr. Sch. durchgeführte Therapie habe er mittlerweile beendet. Von neuen Straftaten oder anhängigen Strafverfahren sei nichts bekannt.

Mit Schriftsatz vom 19. März 2014 ergänzte die Beklagte den aus ihrer Sicht ausländerrechtlich relevanten Sachverhalt beim Kläger und im Hinblick darauf die Ermessenserwägungen der streitbefangenen Ausweisungsverfügung. Aufgrund der Schwere der Delinquenz des Klägers, der gegen ihn verhängten Haftstrafen und der bis zum 10. Juli 2016 angeordneten Führungsaufsicht würden im Ergebnis nach wie vor die öffentlichen Interessen an einer zumindest vorübergehenden Aufenthaltsbeendigung des Klägers gegenüber dessen persönlichen Interessen (seit knapp 3 Jahren wieder berufstätig, keine neuen Straftaten, Kontakt zur Familie und insbesondere zur Tochter) und seiner Angehörigen am Verbleib im Bundesgebiet überwiegen. Gleichzeitig wurde eine Befristung des Einreiseverbots auf vier Jahre ab Ausreise des Klägers verfügt und entsprechend begründet.

In der mündlichen Verhandlung am 24. März 2014 wurde mit den Beteiligten die Sach- und Rechtslage eingehend erörtert. Die Beklagte erklärte in Abänderung der Nr. 2. des streitbefangenen Bescheids vom 18. November 2008 ihre Befristungsregelung mit einer Sperrfrist von vier Jahren ab Ausreise des Klägers zu Protokoll des Gerichts. Bezüglich der Gründe dieser Befristungsentscheidung verwies der Beklagtenvertreter auf die diesbezüglichen Erwägungen im Schriftsatz der Beklagten vom 19. März 2014. Der in der mündlichen Verhandlung anwesende Vertreter des öffentlichen Interesses unterstützte die Rechtsposition der Beklagten. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der Behörden- und beigezogenen Strafakten verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die Klage des Klägers auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 18. November 2008 in der in der mündlichen Verhandlung vom 24. März 2014 geänderten Form ist ebenso unbegründet wie das in seinem Anfechtungsbegehren gegen die Ausweisungsverfügung enthaltene Hilfsbegehren auf Festsetzung einer kürzeren als der von der Beklagten zuletzt bestimmten Frist nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Die im streitbefangenen Bescheid verfügte Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO; nachfolgend 1.). Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Festsetzung einer kürzeren Sperrfrist; die von der Beklagten zuletzt festgesetzte Frist nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG von vier Jahren ist verhältnismäßig und verletzt den Kläger ebenfalls nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO; nachfolgend 2.).

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung und der vom Kläger hilfsweise begehrten Festsetzung einer kürzeren Sperrfrist ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder der Entscheidung des Berufungsgerichts (st. Rspr. des BVerwG; vgl. U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - Rn. 12 m. w. N.).

1. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Rechtsgrundlage für diese Verfügung der Beklagten ist § 55 Abs. 1, § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i. V. m. Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80).

Der Kläger, der als Familienangehöriger seines dem regulären Arbeitsmarkt in Deutschland angehörenden türkischen Vaters (vgl. Bl. 13 der Behördenakte) 1988 die Genehmigung erhalten hat, zu seinem Vater zu ziehen, und dort in der Folge seinen ordnungsgemäßen Wohnsitz hatte, hat - zwischen den Beteiligten unstreitig - eine Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 erworben. Wie das Verwaltungsgericht ebenfalls zutreffend festgestellt hat, hat der Kläger dieses assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht in der Folge auch nicht wieder verloren. Der Kläger kann daher nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nur im Ermessenswege ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (st. Rspr.; z. B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 13, U.v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - juris Rn. 17, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - Rn. 14 jeweils unter Verweis auf EuGH, U.v. 8.12.2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2012, 422). Wie der Gerichtshof der Europäischen Union inzwischen geklärt hat (vgl. EuGH, U.v. 8.12.2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2012, 422), richten sich die Anforderungen an die Ausweisung von sich seit mehr als zehn Jahren rechtmäßig im Gebiet eines Mitgliedstaats aufhaltenden assoziationsrechtlich Aufenthaltsberechtigten auf der Grundlage von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nicht, wie der Kläger meint, nach Art. 28 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG (vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 12.7.2013 - 10 ZB 11.150 - juris Rn. 4).

