Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG) streitig.
Die 1943 geborene Klägerin leidet an einer schweren Alzheimer-Demenz. Am 12.09.2012 beantragte sie, vertreten durch ihren Sohn, beim Beklagten die Gewährung von Blindengeld, ferner die Zuerkennung des Merkzeichens „Bl“. Der Vertreter der Klägerin wies darauf hin, dass diese völlig hilflos, komatös und objektiv physisch wie geistig nicht in der Lage sei, noch irgendetwas sinnvoll wahrzunehmen oder zu verarbeiten. Der Klägerin ist Pflegestufe 3 zuerkannt. Sie ist seit 2004 in einem Pflegeheim untergebracht.
In seinem für den Beklagten angefertigten Gutachten vom 03.11.2012 stellte der Augenarzt Dr. K. die Diagnosen Cataracta senilis provecta, mäßige Arterienverkalkung, fortgeschrittene Alzheimer-Demenz. Die Sehschärfe lasse sich nicht prüfen, da die Klägerin auf Fragen nicht antworte. Aus dem objektiven Befund ergebe sich kein Nachweis einer Blindheit. Die Klägerin sei nicht transportfähig. Dem Gutachter gelang lediglich eine Augenuntersuchung, bei der er unter anderem eine positive Reaktion auf Licht, eine klare Hornhaut und eine mäßige Linsenkerntrübung feststellte. Blindheit sei nicht nachgewiesen, so der Gutachter.
Der Vertreter der Klägerin vertrat in einem Schreiben vom 06.12.2012 die Auffassung, dass Sehen die visuelle Wahrnehmung und die geistige Verarbeitung des visuell Wahrgenommenen bedeute. Letzteres scheide aufgrund der schwerstgradigen, neurologischen Ausfälle sicher aus. Der Beklagte wertete den Entlassungsbericht der R. Kliniken, Abteilung Innere Medizin, vom 05.12.2012 aus, aus dem sich der Gesamtgesundheitszustand der Klägerin ergab. Als Diagnosen wurden Exsikkose sowie Sopor bei schwerer Alzheimer-Demenz gestellt.
In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. L. vom 30.01.2013 wurde darauf hingewiesen, dass keinerlei Anhalt für eine spezielle Schädigung der Sehstrukturen bestehe.
Mit Bescheid vom 26.02.2013 lehnte der Beklagte den Antrag auf Blindengeld ab. Bei der Klägerin, so die Begründung, bestehe eine sehr weit fortgeschrittene Demenz; eine Kommunikation sei nicht mehr möglich, Sinneseindrücke könnten nicht mehr verarbeitet werden. Es gebe jedoch keinerlei Anhalt dafür, dass für die fehlende Wahrnehmung von optischen Reizen eine spezielle Schädigung der Sehstrukturen ursächlich sei. Aus der vorliegenden generellen zerebralen Funktionsstörung lasse sich Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 BayBlindG nicht ableiten. Es lasse sich auch nicht der objektive Nachweis führen, dass bei der Klägerin faktische Blindheit bestehe.
Hiergegen hat die Klägerin über den Bevollmächtigten am 03.03.2013 Widerspruch erhoben. Der Vertreter hat den Widerspruch umfangreich im Schreiben von 14.04.2013 begründet und dabei unter anderem auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 20.07.2005 (Az.: B 9 BL 1/05 R) hingewiesen. Er hat mitgeteilt, dass die Klägerin bereits auf einer sehr frühen Stufe des Prozesses visueller Wahrnehmung (Erkennen/Benennen) Objekte nachweislich schon nicht erkennen könne, weswegen eine bloße Benennungsstörung perzeptuell repräsentierter Objekte auszuschließen sei. Es ergäben sich zahlreiche Hinweise für eine „kortikale Agnosie“, insbesondere bestehe kein optokinetischer Nystagmus (OKN). Die höhergelegenen Zentren, die für die Auswertung der visuellen Signale verantwortlich seien, sowie die Assoziativzentren temporal und frontal seien vom allgemeinen Hirnabbauprozess mitbetroffen. Eine belastbare, sachgerechte Sehschärfenmessung sei bei der Klägerin nicht erhebbar. Die auf anderen Feldern der Sinneswahrnehmung verbliebenen Fähigkeiten seien ihrerseits nicht so weit herabgesetzt, dass der Leistungsunterschied zur fehlenden visuellen Modalität unbeachtlich wäre. Zudem sind weitere medizinische Unterlagen vorgelegt worden, wie ein Attest des Seniorenzentrums L. vom 05.03.2013.
In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 07.06.2013 wies die Ärztin Dr. P. des Beklagten unter anderem darauf hin, dass die Fähigkeit zur Aufnahme einer Fixation und zu Blickfolgebewegungen in erster Linie ausreichende Konzentration und Wachheit voraussetze, die aufgrund der fortgeschrittenen Demenz nicht gegeben seien; das Gleiche gelte für die Reaktionen auf visuelle Drohgebärden. Die Prüfung des OKN setze voraus, dass Fixation aufgenommen werden könne, wozu die Klägerin nicht in der Lage sei; zum anderen könne daraus nicht auf ein bestimmtes Sehvermögen, geschweige denn Blindheit, geschlossen werden. Ein fehlender OKN sei zudem kein Hinweis auf eine „kortikale Agnosie“, ein Begriff, der in der Medizin nicht bekannt sei. Es bestehe kein Zweifel, dass die fortgeschrittene Alzheimer-Demenz eine schwere geistige Behinderung zur Folge habe. Beeinträchtigt seien dabei aber nicht nur die visuelle Wahrnehmung, sondern auch die Wahrnehmungen anderer Sinnesmodalitäten.