1.1. Insbesondere das seiner Verurteilung durch das Landgericht München I vom 19. September 2007 wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zugrunde liegende persönliche Verhalten des Klägers stellt eine schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft im Sinne des Art. 14 ARB 1/80 dar. Der Kläger hat ausweislich der Feststellungen des Strafgerichts bei einer Auseinandersetzung mit einem Arbeitskollegen aus nichtigem Anlass - einer ihn nicht einmal unmittelbar selbst betreffenden, relativ belanglosen Äußerung, die er als persönliche Kränkung empfunden hat - gezielt die Konfrontation gesucht und bei der körperlichen Auseinandersetzung unter Einsatz eines für diesen Zweck bereitgehaltenen, spitzen Messers als Tatwaffe seinem Kontrahenten mit zwei wuchtig ausgeführten Stichen Verletzungen am Kopf und im Bereich der linken Achselhöhle zugefügt, wobei er den als möglich angesehenen Tod des Geschädigten zumindest billigend in Kauf nahm. Dabei hat der Kläger gezeigt, dass er bei einer von ihm empfundenen persönlichen Kränkung auch aus einem völlig belanglosen Anlass selbst vor besonders gefährlichen und sogar lebensbedrohlichen Gewalthandlungen nicht zurückschreckt. Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) nimmt innerhalb der Wertordnung des Grundgesetzes einen besonderen Platz ein. Der der Verurteilung des Klägers wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zugrunde liegende Verstoß gegen dieses Grundrecht stellt deshalb sowohl mit Blick auf den unionsrechtlichen als auch mit Blick auf den nationalen Ausweisungsschutz einen hinreichend schweren Ausweisungsanlass dar, der über die mit jedem Rechtsverstoß verbundene Störung der öffentlichen Ordnung (weit) hinausgeht und ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (st. Rspr.; vgl. z. B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 14; BayVGH, U.v. 5.3.2013 - 10 B 12.2219 - juris Rn. 34).

1.2. Auch im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs ist beim Kläger die Gefahr der Wiederholung seines strafbaren Verhaltens im Bereich der schweren Gewaltkriminalität noch zu bejahen.

1.2.1. Dabei ist von einem differenzierenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab auszugehen (BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - Rn. 16 m. w. N. seiner st. Rspr.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Auch die den Gerichten der Mitgliedstaaten obliegende und auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Beurteilung, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt (EuGH, U.v. 8.12.2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - a. a. O.), kann im Hinblick auf die erforderliche Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts den Rang des bedrohten Rechtsguts nicht außer Acht lassen, denn dieser bestimmt die mögliche Schadenshöhe. Das bedeutet aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet. Vielmehr dürfen an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit keine zu geringen Anforderungen gestellt werden (BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - Rn. 16).

1.2.2. Nach diesen Maßstäben teilt der Senat im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs trotz einiger durchaus für den Kläger sprechender Umstände (1.2.2.1.) die von der Beklagten aufrechterhaltende Prognose einer hinreichenden Rückfallgefahr gerade auch hinsichtlich schwerer Gewalttaten. Die vom Kläger dagegen angeführte Einschätzung des Gutachters Dr. W. in dessen für die zuständige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts A. erstellten nervenfachärztlichen Gutachten vom 2. Oktober 2009, wonach der Kläger „als nicht sehr gefährlich eingestuft“ und die Wiederholungsgefahr „als nicht sehr groß“ angegeben wird, hält der Senat letztlich für nicht überzeugend. Vielmehr sprechen nach wie vor gewichtige Gründe wie insbesondere die Tatumstände der Anlasstat, die strafrechtliche Biografie des Klägers, die fehlende Einsicht und Auseinandersetzung mit seinen Straftaten, die erforderliche Langfristigkeit der ausländerrechtlichen Prognose und nicht zuletzt das hohe Gewicht der bei einem Rückfall bedrohten Rechtsgüter für die Prognose der konkreten Wiederholungsgefahr (1.2.2.2.).