Daraufhin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.06.2013 den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Begründung stellte vor allem darauf ab, dass es trotz Einsatzes aller diagnostischen Möglichkeiten nicht gelungen sei, das genaue Ausmaß der bei der Klägerin offensichtlich vorliegenden Sehstörung festzustellte. Der Beklagte hat auf den Grundsatz der objektiven Beweis- und Feststellungslast verwiesen. Eine umschriebene Zerstörung von Strukturen des zentralen Sehsystems sei nicht nachweisbar. Dies wäre, so der Bescheid, jedoch erforderlich, um Rindenblindheit zu belegen. Generelle zerebrale Schädigungen würden die Annahme einer kortikalen Blindheit dagegen nicht begründen, auch wenn die Sehstrukturen in diese generelle Schädigung miteinbezogen seien. Eine faktische Blindheit im Sinne des BSG-Urteils vom 20.07.2005 (a. a. O.) liege ebenfalls nicht vor, da es an einer spezifischen Sehstörung fehle. Beeinträchtigt durch die fortgeschrittene Alzheimer-Demenz sei auch die Wahrnehmung in anderen Sinnesmodalitäten. Die Möglichkeiten der Sachaufklärung seien ausgeschöpft.
Hiergegen hat der Bevollmächtigte für die Klägerin am 03.07.2013 Klage zum Sozialgericht (SG) Landshut erhoben. Zur Begründung hat er auf die vorliegenden ärztlichen Befundberichte verwiesen, unter anderem auf die Bestätigung des Allgemeinmediziners Dr. S. vom 10.09.2012, nach der bei der Klägerin aufgrund der schweren neurologischen Störungen unter anderem des Sehvermögens die Voraussetzungen für das Merkzeichen „Bl“ vorliegen würden. Weiter hat der Bevollmächtigte auf die ärztliche Stellungnahme der Radiologie R. vom 30.11.2012 verwiesen, dass schätzungsweise ca. 50% der gesamten Gehirnmasse fehlen würden „und dies natürlich auch im Bereich des zentralen Sehsystems“.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch ein radiologisches Sachverständigengutachten von Dr. N. vom 21.03.2014. Dieses hat sich auf die Einsichtnahme in Unterlagen sowie die radiologischen Untersuchungen vom 30.11.2012 und 28.09.2010, angefertigt am Krankenhaus P., gestützt.
Der Sachverständige hat festgestellt, dass der bei der Klägerin erhobene Befund passend zu Morbus Alzheimer sei. Eine umschriebene Schädigung der Sehbahn und der Sehrinde lasse sich mittels des vorliegenden Bildmaterials nicht nachweisen. Es bestünden, so Dr. N., im Rahmen der generalisierten Atrophie auch Substanzminderungen im Bereich der primären und sekundären Sehrinde, diese seien jedoch im Verhältnis zu den frontalen und vor allem bitemporalen Veränderungen leichtgradiger ausgeprägt. Ein vollständiger Ausfall der Wahrnehmung visueller Reize sei durch die vorliegenden Hirnveränderungen nicht nachzuweisen.
Am 26.05.2014 fand eine mündliche Verhandlung der Kammer statt. In der Sitzung hat der Vertreter der Klägerin drei Videosequenzen über die Klägerin von jeweils etwa einer halben Minute Dauer gezeigt, die am 25.04.2014 vormittags aufgenommen worden seien. Die mündliche Verhandlung ist vertagt worden.
Sodann hat das Gericht erneut ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben. Dr. D., Psychotherapeutische Medizin, Radiologische Diagnostik und Neuroradiologie, hat die Klägerin am 15.07.2014 im Seniorenzentrum L. untersucht und am 08.09.2014 das neurologisch-psychiatrische Sachverständigengutachten erstellt.
Dr. D. hat bei der Klägerin eine sehr schwere Demenz bei Alzheimerkrankheit mit frühem Beginn diagnostiziert. Die Erkrankung sei durch den klinischen Verlauf belegt mit jetzt schwerster Ausprägung. Der Hauptschaden liege jetzt in dem funktionellen Verlust der Kognition. Dies betreffe psychische Fähigkeiten wie Gedächtnis, Intelligenz und Sprache sowie Funktionen wie Wahrnehmung, Denken und Behalten und schließlich das Erleben als psychische Kraft: Gefühle, Interessen, Triebe und Bedürfnisse. Aus medizinischer Sicht liege keine Blindheit oder Seelenblindheit, kein Riech- oder Hörverlust vor, sondern der Verlust der kognitiven Bearbeitung aller einkommenden Informationen auf kortikaler Ebene. Es liege auch keine psychogene Blindheit oder visuelle, akustische bzw. taktile Agnosie vor. Diese würden ein ausreichendes Bewusstsein voraussetzen, so Dr. D.
Der Sachverständige hat zusammenfassend Folgendes festgestellt:
- Es erfolge keinerlei Reaktion auf visuelle Reize.
- Bei Schmerzauslösung durch Rotation der linken Hüfte bestünden ungerichtete, reproduzierbare Abwehrbewegungen. Diese seien nicht gezielt oder willensgesteuert, sondern würden auf Reflexebene ablaufen. Bei der Geschmacksprüfung habe es nur bei Bitterstoff ungerichtete reproduzierbare Mundbewegung gegeben, bei den übrigen Geschmacksprüfungen keine Reaktion. Es lasse sich keine willentliche Beeinflussung feststellen, die Mundbewegung erfolge auf Reflexebene. Bei der Überprüfung anderer Sinneswahrnehmungen (Geruch, Hörreize, Berührung und Lagesinn) bestünde keine spezifische und reproduzierbare Reaktion.
- Die Wahrnehmung in allen Sinnesmodalitäten sei geprägt durch den Verlust der Kognition und der Reizverarbeitung. Hierdurch bestehe kein deutlicher Unterschied im Hinblick auf die Wahrnehmung unterschiedlicher Reize. Die oben angeführten Reaktionen auf Reflexbogenebene könnten nicht als Unterschied gewertet werden.
- Den Ausführungen der Ärztin Dr. P. des Beklagten sei im Ergebnis voll zu folgen, auch bezüglich der Bewertung der Bildgebung. Wesentlich sei, dass auch die Ärztin festgestellt habe, dass nicht die Herabsetzung der visuellen Informationserfassung und Leitung der wesentliche Punkt sei, sondern der übergreifende Verlust der Kognition und Informationsverarbeitung im Rahmen der Demenz. Dies treffe ohne wesentlichen Unterschied auch die übrigen Sinnesmodalitäten.
Zu dem Gutachten hat der Bevollmächtigte der Klägerin am 14.10.2014 im Einzelnen Stellung genommen. Das Gutachten sei nicht schlüssig. Zusammenfassend lasse sich feststellen, dass es sich nach klägerischer Ansicht in vorliegendem Fall um Blindheit handle, das heiße, dass selbst bei der Annahme eines einigermaßen intakten optischen Systems Bildeindrücke nicht mehr verarbeitet werden könnten. Der Gutachter Dr. D. stelle fest, dass sich kein Schaden im Bereich der Riechbahn, der Sehbahn und der Hörbahn lokalisieren lasse, hingegen eine Verarbeitungsstörung.
Mit Gerichtsbescheid vom 20.11.2014 ist die Klage ist abgewiesen worden, da Blindheit nicht nachgewiesen sei. Zwar sei das SG davon überzeugt, dass bei der Klägerin ein Verlust der visuellen Wahrnehmungsfähigkeit gegeben sei. Es liege jedoch im Hinblick auf die Feststellungen von Dr. D. keine spezifische Sehstörung vor. Es sei auch keine vollständige Zerstörung der für die visuelle Wahrnehmung zuständigen Hirnregionen gegeben. Dies habe das schlüssige und überzeugende Gutachten von Dr. N. ergeben. Dieses Gutachten habe unterstrichen, dass bei der Klägerin rund 50% der gesamten Hirnmasse aufgrund der Alzheimererkrankung abgebaut seien.
Am 19.12.2014 hat die Klägerin über ihren Bevollmächtigten Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) erhoben. Mit Schreiben vom 28.04.2015 hat der Bevollmächtigte die Berufung ausführlich begründet. Entgegen der Ansicht des SG lägen die Voraussetzungen für die Gewährung von Blindengeld vor. Das Gutachten von Dr. D. sei weder überzeugend noch nachvollziehbar. In den Ausführungen des Bevollmächtigten ist vor allem darauf abgestellt worden, dass bei der Klägerin eine spezifische Sehstörung und ausdrücklich keine generalisierte Herabsetzung aller Sinneswahrnehmungen bestehe.
Im Hinblick auf die Musterverfahren des Senats (Az.: L 15 BL 4/10 und L 15 BL 5/11) und auf das beim BSG anhängige Revisionsverfahren (Az.: B 9 BL 1/14 R) ist sodann auf Antrag am 22.06.2015 das Ruhen des Verfahrens gemäß § 202 SGG i. V. m. § 251 Zivilprozessordnung angeordnet worden. Mit Schriftsatz vom 26.10.2015 hat der Bevollmächtigte die Fortsetzung des Verfahrens beantragt.