1.2.2.1. Zwar kann der Kläger für sich in Anspruch nehmen, dass er im Strafverfahren wegen seines versuchten Totschlags geständig war, es während der Haft zu keinerlei Beanstandungen gekommen ist, er seit seiner Haftentlassung im Jahr 2011 wieder für eine Zeitarbeitsfirma arbeitet, ca. ein Jahr lang eine Antiaggressionstherapie und psychotherapeutische Behandlung bei Herrn Dr. Sch. durchgeführt hat, in soweit ersichtlich stabilen familiären Verhältnissen lebt und auch nach der aktuellen Stellungnahme seines Bewährungshelfers im Rahmen der Führungsaufsicht „negative Fakten im bisherigen Verlauf der Führungsaufsicht nicht bekannt geworden“ sind. Auch erneute Straftaten hat der Kläger seit seiner Haftentlassung nicht begangen, was auf eine positive Wirkung der Strafhaft hindeuten könnte. Gleichwohl hat der Senat aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht die Überzeugung gewonnen (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), dass das bisher vom Kläger gezeigte Wohlverhalten bereits so nachhaltig ist und eine grundlegende Wesens- und Verhaltensänderung hinreichend belegt, nach der die Gefahr der Wiederholung seines strafbaren Verhaltens im Bereich der Gewaltkriminalität nur noch als entfernt oder unwahrscheinlich angesehen werden müsste.

Der durch die zuständige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts A. insbesondere zur Frage der Voraussetzungen einer Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung gemäß § 57 Abs. 1 StGB beauftragte Gutachter Dr. W. ist zwar in seiner zusammenfassenden Beurteilung im nervenfachärztlichen Gutachten vom 2. Oktober 2009 zu dem Ergebnis gelangt, dass beim Kläger eine Wiederholungsgefahr nicht auszuschließen sei, aber gering erscheine, und der Kläger als nicht sehr gefährlich eingestuft werden könne. Demgemäß hat der Gutachter die bedingte Entlassung des Klägers zum Zweidrittelzeitpunkt befürwortet. Ebenso wie bereits die Auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts A. beim Amtsgericht L. in dessen Beschluss vom 4. Dezember 2009 (Bl. 126 ff. der Strafvollstreckungsakte des Klägers) vermag der Senat diese gutachterliche Einschätzung nicht zu teilen. Denn dieses Gutachten basiert, wie die Strafvollstreckungskammer zu Recht festgestellt hat, nicht auf den tatsächlichen Feststellungen der rechtskräftigen Strafurteile, sondern ist vor allem auf den vom Gutachter nicht näher hinterfragten Angaben des Klägers aufgebaut. So wird vom Gutachter die Vorverurteilung des Klägers wegen Vergewaltigung seiner Ehefrau unreflektiert aufgrund der Angaben des Klägers infrage gestellt - die Frau habe sich scheiden lassen und einen Grund dafür haben wollen - und entgegen der ausdrücklichen Feststellung des Strafgerichts bei der Anlasstat eine Notwehrlage des Klägers aufgrund dessen Einlassungen in den Raum gestellt. Die Beschwerde des Klägers gegen diesen Beschluss der Auswärtigen Strafvollstreckungskammer hat das Oberlandesgericht München im Übrigen mit Beschluss vom 5. Februar 2010 verworfen und dabei auf die ausführlich begründete Prognoseentscheidung der Strafvollstreckungskammer, der nichts hinzuzufügen sei, Bezug genommen (Bl. 133 ff. der Strafvollstreckungsakte des Klägers).