Auch nach dem Urteil des BSG vom 11.08.2015, Aktenzeichen B 9 BL 1/14 R, hat der Beklagte mit Schreiben vom 22.02.2016 die Zurückweisung der Berufung beantragt, da Blindheit nicht nachgewiesen sei. Dieser Antrag hat auf der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. P. vom 17.02.2016 beruht, worin die Ärztin hervorgehoben hat, dass bei der Klägerin zu keinem Zeitpunkt Blindheit nachgewiesen worden sei. Auch eine zerebrale Blindheit sei nicht nachgewiesen; Dr. P. hat hier auf die Bildgebung, im Einzelnen auf den radiologischen Befundbericht von Dr. C. vom 30.11.2012 verwiesen. Für die Feststellung von Blindheit würden jedoch unverändert die Vorgaben der VG gelten, wonach der morphologische Befund die Sehstörung erklären oder zumindest in vernünftiger Weise sehr wahrscheinlich machen müsse. Es müsse eine Erkrankung vorliegen, die Blindheit verursachen könnte; eine Alzheimer-Demenz gehöre, so Dr. P., nicht dazu. Im weiteren Verlauf hat Dr. P. am 02.05.2016 die (neue) Definition des Sehens durch das BSG hervorgehoben und dabei auch auf die 19. Kommissionssitzung zur Beratung schwieriger Begutachtungsfälle nach dem BayBlindG am 08.12.2015 hingewiesen; darin sei betont worden, dass sich Bewusstsein in diesem Zusammenhang auf die visuelle, nicht auf die allgemeine Wahrnehmung beziehen solle, sonst wäre jeder bewusstseinsgestörte Mensch blind. Auch bei Apallikern müsse Blindheit nachgewiesen sein; allein der Umstand des Wachkomas begründe Blindheit nicht. Blindheit sei kein „Bewusstlosengeld“. Diese Aussage könne sinngemäß auch auf Bewusstseinsstörungen anderer Ursachen bezogen werden.
Vorliegend sei zwar der Nachweis erbracht, dass die weitere Verarbeitung optischer (und der übrigen) Reize auf der höheren Assoziationsebene nicht mehr gegeben sei, jedoch gebe es keinen Nachweis dafür, dass auch die optische Reizaufnahme gestört sei. Nach dem Urteil des BSG müssten jedoch beide Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein. Weiter hat sich Dr. P. mit der Frage des objektiven Strukturbefunds (morphologisches Korrelat) auseinandergesetzt. Bei der gegebenen Befundlage sei im Rahmen der globalen Hirnrindenatrophie eine derart schwere Schädigung der zentralen Sehstrukturen (Sehbahn, Sehrinde), dass von Rindenblindheit ausgegangen werden könnte, nicht nachzuweisen. Bei einer Parenchymreduktion um ca. 50%, die zudem im Bereich der Sehrinde deutlich geringer ausgeprägt sei als im Stirn- und Schläfenlappenbereich, könne davon ausgegangen werden, dass die verbliebenen neuronalen Strukturen ausreichend seien, um die von der weitgehend intakten Netzhaut aufgenommenen optischen Signale zu verarbeiten. Dies würde auch der Beurteilung von Dr. D. entsprechen, dass nicht die Herabsetzung der visuellen Informationsauffassung und Informationsleitung der wesentliche Punkt sei, sondern der übergreifende Verlust der Informationsverarbeitung im Rahmen der Demenz.
Am 23.05.2016 hat der Senat Dr. D., den Sachverständigen des erstinstanzlichen Verfahrens, beauftragt und um Klärungen insbesondere hinsichtlich des morphologischen Befunds und der Möglichkeit der Klägerin, optische Signale zu verarbeiten, gebeten. In seiner nach Aktenlage erstellten ergänzenden Stellungnahme vom 16.06.2016 hat Dr. D. ausdrücklich festgestellt, dass kein Hinweis auf eine funktionelle oder morphologisch fassbare Rindenblindheit bestehe. Ihm, dem Sachverständigen, sei aber keine wissenschaftliche Arbeit bekannt, bei dem eine Relation bezüglich einer Atrophie im Bereich der Sehrinde und im Übrigen Cortexbereich gesichert sei. Es sei nicht möglich anzugeben, bei welchem Ausmaß einer Parenchymreduktion davon auszugehen sei, dass die verbliebenen neuronalen Strukturen nicht mehr ausreichend seien, um die aufgenommenen optischen Signale verarbeiten zu können. Die Fähigkeit, optische Signale zu verarbeiten, sei bei der Klägerin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aufgehoben. Für die Fähigkeit, optische Signale zu verarbeiten, bedürfe es neben funktionierender Neuroanatomie und Neurophysiologie unter anderem der Wahrnehmung, der Auffassungsgabe und der Aufmerksamkeit und vor allem der Kognition der Klägerin.
Zu dem Gutachten hat sich der Beklagte am 18.08.2016 geäußert und den Abweisungsantrag aufrechterhalten. Blindheit infolge einer Zerstörung zentraler Sehstrukturen sei demnach unverändert nicht hinreichend nachgewiesen. In der nervenärztlichen Stellungnahme vom 25.07.2016 hat die Fachärztin B. des Beklagten darauf aufmerksam gemacht, dass aus ihrer Sicht die Folgerung von Dr. D. schlüssig sei, der vollständig abgeschlossene Vorgang der Wahrnehmung Sehen werde erst durch die kognitive Auffassung erreicht; dies sei aber nicht gleichzusetzen mit den erfüllten Voraussetzungen für die Gewährung von Blindengeld. Es ergebe sich somit keine Änderung der bisherigen Bewertung.
Auf Nachfrage des Gerichts hat der Bevollmächtigte am 23.09.2016 sein Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt. Am selben Tag hat auch der Beklagte mitgeteilt, dass es nunmehr Aufgabe des Senats sei, den rechtlich sehr schwierigen Sachverhalt zu entscheiden. Es bestehe Einverständnis mit der Durchführung des schriftlichen Verfahrens. Die Entscheidung über die Zulassung der Revision werde in das Ermessen des Senats gestellt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 20. November 2014 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 26. Februar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Juni 2013 zu verurteilen, der Klägerin ab Antragstellung Blindengeld nach dem BayBlindG zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat die Akten des Beklagten und des SG beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung gewesen sind, Bezug genommen.