1.2.2.2. Für die Annahme einer fortdauernden konkreten Wiederholungsgefahr von Gewaltdelikten, wie sie der Kläger begangen hat, sprechen weiterhin gewichtige Gründe, die im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände für die vom Senat angestellte Prognose letztlich den Ausschlag geben. Danach hat sich der Kläger weder bis heute hinreichend mit seinen gravierenden Gewaltstraftaten auseinandergesetzt noch ist bei ihm von einer grundlegenden Verhaltensänderung auszugehen, nach der die Gefahr der Begehung erneuter entsprechender Straftaten nur mehr als entfernte Möglichkeit anzusehen wäre.

Obwohl der Kläger vom Gutachter Dr. W. als ruhiger, besonnener, bescheidener und nicht provokativ auftretender Mann, der einen „sehr unauffälligen, nicht aggressiven und auch nicht kriminellen Eindruck“ hinterlasse, beschrieben wird, bei dem es „eher unwahrscheinlich ist, dass er sich erneut in eine verbale Auseinandersetzungen einlässt und sich wieder so provozieren lässt, dass es zu einer Übersprungshandlung wieder kommt mit Einsatz eines Messers“, ist der Kläger wegen einer 2001 im Schlafzimmer der ehelichen Wohnung an seiner (früheren) Ehefrau begangenen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung verurteilt worden. Im Oktober 2006 und damit über fünf Jahren nach dieser Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden war, kam es zu dem versuchten Totschlag in Tateinheit mit der gefährlichen Körperverletzung durch den Kläger. Bei dieser Tat ist der Kläger ausweislich der tatsächlichen Feststellungen im rechtskräftigen Strafurteil des Landgerichts München I „während des ganzen Geschehensablaufs als Provokateur aufgetreten“, der - aus einem objektiv nichtigen Anlass - die konkrete Tatsituation (zwei wuchtige Messerstiche gegen den Kopf und den Oberkörper des Geschädigten) erst durch das Warten auf den Geschädigten (ca. eine Stunde vor dem Hotel) und die bewusste und gezielte vorherige Bewaffnung mit dem Messer geschaffen hatte, weil er entschlossen war, eine tätliche Auseinandersetzung herbeizuführen. Der Kläger musste schließlich sogar von zwei bei der Tat anwesenden weiteren Arbeitskollegen gewaltsam zurückgehalten werden, als er den Geschädigten, der nach den erlittenen Stichen davonlief, verfolgen und seine Tat fortsetzen wollte. Demgegenüber hat der Kläger seine Verantwortung bzw. Schuld bei diesen Straftaten konsequent geleugnet oder herunterzuspielen versucht. So hat der Kläger die Vergewaltigung seiner Ehefrau nicht nur im Strafverfahren, sondern auch bei seiner Begutachtung durch Dr. W. abgestritten und behauptet, seine Frau habe die angebliche Vergewaltigung nur als Scheidungsgrund gebraucht. Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof hat sich der Kläger noch in diese Richtung eingelassen. Ähnlich wie bereits im Strafverfahren hat sich der Kläger gegenüber dem Gutachter Dr. W. dahingehend eingelassen, er sei vom Geschädigten provoziert worden, habe das Messer - ein Arbeitsgerät - ohnehin in der Tasche gehabt und sich letztlich nur gegen die Aggression des anderen, der ihn bei der Auseinandersetzung erheblich am Kiefer verletzt habe, gewehrt, wobei es dann zu dem „tragischen Vorfall“ gekommen sei. Eine affektive Ausnahmesituation bei dieser Tat hat aber bereits das Strafgericht mit überzeugenden Gründen verneint. Demgegenüber ist der unsubstantiierte Einwand im Gutachten des Dr. W., im Strafurteil sei zu wenig berücksichtigt worden, dass der Kläger bei der Tat möglicherweise in einer „fast-Notwehrsituation“ gewesen sein könnte, aber es sei nicht Sache des Gutachters, das Urteil anzufechten, weder nach dem gesamten Tatgeschehen schlüssig noch nachvollziehbar. Dass sich der Kläger letztlich auch heute noch eher als Opfer denn als Täter fühlt, belegen auch seine Einlassungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof. Dort hat der Kläger geschildert, bei seinen Therapiesitzungen mit Herrn Dr. Sch. sei mit ihm darüber gesprochen worden, wie er künftig in eskalierenden Situationen reagieren könne, Konfliktsituationen von vornherein aus dem Weg gehen könne, um beispielsweise im Streitfall nicht sofort zu reagieren oder zum Beispiel Beschimpfungen zu ignorieren. Er habe gelernt, verbalen Auseinandersetzungen und Beschimpfungen aus dem Weg zu gehen (vgl. S. 4 der Sitzungsniederschrift vom 24.3.2014). Beiden Gewaltdelikten des Klägers ist aber gemeinsam, dass Ausgangspunkt der jeweiligen Taten nicht etwa eine eskalierende Konfliktsituation war, in die der Kläger - eher unfreiwillig - geraten ist, sondern vielmehr Situationen, in denen der Kläger (wohl jeweils) aus gekränkter Ehre von sich aus aktiv und zum Straftäter geworden ist. Die Erfahrungen des Klägers im Zusammenhang mit seinem ersten Gewaltdelikt (u. a. Untersuchungshaft, Freiheitsstrafe zur Bewährung) haben beim Kläger offensichtlich nicht zu einer grundlegenden Aufarbeitung und Verhaltensänderung geführt. Denn auch nach einem längeren Abstand von immerhin fünf Jahren hat sich der Kläger aufgrund der von ihm empfundenen persönlichen Kränkung zu einem massiven Gewaltdelikt hinreißen lassen, bei der er sogar den Tod des Opfers billigend in Kauf nahm. Die Auffassung des Klägerbevollmächtigten, die abgeurteilte Vergewaltigung stelle eine Tat mit Ausnahmecharakter dar, die auch keinen inneren Zusammenhang mit dem späteren Gewaltdelikt des Klägers aufweise (vgl. S. 5 der Sitzungsniederschrift vom 24.3.2014) teilt der Senat daher ebenso wenig wie die Einschätzung, der Kläger habe durch die erfahrene Strafhaft und die Therapie bei Dr. Sch. dazugelernt und seine Grenzen inzwischen akzeptiert.

Bei der hier angestellten Prognose einer fortdauernden konkreten Wiederholungsgefahr muss auch berücksichtigt werden, dass den bei einem erneuten Rückfall des Klägers bedrohten Rechtsgütern Leben und körperliche Unversehrtheit auch nach der Bewertung des Grundgesetzes (s. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) ein besonders hohes Gewicht zukommt und dass die ausländerrechtliche Gefahrenprognose zudem langfristig(er) angelegt ist (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 21). Schließlich hat die Beklagte in dem Zusammenhang auch zu Recht darauf hingewiesen, dass beim Kläger mit Beschluss der 2. Auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts A. bei dem Amtsgericht L. vom 16. April 2011 eine Führungsaufsicht für die Dauer von fünf Jahren verfügt worden ist, weil nicht zu erwarten sei, dass der Verurteilte (Kläger) ohne diese Maßregel keine Straftaten mehr begehen werde (§ 68f Abs. 2 StGB).

1.3. Die Ausweisung des Klägers erweist sich als zur Wahrung des oben dargelegten Grundinteresses der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland unerlässlich im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (U.v. 8.12.2011 a. a. O. Rn. 86). Bei dieser Prüfung müssen die Behörden sowohl die Grundrechte des Betroffenen, vor allem das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK), als auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren und dabei die Dauer des Aufenthalts der betreffenden Person im Hoheitsgebiet dieses Staates, ihr Alter, die Folgen einer Ausweisung für die betreffende Person und ihre Familienangehörigen sowie ihre (persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen) Bindungen zum Aufenthaltsstaat oder fehlende Bindungen zum Herkunftsstaat berücksichtigen (EuGH, U.v. 8.12.2011 a. a. O. Rn. 80 und 82).