Der Senat konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 153 Abs. 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 SGG. Hieran war er auch nicht im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Europäische Menschenrechtskonvention gehindert (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 153, Rdnr. 13a), weil das SG durch Gerichtsbescheid entschieden hat. Denn für die Klägerin bestand im Berufungsverfahren die Möglichkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung; sie hat hierauf jedoch verzichtet (vgl. auch das Urteil des Senats vom 14.03.2016, Az.: L 15 SB 156/15, vom BSG bestätigt mit Beschluss vom 17.11.2016, Az.: B 9 SB 23/16 B).
Die Berufung ist zulässig (Art. 7 Abs. 3 BayBlindG i. V. m. §§ 143, 151 SGG) und begründet.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin blind im Sinne des BayBlindG ist und ihr deshalb ab dem Monat der Antragstellung Blindengeld zusteht. Dies hat das SG (unter Berufung auf die frühere, zwischenzeitlich aufgegebene Rechtsprechung des BSG) zu Unrecht verneint. Die Klägerin hat Anspruch auf Blindengeld. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 26.02.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.06.2013 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Gemäß Art. 1 Abs. 1 BayBlindG in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Änderung des BayBlindG v. 24.07.2013 (GVBl. S. 464) erhalten blinde Menschen, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern haben oder soweit die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl L 166 S. 1, ber. ABl L 200 S. 1, 2007 ABl L 204 S. 30) in der jeweils geltenden Fassung dies vorsieht, zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen auf Antrag ein monatliches Blindengeld. Dabei beinhaltet nach der Rechtsprechung die Formulierung „zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen“ keine eigenständige Anspruchsvoraussetzung (vgl. das Urteil des BSG vom 26.10.2004, Az.: B 7 SF 2/03 R, s. hierzu unten).
Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG). Als blind gelten gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG auch Personen,
1. deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 1/50 beträgt,
2. bei denen durch Nr. 1 nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachten sind.
Vorübergehende Sehstörungen sind nicht zu berücksichtigen. Als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten.
Eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 1/50 (0,02) oder weniger gleichzusetzende Sehstörung im Sinn des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG liegt, den Richtlinien der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) folgend, bei folgenden Fallgruppen vor (siehe Teil A Nr. 6 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze - VG, Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung):
aa) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,033 (1/30) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 30° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
bb) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
cc) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 7,5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
dd) bei einer Einengung des Gesichtsfelds, auch bei normaler Sehschärfe, wenn die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung mehr als 5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
ee) bei großen Skotomen im zentralen Gesichtsfeldbereich, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und im 50°-Gesichtsfeld unterhalb des horizontalen Meridians mehr als die Hälfte ausgefallen ist,
ff) bei homonymen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene Gesichtsfeld in der Horizontalen nicht mehr als 30° Durchmesser besitzt,
gg) bei bitemporalen oder binasalen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und kein Binokularsehen besteht.
Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. die Urteile vom 31.01.2013, Az.: L 15 BL 6/07, sowie vom 05.07.2016, Az.: L 15 BL 17/12) ist in besonderen Ausnahmefällen spezieller Krankheitsbilder die Annahme von Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG auch außerhalb dieser Fallgruppen möglich.
Bei der Klägerin liegt nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine Einschränkung aller Sinnesfunktionen aufgrund zerebraler Beeinträchtigung vor. Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Entscheidungen vom 31.01.1995, Az.: 1 RS 1/93, 26.10.2004, Az.: B 7 SF 2/03 R, 20.07.2005, Az.: B 9a BL 1/05 R, und 11.08.2015, Az.: B 9 BL 1/14 R) stehen auch zerebrale Schäden, die - für sich allein oder im Zusammenwirken mit Beeinträchtigungen des Sehorgans - zu einer Beeinträchtigung des Sehvermögens führen, der Annahme von Blindheit nicht grundsätzlich entgegen. Diese Festlegung wird in der Literatur positiv bewertet (vgl. Braun/Zihl, Der Blindheitsnachweis bei zerebralen Funktionsstörungen, in: MedSach 2015, S. 81, 82), wenngleich auch - zu Recht - auf sich hierdurch ergebende gravierende Schwierigkeiten in der Praxis bzgl. des Blindheitsnachweises aufmerksam gemacht wird (a. a. O.).