Gemessen an diesen Grundsätzen stellt die angefochtene Ausweisung des Klägers bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände weder einen unverhältnismäßigen Eingriff in sein Recht auf Achtung des Familien- und Privatlebens (Art. 8 EMRK) noch in sein Grundrecht aus Art. 6 GG dar.

Die Beklagte, die ihrer im materiellen Recht wurzelnden Verpflichtung zur Aktualisierung ihrer (Ausweisungs-)Ermessenserwägungen entsprechend zuletzt mit Schriftsatz vom 19. März 2014 in verfahrensrechtlich zulässiger Weise gemäß § 114 Satz 2 VwGO die die Ausweisungsverfügung vom 18. November 2008 tragenden Ermessenserwägungen aktualisiert und ergänzt hat (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2011 - 1 C 14.10 - juris Rn. 8 ff., 17), hat die schützenswerten Belange des Klägers in rechtlich nicht zu beanstandender Weise gewürdigt und abgewogen. Die Beklagte hat dabei insbesondere berücksichtigt, dass der Kläger seit ca. 27 Jahren im Bundesgebiet lebt und arbeitet sowie hier enge familiäre Bindungen hat. So lebt der Kläger seit seiner Haftentlassung wieder bei seinem Vater und seiner Stiefmutter in deren Wohnung. Andererseits steht auch fest, dass der Kläger bis zum Alter von 15 Jahren in der Türkei gelebt hat, über gute türkische Sprachkenntnisse verfügt, mit den Verhältnissen in der Türkei noch einigermaßen vertraut ist und auch noch Angehörige in der Türkei hat (vgl. Bl. 2 der Sitzungsniederschrift vom 24.3.2014), die ihn jedenfalls in der ersten Zeit dort unterstützen könnten. Die Beklagte hat auch gewürdigt, dass der Kläger eine besonders schützenswerte familiäre Bindung zu seiner am 25. Oktober 1996 geborenen Tochter D. hat, die wie der Kläger die türkische Staatsangehörigkeit besitzt. Angesichts des regelmäßigen persönlichen Kontakts des Klägers zu seiner Tochter, für die er nach eigenen Angaben noch regelmäßig Unterhalt bezahlt, nicht nur während, sondern insbesondere auch nach Beendigung der Haft hat die Beklagte eine schützenswerte und gefestigte Vater-Kind-Beziehung des Klägers zu seiner Tochter angenommen, die bei den privaten Interessen des Klägers eine herausgehobene Stellung einnimmt. Andererseits durfte die Beklagte insoweit auch berücksichtigen, dass eine zeitlich befristete Rückkehr des Klägers in die Türkei weder für den Kläger noch seine in München lebende Familie und insbesondere seine Tochter D. eine vollkommen neue Situation darstellen würde, weil bereits während seiner Inhaftierung von Oktober 2006 bis Juli 2011 die Kontaktmöglichkeiten auf Besuche, Telefonate etc. beschränkt gewesen seien. Zudem seien über Betretenserlaubnisse auch mehrere Besuche des Klägers pro Kalenderjahr bei seiner Familie in Deutschland möglich. Überdies bleibe es der Familie unbenommen, den Kläger in der Türkei zu besuchen. Hinzu komme, dass die Tochter des Klägers im Oktober 2014 volljährige werde und jedenfalls ab diesem Zeitpunkt zumindest nicht mehr auf die intensive Unterstützung des Klägers angewiesen sei. Die Folgen der durch die Ausweisung bedingten zeitlichen Trennung von seiner Familie wögen dadurch nicht mehr so schwer. Die Beklagte hat schließlich auch zugunsten des Klägers gewürdigt, dass dieser seit seiner Haftentlassung durchgängig erwerbstätig ist, bisher keine Straftaten mehr begangen, die therapeutische Behandlung bei Herrn Dr. Sch. besucht und abgeschlossen hat sowie engen Kontakt zu seiner Familie hat. Den Umstand, dass der Kläger seit seiner Haftentlassung keine neuen Straftaten begangen hat, durfte die Beklagte bei ihrer Interessenabwägung als nicht so bedeutsam ansehen, weil es dem Kläger auch nach seiner ersten strafrechtlichen Verurteilung wegen der Vergewaltigung gelungen war, sich über mehrere Jahre hinweg normgerecht zu verhalten, bis er schließlich im Oktober 2006 aus nichtigem Anlass die äußerst massive Anlassstraftat begangen hat.