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist die bei der Klägerin vorliegende Einschränkung aller Sinnesfunktionen hochgradig. Dies folgt eindeutig u. a. aus dem fundierten neurologisch-psychiatrischen Sachverständigengutachten von Dr. D. vom 08.09.2014 und entspricht auch den Ergebnissen aller weiteren medizinischen Untersuchungen und Feststellungen. Darauf, ob und inwieweit das visuelle System stärker betroffen ist als die anderen Sinnesmodalitäten, kommt es nicht (mehr) an. Soweit das BSG in seiner bisherigen Rechtsprechung für den Blindengeldanspruch verlangt hatte, dass bei zerebralen Schäden eine spezifische Störung des Sehvermögens vorliegt, hat es im Urteil vom 11.08.2015 (a. a. O.) hieran nicht mehr festgehalten. Zur Aufgabe dieser Rechtsprechung hat sich das BSG aufgrund von Erkenntnisschwierigkeiten sowie unter dem Aspekt der Gleichbehandlung veranlasst gesehen (vgl. näher a. a. O.). Ebenfalls aufgegeben in der genannten Entscheidung hat das BSG die in der früheren Rechtsprechung getroffene Unterscheidung zwischen dem „Erkennen“ und dem „Benennen“ als so verstandene Teilaspekte bzw. Teilphasen des Sehvorgangs, da die Differenzierung gerade bei zerebral geschädigten Menschen vielfach medizinisch kaum nachvollzogen, d. h. die Ursache der Beeinträchtigung des Sehvermögens nicht genau bestimmt werden kann. Nach der Rechtsprechung des BSG ist für den Anspruch auf Blindengeld vielmehr allein entscheidend, ob es insgesamt an der Möglichkeit zur Sinneswahrnehmung „Sehen (optische Reizaufnahme und deren weitere Verarbeitung im Bewusstsein des Menschen) fehlt, ob der behinderte Mensch blind ist“ (BSG, a. a. O.). Der Senat fühlt sich an diese (neue) Rechtsprechung des BSG gebunden.
Die Klägerin ist blind im Sinne des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG. Es ist zur Gewissheit des Senats nachgewiesen, dass bei ihr eine Verarbeitungsstörung vorliegt, so dass sie die Signale der (auch) visuellen Sinnesmodalität nicht identifizieren, mit früheren Erinnerungen nicht vergleichen und nicht benennen kann.
1. Wie der Senat wiederholt (vgl. z. B. Urteil vom 20.01.2015, Az.: L 15 BL 16/12) unterstrichen hat, sind nach den Grundsätzen im sozialgerichtlichen Verfahren die einen Anspruch begründenden Tatsachen grundsätzlich im Vollbeweis, d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R), d. h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 1/92).
2. Der Beklagte nimmt zutreffend an, dass sich durch die neue Rechtsprechung des BSG (a. a. O.) an der Erforderlichkeit der Prüfung, ob die visuellen Fähigkeiten des Betroffenen (nun: optische Reizaufnahme und Verarbeitung etc.) unterhalb der vom BayBlindG vorgegebenen Blindheitsschwelle liegen, nichts geändert hat. Nach der Rechtsprechung des Senats kam es schon bisher in den Fällen umfangreicher zerebraler Schäden auf das Erfordernis einer spezifischen Störung des Sehvermögens nicht (mehr) an, wenn bereits Zweifel am Vorliegen von Blindheit bestanden (vgl. Urteil vom 27.11.2013, Az.: L 15 BL 4/11). Der Blindheitsnachweis muss somit auch weiterhin erbracht werden (vgl. auch Braun, Neue Regeln für den Blindheitsnachweis bei zerebralen Funktionsstörungen, in: MedSach 2016, S. 134, 135: keine allgemeine „Entwarnung“).
3. Im Falle der Klägerin ist der Blindheitsnachweis erbracht.
a. Es kann vorliegend offen bleiben, ob die Klägerin das Augenlicht vollständig verloren hat. Hieran hat der Senat auch Zweifel. Denn die Wahrnehmung ist, wie der Sachverständige Dr. D. plausibel dargelegt hat, nicht durch Schädigungen im Sinnesorgan und der Leitung zum Gehirn gestört. Demzufolge lässt sich auch kein Schaden im Bereich der Sehbahn etc. lokalisieren. Eine Bestimmung des Sehvermögens aufgrund einer quantitativen Bestimmung der Hirnschädigungen ist ebenfalls nicht möglich; dies hat Dr. D. nachvollziehbar aufgezeigt.
b. Entsprechendes gilt auch für die Annahmen, dass bei ihr die Sehschärfe auf dem besseren Auge und auch beidäugig nicht mehr als 1/50 betragen sowie dass eine im Sinne der Richtlinien der DOG gleichzusetzende Sehstörung (Fallgruppenkatalog, s.o.) vorliegen würde.
c. Gleichwohl ist die Klägerin blind im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG.
aa) In dem genannten Urteil vom 11.08.2015 hat das BSG, wie bereits dargelegt, den Sehvorgang im Sinne des BayBlindG (neu) definiert. Im Rahmen eines umfassenden Verständnisses des Sehvorgangs sieht das BSG nicht nur die optische Reizaufnahme - und wohl ebenfalls die Reizweiterleitung, ohne dass dies in der genannten Entscheidung ausdrücklich festgehalten worden wäre -, sondern auch die weitere Verarbeitung der optischen Reize im Bewusstsein des Menschen als vom Begriff des Sehens im rechtlichen Sinne mit umfasst an; dabei hat das BSG insoweit keine weitere Einschränkung gemacht. Es ist daher im Hinblick auf die Verarbeitungsvorgänge von einem weiten Begriffsverständnis auszugehen (s.u.). Dieses erklärt sich auch mit Blick auf die nach der neuen Rechtsprechung des BSG nun entfallende (in Abgrenzung vor allem zu Störungen aus dem Bereich der seelisch-geistigen Behinderungen früher vorzunehmende), in Problemfällen äußerst schwierige und kaum zu leistende Differenzierung, ob das Sehvermögen (Sehen- bzw. Erkennen-Können) beeinträchtigt war, oder ob - bei vorhandener Sehfunktion - (nur) eine Störung des visuellen Benennens vorlag, so dass das Gesehene nicht richtig benannt werden konnte. Die Aufgabe dieser schwierigen Differenzierung ist von der Literatur denn auch als sachgerecht begrüßt und als gewisse Vereinfachung auf dem Weg zum Blindheitsnachweis verstanden worden (vgl. Braun, a. a. O.); der Senat teilt diese Auffassung.
Somit ist im Hinblick auf diese Rechtsprechung des BSG jedenfalls in den Fällen zerebraler Schäden auch zu prüfen, ob die Fähigkeit zur „Verarbeitung im Bewusstsein“ des sehbehinderten Menschen beeinträchtigt bzw. aufgehoben ist.
bb) Eine solche (auch) visuelle Verarbeitungsstörung ist zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen.
Dies folgt aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme. Der Senat stützt sich dabei insbesondere auf das überzeugende und fundierte Gutachten von Dr. D.. Der Gutachter hat die bei der Klägerin vorliegenden Beeinträchtigungen vollständig erfasst und unter Beachtung der maßgeblichen Vorgaben zutreffend gewürdigt. Der Senat macht sich die Feststellungen des genannten Sachverständigen, die auch in Übereinstimmung mit der gesamten vorliegenden Befunddokumentation stehen, zu eigen.
Danach leidet die Klägerin an einer sehr schweren Demenz bei Alzheimerkrankheit mit frühem Beginn. Ihre (visuelle) Wahrnehmung ist massiv gestört, nicht durch Schädigungen im Sinnesorgan und der Leitung zum Gehirn, sondern durch Verlust der kognitiven Verarbeitung, worauf der Sachverständige nachvollziehbar hingewiesen hat. Dementsprechend lässt sich auch kein Schaden in den genannten Gehirnbereichen sicher nachweisen. Wie Dr. D. nachvollziehbar dargestellt hat, besteht die Störung der Klägerin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit darin, dass die Signale der verschiedenen Sinnesmodalitäten nicht identifiziert, mit früheren Erinnerungen nicht verglichen und nicht benannt werden können. Entsprechend den plausiblen Darlegungen des Sachverständigen besteht eine Verarbeitungsstörung aller Sinnesqualitäten, wobei Hauptursache die generalisierte Kognitionsstörung ist. Ohne Schäden im Bereich des Empfangsorgans bzw. der Leitung einer Sinnesqualität können die aufgenommenen Signale wegen fehlender Verarbeitung nicht mehr genutzt werden; dies gilt auch für das Sehen. Bei der Klägerin besteht der Verlust von kognitiver Bearbeitung aller eingehenden Informationen auf kortikaler Ebene.
Dies steht aufgrund des plausiblen Gutachtens von Dr. D. fest. Insbesondere steht auch der morphologische Befund nicht entgegen, sondern erklärt vielmehr die eben festgestellte Beeinträchtigung der Klägerin in vollem Umfang. Schließlich hat auch der Beklagte die Auffassung vertreten, dass die Fähigkeit der Verarbeitung optischer Signale bei der Klägerin aufgehoben ist; so hat die Fachärztin B. in ihrer Stellungnahme vom 25.07.2016 diese Schlussfolgerung des Sachverständigen Dr. D. als schlüssig bezeichnet. Sie hat insoweit lediglich die Voraussetzungen für die Entstehung eines Blindengeldanspruchs nicht für gegeben erachtet und damit letztlich eine juristische Bewertung vorgenommen.
Dass die mangelnden Sehleistungen der Klägerin auf der allgemeinen Herabsetzung ihrer Fähigkeiten beruhen, steht der Annahme einer schweren Sehstörung im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG nach Auffassung des Senats nicht entgegen. Denn selbst wenn tatsächlich nicht der eigentliche Sehvorgang betroffen, sondern die Verminderung oder Aufhebung der visuellen Wahrnehmungsfähigkeit (nur) durch eine allgemeine Beeinträchtigung wie eine schwere Aufmerksamkeits- oder Gedächtnisstörung verursacht ist, vermag dies nach der neuen Rechtsprechung des BSG einen Blindengeldanspruch nach dem BayBlindG zu begründen (a. A. wohl Braun/Zihl, a. a. O., die von „sekundärer“ Verursachung sprechen). Denn wie das BSG in seinem Urteil vom 11.08.2015 (a. a. O.) entschieden hat, kommt es auf eine spezifische Sehstörung gerade nicht an. Wenn hier vom BSG (a. a. O.) wegen allgemein angesprochenen Erkenntnisschwierigkeiten und unter dem Aspekt der Gleichbehandlung an dem Nachweis spezieller Merkmale von Sehstörungen nicht mehr festgehalten worden ist, kann es nicht angehen, gerade die Betroffenen aus dem anspruchsberechtigten Personenkreis auszuschließen, bei denen die Störungen auf der kognitiven Ebene (Aufmerksamkeit und Gedächtnis) verortet sind. Denn wie das BSG für die Prüfung der spezifischen Sehstörung zutreffend festgestellt hat, lassen sich gerade bei schwerstbehinderten Menschen die exakten Störungsbereiche hinsichtlich der Wahrnehmung mangels geeigneter Untersuchungsmethoden kaum verlässlich feststellen. Mit anderen Worten: Eine verlässliche Feststellung ist nicht nur hinsichtlich der Unterschiede in den Wahrnehmungsmodalitäten kaum möglich, sondern dies gilt erst recht auch für die Abgrenzung, ob der Sehvorgang selbst betroffen ist oder die Beeinträchtigung der visuellen Wahrnehmung durch allgemeine Störungen verursacht ist.