Die durch die Beklagte unter Abwägung der öffentlichen und privaten Belange im Hinblick auf die Strafbiographie, die schwere Delinquenz des Klägers und die Wiederholungsgefahr weiterer schwerwiegender Straftaten im Bereich der Gewaltkriminalität getroffene Bewertung, dass die Aufenthaltsbeendigung und (auf vier Jahre befristete) Ausreise in die Türkei dem Kläger gleichwohl zumutbar sei, ist gemessen am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht zu beanstanden und auch sonst ermessensfehlerfrei im Sinne von § 114 Satz 1 VwGO.

2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Festsetzung einer kürzeren Sperrfrist als die von der Beklagten in Abänderung der Nr. 2. des angefochtenen Bescheids vom 18. November 2008 nachträglich verfügte Frist nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG von vier Jahren ab Ausreise des Klägers. Die im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 19. März 2014 und Erklärung der Beklagten zu Protokoll des Verwaltungsgerichtshofs in der mündlichen Verhandlung am 24. März 2014 erfolgte Festsetzung der Sperrfrist für die Wiedereinreise in das Bundesgebiet gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 bis 6 AufenthG auf vier Jahre ab Ausreise des Klägers ist rechtlich nicht zu beanstanden, weil die Festsetzung einer kürzeren Sperrfrist unter Zugrundelegung der gesetzlichen Maßstäbe des § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG und der dazu in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats nicht in Betracht kommt. In der Person des Klägers besteht - wie oben festgestellt - nach wie vor die Gefahr der erneuten Begehung von Straftaten im Bereich der Gewaltkriminalität und damit eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung. Die Beklagte hat unter Berücksichtigung dieses Umstands, der Massivität des vom Kläger verwirklichten Gewaltdelikts und der andauernden konkreten Gefahr für die hochrangigen Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit im ersten Schritt entsprechend dem Gewicht des Ausweisungsgrundes und dem mit der Ausweisung verfolgten Zweck eine Höchstfrist von sieben Jahren angesetzt. Die Beklagte hat dann in rechtlich nicht zu beanstandender Weise mit Blick auf die verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie die Vorgaben aus Art. 8 EMRK die ermittelte Höchstfrist relativiert, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Klägers und insbesondere seine familiären Beziehungen im Bundesgebiet, vor allem zu seiner Tochter D., zu begrenzen. Demgemäß hat die Beklagte die Sperrfrist auf vier Jahre ab Ausreise des Klägers herabgesetzt. Gleichzeitig hat sich die Beklagte im Falle einer freiwilligen Ausreise des Klägers bereit erklärt, diesem auf Antrag im Hinblick auf seine familiären Beziehungen im Bundesgebiet ab dem 1. Mai 2015 innerhalb von 12 Monaten jeweils drei Betretenserlaubnisse für jeweils maximal 14 Tage auszustellen.

Die Festsetzung einer noch kürzeren Sperrfrist, wie sie der Klägerbevollmächtigte (hilfsweise) für erforderlich gehalten hat, kommt nach alledem nach Auffassung des Senats nicht in Betracht.

Schließlich ist auch die noch nicht vollzogene Abschiebungsandrohung im streitbefangenen Bescheid rechtmäßig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.

(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.

(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.

(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.

(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.