Dieses im Hinblick auf die Verarbeitungsvorgänge (als Elemente des Sehvorgangs) vom BSG vertretene weite Begriffsverständnis des Sehvorgangs ist - wie oben (Ziff. 3.b.aa.) dargelegt - sachgerecht. Es steht auch zu den gesetzlichen Voraussetzungen des BayBlindG nicht im Widerspruch. Zwar sieht das Gesetz die Gewährung von Blindengeld ausdrücklich zum Ausgleich blindheitsbedingter Mehraufwendungen vor und sind solche Mehraufwendungen im Falle allgemeiner Wahrnehmungsstörungen zweifelhaft (vgl. das Argument „kein Bewusstlosengeld“, s.o.), jedoch stellt die genannte Formulierung nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 26.10.2004, Az.: B 7 SF 2/03 R), die für den Senat ebenfalls verbindlich ist, keine eigenständige Anspruchsvoraussetzung dar, sondern umschreibt lediglich die allgemeine Zielsetzung der gesetzlichen Regelung. Es wäre Aufgabe des Gesetzgebers, hier für Klarheit zu sorgen.
Soweit die Klägerin bei Untersuchungen und Beobachtungen auf verschiedene Reize Reaktionen gezeigt hat, handelt es sich entsprechend den plausiblen Darlegungen des Gutachters Dr. D. lediglich um sogenannte Startlereaktionen im Sinne einer raschen, schützenden Reflexantwort der Muskulatur auf überraschende Reize. Diese bieten aber, wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat (vgl. z. B. das Urteil vom 27.03.2014, Az.: L 15 BL 5/11, m. w. N.), keine Anhaltspunkte für das Funktionieren eines Sinns; eine visuelle Schreckreflexreaktion kann sogar bei blinden Personen ausgelöst werden (a. a. O.). Startlereaktionen dürfen nicht als reizspezifische Antworten bzw. willensgesteuerte motorische Reaktionen fehlgedeutet werden.
Etwas anderes ergibt sich im Übrigen auch nicht aufgrund der Bescheinigung der Pflegeeinrichtung vom 05.03.2013 und auch nicht aufgrund der in der mündlichen Verhandlung des SG gezeigten Videosequenzen, ferner nicht aus dem Bericht von Dr. S. (vom 23.01.2014). Soweit in der Bescheinigung der Pflegeeinrichtung festgestellt wird, dass die Klägerin bei jeder Berührung und Ansprache mit den Augen reagiere, die sich hin und her bewegen würden, was angesichts der Feststellungen des Gutachters Dr. D. für den Senat ohnehin kaum nachvollziehbar ist, spricht vieles dafür, dass es sich auch insoweit lediglich um Startlereaktionen gehandelt hat. Soweit behauptet wird, dass die Klägerin „so nonverbal mit dem Pflegepersonal“ kommuniziere, kann dies den Senat nicht überzeugen. Denn die Bescheinigung ist in sich widersprüchlich. Sie geht nämlich selbst ausdrücklich von einem Verlust der visuellen Wahrnehmung aus. Zudem steht aufgrund des plausiblen und fundierten Gutachtens von Dr. D. fest, dass mit der Klägerin keine Kommunikation möglich ist; der Sachverständige hat dies ausdrücklich im Hinblick auf die fehlende kognitive Leistung festgestellt. Entsprechendes gilt für den Bericht des (insoweit fachfremd argumentierenden) Hausarztes Dr. S.
Im Übrigen besteht hier auch Einigkeit mit dem Beklagten. So hat die Ärztin Dr. P. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 07.06.2013 ausdrücklich festgestellt, dass eine sinngebende Kommunikation mit der Klägerin nicht möglich sei. Das von der Hausleitung des Seniorenzentrums L. beschriebene Abwehrverhalten sei keine sinngebende bzw. spezifische Reaktion bzw. nicht Ausdruck einer adäquaten Verarbeitung von Sinneseindrücken. Entsprechendes gilt schließlich für die gezeigten Videosequenzen. Insbesondere ist auch hier in keiner Weise nachgewiesen, dass es sich um eine Reaktion aufgrund Wahrnehmung aus kognitiver Verarbeitung handeln würde. Wie der Gutachter im Einzelnen herausgearbeitet hat, liegt bei der Klägerin keine (erkennbare) Auffassungsgabe und Aufmerksamkeit vor.
Die Berufung hat daher in vollem Umfang Erfolg. Der Beklagte ist unter Aufhebung der entgegenstehenden Verwaltungsentscheidungen zur Gewährung von Blindengeld zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat lässt die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der hier maßgeblichen Rechtsfragen zu.